Spandau-schlitzer: 5 Krimis Um Das Berlin Des Jahres 1968 622651

Spandau-Schlitzer: 5 Krimis um das Berlin des Jahres 1968

A. F. Morland and Tomos Forrest

Published by Alfred Bekker, 2021.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Spandau-Schlitzer: 5 Krimis um das Berlin des Jahres 1968

Copyright

Der Ripper von Spandau

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

Keine Gnade für Millane

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

Finger weg von gestohlener Ware!

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

Für Kunst kann wird auch gemordet ...

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

Mordachse Berlin - Rio

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

Further Reading: 12 spannende Strand Krimis Juli 2021

Also By A. F. Morland

Also By Tomos Forrest

Spandau-Schlitzer: 5 Krimis um das Berlin des Jahres 1968

Berlin 1968 Kriminalroman – Band 26 bis 30 von Tomos Forrest & A. F. Morland Der Umfang dieses Buchs entspricht 677 Taschenbuchseiten. Diese Band enthält folgende Romane: Tomos Forrest & A. F. Morland: Der Ripper von Spandau Berlin 1968 - Band 26 Tomos Forrest & A. F. Morland: Keine Gnade für Millane Berlin 1968 - Band 27 Tomos Forrest & A. F. Morland: Finger weg von gestohlener Ware! Berlin 1968 - Band 28 Tomos Forrest & A. F. Morland: Für Kunst wird auch gemordet... Berlin 1968 Band 29 Tomos Forrest & A. F. Morland: Mordachse Berlin – Rio Berlin 1968 - Band 30 Ein brutaler Mörder treibt sein Unwesen in Berlin, besser gesagt, in Spandau. Auf bestialische Weise werden junge Frauen ermordet, die als Hostessen ganz seriös als Begleiterin bestellt werden können. Bernd Schuster gerät in die Jagd auf den Mörder eigentlich durch einen Auftrag, bei dem es um die Wiederbeschaffung von 50.000 D-Mark geht, die bei einem Büroeinbruch verschwanden. Dass dann auch noch seine Freundin und Gehilfin Franziska in Lebensgefahr gerät, war selbst für den cleveren Privatdetektiv nicht voraussehbar...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker © Roman by Author Titel/Charaktere/Treatment © by Marten Munsonius & Thomas Ostwald, 2021 Roman – Nach Motiven – by Tomos Forrest, 2021 © dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius. Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Rechte vorbehalten. www.AlfredBekker.de [email protected] Folge auf Twitter: https://twitter.com/BekkerAlfred Erfahre Neuigkeiten hier: https://alfred-bekker-autor.business.site/ Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe! https://cassiopeia.press Alles rund um Belletristik!

Der Ripper von Spandau

Berlin 1968 Kriminalroman Band 26 von Tomos Forrest & A. F. Morland Ein brutaler Mörder treibt sein Unwesen in Berlin, besser gesagt, in Spandau. Auf bestialische Weise werden junge Frauen ermordet, die als Hostessen ganz seriös als Begleiterin bestellt werden können. Bernd Schuster gerät in die Jagd auf den Mörder eigentlich durch einen Auftrag, bei dem es um die Wiederbeschaffung von 50.000 D-Mark geht, die bei einem Büroeinbruch verschwanden. Dass dann auch noch seine Freundin und Gehilfin Franziska in Lebensgefahr gerät, war selbst für den cleveren Privatdetektiv nicht voraussehbar...

1

„Moin. Einmal Currywurst, aber nicht geschnitten!“ Der Mann hinter der schmalen Theke im schneeweißen T-Shirt, das Schiffchen keck schräg auf dem Kopf, eine schmale Schürze vor einem ansehnlichen Bauch, sah sich den Gast verwundert an. „Currywurst willste, aba nich jeschnitten? Wat bis du denn für eener?“, erkundigte er sich. „Nun, ich möchte keine Wurst, die schon so aussieht, als würde einer sie gerade essen wollen!“, antwortete der andere. Der Gast kam einwandfrei von der Küste, soviel stand für den Wurst-Maxe fest. Aber dass er deshalb seine Curry-Wurst nicht schneiden sollte, sah der Mann nicht ein. Er blickte an dem Gast die Straße entlang und nickte den beiden von der Heilsarmee zu, die ein paar Meter weiter standen und ihre frommen Traktätchen verteilten. Jetzt nahm die Frau ihre Gitarre vom Rücken und begann, zu einer grauenvollen Melodie auch noch falsch und laut zu singen. „Noch mal von vorne, Männeken. Wat willste?“ „Eine Currywurst. Nicht geschnitten. Mit der angeblich berühmten Soße dazu. Und einem Stück Weißbrot. Aber kein halbes Brötchen. Ist meine Bestellung so klar bei Ihnen angekommen?“ Der Gast deutete auf die längliche Tafel neben der Warenausgabe. Mit Kreide stand dort geschrieben: ‚Hier die Original Berliner Curry-Wurst, scharf. Frisches Weißbrot, Portion 1,60 Mark.‘ „Ich bin auf Ihr Angebot gestoßen, weil ich über die Zeile lachen musste, in der Sie echte Hamburger anbieten für das Stück 1,80 Mark, verstehen Sie? Ich komme nämlich aus Hamburg.“ „Dit erklärt nun einiges!“, antwortete der Verkäufer in aller Ruhe. „Wat willste

denn nu – Curry oder Hamburger?“ „Wie ich schon sagte. Currywurst ungeschnitten!“ Jetzt bewegte sich der Wurst-Maxe, griff nach der Pappschale, füllte sie mit einer der heißen, fertigen Würste, kippte aus einem Plastikeimer mit einer kleinen Kelle schwungvoll die gewürzte Soße darüber und legte ein Stück Weißbrot an den Rand. Das Geld lag abgezählt auf dem Zahlteller, und der Hamburger sah sich verwundert um. „Besteck? Wie soll ich die Wurst essen?“ Der Wurst-Maxe zog die Schultern hoch. „Keine Ahnung. Da liegt doch der Holzpieker daneben, oda? Dit is auch der Jrund, weshalb ik die Dinger schneide.“ „Was ist mit Besteck?“ „Seh ik so aus, als hätte ich ‘nen Laden für Kneipenbedarf?“ „Unglaublich!“ Der Hamburger griff die Currywurst mit spitzen Fingern, merkte dabei, wie heiß sie war und ließ sie erschrocken in die Pappschale nebst Soße fallen. Das verursachte ein Aufspritzen, und wutschnaubend rieb er sich die Flecken vom Hemd. „Das auch noch! Meine Güte, ist es denn nicht möglich, eine Curry-Wurst so zu servieren, dass man sie auch anständig verzehren kann?“ „Ik mach mal nen Vorschlag, Orje!“, meldete sich der Verkäufer wieder. „Ik schneid’se dir in Stikke, wa?“ Der Hamburger schwieg, griff erneut zu und biss herzhaft in die Wurst. Jetzt verbrannte er sich die Zunge, ließ die Wurst erneut zurückfallen und hatte weitere Flecken zu verzeichnen. Den heißen Bissen im Mund schob er rasch hin

und her, bevor er schluckte. Grinsend schob ihm der Wurstverkäufer eine Papierserviette zu. „Dabei schmeckt das Zeug noch nicht mal! Möchte nur wissen, weshalb man die Berliner Curry-Wurst so lobt, wo doch die Hamburger sie nicht nur erfunden haben, sondern auch wirklich schmackhaft herstellen können!“ „Wat is?“, horchte der Wurst-Maxe auf. Sein Gesicht zeigte deutlich die Verärgerung, aber bevor die Auseinandersetzung eskalierte, waren die beiden Heilsarmee-Leute heran. „Tach Justav!“, sagte der uniformierte Mann, setzte die Schirmmütze ab und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Seine dunkle Sonnenbrille gab dem rundlichen Gesicht mit dem kleinen Schnauzbart unter der Nase und dem Doppelkinn ein geradezu abschreckendes Etwas. Nur sein freundliches Lächeln te zu seinem Beruf. „Die Tagessuppe für die Frieda und mich, bitte!“ „Aber gern, Herr Leutnant!“, antwortete Gustav und griff zu einem der Plastikteller, um die gewünschte Suppe aus dem großen Pott über einer Gasflamme zu löffeln. In dem Moment sah er, wie der Hamburger den Rest seiner Currywurst in den Abfallbehälter warf und dabei leise vor sich hin schimpfte. „Dummheit is ooch 'ne Jabe Jottes, aber man soll ihr nich missbrauchen!“, rief er dem Mann hinterher, der sich jedoch nicht mehr zu ihm umdrehte. „Justav, lass dir doch nich ärgern!“, meinte der Leutnant der Heilsarmee, und als die beiden dampfenden Teller über den Tresen gingen, griffen die beiden behutsam zu und schoben sie an die Ecke des Tresens, wo sie nun gemütlich vor sich hin löffelten. „Was ich immer sage, Frieda – bei diese Hitze is was Warmes genau richtich!“, bemerkte der Leutnant zwischen zwei Löffeln. „Ja, hörte ich auch schon!“, antwortete die Frau, die ihre Gitarre an einem bunten, gestrickten Gurt über die Schulter gehängt hatte. Beide starrten dem Hamburger nach, der sich in Richtung Schlesisches Tor entfernte, ohne auch nur einmal einen Blick zurückzuwerfen.

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen, Gustav?“, ertönte in diesem Moment eine kräftige Männerstimme und ließ den Wurst-Maxe herumfahren. „Bernd Schuster! Und allein? Wo ist denn das Fräulein Assistentin?“ „Macht Diät, Gustav. Und da ich nicht zusehen mag, wie sie sich zu Mittag Gurken und Möhren kleinraspelt, bin ich mal eben schnell zu dir herübergekommen“, erwiderte der Privatdetektiv. Ganz gegen seine Gewohnheit, auch bei heißen Temperaturen stets auszusehen, wie aus dem Ei gepellt, trug der bekannte Privatdetektiv heute nur ein schlichtes T-Shirt über der Jeans und an den Füßen Jesuslatschen, wie sie derzeit gern von den jungen Leuten getragen wurden. „Zur Wurst auch ne Molle, Gustav, du hast ja hoffentlich ein paar Flaschen kaltgestellt?“ „Aber immer, für dich sowieso, Bernd! So, da, wünsche juten Appetit!“ Bernd nahm zuerst einen kräftigen Schluck aus der sofort beschlagenen Bierflasche, dann ließ er sich die Curry-Wurst schmecken, während auch die beiden Heilsarmisten ihre Mahlzeit beendet hatten. An diesem Abend hatte sich der Himmel ein graues Kleid zugelegt. Um 19 Uhr zuckten die ersten Blitze auf. Dann begann es zu donnern. Jetzt war es zweiundzwanzig Uhr, und der Regen trommelte monoton gegen das Fenster. Dieter Franzen hatte noch zu tun. Auf seinem Schreibtisch brannte die nachgemachte Tiffanylampe, deren gewölbter Deckel aus buntem Glas den Schein auch nach oben, zur Decke abgab. Banknotenbündel um Banknotenbündel legte Franzen in die unterste Schreibtischlade. Einen Safe besaß er nicht. Weder hier in seinem Büro noch bei der Bank. Dort hatte er allerdings ein Konto, das erstaunlich anwuchs. „Fünfzigtausend!“, sagte Franzen und rieb sich mit einem erfreuten Grinsen die Hände. Welcher Dummkopf hatte den Spruch verzapft: Geld allein macht nicht glücklich? Ihm genügte es. Und es konnte ihm niemals zu viel werden. Draußen schlich eine Gestalt durch das Vorzimmer. Franzen hatte davon keine Ahnung. Er hatte das Schloss nicht schnappen gehört und erleichterte dem Eindringling nun seine Arbeit auch noch dadurch, dass er das Radio einschaltete.

Beim Zählen hatte es ihn gestört. Doch nun wollte er wieder sanfte Musikberieselung haben. Die angelehnte Tür ging auf. Lautlos. Sie war von Franzen selbst gut geölt worden. Er hasste knarrende Türen. Die schwarz gekleidete Gestalt trat ein. Lautlos glitt sie an den Ahnungslosen heran. Franzen brannte sich eine Zigarette an. Der Rauch kringelte sich nach oben, wurde von einem Lufthauch erfasst, begann unruhig zu tanzen, zerfaserte. Der Eindringling holte einen faustgroßen Stein aus der Tasche. Franzen spürte mit einem Mal, dass er nicht allein in seinem Büro war. Das Rascheln von Stoff war für den Bruchteil einer Sekunde zu vernehmen. Franzen zuckte herum. Da kam der knallharte Schlag. Grunzend kippte Franzen zur Seite und fiel auf den Boden.

2

Walter Siebert war ein alter, bedächtiger Mann, den nichts aus der Ruhe bringen konnte. Ob sich nun die Erde um die Sonne drehte oder die Sonne um die Erde, es war ihm egal. Da er nachts kaum mal schlafen konnte, hatte er aus dem Unangenehmen etwas Nützliches gemacht und sich um eine Anstellung als Nachtwächter beworben. Prompt hatte man seine Bewerbung akzeptiert, und so zog er nun schon seit fünf Jahren wie sein eigener Geist durch das stille, leere Bürohaus, um in jeder Etage nach dem Rechten zu sehen. Mit schlurfenden Schritten zog Siebert durch den dritten Stock des Bürohauses. Dass Franzen noch da war, wusste er. Sie hatten vor einer halben Stunde miteinander telefoniert. Laut rauschte der Regen gegen die Fensterscheiben. Siebert fröstelte. Ein Glück, dass er jetzt nicht hinausmusste. Bis zum Morgengrauen würde es sich ausgeregnet haben. Vielleicht würde ihn sogar die Sonne wieder begrüßen, wenn er seinen Heimweg antrat. Die vergangenen Tage waren wieder außergewöhnlich warm geworden. Plötzlich irritierte den Nachtwächter eine Bewegung. Etwas Schwarzes huschte dort um die Ecke, wo der Korridor einen Knick machte. Siebert kniff die Augen zusammen. Hatte er wirklich was gesehen? Hatte er sich getäuscht? Er eilte auf den Korridorknick zu. Jetzt wäre ihm die Brille eine große Hilfe gewesen. Aber wo war sie? Vermutlich lag sie in seinem Kellerbüro, neben dem Butterbrot, gleich hinter der Thermosflasche, in der sich Tee mit Rum befand. Als Siebert die Gangecke erreichte, entdeckte er das schwarze Etwas noch einmal. Dieter Franzen war das nicht. Der wäre nicht vor ihm davongelaufen. Der wäre auf ihn zugekommen, hätte ihm auf die Schulter geklopft, hätte ihm etwas zu trinken angeboten, so war Franzen.

„He!“, krächzte Siebert ärgerlich. Das Schwarze blieb stehen. „Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen? Woher kommen Sie?“ Siebert ging auf die Gestalt zu. Je näher er ihr kam, desto genauer sah er ihre Umrisse. Acht Schritte noch. Auf einmal war die Erscheinung verschwunden. Walter Siebert presste verwirrt die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, guckte noch einmal, riss die Augen weit auf. „Das gibt’s doch nicht!“, sagte er grimmig. Furchtlos ging er weiter. Die schwarze Gestalt stand in der Nische einer Tür. Soeben holte sie jenen faustgroßen Stein aus der Tasche, mit dem sie schon Franzen vom Stuhl geholt hatte. Siebert kam tappend an. Der Eindringling wartete mit hochgehobener Hand auf seine Chance. Drei Schritte noch. Zwei. Einer. Jetzt war der Nachtwächter da. Mit weit aufgerissenen Augen wollte er an dem Schwarzen vorbeilaufen. Die Person flog wie katapultiert auf ihn zu. Siebert riss die Arme zur Abwehr hoch, doch der Stein traf sein Ziel trotzdem. Wie vom Blitz gestreift ging der Nachtwächter in die Knie. Trotz seines gewaltigen Brummschädels nahm er zwei Füße wahr, die sich nun eilig fortbewegten. Er lag auf den Knien, stützte sich mit den Händen ab, keuchte und versuchte, den Niederschlag zu verkraften. Als er alle seine Sinne wieder beisammenhatte, war der Spuk vorbei. Dafür setzten heftige Kopfschmerzen ein. Fluchend kam Siebert wieder auf die Beine. Er lehnte sich an die Wand, schluckte, massierte seinen lädierten Schädel, versuchte klarzusehen. Franzen fiel ihm ein. Sofort drehte er sich herum. Mit wippenden Schritten lief er zu Franzen’ Büro. „Herr Franzen!“, rief er. „Herr Franzen!“ Seine Stimme hallte gespenstisch durch das stille Gebäude. „Herr Franzen!“

Dieter Franzen lag neben dem Schreibtischstuhl. Unter seinem Kopf glänzte eine dunkelrote Blutlache. „Dieses Schwein!“, knurrte Siebert. „Dieses gottverfluchte Schwein!“ Der Nachtwächter beugte sich über den Leblosen. Schnell fühlte er nach Franzens Puls. Der Mann lebte. Siebert richtete sich auf. Sein Blick fiel auf den kleinen Wandschrank, auf dem ein rotes Kreuz klebte. Er eilte darauf zu. Als er ihn öffnete, prasselten ihm Flaschen, Schachteln, Salbentuben entgegen. Seine Finger erwischten eine Pflasterrolle, eine Schere, einen Gazestreifen. Er musste mit der Nase tief in den Schrank kriechen, um die Jodtinktur mit seinen schwachen Augen zu erkennen. Rasch kehrte er zu Franzen zurück. Keuchend drehte er ihn auf den Rücken. Dann begann er, sich mit ungeübter Hand um die Platzwunde zu kümmern, die der Unbekannte diesem Mann geschlagen hatte. Siebert war beim Aufwischen der Blutlache, als Franzen ins Bewusstsein zurückkehrte. Zuerst ächzte er, als hätte er eine schwere Bürde abgesetzt. Dann hob er die rechte Hand, wischte sich über die geschlossenen Augen, hob die Lider, ließ sie einige Male flattern. Plötzlich setzte er sich mit einem jähen Ruck auf. „Au!“, kam es gepresst über seine blutleeren Lippen. Er verzog das Gesicht. „Gott sei Dank“, sagte der Nachtwächter. Dieter Franzen wandte verwirrt den Kopf nach ihm. Siebert hatte einen blutgetränkten Fetzen in seiner Rechten, den er nun schnell vor Franzen verbarg. Er sollte angesichts seines Blutes nicht gleich noch einmal in Ohnmacht fallen. „Was ist iert?“, fragte Franzen benommen. Erst jetzt bemerkte er, dass er auf dem Boden saß. „Ja, was ist iert?“, gab Walter Siebert nickend zurück. „Sie hatten Besuch von einer schwarzen Gestalt, Herr Franzen.“ Franzen machte senkrechte Falten auf seiner Stirn. „Von einer schwarzen Gestalt?“ „Sie wurden niedergeschlagen. Erinnern Sie sich nicht?“

„Dunkel nur. Sehr dunkel.“ Franzen versuchte aufzustehen. „Warten Sie, ich helfe Ihnen“, sagte Siebert hastig. Den blutigen Fetzen warf er in den Papierkorb. Dann wischte er seine feuchten Hände am speckigen Hosenboden ab und fasste fest zu. Mit vereinten Kräften ging es. Franzen bedankte sich seufzend. Da ihm der Kopf wehtat, tastete er nach dem Schmerzzentrum. Er fühlte den Pflasterstreifen. „Ich bin verletzt?“ „Ja, Herr Franzen.“ „Schlimm?“ „Nur ’ne Platzwunde.“ „Haben Sie sie versorgt?“ „Ja, Herr Franzen.“ „So lange war ich weg?“ „Besorgniserregend lange“, erwiderte der Nachtwächter. „Wie fühlen Sie sich jetzt?“ „Wie durch den Wolf gedreht und hinterher von einem Esel getreten.“ „Soll ich Ihnen einen Cognac einschenken?“ „Das ist eine gute Idee, Herr Siebert. Nehmen Sie sich auch einen.“ Wo das Getränkefach war, wusste der Nachtwächter. Er war von Franzen schon mehrmals auf einen guten Schluck eingeladen worden, wenn er draußen am Büro vorbeischlurfen wollte. Franzen arbeitete oft nachts. Siebert setzte sich ebenfalls. Sie tranken. Siebert meinte, nun müsse man die Polizei einschalten. „Gleich“, sagte Franzen. „Erzählen Sie mir erst, was Sie gesehen haben, Herr Siebert.“ Der Nachtwächter kommentierte den Film, der vor seinem Erinnerungsauge ablief.

„Er hat auch Sie niedergeschlagen?“, fragte Franzen erstaunt. „Musste er. Sonst hätte ich ihm den Hals umgedreht.“ „Womit hat er zugeschlagen?“ „Mit einem verdammt harten Gegenstand. Aber was es genau war, entzieht sich meiner Kenntnis.“ „Haben Sie sein Gesicht gesehen?“, erkundigte sich Franzen aufgeregt. Er trank sein Glas leer. „Ein weißer Fleck“, antwortete Siebert und hob bedauernd die Schultern. Er wies auf seine Augen. „Mit den Murmeln kann ich keinen Elefanten von einem Polizisten unterscheiden, wenn beide ’ne blaue Uniform tragen. Halb blind bin ich ohne Brille. Und Sie? Haben Sie sein Gesicht nicht gesehen?“ Franzen presste die Kiefer ärgerlich zusammen. „Nein“, knurrte er. „Er schlich sich von hinten an. Als ich merkte, dass er hinter mir war, hatte ich keine Chance mehr ...“ „Was wollte er hier?“ Franzen schaute sich um. Sein Geld! Er starrte in die leere Schreibtischlade. Sein Geld war weg! Die gesamten 50 000 Mark waren futsch. Zu den Kopfschmerzen gesellte sich nun auch noch ein Herzkrampf. 50 000 Mark. Einfach weg. Das war zum Heulen. „Ich – ich bin beraubt worden!“, stöhnte Franzen erledigt. Er erhob sich, weil die Sitzfläche seines Stuhls auf einmal so heiß war wie eine Ofenplatte im Winter. Da fiel ihm auf, dass auch sein Karteischrank ungestüm durchwühlt worden war. Aber das war nicht so schlimm. Unvergleichlich schwerer wog der Verlust der 50 000 redlich verdienten Mark. „Jetzt rufe ich die Polizei an, Herr Franzen!“, sagte der Nachtwächter entschlossen. Und Dieter Franzen hatte nichts dagegen.

3

Bernd Schuster brauchte zehn Minuten bis zum nicht überdachten Besucherparkplatz. Die Sonne knallte auf die Fahrzeuge und machte sie zu Backöfen. Als Bernd im dritten Stock aus dem Fahrstuhl stieg, kam ihm eine Frau mit sich deutlich abzeichnenden Brüsten und Wespentaille entgegen. „Zu Herrn Franzen?“, fragte er, nur um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie duftete nach frischen Rosen. Aber als sie den Mund öffnete, bekam seine aufgeblähte Illusion schreckliche Risse. „Haben Sie keine Augen im Kopf, Mann? Können Sie nicht lesen? Steht doch ganz groß dort an der Tür, oder?“ „Ist ja schon gut, schon gut“, winkte Bernd ab und machte, dass er weiterkam. Franzen war allein in seinem Büro, das aus zwei Räumen bestand. Sein Kopf war bis zu den Brauen mit Mullverband bedeckt. Ein Krankenwagen hatte ihn noch in der Nacht ins nächste Krankenhaus gebracht. Da war die Platzwunde mit drei Nähten geschlossen worden. Eigentlich hätte der Hostessenvermittler zu Hause im Bett liegen sollen, aber davon wäre er wahrscheinlich verrückt geworden. Zuerst 50 000 Mark verlieren und dann auch das Büro schließen, das wäre einfach zu viel für ihn gewesen. Im Aschenbecher war nur noch für eine Kippe Platz. Beim nächsten Stummel würde die Pyramide zusammenfallen und sich rund um den Ascher verteilen. Bernd setzte sich. „Sie haben mich angerufen. Ich bin hier. Schießen Sie los. Ich höre.“ Dieter Franzen war Mitte Vierzig. Vor Jahren hatte er sich als Makler versucht, war jedoch nicht mit eigener Kraft hochgekommen, hatte alles hinter sich gelassen und sich einem anderen Erwerbszweig zugewandt. Ein Freund hatte

ihm ein Nachtlokal angeboten. Mit einer bekannten Sängerin als stiller Teilhaberin hatte Franzen die Sache groß aufgezogen, als die „Stille“ ihr Geld aber zu plötzlich aus dem Unternehmen herauszog, um eine eigene Schallplattenfirma zu gründen, hatte Dieter Franzen zum zweiten Mal Pleite gemacht. Erst sein Hostessenbüro hatte ihm den Erfolg gebracht, hinter dem er jahrelang hergelaufen war. Er war mittelgroß, sah mittelmäßig aus, trug Anzüge von der Stange. Nun trug er mit großem Eifer vor, was ihm in der vergangenen Nacht zugestoßen war. Bernd schüttelte den Kopf. „Einen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Franzen!“ „Ich weiß! Ich weiß! Ich hätte so viel Geld nicht einfach im Schreibtisch aufbewahren sollen. Aber wohin damit? Ich besitze keinen Safe.“ „Geld gehört auf die Bank.“ Der Hostessenvermittler zuckte die Achseln. „Jeder hat eben so seinen Tick. Ich weiß nicht, was Sie haben ...“ „Ich angle gern.“ „Und ich höre gern Banknoten knistern. Ich sehe mir gern Geldbündel an, nehme sie gern mal in die Hand, und ich bezahle auch nicht gern mit einem EuroScheck, sondern lieber in bar, obgleich man hierzulande ja schief angesehen wird, wenn man nicht mit Scheck bezahlt.“ „Waren die fünfzigtausend Mark Ihr ganzes Geld?“, erkundigte sich Bernd. „Ich habe noch was auf meinem Bankkonto. Fragen Sie mich deshalb, weil Sie befürchten, ich könnte Ihr Honorar nicht aufbringen?“ „Ich versuche mir nur ein Bild von Ihnen und von Ihrem Unternehmen zu machen.“ „Das Unternehmen ist eine absolut seriöse Angelegenheit, Herr Schuster.“ „Wie viele Mädchen beschäftigen Sie?“

„Fünfzehn bis zwanzig. Das ist ganz verschieden. Manche Mädchen sind so hübsch, dass sie mir schon nach wenigen Wochen weggeheiratet werden.“ „Binden Sie die Mädchen nicht vertraglich an Ihr Unternehmen?“ „Wenn eine ihr Glück machen kann, will ich ihr nicht im Wege stehen.“ „In der Tat eine seriöse Ansicht“, lobte Schuster. „Was sind das für Frauen, die für Sie arbeiten?“ „Sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten.“ „Und wie sieht ihr Job aus?“ „Sie leisten einsamen Herren Gesellschaft.“ „Wie weit geht das?“ „Auf keinen Fall bis ins Bett!“, sagte Dieter Franzen schnell. „Ich weiß, Hostessenbüros werden allgemein als Kuppelei-Unternehmen angesehen. Eine neue Art der Hurenvermittlung. So etwas gibt es bei mir jedoch nicht. Mein Name bürgt für ein sauberes Geschäftsgebaren, Herr Schuster. Meine Mädchen leisten ausländischen Diplomaten, Filmleuten und Größen der internationalen Hochfinanz Gesellschaft, wenn sie sich bei uns in West-Berlin langweilen.“ „Angenommen, ein Kunde möchte einem Ihrer Mädchen doch ans Höschen.“ „Ist nicht gestattet!“ Bernd schmunzelte. „Wir sind beide Männer, Herr Franzen. Würden Sie sich darum scheren, was erlaubt ist und was nicht, wenn Ihnen ein Mädchen so gut gefällt, dass Sie ganz verrückt nach ihr sind? In der Liebe ist doch jeder Trick erlaubt, der ans Ziel führt.“ „Die Mädchen wissen, dass sie auf der Stelle entlassen werden, wenn sie so etwas tun. Dafür sind andere Unternehmen da. Nicht das meine. Wenn ein Mann so etwas sucht, dann hat er Pech bei meinen Hostessen.“ „Angenommen, eines Ihrer Mädchen möchte dasselbe wie der Kunde.“

Franzen blickte Bernd ärgerlich an. „Warum hören Sie nicht endlich auf, diese gute Sache in den Schmutz zu ziehen, Herr Schuster? Ich habe Ihnen bereits einmal erklärt, und ich tue es nunmehr mit Nachdruck ein zweites Mal: Es gibt solche und solche Hostessenvermittlungen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, seriösen Männern, die in unsere Stadt kommen, eine seriöse Begleiterin an die Seite zu stellen. Die Mädchen gehen mit den Kunden soupieren, sie besuchen mit ihnen Museen, zeigen ihnen die Sehenswürdigkeiten Berlins, aber mehr spielt sich nicht ab.“ „Gibt es Mädchen, die verheiratet sind?“, fragte Bernd. „Verheiratet ist keine einzige. Drei sind verlobt. Mehrere so gut wie verlobt. Einige haben einen festen Freund. Die Mädchen üben hier bei mir einen Beruf aus, der nicht unehrenhafter ist als der einer Dolmetscherin bei der UNO zum Beispiel.“ „Warum sind keine verheirateten dabei?“ „Bisher sind alle ausgeschieden, nachdem sie geheiratet hatten“, antwortete Franzen. „Weswegen?“ „Weil sie es nicht mehr nötig hatten, einer Arbeit nachzugehen.“ „Aber Sie würden diese Mädchen nicht abbauen, wenn sie den Wunsch hätten, zu bleiben.“ „Ich würde ihr Bleiben sogar begrüßen“, sagte Franzen. „Ich komme mit meinen fünfzehn bis zwanzig Mädchen kaum durch. Die Nachfrage ist ungemein groß. Ja, ja, Herr Schuster. Auch Sauberkeit macht sich bezahlt.“ „Wurde außer den fünfzigtausend Mark noch etwas gestohlen?“, wollte Bernd wissen. „Genügt das nicht?“ „Doch, doch.“ „Der Karteischrank wurde durchwühlt.“

„Fehlt daraus etwas?“, fragte Bernd. „Ich glaube nicht. Nein. Es scheint nichts zu fehlen.“ „Wie stehen Sie zu Ihren Mädchen, Herr Franzen? Welches Verhältnis haben Sie zu ihnen?“ „Das Beste, das Sie sich denken können. Ich bin wie ein Vater zu ihnen. Sie mögen mich.“ „Alle?“, forschte Bernd. „Alle. Wundert Sie das? Ich zahle überdurchschnittlich gut, ich respektiere die Mädchen. Ich bin für sie jederzeit da. Sie können mit allen ihren Sorgen zu mir kommen.“ „Hatte in letzter Zeit eines der Mädchen Sorgen?“ Franzen schüttelte den Kopf, ohne nachzudenken. „Nein.“ Bernd wies auf den Schreibtisch. „Wer wusste davon, dass Sie hier drin fünfzigtausend Mark aufbewahren, Herr Franzen?“ „Ich glaube, das war allein meinen Mädchen bekannt.“ Franzen stutzte. „Hoffentlich galoppieren Sie jetzt nicht in diese Richtung, Herr Schuster. Für meine Mädchen lege ich die Hand ins Feuer.“ „Okay. Keines Ihrer Mädchen hat das Geld genommen“, erwiderte Bernd. „Das könnte sogar stimmen. Aber könnte der Täter nicht durch eines der Mädchen von dem Geld in Ihrem Schreibtisch erfahren haben? Ganz zufällig. Das Mädchen wollte dem Täter keinen Tipp geben. Es sprach vom Geld, ohne sich dabei etwas zu denken. Wäre doch möglich.“ Franzen wollte nicht daran glauben. Aber Bernd war von dieser Idee vorerst mal nicht abzukriegen. Irgendwo musste er schließlich seinen Hebel ansetzen. Warum also nicht hier? Franzen rauchte nervös und legte die letzte Kippe, die im Ascher noch Platz hatte, kurz darauf auf die Stummelpyramide. Bernd bat ihn, ihm vorerst einmal ein paar Namen und Adressen aufzuschreiben. Dieter Franzen drehte ein Blatt Papier in die Schreibmaschine und klopfte neun Mädchennamen samt Anschrift und Telefonnummer aus dem Gedächtnis

herunter. Ganz unten knatterte Franzen auch noch mit erstaunlich flinken Fingern den Namen Walter Siebert samt Adresse aufs Papier. Dazu meinte er: „Ich nehme an, dass Sie auch mit dem Nachtwächter sprechen möchten.“ Bernd faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Innentasche seines Jacketts. Mit Schusters Tageshonorar von 100 Mark Spesen extra war Franzen sofort einverstanden. Interessehalber erkundigte sich Bernd Schuster noch nach dem Polizeibeamten, der den Fall bearbeitete. „Inspektor Steffens“, antwortete Franzen. „Vom Raubdezernat.“ Bernd kannte ihn nicht. Er versprach, bald wieder von sich hören zu lassen und fuhr zu Siebert. Die Beule des Nachtwächters war immer noch gut zu sehen. Bernd erklärte ihm seinen Auftrag und wurde dann in eine kleine, nett eingerichtete Wohnung eingelassen. Jetzt trug Siebert seine dickglasige Brille, und er hatte sich vorgenommen, sie nicht einmal mehr unter der Dusche abzunehmen. Er wies darauf. „Die hätte ich gestern Nacht auf der Nase sitzen haben müssen, Herr Schuster. Dann könnte ich Ihnen den Kerl so genau beschreiben, dass Sie davon ’ne Zeichnung anfertigen könnten. Aber leider – wer konnte denn ahnen – was soll’s. Sich jetzt Vorwürfe zu machen, hat wohl keinen Sinn mehr.“ „War der Täter ein Mann oder eine Frau, Herr Siebert?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Ein Mann“, sagte Walter Siebert sofort. „Wieso sind Sie so sicher?“ „Eine Frau macht doch so etwas nicht, Herr Schuster.“ „Wir leben im Zeitalter der Emanzipation. Heute tun so etwas leider auch schon die Frauen. Versuchen Sie, sich an das Gesicht des Täters zu erinnern.“ Der Nachtwächter zuckte die Achseln. „Es war ein weißer Klecks. Tut mir leid.“ „Keine Augen? Keinen Mund?“

„Nur ein weißer Fleck über einer schwarzen Kleidung.“ „War der Täter schlank?“ „Das muss ich annehmen. Er war schnell wie ein Wiesel. Ein dicker Mensch kann sich nicht so rasch bewegen.“ „Womit hat er Sie niedergeschlagen?“ „Ich hatte den Eindruck, es war ein Stein. Aber das ist wohl Blödsinn. Wer schleppt schon einen faustgroßen Stein mit sich herum ...“ „Muss es denn unbedingt immer ein Totschläger sein, Herr Siebert?“ „Die Unterwelt zieht ’nen handlichen Totschläger nun mal einem gewöhnlichen Stein vor, Herr Schuster.“ Bernd nickte. „Was Sie da sagen, bringt mich auf eine gute Idee.“ „Auf welche?“ „Der Täter gehört nicht der Unterwelt an.“ Bernd erhob sich. „Können Sie mir sonst noch etwas über den schwarzen Mann mit dem weißen Klecksgesicht sagen, Herr Siebert?“ Der Nachtwächter dachte angestrengt nach. „Ich weiß nicht – irgendetwas hat an ihm nicht gestimmt.“ „Was?“, fragte Bernd schnell. „Denken Sie nach, Siebert.“ „Es hat keinen Zweck“, erwiderte der alte Mann und schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich komme einfach nicht drauf, was es gewesen ist.“

4

Sie war für jeden Mann eine Augenweide. Groß, schlank, blond. Üppig da, wo es sein musste, ohne ein Gramm Fett auf den Rippen. Darüber hinaus hatte sie ein nettes Wesen, und sie besaß die Gabe, auf jeder Party sehr schnell zur Zentralfigur zu avancieren. Das kleine Stupsnäschen saß keck in ihrem hübschen Puppengesicht. Es war nicht viel Make-up nötig, um aus Doris Koch eine geradezu umwerfende Schönheit zu machen. Sie lag splitterfasernackt unter dem Strahler ihres Heimsolariums. Soeben wandte sie sich um. Jetzt kam die Vorderfront dran. Ihre vollen Brüste mit den dunklen Warzenhöfen schaukelten sanft. Zwei Minuten setzte sie sich der Höhensonnenbestrahlung aus. Dann glitt sie von der gepolsterten Liege. Sie nahm die Schutzbrille ab und legte sie weg. Veilchenblaue Augen blitzten aufgeweckt. Doris begab sich in das Wohnzimmer, nachdem sie sich einen weichen Frotteemantel übergeworfen hatte. Ein Schluck von dem Whisky in ihrem Glas ließ in ihrem Inneren eine vitale Revolution ausbrechen. Viele Männer hatten ihr schon die Frage gestellt: „Warum gehst du nicht zum Film, Doris?“ Sie war beim Film gewesen, hatte sogar eine seriöse Schauspielausbildung genossen, wäre gern in die Staaten gegangen, am liebsten natürlich nach Hollywood. Aber sie hatte den Durchbruch nicht geschafft. Das hatte vermutlich daran gelegen, dass es damals eine Kollegin gegeben hatte, nach der sich alle Bühnen in West-Deutschland rissen. Ein wahres Talent und TemperamentBündel. Und sie hatte beinahe genauso ausgesehen wie Doris Koch. Klar, dass neben ihr kein Platz mehr für Doris blieb. Die paar Rollen, die sie verkörperte, wurden beim Schneiden so stark gestutzt, dass kaum mehr was davon übrigblieb. Da die Kollegin jünger als Doris war, war nicht zu erwarten, dass es für Doris in absehbarer Zeit eine ernsthafte Chance geben würde. Man machte ihr das Angebot, den Star bei den Nacktszenen zu doubeln, weil sie die schönere Figur besaß, aber darauf verzichtete Doris Koch. Sie kehrte nach Berlin zurück, hängte den Schauspielberuf an den Nagel und begab sich in Dieter Franzens Obhut. Bis heute hatte sie das noch nicht zu bereuen gehabt. Ihre gemütliche Wohnung in der Teltower Straße in Spandau lag ruhig und war, dank ihrer Tätigkeit für

Franzen, auch bezahlbar. Das Telefon schlug an. Doris hob ab und sagte mit samtweicher Stimme: „Ja?“ Es kam nichts aus dem Hörer. „Hallo!“ Nichts. „Hallo! Wer ist da?“ Jetzt ein aufgeregtes Keuchen. Sonst nichts. Kein Wort. Doris überlief es kalt. Nervös presste sie den Hörer ans Ohr. Das Keuchen wurde lauter, ging schneller, so als wäre der Anrufer sehr erregt. „Hallo!“ Ein gepresstes, heiseres Lachen. Doris Koch schauderte. Was hatte das zu bedeuten? Wer war da dran? „Wer sind Sie?“, fragte das Mädchen beunruhigt. Noch schneller ging das Keuchen. Ein asthmatisches Pfeifen mengte sich hinein. „Möchten Sie nicht endlich sagen, was Sie wollen?“, fragte Doris mit angespannten Nerven. Sie hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand würde ihr über den Nacken streichen. Das Keuchen war nun schon so laut, dass es Doris ängstigte. Sie wollte auflegen, aber sie war gebannt wie die Maus, die vor der Schlange sitzt und nicht wegrennt, obwohl sie weiß, dass sie gefressen wird. „Bitte!“, rief sie mit belegter Stimme. „Was soll denn das?“ „Schlampe!“, zischte der Anrufer. „Was sagten Sie? Wie haben Sie mich eben genannt?“ „Schlampe!“, flüsterte der Keucher. „Dreckige, billige Schlampe!“ „Wer sind Sie? Warum beschimpfen Sie mich?“ „Du bist eine Nutte, he? Du treibst es mit jedem, was? Legst dich mit allen ins

Bett und kassierst dafür auch noch, du hundsgemeines Luder. Unsere arme Welt ist voll von Kanaillen wie dir. Sie müssen weg! Weg! Weg! Alle! Wir brauchen euch nicht! Wir möchten eine saubere Welt haben! Huren wie du verpesten unser Klima! Vergasen, erstechen, erschießen, köpfen sollte man euch! Ich werde es tun, Doris Koch. Ja, ich werde es tun. Ich werde der Menschheit einen Gefallen erweisen. Ich werde die Menschheit von dir befreien! Du bist ein Alptraum für jeden anständigen Menschen, deshalb musst du sterben! Hast du verstanden, Doris Koch? Du musst sterben!“ Dem Mädchen stockte der Atem. Eine raue Gänsehaut umspannte ihren jungen, bebenden Körper. „Sie sind verrückt!“, schrie sie erschrocken in die Membran. „Oh nein, meine Liebe“, kam es flüsternd aus dem Hörer. „Meine Freunde und Bekannten könnten dir bestätigen, dass ich vollkommen normal bin!“ „Und doch sind Sie wahnsinnig!“ „Das ist nicht wahr!“, keuchte der Anrufer. „Ihre Freunde und Bekannten wissen es nur noch nicht, dass Sie nicht mehr normal sind! Seit wann machen Sie das? Seit wann rufen Sie junge Mädchen an, hm? Woher haben Sie überhaupt meine Telefonnummer? Wer sind Sie?“ „Ich bin ein Mensch, der es gut mit der Menschheit meint, Doris Koch. Den Bauch werde ich dir aufschlitzen, mein Täubchen. Es wird mir ein Vergnügen sein, zuzusehen, wie deine entsetzten Augen langsam brechen.“ Mit einem verzweifelten Schrei warf das Mädchen den Hörer auf die Gabel. Fröstelnd stand sie vor dem Telefon. Sie starrte den Apparat fiebernd an, nagte nervös an der Unterlippe. „Was ist das für ein Mensch?“, fragte sie sich schaudernd. „Was ist das nur für ein teuflischer Mensch?“ Zitternd am ganzen Leib begab sie sich zur Hausbar. Sie goss Whisky in ein Glas. Der Drink konnte gar nicht groß genug sein. Hastig trank sie. Anschließend zündete sie sich eine Lord Extra an. Die Zigarette federte zwischen ihren Fingern auf und ab. Paffend rauchte sie. Und sie lief aufgewühlt

hin und her. Wer war der Anrufer gewesen? Jemand, den sie kannte? Woher hatte er ihre Telefonnummer? Einfach aus dem Telefonbuch herausgepickt? Auf gut Glück? Er hatte sie beschimpft. Ihr Beruf störte ihn. Warum hatte er nicht lauter gesprochen? Warum hatte er geflüstert? Hatte er von wo angerufen, wo andere Leute hätten mithören können, wenn er lauter geredet hätte? So viel Angst wie an diesem Tag hatte Doris in ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt. Schnell zog sie sich an. Der Frotteemantel flog auf den Haken im Badezimmer. Doris schlängelte sich in einen hauchzarten Slip. Dann hakte sie den BH fest. Ein Kleid aus roter, raschelnder Seide folgte. Die Frisur war mit einigen Bürstenstrichen in Ordnung gebracht. Als sie aus dem Bad trat, schlug das Telefon erneut an. Sie blieb stehen, erstarrte mitten in der Bewegung. Furchtsam schüttelte sie den Kopf. Nein, sie wollte nicht noch einmal rangehen. Einmal hatte sie die Tränen mühsam niedergekämpft. Ein zweites Mal würde ihr das nicht gelingen, das fühlte sie. Unaufhörlich quälte sie das Schrillen des Telefons. Sie presste die Handflächen auf ihre Ohren. „Nein!“, schrie sie hysterisch. „Nein! Ich geh’ nicht ran! Hör auf! Hör endlich auf!“ Das Telefon zog Doris magisch an. Sie wollte den Hörer nicht mehr anfassen, doch sie stand bereits vor dem Apparat. Sie sah, wie sich ihre Hand auf den Hörer legte, erschauderte, nahm aber doch den Hörer von der Gabel. Krächzend meldete sie sich. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Kleine Schweißtröpfchen standen auf ihrer gekräuselten Stirn. „Doris?“, kam eine kräftige, sympathische Männerstimme aus dem Hörer. „Ja“, hauchte das Mädchen erledigt. „Hier spricht Karsten Wegner.“ Doris atmete erleichtert auf und entspannte sich. „Hallo, Karsten. Sie sind immer noch in Berlin? Ich dachte, Sie wären bereits in Marseille.“

„Ich bin schon auf dem Flughafen. In zwanzig Minuten geht meine Maschine.“ „Guten Flug, Karsten“, sagte Doris erleichtert. „Ich wollte nicht abfliegen, ohne mich noch mal bei Ihnen für den gestrigen Tag bedankt zu haben, Doris. Es war furchtbar nett mit Ihnen.“ Das Mädchen schloss die Augen und versuchte schwach zu lächeln. Der Schweiß trocknete langsam von ihrer Stirn. „Ich bin sicher, wir sehen einander wieder, Karsten.“ „Sagen Sie, Doris, ist etwas nicht in Ordnung mit Ihnen? Ihre Stimme klingt, als hätten Sie Kummer.“ „Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Karsten. Es ist alles bestens.“ Doris wollte Wegner nicht beunruhigen. Sie wünschte ihm noch mal einen guten Flug und legte dann auf. Drei Zigaretten später schlug die Türglocke an. Doris war mit den Nerven immer noch ganz tief unten. Sie zuckte heftig zusammen und fuhr erschrocken herum. Der Anrufer hatte gesagt, er würde zu ihr kommen. Heute. Morgen. Irgendwann. Stand er jetzt vor ihrer Tür? Sofort überflutete das Mädchen eine panische Angst. Sie nagte am Daumennagel, wusste nicht, ob sie an die Tür gehen oder besser so tun sollte, als wäre sie nicht zu Hause. Da klingelte es schon wieder. Es war ihr, als wäre ein Stromstoß durch sie gefahren. Auf Zehenspitzen schlich sie in die Diele. Ihr Herz hämmerte aufgeregt gegen die Rippen. Nervös warf sie einen Blick durch den Spion. Die Glaslinse verzerrte das Gesicht des Mannes draußen. Trotzdem sah er gut aus. Etwa eins achtzig groß. Schlank, breitschultrig, helle Augen, dunkles Haar. Doris fragte den Fremden durch die Tür, was er wolle. Er nannte ihr seinen Namen. Bernd Schuster hieß er. Er sei Privatdetektiv, sagte er. Und er zeigte ihr seinen Personalausweis, hob ihn dicht an den Türspion, als sie ihn dazu aufforderte. Sie machte es spannend, hängte die dicke Kette vor. Ließ sich den Personalausweis aushändigen, studierte ihn eingehend, ehe sie ihn zurückgab und Schuster eintreten ließ. „Sie müssen mich für eine hysterische Pute halten“, sagte sie im Wohnzimmer

verlegen. „Vielen Leuten wäre vieles erspart geblieben, wenn sie so vorsichtig gewesen wären wie Sie, Fräulein Koch“, erwiderte Bernd. Er setzte sich in den sandfarbenen Samtsessel, auf den Doris wies. Sie nahm ihm gegenüber Platz und umklammerte ihre Knie mit beiden Händen. Dass mit ihr einiges nicht stimmte, erkannte Schuster auf den ersten Blick. Er kannte die Angst und was sie aus einem Menschen machte. Und dieses Mädchen da hatte vor kurzem Todesängste ausgestanden, das sah Bernd in ihren veilchenblauen Augen. Sein angenehmes Äußeres flößte ihr sofort Vertrauen ein. Er brauchte sie nach dem Grund ihrer Furcht nicht zu fragen. Sie begann von selbst davon zu reden, und sie schien sehr, sehr froh zu sein, gerade mit ihm darüber sprechen zu können. „Da... da war vorhin ein Anruf ...“, begann sie, während sie das Telefon ängstlich ansah. „Jemand hat gedroht, mich umzubringen, deshalb bin ich so durcheinander.“ Bernd bat sie, den Inhalt des Gesprächs wiederzugeben. Sie versuchte es. Und als sie fertig war, musste sie schluchzen. Er stand auf, legte ihr seine Hand auf die Schulter und redete beruhigend auf sie ein. Ihr ganzer Körper zuckte, während sie ohne Tränen weinte. „Kam Ihnen die Stimme irgendwie bekannt vor?“, fragte Bernd, nachdem sich das Mädchen etwas gefangen hätte. Doris schüttelte den Kopf. „Es war ja nur ein Flüstern.“ „Aber doch deutlich genug, dass Sie jedes Wort verstehen konnten“, sagte Bernd. „Ja. Das schon. Doch wenn jetzt nacheinander zehn meiner besten Freunde anriefen, würde das genauso klingen, Herr Schuster.“ „Vielleicht sind Sie mit ihm bekannt, und er möchte nicht, dass Sie ihn identifizieren können.“

Doris schüttelte aufgeregt den Kopf. „Keiner meiner Bekannten würde mich dermaßen erschrecken.“ „Haben Sie einen Freund, Fräulein Koch?“ „Ich hatte einen. Bis vor einer Woche.“ „Was ist aus ihm geworden?“ „Ich habe ihm den Lauf gegeben.“ „Warum?“, wollte Bernd wissen. Doris zuckte mit den Schultern. „Wir haben einfach nicht zueinander get.“ „Darf ich Sie um seinen Namen bitten?“ „Christian Delfs.“ „War er sehr enttäuscht, als Sie ihm sagten, dass es aus ist?“ Doris wedelte mit der Hand, als hätte sie sich die Finger verbrannt. „Er war furchtbar wütend. Männer können es nicht vertragen, sitzengelassen zu werden. Christian war in dem Punkt ganz besonders leicht verwundbar, aber es ging einfach nicht mehr weiter mit uns. Dieses Verhältnis begann mich nervlich zu belasten. Wir stritten uns fast jeden Tag. Es musste ein Ende haben.“ Nun wies Bernd auf das Telefon. „Wäre es möglich, dass Christian der Anrufer war?“ Doris Koch erschrak. „Diese Frage lasse ich nicht zu, Herr Schuster.“ „Sie sagten, er war wütend, als Sie ihm den Lauf gaben.“ „Das schon. Aber deshalb droht er mir doch nicht mit dem Umbringen.“ „Zwischen Drohen und Ausführen ist ein großer Unterschied. Vielleicht wollte er Ihnen nur einen großen Schrecken einjagen. Seine Art von Rache. Ich kenne ihn nicht. Ich stelle lediglich eine Vermutung auf.“

Doris schüttelte den Kopf. „Nein, Herr Schuster. Ich mag gegen Christian Delfs einiges haben, aber so etwas Gemeines traue ich ihm nicht zu.“ Für alle Fälle ließ sich Schuster die Adresse des Sitzengelassenen geben. Danach kam er auf den eigentlichen Grund seines Kommens zu sprechen: er erwähnte den Raub von der vergangenen Nacht. Doris Kochs veilchenblaue Augen vergrößerten sich. „Irgendwann musste das ja mal ieren“, sagte sie, als Bernd fertig war. „Es ist verrückt, soviel Geld im Schreibtisch herumliegen zu lassen. Das ist ja geradezu eine Verleitung zum Diebstahl.“ „Jedermann wusste von dem Geld, nicht wahr?“, sagte Bernd. „Natürlich. Wir alle wussten davon. Franzen hat es vor uns nicht versteckt.“ „Wer kann es sich geholt haben?“ „Das ist eine Frage, die ich leider nicht beantworten kann.“ „Tja. Dann will ich nicht länger stören. Sollte Ihnen zu diesem Thema noch irgendetwas einfallen, rufen Sie mich an. Meine Nummer finden Sie hier auf meiner Visitenkarte. Meine Agentur befindet sich in der Kurfürstenstraße, ganz in der Nähe von Bauhaus. Wir haben eine eigene Parkspur direkt davor.“ Doris nickte. „Ich verspreche Ihnen, weiter darüber nachzudenken. Schon aus dem Grund, weil ich Dieter Franzen gut leiden kann.“ „Und sollte sich dieser Verrückte noch einmal melden, rufen Sie mich ebenfalls an, klar? Sie können mit meiner Hilfe rund um die Uhr rechnen.“ „Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Schuster. Ich hoffe, dass ich Ihre Hilfe niemals in Anspruch zu nehmen brauche.“ „Das hoffe ich auch“, sagte Bernd und ging.

5

Valerie Sander war zweiundzwanzig, sah aus wie eine frisch gewählte Schönheitskönigin, hatte große, rehbraune Augen und langes, in weichen Wellen auf die Schultern fließendes, brünettes Haar. Sie betrachtete ihren Job bei Dieter Franzen als Sprungbrett, das sie eines Tages in eine sorglose Zukunft hineinschleudern sollte. Als Hostess kam sie mit vielen hochgestellten und prominenten Leuten zusammen. Für Valerie stand fest, dass irgendwann mal ein sympathischer Goldfisch an ihrer Angel hängenbleiben würde. Danach hatte sie ausgesorgt. Und dafür lebte und arbeitete sie heute. Die Vierzimmerwohnung war leger eingerichtet, der Boden aller Räume mit verschiedenfarbigen Spannteppichen ausgelegt. Und immerhin konnte sie sich die Miete in der Pichelswerderstraße in Spandau leisten. Es war ein Fehler von Valerie, dass sie niemals die Wohnungstür abschloss. Ob das nun Schlampigkeit, Faulheit oder Vergesslichkeit war, vermochte sie selbst nicht zu sagen. Sie tat es einfach nicht. Gerade an diesem Tag wäre es klüger gewesen, den Schlüssel zumindest einmal im Schloss herumzudrehen. Die Tür ging auf, während Valerie Sander vor dem Frisiertisch einen Song der Beatles trällerte. Das Mädchen war bester Laune. Eigentlich grundlos. Sie hatte solche angenehmen Anfälle eben manchmal. Ihr war zumute, als müsse sie die ganze Welt umarmen. Der Mann, der sich zur Wohnungstür hereinzwängte, hatte brandrotes Haar, zahlreiche Sommersprossen im Gesicht, buschige Brauen, die so hell waren, dass sie beinahe weiß wirkten. Seine Augen glänzten wie Glaskugeln. Eine starke Alkoholfahne wehte aus seinem Hals. Gierig leckte er sich immer wieder über die wulstigen Lippen. Er rieb sich die Hände. Ein schäbiges Grinsen verzerrte seine unansehnlichen Züge zu einer abstoßenden Fratze. Lauschend blieb er stehen. Er kniff die Augen zusammen, versuchte das Mädchen mit seinen großen Ohren zu orten. Ihr Gesang kam aus dem Schlafzimmer.

‚Oho! Schlafzimmer! Genau richtig!‘, dachte der Mann. Mit eingezogenem Kopf tappte er weiter. Die Schlafzimmertür war halb offen. Er drückte dagegen. Lautlos schwang sie zur Seite. Vor seinen vom Alkohol getrübten Augen erstreckte sich die endlose Welt einer französischen Liege. Der Mann bekam sofort unbezähmbare Anwandlungen. Er atmete schneller. Er begann zu keuchen, als wäre er soeben sehr schnell gelaufen. Sein gieriger Blick bohrte sich in den Rücken des Mädchens. Valerie war immer noch ahnungslos. Sie bürstete ihr volles Haar mit großer Ausdauer. Mindestens hundert Bürstenstriche jeden Tag, das war das Geheimnis ihres prachtvoll glänzenden Haares. Der Mann schluckte nervös. Valerie trug einen Hausmantel. Vielleicht nichts darunter. Der Gedanke daran, sie könnte unter dem honigfarbenen Mantel nackt sein, machte ihn halb verrückt. Er dachte an die weiche, warme Haut des jungen Mädchens, an das heiße, zart nachgebende Fleisch. Er dachte an ihre Schenkel und an das, was dazwischenlag. Wie von Sinnen war er mit einem Mal. Als er den nächsten Schritt machte, erblickte ihn Valerie Sander im Spiegel. Ihr Geträllere brach nach einem schrillen Ton ab. Ihre Augen weiteten sich. Erschrocken zuckte sie herum. Konsterniert blickte sie den Mann an. „Herr Kauffmann!“, presste sie heiser hervor. „Mein Gott, haben Sie mich erschreckt!“ Der Rothaarige lächelte nervös. Er hob die Schultern. „Tut mir leid, Valerie. Tut mir wirklich leid. Das wollte ich nicht.“ „Sie haben schon wieder getrunken, nicht wahr?“ „Ja, Valerie. Ja. Was hat ein einsamer Mann sonst vom Leben?“ Valerie erhob sich. Sie war so groß wie Kauffmann. Ihr Hausmantel raschelte. Das Geräusch peitschte die Sinne des Rothaarigen noch mehr auf. „Sie ... Sie sind so schön, Valerie. So wunderschön!“, seufzte er. „Ich muss Sie bitten, meine Wohnung zu verlassen, Herr Kauffmann.“

Der Rothaarige – er wohnte gleich nebenan – schüttelte flehend den Kopf. „Bitte schicken Sie mich nicht weg. Bitte, Valerie. Ich werde verrückt in meiner Wohnung.“ „Ich muss in einer halben Stunde weggehen.“ „Lassen Sie mich wenigstens diese dreißig Minuten hier“, flehte Kauffmann. „Das geht nicht. Ich muss mich anziehen. Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich Sie dabei zusehen lasse, Herr Kauffmann.“ Der Nachbar schluckte aufgewühlt. Oja, das wäre herrlich gewesen. Dieses wunderschöne Mädchen einmal nackt zu sehen, davon träumte er fast jeden Tag. „Seien Sie nicht so herzlos, Valerie!“, ächzte er. „Schicken Sie mich nicht fort. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Ich brauche jemanden, mit dem ich sprechen kann. Nur sprechen.“ „Ein andermal, Herr Kauffmann. Heute geht es wirklich nicht. Meine Zeit ist knapp bemessen.“ „Heute! Gerade heute!“ sagte Kauffmann mit einem Mal so scharf, dass Valerie Sander unwillkürlich erschrak. Sein Gesicht hatte einen unübersehbar harten Ausdruck angenommen. Mit flackernden Augen kam er nun auf sie zu. Valerie versteifte sich. Vorbei war es mit dem Gefühl, die ganze Welt umarmen zu wollen. Denn leider bestand die Welt auch aus Menschen wie Kauffmann, und ihn wollte Valerie unter gar keinen Umständen umarmen. „Sie sollten mich ein bisschen mögen, Valerie!“, knurrte der Mann. Von seinem Atem wurde dem Mädchen beinahe übel. „Immerhin sind wir Nachbarn. Wir sollten viel mehr füreinander da sein, Valerie. Wir wohnen Tür an Tür und kennen uns trotzdem kaum ...“ Er hatte Valerie nun schon fast erreicht. Da schrie ihm das Mädchen scharf ins Gesicht: „Verlassen Sie auf der Stelle meine Wohnung, Herr Kauffmann. Sonst ...“ Kauffmann verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Sonst?“, fragte er lauernd. Valerie glaubte, auch eine gewisse Drohung aus dieser Frage

herauszuhören. „Bitte gehen Sie!“, lenkte sie ein. „Man darf nicht schreien mit Jonas Kauffmann, Valerie!“, knurrte der Rothaarige rügend. „Entschuldigen Sie.“ „Ich vergebe Ihnen, weil Sie so wunderschön sind, und weil wir Nachbarn sind. Ich bin an einem guten Verhältnis mit meinen Nachbarn interessiert.“ Valeries Unruhe wuchs. „Bisher war unser Verhältnis doch ausgezeichnet.“ „Unpersönlich war es. Es sollte persönlicher werden.“ Valerie streckte das Kinn trotzig vor. „Was erwarten Sie von mir?“ „Dass Sie ein bisschen netter zu mir sind. Sie beachten mich ja kaum.“ „Das bilden Sie sich ein. Ich grüße Sie. Ich respektiere Sie.“ „Sie können mich nicht riechen, was?“ „Das ist eine Unterstellung ...“ „Sie mögen mich nicht. Geben Sie’s doch zu!“, zischte Jonas Kauffmann aufgeregt. „Das ist doch Unsinn, Herr Kauffmann. Ich mag Sie. Ich habe absolut nichts gegen Sie!“ „Sie lügen!“ „Ich verbiete Ihnen, mich eine Lügnerin zu nennen, Herr Kauffmann!“, sagte Valerie schroff. Allmählich bekam sie sich selbst wieder in den Griff. „Sie haben etwas gegen mich, geben Sie’s doch zu!“, bellte Kauffmann angriffslustig. „Was reden Sie sich denn da ein?“

„Sie haben nichts gegen mich?“ „Nein.“ „Beweisen Sie es!“, verlangte Kauffmann. „Wie denn?“ „Küssen Sie mich!“ Valerie zuckte zusammen. „Sie sind verrückt!“ Kauffmann nickte heftig. „Sehen Sie! Sehen Sie!“ Seine Augen wurden schmal. „Was wäre denn schon dabei, wenn Sie mich küssen würden? Es würde deswegen bestimmt nicht die Welt einstürzen, Valerie.“ Er streckte die Arme nach dem Mädchen aus. Valerie wich vor ihm zurück. „Gehen Sie!“, keuchte sie. „Bitte gehen Sie endlich, Herr Kauffmann!“ „Nur einen Kuss. Ich will ja nur einen einzigen Kuss. Dann gehe ich. Heiliges Ehrenwort.“ „Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ „Was macht Ihnen denn schon ein einziger Kuss aus? Bitte, Valerie. Küssen Sie mich. Sie haben vorhin behauptet, Sie mögen mich. Beweisen Sie’s, indem Sie mich küssen!“ Das Mädchen stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Weiter konnte sie vor Kauffmann nicht mehr zurückweichen. Er kam grinsend näher. Er wusste, dass ihm seine Beute nun sicher war. Rechts war die Wand. Links war das Bett. ‚Fein!‘, dachte Kauffmann aufgewühlt. ‚Fein! Ich werde sie küssen und aufs Bett werfen. Ich werde sie unter meinem Körper begraben. Die Natur wird zu ihrem Recht kommen. Und sie wird es schön finden. Vielleicht wird sie sich anfangs dagegen sträuben, aber dann wird sie es genießen.‘ Valerie streckte die Hände abwehrend von sich. Furcht und Ekel schimmerten in ihren rehbraunen Augen.

„Keinen Schritt weiter, Herr Kauffmann!“, sagte sie, so kalt, wie sie konnte. „Wenn Sie mich jetzt nicht auf der Stelle in Ruhe lassen, schreie ich das ganze Haus zusammen!“ „Wie ein kleines Mädchen ziert sie sich!“, kicherte Kauffmann. „Wie eine Jungfrau.“ „Es ist mir bitterernst mit dem, was ich gesagt habe, Herr Kauffmann!“, presste Valerie aufgeregt hervor. „Sie sind zweiundzwanzig, Valerie. Und Sie sind gewiss schon lange keine Jungfrau mehr. Warum zieren Sie sich so sehr? Es kann Ihnen ja nichts mehr ieren!“ „Sie unverschämter ...“ Valerie holte aus und gab dem Rothaarigen eine kräftige Ohrfeige. Sein Kopf schnellte zur Seite. In seinen Augen blitzte es gefährlich. Ein bösartiges Grinsen verzog sein Gesicht. Knurrend federte er vorwärts. Er packte Valerie und riss sie kraftvoll an sich. Das Mädchen begann zu schreien. Er erstickte ihren Schrei, indem er sie gierig küsste. Seine Zunge fuhr ihr in den Mund. Der widerliche Alkoholgeschmack rief Übelkeit in ihr hervor. Verzweifelt wehrte sie sich gegen den kräftigen Mann. Er kippte sie auf das Bett, begrub sie unter sich, wie er es vorgehabt hatte. Seine Hände begannen ihren Körper aufgeregt abzutasten. Valerie riss den Kopf zur Seite und schrie wieder. Da packte Kauffmann sie am Hals. „Still!“, zischte er aufgeregt. „Still!“ Valerie erstarrte. Sie dachte, Kauffmann würde sie nun erwürgen. Ein furchtbarer Schock lähmte sie. Plötzlich war Kauffmann nicht mehr auf ihr. Ihr Hausmantel war hochgerutscht. Die vollen Schenkel lagen frei. Bis ans Höschen hinauf war Valerie nackt. Sie begriff nicht, was ierte. Der Druck von Kauffmanns Körper war nicht mehr vorhanden. Er war nicht mehr über ihr. Es knirschte und klatschte. Jemand keuchte und grunzte. Verwirrt setzte sich Valerie auf. Sie sah Kauffmann, und sie sah noch einen Mann. Groß, kräftig, elegant. Und dieser Fremde klopfte den Rothaarigen nach allen Regeln der Kunst ab. Kauffmann bekam eine gehörige Tracht Prügel. Nach dem dritten Niederschlag blutete er aus Mund und Nase.

Jetzt gab es einen fürchterlichen Uppercut für ihn. Der Treffer hob ihn fast aus den Schuhen. Er knallte gegen die Wand und sackte zu Boden. Unten angekommen, fing er schauderhaft zu heulen an. Er hob die Arme schützend über seinen eingezogenen Kopf und jammerte: „Nicht mehr schlagen! Aufhören! Ich kann keine Hiebe mehr vertragen!“ Bernd Schuster ließ mit zusammengezogenen Brauen von dem Rothaarigen ab. Er steckte seine Krawatte ins Jackett und zupfte die Manschetten aus den Ärmeln. Valerie bedeckte ihre nackten Schenkel. „Wer sind Sie?“, fragte sie den Fremden verblüfft. „Schuster. Bernd Louis Schuster. Privatdetektiv. Stets zu Diensten, Fräulein Sander“, gab Bernd Schuster lächelnd zurück. „Wie kommen Sie ...“ „Ich hörte Sie schreien. Die Tür war offen. Ich sah, was los war, und griff ein. Das war doch richtig, oder?“ Valerie nickte dankbar. Sie erhob sich vom Bett. „Wer ist der Bursche?“, fragte Schuster. Valerie klärte ihn auf. Bernd packte Kauffmann am Kragen und riss ihn auf die Beine. „Nicht schlagen! Bitte nicht mehr schlagen! Es reicht!“, jammerte Jonas Kauffmann sofort wieder. „Sie können ihn anzeigen“, sagte Bernd. Valerie schüttelte entschlossen den Kopf. „Darauf verzichte ich. Ich bin sicher, Herr Kauffmann wird es nicht wieder tun.“ „Bestimmt nicht! Bestimmt nicht, Fräulein Sander!“, beteuerte der Rothaarige, während er Bernd mit angstgeweiteten Augen anschielte. Wie ein junger Kater hing er an Schusters starkem Arm.

„Du wirst dich bei der Dame jetzt in aller Form entschuldigen, Lustmolch!“, schnauzte Bernd Schuster den Rothaarigen an. Kauffmann nickte schnell. „Ja. Natürlich. Entschuldigen Sie, Fräulein Sander. Daran ist der Alkohol schuld. Ich habe mal wieder zu viel getrunken, und ich – ich finde Sie so wunderschön. Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten. Wirklich nicht. Es war nur – Ich muss den Verstand verloren haben ...“ „Das genügt“, sagte Bernd und stieß den Rothaarigen auf die Tür zu. „Du weißt, wo der Ausgang ist.“ Das ließ Jonas Kauffmann sich nicht zweimal sagen. Er wetzte davon, als wäre der Teufel hinter seiner angeschwärzten Seele her, knallte mit der Tür und verschanzte sich gleich darauf in seiner Wohnung. Bernd grinste. „Den kriegen Sie nie mehr wieder zu Gesicht.“ „Vielen Dank, Herr Schuster.“ „Für Sie bin ich Bernd.“ „Was führt Sie zu mir?“ „Dasselbe, was mich bereits zu Ihrer Kollegin Doris Koch geführt hat“, antwortete Schuster. Er erwähnte mit wenigen Worten den seltsamen Anruf, den Doris erhalten hatte. Valerie kannte Christian Delfs, und sie traute ihm einen solchen makabren Spaß nicht zu. Anschließend sprach Bernd Schuster von dem Fall, dessen Aufklärung er anstrebte. Sie waren jetzt im Wohnzimmer. Valerie hatte zwei Gläser mit Cognac gefüllt. Dafür hatte ihr Bernd eine von seinen Roth Händle angeboten, aber die waren ihr zu stark. Sie bevorzugte die leichte Lord Extra, zündete sich eine an und setzte sich auf ihr Sofa. Sie rauchten und tranken. Als Schuster seine Idee preisgab, an der er nach wie vor hing, schnappte Valerie Sander verärgert ein. Eine steile Unmutsfalte erschien über ihrer Nasenwurzel. „Sie sind allen Ernstes der Meinung, der Täter könnte von einer Hostess den Tipp gekriegt haben, wann, wo und wie viel Geld zu holen sei? Wofür halten Sie uns denn? Für Gangsterliebchen?“ Bernd schüttelte schnell den Kopf. „Durchaus nicht“, beeilte er sich zu sagen.

„Wie sonst soll ich Ihre Äußerung verstehen, Bernd?“ „Eines von Franzens Mädchen könnte doch mal gesprächsweise erwähnt haben, dass der Chef so viel Geld in seinem Schreibtisch aufbewahrt, oder? Ohne sich dabei etwas zu denken, könnte sie es gesagt haben. Ohne dem späteren Täter einen Hinweis geben zu wollen.“ Valerie lehnte das strikt ab. „Ich sehe ein, dass Sie eine Theorie brauchen, Bernd. Aber diese hier ist die falsche. Suchen Sie nach einer neuen.“ Bernd schmunzelte. „Darum werde ich mich bemühen, wenn ich alle Mädchen durchgegangen bin.“

6

Was sie genau war, wusste sie eigentlich nicht einmal selbst. War sie verlobt? War sie es nicht? Würde sie eine Witwe sein, wenn er sich den Hals brach? Das Tal, durch das Julia Weinert seit drei Jahren wanderte, war angefüllt mit Zwiespältigkeiten, Sorgen, Nöten, Zweifeln. Sie war seit drei Jahren mit einem der bekanntesten Sensationsdarsteller Deutschlands verlobt. Ein Naturbursche, dem die Mädchen von siebzehn bis siebzig zu Füßen lagen. Er hatte Julia aus diesem Superangebot ausgewählt, und er war ihr – das versicherte er ihr bei jeder Gelegenheit – bis in die Knochen hinein treu. Selbst dann, wenn mal wieder größere Entfernungen zwischen ihnen lagen. Siegfried und seine Truppe waren in ganz Europa bekannt und traten regelmäßig in den Städten auf. Seine Shows liefen überall mit großem Erfolg. Zwischendurch verbrachte er ab und zu ein paar Tage in Berlin, bei Julia. Drei Jahre war sie mit ihm nun schon verlobt. Wenn Julia aber die Tage zusammenzählte, an denen er effektiv neben ihr gewesen war, kam sie auf maximal drei Monate. Den Rest der Zeit hatte Siegfried im Flugzeug, im Autobus, im Wagen, in fremden Städten und fremden Hotelzimmern und natürlich auch im Zirkus verbracht. Oder in einer hölzernen Arena. Er und die Jungs fuhren waghalsig auf ihren Motorrädern, sogar über Stahlseile, die man in den Städten zwischen zwei hohen Gebäuden befestigte. Siegfrieds Truppe war einfach unschlagbar, als Stuntmen zudem sehr gefragt. Ab und zu kam ein Anruf. Zumeist lallte Siegfried dann, weil er mal wieder einiges über den Durst getrunken hatte. Nicht, um einen neuen Erfolg zu feiern, sondern um die Angst zu besiegen, die ihn Tag für Tag in ihren Klauen hatte. Jawohl, der große, strahlende Star der Motorradshows hatte jämmerliche Angst. Niemand außer Julia Weinert wusste das. Für die anderen war er eine unerreichbare Größe. Doch innerlich war er winzig und furchtsam. Er hatte Angst vor dem Altwerden. Er fürchtete die wilden Fahrten an den Holzwänden, bei denen seine Partner immer knapp vor seinem Vorderrad an ihm vorbeifuhren. Er hatte Angst, sie würden ihn eines Tages so schwer verletzen, dass er nie mehr arbeiten konnte.

Deshalb trank er. Und hier biss sich die schwarze Katze in den Schwanz. Er trank, um seine Unsicherheit niederzukämpfen, und je mehr er trank, desto größer wurde diese Unsicherheit. Er unterhöhlte damit seine Gesundheit. Und eines Tages würde Julia Weinert einen Anruf bekommen. Jemand würde ihr sagen, sie müsse nun sehr stark und tapfer sein – denn Siegfried hätte sich das Genick gebrochen. Julia wartete Tag für Tag auf diesen Anruf. Bis heute war noch nichts gekommen. Aber sie war sicher, dass er kommen würde. Deshalb arbeitete sie für Dieter Franzen. Sie brauchte diesen Job. Er lenkte sie ab, zwang sie, auch mal an etwas Anderes zu denken. Sie lebte in einer guten Wohngegend, in Spandau, unweit von ihrer Kollegin Valerie. Und wenn es eines Tages dann iert war, würde sie immer noch ihren Beruf haben, der sie ausfüllte. Ihren Beruf und ihr Gebet in der „Kirche“. Es war Nachmittag, und sie war gerade auf dem Weg dorthin. Bernd erwischte sie, als sie in ihren Wagen stieg. Der Hausmeister hatte sie ihm gezeigt. Bevor sie die Tür schließen konnte, war Bernd bei ihr. Sie saß in einem brandroten Fiat 500. Ihr Kleid war schlicht und elegant, dezent dekolletiert, schließlich wollte sie zu keiner Party gehen, sondern in die „Kirche“. Ihr Gesicht war schmal. Ihr Blick war melancholisch. Das schwarze Haar ließ ihren Teint blass erscheinen. „Fräulein Weinert?“, fragte Bernd. „Ja?“ Sie musterte ihn mit den Augen einer Sachverständigen. Mit Männern kannte sie sich aus. Sie hatte ja jeden Tag mit ihnen zu tun. Dieser da gehörte zur absolut seriösen, zuverlässigen Kategorie. Ein Mann, zu dem man unbedingt Vertrauen haben konnte. „Bernd Schuster“, sagte Bernd. „Was kann ich für Sie tun?“ „Ich hätte ein paar Fragen an Sie ...“

„Dauert es lange?“ „Wohin möchten Sie fahren?“ „Zur Kirche.“ „Darf ich mitkommen?“ Julia blickte Bernd abweisend an. Er lachte. „Oh, ich habe zu erwähnen vergessen, dass ich Privatdetektiv bin. Hier meine Karte, mein Personalausweis dazu. Darf ich jetzt mitkommen? Meinen Wagen lasse ich dort drüben stehen. Sie fahren doch nach der Kirche wieder nach Hause, oder? Wenn nicht, nehme ich mir ein Taxi. Das ist kein Problem.“ Er setzte sich neben das Mädchen. Sie fuhr los. „Weshalb fahren Sie zur Kirche, Fräulein Weinert?“ „Ich möchte beten – eigentlich ist es keine Kirche im herkömmlichen Sinn ...“ „Sondern?“ „Ein gewöhnliches Haus. Ein Haus, das einer blinden Frau gehört. Einer sehr religiösen Frau. Sie hat vor Jahren die Gemeinschaft Brennendes Kreuz gegründet, und ich bin glücklich darüber, dieser Gruppe beigetreten zu sein. Was für Fragen haben Sie an mich, Herr Schuster?“ Zum dritten Mal erzählte er, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Julia Weinert reagierte darauf genauso wie Doris Koch und Valerie Sander, mit einem diesbezüglich absolut reinen Gewissen. Auch sie konnte Bernd nicht weiterhelfen. Langsam bekam er den Eindruck, tatsächlich in die falsche Richtung zu marschieren. Eigentlich hatte er nicht die Absicht, diese „Kirche“ zu betreten, aber Julia Weinert bestand darauf, ihm zu zeigen, wo sie ihre Gebete verrichtete, und in welcher Gesellschaft sie hier war. Das Haus der blinden Sektenleiterin stand auf einem großen, gepflegten Grundstück. Zahlreiche Wagen standen davor. Die Gemeinschaft des „Brennenden Kreuzes“ schien mal wieder vollzählig versammelt zu sein.

Julia und Bernd traten ein. Es roch nach Weihrauch und Myrrhe. An den Fenstern waren die Vorhänge zugezogen. An den Wänden flackerten Kerzen, obwohl es auch elektrisches Licht gegeben hätte. Dunkelgrau war der Läufer, der in der Halle lag. Leise Orgelmusik drang an Bernds Ohr. Ein großer, hässlicher Kerl kam ihnen entgegen. Er hatte schmale Augen, dunkle Ringe darunter, eine Gesichtsfarbe wie nach einem zehnjährigen Gefängnisaufenthalt, hohle Wangen und einen schmalen Hals, wo unter der faltigen Haut dicke Sehnen zuckten. Er war der „Kirchendiener“, wie Julia erwähnte. „Guten Tag, Bruder“, sagte sie zur Begrüßung. „Guten Tag, Schwester Julia.“ Der stechende Blick des Mannes wanderte zu Bernd. „Ein Freund von mir“, erklärte das Mädchen. „Bernd Schuster.“ Der Kirchendiener verneigte sich. Irgendwie hatte Schuster das Gefühl, dass dieser Bursche ihm misstraute. „Die anderen Brüder und Schwestern haben sich bereits eingefunden“, sagte er, dann zog er sich dienernd zurück. ‚Ein komischer Kauz‘, dachte Bernd. „Ein armer Kerl“, sagte Julia. „Wieso?“, fragte Bernd. „Er leidet unter seiner Hässlichkeit. Er hätte gern ein Mädchen, aber sie laufen alle vor ihm davon.“ „Guten Tag, Schwester Julia“, sagte plötzlich eine Stimme neben dem Mädchen. Julia Weinert zuckte zusammen. Auch Bernd hatte die schlanke Frau nicht kommen gesehen. Sie schien aus dem Boden gewachsen zu sein, war nur unwesentlich kleiner als der „Kirchendiener“. Sie war knöchern, schätzungsweise fünfundvierzig, hatte graue Strähnen im kurzen, dunklen Haar, stand so aufrecht da, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt. Ihre Augäpfel

hatten keine Iris und keine Pupille, waren groß, rund und schneeweiß. Bernd zog es bei diesem Anblick unwillkürlich die Kopfhaut zusammen. Clarissa Schultze hätte besser daran getan, diese Augen hinter einer dunklen Brille zu verbergen, um anderen diesen Anblick zu ersparen. Aber sie schien der Welt diese Augen zeigen zu wollen. Hatte sie die Absicht, Mitleid zu erwecken? Oder war sie gar stolz auf ihre Blindheit? Bernd betrachtete nun die ganze Frau. Nicht genug, dass sie blind war, hatte sie auch noch einen deformierten Fuß, einen Klumpfuß. Damit sie beim Gehen nicht auf und ab wippte, trug sie einen orthopädischen Schuh mit überdicker Sohle. Bernd hatte Mitleid mit dieser Frau. Gleichzeitig aber musste er sie bewundern. Sie stand irgendwie trotzig da, ließ sich nicht unterkriegen, hatte sogar die Kraft, eine „Kirche“ zu gründen und die Sektenmitglieder zu betreuen. Julia stellte Bernd vor. Dann begaben sie sich in den Gebetsraum. Es gab mehrere Bankreihen. Julia und Bernd nahmen in der letzten Reihe Platz. Clarissa Schultze tastete sich zu den Stufen vor, stieg sie hinauf, der Kirchendiener zündete ein kleines Holzkreuz an, das er zuvor in Benzin getaucht hatte. Nun steckte er das brennende Kreuz in eine Metallklammer. Clarissa Schultze begann mit der Messe. Sie sprach vom Frieden, den die Weit so dringend nötig hatte, predigte ihrer zwölfköpfigen Anhängerschar, sie möge Gutes tun, wo immer sich Gelegenheit dazu biete, bat die Sünder, zu bereuen, sich vom Bösen abzukehren, sich dem Guten, dem ewigen Licht zuzuwenden. Sie brachte kaum etwas Revolutionierendes. Predigten wie diese waren in jeder katholischen Kirche zu hören. Aber Clarissa Schultze trug das alles mit wesentlich mehr Engagement vor als jeder katholische Priester. Während sie sprach, hatte Bernd den Eindruck, sie ginge in ihrer Religion auf. Sie war voll Eifer, voll Leidenschaft, wollte helfen, kämpfte verbissen um jede Seele, die noch nicht ganz verloren war. Nach der Messe sagte der Kirchendiener in der Halle zu Bernd: „Für mich ist diese Frau eine Heilige.“ „Wie lange sind Sie schon bei ihr?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Seit vier Jahren. Und seit dieser Zeit habe ich meinen inneren Frieden gefunden. Das ist Schwester Clarissas Werk. Sie sollten unserer Gemeinschaft beitreten, Herr Schuster.“

„Ich werde es mir überlegen“, versprach Bernd. „Wie hat Ihnen die Messe gefallen?“, erkundigte sich Clarissa Schultze zwei Minuten später. Der Kirchendiener hatte sich entschuldigt und war in den Gebetsraum zurückgekehrt. „Sie verstehen es, an die Seele eines Menschen zu rühren, Frau Schultze“, sagte Bernd. „Es ist leicht, etwas überzeugend zu sagen, von dem man selbst felsenfest überzeugt ist“, sagte die Blinde. „Darf ich hoffen, dass Sie wiederkommen, Herr Schuster?“ „Das kann durchaus ieren“, gab Bernd zurück. „Sie sind in unserer Gemeinschaft stets willkommen, Herr Schuster.“ „Vielen Dank, Frau Schultze.“ „Sie sind ein guter Mensch. Wir Blinden haben eine Antenne für so etwas.“ Bernd verließ mit Julia Weinert die „Kirche“. „Sie ist eine wunderbare, bewundernswerte Frau, nicht wahr?“, sagte die junge Frau. „Ein schlechter Fuß, kein Augenlicht, aber sie lässt sich nicht unterkriegen. Im Gegenteil, sie stützt sogar noch andere.“ „Hinterher kommt man sich immer wie frisch aus der Reinigungsanstalt vor“, sagte ein Mann neben Bernd zu Julia. „Darf ich bekannt machen. Das ist Herr Jan Vollmer. Und dies ist Herr Bernd Schuster.“ „Hallo“, sagte Bernd. „Hallo“, erwiderte Vollmer. Er war so groß wie Schuster. Sein starker Bartwuchs ließ seine Wangen bläulich schimmern. Er war ein grober Klotz mit kräftigen Händen. Seine Zähne saßen schief im kräftigen Zahnfleisch. Sie waren gelb vom Kautabak. „Werden Sie unserer Gemeinschaft beitreten, Herr Schuster?“

„Das kann ich noch nicht sagen.“ „Hin und wieder ein Gebet kann niemandem schaden.“ „Da haben Sie vollkommen recht.“ „Die Welt ist ja so verdammt roh geworden.“ „Auch darin muss ich Ihnen recht geben, Herr Vollmer.“ „Und ringsherum sind wir von Schweinen umgeben!“, knurrte Vollmer grimmig. Die anderen Sektenmitglieder setzten sich in ihre Wagen und fuhren nach Hause. Bernd blieb zwischen Julias Fiat und Vollmers Opel stehen. „Wieso von Schweinen?“, fragte Bernd Schuster. „Ich muss mich leider selbst zu diesen Schweinen zählen!“, knirschte Vollmer in einer Anwandlung von Selbstzerfleischung. Er wies auf die „Kirche“. „Vielleicht habe ich das da deshalb ganz besonders nötig. Wissen Sie, was ich mache? Ich meine, was ich für einen lausigen Job ausübe?“ „Was denn?“, fragte Bernd. Jan Vollmer holte tief Luft. „Ich bin Filmvorführer in einem Schuppen, in dem harte Pornos gezeigt werden.“ Vollmer zog die Mundwinkel nach unten. Er ekelte sich vor sich selbst. Er war nahe daran, sich selbst vor lauter Abscheu anzuspucken. „Ich sage Ihnen, bei diesen gottverdammten Schweinereien vergeht Ihnen so ziemlich alles. Erniedrigend und entwürdigend ist das. Die wissen ja schon nicht mehr, was für Sauereien sie sich einfallen lassen sollen. Es kotzt mich an. Wahrhaftig, Schuster, es kotzt mich an. Manchmal wird mir übel. Ich trage jetzt nicht dick auf, Herr Schuster. Mir wird wirklich übel, wenn ich sehe, was diese perversen Schweine treiben, und diese dreckigen Bastarde, die zu uns ins Kino kommen, zahlen noch einen Haufen Geld dafür, dass sie das zu sehen kriegen.“ „Warum haben Sie diesen Job denn noch nicht aufgegeben, wenn sie darunter so leiden?“, fragte Bernd. „Hol’s der Teufel, ich suche seit einem Jahr eine andere Arbeit. Ich kann nichts finden.“

„Soll ich mich mal für Sie umhören?“, machte sich Schuster erbötig. „Denken Sie, dass Sie etwas für mich auftreiben könnten?“, fragte Vollmer sofort. Ein Hoffnungsschimmer strahlte in seinen Augen. „Ich kann natürlich nichts versprechen ...“ „Ich nehme alles, Herr Schuster. Ich bin kräftig. Ich bin zuverlässig. Ich kann hart zupacken.“ „Ich werde Sie nicht vergessen, Herr Vollmer“, versprach Bernd. „Oh, wenn ich von diesen Schweinen wegkäme, wäre das für mich der schönste Tag.“ Vollmer setzte sich in seinen Wagen und fuhr ab. Julia wusste, wo er wohnte. Sie nannte Bernd seine Adresse. „Er macht das ja schon lange“, sagte das Mädchen. „Aber in letzter Zeit leidet er immer schlimmer darunter. Hinzu kommt, dass er sexuell irgendwie verklemmt ist.“ „Woher wissen Sie das?“, fragte Bernd. „Er hat es mal dem Kirchendiener gebeichtet.“ „Ach, nimmt der die Beichte ab?“, fragte Bernd Schuster erstaunt. „Nein. Wir von der Gemeinschaft des Brennenden Kreuzes brauchen nicht zu beichten.“ „Sie meinten, Vollmer hat mal mit ihm über seine sexuelle Verklemmung gesprochen.“ „Ja.“ „Und Sie haben zugehört?“ „Ich konnte es nicht vermeiden. Vollmer sprach ziemlich laut. Er dachte, er wäre mit ihm allein. Ich machte mich nicht bemerkbar, weil ich mir denken konnte, dass es ihm schrecklich unangenehm gewesen wäre, zu wissen, dass ich alles mit angehört hatte.“

„Was hat er denn so erzählt?“, fragte Bernd neugierig. „Er gibt seinem Job die Schuld. Es muss ja wirklich eine Folter sein, immerzu Pornofilme vorzuführen. Das stumpft ab. Vollmer empfindet nichts mehr, wenn er mit einem Mädchen zusammen ist.“ „Vielleicht sollte er mal einen Psychiater konsultieren.“ „Er sagte, es würde irgendetwas in seinem Inneren brennen. Er habe Angst davor. Er wisse, dass es etwas Furchtbares wäre, etwas Gefährliches. Er sagte, er spüre manchmal einen wahnsinnigen Hass in sich. Vollmer hasst die Frauen. Er kämpft verzweifelt gegen diesen Hass an. Er will Gutes tun. Er will nicht hassen. Aber er befürchtet, dass er mit diesem Hass eines Tages nicht mehr fertig werden kann.“ „Dann sollte er erst recht einen Psychiater konsultieren!“, sagte Bernd ernst. „Hat man ihm das nicht geraten?“ Julia lächelte schwach. „Jedenfalls nicht unser Kirchendiener, der hat doch selbst so ähnliche Probleme.“ „Dann sollten sie alle beide händchenhaltend zum Klapsdoktor gehen, ehe es zu spät ist.“ Julia Weinert setzte sich in den Wagen. Bernd stieg auch ein. „Ich finde das wirklich nicht komisch, Herr Schuster“, sagte er ernst. „Ich auch nicht“, erwiderte Bernd.

7

Er saß im Aufsichtsrat der Lockheed-Werke und war für ein paar Tage nach Berlin gekommen. Nicht um irgendwelche Politiker zu bestechen, sondern um endlich mal aus der nervenzermürbenden Tretmühle herauszukommen, sich zu amüsieren, abzuschalten, bloß mal Mensch sein. Die Bestechungsaffären hatten überall auf der Welt die Empörung in mächtigen Wellen hochschlagen lassen. Vornhagen hatte das Kesseltreiben, das die Journalisten um ihn herum veranstalteten, langsam satt. Deshalb war er in Berlin untergetaucht, hatte sich von Dieter Franzen einen netten Hasen schicken lassen und war mit diesem in allen Ehren ins Theater gegangen. Seine Wahl war auf Doris Koch gefallen. Sie war eine bezaubernde Begleiterin. Ihr Silberlameekleid war raffiniert geschnitten, eine Büstenhebe war darin eingebaut. Vorne und hinten gab es ein gewagtes Dekolleté zu bewundern. Nach dem Theaterbesuch aßen Doris Koch und Vornhagen noch eine Kleinigkeit. Dazu tranken sie Sekt. Doris allerdings nicht mehr als ein Glas, denn sie wollte ihren Führerschein nicht gefährden. „Ein gelungener Abend“, sagte Vornhagen erfreut. „Ich habe Ihnen dafür zu danken.“ „Vielen Dank für die Blumen“, erwiderte Doris mit einem erfrischenden Lächeln. „Wenn Sie möchten, fahre ich Sie jetzt nach Hause, Herr Vornhagen.“ „Ich kann mir ein Taxi nehmen. Bemühen Sie sich nicht.“ „Ich bitte Sie. Das ist doch keine Mühe für mich. Außerdem liegt Ihr Hotel auf meinem Heimweg.“ Vornhagen verzog das feiste Gesicht zu einem schelmischen Grinsen. „Das ist natürlich etwas Anderes.“ „Gehen wir?“

„Ja, gern.“ Vornhagen verlangte die Rechnung. Bevor sie gingen, trank er den restlichen Sekt aus. „Im Kleinen muss man sparen!“, sagte er schmunzelnd. „Niemand soll sagen können, Adam Vornhagen würde auch nur einen einzigen Pfennig verschwenden.“ Da er vor dem Sekt schon drei Whiskys – und davor zwei Martini trocken – gekippt hatte, schwankte er, als er sich nun erhob. Schmunzelnd brachte ihn Doris aus dem Restaurant. Wie ein nasser Sack sank er in den Wagen. Doris brachte ihn gut nach Hause. Als sie ihren Wagen dann in die Tiefgarage jenes Gebäudes hinunterrollen ließ, in dem sie wohnte, zeigte die Uhr am Armaturenbrett kurz vor zwei. Sie stoppte das Fahrzeug auf dem Feld, für das sie eine monatliche Gebühr entrichtete. Nachdem die Handbremse nach oben geratscht war, knipste sie die Lichter aus, zog den Zündschlüssel ab, gähnte, stieg aus. Sie nahm sich vor, ein dickes Kissen auf das Telefon zu legen, einen Kartonstreifen zwischen Türglocke und Klöppel zu schieben und die Jalousien vor dem Schlafengehen herunterrasseln zu lassen, damit die Nacht länger in den Tag hineinreichte. Außerdem wollte sie die Vorhänge zuziehen und eine schwarze Schlafmaske anlegen. Und Schlaftabletten? Ja. Auch davon wollte sie zwei schlucken. Sie ging in Richtung Lift. Plötzlich rieselte es ihr eiskalt über den Rücken. „Doris!“ Jemand hatte ihren Namen geflüstert. Das klang gespenstisch in der nüchternen Tiefgarage, kam von den glatten Betonwänden geisterhaft zurück. „Doris!“ Das Mädchen erstarrte für einen Herzschlag. Dann fuhr sie herum. Neben einer der zahlreichen Betonsäulen stand eine unheimliche Gestalt. Sie war in einen weiten, schwarzen Umhang gehüllt, dessen wulstiger Kragen hochgestellt war. Das Gesicht verschwand im tiefen Schatten eines riesigen Schlapphuts. Sofort fiel ihr wieder der Anrufer ein, und das, was er ihr angedroht hatte. Töten wollte er sie. Er hatte es gesagt. Und nun war er gekommen, um seine Worte

wahrzumachen. Doris traf vor Angst fast der Schlag. Schweiß brach ihr aus den Poren. Wie verrückt trommelte das Herz gegen ihre Rippen. Die unheimliche Gestalt stand reglos da. In Doris‘ Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie versuchte, ihre Todesangst niederzukämpfen. Bis zum Lift waren es noch etwa fünfzehn Schritt. Bebend fing sie zu gehen an. Mit einem Mal kam auch in die schwarze Gestalt Bewegung. Der Unheimliche huschte zwischen zwei Wagen auf Doris zu. Das Mädchen begann zu laufen. Sie hörte ein hasserfülltes Fauchen. Die Gestalt jagte hinter ihr her. Doris rannte um ihr Leben. Starr waren ihre Augen auf die Lifttüren gerichtet. Sie waren noch so entsetzlich weit weg. Das lange Silberlameekleid ließ keine großen Schritte zu. Jetzt verhedderte sich ihr Schuh im Saum. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel. Keuchend kämpfte sie sich wieder hoch. Da war der Unheimliche heran. Ein langes Messer blitzte in seiner behandschuhten Rechten. Die Hand schoss auf Doris zu. Das Mädchen stieß einen grellen Entsetzensschrei aus. Gleichzeitig warf sie sich bestürzt zur Seite. Die Klinge verfehlte ihren Leib und bohrte sich in ihren Arm. Blut schoss aus der Wunde, als der Schwarzgekleidete das Messer herausriss. Doris Koch war kalkweiß. Ihr Schrei schwoll so lange an, bis die Stimme versagte. In panischer Angst versuchte sie den Lift doch noch zu erreichen. Der Killer schnitt ihr jedoch geschickt den Weg ab, stellte sie, kam langsam auf sie zu. Doris klebte zitternd an der Wand. „Nein!“, stöhnte sie verzweifelt. „Nein! Bitte! Bitte nicht! Nein!“ Der Killer mit dem Schlapphut hatte kein Erbarmen mit dem Mädchen ...

8

Die Modelleisenbahn schnaufte über eine kleine Brücke. Darunter rauschte ein schmaler Bach. Auf Pappmaché-Bergen hockten Gemsen, vor dem Bahnhofsgebäude warteten Kunststofffiguren – handbemalt – auf den Zug. Christian Delfs konnte stundenlang mit seiner Modelleisenbahn spielen. Er bediente die Knöpfe und Hebel mit einem Eifer, als hinge davon irgendjemandes Leben ab. Sein Vater war erst vor ein paar Wochen hier gewesen, hatte ihn auf dem Bauch vor seiner Bahnanlage liegen gesehen und kopfschüttelnd gemeint: „Du wirst wohl niemals erwachsen, mein Junge.“ Vielleicht wollte er gar nicht erwachsen werden. Erwachsen sein, heißt Sorgen haben. War das denn so erstrebenswert? Delfs war dreiundzwanzig. Handelsvertreter stand in seinen Papieren. Er arbeitete ungern und zumeist nur dann, wann er Geld brauchte. Das Haus, in dem er wohnte, gehörte einem Freund. Er hatte es zum Freundschaftspreis gemietet, und er schloss sich so oft wie möglich hier oben in der Dachkammer ein, um mit seiner Modelleisenbahn die sorglose Kindheit von einst für eine Weile zurückzuholen. Unten klingelte die Türglocke. „Bin nicht da!“, knurrte Delfs. Er hustete, hatte es auf der Lunge. War zweimal schon zur Luftkur an der Nordsee gewesen, aber der Doktor war mit seinem Gesundheitszustand immer noch nicht zufrieden. Sollte er sich mit dieser Lunge bei der Arbeit ein Bein ausreißen? Es klingelte wieder. Es war Mittwoch, die Sonne machte ihre Sache gut. Vor dem Haus saßen zwei Amseln in den Zweigen der Nordmanntanne und verkündeten ihre Botschaft. Delfs schüttelte wütend den Kopf. „Ich hab’ jetzt keine Zeit, verdammt noch mal. Und ich bin nicht in Stimmung, um Besuche zu empfangen!“ Das Klingeln ging ihm aber schließlich doch auf den Wecker. Er schaltete die Modelleisenbahn ab und verließ die Dachkammer. Er war ein schmales Handtuch, durch das man mit einem scharfen Blick hindurchsehen konnte. Der

Gürtel hielt die Jeans am Hüftknochen fest. Delfs sah aus, als hätte er einen lebensgefährlichen Hungerstreik hinter sich. Polternd kam er die Treppe herunter. Unten riss er die Haustür auf und bellte Bernd Schuster ins Gesicht: „Betteln und Hausieren polizeilich verboten, Mann. Und ich hab’ heute auch keine Audienz!“ „Doris Koch ist tot!“, sagte Bernd. Damit übergoss er Delfs wie mit eiskaltem Wasser. Die Wirkung stellte sich sofort ein. Der ungesunde Teint des Lungenkranken wurde grau. Seine Unterlippe wurde schwer und hing nach vorn. Der Mund bebte. „Was sagen Sie?“ „Doris lebt nicht mehr“, sagte Bernd. „Darf ich reinkommen?“ Delfs nickte benommen. Er ging mit Bernd auf die Terrasse. Sie setzten sich. Delfs starrte auf seine zitternden Hände, als hätten die etwas mit Doris‘ Tod zu tun. „Sind Sie – von der Polizei?“, fragte er mit belegter Stimme. Bernd sagte ihm, wer er war. Delfs wollte wissen, woher Bernd die furchtbare Information hatte. „Die Nachricht kam im Radio“, sagte Bernd. „Heute Morgen. Haben Sie’s nicht gehört?“ Delfs schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Ich war ...“ Er hob den Kopf und blickte dorthin, wo sich die Dachkammer befand. „Ich hatte zu tun“, sagte er dann. „Doris Koch war ein nettes Mädchen. Ich habe sie gestern erst kennengelernt.“ „Ich habe sie sehr geliebt“, erwiderte Delfs mit weinerlicher Stimme. „Sie hat Ihnen den Lauf gegeben.“ „Damit hat sie mir sehr wehgetan.“

„Sie sind immer noch nicht darüber hinweg?“ „Nein, Herr Schuster. Eine Frau wie Doris hinterlässt eine große Lücke, wenn sie geht.“ „Doris hat sich schützend vor Sie gestellt, als ich Sie verdächtigte“, sagte Bernd. Delfs schaute ihn mit großen Augen an. „Mich? Mich haben Sie verdächtigt?“ „Kurz bevor ich zu ihr kam, hatte sie einen Anruf.“ Bernd erzählte Genaueres. Es hatte nicht so ausgesehen, als ob Delfs noch grauer im Gesicht werden konnte, aber es ierte. „Sie bekam eine Morddrohung!“, schrie der Lungenkranke nervös auf. „Und Sie haben nichts zu ihrem Schutz unternommen?“ „Was hätte ich unternehmen sollen?“ „Sie schimpfen sich immerhin Privatdetektiv. Fiel Ihnen denn nichts ein?“ „Nun drehen Sie bloß nicht den Spieß um, mein Lieber. Ich kann nichts dafür, dass Doris Koch nicht mehr lebt.“ „Scheint so, als wollten Sie mir etwas anhängen!“ „Doris hatte mit Ihnen gebrochen. Ich dachte, Sie hätten sie angerufen, um ihr ein bisschen Angst zu machen.“ „Sie sind verrückt, Herr Schuster. Ich habe Doris auch nach dem Bruch noch geliebt. Niemals hätte ich ihr Böses zugefügt.“ „Ich dachte, das wäre Ihre ganz persönliche Art von Rache.“ „Ich habe Doris nicht angerufen!“, schrie Delfs zornig. Seine Wangen zuckten nervös. Er wusste nicht, wie er sitzen sollte, wäre wohl am Liebsten ins Haus gerannt. Aber das hätte wie Flucht ausgesehen, deshalb blieb er sitzen. „Hat Doris Ihnen mal erzählt, dass Dieter Franzen eine Menge Geld frei in seinem Schreibtisch herumliegen lässt?“, fragte Bernd. „Vielleicht hat sie’s mal erwähnt. Ich weiß es nicht, kann mich nicht erinnern.“

Delfs stellte wie ein Igel die Stacheln auf. Er gab sich unnahbar, weil Bernd ihn frontal angegriffen hatte. Und er beschränkte sich auf knappe Antworten. Bernd fasste zusammen: „Vorgestern Nacht wurde Franzen beraubt. Gestern wurde ein Mädchen, das für Franzen arbeitete, ermordet. Können Sie mir sagen, was das zu bedeuten hat?“ Delfs schoss einen giftigen Blick auf Bernd ab. „Sie sind der Detektiv, Schuster.“ „Und als derselbe muss ich Sie – selbst auf die Gefahr hin, dass Sie versuchen, mich zu fressen – fragen, wo Sie gestern Nacht um zwei Uhr waren.“ Delfs zuckte zusammen. Seine Backenmuskeln arbeiteten. „Zwei Uhr. Ist das die Tatzeit?“ „Ja“, sagte Bernd kalt. „Ich war zu Hause.“ „Allein?“ „Ja.“ Christian Delfs fletschte aggressiv die Zähne. „Verdammt noch mal, Schuster, ich brauche kein Alibi. Sie wissen nicht, was Liebe ist, scheint mir. Ich habe Doris Koch geliebt. Geliebt! Über alle Maßen!“ „Ich kenne die Liebe, Herr Delfs. Und ich kenne den Hass. Ich bin ihm schon oft begegnet. Er kann schrecklich sein, wenn ihn eine verschmähte Liebe geboren hat.“ Delfs Augen wurden schmal. „Das wäre ein Motiv, das Ihnen unter die Nase gehen würde, he?“ „Offengestanden, ja.“ „Meine Liebe hat sich aber nicht in Hass verwandelt.“ „Obwohl Doris Koch nichts mehr von Ihnen wissen wollte.“ „Ich gebe zu, das war ein harter Schlag für mich.“ „Doris sagte, Sie hätten getobt.“

„War das nicht mein gutes Recht?“ „Es wäre günstiger für Sie, wenn Sie sich mit einem guten Alibi von vornherein aus der Reihe der verdächtigen Personen ausklammern könnten, Herr Delfs. Aber Sie haben um zwei Uhr geschlafen.“ „Nein, das habe ich nicht.“ „Ach so? Sie waren nicht im Bett? Sie sagten doch, Sie wären zu Hause gewesen.“ „War ich auch.“ „Aber nicht im Bett? Um zwei Uhr früh? Was haben Sie gemacht?“ „Ich habe Schach gespielt.“ „Allein? Um zwei Uhr früh?“, fragte Bernd ungläubig. „Nicht allein.“ „Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, fragte Bernd ärgerlich. „Vorhin sagten Sie, Sie wären allein zu Hause gewesen. Jetzt erzählen Sie mir, Sie hätten mit jemandem Schach gespielt.“ „Telefonschach.“ „Mitten in der Nacht?“ „Es war eine Marathonpartie. Wir fanden kein Ende.“ „Wir?“, fragte Bernd lauernd. „Mein Gegner im Schachspiel und ich.“ „Wie lief das Spiel?“ „Es ging Patt aus.“ „Ich habe nicht nach dem Ergebnis gefragt, sondern nach der Art der Austragung.“

„Jeder von uns hatte sein Schachbrett vor sich in der Wohnung. Ich rief ihn an, sobald ich einen Zug gemacht hatte. Er rief zurück, sobald er dran war. Jeder stellte auf seinem Brett die Positionen des Gegners. So ging das hin und her.“ Bernd hob die Brauen. „Dann haben Sie ja ein Alibi. Wie lange lief das Spiel?“ „Bis drei Uhr früh.“ „Kam das öfter mal vor?“ „Wir spielen einmal im Monat. Vor einem halben Jahr spielten wir bis in den Vormittag hinein.“ „Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich überprüfe, was Sie mir erzählt haben. Es geschieht in Ihrem eigenen Interesse.“ „Rufen Sie meinen Freund an.“ „Das tue ich. Wie ist seine Nummer?“ Christian Delfs nannte sie. Er begab sich mit Bernd in das Wohnzimmer. Schuster wählte die Nummer, und Delfs Freund hob nach dem dritten Läuten ab. Er bestätigte – ohne zu fragen, wer Bernd sei und weshalb er es wissen wolle – sofort, was Delfs gesagt hatte. Als Bernd den Hörer auf die Gabel legte, fragte Delfs: „Überzeugt, Herr Schuster?“ „In unserem Land ist jedermann so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist“, sagte Bernd. „So will es das Gesetz. Bei meinem Job muss ich die Perspektiven jedoch umkehren. Für mich ist jedermann so lange schuldig, bis seine Unschuld bewiesen ist. Sie sind unschuldig, Herr Delfs. Ich gratuliere.“ Christian Delfs nahm Bernds Worte hüstelnd zur Kenntnis. Er wischte sich über die Augen. „Gibt es noch andere Leute, die Sie verdächtigen, Herr Schuster?“ „Im Moment nicht.“

„Sie setzen allen so arg zu, was?“ Bernd schmunzelte. „Ich hoffe, Sie nahmen das nicht zu persönlich. Mir geht es nicht darum, irgendjemand in die Pfanne zu hauen. Ich möchte die Wahrheit finden.“ „Sie scheinen darin sehr geschickt zu sein.“ „Man tut, was man kann.“ „Ich würde Ihnen gern irgendwie helfen.“ „Das können Sie“, nickte Bernd. „Wie?“ „Halten Sie sich aus der Sache raus.“ „Doris war meine Freundin!“, sagte Delfs erregt. „Ich möchte irgendetwas für sie tun, verstehen Sie? Ein Teufel hat sie ermordet. Ich will mithelfen, ihn zu fangen!“ „Sie würden mehr verpatzen, als Sie nützlich sein könnten, Herr Delfs. Jeder Beruf hat so seine kleinen Tricks, die man zuerst lernen muss, ehe man ins kalte Wasser springt. Trotzdem danke ich Ihnen für Ihr selbstloses Angebot.“ Schritte. Sie kamen von der Terrasse her. „Hallo!“, rief jemand. „He! Hallo! Ist da niemand?“ Delfs schaute Bernd verwirrt an, sagte: „Entschuldigen Sie mich, bitte, Herr Schuster“, und begab sich zur Terrassentür. Ein Mann mit Pusteln auf der Knollennase, mit falschen Zähnen, mittelgroß, mit kleinem Bauch, großer Glatze stemmte die Fäuste in die Seite. „Ja?“, fragte Delfs. „Herr Christian Delfs?“, fragte der Mann. „Der bin ich.“

„Siegfried Vollmer mein Name. Morgenpost.“ Der Pustelige sagte das so, als müssten jetzt alle Türen von allein aufspringen. Seine listigen Fuchsaugen erblickten Bernd. Er kümmerte sich jedoch nicht um ihn. Sein Lustobjekt war Delfs. „Ich habe keine Zeit, Herr Vollmer!“, sagte Delfs abweisend. Aber der Reporter war eine Filzlaus. Sie warfen ihn überall hinaus, wenn er aufkreuzte. Einmal lag das an seinem unangenehmen Äußeren, und dann an seiner unverschämten Art. Aber solche Kleinigkeiten störten den Skandalreporter nicht. Warfen sie ihn zur Tür hinaus, kam er beim Fenster wieder herein. Das trieb er so lange, bis er seine haarsträubende Story beisammenhatte. „Man hat mir erzählt, Sie wären ein Freund von Doris Koch gewesen“, sagte Vollmer mit seiner kratzenden Stimme. „Kein Kommentar, Herr Vollmer!“ „He, Sie haben doch nicht etwa was zu verbergen?“ „Ich muss Sie bitten, zu gehen, Herr Vollmer!“, fauchte Delfs zornig. „Doris hat Ihnen einen Tritt gegeben, erzählte man mir. Das konnten Sie natürlich nicht verkraften. Ein Mädchen wie Doris ... So schön, so begehrenswert, so attraktiv ... Ein Mann wie Sie ... Ich will Ihnen ja nicht zu nahetreten, aber ein Apoll sind Sie gerade nicht, Herr Delfs. Rein äußerlich haben Sie und diese Frau nicht zusammenget. Ich nehme an, eines Tages begann sich Doris Koch für Sie zu schämen. Deshalb baute sie Sie ab. Und das konnten Sie nicht verkraften. Also unternahmen Sie etwas gegen sie. Ich möchte jetzt Ihre Story hören, Herr Delfs. Würde mich wirklich interessieren, wie es dazu kam, dass Sie diese Frau gestern Nacht ...“ „Jetzt reicht es aber, verflucht noch mal!“, brüllte Christian Delfs. Er war außer sich vor Wut. „Wer brüllt, hat von vornherein unrecht, Delfs“, erwiderte der Glatzkopf gleichmütig. Delfs Lunge begann zu schmerzen. Er krümmte sich zusammen, bekam einen

Hustenanfall. Sein Körper zuckte. Er hatte heftige Schmerzen in der Brust. Mit verzerrtem Gesicht presste er die Fäuste gegen die Rippen. Es war ihm, als würden glühende Messer in seinen Leib schneiden. „Gehen Sie!“, röchelte der Kranke, als der Anfall für einen Moment nachließ. „Gehen Sie!“ „Spielen Sie mir doch nichts vor, Delfs!“ „Gehen Sie.“ „Wissen Sie was? Ich halte Sie für den, der’s getan hat!“, sagte Vollmer frostig. Delfs hatte nicht die Kraft, etwas zu erwidern. Er hustete so heftig, als ginge es mit ihm zu Ende. Vollmer hatte jedoch kein Mitleid mit ihm. Mit eiskalten Augen starrte er Delfs an, aus dessen Rachen nun pfeifende Töne kamen. Bernd nahm Delfs bei den zuckenden Schultern, führte ihn zu einem Sessel, drückte ihn darauf nieder. Vollmer kam näher. Bernd öffnete den Hemdkragen des Leidenden. „Danke“, gurgelte Delfs. „Danke.“ Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Er japste gierig nach Luft. „Brauchen Sie irgendetwas?“, fragte Bernd. Delfs schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. „Sagen Sie mal, wer sind denn Sie? Was tun Sie in diesem Haus?“, erkundigte sich der Reporter ziemlich despektierlich. Leute wie ihn konnte Schuster nicht riechen. „Ich bin Bernd Schuster ...“ „Schuster!“, staunte das Ekel. „... und wenn Sie nicht schleunigst machen, dass Sie von hier fortkommen, trete ich Ihnen den Hintern vom Kreuz!“ Siegfried Vollmer fuchtelte mit den Händen ärgerlich durch die Luft. „Moment mal, Bernd Schuster. Der Mann gehört nicht Ihnen. Der gehört ebenso gut mir!

Okay. Sie waren vor mir da. Aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht ...“ „Raus, Vollmer!“, knurrte Bernd gefährlich. „Ich geh’ ja schon. Aber ich komme wieder. Ewig können Sie ja nicht bei Delfs bleiben“, sagte der Reporter mit einem widerlichen Grinsen. Dann machte er auf den Hacken kehrt und verließ das Haus. Delfs ging es bald danach wieder besser. Als Bernd das Haus verließ, schloss Delfs hinter ihm die Tür ab. Dann klappte er alle Fenster zu, igelte sich ein, machte sich auf eine längere Belagerung gefasst. Bernd Schuster setzte seine Routinearbeit fort. Hostess um Hostess klapperte er ab. Nach wie vor galt es, die 50 000 D-Mark wiederzubeschaffen. Doch über allem, was Bernd machte, lag der schwarze Schatten des Mordes an Doris Koch. Eigentlich war es nicht seine Aufgabe, ihren Mörder zu finden, trotzdem fuhr er, seit er von ihrem Tod wusste, zweigleisig. Vorläufig aber leider doppelt ohne Erfolg. Zu Mittag aß Bernd ein paar Happen in einem Imbiss in Kreuzberg. Von da rief er Dieter Franzen an, vereinbarte einen Treff mit ihm, fuhr kurz darauf los. Franzen trug einen dunklen Anzug mit dunkler Krawatte. Nur der weiße Kopfverband fiel aus dem Rahmen. Geknickt schüttelte Franzen den Kopf. „Wer begeht einen so sinnlosen Mord, Herr Schuster?“ Von seinem Geld sprach er kein Wort. Bernd gestand ihm dafür einen dicken Pluspunkt zu. Franzen war in der Tat ein Mann mit Herz. Solche Leute kann man heutzutage mit der Lupe suchen. „Ich kümmere mich natürlich auch darum“, sagte Bernd Schuster. „Kommen Sie voran?“ „Es ist sehr schwierig.“ „Doris hatte einen Freund ...“ Bernd schüttelte entschieden den Kopf. „Der hat ihr kein Härchen gekrümmt.“ „Wieso sind Sie so sicher?“ „Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat ein Alibi für die Tatzeit. Und er liebt Doris

immer noch. Er ist kein Mörder.“

9

Gegen vier Uhr kehrte Bernd Schuster in die Kurfürstenstraße zurück. Nachdem er den Mercedes in Parkbucht abgestellt hatte, betrat er sein Büro. Ein bitterer Geschmack lag in seinem Mund. Er konnte ihn nicht loszuwerden. Nicht einmal mit Pfefferminzdrops. Abgekämpft betrat er das Empfangszimmer seiner Detektei. Franziska Jahn war nicht allein. Inspektor Horst Südermann, der gewichtige Leiter vom LKA 1 – Delikte am Menschen, war bei ihr. „Na endlich!“, knurrte Horst. „Tag, Häuptling“, sagte Bernd. „Wieso bist du hier? Hast du die Orientierung verloren? Dein Büro befindet sich in der Keithstraße!“ „Ich bin absichtlich hier.“ „Um mir meine Sekretärin auszuspannen?“ „Um mit dir zu reden!“ „Komm mit. Franziska – zwei Kaffee bitte.“ Bernd betrat sein Allerheiligstes zuerst. Südermann zog die Tür hinter sich zu. Schuster wies auf den Besucherstuhl. „Nimm Platz, Horst.“ „Hast du eine Zigarette für mich?“, fragte Südermann. „Welche möchtest du haben? Eine holländische: Van anderen. Oder eine spanische: Schnorrita.“ „Eine Roth Händle“, sagte Südermann. Bernd hielt dem Freund die Packung hin, nahm sich ebenfalls eine heraus. Sie brannten die Zigaretten an einer Flamme an. Dann setzte sich Bernd hinter seinen Schreibtisch. „Was führt dich zu mir, Inspektor?“

„Doris Koch“, sagte Horst mit rauer Kehle. Bernd hob erstaunt eine Braue. „Du bearbeitest den Fall?“ „Ja. Und ich habe deine Telefonnummer bei ihr gefunden. Deshalb bin ich hier.“ Bernd erklärte dem Freund die Zusammenhänge. Südermann drückte den Stummel in Bernds Aschenbecher. Franziska kam mit dem Kaffee. Horst erzählte, wie sie Doris Koch in der Tiefgarage ihres Hauses vorgefunden hatten. Der hartgesottene Inspektor, der täglich mit Leichen zu tun hatte, schüttelte sich angewidert. „Diesen Mord hat eine grausame Bestie begangen“, sagte er heiser. „Der Killer hat das Mädchen nicht sofort erwischt. Zuerst stach er sie in den Arm. Aber dann ... Bauch aufgeschlitzt. Von unten nach oben. Da gehört was dazu, Bernd, das kann ich dir sagen.“ „Habt ihr irgendeine Spur?“, erkundigte sich Bernd. „Wir versuchen auszuwerten, was wir in ihrer Wohnung gefunden haben. Leider ist das nicht allzu viel.“ Bernd erzählte dem Freund, was er den ganzen Tag so getrieben hatte. Als er von Vollmer sprach, blitzte es in Südermanns Augen. „Ach ja. Das hätte ich beinahe vergessen. Die Morgenpost ist mit einem Extrablatt herausgekommen.“ Horst zog die Ausgabe aus der Innentasche des Jacketts und knallte sie vor Schuster auf den Tisch. „Er nennt den Killer den Ripper von Spandau“, sagte der Inspektor, während Bernd die fetten Lettern überflog. Bestialischer Frauenmord! Darunter kamen Einzelheiten. Zum Teil hatte sie sich Vollmer aus dem Finger gesogen, zum Teil stimmten sie. Seit Jahren häkelte er diese Masche mit Erfolg. Bernd wunderte sich darüber, dass Vollmer kein Wort über Christian Delfs verlor. Hatte er, Bernd, ihm doch ein wenig Angst gemacht? „Natürlich kommt die Polizei – wie immer bei Vollmer – verdammt schlecht

weg!“, sagte Südermann grimmig. „Ich sollte ihn mal aufsuchen und ihm auf die Hühneraugen treten. Aber vermutlich würde gleich danach wieder ein Extrablatt herauskommen: Polizeibeamter foltert Reporter!“ Bernd langte beim letzten Absatz an. Plötzlich durchzuckte ihn ein Stromstoß. Südermann nickte. „Ja, ja. Vollmer schreibt, der Ripper habe ihn in der Redaktion angerufen und weitere Morde angekündigt.“ „Das kann er doch nicht schreiben!“, rief Bernd erregt aus. „Warum nicht? Wenn es wahr ist ...“ „Hältst du das denn für wahr, Horst?“ „Du etwa nicht?“ „Warum sollte sich der Ripper ausgerechnet an Vollmer wenden? Es gibt größere Zeitungen als die Morgenpost. Die Bild-Zeitung zum Beispiel.“ „Aber keine bauscht ihre Berichte so marktschreierisch auf wie Siegfried Vollmers Schmierblatt.“ „Mit diesem Artikel macht er die Leute hysterisch!“, sagte Bernd wütend. „Das ist ja seine Absicht.“ „Kannst du ihm dieses Geschmiere denn nicht verbieten?“ „Du weißt, dass das nicht in meiner Macht steht, Bernd. Wir haben ein Pressegesetz ...“ „Er kann doch die Öffentlichkeit nicht mit solchen haarsträubenden Unwahrheiten bombardieren, Horst!“, sagte Bernd entrüstet. Südermann hob langsam die fleischigen Schultern. „Wir wissen nicht, ob es Unwahrheiten sind, Bernd. Vielleicht hat ihn der Ripper tatsächlich angerufen.“ „Das glaube ich nicht.“ „Ich hoffe, du hast recht, Bernd. Gleichzeitig befürchte ich aber, dass Vollmer

ausgerechnet diesmal die Wahrheit zu Papier gebracht hat.“

10

Der Empfang in der Schweizer Botschaft fand im vornehmen Rahmen statt. Die Kronleuchter aus Bleikristall blitzten und funkelten. Die geladenen Gäste trugen maßgeschneiderte Abendkleidung, man sah teure Roben, von Haute Couturiers in Paris und Rom entworfen, Juwelen aus Amsterdam, Orden an Männerbrüsten. Gedränge am kalten Buffet. Musik im Foyer des Generalkonsulats. Gelächter, Gemurmel, eine nette, angenehme Atmosphäre. Valerie Sander war für diesen Abend vom Konsulatssekretär Utz Tachella gemietet worden. Sie hatte kurzfristig für Tachellas Freundin einspringen müssen, die heute Morgen bei einem Autounfall schwer verletzt worden war. Valerie gab sich große Mühe, das verletzte Mädchen zu vertreten. Da sie über eine angenehme Ausstrahlung verfügte, schaffte sie das einigermaßen gut. Gegen zweiundzwanzig Uhr gab es Champagner. Und dann kam der Anruf. Ein Kellner holte die junge Frau ans Telefon. Doris Kochs Tod war für Valerie ein schlimmer Schock gewesen. Hinzu kam, dass ihr jemand das Extrablatt der Morgenpost zugesteckt hatte. So hatte sie von der Ankündigung des Rippers erfahren, dass er noch weitere Morde begehen würde. Im ersten Schreck hatte Valerie sofort ihren Koffer packen und die Stadt verlassen wollen. Doch dann war Franzens telefonische Bitte gekommen, sie möge sich mit Tachella in Verbindung setzen. Vergessen war das Kofferpacken. Sie war zu Tachella in die Botschaft gekommen, da hatten sie einige wichtige Dinge für den Abend besprochen, dann hatte sie sich zum Friseur beeilen müssen, hinterher war nur noch Zeit fürs Umziehen geblieben. Doch nun, wo sie ans Telefon gerufen wurde, fiel ihr unwillkürlich die Sache mit Doris wieder ein. Ein Schauer überlief sie. Dort lag der Hörer neben dem Apparat. Zaghaft griff sie danach. Ihr teures Modellkleid raschelte bei jeder Bewegung. Um die Schultern herum war es offen. Der runde Ansatz ihrer schönen Brüste quoll über den Rand des Dekolletés heraus.

„Sander!“, meldete sie sich nervös. Sie dachte, es wäre dumm, sich zu ängstigen, doch damit war ihre Furcht nicht zu bannen. „Hallo, Valerie, du mieses kleines Hürchen!“, wisperte jemand am anderen Ende der Leitung. Das Mädchen zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. „Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“ „Du machst sie gern verrückt, die Männer, was?“ „Hören Sie ...“ „Halt den Mund, Valerie!“, zischte der Anrufer gereizt. „Hör mir zu! Hör genau zu, was ich dir sage! Du hast nicht mehr lange zu leben, mein Täubchen. Mädchen wie du haben kein Recht, auf dieser Welt zu existieren, Mädchen wie du gehören vernichtet. Ihr seid Parasiten. Ihr bringt die Männer auf schlechte Gedanken. Ihr geht mit jedem, der bereit ist, die Brieftasche aufzuklappen und ein paar lausige Scheine hinzublättern. Abscheulich ist so etwas. Pfui Teufel!“ Valerie bebte am ganzen Körper. Das Geschehen trieb sozusagen an ihr vorbei. Unwillkürlich hatte sie den Eindruck, die Leute hätten sie bereits abgeschrieben. Aber sie lebte noch, und sie wollte nicht sterben. „Ungeziefer seid ihr!“, keuchte der Anrufer. Zitternd wollte Valerie auflegen. „Jemand muss euch vernichten! Euch alle!“, flüsterte es aus dem Hörer. Valerie spürte eine unangenehme Gänsehaut zwischen den Schulterblättern. „Doris Koch war erst der Anfang!“, sagte der Anrufer. „Und du bist die nächste, Valerie Sander. Aber damit wird noch nicht Schluss sein. Viele Mädchen von deiner Sorte werden euch nach drüben folgen ... Mit aufgeschlitztem Bauch ... Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Genuss das für mich ist ...“ Jetzt rissen die angespannten Nerven. Valerie hatte nicht, mehr die Kraft, den Worten dieses Teufels länger zuzuhören. Hastig legte sie auf. Dann machte sie einen Sprung vom Telefon weg. Frierend rieb sie sich die nackten Arme. In

ihrem Kopf brannte ein Feuer. Ihr Blick irrte umher. Sie fühlte sich furchtbar einsam, konnte nicht verstehen, dass nebenan gelacht und gescherzt wurde, als wäre alles in bester Ordnung. Es sollte mit ihr zu Ende gehen. Vielleicht noch in dieser Nacht. Wieso lachten die Leute darüber? Sie war kein Ungeziefer. Sie war nicht schlecht. Sie lebte lediglich davon, anderen Menschen Gesellschaft zu leisten. Das war doch nichts Verwerfliches. War das ein Grund, sie zu töten? Ein dünner Schweißfilm glänzte auf ihrer Stirn. Nervös fuhr sie sich an die Lippen. Ratlos sah sie sich um. Was sollte sie tun? Hierbleiben? Einfach nicht mehr an diesen grauenvollen Anruf denken? Unmöglich, das hätte sie niemals geschafft. Jedermann hätte sofort ihren Kummer bemerkt. Sie konnte sich nicht verstellen. Sollte sie Tachella mit ihren Problemen belasten? Das durfte sie nicht tun. Dieser Empfang war von großer politischer Bedeutung. Sie durfte ihn nicht zum Platzen bringen. Franzen fiel ihr ein. Ja, ihn konnte sie anrufen. Er war nicht nur ihr Chef, er war auch ihr Vertrauter, half gern, wo er konnte, war wie ein Vater zu seinen Mädchen. Nervös an der Unterlippe nagend näherte sie sich dem Telefon. Sie wagte den Hörer nicht anzufassen, fürchtete, der Anrufer könnte mit seinen Scheußlichkeiten fortfahren, sobald sie den Hörer ans Ohr legte. Ein Aushilfskellner kam auf sie zu und fragte sie, ob er ihr in irgendeiner Form behilflich sein könne. Sie schüttelte rasch den Kopf und sagte heiser, es wäre alles in Ordnung, sie wolle nur schnell einen Bekannten anrufen. Jetzt packte sie blitzschnell den Hörer, so als finge sie eine giftige Natter ab. Der Mann ließ sie allein. Sie wählte Franzens Büronummer. Er hob nicht ab. Sie rief ihn zu Hause an. Auch da ging er nicht ran. Erneut fühlte sie sich von einer peinigenden Ratlosigkeit umklammert. Was tut man in solch einem Fall? An wen wendet man sich um Hilfe? An die Polizei? ‚An Schuster!‘, dachte sie plötzlich. Sie eilte aus dem Raum. Schuster würde ihr helfen. Er würde ihr raten. Zu ihm hatte sie Vertrauen. Mehr als zur Polizei. Das war ein großer, unpersönlicher Apparat. Schuster hingegen war ein Mensch. Ein

Botschaftsangestellter lief Valerie über den Weg. Sie stoppte ihn, indem sie ihm die Hand auf den Arm legte. „Ja, bitte, Fräulein Sander?“, fragte der Schweizer. „Würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun?“, fragte das Mädchen hastig. „Aber gern.“ „Ich muss dringend weg. Da war vorhin ein Anruf für mich. Sagen Sie Herrn Tachella, es täte mir aufrichtig leid, nicht länger bleiben zu können – etwas Unvorhergesehenes – äußerst dringend. Es hängt sehr viel davon ab. Tut mir leid. Ich hoffe, Herr Tachella wird dafür Verständnis haben.“ Valerie eilte aus der Botschaft. Die Nacht legte sich wie ein kalter Mantel auf ihre nackten Schultern. Fröstelnd zog sie den Kopf ein. Aufgeregt schaute sie sich um. Tanzmusik erfüllte die Luft. Das Mädchen hastete auf den Parkplatz zu. Sie schlängelte sich durch die Autoreihen hindurch, erreichte ihr Fahrzeug, schloss die Tür auf, warf sich atemlos in den Wagen. Die Handtasche ließ sie auf den Beifahrersitz fallen. Ein Glück, dass sie anderen Fahrzeuge nicht so einkeilten, dass sie nicht rauskam. Mit zittriger Hand startete sie die Maschine. Aufgewühlt gab sie zu viel Gas. Der Motor heulte hoch auf, sie ließ nach, stemmte den Rückwärtsgang ins Getriebe, setzte zurück, kurbelte in großer Eile am Lenkrad. Wenig später verließ sie den Parkplatz. Ihre Hände waren feucht. Das Kleid klebte nass an ihrem Körper. Eine furchtbare Unruhe quälte sie. Jetzt erst fiel ihr auf, dass sie die Fahrzeugbeleuchtung noch nicht eingeschaltet hatte. Sie holte es rasch nach, warf einen Blick in den Rückspiegel, brachte den Ford Taunus auf Touren. Erst als sie eine Weile unterwegs war, kam ihr zum Bewusstsein, dass sie seit geraumer Zeit immer denselben Wagen im Spiegel hatte. Diese Erkenntnis hätte bei ihr beinahe einen hysterischen Schreikrampf ausgelöst. Verzweifelt presste sie die Lippen aufeinander. Ein nervöses Schluchzen fing sie zu schütteln an. Angstvoll nahm sie nun nicht mehr den Blick vom Spiegel. Kein Zweifel. Da folgte ihr ein Wagen. Sie hatte keine Übung darin, einen Verfolgerwagen abzuhängen. Sie wusste nicht einmal, wie sie das anstellen sollte. Einfach drauflos rasen? Damit gefährdete sie sich selbst und die anderen Verkehrsteilnehmer.

Als sie Spandau erreichte, war der andere Wagen noch immer hinter ihr. Sie war in der Nähe der Straße Am Juliusturm. Rechts von ihr lag die Spree mit dem Seitenarm, den man den Ruhlebener Altarm nannte. Da würde es nicht weitergehen. Sollte sie auf einen Garagenhof fahren? Auf einen Parkplatz in der Nähe der Zitadelle? Da bot sich ihr bereits eine schwach beleuchtete Einfahrt an. Sie zögerte noch. Doch dann riss sie den Lenker blitzschnell herum. Der Ford Taunus machte einen Satz auf die Einfahrt zu. Gleich würde sie es mit zweihundert-prozentiger Sicherheit wissen, ob der Wagen dort hinten hinter ihr her war. Er war es. Valeries Herz blieb fast stehen. Tränen rollten über ihre Wangen. Der Tod fuhr hinter ihr. Hatte sie noch eine Chance, ihm zu entkommen? Nicht mit dem Wagen. Der Verfolger schien der geschicktere Fahrer zu sein. Ihn abzuhängen würde ihr wohl nie gelingen. Also musste sie raus aus dem Ford. Wenn sie lief, hatte sie bestimmt noch eine Chance, denn laufen konnte sie wie ein Wiesel. Valerie stoppte den Wagen blitzschnell und sprang aus dem Fahrzeug, nachdem sie sich die Handtasche gegriffen hatte. Pfeilschnell lief sie auf einen dunklen Gang zwischen den Hän zu. Nach hinten warf sie keinen einzigen Blick. Dort war der Tod. Sie aber wollte leben! Deshalb schaute sie starr geradeaus, erreichte eine unbebaute Fläche mit dichten Büschen, sprang in die Wand aus Zweigen und Blättern hinein. Schon nach wenigen Schritten zerriss das teure Kleid. Es war Valerie egal. Ein Kleid ist gar nichts gegen die Kostbarkeit, die man Leben nennt. Zweige schrammten ihre Haut auf. Dornen rissen sie blutig. Sie spürte den Schmerz kaum, kämpfte sich durch das Gebüsch, bangend, hoffend, weinend. Es musste sich hier um ein verwildertes Grundstück handeln, das nach dem Krieg noch nicht wieder bebaut war. Überall lag Müll herum, hing in den Zweigen der Büsche. Es roch nach Fäkalien. Endlich ließen sie die Zweige los. Mit weiten Sätzen hastete sie über eine Rasenfläche, auf eine Baumgruppe zu. Sie hatte keine Ahnung, ob sie noch verfolgt wurde. Sie wusste nur eines: sie würde laufen, bis sie umfiel. Um schnell genug vorwärtszukommen, hatte sie ihr Kleid mit beiden Händen bis zu den vollen Schenkeln hochgerafft. Mit dem rechten Fuß trat sie in diesem Moment auf eine buckelige Grasnarbe.

Sie kippte um. Ein heiserer Schmerzensschrei entrang sich ihrer ausgetrockneten, brennenden Kehle. Mühsam verhinderte sie den Sturz. Von diesem Augenblick an schmerzte sie das rechte Fußgelenk ganz höllisch. Humpelnd erreichte sie die dunkle Baumgruppe. Sie war gezwungen, eine kurze Verschnaufpause einzulegen. Mit einem gehetzten Blick schaute sie sich um. Sie sah die Büsche, und sie bemerkte ein paar grauen Nebelfetzen, die träge über den Rasen krochen. Geschafft? Hatte sie es geschafft? Sie wagte es nicht zu glauben. Und plötzlich fuhr ihr ein Eisschauer über den Rücken. Eine feuchtkalte Hand hatte sich jäh von hinten auf ihren Mund gelegt ...

11

Utz Tachella blickte den Botschaftsangestellten durchdringend an. „Sie haben gesehen, dass dieses Mädchen total verstört war, haben sie aber trotzdem allein fortgehen lassen?“ Der junge Mann zuckte verlegen die Achseln. „Ich hatte den Eindruck, sie würde sich von mir nicht zurückhalten lassen, Herr Tachella.“ „Ist Ihnen bekannt, dass meine Freundin heute Morgen einen schweren Autounfall hatte?“ „Natürlich, Herr Tachella.“ „Aber Sie finden es in Ordnung, dass sich Valerie Sander in einem Zustand größter Erregung ans Steuer ihres Autos setzt und durch Berlin braust, wie? Ich sage Ihnen, wenn dieses Mädchen mit dem Wagen einen Unfall baut, mache ich Sie dafür verantwortlich!“ Der junge Mann machte ein unglückliches Gesicht. Eigentlich hatte er gedacht, alles richtig gemacht zu haben. Tachellas energische Vorwürfe waren seiner Meinung nach absolut ungerechtfertigt. „Hat sie nicht gesagt, wohin sie fährt?“, fragte der Konsulatssekretär. „Nein, Herr Tachella.“ „Sie hätten sie fragen sollen.“ „Sie hätte es mir bestimmt nicht gesagt.“ „Woher wollen Sie das denn so genau wissen, hm?“ Tachella winkte ärgerlich ab. „Ach, gehen Sie mir lieber aus den Augen.“ Er wandte sich um, eilte in sein Büro, rief Franzen an, aber es ging ihm genauso wie vorhin Valerie. Dieter Franzen nahm den Hörer nicht ab. Aus seinem kleinen Notizbuch kramte Tachella daraufhin die Telefonnummer Valerie Sanders heraus. Gut zwanzigmal ließ er es da läuten. Keine Reaktion. Beunruhigt verließ er den Raum. Drei

Minuten später verwickelte ihn ein Berliner Kommunalpolitiker in ein tiefschürfendes Gespräch. Er hatte keine Zeit mehr, an Valerie Sander zu denken.

12

‚Jetzt ist es aus!‘, dachte Valerie. Gleichzeitig krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Aber dann explodierte die geballte Kraft ihres Lebenswillens in ihr. Sie war entschlossen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Während die feuchte Hand auf ihrem Mund kleben blieb, um sie am Schreien zu hindern, fasste die zweite Hand nun blitzschnell nach der Handtasche des Mädchens. Valerie krallte die Finger um den Griff. Wild warf sie sich vorwärts. Die Hand glitt von ihrem Gesicht. Sie japste nach Luft, fuhr herum, sah einen mageren Burschen mit Augen, die einem Süchtigen gehörten. All der Jammer seiner schändlichen Existenz leuchtete in diesen gierig glänzenden Augen. Typen wie er bevölkern Nacht für Nacht die dunklen Nebenstraßen und Parkanlagen. Sie schleichen wie Ratten durch die Finsternis, auf der hungrigen Suche nach Geld, das sie brauchen, um sich neuen Stoff kaufen zu können. Kein Dealer verschenkt auch nur ein Milligramm kostbaren Heroins. Sie wollen alle zuerst Geld sehen. Viel Geld. Und die Süchtigen machen aus diesem Grund Nacht für Nacht Jagd auf jeden Pfennig, der sie ihrem heißersehnten Trip einen Schritt näherbringt. Der Junge mit dem ausgehöhlten, dürren Körper stürzte sich wütend auf ihre Handtasche. Kraft und saftlos war er. Krank vor Gier nach dem glückverheißenden Stoff, der ihn langsam, aber sicher unter die Erde brachte. Valerie schnellte von dem Jungen weg. „Her mit der Tasche!“, fauchte der Süchtige. „Gib sie schon her!“ Valerie wich einen weiteren Schritt von dem Gestrandeten zurück. „Verdammt noch mal, gib mir die Tasche!“, knurrte der Junge. Seine Zunge fuhr über die rissigen Lippen. Er hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen. Doch das war nicht das Schlimmste. Er war mit dem nächsten Schuss bereits um sechs Stunden überfällig. Und das machte ihn mürbe, das schaffte ihn, das zwang ihn körperlich in die Knie. „Gib mir alles Geld, was du bei dir hast!“, gurgelte der Junge. Er streckte Valerie

seine dreckige, zitternde Hand gierig entgegen. „Nun komm schon! Es würde mir leidtun, wenn ich dich erwürgen müsste!“ Valerie umklammerte ihre Handtasche mit beiden Händen, als würde sie darin etwas unschätzbar Wertvolles aufbewahren. Der Junge verzerrte das eingefallene Gesicht. „Ich muss das Geld haben. Ich krepiere, wenn ich nicht noch in dieser Stunde – und ehe ich vor die Hunde gehe; mache ich dich kalt!“ Valerie fing sich langsam. Vor diesem Jungen brauchte sie sich nicht zu fürchten. Der rasselte bloß mit dem Säbel. Der hatte nicht mehr die Kraft, ihr etwas anzutun. In fünf Minuten würde er sich vor ihr auf die Knie werfen und heulen wie ein Schlosshund. „Ich brauche was in die Ader!“, stöhnte der Süchtige zitternd. Heftige Leibschmerzen peinigten ihn. Er presste die Hände auf den Bauch und krümmte sich. Seine Zähne knirschten so laut, dass es Valerie eiskalt überlief. Fast hätte sie ihm das Geld gegeben, das sie in ihrer Handtasche hatte. Da sprang der Bursche sie mit einem zornigen Fauchen an. Er wollte nicht mehr länger auf die Scheine warten, wollte sie sich holen. Valerie wich dem Anstürmenden geschickt aus. Gleichzeitig riss sie ihre Handtasche hoch und ließ sie in den dürren Nacken des vorbeifegenden Jungen sausen. Es gab eine Menge harter Gegenstände in der Tasche. Der Schlag raffte den Jungen von den Beinen. Er fiel zu Boden und hatte nicht mehr die Kraft, sich zu erheben. Mit ihrem schmerzenden Fußgelenk humpelte Valerie Sander weiter. Ihre fiebernden Augen suchten die Person, vor der sie hierher geflüchtet war. Sie war nicht vor diesem Jungen davongelaufen. Der war ihr nur durch Zufall in die Quere gekommen. Auf der Flucht war sie jedoch vor jemand anders. Ein Knacken ließ sie jäh erstarren. Benommen drehte sie sich herum. Da stand er im wabernden Nebel, eine unheimliche, geisterhafte Erscheinung. Beide Arme hatte der Ripper ausgebreitet, als erwartete er, dass Valerie auf ihn zulaufen würde. Das Messer, auf dessen kaltem Stahl das milchige Licht des Mondes blitzte, hielt er fest in seiner Rechten. Es war schlimmer als ein Alptraum. Langsam kam der Unheimliche auf Valerie Sander zu. Die breite Krempe seines Schlapphuts wippte auf und nieder. Der weite schwarze Mantel umwehte seine

aufrechte Figur. Was Valerie in diesen Sekunden mitmachte, war unbeschreiblich. Ein Ende wie jenes, das der Ripper ihr zugedacht hatte, war das schlimmste, was einem jungen Mädchen an Grausamkeit begegnen konnte. Sie wankte, war einer Ohnmacht nahe. Beinahe gelassen näherte sich die unheimliche Gestalt ihrem Opfer. Gebannt starrte Valerie auf das blitzende Messer. Es geschah alles wie in Zeitlupe. Nun stand der Mörder vor Valerie. Sie versuchte etwas von seinem Gesicht zu sehen, doch da war nichts weiter als ein schwarzer Fleck. Valerie beobachtete wie in Trance, wie der Killer mit der Messerhand ausholte. Sie wollte sich herumwerfen und fortrennen, aber ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie stand wie angewurzelt da und wartete bebend auf ihren Tod. Er kam einen Lidschlag später. Die Klinge sauste auf sie zu. Sie spürte einen heftigen Schlag gegen den Bauch, dann sank sie in endlose Schwärze.

13

Etwa zur gleichen Zeit stürmte Bernd Schuster in das Büro des Skandalreporters Siegfried Vollmer. Der Raum war leer. Bernd schaute sich um. An den Wänden hing ein Stadtplan, Fotos von Rennwagen, Poster von Nackten, auf dem Schreibtisch stand ein Terminkalender, vollgekritzelt mit Notizen. Drei Telefone leisteten einander Gesellschaft. Eines davon schlug an. Das graue? Nein. Das grüne? Auch nicht. Es war das schwarze. Bernd stellte es fest, nachdem er den dritten Hörer abgehoben und ein knurrendes „Ja!“ in die Membrane geschickt hatte. „Hör mal, Siegfried, das kannst du doch nicht machen!“, bellte jemand am anderen Ende. Ziemlich nahe, das war an der Lautstärke festzustellen. Vielleicht nur drei Zimmer weiter. „Was ist denn?“, fragte Bernd, der sich noch nicht als Schuster zu erkennen gab. „Wir haben zweihundert Zeilen vereinbart!“ Aha, dachte Bernd. Das ist der Mann vom Umbruch. Druckerei. Sie umbrechen gerade die neueste Ausgabe des Manhattan Oberserver für morgen. Zeitungsarbeit ist Nachtarbeit. „Und?“, sagte Bernd gelassen. „Mann, mach mich nicht schwach!“ rief der andere. „Zweihundert Zeilen. Es sind zweihundertdreißig.“ „Schmeiß den letzten Absatz raus!“, entschied Bernd. „Zuwenig, Siegfried.“ „Die letzten zwei Absätze.“ „Reicht noch nicht.“ „Mach, was du willst!“, sagte Bernd und legte auf. Er hoffte, dass der UmbruchMann jetzt den ganzen Vollmer-Artikel vor Zorn packte und in den Bleikübel donnerte.

Es war Bernd gegönnt, eine Roth Händle fertig zu rauchen. In dieser Zeit durchstöberte er die Laden von Vollmers Schreibtisch. Er fand alte Artikel, die inzwischen überholt waren, von der Zeit einfach überrannt worden waren, keine Aktualität mehr besaßen. Brüllende Schlagzeilen. Aufrührerische Bildlegenden. Zum Teil gefährliche Parolen, die die Leser auf die Barrikaden treiben sollten. Das war Vollmers ekelhafter Stil. Unverkennbar. Ihm war nichts zu dreckig. Er fasste alles an. Und er machte noch mehr Dreck daraus mit seinem elenden Geschmiere. Nach der Zigarette kam Vollmer. Schweiß stand auf seiner Glatze. Als er Bernd an seinem Schreibtisch sitzen sah, blieb er starr an der Tür stehen. „Schuster!“ „Richtig beobachtet. Gratuliere“, spottete Bernd. „Was suchen Sie hier?“ „Ich möchte mit Ihnen reden.“ „Keine Zeit. Habe zu tun.“ „Wo sind Sie gewesen?“, erkundigte sich Bernd. Vollmer glotzte ihn feindselig an. „Das geht Sie nichts an, Bernd Schuster.“ Bernd wies auf das Telefon. „Da war vorhin ein Anruf.“ „Für mich?“ „Für wen denn sonst. Es war die Setzerei. Ich habe dem Mann gesagt, er soll Ihren Artikel einschmelzen.“ Wütend rannte Vollmer zum schwarzen Telefon. Hastig wählte er vier Nummern. Dann wartete er ungeduldig. Als die Verbindung klappte, rief er nervös: „Vollmer hier. Gib mir Hans ... He, Hans. Hier Siegfried ...“ „Ich hab’ die letzten drei Absätze rausgeschmissen, Siegfried. Ist bereits alles in Butter.“

Vollmer lief rot an. „Was hast du getan? Bist du wahnsinnig?“ „Hör mal, Siegfried, du hast mir das doch selbst empfohlen!“, schrie Hans ärgerlich zurück. „Idiot! Da hat sich einer einen dummen Scherz mit dir erlaubt. Die letzten drei Absätze kommen wieder hinein, verstanden?“ „Ich hab’ sie schon weggeschmissen.“ „Dann lass sie noch einmal setzen.“ „Und wo soll ich sie unterbringen?“ „Lass das Bild verkleinern, verdammt noch mal. Von den Zeilen kommt keine weg! “ „Die in der Chemigraphie reißen mir den Hintern auf, wenn ich jetzt noch wegen des Bildes zu ihnen komme!“ „Das ist Wurscht. Wenn du nicht tust, was ich dir sage, reiße ich dir den Hintern auf. Und zwar bis zum Stehkragen hinauf. Ich hoffe, ich habe mich klar und deutlich genug ausgedrückt, Hans!“ Zornig schleuderte Vollmer den Hörer in die Gabel. Gereizt wischte er sich über die pustelige Knollennase. Seine Augen schossen unsichtbare Pfeile auf Bernd ab. „Und nun zu Ihnen, Bernd Schuster! Sie denken wohl, Sie können sich alles herausnehmen, wie?“ „In der Beziehung bin ich wie Sie, Vollmer!“, sagte Bernd grinsend. Ihn amüsierte es, den mickrigen Journalisten mal aus der Fassung gebracht zu haben. „Was wollen Sie von mir? Warum fallen Sie mir auf den Wecker, he?“ „Geht’s nicht ein bisschen freundlicher?“, fragte Bernd knurrend. „ „Sie sitzen an meinem Schreibtisch! Sie treffen Entscheidungen, die gegen meine Interessen sind. Was für eine Reaktion erwarten Sie darauf von mir?“ „Ich verlange nicht, dass Sie mir einen Heiratsantrag machen“, sagte Bernd und

erhob sich. „So. Der Schreibtisch gehört wieder Ihnen. Darf ich jetzt wissen, wo Sie waren?“ „Unterwegs.“ „Geht’s präziser?“ „Ich sehe keine Veranlassung.“ „Okay“, nickte Schuster. „Dann will ich gleich mal zum Punkt kommen: Mich hat Ihr Auftritt heute Vormittag bei Christian Delfs in eine Unmutsstimmung versetzt ...“ Vollmer riss die Augen auf. „Sagen Sie bloß, Delfs behauptet, ich wäre noch mal bei ihm gewesen.“ „Wir hatten das eigentlich beide erwartet. Warum sind Sie da nicht mehr aufgekreuzt?“ „Ich hatte wichtigere Dinge zu tun.“ Bernd nickte. „Da muss ich Ihnen allerdings recht geben. Es gibt Wichtigeres, als Christian Delfs zu belästigen.“ „Es kümmert mich einen Dreck, wie Sie über meine Arbeit denken, Schuster!“ Bernd hob die Hand. „Vorsicht, Vollmer. Denken Sie an Ihre falschen Zähne. Ich könnte sie Ihnen mit einem einzigen Schlag so tief in den Hals dreschen, dass Sie sich damit in die Mandeln beißen!“ „Sehr witzig. Wirklich sehr, sehr witzig!“, fauchte Vollmer. Er setzte sich an seinen Schreibtisch. „Sie kommen sich wohl ganz toll vor, wenn Sie andere Leute mit Ihren verdammten Fäusten einschüchtern.“ „Ich hasse die Gewalt. Aber manchmal kommen mir Leute in die Quere, bei denen ich mich nur ganz schwer beherrschen kann ...“ „Kommen Sie endlich zur Sache, Schuster. Wir haben nicht dieselbe Wellenlänge.“

„Das habe ich auch schon bemerkt.“ „Zur Sache!“ „Bin schon dabei. Sie sprachen vorhin von Ihrer Arbeit. Sie nennen Ihr Geschmiere Arbeit. Eine äußerst subjektive Ansicht. Ich sprach vorhin von meiner Unmutsstimmung. Das Ganze will ich jetzt auf einen Nenner bringen: Ihr Geschmiere ärgert mich. Ich bin allergisch gegen jede Zeile, die Sie schreiben, Vollmer!“ Der Glatzkopf fletschte herausfordernd die falschen Zähne. „Wollen Sie mir etwa das Schreiben verbieten?“ „Ich könnte es verhindern, indem ich Ihnen die Finger breche“, sagte Bernd grinsend. „Dann würde eben jemand anders für mich schreiben. Und Sie hätten in diesem Fall eine Anzeige am Hals. Sie wissen ganz genau, dass Sie mir nichts verbieten können, Bernd Schuster. Und genau das ist es, was Sie so sehr ärgert, dass Sie sich am Liebsten in den Allerwertesten beißen würden.“ „Wir beide geraten noch kräftig aneinander, wenn Sie nicht aufhören, auf der von Ihnen hochgeschaukelten Angstmacherwelle weiterzureiten, wenn Sie weiterhin diese gottverdammten Unwahrheiten in alle Welt hinausposaunen, bloß um ein paar Exemplare mehr als die Konkurrenz zu verkaufen!“ „Unwahrheiten?“, schrie Vollmer wütend auf. „Was denn für Unwahrheiten?“ „Dass der Ripper Sie angerufen hat zum Beispiel.“ „Er hat es getan!“ „Warum denn ausgerechnet Sie? Den größten Schmierfinken der Nation!“ „Vermutlich hält er mehr von meiner Arbeit als Sie, Schuster!“ „Hören Sie auf, diese unverantwortliche Sensationsmache als Arbeit zu bezeichnen.“ „Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Bernd Schuster. Es bleibt eine Arbeit.“

„Er hat Sie also tatsächlich angerufen.“ „Allerdings.“ Vollmer schien darauf mächtig stolz zu sein. Er hob die Brauen und tat ungemein wichtig. „Was hat er gesagt?“, fragte Bernd scharf. „Steht alles in meinem Artikel.“ „Den habe ich gelesen.“ Vollmer fing an, den Überlegenen zu spielen. Er schlug die kurzen Beine übereinander und zündete sich eine Zigarre an. Dann lehnte er sich bequem zurück und mimte den Weltmann. „Ich verstehe Ihr selbstloses Engagement nicht ganz, Herr Schuster. Betrachten wir die Sache doch mal objektiv. Was ist denn schon geschehen? Eine Hostess wurde ermordet. Ein Mädchen ohne Wert. Was Dieter Franzen von seinen Frauen behauptet, ist doch bloß Schönfärberei. Es sind leichte Mädchen, die jeder Mann für Geld kaufen kann. Der Ripper hat angekündigt, noch mehr von diesen Mädchen zu killen. Meinetwegen soll er das tun. Was ist das denn schon für ein Verlust für die Menschheit? Eine Hure mehr oder weniger. Ich bitte Sie, ist das einen solchen Einsatz wert? Irgendwann wird man den Ripper fassen. Es werden andere Mädchen an die Stelle der Toten treten. Die Welt wird sich weiterdrehen, als wäre nichts geschehen. Und es ist auch kaum etwas geschehen. Wenn ich damit nicht ein bisschen Wind machen würde, ginge die Sache einfach unbemerkt unter ...“ Bernd ballte die Fäuste. Gott, was hätte er dem Reporter jetzt nicht alles ganz schnell angetan. Er musste sich stark beherrschen, um nicht über diesen Widerling herzufallen und ihn krankenhausreif zu dreschen. „Mann, Vollmer! Reden Sie nie mehr wieder in dieser Weise von Franzens Mädchen, sonst überlege ich mir allen Ernstes, was es für ein Verlust für die Menschheit wäre, wenn ich Sie hier aus dem Fenster werfen würde!“ Siegfried Vollmer schob trotzig sein Kinn vor. „Sonst noch was, Schuster?“ „Was für eine Stimme hat der Ripper?“

„Er hat geflüstert.“ „Haben Sie ihn gefragt, warum er das tut?“ „Er sagte zu Beginn: Keine Fragen, Vollmer. Hören Sie nur zu, was ich Ihnen zu sagen habe. Und dann legte er los.“ Bernd beugte sich mit grimmiger Miene vor. „Soll ich Ihnen sagen, welchen Eindruck ich allmählich gewinne?“ „Nur zu. Wir beide sollten keine Geheimnisse voreinander haben, Bernd Schuster.“ „Ich habe das Gefühl, es würde Sie sehr freuen, wenn der Ripper ein zweites Mal zuschlagen würde. Sie brauchen das, damit sich Ihr Artikel im Extrablatt bestätigt. Und Sie erhoffen sich weitere Morde, damit Sie Ihre dreckige Artikelserie fortsetzen können.“ Vollmer hob grinsend die Schultern. „Wer weiß. Vielleicht hat der Ripper bereits wieder etwas für mich getan, Herr Schuster.“ Bernd schauderte bei dem Gedanken, Vollmer könnte recht haben.

14

Es gab Kuchen und Tee auf dem Tisch. Ein Kännchen Rum stand daneben. Clarissa Schultze machte eine einladende Handbewegung und forderte den Kirchendiener Klaus Müller auf, er möge sich nehmen, was er wolle. Sie saßen im Wohnzimmer. Die blinde Frau hatte die Hände gefaltet und in den Schoß gelegt. Müller wirkte irgendwie zerfahren. Etwas bedrückte ihn. Aus diesem Grund hatte der „Kirchendiener“ die Vorsteherin der Gemeinschaft „Brennendes Kreuz“ um diese Unterredung gebeten. „Was kann ich für Sie tun, Bruder Klaus?“, fragte die Blinde mit ihrer gütigen Stimme. Ihre weißen Augäpfel bewegten sich nicht. Ihr Gesicht war dem Fenster zugewandt. Es war ein herrlicher Donnerstagvormittag da draußen. Clarissa wusste das, obgleich sie nichts sehen konnte. Sie fühlte es, wenn das Wetter schön war. Der große, hässliche Müller räusperte sich verlegen. Er fuhr sich über das bleiche Gesicht, die Finger zitterten. „Vor allem möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie mir so viel Vertrauen entgegenbringen ...“ „Sie sind ein guter Mensch, Bruder Klaus.“ „... und dass ich Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen darf ...“ „Ich bin auf Ihre Hilfe angewiesen.“ „Ich möchte immer für Sie das ein, Schwester Clarissa. Immer“, sagte Müller ernst. „Sie haben meinem Leben einen Sinn gegeben. Ich bin ein hässlicher Mensch. „Oh nein, Bruder Klaus. Das dürfen Sie nicht sagen. Sie sind ein schöner Mensch!“ Klaus Müller schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein. Ich bin hässlich. Ich weiß,

dass es die Leute kalt überläuft, wenn sie mich ansehen, deshalb gehe ich ihnen zumeist aus dem Weg. Sie sind blind, Schwester Clarissa. Auf Sie machen alle Menschen denselben Eindruck. Sie können ihre Gesichter nicht sehen ...“ „Ich beurteile die Menschen nach dem Charakter. Und deshalb behaupte ich, dass Sie ein schöner Mensch sind, Bruder Klaus.“ Müller goss Tee in die Schale. Er nahm einige Tropfen Rum. Den Kuchen beachtete er nicht. Langsam trank er. Clarissa hörte ihn schlucken. Sie wartete geduldig, bis er weitersprach. Ein gütiges Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. „Manchmal“, begann Müller mit belegter Stimme. „Manchmal sehne ich mich nach Zärtlichkeit, nach jemandem, der mich so akzeptiert, wie ich bin ...“ „Hier, in diesem Haus, werden Sie niemals anders behandelt werden, Bruder Klaus. Das verspreche ich Ihnen. Wann immer Sie meiner Hilfe bedürfen, Sie werden sie erhalten. In unserer Gemeinschaft muss einer für den anderen da sein. Ich predige das immer wieder. Wir müssen eine Einheit gegen das Böse bilden, das uns umgibt. Jeder Tag muss uns einen Sieg für das Gute einbringen, dafür leben wir, dazu habe ich die Gemeinschaft Brennendes Kreuz ins Leben gerufen. Und Sie, Bruder Klaus, sind mir eine ganz, ganz große Hilfe.“ Müller trank wieder vom Tee. „Ich möchte, dass Sie wissen, wie dankbar ich Ihnen für all das bin, das Sie mir geben, Schwester Clarissa.“ „Es kommt vom Herzen, Bruder Klaus.“ Müller rieb sich nervös die müden Augen. „Ich ... ich habe Sie um diese Unterredung gebeten, weil mich etwas bedrückt, Schwester Clarissa.“ „Es ist nicht zu überhören, dass Sie Kummer haben. Was ist es?“ „Ich ... ich bin ein kranker Mann, Schwester Clarissa.“ Die Blinde wandte dem „Kirchendiener“ erstaunt ihr Gesicht zu. „Ich habe absolut nicht diesen Eindruck. Sie sind ein kräftiger Bursche ...“ Müller senkte verlegen den Blick. „Ich bin nicht körperlich krank, Schwester Clarissa“, sagte er gepresst. „Sondern geistig.“

„Was bilden Sie sich denn da ein, Bruder Klaus?“ „Es ist leider keine Einbildung ...“ „Was fehlt Ihnen?“ „Ich ... weiß es nicht so genau“, antwortete Müller nervös. Er trank den Tee aus und nagte dann unruhig am Daumennagel. „Wenn ich allein zu Hause bin, dann ... dann versuche ich mich selbst zu beobachten, zu studieren. Ich weiß, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt, aber es fällt mir schwer, präzise zu sagen, was es ist. Es gibt hin und wieder Momente, da bin ich unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, Schwester Clarissa.“ „Das iert doch jedem einmal.“ „Mir iert es zu häufig. Außerdem habe ich das Gefühl, dass sich mein Geist in dieser Zeit nicht bloß trübt. Es scheint bei mir überhaupt für eine Weile hier oben“, Müller tippte sich auf die Stirn, „auszuhaken. Es kommt zu einem regelrechten Blackout. Wenn ich dann wieder klar bin, sind oft einige Stunden vergangen. Und ich weiß nicht, was ich in dieser Zeit gemacht habe. Das ist doch beunruhigend, finden Sie nicht?“ „Waren Sie schon beim Arzt?“, fragte Clarissa Schultze. „Nein.“ „Warum nicht?“ „Ich habe Angst, dass er mich in eine Klapsmühle steckt.“ „Doch nicht deswegen, weil Sie manchmal einfach mit offenen Augen vor sich hinträumen, Bruder Klaus. Deshalb steckt man Sie gewiss nicht gleich in eine Anstalt. Wenn Sie möchten, bezeuge ich jederzeit und jedem gegenüber, dass Sie absolut normal sind. Vielleicht sind Sie ein bisschen überarbeitet. Vielleicht habe ich Ihnen in letzter Zeit zu viel aufgebürdet.“ Müller schüttelte erschrocken den Kopf. „Oh nein, nein, Schwester Clarissa. Das haben Sie ganz bestimmt nicht getan. Ich – ich brauche die Arbeit. Ich flehe Sie an, nehmen Sie sie mir nicht weg. Sie lenkt mich von meinen Problemen ab. Sie füllt mich aus. Ich tue das alles furchtbar gern für Sie. Wenn Sie meinen, ich

hätte Sie aus diesem Grund um diese Unterredung gebeten, dann – dann möchte ich, dass Sie alles vergessen, was ich Ihnen erzählt habe.“ „Wir alle haben manchmal solche Formtiefs, Bruder Klaus. Mit vereinten Kräften kommen wir aber leicht darüber hinweg.“ „Ich danke Ihnen, Schwester Clarissa. Dieses Gespräch mit Ihnen hat mir sehr geholfen.“ „Vielleicht sollten Sie trotz allem mal einen Arzt konsultieren.“ Müller schluckte. „Ich denke“, sagte er leise, „das wird nun nicht mehr nötig sein.“

15

„Sie fuhr vom Schweizer Generalkonsulat direkt in den Tod“, sagte Inspektor Südermann ernst. Bernd saß im Büro des Leiters der Abteilung LKA 1 – Gewalttaten an Menschen in der Keithstraße und schaute sich die Tatortfotos an, die Horst ihm auf seine Bitte hin ausgehändigt hatte. „Derselbe Mörder?“, fragte Bernd Schuster gepresst. Was er da zu sehen bekam, verursachte körperliches Unwohlsein. „Kein Zweifel, sagt unser Arzt. Valerie Sander ist das zweite Opfer des Rippers.“ „Wieder keine Spuren?“ „Nicht einmal ein geknickter Grashalm.“ „Wer hat sie gefunden?“ „Wir bekamen einen anonymen Anruf. Als wir am Tatort eintrafen, war die Handtasche des toten Mädchens vollkommen leer geplündert. Du weißt ja, was für Vögel sich dort nachts herumtreiben.“ „Ging euch keiner dieser Vögel ins Netz?“ „Der Park war wie leergefegt, als wir ihn nach etwaigen Augenzeugen absuchten“, knurrte der Inspektor. „Was hast du jetzt vor?“ „Trotz allem eine ganze Menge“, sagte Bernd Schuster. „Ich habe einen Termin mit Franzen vereinbart.“ „Was willst du von ihm?“ „Er soll mir sagen, welche Kunden sich mehr als andere für Doris Koch und Valerie Sander interessiert haben, mit wem diese Mädchen mehr als einmal aus waren. Vielleicht hilft uns das weiter. Vorher aber möchte ich noch einen Sprung bei Utz Tachella vorbeischauen.“

„Mit dem habe ich bereits gestern Nacht ...“ „Es wird ihm nichts ausmachen, heute noch mal Fragen zu beantworten. Diese Schweizer sind ein recht einsichtiges Volk, und sie haben die Geduld eines gesunden, satt gefressenen Elefanten.“ Zwischen der Keithstraße und der Schweizer Botschaft in unmittelbarer Nähe der Mauer lag eine Fahrstrecke von neun Minuten. Bernd legte sie mit seinem Mercedes zurück. Tachella saß mit nach vorn hängenden Schultern in seinem Büro. Er telefonierte gerade mit dem Krankenhaus, als Bernd eintrat. Seiner Freundin ging es bereits etwas besser. Er bat den Arzt, man möge dem Mädchen ausrichten, er würde kurz vor Mittag mit einem großen Blumenstrauß vorbeikommen, dann legte er auf und fragte Bernd Schuster, was er für ihn tun könne. Als ihm Bernd sein Anliegen erklärte, verschwanden Tachellas Augen hinter einem Trauerschleier. Er fühlte sich irgendwie schuldig. Valerie war von ihm gemietet worden. Er redete sich ein, dass er sich zu wenig um sie gekümmert hatte. Aber bei solchen Empfängen ist immer so viel los, da kann man sich nicht um jeden einzelnen bemühen. „Es war ein furchtbarer Schock für mich“, sagte der Schweizer mit belegter Stimme. „Sie war ein außergewöhnlich schönes Mädchen. Nie im Leben werde ich begreifen können, dass es jemand fertigbringt, ein solches Kunstwerk der Natur zu zerstören.“ „Kein normaler Mensch würde so etwas tun. Der Ripper ist krank. Er muss diese Mädchen wahnsinnig hassen“, sagte Bernd. Er bat den Schweizer, den Verlauf des vergangenen Abends zu skizzieren. So erfuhr Bernd Schuster unter anderem von jenem Anruf, der zweifellos ein auslösendes Element dargestellt hatte. Nach dem Anruf hatte Valerie Sander das Konsulat geradezu fluchtartig verlassen. Auch Doris Koch war vor ihrem Tod vom Ripper angerufen worden. Es schien dieser Bestie nicht zu genügen, den grausamen Mord zu begehen. Vorher wollte dieser Teufel die Opfer noch am Telefon zu Tode ängstigen. Tachella wollte gern irgendetwas für Bernd tun.

Da gab es aber nichts, was er hätte tun können. Oder doch? Jan Vollmer fiel Bernd ein. Der Pornofilmvorführer suchte so krampfhaft einen Job, den er vor sich selbst besser verantworten konnte. Hatte Tachella einen solchen Job für den Mann? Bernd fragte. Tachella konnte nicht helfen. Drei Minuten später saß Bernd Schuster wieder in seinem 450 SEL. Er steuerte die die Adresse von Franzen an, der nach wie vor seinen weißen Kopfverband trug. „Zwei Mädchen schon“, seufzte er erledigt. „Ich habe heute Nacht kein Auge zugetan. Und in welcher Verfassung meine Mitarbeiterinnen sind, können Sie sich vermutlich vorstellen. Sie fürchten sich nun schon vor ihrem eigenen Schatten.“ Bernd legte einen Zwischenbericht ab, erzählte Franzen, was er unternommen hatte, um die 50.000 Mark wiederzubeschaffen, was er angestellt hatte, um gleichzeitig auch Licht in das Dunkel der beiden Mädchenmorde zu bringen. Er nannte eine Menge Namen. Hierbei handelte es sich um jene Leute, mit denen Bernd Schuster im Verlaufe seiner ruhelosen Ermittlungen zu tun gehabt hatte. Anschließend sagte Bernd: „Fest steht nunmehr folgendes, Herr Franzen: Der Ripper ruft die Mädchen zuerst an, macht ihnen eine Höllenangst und schlägt erst später zu. Zweimal hat er das so praktiziert. Kann sein, dass er davon jetzt abgeht, kann aber auch sein, dass er diese grausame Masche weiterverfolgt. Deshalb mein Vorschlag: Setzen Sie sich mit allen Ihren Mädchen in Verbindung. Schärfen Sie jeder Hostess ein, sie soll sofort mein Büro anrufen, falls sie einen derartigen Anruf bekommt. Auf diese Weise denke ich, können wir einen dritten Mord verhindern.“ Franzen blickte Bernd mit furchtgeweiteten Augen an. „Sie rechnen mit einem dritten ...?“ „Der Ripper hat zu großen Erfolg, Herr Franzen. Das ermutigt ihn, weiterzumachen.“ „Angenommen, Sie sind gerade unterwegs, wenn eines meiner Mädchen Sie anrufen möchte.“ „Von nun an wird meine Detektei rund um die Uhr besetzt sein. Über Autotelefon bin ich ständig zu erreichen. Sollte ich irgendwo anders sein, werde

ich stets die betreffende Telefonnummer hinterlassen. Und nun zu Punkt zwei: Hatten Doris Koch und Valerie Sander so etwas wie Stammkunden?“ „Nun ja. Es gibt schon Leute, mit denen sie mehr als einmal ausgingen.“ „Darf ich Sie um die Namen bitten?“ Bernd bekam, was er brauchte. Ein Rechtsanwalt hatte Doris Koch insgesamt siebenmal angefordert. Ein ehemaliger Sexmagazin-Verleger hatte Valerie Sander sogar achtmal in seinem Haus zu Gast gehabt. „Irgendetwas wollte ich Ihnen noch sagen, Herr Schuster.“ „Was?“ „Ich hab’s verschwitzt.“ „War es etwas Wichtiges?“ „Ich denke schon. Teufel, der Schlag auf den Kopf scheint mir doch mehr geschadet zu haben, als ich glaubte.“ Plötzlich war es wieder da. Es funkelte in Franzens Augen. „Ach ja“, sagte er erregt. Er wies auf den Karteischrank. „Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Besuch hier?“ „Klar.“ „Da fragten Sie mich, ob außer den fünfzigtausend Mark noch etwas Anderes gestohlen worden wäre. Ich sagte nein. Aber die Antwort war falsch.“ „Es kam noch etwas anderes weg?“, fragte Bernd schnell. „Ja.“ „Was?“ „Eine Liste, auf der alle meine Mitarbeiterinnen aufgeschrieben sind. Namen, Adressen, Telefonnummern.“ Bernd atmete kräftig durch. Das war der Punkt, wo sich die beiden Gleise zu einem einzigen vereinigten: Der Räuber jener 50.000 D-Mark und der Ripper entpuppten sich mit einem Mal als ein und dieselbe Person. Bernd sagte das

Franzen. „Da ist was dran!“, sagte der Betreiber der Hostessenvermittlung aufgeregt. „Jetzt, wo Sie es sagen, leuchtet mir das sogar ein. Zwei Mädchen hat der Ripper getötet. Jedes Mal war es ein Mädchen, das ich unter Vertrag hatte. Oh Gott, Schuster. Er hat noch ungefähr achtzehn Adressen!“ Bernd Schuster war bereits einen Schritt weiter. Er sagte gespannt: „Es gibt einen einzigen Menschen, der den Ripper gesehen hat und immer noch am Leben ist.“ „Tatsächlich? Wen?“ „Siebert. Der Nachtwächter.“ Bernd suchte den Mann sogleich auf. Walter Siebert empfing ihn so freundlich wie beim ersten Mal. „Was kann ich heute für Sie tun, Herr Schuster?“ Siebert trug selbstverständlich seine Brille. Er hatte sich ja geschworen, sie nie mehr abzunehmen, und diesen Schwur hatte er bis zur Stunde noch nicht gebrochen. Bernd wies schmunzelnd auf sein Ohr. „Hier drinnen habe ich noch immer Ihre Worte von neulich, Herr Siebert.“ „Welche Worte?“ „Wir sprachen vom schwarzen Mann. Sie sagten: Ich weiß nicht ... Irgendetwas hat an ihm nicht gestimmt? Aber Sie kamen einfach nicht darauf, was es gewesen war. Mittlerweile sind zwei Tage vergangen, Herr Siebert. Ich frage Sie heute wieder: Was hat Sie in jener Nacht an dem Kerl gestört?“ Der Nachtwächter hob bedauernd die Schultern. „Tut mir leid.“ Er klatschte sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Da kommt nichts.“ „Pech“, sagte Bernd und empfahl sich. Der nächste Besuch galt dem Rechtsanwalt. Als Bernd dort aufkreuzte, empfing ihn eine charmante Vorzimmerdame. Sie war fünfzig, kleidete sich wie mit vierzig und sehnte sich nach der Zeit zurück, wo sie dreißig gewesen war und mehr Erfolg bei Männern gehabt hatte als heute. Bernd überhäufte sie mit Komplimenten. Sie revanchierte

sich damit, dass sie ihn zu Stefan Märgner vorließ. Das Büro, das Bernd betrat, war gediegen eingerichtet, die Wände mit Palisanderholz getäfelt. Die Ledersessel, die um einen niedrigen Rauchtisch gruppiert waren, hatten ein kleines Vermögen gekostet. Dafür bekam man anderswo bereits einen schicken Kleinwagen. Neu, versteht sich. Hinter Märgner hing ein Bild von Justitia. Ein gut gebautes Mädchen mit verbundenen Augen, eine Waage in der Hand, die andere auf das Schwert gestützt. Bernd wies zum Gemälde und sagte: „Das macht sich gut. Es vermittelt einem das Gefühl, dass in diesem Raum von nichts Anderem als von Gesetz, Recht und Ordnung die Rede sein kann.“ „Genau das wollte ich damit erreichen“, sagte Märgner. Er war Anfang der Vierzig, ein sportlicher Typ mit salzwassergrünen Augen. Sein Händedruck war schmerzhaft. Die Frage „Was kann ich für Sie tun?“ blieb nicht aus, und Bernd hielt mit seiner Antwort nicht lange hinter dem Berg Märgners Miene war düster. Seine Gedanken schienen abzuschweifen. Sein Blick nahm einen starren Ausdruck an. Heiser sagte er: „Doris – Doris Koch ...“ Er schien wirklich weit weg mit seinen Gedanken zu sein. Bei Doris? Im Jenseits oder in der Vergangenheit? „Eigentlich wollte ich Richter werden“, sagte Märgner, ohne dass seine Augen diesen starren Blick verloren. Er war auch noch immer nicht in sein Büro zurückgekehrt, streunte im Geist irgendwo umher. „Richter war der Beruf, von dem ich schon als kleiner Junge immer geträumt hatte. Aber es gab Intrigen. Es gab Leute, die mich anfeindeten. Sie ließen es nicht zu, dass sich mein Traum verwirklichte. Ich wurde Rechtsanwalt. Man sagt, dass ich ein guter Rechtsanwalt bin, und die Erfolge, die ich erziele, können sich sehen lassen. Aber ich wäre ein noch viel besserer Richter geworden. Hart! Unbestechlich! Kalt! Aber auch gerecht!“ Bernd räusperte sich. Märgner ließ sich jedoch nicht ablenken. „Doris Koch“, sagte Bernd eindringlich. „Sie ist tot. Sie wurde ermordet“, sagte Märgner mit hohler Stimme. „Und ich kann über ihren Mörder nicht zu Gericht sitzen, Herr Schuster. Sie wissen nicht,

wie mich das quält.“ Nun kam der Anwalt zurück. Sein Blick flackerte kurz. Die Augen pendelten sich auf Schusters Pupillen ein. „Das härteste Urteil, das es gibt, müsste man über diesen grausamen Mörder fällen!“, sagte er scharf. Bernd nickte. „Das ist auch meine Meinung. Sie haben Doris Koch wohl sehr gemocht.“ „Ich hatte sie gern um mich“, gab der Anwalt zu. „Insgesamt siebenmal“, sagte Bernd. Märgner blickte ihn erstaunt an. „Woher wissen Sie – ach ja. Franzen hat es Ihnen gesagt. Siebenmal durfte ich die Gesellschaft dieses erfrischenden Mädchens genießen, und ich hätte sie zehnmal mehr zu mir gebeten, wenn diese Bestie ...“ Er brach ab, versuchte die würgende Wut hinunterzuschlucken. „Haben Sie Doris Koch geliebt, Herr Märgner?“, schoss Bernd in die entstandene Pause hinein mit scharfer Munition. Der Anwalt senkte den Blick, schaute seine manikürten Fingernägel an, dachte eine Weile nach und sagte dann: „Ich habe sie angebetet. Sie war ein gottvolles, gescheites, verständnisvolles Mädchen ...“ „Hatte ein Heiratsantrag in Aussicht gestanden?“, forschte Bernd weiter. Der Mann schwärmte von Doris so sehr, dass sich diese Frage regelrecht aufdrängte. Märgner nickte. „Ich denke, dazu wäre es irgendwann mal gekommen.“ „Sie sind ledig, Herr Märgner?“ „Ja.“ „Doris aber hatte bis vor einer Woche einen Freund.“ „Ich weiß. Christian Delfs. Sie hat mir von ihm erzählt. Eine Freundschaft, die einfach Schiffbruch erleiden musste.“ „Hat Doris Ihretwegen mit Delfs gebrochen?“, wollte Bernd wissen. „Darüber hätte ich mich sehr gefreut, aber ich glaube nicht, dass sie ihm

meinetwegen den Lauf gegeben hat. Das war eben mal fällig.“ „Wie sahen Sie Ihre Chancen bei Doris?“ „Ich denke, ich hatte gute Chancen. Sie mochte mich.“ „Als Hostess oder als Mädchen.“ „Sowohl als auch.“ „Wie hätten Sie reagiert, wenn sie Ihnen auf Ihren Heiratsantrag einen Korb gegeben hätte?“ „Ich wäre sehr enttäuscht gewesen.“ „Haben Sie nicht mal auf den Busch geklopft, um das Terrain zu sondieren?“ Mit einem Mal wurde Märgners Miene grimmig. Ärger schimmerte in seinen Augen. „Ich glaube, ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Herr Schuster. Sie möchten mich mit Ihren Fragen in eine ganz bestimmte Richtung manövrieren! Sie möchten hören, dass ich mir von Doris eine Abfuhr geholt habe, dass ich sie deshalb hasste, dass ich einen Grund hatte, auf sie wütend zu sein. Aber zum Glück muss ich Sie enttäuschen. Das Verhältnis zwischen Doris und mir war das Beste, das man sich denken kann. Wir hatten sehr viele gleiche Interessen. Wir waren einander persönlich sehr zugetan. Ihr Tod hat mich schlimmer getroffen als der Tod meiner Mutter vor drei Jahren! Genügt Ihnen das?“ Bernd nickte. „Ja. Das genügt.“

16

‚Die Welt ist ein großer Tiergarten‘, dachte Bernd verwundert, als er zwei Stunden später das Haus des ehemaligen Sexmagazin-Verlegers Stefan Manegold betrat. Die Klimaanlage erzeugte hier drinnen konstanten Frost. Der grauhaarige Manegold war in eine dicke Decke eingehüllt, trug Handschuhe und einen Rollkragenpulli, der in einem breiten Wulst wie ein kleiner Schwimmreifen um seinen dünnen Hals herumlag. Vor einigen Jahren waren seine Sexmagazine noch das ganz große Geschäft gewesen. Heute gab es auf jedem Einwickelpapier ein hübsches nacktes Mädchen. Die Zeiten ändern sich eben. Manegold hatte das rechtzeitig erkannt und den Verlag noch um gutes Geld an den Mann gebracht. Seither befand sich der Verlag auf der Talfahrt. Die Sohle musste in den nächsten Monaten erreicht sein. „Warum diese Kälte?“, erkundigte sich Bernd zähneklappernd. „Das regeneriert meine Zellen“, erwiderte Manegold. Er war ein drahtiger Kerl mit grauen Augen und heiserer Stimme, die wie ein Flüstern klang. „Wie alt wollen Sie werden?“, erkundigte sich Bernd. „Hundertdreißig, wenn es geht.“ „Warum nicht hundertvierzig?“ „Man soll Nichts übertreiben.“ „Valerie Sander war doch des Öfteren bei Ihnen.“ Er sagte nicht ja und sagte nicht nein, presste die Lippen aufeinander, als wäre er böse auf Valerie. „Verbrachte sie die Stunden, in denen sie mit Ihnen zusammen war, in diesem Kühlhaus?“, erkundigte sich Bernd. „Sie war immer warm angezogen. Sie wusste, was sie erwartete.“

„Hat sie mal etwas Abfälliges darüber gesagt?“ „Niemals. Sie hatte für alles Verständnis.“ „Warum baten Sie sie hierher?“, fragte Bernd. Der eigenwillige Manegold zuckte die Achseln. „Der Geist verkümmert, wenn man immer nur mit sich selbst redet, Herr Schuster. Ich kann über meine Witze nicht mehr lachen. Franzens Unternehmen erschien mir seriös genug, einen Versuch mit einer seiner Hostessen zu wagen. Valerie Sander war auf Anhieb das richtige Mädchen, wobei ich betonen möchte, dass ich in ihr eigentlich kein Mädchen sah ...“ „Sondern? Sie hatte doch unübersehbare weibliche Attribute.“ „Für mich war sie geschlechtslos. Alle Mädchen sind das für mich. Zwanzig Jahre Sexmagazin-Verlag machten aus mir einen Potenzkrüppel. Neben mir können sich die drei schönsten Mädchen der Welt ausziehen ... Mädchen vermögen mich nur noch auf geistiger Ebene zu faszinieren.“ „Und das hat Valerie Sander getan?“ Manegold nickte. „Das hat sie. Ich konnte mit ihr über alles sprechen. Sie war aufgeschlossen und intelligent. Sie hatte Ansichten, die mir gefielen, und wenn sie mal nicht meiner Meinung war, dann beharrte sie auf ihrem Standpunkt. Auch das fand ich als Stärke bei ihr.“ Mehr und mehr gewann Schuster den Eindruck, Manegold spreche über Valerie so, als wäre sie seit vielen Jahren tot. Es erschütterte diesen Mann nicht, dass das Mädchen erst in der vergangenen Nacht grausam ermordet worden war. Es berührte ihn anscheinend überhaupt nicht, dass sie nicht mehr lebte. Er hatte sie bereits abgeschrieben, wie man einen Wagen vergisst, der einen auf der Autobahn im Stich gelassen hatte und nun auf dem Schrotthaufen lag. Als Bernd darauf anspielte, sagte Manegold mit herabgezogenen Mundwinkeln: „Was erwarten Sie von mir, Herr Schuster? Dass ich Rotz und Wasser heule? Valerie war ein prima Kerl. Sie lebt nicht mehr. Ich aber lebe noch. Mein Blick ist nach vorn gerichtet, nicht zurück. Man muss vergessen können.“ „So schnell? Hat sie Ihnen denn menschlich nichts bedeutet?“

„Ich kann nicht heucheln, Herr Schuster. Es wäre eine Lüge, zu sagen, ihr Tod geht mir unter die Haut. Sie war eine Bekannte, die nicht mehr kommen wird. Aus. Mein Gott, was denken Sie, wie oft ich dem Tod im Krieg begegnet bin. Ich war knapp 18 Jahre, als ich Soldat wurde. Ich habe selbst getötet, um am Leben zu bleiben. Wer mitgemacht hat, was ich erlebt habe, den kann der Tod eines Menschen nicht mehr erschüttern ...“ „Es ist aber doch ein haushoher Unterschied, wo jemand stirbt. Auf der Autobahn, nach einem Verkehrsunfall. Im Krieg. Oder durch die Hand eines gemeingefährlichen, bestialischen Rippers.“ „Das Endprodukt ist immer dasselbe, Herr Schuster: eine Leiche.“ Bernd schauderte über so viel Gefühlskälte. Dieser Mann liebte es nicht nur, sich äußerlich zu unterkühlen, er war auch innerlich kalt wie ein Toter. Bernd nickte im Geist. Der Vergleich te. Manegold war tot. Zumindest seine Seele lebte nicht mehr. Bernd Schuster war froh, die Tür nach einer halben Stunde von draußen zugemacht zu haben. Manegold war nicht sein Fall. Und wie bei allen Leuten, die er im Verlaufe seiner umfangreichen Ermittlungen kennengelernt hatte, fragte er sich auch jetzt: Kann dieser Mann der gesuchte Ripper sein? Und er wagte es nicht, diese Frage mit einem grundsoliden Nein zu beantworten. Manegold hatte einen Sprung in der Schüssel. Und er war eiskalt. Das war auch der Ripper. Bernd schwang sich in seinen Mercedes. Während der Fahrt tippte er die Nummer der Polizei ins Autotelefon. Die Zentrale stellte sofort zu Inspektor Südermann durch. Sobald er Horst im Hörer hatte, berichtete er ihm von Stefan Märgner und Stefan Manegold. Zwei seltsame Vögel. Zweimal derselbe Vorname. Der eine war ganz versessen darauf, Richter zu spielen. Vielleicht auch Richter über Hostessen? Und gleichzeitig auch Vollstrecker des eigenen Urteils? Manegold wiederum hatte so gut wie keine Beziehung zum menschlichen Leben. In ihm einen Schlächter zu sehen, war gar nicht so abwegig. „Es wird sich jemand um die beiden kümmern!“, versprach der Inspektor mit lauter Stimme.

„Sonst was Neues?“, fragte Bernd routinemäßig. Er lenkte den 450 SEL nach Hause. Der Verkehr tröpfelte durch die Straßen. „Ja“, rief der Inspektor am anderen Ende grimmig aus. „Etwas gibt es noch, Bernd.“ „Was?“ „Vollmers neuester Hetzartikel. Er schreibt, Doris Koch und Valerie Sander sind erst der Anfang, nennt den Mörder den ‚Ripper von Spandau und macht die Polizei zu unfähigen Clowns ... Ich habe eine einstweilige Verfügung gegen sein Blatt erwirkt. Das Schmierblatt darf nicht mehr verkauft werden.“ „Das findet seine Fortsetzung vor Gericht“, sagte Bernd. „Weiß ich. Und ich freue mich schon auf die Konfrontation mit dem verantwortlichen Redakteur!“, knurrte Horst. „Ich hab’ mal einen Kriminalroman gelesen“, sagte Bernd. „Du hast Zeit zum Lesen?“ „Hin und wieder.“ „Oh du glücklicher Mensch. Was wolltest du erzählen?“ Bernd antwortete: „In dem Roman kam ein schmieriger Journalist à la Siegfried Vollmer vor. Ein Sensationsreporter, der sich – als mal eine Flaute war und sein Chef ihn deshalb feuern wollte – seine Sensationen selber bastelte. Er legte einen Brand in einem Warenhaus. Er ließ einen Zug entgleisen. Und er killte ein Mädchen, um hinterher im Stil von Siegfried Vollmer über die furchtbaren Ereignisse zu berichten.“ „Ha, Bernd!“, rief Horst Südermann aufgeregt aus. „Mir scheint, du willst mich mit der Nase auf diesen ekelhaften Kerl stoßen.“ „Der Ripper hat sich per Telefon ausgerechnet an ihn gewandt!“, sagte Schuster, logisch überlegend. „Niemand kann das überprüfen!“, sagte Horst hastig.

„Als Valerie Sander starb, war er nicht in seinem Büro, Horst. Da war er unterwegs, wie er mir erzählte. Aber er sagte mir nicht, wo er gewesen war, obwohl ich ihn danach fragte.“ „Mann, Bernd. Jetzt sollten wir uns aber allmählich für einen Ripper entscheiden. Wir haben zwei tote Mädchen, aber du bietest mir gleich drei Killer an. Märgner, Manegold, Vollmer.“ Bernd lachte. „Besser drei Mörder als gar keiner.“ „Leider stimmt das nicht. Ich brauche einen, und es muss der richtige sein.“ „Finde heraus, wer von den dreien der richtige ist.“ „Und was tust du inzwischen?“ „Ich suche weiter nach Franzens 50.000. Ende.“ Bernd schob den Hörer des Autotelefons in die Halterung. Mittlerweile war er bei dem Häblock in der Kurfürstenstraße angelangt und betrat die Detektei. Franziska Jahn sprang von ihrem Schreibtischstuhl hoch. Sie hatte kleine helle Flecken an den rosigen Wangen. Ein Zeichen, dass sie ziemlich erregt war. Automechaniker und Gelegenheitsgehilfe Kurt hockte wieder einmal auf der Kante ihres Schreibtisches und kaute an einer Schrippe herum, von der ihm eben ein Zwiebelring herunterfiel. Bernd schnupperte nur kurz und erkundigte sich: „Habt ihr für mich auch noch so eine Hackepeter-Schrippe?“ „Bedien dich, Bernd!“, antwortete Kurt und schob ihm die offene Tür auf dem Schreibtisch zu. „Ein Glück, dass du wieder zurück bist, Bern“, überfiel ihn Franziska gleich. „Aber Kuss nur vor der Zwiebel – nachher bestimmt nicht!“ Die beiden begrüßten sich also auf ihre Weise zärtlich, dann erkundigte sich Bernd: „Was ist iert?“

„Soeben hat Julia Weinert angerufen.“ „Und?“ „Das Mädchen war vollkommen aus dem Häuschen.“ Bernds Augen weiteten sich. „Wurde sie vom Ripper angerufen?“ „Ja. Er sagte, er würde sie töten. Hure, Schlampe, Kanaille nannte er sie, und man müsse diese Säuberungsaktion vorantreiben, es gäbe noch so viele Nutten, die kein Recht hätten, auf dieser Welt zu leben. Julia ist total fertig. Sie hat furchtbar geweint.“ „Ich kann ihr nachfühlen, wie ihr zumute ist. Sie hat den Tod von Doris Koch und Valerie Sander vor Augen“, sagte Bernd. „Ich rufe gleich mal Südermann an.“ Bernd erzählte dem Freund von Julias Anruf, gleichzeitig eröffnete er dem Inspektor, was er zu unternehmen gedachte. Nachdem der Hörer wieder auf der Gabel lag, wies Bernd Schuster mit dem gestreckten Zeigefinger auf Kurts schmale Brust. „Jetzt brauche ich deine Hilfe, Kurt.“ Der nickte nur gelassen. „Nur zu. Was soll ich für dich auf die Beine stellen, Bernd? Wenn du dich nach dem Harley-Gespann erkundigen möchtest, kann ich dir gleich sagen – leider noch nicht fertig. Ich warte auf ein Original-Ersatzteil von einem Händler aus Milwaukee. Die alten Maschinen sind einfach zu rar geworden.“ „Mopped fahren kommt erst nach der Arbeit, Kurt. Ich möchte dir Julia Weinert wärmstens ans Herz legen.“ „Da ist sie gut aufgehoben.“ „Du fährst zu ihr und weichst ihr so lange nicht von der Seite, bis ich die Blockade wieder aufhebe, klar?“

„Klar, Chef.“ „Ihre Adresse steht hier auf dem Zettel für dich.“ Kurt stand schon in der offenen Tür. Er wies auf Schusters Telefon. „Ruf sie an und sag ihr, wer kommt, sonst hält sie mich für den Ripper.“ Bernd nickte. „Das mach’ ich gleich. gut auf sie auf, Kurt. Es darf keine weitere Leiche mehr geben!“ „Ich werde sie hüten wie meinen Augapfel“, versprach der Mechaniker aus Leidenschaft. Er hatte Franziska und Bernd schon bei früheren Gelegenheiten unterstützt. Immer, wenn er ungerufen in der Detektei auftauchte, wussten die Freunde, dass es in seiner Schrauberwerkstatt nicht viel zu tun gab. „Und gib auch auf dich selbst höllisch acht, hörst du?“ Kurt grinste breit. „Nichts kann ich mit besserem Gewissen versprechen als das, Bernd.“ Dann war er draußen.

17

„Detektei Schuster, Büro für private Ermittlungen!“, sagte Franziska Jahn, als das Telefon rasselte. Dieter Franzen bellte seinen Namen am anderen Ende in die Sprechmuschel und verlangte dringend den Chef zu sprechen. „Einen Moment, Herr Franzen. Ich verbinde“, sagte Franziska. Sie stellte zu Bernd durch, blieb aber selbst in der Leitung, um mitzuhören, welche Neuigkeit Franzen für Bernd auf der Pfanne hatte. „Schuster!“, meldete sich Bernd. „Sie haben mir eine Menge Namen genannt, an die Sie im Verlaufe Ihrer Ermittlungen gerieten, Herr Schuster!“, sagte Franzen unruhig. „Ja, und?“ „Da war doch auch der Name Klaus Müller dabei“, sagte Franzen. „Ganz recht. Was ist mit ihm?“, erkundigte sich Bernd. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild des hässlichen „Kirchendieners“ auf. Probleme im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen sollte er laut Julia Weinert haben. „Er hat vor einer Minute angerufen“, sagte Franzen. „Weswegen?“, fragte Bernd. „Er möchte ein Mädchen haben. Er lamentierte mir die Ohren voll, wie einsam er wäre, dass er gern für zwei, drei Stunden eine Gesellschafterin hätte, die ihm hilft, die Zeit totzuschlagen ... Er kam mir irgendwie komisch vor. Fahrig, unruhig, nicht ganz bei der Sache.“ „Hat er eine bestimmte Hostess verlangt?“, fragte Bernd. „Er möchte Julia Weinert haben!“ Alle Alarmglocken läuteten in diesem Moment in Bernd Schuster Sturm. Julia Weinert durfte auf keinen Fall eingesetzt werden. Julia hatte einen Anruf des Rippers erhalten. Sie stand als nächste auf

der Totenliste des Killers. Es wäre ein Verbrechen gewesen, sie zu Müller gehen zu lassen. Julia musste unter allen Umständen zu Hause bleiben. In der Obhut von Kurt! „Was haben Sie mit Müller vereinbart?“, erkundigte sich Bernd. „Ich habe ihm versprochen, Julia für ihn zu reservieren.“ „Julia ist verhindert!“, rief Bernd aufgeregt aus. „Aber nein, Schuster. Das ist sie nicht. Ich kann über sie verfügen. Müller hat sie vermutlich deshalb angefordert, weil er sie von der Kirche her kennt.“ „Julia wird nicht zu Müller gehen, Franzen“, erwiderte Bernd Schuster schneidend. „Und ich will Ihnen auch verraten, weshalb nicht: Julia wurde vom Ripper angerufen. Sie soll sein nächstes Opfer sein. Mein Mitarbeiter Kurt ist bereits zu ihrem zweiten Schatten geworden. Ich habe die beiden zu einem unzertrennlichen Gespann gemacht. Sie dürfen sie nicht auseinanderreißen, Herr Franzen!“ Der Vermittler schluckte aufgeregt. „Ich hatte ja keine Ahnung – warum hat Julia mich nicht informiert?“ „Sie war völlig verstört, wie Sie sich denken können.“ „Natürlich werde ich sie nicht zu Müller schicken. Er wird mit einem anderen Mädchen vorliebnehmen müssen.“ „Wann soll die Hostess bei Müller sein, Herr Franzen?“ „Um zwanzig Uhr. Sie soll bis zehn oder elf bei ihm bleiben.“ „Welche Hostess werden Sie ihm schicken?“ „Ich weiß noch nicht, muss erst sehen, welches Mädchen frei ist.“ „Rufen Sie mich an, sobald Sie’s wissen“, verlangte Bernd. „Wird gemacht“, erwiderte Franzen und legte auf. Die Tür klappte auf. Franziska Jahn trat ein. Bernd brauchte nur einen Blick in

ihre funkelnden Augen zu machen, um zu wissen, was jetzt kommen würde. Bevor sie ihm ihren gefährlichen Vorschlag unterbreiten konnte, schüttelte er energisch den Kopf und sagte: „Nein, Franziska. Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ „Natürlich!“, zischte Franziska Jahn wütend. „Ich bin ja in letzter Zeit wohl nur noch die Kaffeeköchin! Für andere Dinge nicht zu gebrauchen!“ „Der Ripper tötet wie ein Schlachtautomat!“ „Seit einem Jahr besuche ich regelmäßig meinen Karate-Kursus. Wozu eigentlich? Soll ich deine Klienten im Vorzimmer aufs Kreuz legen? Franzens Mädchen sind bestimmt nicht in Karate ausgebildet. Aber du hast nichts dagegen, dass eines von diesen Mädchen den gefährlichen Part übernimmt. Bernd, wenn etwas schiefgeht, was ich nicht hoffen möchte, dann bist du diesmal zumindest mitschuldig am Tod der dritten Hostess. Kannst du das vor deinem Gewissen verantworten? Ich bin auf Messerattacken getrimmt. Ich kann mich dagegen wehren, während die Hostessen dem grausamen Ripper hilflos ausgeliefert sind, weil ihnen das nötige Rüstzeug fehlt! Ruf Franzen an. Sag ihm, dass ich zu Klaus Müller gehen werde.“ Bernd wehrte sich gegen diese Lösung, obwohl er wusste, dass Franziska mit allem, was sie sagte, recht hatte. Er nahm sie in die Arme und redete mit leiser, sanfter Stimme auf sie ein. Franzens Hostessen konnten charmant plaudern. Sie sahen attraktiv aus. Sie wussten über viele Dinge Bescheid. Aber sie waren allesamt nicht in Karate ausgebildet. Deshalb hatte es der Ripper so leicht mit ihnen. Franziska würde ihm einiges aufzulösen geben. Vorausgesetzt, sie vergaß angesichts des Killers nicht alles, was man ihr im Karate-Kursus beigebracht hatte. Die Gefahr bestand nämlich trotz allem. Franziska brauchte bloß einen Schock zu erleiden. Dann würde sie dastehen mit glasigen Augen, gelähmt, und auf den tödlichen Messerstich warten. Allein der Gedanke daran, seine Franziska könnte bei der Sache eine schwere Verletzung davontragen, ließ Bernds Herz schmerzhaft zusammenschrumpfen. „Ich kann dich nicht zu Müller schicken, Franzi!“, sagte er heiser.

„Du weißt, dass du es tun musst!“, sagte Franziska eindringlich. „Soll noch ein Mädchen sterben? Bloß, weil du nicht die einzig richtige Entscheidung treffen willst?“ Bernd ließ sie los, ging zum Wandschrank, schüttete aus seiner Glaskaraffe mit dem teuren Whisky etwas in ein Glas und stürzte den Whisky aufgeregt in die ausgetrocknete Kehle. Ein Wirbelsturm von Gedanken fegte durch seinen Kopf. Er sah Franziska mit auf geschlitztem Bauch irgendwo in einem düsteren Hinterhof liegen. Er sah sie im Leichenschauhaus. Er hörte sie in wahnsinniger Todesangst schreien. Dann sah er Müller. Der Hässliche mit dem Messer .... „Ruf Franzen an, Bernd. Wir müssen diesem Verrückten endlich das Handwerk legen!“ Franziska als Lockvogel für den Ripper. Bernd seufzte schwer. ‚Wenn das bloß gut geht!‘, dachte er. Er trug einen schweren Kampf mit sich aus, ehe er endlich nickte. „Okay“, knurrte er mit zusammengezogenen Brauen. „Okay, Franziska. Wir werden es so machen, wie du es vorschlägst. Aber wenn du dich von dem Kerl killen lässt, rede ich kein Wort mehr mit dir und entlasse dich!“ Franziska nickte eifrig. „Damit bin ich einverstanden.“ „Mir gefällt die Sache nicht!“, brummte Bernd. „Wir werden sie mit vereinten Kräften hinter uns bringen.“ Bewunderung lag in Schusters Augen, als er mit schleppender, heiserer Stimme fragte: „Sag mal, hast du denn gar keine Angst vor dem Ripper?“ Franziska schmunzelte. „Ich denke, es reicht, wenn mir die Knie schlottern, sobald ich ihm gegenüberstehe. Jetzt halte ich das noch für verfrüht.“ Bernd rief Franzen an und teilte ihm mit, wozu er sich schweren Herzens durchgerungen hatte. Franzen atmete erleichtert auf. Auch er hielt Franziska Jahn für die beste Lösung. Nach dem Telefonat hatten sie noch drei Stunden Zeit, sich vorzubereiten. Zuerst taten sie das vermittels einer heftig geführten Diskussion, die beinahe in einen handfesten Streit gemündet hätte, weil Franziska Jahn für Schusters Geschmack ein wenig zu risikofreudig – sprich: unbekümmert war. Anschließend kramte Bernd Schuster in seinen technischen

Schätzen herum, die er im Wandschrank aufbewahrte. Aus dem Schreibtisch holte er die dazu enden Mini-Batterien, fügte sie in die Geräte, wies auf den einen Kugelschreiber, sagte: „Sender!“ Wies auf den zweiten Kugelschreiber und erklärte: „Empfänger!“ Er schob Franziska Jahn den Sender zu. „Du gehst zu Müller. Ich werde mittels dieses Senders ganz in deiner Nähe sein. Sollte die Situation für dich brenzlig werden, bin ich in zwei Minuten zur Stelle.“ Franziska drehte den Kugelschreiber mit dem geheimnisvollen Innenleben zwischen den schlanken Fingern hin und her. „Machen wir mal eine Probe damit?“ „Ich wäre sehr dafür“, sagte Bernd, und Franziska ging nach draußen. Bernd klammerte den Empfänger an die Brusttasche seines Jacketts. „Wir machen uns richtiggehend verrückt, Bernd“, kam es aus dem Kugelschreiber. „Julia Weinert hat eine Morddrohung erhalten. Klaus Müller fordert die Hostess für heute Abend an. Ist es aber deshalb schon gewiss, dass er der Ripper ist? Ebenso gut kann sich mein Einsatz als vollkommen harmloser Job entpuppen.“ Bernd nickte. Natürlich könnte das geschehen, und er wusste nicht, was ihm lieber sein sollte. Die Entscheidung – oder keine Gefahr für Franziska ... Bis es so weit war, kämpfte Bernd Schuster noch immer mit seinen Gefühlen, aber dann machte sich seine hübsche, blonde Gefährtin auf den Weg zu Müller. Nun bemerkte Schuster, dass Franziskas Ruhe nur noch oberflächlich war. Unter der Haut loderte bereits das Feuer der Erregung. Natürlich, Franziska war kein Übermensch. Sie war bloß tatendurstig und bemerkenswert tapfer. Vermutlich deshalb, weil sie noch jung war, und weil sie noch niemals so richtig draufgezahlt hatte. Bernd hoffte inbrünstig, dass ihr das auch diesmal erspart bleiben würde. Er würde jedenfalls alles daransetzen, dass es zu keiner irreversiblen Panne kam. Sie setzten sich in den SEL. Bernd brachte sie nach Spandau hinüber. Während der kurzen Fahrt telefonierte er mit Südermann. Es war ihm lieber, wenn auch Horst Bescheid wusste. Der Inspektor versprach, sich für einen eventuellen Ernstfall bereitzuhalten. Dann knisterte die Spannung steil nach oben. Eine

Menge Fußangeln waren ausgelegt. In dieser Nacht sollte sich der Ripper an irgendeiner Front verheddern. Kam er zu Julia Weinert, würde ihm Kurt einen heißen Empfang bereiten. Schlug er dagegen in der anderen Wohnung zu, würde es hier zum entscheidenden Knall kommen. Außerdem überwachten Südermanns Männer sämtliche verdächtigen Personen. Auch Siegfried Vollmer hatte einen Polizeischatten bekommen. Der SEL fuhr über den Spandauer Damm und bog in die Schulenburgstraße ein. Hier wohnte Julia Weinert. Bernd bog in eine Parklücke beim Spandauer Hockey- und Tennisklub ein. Hinter dem Park war Klaus Müller zu Hause. Heute war es wieder sehr warm gewesen, und man konnte den Geruch von der Ruhländer Klärgrube über dem ganzen Viertel wahrnehmen. Franziska fasste nach ihrer Handtasche. „Bei den Schauspielern heißt es in solchen Situationen: toi, toi, toi. Wie sagt man bei Privatdetektiven?“ „Hals- und Beinbruch“, gab Bernd zurück. Er hatte eine feuchte Stirn und nasse Hände. Verflixt, wenn er die Sache selbst in die Hand hätte nehmen können, wäre er nicht so aufgeregt gewesen. „Du darfst auf keinen Fall zu viel riskieren!“, sagte Bernd Schuster eindringlich. „Keine Sorge. Ich hänge an meinem Leben“, sagte Franziska und stieg aus. „Und ein bisschen auch an dir, Bernd.“ Sie küssten sich, dann riss sich Franziska fast gewaltsam los. „Ich werde jedes Wort mithören, das du mit Müller redest.“ „Sollte er mir einen Heiratsantrag machen, werde ich ablehnen, okay?“ „Mach schon, dass du fortkommst!“, knurrte Bernd. Ameisen kribbelten in seiner Hose. „Und komm gesund zu mir zurück! In diesem Moment beginnen die härtesten zwei Stunden meines Lebens. Lass mich nicht länger als nötig zappeln.“ „Wenn ich unverschämt wäre, könnte ich jetzt alles von dir haben, was?“, fragte Franziska schmunzelnd. „Du bist nicht unverschämt. Deshalb möchte ich dich auch nicht verlieren.“

„Ich komme wieder. Wie eine chronische Krankheit“, versprach Franziska und ging. Bernd bewunderte ihren Mut. Sie konnte ja nicht wissen, worin sie nun geriet. Es konnte ihr Ende sein. Trotz Karate. Der Ripper verstand sein Messer wie ein Metzger zu führen. Sie stelzte auf ihren hohen Hacken durch den dunklen Park. Bernd blickte ihr so lange nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Dann hörte er sie. „Nun liegt der Park hinter mir. Ich überquere die Straße, betrete das Haus, in dem Müller wohnt ...“ Franziska stieg die Stufen hoch. Bernd ging im Geist mit ihr. Jeder ihrer Schritte war von seinem lauten Herzklopfen begleitet. Jetzt war sie allein. Ganz auf sich selbst angewiesen. Er wünschte ihr alles Glück dieser Welt. Als sie an Müllers Tür klingelte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Nun war nichts mehr rückgängig zu machen. Wenn Müller der Ripper war, musste es in den nächsten Minuten zur Entscheidung kommen. Bernd zündete sich mit einer fahrigen Bewegung eine Roth Händle an. Die Tür ging auf. Der hässliche Müller starrte Franziska mit unbeweglichen Augen an. Er hatte mal wieder einen seiner Blackouts, über die er mit Clarissa Schultze gesprochen hatte. Sein bleiches Gesicht wirkte wächsern. Mit steifen Schritten gab er die Tür frei. Franziska trat ein. „Guten Abend, Herr Müller.“ Er schlurfte ins Wohnzimmer. Hier herrschte ein heilloses Durcheinander. Müller schien mit den Möbeln Fußball gespielt zu haben. Ächzend sank er in einen Sessel. „Geht es Ihnen nicht gut?“, erkundigte sich Franziska. Müller reagierte auf nichts. Er klemmte die Hände zwischen die Knie, als wollte er damit verhindern, dass sie irgendetwas taten, womit er nicht einverstanden war. „Soll ich Ihnen etwas zu trinken holen?“, fragte Franziska. Sie wies auf die Hausbar. Acht Flaschen standen da. Zumeist halb voll. Müller hob die hässliche Visage. Das Licht der roten Deckenlampe knallte ihm ins Gesicht, machte aus dem Antlitz eine teuflische Fratze. ‚Was ist mit ihm?‘, fragte sich Franziska. ‚Er reagiert nicht auf meine Worte,

scheint geistig überhaupt nicht zugegen zu sein. Wo ist er? Woran denkt er?‘ „Ich bin sicher, dass Ihnen ein Drink guttun wird“, entschied Franziska Jahn. Sie begab sich zur Hausbar und mixte rasch einen Highball. Obwohl sie damit sehr beschäftigt war, ließ sie Müller nicht aus den Augen. Es schien so, als würde von ihm keinerlei Gefahr drohen. Ein geistesabwesendes, immer wieder seufzendes Bündel Mensch war er. Es schien bloß die körperliche Hülle zu leben. Müllers Geist war woanders. Franziska kam mit dem Highball. Sie hielt dem „Kirchendiener“ das Glas hin. „Hier, Herr Müller. Trinken Sie. Das wird Ihnen guttun.“ Ein eiskalter Schauer überlief sie. Jetzt starrte Müller sie zum ersten Mal direkt an. Sein stechender Blick ging ihr durch und durch. Wut und Hass schimmerten in seinen Augen. Sein Mund formte einen grausamen Ausdruck. Franziska wippte mit dem Glas, um ihn darauf aufmerksam zu machen. „Hier. Trinken. Wird Ihnen guttun!“ Er reagierte darauf ganz anders, als sie es erwartete. Und urplötzlich. Seine rechte Hand schnellte hoch und fegte waagrecht durch die Luft. Sie traf das Glas, es entglitt Franziskas Fingern, sauste davon, knallte auf den Boden, zerschellte, der Highball klatschte gegen die Wand. Franziska zuckte jäh zurück. Ihr stockte der Atem. „Herr Müller! Was soll das?!“, presste sie vorwurfsvoll hervor, als sie wieder Luft bekam. Der „Kirchendiener“ glotzte sie mit glasigen Augen an. „Wer sind Sie?“, stieß er abgehackt hervor. „Franziska Jahn.“ „Was wollen Sie von mir?“ „Herr Franzen hat mich geschickt. Sie wollten doch ...“ „Wie sind Sie in meine Wohnung gekommen?“

„Sie haben mich selbst eingelassen, Herr Müller. Warum haben Sie mir das Glas aus der Hand geschlagen?“ „Gehen Sie!“, fauchte Klaus Müller gereizt. Sein bleiches Gesicht zuckte heftig. „Gehen Sie!“ Er schrie es Franziska wütend entgegen. „Lassen Sie mich allein! Ich will allein sein!“ „Wissen Sie denn nicht mehr, dass Sie Herrn Franzen um eine Hostess gebeten haben?“ „Allein will ich sein!“, plärrte Müller mit voller Lautstärke. „Um Himmels willen, schreien Sie doch nicht so, Herr Müller. Sie stören doch die Nachbarn ...“ Der „Kirchendiener“ verzerrte das Gesicht zu einem undefinierbaren Grinsen. „Es gibt keine Nachbarn. Alle ausgezogen.“ Plötzlich sprang er auf. Er ballte die Fäuste. Franziska erwartete einen Angriff. Sie bereitete sich geistig und körperlich darauf vor. „Raus!“, blaffte Müller. „Verlassen Sie meine Wohnung! Ich will niemanden sehen!“ Auf einmal waren Tränen in Müller’ Augen. „Bitte! Lassen Sie mich allein! Ich bin nicht ganz richtig im Kopf. Es strengt mich furchtbar an, mit Ihnen zu sprechen. Ich brauche Ruhe. Ich muss mich schonen! Das kann ich nur, wenn ich allein bin!“ Franziska war sichtlich enttäuscht. Was hatte das zu bedeuten? War das alles gewesen? Ihr ganzer Einsatz? Müller schickte sie einfach wieder fort? Ohne sie angegriffen zu haben! Ohne sich als Ripper deklariert zu haben! Sie bohrte tiefer, indem sie sagte: „Haben Sie mich vorhin nicht richtig verstanden, Herr Müller? Ich bin eine Hostess. Ich arbeite für Franzen! Sie haben von ihm ein Mädchen verlangt. Julia Weinert wollten Sie haben, erinnern Sie sich denn nicht mehr?“ „Wo ist Julia?“, fragte Müller mit kratzender Stimme. „Zu Hause. Sie kann nicht kommen. Sie ist verhindert. Deshalb bin ich hier.“

„Was ist mit Julia?“ „Oh, es ist alles in Ordnung mit ihr. Warum muss es ausgerechnet Julia sein, Herr Müller? Warum genüge ich Ihnen nicht? Warum haben Sie ausgerechnet nach Julia Weinert verlangt.“ „Ich kenne nur Julia. Von der Kirche kenne ich sie.“ „Sie hatte Angst, zu Ihnen zu kommen.“ Müller blickte Franziska verdattert an. „Angst? Julia? Vor mir? Wieso denn?“ „Sie befürchtete, dass Sie ihr etwas antun möchten.“ „Ich? Julia?“ „Sie haben sie heute Nachmittag angerufen, stimmt’s?“ „Nein.“ „Doch. Und Sie haben ihr ganz schlimme Sachen gesagt.“ „Was denn?“ Franziska brachte Beispiele. Müller riss die Augen auf. „Das soll ich gesagt haben?!“, brüllte er wütend. „Verdammt, Sie lügen! Sie sind eine dreckige Lügnerin. Warum verlassen Sie nicht endlich meine Wohnung? Ich habe Sie nicht gebeten, zu kommen. Machen Sie, dass Sie rauskommen! Ich brauche meine Ruhe. Ich habe Kopfschmerzen. Lassen Sie mich endlich allein!“ Fehlanzeige? War Müller gar nicht der Ripper? Oder ging der verrückte Killer nach einem ganz bestimmten Schema vor: Zuerst der Anruf, dann der Mord. Er hatte Julia angerufen, wollte jetzt nicht Franziska töten. Er wollte keinen Ersatz für Julia akzeptieren. Julia Weinert musste es sein. Nur Julia. Sonst keine. Jetzt war Franziska Jahn ratlos. „Bitte!“, sagte Müller eindringlich. „Gehen Sie!“ „Hätten Sie auch Julia fortgeschickt?“, fragte das blonde Mädchen.

„Ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen!“, jammerte Müller. „Hätte auch Julia gehen müssen?“, fragte Franziska beharrlich noch einmal. „Ja. Auch sie hätte gehen müssen. Allein will ich sein!“ Er schluchzte es verzweifelt heraus. Maßlos enttäuscht zuckte Franziska Jahn die Schultern. Sie hatte so sehr gehofft, bei der Entlarvung des Rippers tatkräftig mitmischen zu dürfen, und nun gab es diese verflixte Pleite. Zögernd drehte sie sich um. Müller setzte sich wieder. Er begrub sein Gesicht in den Händen und weinte wie ein kleiner Junge. ‚Nein‘, dachte Franziska Jahn und schüttelte den Kopf. ‚Nein, das kann unmöglich der Ripper sein‘. Seufzend verließ sie die Wohnung. Der Erfolg, auf den sie gehofft hatte, hätte anders aussehen sollen.

18

Sender und Empfänger funktionierten ausgezeichnet. Bernd Schuster war mittendrin im Geschehen. Akustisch befand er sich in Klaus Müllers Wohnung. Als der „Kirchendiener“ dem Mädchen das Glas aus der Hand schlug, dachte Schuster, nun ginge es los. Seine Hand flog schon zur Tür. Er wollte bereits aus dem Wagen schnellen, da meldete sich das Autotelefon mit einem dezenten Summton. Dazu gab die kleine Lampe zuckende Signale. Bernd ließ es eine Weile blinken, hörte weiter in Müllers Wohnung hinein. Dann griff er sich den Hörer. Kurt war am anderen Ende. Der schlaksige Bursche, den nur selten etwas aus seiner dumpfen Lethargie reißen konnte, war über die Maßen aufgeregt. „Er war hier, Bernd!“, rief er aufgewühlt aus. „Der Ripper?“ „Ja. Er war hier und hat es versucht!“ ‚Dann kann Müller nicht der Killer sein!‘, dachte Bernd nervös. ‚Komm zurück, Franziska. Wir bellen hier den falschen Baum an!‘ „Erzähl!“, verlangte Bernd Schuster von seinem Mitarbeiter. „Ich saß mit Julia im Wohnzimmer. Wir pokerten mit Würfeln, um die Zeit totzuschlagen. Er muss sich mit einem Dietrich Einlass verschafft haben. Jedenfalls ging plötzlich das Licht in der Wohnung aus. Julia wollte sich den Sicherungskasten ansehen. Ich dachte an nichts Böses. Da fing sie plötzlich in der Diele fürchterlich zu schreien an. Mann, ich bekam davon weiße Haare. Ich rannte sofort nach draußen. Als der Ripper merkte, dass Julia nicht allein war, nahm er schleunigst Reißaus. Eine gottverdammte Schande ist das, dass ich ihn nicht erwischt habe. Aber da lag Julia auf dem Boden. Quer in der Diele. Ich konnte sie nicht sehen, fiel über sie.“ „Ist sie verletzt?“, fragte Bernd hastig.

„Nein. Nein, sie ist okay, wenn man von dem wahnsinnigen Schock absieht, den sie erlitten hat. Hol’s der Teufel, Bernd. Ich könnte mich in den Hintern treten, dass ich den Kerl entwischen ließ!“ „Du bleibst weiterhin bei Julia, klar?“ „Er könnte wiederkommen, wie?“ „Möglich. Sollte Julia einen Arzt nötig haben, ruf ihn an. Aber weiche nicht von ihrer Seite, hast du verstanden? Und verflucht gut auf das Mädchen auf. Sie schwebt nach wie vor in Lebensgefahr!“ Bernd schob den Hörer in die Halterung. Nicht Müller, jemand anders war der Ripper. Und er trieb sich hier in dieser Gegend herum. Ganz in der Nähe. Bis zu Julia Weinerts Wohnung war es nur ein Katzensprung. Er war also hier. Ganz nahe. Und doch konnte Bernd ihn nicht fassen. Eine Situation, in der sich Bernd nur mit einem herzhaften Fluch Luft machen konnte. Kurt irgendeinen Vorwurf zu machen, war unsinnig. Der Junge hatte bestimmt sein Bestes gegeben und gewiss verbissen um den Erfolg gekämpft. Pech, dass Julia quer vor seinen Füßen gelegen hatte. Und trotz allem konnte man noch von Glück reden, dass die Sache nicht schlimmer ausgegangen war. Bernd konzentrierte sich wieder auf Müller und Franziska. ‚Komm‘, dachte er. ‚Komm, Franziska. Tu dem „Kirchendiener“ den Gefallen. Lass ihn allein. Er bettelt darum. Verlasse seine Wohnung. Wir haben nichts mehr mit ihm zu schaffen‘. Schusters Augen wanderten durch die nächtliche Umgebung. Unweit von hier wollte der Ripper zum dritten Mal zuschlagen. Beim dritten Mal hatte er keinen Erfolg gehabt. Wie würde er mit diesem Ergebnis fertig werden? Aus dem kleinen Empfänger klapperten Franziska Jahns Schritte. Dann hörte Bernd das Haustor gehen. Jetzt hatte seine Assistentin die Straße erreicht. Sie brauchte nur noch den Park zu durchqueren, dann würde die Dunkelheit sie ausspucken, sie würde sich in seinen Wagen setzen, er würde sie trösten müssen, weil sie ihren Ehrgeiz nicht befriedigen konnte.

Plötzlich aus dem Empfänger: „Bernd!“ Es klang aufgeregt, nervös. „Bernd! Ich habe das Gefühl, dass jemand hinter mir her ist!“ Bernd Schuster spürte, wie sich seine Kopfhaut zusammenzog. Der Ripper hatte hier in der Nähe einen für ihn ärgerlichen Misserfolg gehabt ... „Jetzt ist es nicht mehr bloß ein Gefühl!“, sagte Franziska hastig. „Es ist wahr! Da folgt mir jemand!“ Ging der Ripper plötzlich andere Wege? Zum Beispiel den Weg des geringsten Widerstands? Er hatte seinen Mordtrieb noch nicht befriedigen können. Richtete sich jetzt seine Aggression gegen irgendein anderes Mädchen, das ihm über den Weg lief? Franziska Jahn vielleicht? Bernd schnellte aus dem Mercedes. „Eine schwarze Gestalt!“, sagte Franziska. Bernd erinnerte sich, dass auch der Nachtwächter Walter Siebert von einer schwarzen Gestalt gesprochen hatte. Von einer Gestalt, an der irgendetwas nicht gestimmt hatte. Nur was ihn gestört hatte, hatte Siebert nicht sagen können. „Trägt einen Schlapphut!“, flüsterte Franziska aufgeregt. „Kommt auf mich zu ...“ Bernd zog die Beretta und legte den Sicherungsflügel um. Dann raste er in den dunklen Park hinein. „Es – es ist der Ripper!“, keuchte Franziska plötzlich erschrocken. „Ich kann das Messer sehen!“ Bernd stürmte mit Volldampf voraus. „Guten Abend, Julia!“, flüsterte plötzlich eine andere Stimme. Bernd gefror das Blut in den Adern. Der Ripper nannte Franziska Julia, denn er war in dieser Nacht ausgezogen, um Julia zu killen. Franziska Jahn ging in Abwehrstellung. Der Unheimliche stach in derselben Sekunde zu. Atemlos federte das gelenkige Mädchen zurück. Mit pochendem Herzen parierte sie den ersten Angriff. Was sie im Karate-Training gelernt hatte,

kam ihr nun sehr zugute. Ihre Handkante flog auf den Arm des Killers herab. Gleichzeitig versetzte sie dem Kerl mit dem Schlapphut einen kraftvollen Tritt in den Unterleib. Aber der Ripper zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Ein zweites Mal stach er blitzschnell zu. Diesmal verfehlte die lange blitzende Klinge seines Messers Franziskas Körper nur um wenige Millimeter. Und dann sah Bernd die beiden Gestalten. Der Ripper vernahm gleichzeitig Schusters Schritte. Er wirbelte herum. Franziska sprang ihn an, wollte ihn mit einem Handkantenschlag niedermachen, aber lief er plötzlich los. Franziska schlug daneben. Der Schlag war so kraftvoll geführt, dass ihr beinahe der Arm aus dem Schultergelenk sprang, als die Hand ins Leere sauste. „Halt!“, schrie Bernd. Der Ripper erreichte eine Buschgruppe. „Halt!“ Ehe der Ripper sich in das Blattwerk werfen konnte, drückte Bernd Schuster ab. Laut peitschte der Schuss durch die Dunkelheit. Eine grelle Feuerlanze stach aus dem Lauf der Beretta. Sie nahmen die Verfolgung zu zweit auf. Franziska setzte alles ein, um die Sache doch noch in einen Erfolg umzumünzen. Aber der Ripper hatte an diesem Abend zum zweiten Mal mehr Glück, als Verstand. Schuster und Franziska eilten zum Mercedes zurück. Sie fuhren das ganze Gebiet rund um den Park bis zur Zitadelle ab, schließlich noch die gesamte Straße Am Juliusturm. Es blieb dabei: Der Ripper hatte es ein zweites Mal geschafft, unerkannt zu entkommen. Bernd machte einen Bogen und fuhr noch einmal zurück. Er telefonierte mit Inspektor Südermann, erzählte ihm im Telegrammstil, wie es gelaufen war. Horst kündigte an, sofort mit dem Revierleiter Wilhelm Krone loszufahren. Zehn Minuten später waren die beiden zur Stelle. Inzwischen hatte Franziska Jahn Bernd in allen Einzelheiten erzählt, wie sie mit dem Ripper auf Leben und Tod gekämpft hatte. Nun war sie erschöpft. Nicht vom Erzählen, sondern von der höllischen Aufregung, die ihren Kreislauf angegriffen hatte. Schuster bat Krone, Franziska nach Hause zu fahren.

„Mach’ ich gern“, nickte er. „Ich fahre nicht!“, rief Franziska ärgerlich aus. „Ich lasse mich nicht abschieben! Ich bleibe!“ Sie blieb nicht. Bernd brachte sie zum Dienstwagen der Polizisten. Er drückte sie auf den Beifahrersitz, lobte ihren Mut und ihren Einsatzwillen, verwies aber gleichzeitig darauf, dass es nun nichts mehr für sie zu tun gebe. „Und was machen du und Horst noch hier?“, fragte Franziska schnippisch. „Routinearbeit. Es könnte sein, dass wir irgendwelche Spuren entdecken.“ „Ich kann mithelfen ...“ „Du fährst nach Hause und basta!“, knurrte Bernd. Er nickte Wilhelm Krone zu, und der zischte grinsend ab. „Ein resolutes Persönchen“, sagte Horst Südermann schmunzelnd. „Und verdammt mutig.“ „Manchmal beinahe schon zu resolut und zu mutig!“, erwiderte Bernd Schuster. Dann holte er aus dem Kofferraum des 450 SEL eine Stablampe. Zusammen mit dem gewichtigen Inspektor marschierte er in den Park. Während sie gingen, berichtete Bernd die Einzelheiten, die sich hier abgespielt hatten. Sie erreichten die Stelle, wo der Ripper seinen dritten Mord hatte begehen wollen. „Er hat sie Julia genannt“, erzählte Bernd. „Franziska war seine Ersatz-Julia. Du kamst von da. In welche Richtung ist er abgehauen?“ Bernd zeigte auf die Büsche. „Ich hab’ ihm nachgeschossen.“ „Getroffen?“ „Hoffentlich. Ich weiß es nicht.“ „Sehen wir uns den Busch mal an.“ Sie fanden Blut an einem Blatt. „Du hast ihn erwischt“, nickte der Inspektor. Bernd senkte die Nase. Er kroch

förmlich über den Boden. Der Lichtstrahl seiner Stablampe leckte über das weiche Erdreich. „Bleib hinter mir!“, verlangte er aufgeregt. „Weshalb?“ „Eine solche Frage dürfte ein Inspektor der Mordkommission eigentlich nicht stellen.“ „Er hat sie aber nun mal gestellt.“ „Schon mal was von Fußspuren gehört, die du mit deinen riesigen Latschen zerstampfen würdest, wenn du einfach durch den Busch preschst?“ Horst blieb knurrend hinter Bernd Schuster. Plötzlich entdeckte der Detektiv die erste Spur. Dann noch eine, wieder eine und eine vierte. Dann nichts mehr, denn danach kam wieder weicher, teppichdicker Rasen. Er kniete nieder, als wollte er aus Dankbarkeit ein Gebet verrichten. „Was ist?“, fragte Horst hinter ihm. „Hältst du hier ganz allein eine Feldmesse ab?“ „Das Rätsel ist gelöst!“, sagte Bernd. Seine Stimme klang durch die Aufregung, die ihn am Wickel hatte, heiser. „Du weißt, wer der Ripper ist?“, fragte Südermann perplex. „Komm mit, Inspektor, und walte deines Amtes!“, gab Bernd zurück. „Willst du mir nicht verraten ...“ „Auf dem Weg! Nun mach doch endlich, du langsamer Patron. Wie lange soll der Ripper denn noch auf seine Festnahme warten?“

19

Es te alles haargenau zusammen. Bernd präsentierte dem Freund ein lückenloses Puzzle. Wie hatte doch der Nachtwächter Walter Siebert gesagt? An der Gestalt, die ihn niedergeschlagen hatte, hatte irgendetwas nicht gestimmt. Bernd wusste nun, was es war: die Füße. Er hatte im weichen Erdreich die Abdrücke von kleinen Schuhen gefunden. Der Abdruck des linken Schuhs hatte jedoch anders ausgesehen als der des rechten Schuhs. Ein Abdruck war breiter als der andere gewesen, stammte von einem orthopädischen Schuh. Das nächste Puzzle-Steinchen: Franziska Jahn hatte den Ripper in den Unterleib getreten. Jeder Mann wäre daraufhin zusammengeklappt. Der Ripper jedoch war auf den Beinen geblieben. Warum? Weil er eine Frau war. Am Telefon hatte der Ripper geflüstert. Warum? Damit keiner auf die Idee kam, es wäre eine Frau. Eine Frau, die orthopädische Schuhe trug – Clarissa Schultze, die Vorsteherin der Gemeinschaft „Brennendes Kreuz“. „Aber die ist doch blind!“, sagte Horst verwirrt. „Wetten, sie trägt bloß weiße Haftschalen?“ „Und warum?“ „Um Mitleid zu erwecken. Müller nannte sie eine Heilige. Alle Sektenmitglieder waren von ihrer charakterlichen Stärke fasziniert. Blind. Einen Klumpfuß. Aber trotzdem so stark, um anderen Menschen noch helfend unter die Arme greifen zu können. Außerdem: Einer Blinden kann man solche Morde doch unmöglich in die Schuhe schieben.“ Bernd steuerte Clarissa Schultzes „Kirche“ an. Auf den letzten hundert Metern fragte Horst: „Was für ein Motiv unterstellst du ihr, Bernd?“ „Religiöser Wahn. Du hättest sie predigen hören sollen. Aus ihrem Mund schlagen die Flammen der Leidenschaft, gefährlicher Fanatismus ist das bereits. Hostessen sind für sie Dirnen, die zwar nicht auf die Straße, aber doch auf den Strich gehen.“

„Vermutlich war Julia Weinerts Eintritt in die Gemeinschaft Brennendes Kreuz das auslösende Moment für die Mordserie.“ Bernd nickte. „Eine Hostess in ihrer Kirche. Das war ein Sakrileg für sie. Sie holte sich aus Franzens Büro die Liste mit allen Hostessennamen. Die fünfzigtausend D-Mark ließ sie nur nebenbei mitgehen, weil sie sie gut für ihre Kirche brauchen konnte. Und anhand der Liste begann sie die Ripper-Morde zu begehen.“ Sie erreichten die Kirche. Bernd stoppte den Mercedes. Gleich darauf läuteten sie an der Tür. Schwester Clarissa öffnete. Ihre weißen Augen starrten die Männer an. Bernd blickte an der Frau hinunter. Von ihrer rechten Hand tropfte Blut auf den Boden. Sie hatte sich verblüffend gut unter Kontrolle. Obwohl sie große Schmerzen hatte, zuckte ihr Gesicht kaum. Auch Horst Südermann sah die Blutstropfen. „Das Spiel ist aus, Fräulein Schultze!“, sagte der Inspektor schroff. Er leierte den Spruch herunter, den er bei solchen Anlässen von sich zu geben verpflichtet war. Dann klickten die Handschellen um die dünnen Gelenke der erstarrten Frau. „Ich musste es tun!“, keuchte sie zornig. „Verstehen Sie das denn nicht? Ich musste die Welt von diesem menschlichen Müll befreien! Ich musste die Menschheit von diesen verfluchten Parasiten erlösen!“ Clarissa Schultzes Stimme wurde immer lauter, immer schriller. „Ich musste es tun!“, kreischte sie nun mit hassverzerrten Zügen. „Sie haben kein Recht, mich deswegen zu verhaften! Ich habe nichts Unehrenhaftes getan! Ich habe Schweine geschlachtet! Meinem Herrn zu Gefallen! Das hat doch nichts mit Mord zu tun!“ Sie schrie und tobte, riss sich die weißen Haftschalen aus den Augen, starrte Bernd und Horst mit Augen an, in denen abgrundtiefer Hass loderte. Schaumflocken bedeckten ihren Mund. Je mehr sie sich darüber aufregte, festgenommen worden zu sein, desto verrückter wurde sie. Bald hatte sie den letzten Rest von Verstand verloren. Kichernd sank sie zu Boden. „Beim Teufel sind sie!“, lachte sie schrill. „Alle beim Teufel! Und ich – ich habe sie dorthin geschickt!“ Gleich darauf fing sie an, in allen Einzelheiten vom Sterben ihrer Opfer zu

sprechen. Bernd war erschüttert von so viel bestialischer Grausamkeit. In Clarissa Schultzes Privaträumen fand er den schwarzen Umhang und den Schlapphut des Rippers. Auch die Mordwaffe war da. In einem Schrank, nicht einmal hinter irgendwelchen Wäschestücken verborgen, fand Bernd Schuster das Geld, das Dieter Franzen gehörte. Kein einziger Schein fehlte. Bernd brachte Horst mit der Wahnsinnigen zur Keithstraße. Als Südermann mit Clarissa Schultze ausstieg, knurrte er: „Ein bitterer Nachgeschmack wird mir ewig auf der Zunge bleiben.“ „Weshalb?“ „Weil kein Gericht sie für ihre grausamen Taten voll verantwortlich machen wird.“ „Man wird sie in eine geschlossene Anstalt einweisen“, sagte Bernd. „Ob das nun ein Gefängnis ist, oder eine psychiatrische Klinik ist doch von zweitrangiger Bedeutung. Von nun an kann sie keinen Schaden mehr anrichten. Und das betrachte ich als einen großen Erfolg, zum Wohle der Menschheit.“ Er tippte aufs Gas und fegte auf schnellstem Wege nach Hause. Nachdem er Kurt von seinem Posten abgezogen hatte, ging er zu Bett. Aber er konnte lange Zeit nicht einschlafen. Das schaurige Kichern der Verrückten gellte noch bis weit nach Mitternacht in seinen Ohren. Lange vor dem Weckerklingen war er wieder wach. Ein Blick auf die schlafende Franziska an seiner Seite ließ ihn lächeln, dann stand er auf und schlich sich in das Badezimmer. Verwundert stellte er fest, dass die Tür zum Zimmer seiner Tochter nur angelehnt war. Aber er schaute nicht zu Lucy, sondern duschte sich und kam wenig später, nur mit Short und kurzärmeligen Shirt bekleidet in die Küche. „Guten Morgen, Daddy, ich dachte schon, du hast alles vergessen.“ „Vergessen? Aber ich doch nicht, Liebes!“, antwortete Bernd schlagfertig und überlegte fieberhaft, was wohl heute anlag. Dann fiel sein Blick auf den gepackten Matchbeutel seiner Tochter, und siedendheiß fiel es ihm wieder ein. Ein breites Lachen täuschte über seine Verlegenheit hinweg, und er griff schnell zwei Toastscheiben, drückte die Taste herunter und summte dabei eine bekannte Melodie.

„Franzi, er hat nicht verschlafen und nichts vergessen!“, begrüßte hinter seinem Rücken die Siebzehnjährige nun die gerade eintretende Franziska. „Na, war doch klar, du kennst doch deinen Vater!“, antwortete sie lachend und trat neben Bernd, hauchte im einen Kuss auf die Wange und flüsterte dabei nur „Wannsee!“. „Also, bei dem herrlichen Wetter sollten wir aber einen Picknickkorb mitnehmen, Mädels!“, verkündete Bernd fröhlich und reichte Franziska eine der beiden aus dem Toaster springenden Scheiben. „Oh Daddy!“, stöhnte Lucy und verdrehte die Augen. „Was glaubst du wohl, steht schon alles bereit im Kühlschrank? Hier ist der Korb, Thermoskanne, Bestecke, alles schon bereit. Nur ihr beide trödelt wieder! Wir könnten schon die Frühsonne genießen, wenn ihr beide nicht immer wie die Murmeltiere schlafen würdet!“, neckte sie die beiden. „Wir? Murmeltiere?“, verkündeten Franziska und Bernd wie aus einem Mund. „Na, ich will gar nicht wissen, was ihr sonst noch getrieben habt, bevor endlich die Dusche zu hören war!“, antwortete Lucy grinsend. „Aber ich gönne auch euch alten Leuten das bisschen Spaß im Bett, das ihr noch habt!“ „Erlaube mal!“, empörte sich Bernd, dann brachen alle zusammen in schallendes Gelächter aus. Bernd Schuster war glücklich. Das war seine Familie – seine beiden Frauen, die ihm halfen, den furchtbaren Alltag zu vergessen. ENDE

Keine Gnade für Millane

Berlin 1968 Kriminalroman Band 27 von Tomos Forrest & A. F. Morland Das hätte sich Bernd Schuster niemals träumen lassen. Da findet er ausgerechnet in dem Restaurant, in dem er mit Franziska eine Pizza isst, die Tochter eines guten Bekannten tot auf der Toilette. Doris ist eine von den zahlreichen Drogentoten, die Berlin in jedem Jahr verzeichnet. Aber dieser Fall ist anders, ganz anders. Der Vater der Toten ist ein Privatdetektiv und guter Bekannter, und er schwört, dass er alle Verantwortlichen töten wird. Keine angenehme Aufgabe für den Privatdetektiv, den Mann rechtzeitig zu stoppen, bevor er zum Mörder wird...

1

„Also, meine liebe Franzi, ich versichere dir, dass du die beste Assistentin der Welt bist. Na gut, übertrieben – also, du bist die beste Assistentin Berlins. Und dazu eine attraktive Frau, wie Mann sie sich nicht besser wünschen könnte!“ „Oh Bernd, hör schon auf mit diesem Schmus!“, antwortete Franziska und blickte kurz von der Karte auf. „Schließlich bist du es gewesen, der mit mir zum angeblich besten Pizza-Italiener in West-Berlin wollte. Also – warum schleimst du eigentlich so mit mir herum?“ Bernd gab sich den Anschein, beleidigt zu sein. Franziska Jahn, Bernd Schusters Lebensgefährtin und tüchtige Mitarbeiterin, war an diesem Tag besonders fleißig gewesen und Bernd hatte gesagt, dass sie einen Wunsch frei hätte. Sie bat ihn, mit ihr essen zu gehen, und sein Vorschlag, diese Pizzeria aufzusuchen, wurde von Franziska mit Begeisterung aufgenommen. Die beiden studierten die Speisekarte, und die große Auswahl machte es ihnen nicht gerade leicht. Mit halbem Ohr hörte Bernd der Unterhaltung am Nachbartisch zu und musste unwillkürlich grinsen, als er verstand, was dort so angelegentlich besprochen wurde. „Schlecht? Mein Gott, wieso ist dir schon wieder schlecht?“, fragte der junge Mann besorgt. In diesem Moment hätte ihm Bernd zugerufen: ‚Mein Gott, du Esel, dein Mädchen ist schwanger, das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock!‘, aber das war gar nicht nötig. Der junge Bursche wusste es längst und musste nur auf die Spur gebracht werden, um zu verstehen, was seine Frau bedrückte. Die junge, blonde Frau lächelte den Mann an ihrer Seite an. „Krieg doch nicht gleich wieder einen Schock, Martin. Das ist ganz natürlich. Alle Frauen, die ein Kind erwarten, müssen das durchmachen.“ „Den anderen wird aber nur morgens übel.“

„Ich bin eben besonders sensibel. Außerdem ...“ Die junge Frau legte ihrem frisch gebackenen Ehemann die Hand auf den Arm. „Außerdem sagt man, dass es, wenn einer Mutter besonders häufig schlecht wird, ein Junge wird. Und du wünschst dir doch so sehr einen Sohn.“ Damit zog sie sich in Richtung Damentoilette zurück. Die Wände waren mit geschmackvollen Kacheln ausgestattet, aus verborgenen Lautsprechern rieselten typisch italienische Klänge, und über dem Waschbecken hing ein riesiger Spiegel, in dem sich die Schwangere betrachtete. Sie war mit ihrem Aussehen nicht zufrieden, aber welche werdende Mutter ist das schon. Sie öffnete eine der Türen. Und dann war sie es, die einen furchtbaren Schock bekam, denn in der Toilette befand sich ein totes Mädchen, eine Rauschgiftsüchtige. Ihr Arm war noch mit dem Gummischlauch abgebunden, und in ihrer Vene steckte die Nadel der Spritze. Sie hatte sich offensichtlich den goldenen Schuss vert!

2

Die Pizza war groß wie ein Wagenrad und schmeckte vorzüglich. Das Lokal wurde von einem Sizilianer geführt und war ein Geheimtipp in Berlin. Franziska war begeistert. Zu der scharfen Pizza „Diavolo“ tranken sie fruchtigen Valpolicella. Es war ein netter Ausklang für einen arbeitsreichen Tag. Bernd und Franziska versuchten, abzuschalten und nicht über geschäftliche Dinge zu sprechen. Es gelang ihnen recht gut. Es gab genug andere Dinge, über die sie sprechen konnten, ohne dass auch nur eine Minute Langeweile aufkam. Dazu gehörte natürlich auch Lucy, die siebzehnjährige Tochter Bernds aus seiner ersten Ehe. Lucy war mitten im Abitur, und brachte bei den Klausuren sehr gute Noten mit nach Hause. Was den beiden aber Sorge machte, war die Teilnahme Lucys und ihrer Clique an den zahlreichen Demonstrationen, die Berlin derzeit aufrüttelten. Der Krieg in Vietnam war ein Thema, das Studenten, Jugendliche und eine Reihe anderer Bürger regelmäßig auf die Straßen trieb. Hausbesetzungen, weil die Investoren alte Mieter rausekelten, um dann abzureißen und teure neue Wohnungen zu bauen, ein weiterer Grund. Und dann waren die Studenten alles andere als begeistert von der mitunter recht braunen Vergangenheit ihrer Professoren und Dozenten. ‚Unter den Talaren – der Muff von tausend Jahren!‘, war nur einer der üblichen Sprüche, die von den Demonstranten lautstark skandiert wurden. Aber das alles war heute Abend weit weg, sie wollten einfach nur ihre Pizza genießen. Franziska trug einen zyklamfarbenen, modisch weit geschnittenen Hosenanzug, dessen Dekolleté einen sehenswerten Einblick gewährte. Sie war bester Laune, und manchmal blitzte es verschmitzt in ihren veilchenblauen Augen auf. Das blonde Haar floss in weichen Wellen auf ihre wohlgerundeten Schultern. Sie war eine Frau, mit der sich ein Mann überall sehen lassen konnte. Und Bernd war insgeheim sehr stolz darauf, dass sie nun schon seit einigen Jahren nicht nur beruflich eng verbunden waren, sondern auch privat. Zwar behielt Franziska noch immer ihre eigene Wohnung, aber sie blieb auch sehr oft über Nacht in Bernds Wohnung in der Kurfürstenstraße.

Zum italienischen Rotwein rauchte Bernd eine Roth Händle. Er lächelte über den Tisch. „Ist eine Ewigkeit her, dass wir so gemütlich beisammensaßen. Wir sollten das öfter tun.“ „An mir soll’s nicht liegen“, erwiderte Franziska. „Du bist ja immer derjenige, der nie Zeit hat.“ „Das wird sich ändern. Ich verspreche es.“ Franziska wusste, dass es ein leeres Versprechen war. Das war nicht einmal so sehr Bernds schuld. Der Wille wäre ja da gewesen, aber Bernd Schuster war ein vielbeschäftigter Privatdetektiv, und Stunden wie diese waren in seinem Leben dünn gesät. „Ich denke, ich werde wie bisher den Willen für die Tat nehmen“, bemerkte Franziska Jahn mit einem verständnisvollen Lächeln. Bernd blickte an ihr vorbei. In der Nähe der Toiletten tänzelte ein junger Mann, als müsste er dringend mal, aber der Reißverschluss seiner Hose würde klemmen. Franziska folgte seinem Blick. „Der Mann scheint ein Problem zu haben.“ „Es gibt Dinge, die muss man allein durchstehen“, bemerkte Bernd schmunzelnd, aber einen Augenblick später wurde er ernst, denn aus der Damentoilette wankte eine junge Frau, grün im Gesicht. Der Mann schien auf sie gewartet zu haben. Bestürzung erfasste ihn. Er eilte auf die junge Frau zu, die sich noch zwei Schritte weiterschleppte, dann wurden ihre Knie weich. „Da ist irgendetwas nicht in Ordnung“, sagte Bernd und stand auf. „Entschuldige mich einen Augenblick, Franziska.“ „Jana, um Himmels willen, was ...“, stammelte der junge Mann. Bernd erreichte die beiden. „Kann ich helfen?“ „Meine Frau ... Sie erwartet ein Baby ... Ihr ist schlecht“, sagte der Mann.

Jana klammerte sich zitternd an ihn. Er bat sie, etwas zu sagen, fragte, ob sie ein Glas Wasser brauche, wollte, dass sie sich setzte, doch sie schüttelte den Kopf. „Es ... ist nicht ... weil ich schwanger bin, Martin ...“ „Was ist es dann?“, fragte der junge Mann besorgt: „In der Toilette liegt ein totes Mädchen ...“ Kaum hatte Jana das ausgesprochen, da wurden ihre Worte von dem schrillen Schrei einer Frau bestätigt. Bernd ließ die beiden allein und rannte dem Schrei entgegen. Er stieß die Tür auf. Zuerst sah er die Frau, dick, knallrot im Gesicht, mit offenem Mund. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in eine der Kabinen und schien sich von dem, was sie sah, nicht losreißen zu können. Bernd packte sie fest an den Schultern. Sie schrie sofort noch lauter. Bernd drehte sie herum und schob sie zur Tür hin, dann trat er vor die offene Kabine, und ihm war, als hätte ihn jemand mit Eiswasser übergossen. Bernd Schuster kannte die Tote.

3

Sie saß auf der Brille, lehnte schräg an der Wand, hatte die Augen weit offen und starrte mit gebrochenem Blick ins Leere. Sie war ein hübsches, junges Mädchen. Ihr brünettes Haar hing ihr ins Gesicht. Ein Ausdruck grenzenlosen Erstaunens prägte ihre Züge. Sie schien nicht fassen zu können, dass sie nicht mehr lebte ... ‚Verdammter, verrückter Zufall‘, dachte Bernd wütend. Er hatte das Mädchen vor zwei Jahren kennengelernt, sie und ihren Vater. Damals war Doris siebzehn gewesen, so alt, wie seine Lucy heute. Jetzt war Doris neunzehn - und tot! Der ganze Stolz ihres Vaters war sie gewesen. Marc Walther hatte mit ihr regelrecht geprahlt. Er hatte sie so sehr geliebt, wie ein Vater seine Tochter nur lieben kann. Marc Walther, Privatdetektiv, ein Kollege von Bernd. Sie hatten damals gemeinsam einen Fall gelöst und in der weiteren Folge hin und wieder miteinander zu tun gehabt. Walther war ein tüchtiger Mann, hartnäckig und ehrlich, unbestechlich und rau, jedenfalls äußerlich und im Umgang mit Verbrechern. Bei Doris war er immer weich wie Butter gewesen. Doris, sein ein und alles, lebte nicht mehr. ‚Das wird ihn um den Verstand bringen‘, dachte Bernd. Das Kreischen der Frau lockte viele Neugierige an. Der Besitzer der Pizzeria erschien in der Damentoilette, und als er die Tote erblickte, bekreuzigte er sich und stöhnte: „Madonna mia! Warum hier? Warum ausgerechnet in meinem Lokal? Ich kann zusperren. Ich bin ruiniert ... Santa Maria ...“

Bernd verließ die Toilette. Ein Mann griff nach seinem Arm, als er sich durch die Menge der Neugierigen schob. „He, was ist denn dort drinnen los?“ „Keine Ahnung.“ „Aber sie kommen doch ...“ Bernd riss sich los und kehrte zu Franziska Jahn zurück. Er erzählte ihr, wen er gesehen hatte. „Gehen wir“, sagte er schließlich und legte Geld auf den Tisch. Franziska griff wortlos nach ihrer Handtasche und erhob sich. Sie verließen die Pizzeria, in der jetzt der Teufel los war, begaben sich zum Parkplatz, der sich hinter dem Haus befand, und stiegen in Bernd Schusters silbergrauen Mercedes 450 SEL. „Wieder mal ein verdorbener Abend“, sagte Bernd. „Tut mir leid, Franziska.“ „Dafür kannst du doch nichts. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, erwiderte sie. „Was wirst du jetzt tun?“ „Was dagegen, wenn ich dich nach Hause bringe? Ich muss zu Marc Walther. Ich fürchte, dass er durchdreht.“ Franziska kannte Walther nicht persönlich, aber sie wusste von Bernd, dass er bisher stets ein besonnener Mann gewesen war. „Er könnte den Kopf verlieren?“ Bernd nickte. „Und eine schreckliche Dummheit begehen, die auch ihn das Leben kostet. Er hing sehr an seiner Tochter. Seit einem Jahr wohnte sie nicht mehr bei ihm, hatte eine eigene kleine Wohnung.“ „Gut, lass uns in die Kurfürstenstraße fahren. Ich bleibe bei dir, bis Lucy nach Hause kommt. Du kannst dir wohl denken, warum.“ Bernd startete den Motor und fuhr los. „Warum blieb Doris nicht bei ihrem Vater?“, wollte Franziska wissen.

„Die Jugend will frei sein, nicht immer kontrolliert werden bei allem, was sie tut, und Rechenschaft ablegen müssen.“ „Und das kommt dabei heraus.“ „Nicht immer. Aber manchmal wird der Begriff Freiheit leider falsch verstanden.“ „So viel ich von dir weiß, war Doris Walther ein anständiges Mädchen“, sagte Franziska. „Was ist iert, dass sie anfing, harte Drogen zu nehmen?“ „Hast du schon mal von Franco Millane gehört?“ „Rauschgifthandel, Prostitution“, sagte Franziska wie aus der Pistole geschossen. „Aber was hat Millane mit Doris Walther zu tun?“ „Es schwirrte da so ein Gerücht durch die Gegend, Doris wäre in Millanes Dunstkreis geraten. Ich schnappte es irgendwann mal auf, wollte es jedoch nicht glauben. Ich hielt es für ein haltloses Gerücht. Doch nicht Doris Walther, sagte ich mir. Aber ich hatte mich geirrt.“ „Wenn Millane Mädchen braucht, macht er sie zuerst drogenabhängig, und dann lässt er sie anschaffen.“ Bernd kniff die Augen grimmig zusammen. „Der Kerl ist mir schon lange ein Dorn im Auge. Sollte er tatsächlich schuld sein an Doris‘ Tod, direkt oder indirekt, bringe ich ihn zu Fall.“ „Weiß Marc Walther das von Doris und Millane auch?“ „Das ist zu befürchten“, antwortete Bernd. Er lenkte in die Parkstraße, die von der Kurfürstenstraße direkt abzweigte. Hier gab es einst eine Ladenzeile, und die Kunden konnten direkt zum Einkaufen vorfahren. Als Bernd Schuster seine Scheidung hinter sich gebracht hatte und von Frankfurt nach Berlin übersiedelte, entdeckte er eines Tages die leerstehende Immobilie, weil er eine Eigentumswohnung im Haus dahinter besichtigte. Damit waren seine Würfel gefallen – im ehemaligen Laden entstand die Detektei, im 14. Stock lebte er zusammen mit Tochter Lucy – und eben Franziska. Bevor sie jetzt ausstieg, erkundigte sie sich:

„Kann ich nicht auch irgendetwas tun, Bernd?“ „Vielleicht später. Im Moment nicht. Ich bin dir dankbar, wenn du bei Lucy bist.“ „Sie kannte doch sicher Doris, oder?“ „Ja, aber nur flüchtig. Am besten, du erzählst ihr noch nichts von der Sache.“ „Ich drück dir die Daumen, Bernd.“ „Drück sie nicht mir, sondern Walther.“ „Ich drück sie euch beiden“, sagte Franziska, küsste Bernd auf die Wange und stieg aus. Er fuhr sofort weiter.

4

Sein Büro hatte Marc Walther in Charlottenburg, in der Carmerstraße. Hier traf Bernd Schuster den Kollegen nicht an. Sein Name stand an der Milchglasscheibe der Tür. Dahinter war es finster, und die Tür war abgeschlossen. Im benachbarten Büro schepperte eine Putzfrau mit dem Eimer. „Wenn Sie zu Herrn Walther wollen, müssen Sie morgen wiederkommen“, sagte sie, eine stämmige, resolut aussehende Frau, die sich ein Kopftuch umgebunden hatte, wie es Bernd noch in Erinnerung von seiner Großmutter hatte. Die beiden Zipfel standen nach oben vom Kopf ab wie zwei Hasenohren. „Er hat sein Büro bereits am frühen Nachmittag geschlossen. Die Arbeit scheint ihm mal wieder über den Kopf zu wachsen. Ist kein Wunder bei den vielen Verbrechern, die es in unserer Stadt gibt.“ Bernd kehrte zu seinem Mercedes zurück und fuhr zu dem Haus, in dem Marc bis vor einem Jahr gemeinsam mit seiner Tochter gewohnt hatte. Bernd erinnerte sich an Doris. Man hatte sich mit ihr gut unterhalten können. Sie war ein vernünftiges, intelligentes Mädchen gewesen. Dass sie mal Rauschgift nehmen würde, hätte sich Bernd nicht träumen lassen. Aber es gibt so viele gemeine, hinterhältige Tricks, junge Mädchen drogenabhängig zu machen, und Franco Millane kannte sie alle. Millane war mit allen Wassern gewaschen. Natürlich war er in der Keithstraße bekannt, es gab eine Akte über ihn, aber mit Ausnahme einiger kleinerer Vergehen konnte man ihm nichts nachweisen. Millane verdiente sein Geld mit italienischen Restaurants in West-Berlin und in West-Deutschland – jedenfalls war das sein Aushängeschild. Daneben betrieb er jedoch sein eigentliches Gewerbe und galt in der Berliner Unterwelt als einer der größten Verbrecher. Sollte Walther rotsehen und Millane frontal angreifen, würde er überhaupt nichts

erreichen. Was man gegen Franco Millane unternahm, musste man sich vorher reiflich überlegen, sonst drehte der Gangster den Spieß um. Bernd hielt nach einer Parkmöglichkeit Ausschau. Vier Minuten später stand er vor Walthers Tür. Er wünschte sich, dass sein Kollege noch nicht wusste, welches Schicksal Doris ereilt hatte. Er wollte es ihm dann so schonend wie möglich beibringen. Da er Walther kannte, traute er sich zu, die richtigen Worte zu finden. Er läutete, aber Walther öffnete nicht. Er schlug mit der Faust gegen die Tür, rief den Kollegen und nannte seinen Namen. Entweder wollte Marc Walther niemanden sehen, oder er war tatsächlich nicht zu Hause. Beides missfiel Bernd. Er begab sich in die Eckkneipe, unfern seiner Wohnung, Walthers Stammlokal, doch da war der Mann auch nicht. Bernd bat den Wirt um ein Bier und enterte einen Barhocker. Sofort näherte sich ihm eine Frau, deren berufliche Tätigkeit auf einen Blick zu erkennen war. „Darf ich dir Gesellschaft leisten, Großer?“ „Lieber nicht. Ich habe schlechte Laune“, antwortete Bernd. „Das kann ich ändern.“ „Glaub ich kaum.“ „Stell mich auf die Probe“, sagte die Rothaarige, strich ihr eng sitzendes Kleid an den Hüften glatt, ließ die Zunge über die vollen, sinnlichen Lippen huschen. Sie wäre bestimmt ein Erlebnis gewesen, doch Bernd hatte anderes im Kopf. „Wird‘ nicht lästig!“, knurrte der Wirt. „Schwirr ab!“ Die Rothaarige erdolchte ihn mit einem wütenden Blick und zog sich in einen Schmollwinkel zurück. Bernd lächelte. „Vielen Dank für die Hilfe.“

„Diesen Mädchen fehlt manchmal das Fingerspitzengefühl. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass ein Mann nicht immer in Stimmung ist, mit ihnen ins Bett zu gehen, wo sie doch so umwerfend gut aussehen.“ Bernd wies auf sein Bier. „Trinken Sie eins mit?“ „Sehr gern.“ Das Bier wurde gezapft, und Bernd erkundigte sich: „Halten Sie es für möglich, dass sich Marc Walther heute noch mal hier blicken lässt?“ „Marc? Der kann immer zur Tür hereinschneien. Er ist einer von den Leuten, die die Uhr nicht kennen. Die Zeit scheint für ihn keine Bedeutung zu haben. Manchmal schläft er am Tag, dann wiederum in der Nacht oder schnell zwischen zwei Fällen. Sein Leben ist von Unregelmäßigkeit geprägt. Ich mag ihn. Sollte ich mal in Schwulitäten geraten, würde ich mich nur an ihn wenden.“ „Würden Sie ihm etwas bestellen, wenn Sie ihn heute noch sehen?“ „Selbstverständlich.“ „Sagen Sie ihm, er soll mich anrufen. Egal, wann. Ich bin für ihn immer zu erreichen.“ Bernd grinste. „Ich führe nämlich ein ebenso unregelmäßiges Leben wie er.“ Bernd legte seine Karte und einen Geldschein auf den Tresen. Er hoffte, dass sich Marc Walther bald melden würde. Doch sein Kollege tat ihm diesen Gefallen nicht.

5

Am darauffolgenden Tag trieben Bernd und Franziska die Telefonrechnung in die Höhe. Sie riefen abwechselnd bei Marc Walther zu Hause an, dann im Büro, schließlich telefonierten sie mit einer Menge von Leuten, die Marc Walther kannten. Alle versprachen, zurückzurufen, sobald sich Walther bei ihnen blicken ließ. Inzwischen stand es in allen Zeitungen, dass Doris nicht mehr lebte. Einige Blätter brachten sogar ein geschmackloses Foto von der Toten auf der Toilette. Bernd drehte es den Magen um. Franziska Jahn servierte ihm ihren sagenhaften, herrlich duftenden Kaffee. „Es wird Krieg geben zwischen Walther und Millane, nicht wahr?“, sagte sie. „Sieht so aus, als würde sich Marc Walther darauf vorbereiten, und damit ihm niemand ins Gewissen reden kann, ist er untergetaucht.“ Bernd zündete sich eine Roth Händle an. Franziska fuhr fort: „Wenn sich die Mafia auf einen großen Schlag vorbereitet, lässt sie ihre Leute vorher auch untertauchen. 'Auf die Matratzen gehen' nennen sie das.“ Bernd schaute seine Sekretärin überrascht an. „Donnerwetter, woher bist du denn so gut informiert? Und du verbindest ja auch gleich wie diese Presseheinis, Millane mit der Mafia. Da wäre ich behutsamer. Er könnte auch für die Cosa Nostra arbeiten.“ „Ich hab’s gelesen, und es ist mir auch egal, welche Verbrecher mit Millane zusammenarbeiten.“ „Die Zeitungen hätten die Sache wohl kaum so aufgebauscht, wenn Doris nicht die Tochter eines Privatdetektivs gewesen wäre“, brummte Bernd. „Frau von Staatsanwalt erhängt sich. Sohn des Polizeipräsidenten begeht Fahrerflucht.

Tochter eines Privatdetektivs stirbt am goldenen Schuss. Das sind Sensationen, die man sich nicht entgehen lässt.“ „Wie muss Walther zumute sein, wenn er dieses Geschmiere liest?“ „Wie muss ihm überhaupt zumute sein?“ Erst vierundzwanzig Stunden nach Doris‘ tragischem Ende erfuhr Bernd Schuster, wo sich Walther befand. Bernd fuhr sofort hin und traf Marc Walther tatsächlich an. Der Kollege saß allein an einem Tisch. Er hatte glasige Augen. Vor ihm stand ein Whisky. Bernd drückte dem Mann, der ihn angerufen hatte, einen Schein in die Hand. „Er hat irgendetwas vor“, sagte der Mann. „Und es ist bestimmt nichts Gutes.“ „Schon gut, ich kümmere mich um ihn“, erwiderte Bernd und begab sich zu Walthers Tisch. „Ist es erlaubt?“ Der Privatdetektiv hob langsam den Kopf. ‚Alt ist er geworden‘, dachte Bernd. Er hatte ihn vor einem Monat zum letzten Mal gesehen, und bis gestern hatte sich Marc bestimmt nicht verändert Er war innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden um mindestens zehn Jahre älter geworden. Es zuckte in Walthers Durchschnittsgesicht. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. „Bernd“, sagte er. Es klang unendlich müde. „Hallo, Marc.“ „Du hast mich gesucht.“ Bernd setzte sich und bot Walther eine Roth Händle an. „Ich suche dich schon seit gestern, Marc.“ „Ich weiß.“ „Warum hast du dich nicht bei mir gemeldet?“

„Ich wollte allein sein, will es immer noch.“ „Tja, ich fürchte, du musst dich jetzt damit abfinden, dass ich hier bin.“ „Was willst du?“ „Du weißt es, Marc. Du bist ein kluger Bursche“, sagte Bernd. „Na schön, ich weiß es. Du willst mir ins Gewissen reden, aber ich möchte nichts hören!“ „Du bist verbittert, ich kann das verstehen.“ Marc Walther schüttelte den Kopf. „Nein, Bernd, das kannst du nicht, denn wie würdest du wohl reagieren, wenn man deine Lucy in dieser Situation gefunden hätte? Man zieht ein Kind groß, sorgt sich, sieht zu, wie es wächst, schenkt ihm all seine Liebe. Wenn es weint, ist man traurig. Wenn es lacht, scheint für einen die Sonne. Man hat einen Lebensinhalt, weiß, dass man nicht umsonst gelebt hat, dass man weiterleben wird, zuerst in der Tochter, dann in den Enkelkindern. Man ist stolz und lebt ein erfülltes Leben. Und plötzlich ... Es trifft dich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Polizei kommt zu dir und sagt dir, dass du mit einem Schlag dein ganzes Glück verloren hast. Du glaubst es ihnen nicht, aber sie zeigen dir Fotos, die dir das Herz brechen, und dann musst du es glauben. Du würdest am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen, damit das schreckliche Schreien und Wehklagen in dir aufhört, doch du tust es nicht, starrst die fremden Menschen nur an und weißt, dass keiner von ihnen dir helfen kann.“ „Ich kann dir helfen, Marc“, sagte Bernd ernst. Er gab Walther Feuer, zündete auch seine Zigarette an. Marc Walther schüttelte wieder den Kopf. „Nein, Bernd, auch du kannst mir nicht helfen. Nur ich selbst kann es.“ „Ich fürchte, ich weiß, wie diese Hilfe aussieht, Marc.“ „Mach dir um mich keine Sorgen, Bernd. Ich steh’s irgendwie durch, und wenn nicht, ist es auch egal. Es gibt niemanden mehr auf der Welt, der mich braucht.“ „So darfst du das nicht sehen“, widersprach ihm Bernd. „Du bist ein guter

Privatdetektiv. Viele Menschen sind auf deine Hilfe angewiesen, weil sie sich selbst nicht helfen können. Sie brauchen dich.“ „Ich kann mich um ihre Probleme nicht mehr kümmern. Ich habe jetzt meine eigenen.“ „Du willst dich mit Franco Millane anlegen.“ „Vielleicht.“ „Ich habe auch eine ganze Menge gegen Millane. Warum nehmen wir ihn nicht zusammen aufs Korn?“ „Du machst mir dieses Angebot doch nur, um mich unter Kontrolle zu haben.“ „Ich mache es dir in erster Linie deshalb, weil ich Doris mochte. Ich habe sie gestern gesehen, Marc. Ich war zufällig mit Franziska in dieser Pizzeria. Es war nicht leicht für mich zu verdauen. Warum tun wir uns nicht zusammen und sagen Franco Millane gemeinsam den Kampf an?“ „Du würdest mich ständig bremsen.“ „Ich würde lediglich darauf achten, dass du nicht in dein Unglück rennst. Was wäre falsch daran, Marc?“ „Ich wäre dir dankbar, wenn du mich in Ruhe ließest, Bernd“, sagte Walther und nahm einen Schluck von seinem Whisky. „Du kannst alles von mir verlangen, nur das nicht“, erwiderte Bernd Schuster. „Wieso sitzt du übrigens hier und nicht in deinem Stammlokal?“ „Darf ich meinen Whisky nicht trinken, wo ich will?“ „Aber ja doch. Wenn er dir auf einmal hier besser schmeckt, warum nicht?“ Die Eingangstür öffnete sich, und durch Walthers Körper ging ein Ruck. Bernd bemerkte es sofort. Hass loderte auf einmal in Marc Walthers Augen. Bernd wandte den Kopf und erblickte einen kräftigen, untersetzten Mann mit buschigen Brauen, die über der Nasenwurzel zusammengewachsen waren.

Sein Name war Tom Nöhrig, und es war bekannt, dass er dealte. Seinetwegen war Walther hier.

6

Marc Walther erhob sich, während Nöhrig zum Tresen schritt. „He, Nöhrig!“, knurrte er. „Ich habe auf dich gewartet.“ Der untersetzte Dealer blieb stehen und fixierte den Privatdetektiv. Ein verächtlicher Ausdruck spielte um seine dünnen Lippen. „Was liegt denn an, Walther?“, fragte er lauernd. „Seit du dieses Lokal betreten hast, stinkt es hier ganz erbärmlich. Verwendest du Jauche statt Rasierwasser?“ „Du kannst ja gehen, wenn dir mein Geruch nicht zusagt“, erwiderte Nöhrig grinsend. „Du bist ein mieses, feiges Schwein, Nöhrig!“ „Gib dir keine Mühe. Ich lasse mich von dir nicht provozieren“, erwiderte der Gangster gelassen. „Du trägst eine Waffe. Bist du zu feige, sie zu benutzen?“ „Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte.“ „Was trägst du sonst noch bei dir? Vielleicht auch Stoff? Lass mal sehen!“ „Sag mal, was willst du von mir? Ich bin ein friedlicher, unbescholtener Bürger, der hier in aller Ruhe sein Bier trinken möchte ...“ „Leer deine Taschen! Na mach schon!“ „Du warst ja noch nie besonders hell, aber nun scheinst du völlig den Verstand verloren zu haben.“ „Ich weiß, dass du für Franco Millane dealst. Du verkaufst sein verdammtes

Dreckszeug, hast auch meine Tochter beliefert.“ Tom Nöhrig schüttelte grinsend den Kopf. „Also, was man sich alles aus dem Finger saugen kann.“ „Greif endlich zur Waffe, du Ratte, damit ich dich abknallen kann!“ „He, ist denn keiner hier, der mir diesen Wahnsinnigen vom Hals schafft? Oder ist West-Berlin jetzt plötzlich in Texas?“ Stille herrschte in der Bar. Wie erstarrt saßen die Gäste an den Tischen. Nur Bernd Schuster bewegte sich. Er stand auf. „Doris ist tot!“, fauchte Walther. „Ich habe mir geschworen, alle fertigzumachen, die schuld an ihrem Tod sind. Dich, Millane - alle! Ihr habt sie auf dem Gewissen, und dafür müsst ihr bezahlen. Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ „Marc!“, sagte Bernd Schuster. „Halt dich da raus, Bernd!“, rief Walther. „Es wird Zeit, dass jemand dieser Brut den Kampf ansagt. Man muss diese Hyänen vernichten, sonst werden sie immer mehr.“ „Du leidest an einer gefährlichen Form von Verfolgungswahn, mein Lieber“, spottete Tom Nöhrig. „Überall sind Feinde. Alle sind hinter dir her, nicht wahr? Und wenn es ein Unglück gibt, sind immer die andern schuld.“ „Greif zur Waffe, damit ich dich erschießen kann!“, verlangte Marc Walther. „Ich sagte doch schon - wir sind hier nicht im Wilden Westen.“ Walther bebte vor Wut und Hass. „Lass es genug sein, Marc“, sagte Bernd Schuster. Er trat hinter den Kollegen und legte ihm die Hand auf die Schulter. Walther schüttelte die Hand jedoch ab, trat einen Schritt vor und schlug Nöhrig mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Schlag traf den Untersetzten völlig unvorbereitet. Der Mann fiel gegen den Tresen. Walther setzte nach. Wieder traf er Nöhrig schmerzhaft.

Der Gangster schrie: „Haltet mir den Irren vom Leib!“ Der Einzige, der eingriff, war Bernd Schuster. Als Marc Walther den Dealer zum dritten Mal traf, verlor dieser die Beherrschung. Seine Hand stieß ins Jackett. Genau das wollte Marc Walther erreichen. Er hatte die Absicht, Tom Nöhrig in Notwehr zu erschießen, doch das ließ Bernd Schuster nicht zu, er sprang dazwischen und hielt Nöhrigs Arm fest. „Lass die Waffe stecken, Mann!“, verlangte er hart. „Marc ist betrunken.“ „Er hat mich geschlagen.“ „Du wirst es überleben. Verschwinde! Geh nach Hause oder trinke dein Bier woanders!“ Nöhrig entspannte sich. Bernd merkte es und ließ ihn los, aber er ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. „Verdammt, Walther, das wird ein Nachspiel haben“, knirschte der Dealer und verließ die Bar. In die Gäste kam wieder Leben. Sie redeten aufgeregt durcheinander. Beinahe wären sie Zeugen einer Schießerei geworden. Bernd Schuster drehte sich zu seinem Kollegen um. „Setz dich, Marc!“ „Warum hast du dich eingemischt, Bernd?“, fragte Walther wütend. „Ich musste verhindern, dass du einen Mord begehst.“ „Es wäre Notwehr gewesen.“ „Es wird Zeit, dass du Vernunft annimmst, Marc“, sagte Bernd schneidend. „Du bist Privatdetektiv. Deine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das Gesetz geachtet wird. Du darfst dich nicht benehmen wie Charles Bronson im Kino, verdammt noch mal.“ „Und du hast kein Recht, dich in meine Angelegenheiten zu mischen!“, schrie Marc Walther.

„Ich nehme es mir einfach“, erwiderte Bernd kühl. „Und jetzt gehen wir.“ „Wohin?“ „Ich bringe dich nach Hause.“ „Ich will nicht heim.“ „Das kümmert mich nicht“, sagte Bernd, griff ihm unter die Achsel und schleppte den Kollegen ab.

7

Tom Nöhrig stoppte seinen BMW vor einem Schnellimbiss. Er war nicht weit gefahren. Jetzt knipste er die Innenbeleuchtung an und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Der Schnüffler hatte ganz schön zugeschlagen. Die Oberlippe war dick, ein Schneidezahn wackelte, und Nöhrig hatte den süßlichen Geschmack von Blut im Mund. „Das wirst du büßen, Walther!“, fauchte er. Er war froh, dass er die Waffe nicht gezogen hatte. Beinahe hätte er es getan. Es war nicht ratsam, vor so vielen Zeugen auf einen Mann zu schießen. Besser war es, auf eine günstige Gelegenheit zu warten und Walther dann in den Rücken zu ballern. Nöhrig kämmte sich, brachte sein Äußeres in Ordnung, soweit dies möglich war, und stieg aus. Der Imbiss gehörte einem Freund von ihm. Hier traf sich viel Jugend, und wenn Millane Nachschub für seine Truppe brauchte, sah sich Nöhrig hier für ihn um. Auch Doris Walther war hier kleben geblieben. Sie hatte Liebeskummer gehabt. Ein Freund hatte sie angerufen und ihr gesagt, dass eine andere von ihm ein Kind erwarte und er sie heiraten würde. Nöhrig hatte die Weltuntergangsstimmung des Mädchens erkannt und geschickt ausgenützt. Natürlich hatte er sich nicht selbst um Doris gekümmert. Erstens war er nicht jung genug für sie und auch nicht schön genug gewesen. Deshalb hatte er Siggi Hansen eingespannt. Siggi war süchtig und froh, ihm einen Gefallen erweisen zu dürfen, denn Tom Nöhrig bezahlte mit gutem Stoff.

Es war Hansen nicht schwergefallen, Doris herumzukriegen, und schon nach ganz kurzer Zeit war sie so süchtig gewesen, dass sie alles machte, was man von ihr verlangte. Erst hinterher hatte Nöhrig herausgefunden, dass es sich um die Tochter eines Privatdetektivs handelte, doch weder er noch Franco Millane hatten sich deswegen Gedanken gemacht. Doris war in Millanes Truppe eingegliedert worden und hatte gutes Geld für ihn verdient. Leider nur kurze Zeit, aber so etwas kam immer wieder vor. Doris würde zu ersetzen sein, und ihr Vater würde auch bald auf dem Friedhof liegen. Sven Wolters hieß der Mann, dem der Imbiss gehörte. Ein schwarzhaariger Bursche, elegant, ein Playboy, den seine Spielchen mit den jungen Dingern eine Menge Geld kosteten. Aber das störte ihn nicht. Er machte gute Umsätze, und was er nicht mit seinen Hamburgern und Currywürsten verdiente, floss aus Franco Millanes Kasse in seine Taschen, wenn er diesen oder jenen Job erledigte. „Sag mal, wie siehst du denn aus?“, fragte Wolters, als er Nöhrig erblickte. „Ich habe mit Sylvester Stallone für Rocky gesparrt.“ „Unfall gehabt?“ Tom Nöhrig erzählte, was iert war. „Verdammt, Walther hat das Kriegsbeil ausgegraben“, sagte Sven Wolters heiser. „Kriegst du deswegen etwa das große Hosenflattern?“ „Er könnte immerhin auf die Idee kommen, mich zu besuchen, und mir eine Menge Ärger machen.“ „Von dir will er nichts.“ „Seine Tochter traf in meinem Laden mit Siggi Hansen zusammen.“

„Er ist scharf auf mich und Millane. Du interessierst ihn nicht. Im Übrigen nimmt bei ihm bereits der Totengräber Maß. Er hat keine Zeit mehr, dir noch irgendwelchen Ärger zu machen.“ Wolters grinste breit. „Das hört sich beruhigend an.“ Nöhrig begab sich mit seinem Freund in dessen Büro, ließ sich ein Bier geben und rief Franco Millane an, aber die Leitung war besetzt. Er legte den Hörer auf die Gabel und griff nach dem Bier. Sven Wolters sagte: „Am Samstag steigt eine Party bei Freunden. Da kommen ’ne Menge schnuckeliger Miezen hin. Alle blutjung und so scharf wie eine Packung schwedischer Rasierklingen. Möchtest du mitfeiern?“ „Wäre nicht schlecht, aber ich weiß noch nicht, ob ich Zeit habe.“ „Ruf mich an, sobald du es weißt. Du würdest es bestimmt nicht bereuen. Was die Mädels draufhaben, lässt dich die Wände hochgehen.“ „Ich sehe zu, dass ich kommen kann.“ „Es wird dein Schaden nicht sein.“ Tom Nöhrig wählte noch einmal Millanes Nummer, und diesmal hatte er Erfolg. Er bekam den Mann, für den er arbeitete, an die Strippe und erzählte ihm, was sich ereignet hatte. Franco Millane war nicht überrascht, das zu hören. „Als ich in der Zeitung von Doris‘ Tod las, wusste ich, dass der Schnüffler den Verstand verlieren würde“, sagte er. „Es wäre früher oder später auf jeden Fall zu einer Konfrontation mit ihm gekommen. Schließlich hätte es sich nicht ewig verheimlichen lassen, dass Doris für mich arbeitet.“ „Was schlägst du vor, Franco?“ „Klar, dass der Mann ins Gras beißen muss.“ „Soll ich das übernehmen?“ „Ich habe jetzt wenig Zeit, muss zu einer wichtigen Verabredung. Wir reden so bald wie möglich darüber. Vorläufig gehst du dem Amokläufer besser aus dem

Weg.“

8

„Bist du mit deinem Wagen hier, Marc?“, fragte Bernd Schuster. „Nein. Ich habe mir ein Taxi genommen. Verdammt, Bernd, warum bist du dazwischen gegangen?“ „Das habe ich dir bereits erklärt. Fang nicht wieder damit an. Finde dich damit ab, dass es nicht geklappt hat. Bei dir zu Hause werden wir uns ausführlich darüber unterhalten, wie wir gegen Franco Millane vorgehen.“ „Ich will nicht nur Millane. Ich will sie alle.“ „Der Kopf ist Millane. Schlägst du einer Klapperschlange den Kopf ab, ist sie erledigt. Mit Millane fallen auch alle andern.“ Sie stiegen in den Mercedes. „Wenn ich deine Unterstützung akzeptiere, muss ich mich auch mit deinen Spielregeln einverstanden erklären“, sagte Walther. „Das ist klar. Glaub mir, sie sind besser als deine.“ „Besser?“, zweifelte Walther. „Doris ist tot. Diese Gangster aber werden am Leben bleiben.“ „Aber sie werden ihr Leben hinter Gittern verbringen.“ „Wie lange, Bernd? Wie lange? Franco Millane kann sich die besten und gerissensten Anwälte leisten. Was glaubst du, wie viele Jahre er für seine vielen Verbrechen bekommt? Er wird vor Gericht stehen und über uns lachen.“ Bernd fuhr los. „Wir werden dafür sorgen, dass ihm das Lachen im Hals stecken bleibt.“ Es herrschte wenig Verkehr. Sie kamen gut durch. An manchen Straßenecken stand lichtscheues Gesindel. Junkies, Nutten, Transvestiten. Sie kamen nur

nachts aus ihren Löchern. Am Tag waren sie nicht zu sehen. Bernd parkte den Mercedes fast an derselben Stelle wie vor vierundzwanzig Stunden. Walthers weißer Porsche 911 stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie betraten das Haus, in dem Walther wohnte. Bernds Kollege schloss wenig später eine braun lackierte Tür auf. Sie betraten eine Vier-Zimmer-Wohnung, die nicht luxuriös, aber sehr geschmackvoll eingerichtet war. Bernd wusste, dass Doris ihrem Vater beim Auswählen einiger Möbelstücke behilflich gewesen war. Die Mutter des Mädchens war kurz nach der Geburt an einer heimtückischen Krankheit gestorben. Man hatte Walther empfohlen, das Kind in einem Heim unterzubringen, doch davon hatte er nichts wissen wollen. Ein Heim hätte ihm Doris zu sehr entfremdet. Sie kam in ein Tagesheim, war jeden Abend bei ihrem Vater, und an den Wochenenden gehörte sie ihm ganz. „Wir waren glücklich zusammen, bis vor einem Jahr“, sagte Walther traurig. Nach dem Eintreten öffnete Marc Walther die gegenüberliegende Tür. Obwohl Doris‘ Freiheitsdrang sie veranlasste, auszuziehen, war dies immer noch ihr Zimmer. Walther machte Licht. Auf dem Bett saß eine lächelnde Puppe in einem rosafarbenen Kleid. An den Wänden klebten Poster von Filmschauspielern und Popstars, darunter auch ein Starschnitt aus der Bravo. Es war das typische Jungmädchenzimmer, mit ein bisschen Kitsch und Träumen aus Plastik. „Ich habe nichts verändert“, sagte Walther. „Es ist noch alles so, wie sie es zurückließ. Zuerst wollte ich sie nicht gehen lassen, aber dann sagte ich mir, ich dürfe sie nicht aufhalten, sie müsse ihre Erfahrungen sammeln. Danach würde sie von selbst zurückkommen. Darauf hoffte ich. Darauf wartete ich. Nun ...

warte ich ... vergeblich ...“ Seine Stimme war brüchig geworden und erstarb schließlich. In einem Wutanfall drosch er seine Faust auf Doris‘ kleinen Schreibtisch, auf dem verschiedene Nippes-Figuren standen. Er verfluchte Franco Millane und wünschte ihm den Tod. Bernd sah, wie sehr Marc Walther in diesem Zimmer litt, deshalb schlug er vor, ins Wohnzimmer zu gehen. Da zog Marc Walther plötzlich seinen Smith-&-Wesson-Revolver. Blitzschnell ging das, und da Bernd nicht damit gerechnet hatte, war er überrumpelt.

9

Angefangen hatte Franco Millane ganz klein, als Zuhälter einer einzigen Hure, die kaum noch Freier abzuschleppen imstande war. Er hatte sie von einem Freund übernommen, den man wegen Totschlags eingelocht hatte. Viel Geld brachte sie ihm nicht ein, aber er profitierte von ihrer Lebenserfahrung, und das war auch nicht schlecht. Sie war ein braves Mädchen, beklagte sich nie. Selbst wenn sie hundemüde war, hängte sie noch ein paar Stunden an, wenn Franco Millane dringend Geld brauchte. Sie hinterging ihn nie, lieferte alles ab, was sie einnahm, und war mit dem zufrieden, was Franco ihr ließ. Ein braves Mädchen eben ... In einer grimmig kalten Novembernacht holte sie sich auf dem Strich eine Lungenentzündung, und ein paar Tage später legte man sie bereits in ihr Grab. Danach stand Franco Millane vor der Entscheidung, wieder selbst zu arbeiten oder sich nach einem anderen Mädchen umzusehen. Womöglich nach einem, das es verstand, mehr Geld zu verdienen als seine erste Hure. Erfahren hätte sie auch sein sollen, aber solche Wunderpferdchen stehen nicht an jeder Straßenecke. Er versuchte es mit einer kleinen Serviererin, die bis über beide Ohren in ihn verliebt war, doch sie entpuppte sich als Flop. Sie war bildhübsch, und es hätte an Freiern nicht gefehlt, aber sie konnte nur mit Männern schlafen, die sie mochte, und damit war sie für den Beruf, den ihr Franco Millane zugedacht hatte, nicht geeignet. Er beschimpfte sie, drohte ihr, schlug sie, doch schließlich gab er auf und machte einem Zuhälter drei Nutten streitig, die hoch im Kurs standen. Natürlich wollte sich der Zuhälter nicht so ohne Weiteres von seinen Goldhennen trennen, aber Millane überredete ihn mit einer Kugel, die er aus einer Schalldämpferpistole abfeuerte. Der Mann fiel um, und die drei Mädchen gehörten Millane. Mit ihrer

Unterstützung und dem Geld, das sie für ihn anschafften, schuf er die Basis für seine Zukunft. Er hatte Geld und Macht in der Unterwelt. Seine Feinde fürchteten ihn, denn er war unberechenbar, und wer auch nur den Versuch unternahm, ihn anzugreifen, den vernichtete er. Manchmal tat er es selbst, oder er schickte bezahlte Killer. Geld spielte diesbezüglich keine Rolle mehr. Dennoch wollte er davon immer mehr haben. Er war unersättlich, würde davon nie genug kriegen. Nie wieder wollte er so arm sein, wie er einmal gewesen war. Vor seinem Gewissen rechtfertigte er sich damit, dass ihn das Leben zu dem gemacht hatte, was er heute war. Das Leben, die Umstände. Niemand durfte die Schuld bei ihm suchen. Er war geformt worden, hatte nur darauf geachtet, dass man ihn nicht umformte. Man hätte ihn für den Manager eines Großkonzerns halten können. Er trug teure Maßanzüge und Gucci-Schuhe, sein Vollbart war sorgfältig gestutzt. Er spielte Tennis und Golf und hatte sich gute Manieren angeeignet. Aber er war ein gefährlicher Teufel, das wussten jene, die ihn kannten. Er schreckte vor nichts zurück und mordete heute noch genauso wie früher, wenn man ihn reizte. Er fühlte sich durch Marc Walther irritiert. Mehr sogar. Der Mann konnte ihm in seinem blinden Hass vielleicht sogar gefährlich werden. Er hatte eine wichtige Verabredung vor sich, aber anschließend würde er sich eingehend Gedanken über den Schnüffler machen.

10

„Tut mir leid, Bernd“, sagte Walther. „Tut mir wirklich leid, aber ich kann nicht anders. Wir können alle nicht über unseren Schatten springen. Wir sind, wie wir sind.“ „Du machst es dir zu leicht, Marc“, erwiderte Bernd mit belegter Stimme. „Du könntest dagegen ankämpfen, aber du willst nicht. Du weißt, dass du unrecht tust, tust es aber trotzdem.“ „Ich muss, Bernd. Ich habe Doris geliebt. Ich bin es ihr schuldig, ihre Mörder zur Strecke zu bringen.“ „Sie hat sich selbst umgebracht, Marc.“ „Mit Franco Millanes Rauschgift, das sie von Tom Nöhrig bekam. Und ich erweitere meine Anklage: Doris wäre niemals süchtig geworden, wenn es Millane und seine Männer nicht gegeben hätte. Bernd, einer muss ihrem Treiben endlich einen Riegel vorschieben.“ „Mit einer Kugel? Das ist der falsche Weg. Damit stellst du dich mit diesen Verbrechern auf dieselbe Stufe. Du bist aber besser als Millane.“ Walther schüttelte langsam den Kopf. „Spar dir die Worte, Bernd. Glaub mir, es fällt mir nicht leicht, dich mit einer Waffe zu bedrohen. Du bist ein netter Kerl ...“ „Der nette Kerl wird dir die Zähne einschlagen, wenn du nicht bald vernünftig wirst“, sagte Bernd energisch. „Bitte versuch nicht, mich anzugreifen. Ich müsste schießen. Mir ist nichts wichtiger als meine Rache. Es ist mir egal, ob du das verstehst oder nicht. Ich lasse mich von niemandem aufhalten, auch von dir nicht. So, und jetzt dreh dich um.“ „Wozu? Willst du mir den Scheitel ziehen? Du musst mir dabei in die Augen

sehen, Marc, denn umdrehen werde ich mich nicht.“ „Na schön, dann eben nicht“, brummte Walther und schlug mit dem Revolver zu. Bernd hatte gehofft, blitzschnell ausweichen zu können, doch er schaffte das nur geringfügig. Sterne tanzten vor seinen Augen, und er brach zusammen.

11

Der Mann trug eine helle Raulederjacke. Er hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, und sein Mund glich zwei aufeinandergelegten Messerklingen. Gelassen rauchte er seine Zigarette. Den blauen Dunst blies er gegen die Windschutzscheibe des Wagens, in dem er saß. Die Gegend, in der er sich befand, war einsam und somit genau richtig für das Geschäft, das hier mit Franco Millane laufen sollte. Es hatte viel Geduld gekostet, das Geschäft anzubahnen, und noch schwieriger war es gewesen, Franco Millane dazu zu bewegen, es persönlich abzuwickeln. Millane war nicht nur ein schlauer Fuchs, er war darüber hinaus auch ungemein misstrauisch und vorsichtig. Aber Klaus Sehnert, so hieß der Mann im Wagen, hatte es schließlich doch geschafft, Millanes Vertrauen zu gewinnen. Franco Millane hatte eine Nase für gute Geschäfte, und dieses war seiner Ansicht nach eines. Klaus Sehnert hatte ihm hervorragendes Heroin angeboten. Er wollte 150.000 Mark dafür haben. Der Stoff war aber fast doppelt so viel wert. Natürlich hatte das zunächst nicht dazu beigetragen, Millanes Misstrauen zu zerstreuen. Der Gangster hatte wissen wollen, wieso Sehnert die Ware tief unter ihrem Wert verschleuderte, aber mit dieser Frage hatte Klaus Sehnert gerechnet. Er hatte geantwortet, es liege ihm sehr viel daran, die Sache so rasch wie möglich über die Bühne zu bringen, weil ihm hier der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war. Polizistenmord! Millane ließ das nachprüfen, und als man ihm sagte, dass das stimmte, fasste er Vertrauen zu Sehnert. Er willigte ein, sich mit ihm zu treffen. So hohen Profit hatte Millane bisher noch mit keinem seiner Geschäfte erzielt.

Sehnert schnippte die Zigarette aus dem Wagen. Sie flog durch das offene Seitenfenster und verschwand in einem Gully. Dünne Nebelschlieren krochen wie Gespenster von der Spree herüber und tanzten einen geisterhaften Reigen zwischen den Hän. In der Dunkelheit tauchte eine gefleckte Katze auf, blieb kurz stehen, als sich Klaus Sehnert im Auto bewegte, und lief dann davon. Der Mann blickte auf seine Uhr. Er war zu früh dran, aber das war besser, als zu spät zu kommen. Das Päckchen mit dem Stoff lag auf dem Beifahrersitz, unscheinbar, und doch barg es die Hölle in sich.

12

Walther knallte die Tür zu und schloss ab. Bernd lag auf dem Boden. Sein Bewusstsein war nicht völlig ausgeschaltet, doch er konnte sich nicht bewegen. Alles war so unwirklich. Er hörte Walthers Schritte, als würden sie durch dicke Daunenkissen dringen. ‚Er läuft in sein Unglück‘, schrie es in Bernd, ‚und ich kann es nicht verhindern. Marc, du Narr, bleib hier! Man wird dich umbringen, erschießen wie einen räudigen Hund!‘ Bernds geringfügiges Ausweichen mit dem Kopf hatte dem Schlag etwas von seiner Wucht genommen. Die Wirkung war aber auch so noch schlimm genug. Bernd spürte ein Würgen in der Kehle, sein Schädel brummte, und er war wie gelähmt. Verbissen kämpfte er gegen diese Lähmung an. ‚Ich muss mich bewegen‘, sagte er sich immer wieder. ‚Ich muss aufstehen, muss Marc folgen, muss verhindern, dass er die größte Dummheit seines Lebens begeht.‘ Bernd hatte einen eisernen Willen, doch diesmal schien er nicht auszureichen. ‚Steh auf!‘, schrie es in ihm. ‚Reiß dich zusammen!‘ Er zog die Beine an, rollte auf die Seite. Alles drehte sich, sobald er sich aufsetzte. Das Zimmer schwankte. Doris‘ Zimmer. Das Zimmer einer Toten. Wertvolle Zeit verging. Bernd wusste es, aber er konnte es nicht verhindern. Er tat, was möglich war. Zu hart hatte ihn der Revolver des Kollegen getroffen. Wenn Marc Walther tatsächlich Amok lief, war er auch dann erledigt, wenn er am Leben blieb, denn dann würde man ihn vor Gericht stellen, wo er sich für das verantworten musste, was er getan hatte, und man würde ihn härter bestrafen als jeden andern, denn er war Privatdetektiv und für ihn galten Regeln ganz besonders.

Endlich stand Bernd auf den Beinen. Er torkelte zum Fenster und sah Walther, der soeben über die Straße lief. Noch bevor der Kollege seinen weißen Porsche 911 erreichte, eilte Bernd zur Tür. Eilen ist eigentlich zu viel gesagt. Er stolperte mehr über die eigenen Beine und wäre beinahe gestürzt. Seine Finger schlossen sich kraftlos um die Klinke. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Er rüttelte wütend daran. Adrenalin schoss in verstärktem Maße in seine Adern. Er musste raus aus diesem Jungmädchenzimmer - und zwar schnell. Er musste sich an Walthers Fersen heften. Wenn er den Kollegen erst mal aus den Augen verloren hatte, war alles verloren. Dann würde er Marc Walther vermutlich erst wiedersehen, wenn dieser tot war und in der Pathologie lag. Bernd warf sich gegen die Tür. Ein Kleinwüchsiger hätte das mit mehr Krafteinsatz getan. Unten schlug die Wagentür zu. Bernd Schuster riss die Automatik aus dem Schulterhalfter. Zum Glück hatte sie ihm Walther nicht abgenommen. Er hatte vor, die Tür aufzuschießen, das war seine einzige Chance. Doch niemand im Haus sollte den Schuss hören. Bernd besaß zwar keinen Schalldämpfer, aber er wusste sich zu helfen. Er blickte sich suchend um, entdeckte ein dickes, pinkfarbenes Polster und schnappte es sich. Er drückte es gegen die Tür, stieß die Beretta hinein und zog ab. Der Schuss wurde stark gedämpft, aber die Kugel zerstörte das Schloss, ein Schaden, für den Bernd später aufzukommen bereit war. Jetzt riss er die Tür auf, und dann stürmte er - es ging ihm schon etwas besser aus Marc Walthers Wohnung. Noch sah er eine Chance für sich und vor allem für Walther.

13

Carsten Weiher hielt seine Zigarette in der hohlen Hand, damit man die Glut nicht sehen konnte. Nichts sollte ihn verraten. Er war dunkel gekleidet und verschmolz nahezu mit der Finsternis. Zwei Lederriemen trug er um den Hals. An einem hing ein Nachtglas, am andern ein Walkie-Talkie. Weiher arbeitete für das BKA. Er leitete diesen Einsatz hier. Er war ein eiskalter Mann mit markanten Zügen und einem messerscharfen Verstand. Er war durchtrainiert, kein Gramm Fett befand sich auf seinen Rippen. Das Haar trug er sehr kurz geschnitten, und Paragraphen und Vorschriften gingen ihm über alles. Noch war alles ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm. Hin und wieder hob Weiher das Nachtglas vor die Augen und sah sich gewissenhaft um. Er hatte sich die beste Position ausgesucht, befand sich auf dem Flachdach eines Lagerhauses und konnte sehen, wenn ein Fahrzeug eintraf. Im Moment war kein näher kommendes Fahrzeug zu bemerken. Weiher nahm wieder einen Zug von der Zigarette. Der Wind riss ihm den Rauch von den Lippen. Er setzte das Glas ab und schaltete das Handfunkgerät ein. Mit vier Mann war er hier, doch nur einer von ihnen war zu sehen, die andern hatten sich gut versteckt. Die Falle war gut, und sie würde auch funktionieren, daran zweifelte der Einsatzleiter des BKA nicht. All die Mühe, die er sich über einen langen Zeitraum hinweg gemacht hatte, würde endlich Früchte tragen. Es würde ein erhebendes Gefühl sein. Jeder Mensch hat gern Erfolg. Bei Carsten Weiher war das Streben nach Erfolg besonders stark ausgeprägt. Er hasste es geradezu, zu verlieren. Er setzte sich mit seinen Leuten in Verbindung, rief einen nach dem anderen auf. „Bei mir ist alles ruhig“, berichtete der Erste.

„Halte weiterhin die Augen offen“, verlangte Weiher. „Es darf keine Panne geben. Er darf uns nicht durch die Lappen gehen.“ „Das wird er nicht“, versprach der Beamte. Auch der Zweite meldete, dass bei ihm alles in Ordnung wäre. „Es ist ja auch noch eine Viertelstunde Zeit“, sagte er. „Wäre ja denkbar, dass er früher eintrifft, um sich hier gründlich umzusehen“, meinte Carsten Weiher. „Sowie ich ihn sehe, schlage ich Alarm“, gab der Mann zurück. Der Dritte war einer von der ungeduldigen Sorte. Er war ein guter Mann, aber Warten war eine Schwäche von ihm, das konnte er nicht. „Ich hätt’s schon gern hinter mir“, brummte er missmutig. „Ich hasse es, herumzulungern und Löcher in die Dunkelheit zu starren. Ich bin ein Mann der Tat.“ Weiher lachte. „Du wirst bald zu tun haben. Fasse dich noch fünfzehn Minuten in Geduld, dann wirst du reich belohnt werden.“ „Wenn wir das hinter uns haben, nehme ich drei Tage Urlaub und fahre irgendwohin, wo’s kein Telefon, kein Radio und kein Fernsehen gibt.“ „Ich würde dort verrückt werden“, sagte Weiher. „Ich nicht“, erwiderte der andere und lachte. „Denn ich werde nicht allein sein. Sag mal, habe ich dir schon ein Foto von meiner Freundin gezeigt?“ „Aber sicher. Silvia sieht großartig aus.“ „Silvia?“ „Ist sie nicht mehr deine Freundin?“ „Nein, mit Silvia ist es aus.“ „Das wusste ich nicht. Du wechselst mir die Frauen etwas zu schnell, mein

Junge, da kann ich einfach nicht folgen. Wie heißt denn die Neue?“ „Nati.“ „Sag bloß, du hast umgesattelt.“ „Bist du noch zu retten? Nati ist doch kein Mann.“ „Hört sich aber so an.“ „Nati kommt von Renate.“ „Da bin ich aber beruhigt“, sagte Carsten Weiher. „Hoffentlich hältst du’s bei ihr länger als einen Monat aus.“ „Liegt nicht an mir.“ „An wem denn sonst? Du bist es doch immer, der die Beziehung löst. Du solltest endlich mal heiraten, mein Junge.“ „Das sagt mir ausgerechnet der eingefleischteste Junggeselle, den es gibt.“ „Bei mir ist das etwas Anderes.“ „Ja, ich weiß, du bist bereits verheiratet, und zwar mit deinem Job. Noch ’ne Ehe wäre Bigamie.“ „So ist es“, bestätigte der Einsatzleiter und setzte sich mit seinem vierten Mann in Verbindung - mit Klaus Sehnert, der die gefährliche Rolle des Lockvogels übernommen hatte.

14

„Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete Klaus Sehnert. Er warf einen Blick auf das Rauschgiftpaket, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag und mit dem sie Franco Millane erfolgreich geködert hatten. Die Vorbereitungen waren so gewissenhaft wie möglich getroffen worden. Bestes Heroin aus BKA-Beständen war Franco Millane zur Prüfung angeboten worden, und Sehnert hatte ihm gesagt, da, wo dieser Schnee herkomme, gäbe es noch mehr. Carsten Weiher hatte damit gerechnet, dass sich Millane über den Mann, mit dem er ein gewinnträchtiges Geschäft tätigen wollte, informieren würde, deshalb hatte er dafür gesorgt, dass der Gangster die Polizistenmordgeschichte, die ihm Sehnert erzählt hatte, bestätigt bekam. Polizistenmord war immer gut. Das schuf bei Leuten wie Franco Millane Anerkennung und Vertrauen. „Sag mal, hast du gewusst, dass Manfred schon wieder eine neue Braut hat?“, kam es aus dem Sprechfunkgerät. Sehnert grinste. „Ich habe sie sogar schon mal in natura gesehen.“ „Und? Wie sieht sie aus?“ „Ich Siggi ja nicht lästern, aber ich halte Nati für Manfreds ersten Missgriff. Sie versteht sich nicht wirkungsvoll anzuziehen, trägt ’ne Brille ... Nichts gegen Brillenträger. Ich trage beim Lesen auch eine, aber Natis Brille sieht scheußlich aus. Mit ihrem hohen Intelligenzquotienten kann sie Manfred glatt erschlagen ...“ „Wie ist ihre Figur?“ „Unauffällig, würde ich sagen.“ „Dann können wir schon für ein schönes Hochzeitsgeschenk zusammenlegen.

Ich glaube, Manfred hat endlich die richtige Frau fürs Leben gefunden.“ „Zeit wär’s. Lange genug hat er ja gesucht“, sagte Klaus Sehnert lachend. Carsten Weiher wurde wieder dienstlich. „ auf den Stoff gut auf, damit er dir nicht abhandenkommt. Er ist nur eine Leihgabe. Man würde uns den Hintern aufreißen, wenn wir ihn nicht zurückbrächten.“ „Keine Bange, das verdammte Zeug ist bei mir bestens aufgehoben“, erwiderte Klaus Sehnert und legte die Hand auf das braune Paket, als müsse er es jetzt schon beschützen. Die Minuten verflossen. Klaus Sehnert hoffte wie seine Kollegen, dass Franco Millane etwas früher eintraf, doch im Moment war hier am Spreeufer des noch alles ruhig.

15

Bernd Schuster kämpfte gegen die Übelkeit an, die der Schlag auf den Kopf bei ihm ausgelöst hatte. Etwas pendelte in seiner Speiseröhre auf und ab. Er schluckte krampfhaft und hoffte, sich nicht übergeben zu müssen. Polternd lief er die Stufen hinunter. Der Schuss war im Haus nicht gehört worden. Die Beretta steckte jetzt wieder in dem Schulterhalfter. Bernd hielt sich sicherheitshalber am Handlauf fest, der ihm in diesen schweren Augenblicken buchstäblich eine gute Stütze war. Bernd erreichte das Erdgeschoss. Als er auf die Straße trat, war Marc Walthers Porsche 911 nicht mehr da, aber Bernd sah einen weißen Wagen um die Ecke biegen. Allmählich kam Bernd wieder in Schwung. Die Übelkeit machte ihm zwar immer noch zu schaffen, und er stellte auch noch leichte Gleichgewichtsstörungen bei sich fest, aber er befand sich auf dem besten Weg, wieder ganz der alte zu werden. Er hatte einen eisernen Schädel, damit hatte Marc Walther nicht gerechnet. ‚Walther, verdammt‘, dachte Bernd grimmig. Jetzt wird man schon von seinen Kollegen niedergeschlagen. Als würde es nicht reichen, wenn einem die Gangster ständig die Birne weichzuklopfen versuchen. Keuchend erreichte er seinen Mercedes, die Schlüssel klimperten schon in seiner Hand. Rasch schloss er auf und ließ sich hinter das Lenkrad fallen. Es tat gut, zu sitzen. Bernd ließ den Anlasser mahlen, und sobald der Motor lief, nahm er die Verfolgung auf.

16

Es klopfte. „Ja!“, sagte Franco Millane laut. Die Tür öffnete sich, und ein hässlicher Riese trat ein: Silvio Gonzales. Er hatte kein einziges Haar auf dem Kopf. An seiner linken Wange leuchtete eine gezackte rote Narbe. Sie war wulstig und te gut in die abstoßende Visage des Hünen. Für einen Italiener war er außergewöhnlich groß. „Du wolltest mich sprechen, Boss?“, fragte Gonzales mit hohler Stimme. Das Sprechen schien ihm schwerzufallen. Er redete lieber mit den klobigen Fäusten. „Ich fahre weg, und du wirst mich begleiten“, sagte Franco Millane. Neben dem Riesen kam seine Schönheit noch mehr zur Geltung, doch deshalb hatte er Silvio Gonzales nicht zu seinem Leibwächter gemacht. Der Grund war der, dass er sich sicherer fühlte, wenn er den Knochenbrecher neben sich hatte. Der Kahlkopf nickte. „Okay. Wann fahren wir?“ „In zwei Minuten. Und nimm deine Waffe mit.“ Gonzales öffnete grinsend sein Jackett und ließ die Pistole sehen, die er unter der Achsel trug. „Ich würde mich ohne meinen eisernen Freund nackt fühlen, Boss, deshalb ist er so gut wie immer bei mir. Nur wenn ich dusche, lege ich ihn ab, denn er mag kein Wasser. Das muss man akzeptieren.“ „Hol inzwischen den Wagen aus der Garage“, trug ihm Franco Millane auf. Silvio Gonzales schloss das Jackett und verließ den Raum. Er stellte niemals überflüssige Fragen, wollte auch jetzt nicht wissen, wohin die Fahrt ging. Das würde er schon sehen. Wenn der Boss es für richtig hielt, würde er es ihm auch sagen. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, öffnete Millane seinen Wandtresor. Das Stahlfach war sehr geräumig.

Neben einem Handkoffer hatten noch viele andere Dinge darin Platz. Millane griff nach dem schwarzen Koffer und stellte ihn auf den Schreibtisch. Nachdem er den Wandsafe sorgfältig abgeschlossen hatte, klappte er den Handkoffer auf und betrachtete die Banknotenbündel, die sich darin befanden. Noch nie hatte er sich so gern von Geld getrennt, denn noch nie hatte sich ein Geschäft so gelohnt. Es war gut, dass dieser Klaus Sehnert keine Zeit hatte. Wenn ein Mann wegen Polizistenmordes gesucht wird, hat er ein schweres Leben, denn jeder Bulle möchte ihn kriegen. Das war Millanes Vorteil, davon profitierte er. Sehnert musste seine heiße Ware schnell loswerden. Er brauchte dringend Bargeld, um so rasch wie möglich verschwinden zu können. Millane nahm an, dass Sehnert nicht nur die Stadt, sondern das Land verlassen würde, aber das war nicht mehr seine Sache. Er hatte nicht die Absicht, Sehnert in irgendeiner Weise zu unterstützten. Der Mann war ihm völlig egal. Nur der gute, reine, unverschnittene Stoff, den Sehnert anzubieten hatte, interessierte ihn, und den würde er sich nun holen. Er blickte auf seine Uhr. Es wurde Zeit, dass er losfuhr. Gonzales stoppte soeben den Wagen vor dem Haus. Franco Millane klappte den Koffer zu, löschte das Licht und ging hinaus.

17

Gewissensbisse plagten Marc Walther. Er hatte Bernd Schuster niedergeschlagen, diesen Mann, mit dem er fast befreundet war, diesen tüchtigen Privatdetektiv, der ihm stets ein Vorbild gewesen war. Er hatte es ungern getan, aber, verflucht noch mal, Bernd hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Hier ging es nicht um Kollegialität oder Freundschaft. Es ging um Doris. Walther hatte das Gefühl, ihre Seele würde so lange keine Ruhe finden, bis er ihren Tod gerächt hatte. Es ging um Doris‘ Seelenfrieden. Marc Walther kniff grimmig die Augen zusammen. „Mach dich auf was gefasst, Franco Millane!“, knurrte er gegen die Frontscheibe. „Ich komme, und ich werde dich über den Haufen schießen. Es ist mir egal, wie viele Gesetze ich heute noch verletze. Mir ist nur wichtig, dass du stirbst. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich kann nur noch gewinnen. Solche Gegner sind die gefährlichsten, Millane. Du wirst es erleben.“ Walther hatte einiges an Alkohol geschluckt, und eine Zeit lang hatte er die Wirkung gespürt, doch nun war er wieder völlig nüchtern. Er bedauerte aus tiefstem Herzen, dass es ihm nicht gelungen war, Tom Nöhrig dazu zu bringen, die Waffe auf ihn zu richten. ‚Ich hätte ihn abgeknallt, ohne mit der Wimper zu zucken!‘, dachte er hasserfüllt. ‚Ich wäre schneller gewesen als er, ganz bestimmt. Du hättest nicht dazwischen gehen sollen, Bernd Schuster. Zum Teufel, du hättest dich überhaupt aus meinen Angelegenheiten raushalten sollen. Du hast Doris gekannt, na schön, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich daran zu hindern, den Tod meiner Tochter zu rächen‘. Es war ihm nicht leichtgefallen, Bernd Schuster niederzuschlagen und ihm dabei

in die Augen zu sehen, aber er hatte es getan, weil er sich nicht aufhalten lassen wollte. Hoffentlich habe ich nicht zu fest zugeschlagen, durchfuhr es ihn. Es musste doch schnell gehen, und ich war erregt ... Er hatte mal einen Mann gesehen, den zwei Gangster überfallen und „schlafen gelegt“ hatten. Der Mann war nie mehr aufgewacht, weil die Kerle zu kräftig zugeschlagen hatten. Sie hatten keinen Mord begehen wollen, aber es war einer daraus geworden. Marc Walther hatte das Gefühl, auf einem steilen, glatten Blechdach zu liegen. Er wollte es nicht, aber er rutschte mehr und mehr ab. Irgendwann würde der tödliche Sturz kommen.

18

Bernd bog um die Ecke. Er fuhr schnell, denn er musste viel verlorene Zeit einholen. Er hoffte, dass jetzt alle Verkehrspolizisten wegguckten und ihn in Ruhe ließen, denn wenn er angehalten wurde, konnte er Marc Walther vergessen. Dann konnte er den durchgedrehten Kollegen von nichts mehr abhalten. Was Walther im Sinn hatte, wusste dieser wahrscheinlich selbst nicht so genau. Er würde vermutlich improvisieren. Alles war denkbar. Dass Walther zum Beispiel versuchte, noch einmal Tom Nöhrig vor seinen Smith & Wesson zu bekommen, oder dass er irgendeinen anderen Millane-Mann abknallte. Vielleicht ging er auch gleich auf Franco Millane los. Die Richtung, die Marc Walther eingeschlagen hatte, gab im Moment über seine Absicht noch keinen Aufschluss. Bernd fuhr schnell, jedoch nie über seine Verhältnisse. Dieses lästige Würgen ließ langsam nach, die Übelkeit hielt sich in erträglichen Grenzen. Das dumpfe Brummen in Bernds Schädel tat seiner Konzentrationsfähigkeit keinen Abbruch. Als er den weißen Porsche 911 weit vor sich erblickte, fühlte er sich gleich um einiges besser. Nun musste er dafür sorgen, dass der Sichtkontakt nicht mehr abriss. Wenn es ihm gelang, Walther gewissermaßen an der langen Leine traben zu lassen, konnte der Mann kaum noch Schaden anrichten. Bernd verringerte die Distanz um weitere hundert Meter. Näher wollte er an den Porsche 911 aber nicht heranfahren, damit Walther nicht auffiel, dass er einen „Schatten“ hatte. Wenn Marc Walther das nämlich bemerkt hätte, hätte er mit Sicherheit die verrücktesten Dinge angestellt, um den Verfolger abzuschütteln, und das wollte Bernd Schuster vermeiden.

19

„Da kommt ein Wagen!“, meldete einer der Beamten. Carsten Weiher, der Einsatzleiter, hatte das Fahrzeug ebenfalls bemerkt. Er blickte durch das Nachtglas. „Das ist Franco Millane“, stellte er fest. „Aber er lenkt das Fahrzeug nicht selbst. Er sitzt neben dem Fahrer.“ „Wer ist der andere? Kannst du ihn erkennen?“ „Ein Riese.“ „Silvio Gonzales. Eine Ein-Mann-Armee! So ’n Mist! Das ist der schießwütigste Teufel, den ich kenne. Ein Kraftprotz ohne Hirn. Der könnte glatt die Mauer allein einreißen!“ Weiher rief Klaus Sehnert. „Mach dich bereit, Millane kommt.“ „Na endlich“, brummte dieser. „Nicht eine Minute zu früh ist er dran.“ „Warum hast du dir nicht ausbedungen, dass er allein kommt?“, fragte Weiher vorwurfsvoll. „Ist er denn nicht allein?“ „Er hat Silvio Gonzales bei sich.“ „Na wenn schon! Wir sind fünf. Ich sagte ihm, ich würde ihm so sehr vertrauen, dass ich niemanden zu meinem Schutz mitbringen würde. Ich dachte, das würde ihn veranlassen, hier ebenfalls allein zu erscheinen.“ „Da sieht man wieder, wie man sich irren kann.“ „Ich konnte ihm schlecht Vorschriften machen. Du weißt doch, wie misstrauisch er ist. Es war schwierig genug, ihn an die Angel zu kriegen.“

„Jetzt lässt sich ohnehin nichts mehr ändern. doppelt scharf auf, ich möchte keinen Mann verlieren“, sagte Weiher. „Keine Sorge, ich bleibe dir schon erhalten“, sagte Klaus Sehnert zuversichtlich. „Das wollen wir hoffen.“

20

Franco Millanes Hände ruhten auf dem Handkoffer. Jetzt hob er die Rechte und strich sich über den gepflegten Bart. Er war sehr wachsam, blickte nach allen Seiten, während Silvio Gonzales zwischen den alten, schäbigen Lagerhän hier am Rande der Siemensstadt hindurchfuhr. Der glatzköpfige Riese rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, warum du diesen Ort als Treffpunkt akzeptiert hast, Boss.“ „Wir haben schon an schlimmeren Orten Geschäfte abgewickelt.“ Millane schaute seinen Leibwächter von der Seite an. Gonzales‘ Profil war noch hässlicher als die Vorderansicht. Sein Kinn sprang zu weit vor, dafür klebte die Nase, weil das Nasenbein gebrochen war, am Gesicht. „Keine Angst, Sehnert ist in Ordnung.“ „Ich habe keine Angst, so etwas kenne ich nicht“, erwiderte Gonzales. „Nur ein mieses Gefühl.“ „Ich habe alles, was mir Sehnert erzählte, überprüft. Es ist wahr.“ „Warum kommt er nicht zu dir ins Haus, wenn er dir etwas verkaufen möchte?“ „Er kennt mich nicht gut genug, um mir zu vertrauen. Er wäre ein Narr, einem Fremden zu viel Vertrauen entgegenzubringen. Ich finde sein Verhalten vollkommen in Ordnung. Wenn es kein so einmaliges Geschäft wäre, hätte ich mich nicht dazu überreden lassen, mich mit Sehnert hier zu treffen.“ „Kommt er allein?“ Franco Millane grinste. „Das hat er gesagt Er wollte mich damit wohl veranlassen, auch ohne Begleitung zu kommen. Ein Polizistenmörder hat keine Freunde, auf die er sich verlassen kann. Sie ziehen sich in der Regel zurück, damit sich die Bullen nicht auch auf sie einschießen. Ich hingegen habe Freunde,

und ich sehe keinen Grund, warum ich nicht einen davon zu diesem Treffen mitbringen sollte.“ Silvio Gonzales trat sanft auf das Bremspedal und drehte kräftig das Lenkrad nach rechts. Sie bogen um die Ecke eines Lagerhauses, und die Scheinwerfer rissen einen schwarzen Wagen aus der Dunkelheit. „Da ist er“, sagte Gonzales. „Fahr nicht ganz ran, und bleib im Wagen. Wir wollen vermeiden, dass Sehnert einen Schock bekommt.“

21

Marc Walther schien Fieber zu haben. Sein Gesicht war stark gerötet, auf seiner Stirn glänzten Schweißtröpfchen. Sein Jagdtrieb war immer schon stark ausgeprägt gewesen, aber heute kam noch die Rachsucht hinzu. Er war innerlich schrecklich aufgewühlt. Er hatte Franco Millane aus seinem Haus kommen und in einen Wagen steigen sehen. Er hatte sich drangehängt, als der kahlhäuptige Riese losfuhr, und es war ihm gelungen, bis jetzt dranzubleiben. Millane in seinem Haus zu erledigen, wäre bestimmt nicht einfach gewesen, deshalb war Walther froh, dass ihm der Gangsterboss, dieser Superzuhälter und Drogenhändler, den Gefallen erwies, hierherzufahren. In dieser Gegend sagten sich die Füchse gute Nacht. Hier würde er mit Millane allein sein. Allein, wenn er von Silvio Gonzales absah. Es war Walther bekannt, wie gefährlich Gonzales war, doch der Riese vermochte ihn nicht abzuschrecken. Walther würde tun, was er sich vorgenommen hatte. Es befanden sich genug Patronen in der Trommel seines Revolvers. Sie reichten für Franco Millane und Silvio Gonzales. Der Gangsterwagen wurde langsamer und bog um die Ecke. Schon vor einigen Minuten hatte Walther die Fahrzeugbeleuchtung abgeschaltet, um nicht bemerkt zu werden. Jetzt ließ er den Porsche 911 zwischen zwei dicken Betonsäulen ausrollen und stieg vorsichtig aus dem Fahrzeug. Er drückte die Tür behutsam zu. Nur kein Geräusch verursachen! Seine Hand griff nach dem Revolver. Er entsicherte die Waffe und ging zu Fuß weiter. In einem dreckigen, finsteren Winkel fiepten Ratten. Ja, das war der richtige Ort für Franco Millane, um zu sterben, denn er war ebenfalls eine Ratte.

22

„Verdammt, da kommt noch ein Wagen!“, meldete sich einer der Beamten bei Carsten Weiher. Die Brauen des Einsatzleiters zogen sich unwillig zusammen. Er suchte das Fahrzeug mit dem Nachtglas, entdeckte es auch. Es fuhr ohne Licht. Es war ein weißer Porsche 911. „Weißt du, was das soll?“, fragte der Beamte. „Keine Ahnung“, sprach Weiher ins Funkgerät. „Zu Millane kann der Mann im Porsche 911 nicht gehören. Er bemüht sich, nicht aufzufallen. Millane soll nicht wissen, dass er ihm folgt. Das gefällt mir nicht. Kann denn nichts glattgehen?“ Weiher beobachtete den Porsche 911, beobachtete, wie Walther das Fahrzeug unterstellte und ausstieg. Als er sah, dass der Mann einen Revolver zog, biss er sich auf die Unterlippe. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Dieser Kerl - wer immer das war - konnte das Ganze, sorgfältig vorbereitete Unternehmen gefährden. Weiher verfolgte Walthers Weg. „Du musst Sehnert informieren“, sagte der Beamte am Funkgerät. „Zu spät“, entgegnete der Einsatzleiter. Er hatte das Glas geschwenkt. „Millane steig soeben aus, und Sehnert auch. Ich kann ihn nicht mehr erreichen.“ „Die Sache stinkt. Wenn du mich fragst, wird es zu einer Schießerei kommen. Das kann für Sehnert böse enden. Wir müssen irgendetwas tun.“ „Schnapp dir den Kerl, der hinter Millane her ist“, befahl der Einsatzleiter. „Okay.“

„Aber tu’s so leise, dass es Franco Millane nicht mitbekommt, sonst ist erst recht der Teufel los.“

23

Klaus Sehnert wartete. Erst als Franco Millane den Wagen verließ, griff er nach dem Heroinpäckchen und stieg ebenfalls aus. Es behagte ihm nicht, dass Millane Silvio Gonzales mitgebracht hätte, aber mit dieser unerfreulichen Tatsache musste er sich abfinden. Sehnert spürte den Druck seiner Dienstwaffe. Er war ein hervorragender Schütze, und schnell war er obendrein. Deshalb hatte Weiher ihm diesen Job übertragen, weil er, wenn’s brenzlig werden sollte, die größten Chancen hatte, seine Haut zu retten. Der Auftrag ehrte ihn, denn Weiher zeichnete ihn damit aus. Er hatte sich vor einer Gefahr noch nie gedrückt, und er war zuversichtlich, dass er auch diese Situation unter Kontrolle behalten würde. Er klemmte sich das Päckchen unter den Arm und setzte sich langsam in Bewegung. „Hallo, Herr Millane. Pünktlich auf die Minute. So etwas macht sich immer gut. Was mir weniger gefällt, ist der Umstand, dass Sie nicht allein gekommen sind. Vertrauen Sie mir nicht?“ „Jeder Mensch hat einen Schutzengel“, erwiderte Franco Millane. „Meinen kann man sehen. Kümmern Sie sich nicht um ihn. Er wird im Wagen bleiben. Tun Sie so, als wäre er nicht vorhanden. Haben Sie, was ich Ihnen abkaufen möchte?“ Klaus Sehnert wies grinsend auf das Paket unter seinem Arm. „Ich hoffe, Sie haben die vereinbarte Summe mitgebracht.“ „150.000 Mark“, sagte Franco Millane und hob den Koffer. „Das Geld befindet sich hier drinnen.“ „Großartig.“ „Ich werde die Ware an Ort und Stelle prüfen.“

Sehnert lachte gepresst. „Sie halten es für möglich, dass die Probe okay war und nun der Verschnitt kommt.“ „Man kann nicht vorsichtig genug sein, Herr Sehnert. Die Menschen sind verdorben und schlecht. Das richtet sich keinesfalls gegen Ihre Person. Ich bin jedermann gegenüber misstrauisch, und ich mache niemals eine Ausnahme.“ „Ein gesunder, vernünftiger Standpunkt. Ich akzeptiere ihn. Wenn Sie erlauben, zähle ich das Geld, während Sie meine Ware prüfen.“ Franco Millane hatte dagegen nichts einzuwenden. Misstrauen gegen Misstrauen, das war ganz natürlich in dieser Situation. Der Gangsterboss übernahm das Rauschgift, und Klaus Sehnert bekam dafür den Koffer. Der Handel war so gut wie perfekt. Der Fisch hatte angebissen. Sehnert hatte nicht die Absicht, das Geld zu zählen, er würde nur so tun, und während er sich diesen Anschein gab, würde er zum Dienstrevolver greifen.

24

Links glänzte die Spree wie schwarzpoliertes Glas. Die Lagerhä waren unmittelbar in der Nachkriegszeit entstanden und hatten inzwischen längst ihre Bedeutung verloren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis hier neue Hä hochgezogen wurden. Bernd Schuster entfernte sich von seinem Mercedes. Schwer lag die Beretta in seiner Rechten. Er fühlte sich wieder topfit, das Brummen in seinem Schädel hatte aufgehört. Nur die Kopfhaut spannte noch über der dicken Beule, die ihm Marc Walther geschlagen hatte. Der Wind trieb einen Papierfetzen vor sich her und drückte ihn gegen Bernds linkes Bein. Er schüttelte ihn ab, und der Wind spielte weiter damit. Raschelnd, schleifend und knisternd flog das Papier davon, über die Kaimauer hinweg und in die Spree. Bernd entdeckte den weißen Porsche 911 seines Kollegen. Das Fahrzeug war leer. Wo sich Walther befand, konnte er nicht sehen, aber er wusste, was der vorhatte. Walther hatte Franco Millane bis hierher verfolgt, und Bernd fiel nun die verrückte Aufgabe zu, den Gangsterboss zu beschützen. Er durfte nicht zulassen, dass Walther ihn tötete. Kein Mensch hat das Recht, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, auch dann nicht, wenn die Sachlage so wie bei Marc Walther war. Bernd huschte durch die Dunkelheit. Er erreichte den Porsche 911, dessen Motorhaube noch warm war. Er schlich vorsichtig um das Fahrzeug herum. Plötzlich gewahrte er eine Gestalt in der Finsternis. Es musste sich um Walther handeln. Wie ein Schemen glitt der andere durch die Schwärze der Nacht. Bernd musste ihn einholen, und dann würde er ihn niederschlagen. Es würde nur zu Walthers

Bestem geschehen. Als sich Bernd vom Porsche 911 löste, sah er noch eine Gestalt. Sie pirschte sich an Marc Walther heran. Einen Warnruf konnte Bernd nicht ausstoßen, denn den hätte auch Franco Millane gehört. Wenn Walther zu Fuß unterwegs war, musste sich Millane ganz in der Nähe befinden. Die Situation war verzwickt.

25

Walther war völlig auf die Tat fixiert. Wegen Bernd Schuster hatte er Gewissensbisse. Wegen Franco Millane würde er sie nicht haben. Es würde ihn mit großer Genugtuung erfüllen, wenn er Millane zur Hölle fahren sah. Er vernahm ein leises Knirschen hinter sich, und seine Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen. Er brachte dieses Geräusch mit Millane in Verbindung und wollte sich blitzschnell umdrehen, aber da legte sich eine Hand auf seinen Mund, und etwas Hartes bohrte sich in seinen Rücken. Er erstarrte. Der Mann hinter ihm sagte kein Wort. Er verlangte nicht einmal, dass er die Waffe fallen ließ. Er zog ihn einfach mit sich, hinein in die undurchdringliche Schwärze des Lagerhauses. Dort lockerte sich der Griff des Unbekannten, und der Druck der Waffe war nicht mehr schmerzhaft hart. ‚Er rechnet nicht damit, dass ich ihn angreife‘, dachte Walther. ‚Kein Mensch würde das in dieser Lage tun. Aber ich tu’s, weil ich mich nicht aufhalten lasse‘. Walther bückte sich rasch, die Hand glitt von seinem Gesicht ab. Wenn der Mann jetzt geschossen hätte, wäre die Kugel über Walther hinweggesaust. Aber der Mann drückte nicht ab. Umso besser. Walther schlug aus wie ein wild gewordenes Pferd. Der Tritt traf den Unbekannten. Er stöhnte auf, torkelte zurück. Walther wirbelte herum und schlug mit dem Smith & Wesson einfach in die Dunkelheit hinein. Er hoffte, den Mann, den er nicht sah, zu treffen und niederzustrecken. Es glückte. Der Revolver traf einen Widerstand, und dann brach jemand zusammen. Walthers Herz raste. Er kümmerte sich nicht weiter um den

Ohnmächtigen. Er musste raus aus dem Lagerhaus und Millane suchen. Er hatte eine Glückssträhne. Es war ihm gelungen, Bernd Schuster auszuschalten, und er hatte auch mit diesem Kerl keine Schwierigkeiten gehabt. Er musste sein Glück nutzen. Hätte doch Doris auch ein wenig davon gehabt, dann wäre sie jetzt noch am Leben. Doris ... Marc Walther spürte einen schmerzhaften Stich. Ihm war, als würde man ihn mit der glühenden Klinge eines Säbels durchbohren, und dann versteinerte sein Herz. ‚Keine Gnade für Millane‘, hämmerte es zwischen seinen Schläfen.

26

Klaus Sehnert war soweit. Er stand unter Strom, hoffte, dass seine Kollegen auf ihrem Posten waren und ihn unterstützten. Er hatte den Geldkoffer auf Millanes Wagen gelegt und den Deckel hochgeklappt. Silvio Gonzales konnte nicht sehen, was er nun machte, ob er Geld zählte oder zur Pistole griff. Als seine Finger den Kolben der Waffe berührten, durchlief ein kaltes Prickeln seine Hand. Er musste Franco Millane und Silvio Gonzales so lange in Schach halten, bis die BKA-Kollegen hier eintrafen. Nervenzerreißende Minuten würden vergehen. Sehnert wünschte sich, dass sowohl Millane als auch der Riese so sehr geschockt sein würden, dass sie nicht daran dachten, zu ihren Waffen zu greifen. Sehnert hatte die Maske des Verbrechers getragen. Nun würde er sie fallen lassen und sich als Beamter des BKA zu erkennen geben. Dass Milane getäuscht wurde, musste doch einigen Eindruck auf ihn machen und ihn für kurze Zeit aus der Fassung bringen. Es zuckte in Sehnerts Gesicht. Er schaute über den Rand des Kofferdeckels hinweg in den Wagen. Reglos wie eine Statue saß der Riese da. Wenn er bloß so reglos bliebe! Millimeter um Millimeter zog Sehnert die Dienstwaffe. Nur keine hastige Bewegung. Alles musste langsam und unbemerkt gehen. Umso größer war dann die Überraschung. Halb hatte Klaus Sehnert die Waffe schon heraus. Er konnte sich nicht erinnern, schon mal so schrecklich aufgeregt gewesen zu sein, aber man hatte ihm auch noch nie eine so schwierige Aufgabe übertragen. Er würde sie meistern, und man würde seinen Wagemut und seine Beherztheit in der Dienstbeschreibung hervorheben.

Er konnte solche Pluspunkte gebrauchen, schließlich wollte er nicht bleiben, was er war, sondern vorwärtskommen. Und zu Beförderungen außer der Reihe kam es nur dann, wenn man die andern mit seinen Leistungen überragte. Die letzten Millimeter ... In Sehnert spannte sich jede Muskelfaser. Er wollte hart und schneidend rufen, Millane solle die Hände heben, und Gonzales solle aussteigen. Doch bevor er den ersten Ton herausbrachte, schrie jemand anders: „Millane!“ Und dann war der Teufel los.

27

„Millane!“ Dieser Ruf hallte zwischen den nüchternen Mauern der Lagerhä wider. Auch Carsten Weiher hörte ihn laut und deutlich, und er zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. ‚Herrgott noch mal, er hatte doch verlangt, dass man den Kerl abfing! Was war schiefgegangen? Was war mit seinen Leuten? Franco Millane stieß einen Wutschrei aus. Er brachte den Rufer mit Sehnert in Verbindung. Sehnert hatte ihn in eine Falle gelockt. Verflucht, ja, es war eine Falle, aber dieser Mann gehörte nicht zu den BKA-Leuten. Mochte der Kuckuck wissen, wer das war. Auf jeden Fall verdarb er alles, und das machte Weiher wütend. Silvio Gonzales war unglaublich schnell. Er sprang aus dem Wagen, hielt seine Waffe schon in der Faust, und Marc Walther schoss auf ihn. Die Kugel verfehlte ihr Ziel. Millane zog seine Pistole und wollte Sehnert töten. Der Polizist brüllte: „Fallen lassen! BKA!“ Da drückte Millane erst recht ab, und Klaus Sehnert entging dem Treffer nur, indem er sich blitzschnell fallen ließ. Sengend heiß zischte das Blei an seiner Wange vorbei. Sehnert schoss zurück, doch da, wo Franco Millane noch vor einer Sekunde gestanden hatte, war er nicht mehr. Jetzt beteiligten sich die anderen BKA-Leute an der Schießerei, während Carsten Weiher mit langen Sätzen über das Lagerhausdach stürmte. Er erreichte einen kantigen Aufbau, jagte eine Treppe hinunter und zog die Dienstwaffe.

Der Teufel sollte diesen Fremden holen, mit dem niemand hatte rechnen können. Er brachte alles durcheinander, schien mit Millane abrechnen zu wollen. Ausgerechnet heute Nacht. Das war nicht zu fassen! Weiher sprang immer gleich über mehrere Stufen. Sehen konnte er sie kaum. Er musste sie mehr erahnen und hoffte, sich nicht die Knöchel oder gar das Genick zu brechen. Zwischen den Lagerhän ging es drunter und drüber. So hatte sich das Carsten Weiher nicht vorgestellt. Er hatte gehofft, dass nur wenige Schüsse - wenn überhaupt - fallen würden, und nun herrschte dort draußen der reinste Krieg. Weiher raste durch die Finsternis. Das offene Lagerhaustor zeichnete sich vor ihm als graues Rechteck ab. Er rannte, als ginge es um sein Leben. Irgendein Leben war tatsächlich gefährdet, solange geschossen wurde, deshalb musste das Feuer schnellstens eingestellt werden. Es sollte auf keiner Seite Tote geben. Weiher erreichte das Tor. Er stürmte hinaus. Soeben feuerten Franco Millane und Silvio Gonzales ihre Waffen auf die Beamten ab. Weiher schoss auf Gonzales, traf ihn aber nicht. Ein Mann lag hinter einem rostigen Blechfass in Deckung und schoss ununterbrochen. Sehnert lag auf dem Boden. Sein Blut glänzte im Licht der Scheinwerfer. Sein Bein war verletzt. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich weiter an der Schießerei zu beteiligen. Gonzales wollte sich das nicht länger bieten lassen. Seine Waffe schwenkte in Sehnerts Richtung. Weihers Herz übersprang einen Schlag. „Gonzales!“, brüllte er, gleichzeitig zielte er auf den Riesen. Der Glatzkopf reagierte nicht, er krümmte den Finger, und Weiher tat es auch, aber um einen Sekundenbruchteil schneller. Damit rettete er Klaus Sehnert das Leben.

Gonzales wurde zur Seite gestoßen. Er feuerte zwar, traf aber Sehnert nicht. Marc Walther begriff den Feuerzauber nicht, den er mit seinem Schrei ausgelöst hatte. Er wusste nicht, was das für Leute waren, die die Gangster unter Beschuss nahmen. Er wusste nur, dass er ihnen Millane nicht überlassen würde. Franco Millane gehörte ihm! Im Sturmlauf rannte er auf den Gangsterboss zu. Er wollte den verhassten Mann endlich fallen und sterben sehen.

28

Auch für Bernd Schuster war das, was ierte, ein Rätsel. Er nahm an, dass Millanes Konkurrenten hier eine Falle errichtet hatten. Als Marc Walther von dieser schattenhaften Gestalt kassiert wurde, war Bernd klar, dass er Walther aus der Klemme herausholen musste. Doch schon Augenblicke später musste Bernd erkennen, dass sich Walther selbst aus der Klemme geholfen hatte. Der Kollege trat aus dem Lagerhaus und setzte seinen Weg fort. Bernd beobachtete, wie Walther die Waffe in Anschlag brachte, und hörte, wie er Millanes Namen rief. Auch Bernd war darüber erstaunt, was Walther damit auslöste. Mündungsfeuer flammten auf, Schüsse krachten, Kugeln pfiffen, Querschläger zirpten, Männer rannten geduckt und immer wieder feuernd durch die Dunkelheit. Es ging heiß her, und für Bernd Schuster galt es, in erster Linie Marc Walther vor Schaden zu bewahren. Er konnte sich nicht um alle kümmern. Er musste sich entscheiden, und er entschied sich für seinen Kollegen. Gonzales versuchte, Walther niederzustrecken. Bernd schoss auf den Riesen. Der zuckte herum und feuerte zurück. Bernd sprang hinter einen Mauervorsprung, und Gonzales Kugel riss ein tiefes Loch in den Verputz. Walther startete. Anstatt sich in Sicherheit zu bringen, irgendwo in Deckung zu gehen und zu warten, bis die Schießerei zu Ende war, stürmte er ins heißeste Zentrum vor. Ihn zu rufen, hatte keinen Sinn. Bernd musste hinterher. Franco Millane packte den Geldkoffer und das Rauschgift. Er warf beides in den Wagen.

Silvio Gonzales war verletzt, doch nicht so schwer, dass er das Fahrzeug nicht mehr lenken konnte oder gar zurückbleiben musste. „In den Wagen!“, rief ihm Millane zu. „Schnell!“ Gonzales stieg ein, hörte aber nicht auf zu schießen. Millane sah Walther und stoppte dessen Sturmlauf mit einer Kugel. Bernd blieb das Herz fast stehen, als er sah, wie sein getroffener Kollege stolperte und stürzte. Und Marc Walther erhob sich nicht mehr. Bernd feuerte auf Franco Millane, der sich in das Fahrzeug fallen ließ. Alle nahmen das Auto unter Beschuss. Die Kugeln bohrten sich ins Blech, durchschlugen die Fenster, zertrümmerten beide Außenspiegel. Nur Franco Millane blieb wie durch ein Wunder unverletzt. Gonzales gab Gas. Er raste im Rückwärtsgang los. Das Fahrzeug überrollte Marc Walther, schlitterte mit rauchenden Reifen herum und raste auf Bernd Schuster zu. Die Kugeln, die der abfeuerte, vermochten das Gangsterfahrzeug nicht zu stoppen. Millane und seinem glatzköpfigen Schutzengel gelang die Flucht, und das Geschäft lohnte sich für ihn jetzt noch mehr, denn nun hatte er beides: das Geld und den Stoff. Was Marc Walther ausgelöst hatte, war für Millane am Ende zu einem guten Geschäft geworden.

29

Stille! Kein Schuss fiel mehr, aber drei Waffen waren auf Bernd Schuster gerichtet, und eine harte Stimme befahl ihm, die Pistole fallen zu lassen und die Hände zu heben. Er tat es nicht sofort. Aber als er hörte, dass diese Männer vom BKA waren, gehorchte er, und jetzt wurde ihm manches klar. Franco Millane sollte in die Falle gehen, und Marc Walther hatte die Sache verdorben. Aber wer wollte Walther deswegen jetzt noch einen Vorwurf machen? Der Privatdetektiv hatte seinen Irrsinn büßen müssen. Der Beamte im Lagerhaus kam zu sich und wankte benommen nach draußen. Von der Schießerei hatte er nichts mitbekommen. Dass es eine gegeben hatte, brauchte ihm aber niemand zu sagen, das sah er. „Kümmere dich um Sehnert“, sagte Carsten Weiher zu ihm. Weiher hob Bernds Beretta auf und schob sie in seinen Gürtel. Er trat näher und musterte ihn scharf. „Name?“ „Bernd Schuster“, antwortete der Gefragte korrekt. „Wohnhaft in?“ „Berlin, Kurfürstenstraße 106.“ „Was Sie getan haben, wird Sie teuer zu stehen kommen“, drohte Carsten Weiher. „Dafür werde ich persönlich sorgen, und wenn Sie keinen Waffenschein haben, gibt’s noch eine Extraportion Knast drauf.“ Er wies auf Walther. „Ich nehme an, Sie gehören zu ihm.“ „Wir sind Kollegen“, antwortete Bernd steif. Die Art, wie ihn der Mann behandelte, sagte ihm nicht zu.

„Ach, Kollegen nennt man das jetzt. Ich dachte, das hieße Komplizen. Ihr wolltet Franco Millane killen. Von wem hattet ihr den Auftrag dazu?“ „Ich wollte Walther daran hindern“, sagte Bernd. „Wer ist Walther?“ Wieder wies er auf Bernds Kollegen. „Marc Walther“, sagte Bernd. „Ein Jahr!“, schrie Carsten Weiher ihn an. „Herrgott noch mal, ein ganzes Jahr lang haben wir gebraucht, um Franco Millane so weit zu haben, und dann taucht ihr Hampelmänner auf und verderbt alles! Aber das reicht noch nicht! Durch euer unerlaubtes Eingreifen in diese Amtshandlung gelang es Millane auch noch, sich in den Besitz von Rauschgift zu bringen, das fast 300.000 Mark wert ist.“ „Der Stoff war der Köder für Millane?“ „Sehr richtig, Schuster, und jetzt hat er ihn, und wir gucken durch die Finger.“ „Ich möchte jetzt nicht in Ihrer Haut stecken.“ „Und ich nicht in Ihrer!“, brüllte Weiher. „Denn ich mache Sie für diesen Misserfolg verantwortlich!“ „Sie kennen meinen Namen. Ich hingegen weiß immer noch nicht, mit wem ich es zu tun habe.“ „Ich bin Carsten Weiher, BKA. Ich habe diesen Einsatz geleitet, und ich bringe Sie vor Gericht.“ „Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, sich meine Papiere anzusehen, wüssten Sie, dass Sie keinen Verbrecher vor sich haben, Herr Weiher. Ich stehe auf der Seite des Gesetzes wie Sie.“ „Ach, wollen Sie mir etwa weismachen, Sie gehörten auch unserem Verein an?“, höhnte Weiher. „Das nicht, aber ich bin Privatdetektiv, genau wie Marc Walther.“ „Ich sagte es immer schon: Gott beschütze uns vor übereifrigen

Privatdetektiven.“ Weiher forderte Taylor auf, Bernd zu durchsuchen. Der BKABeamte fand keine weitere Waffe. Er zog Bernds Brieftasche heraus und zeigte Weiher gleich darauf Bernds Ausweis, doch der Einsatzleiter wurde nicht versöhnlicher. Zu schmerzhaft nagte der Misserfolg an ihm. Einer seiner Leute ging hinüber zu ihrem Fahrzeug, um einen Krankenwagen für Klaus Sehnert anzufordern. Taylor wich nicht von Weihers Seite. Er hielt Bernd weiterhin mit seinem Dienstrevolver in Schach. „Bin ich verhaftet?“, erkundigte sich Bernd. „Noch nicht.“ „Darf ich in diesem Fall endlich die Hände runternehmen?“ „Meinetwegen. Sie wollten also Franco Millane das Handwerk legen“, knurrte Weiher. „Ich muss Ihnen sagen, dass ich Ihre Vorgangsweise nicht billigen kann. Ihr Kollege ... Ist er wirklich Ihr Kollege?“ „Er trägt seinen Personalausweis und seine Visitenkarten mit Sicherheit bei sich“, sagte Bernd. „Sie können sich selbst überzeugen.“ „Später“, entschied Carsten Weiher barsch. „Ihr Kollege wollte Franco Millane eiskalt erschießen. Er war ganz versessen darauf, den Mann zu töten.“ „Das ist richtig“, musste Bernd bestätigen. Weiher schaute ihn überrascht an. „Das geben Sie auch noch zu? Ist das die richtige Vorgangsweise für einen Privatdetektiv, Herr Schuster?“ „Nein, das ist sie nicht. Deshalb wollte ich Marc ja auch daran hindern, wie ich schon sagte.“ „Ich dachte, Sie beide hätten zusammengearbeitet.“ „Marc Walther war blind vor Hass. Er schlug mich in seiner Wohnung nieder und machte sich auf den Weg zu Millane, um ihn zu töten.“ „Was war sein Motiv?“

„Rache“, sagte Bernd Schuster und erzählte die ganze Geschichte, damit Weiher sich auskannte. „Was Walther getan hat, beziehungsweise tun wollte, bleibt dennoch unverantwortlich“, sagte Weiher entschieden. „Ich bringe dafür kein Verständnis auf. Wo kämen wir hin, wenn jeder Vater, dessen Sohn oder Tochter einem Verbrechen zum Opfer fiel, zur Waffe greifen und Selbstjustiz üben würde?“ „Ich habe Doris Walther gekannt, und ich habe sie tot gesehen. Ich verteidige nicht, was mein Kollege getan hat, aber ich kann ihn auch nicht verurteilen. Marc Walther war eben nur ein Mensch, und was Franco Millane und seine Freunde ihm angetan hatten, überstieg seine Kräfte. Er konnte nicht anders. Er musste durchdrehen.“ „Ich will Walthers Papiere sehen“, sagte Weiher zu den Kollegen. Der BKAAgent begab sich zu Walther. „Marc war stets ein unbescholtener Mann, der furchtlos für Gesetz und Ordnung eintrat“, sagte Bernd. „Heben Sie sich die Grabrede für später auf. Sie sind damit noch zu früh dran. Ich will Ihnen jetzt mal was sagen, Schuster. Vielleicht denken Sie ja, den Tod Ihres Kollegen rächen zu müssen, aber daraus wird nichts, das werden Sie schön bleiben lassen, haben Sie kapiert? Dies ist ein BKA-Fall, und ich werde nicht dulden, dass Sie noch mal dazwischenfunken. Holen Sie das entlaufene Schoßhündchen einer verrückten reichen alten Dame zurück. Das ist ein Auftrag für einen Privatdetektiv. Franco Millane gehört mir. Sollten Sie das nicht respektieren, sorge ich dafür, dass man Sie wegsperrt.“ BKA hin, BKA her. Bernd wollte sich diesen Ton nicht gefallen lassen. Er setzte zu einer sehr heftigen Erwiderung an, doch plötzlich rief einer der BKA-Leute: „Der Mann lebt! Walther ist nicht tot. Er lebt. Er atmet. Ich kann seinen Puls fühlen.“

30

Endlich etwas Erfreuliches, dachte Bernd Schuster. „Darf ich zu ihm, Herr Weiher?“, fragte er. Der Einsatzleiter nickte. Bernd beugte sich über Marc Walther. Der Mann atmete rasselnd, sein Gesicht war dreckig, ein dicker Blutfleck befand sich auf seiner Brust. „Marc!“, sagte Bernd eindringlich. Der Mann hatte die Augen geschlossen. Jetzt zuckten die Lider, aber er schien nicht die Kraft zu haben, die Augen zu öffnen. „Marc!“ Das Zucken verstärkte sich. Walthers Kleidung war an mehreren Stellen zerrissen. Da, wo ihn der Wagen überrollt hatte, war sie schmierig. „Marc!“ Endlich schlug Walther die Augen auf. Mit glanzlosem Blick schaute er Bernd an. „Bernd“, hauchte er. „Ich bin erledigt.“ „Blödsinn“, widersprach ihm Bernd Schuster energisch. „Die Ärzte flicken dich wieder zusammen.“ „Wieso bist du hier, Bernd? Wieso bist du nicht in Doris‘ Zimmer? Ich habe dich doch ... Es tut mir leid, aufrichtig leid.“ „Es ist vergeben und vergessen“, sagte Bernd. „Du hast nicht mit der Härte meines Schädels gerechnet. Dein Schlag hat nicht ausgereicht, um mich für längere Zeit aus dem Verkehr zu ziehen.“

„Und ich fürchtete schon, zu fest zugeschlagen zu haben.“ „Ich bin dir gefolgt, bis hierher.“ „Ich habe dich nicht bemerkt.“ „Ich war im Beschatten immer schon verdammt gut“, sagte Bernd. „Ich ... ich wollte Millane töten ... Da waren auf einmal auch andere. Es gab eine Schießerei ... Gab es die wirklich, Bernd? Woher kamen auf einmal die anderen?“ „BKA“, erklärte Bernd. „Du Narr hast denen dazwischengefunkt. Sie hatten Millane eine Falle gestellt. Ein Jahr Arbeit hast du zunichtegemacht. Du kannst dir vorstellen, wie sauer sie auf dich sind.“ „Millane? Was ist mit Millane?“ „Er konnte in dem allgemeinen Durcheinander abhauen.“ „Ich könnte mich ohrfeigen, Bernd.“ „Du wirst es tun, sobald du wieder gesund bist. Ich werde dich daran erinnern.“ „Doris kann nicht stolz sein auf ihren Vater.“ „Nein, das kann sie wirklich nicht. Nicht, solange er so verrückte Dinge tut wie du, aber sie gibt dir bestimmt gern eine Chance. Du kannst dich ändern. Ich habe dir angeboten, dir zu helfen, Millane zur Strecke zu bringen. Dieses Angebot gilt noch, Marc. Bist du jetzt daran interessiert?“ Walthers Augen wurden feucht. „Sieh diesen alten Idioten an, Bernd. Er weint“, sagte Marc Walther und griff kraftlos und zitternd nach Bernd Schusters Hand. „Dürfen alte Leute denn nicht weinen?“, fragte Bernd. „Doch, sie dürfen.“ „Dann tu’s, wenn es dir guttut.“ „Ich hoffe, wir werden Freunde, Bernd“, sagte Walther.

„Sag mal, hast du das noch nicht gemerkt? Das sind wir schon“, erwiderte Bernd grinsend. Dann traf der Krankenwagen ein.

31

Auch Silvio Gonzales brauchte einen Arzt, natürlich einen, der schweigen konnte, kein Plappermaul. So einer war Doktor Kranz. Er hatte sich darauf spezialisiert, Schussverletzungen von Verbrechern zu behandeln, und er machte seine Sache sehr gut, vorausgesetzt, man war bereit, seine stark überhöhten Honorarforderungen zu akzeptieren und bar und sofort zu bezahlen. Ansonsten rührte er für seinen Patienten keinen Finger, selbst wenn die Gefahr bestand, dass er in seinem Haus verblutete. Dr Kranz war ein harter Mann. Geld bedeutete ihm alles, ein Menschenleben überhaupt nichts. Seiner Auffassung nach gab es ohnedies viel zu viele Menschen auf der Welt. Die Kugel, die Gonzales getroffen hatte, hatte zuerst seinen Oberarm durchbohrt und war ihm dann in den Brustkorb gedrungen. Mit nacktem Oberkörper saß der kahlhäuptige Riese im Behandlungsraum. Blutbesudelte Kleidung lag auf dem Bett, auf das sich Gonzales nicht legen wollte. „Man legt sich hin, wenn’s ans Abkratzen geht“, hatte er gesagt. „Davon bin ich aber noch meilenweit entfernt. Geben Sie mir eine schmerzstillende Spritze, und dann holen Sie mir die verdammte Kugel aus dem Fleisch. Keine Angst, ich mache nicht schlapp. Wenn es nötig ist, assistiere ich Ihnen sogar bei der Operation.“ Franco Millane befand sich nicht im Raum. Er telefonierte in Dr Kranz‘ Büro, denn es waren jetzt schnellstens einige Dinge zu regeln. Das BKA hatte sich auf ihn eingeschossen. Er beschäftigte Mädchen aus zahlreichen Ländern, und nicht alle arbeiteten ganz freiwillig für ihn. Beinahe hätten sie ihn mit dem Rauschgift gekriegt, aber zum Glück nur beinahe. Klaus Sehnert hatte ihn gekonnt hinters Licht geführt. Er nahm sich vor, noch vorsichtiger als bisher zu sein. Seine Menschenkenntnis, auf die er sich

bisher stets verlassen konnte, hatte zum ersten Mal versagt. Das sollte ihm eine Lehre sein. Kein Schaden ohne Nutzen, tröstete Millane sich und dachte dabei an den guten Stoff, den er sich trotz der wilden Schießerei unter den Nagel gerissen hatte. Ja, er war schon ein Teufelskerl. Nicht einmal im dichtesten Kugelhagel hatte er die Nerven verloren, und das hatte sich gelohnt. Er würde in den nächsten Tagen darangehen, das Rauschgift zu verschneiden und zu verhökern. Es würde ihm eine hübsche Summe einbringen. Heroin, das er dem BKA weggenommen hatte ... Das war zum Brüllen! Er rief zu Hause an. Einer seiner Leute war fast immer da. So auch diesmal. Millane sagte dem Mann, was er tun solle. Wenn das BKA in Kürze anrückte, würde es ein leeres Haus vorfinden. Franco Millane hatte genügend Freunde, die ihm gern gefällig waren. Er brauchte nur einen von ihnen zu bitten, und schon hatte er auf unbeschränkte Zeit eine andere Bleibe. Walther hatte ihn zu erschießen versucht, das verzieh er dem Mann nie. Falls er noch lebte, würde Millane ihn früher oder später dafür zur Rechenschaft ziehen. Genau genommen hätte er Walther für sein Eingreifen dankbar sein müssen, denn damit hatte er die BKA-Agenten verwirrt und aus einer Niederlage einen Sieg für Millane gemacht. Einen einmaligen, triumphalen Sieg sogar. Aber Dankbarkeit war ein Wort, das es in Franco Millanes Vokabular nicht gab. Marc Walther hatte es gewagt, auf ihn zu schießen. Wenn er noch nicht tot war, würde er sterben, das war für Millane beschlossene Sache. Während er weitere Telefonate führte, machte sich Dr Kranz an Gonzales‘ Wunden zu schaffen. Er sorgte zunächst dafür, dass die Oberarmwunde zu bluten aufhörte. Nachdem er sie gereinigt und verbunden hatte, tastete er mit einer dünnen Drahtsonde in den Einschusskanal hinein. Die Injektion hatte zu wirken begonnen. Silvio Gonzales spürte nichts. „Das Ding sitzt ziemlich fest im Muskel“, bemerkte der Arzt.

Gonzales grinste. „Die können sich sehen lassen, was? Kostete mich viel Mühe, sie anzutrainieren, und ich arbeite täglich daran, dass sie hart bleiben. So’n schlaffer Muskel ist was Hässliches.“ „Sie werden eine Weile nichts tun können.“ „Ich werd’s schon merken, wann ich mit dem Training wieder beginnen kann“, sagte der Riese. „Fangen Sie an, Doc. Holen Sie den Fremdkörper aus meinem Fleisch, er stört mich.“ „Wollen Sie sich nicht doch lieber hinlegen? Es wird eine Weile dauern, und ich muss schneiden.“ „Wir machen es hier, auf diesem Stuhl“, entschied Gonzales, und der Arzt holte aus einem Glasschrank, was er für die Operation brauchte. Nachdem er alles keimfrei gemacht hatte, begann er mit der Arbeit. Silvio Gonzales zuckte nicht einmal mit der Wimper. Seine Miene drückte größte Gelassenheit aus, während der Arzt an ihm herumwerkte. Kranz musste das Loch vergrößern, um an das Projektil zu gelangen. Er packte es mit der Pinzette und versuchte es vorsichtig zu drehen. Es floss viel Blut aus der Wunde, doch die Kugel bewegte sich keinen Millimeter. Kleine Schweißtröpfchen glänzten auf der Stirn des Arztes. „Ja, ist denn das die Möglichkeit ...“ Gonzales lachte. „Hart wie Eisen, die Muskeln, was?“ „Aber das ist jetzt ein Nachteil“, sagte Kranz. „Legen Sie sich mal ein bisschen mehr ins Zeug, Mann“, forderte ihn der Riese auf. „Wie lange soll ich hier noch herumsitzen?“ Kranz nahm wieder das Skalpell in die Hand. Erst nachdem er den nächsten Schnitt gemacht hatte, ließ sich das Geschoss drehen. Augenblicke später hielt er Gonzales die blutige Kugel vor die Augen.

Gonzales grinste. „Da ist der Schlingel ja.“ „Wollen Sie die Kugel als Andenken behalten?“, fragte der Arzt. Der Riese schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keine Verwendung dafür. Schmeißen Sie sie weg.“ Franco Millane betrat den Behandlungsraum. „Na, wie sieht’s aus?“ „Die Kugel ist raus, Boss“, antwortete Silvio Gonzales. „Wunderbar.“ „Sie müssen Ihren rechten Arm in den nächsten Tagen schonen“, sagte der Arzt. Gonzales wandte sich grinsend an Millane. „Das heißt nicht, dass ich ausfalle, Boss. Ich habe noch einen linken Arm, und der steht dir weiterhin zur Verfügung.“ „Mal sehen“, sagte Millane. „Erinnerst du dich, Boss? Ich sagte, ich hätte ein mieses Gefühl. Keine Angst, nur dieses Gefühl. Es hat mich nicht getrogen.“ Franco Millanes Brauen zogen sich unwillig zusammen. Er wurde nicht gern an das erinnert, was er bei den Lagerhän an der Spree erlebt hatte. Die Falle hätte funktionieren können. Dr Kranz versorgte die Schussverletzung gewissenhaft. Franco Millane war einer der wenigen, die bei ihm Kredit hatten, doch der Gangster machte von diesem Vorzug nicht Gebrauch. Er würde allerdings nicht bar bezahlen, sondern einen Scheck dalassen, obwohl sich draußen im Wagen 150.000 Mark befanden. Millane wollte die runde Summe beisammenhalten. Fünfzehn Minuten hatte Kranz noch mit dem Riesen zu tun. Danach erteilte er dem Mann eine Menge guter Ratschläge, die dieser aber vermutlich nicht beherzigen würde.

Einem Mann wie Silvio Gonzales konnte man keinen Rat geben. Er machte nur, was er selbst für richtig hielt. Das war nicht einmal falsch, denn er verfügte über den ausgeprägten Instinkt eines Tieres.

32

Als man Marc Walther auf die Bahre legte, verlor er das Bewusstsein, doch die Errungenschaften der Medizin würden auch ihm zuteilwerden. Von nun an würde für ihn getan werden, was möglich war. Während der Fahrt ins Krankenhaus bekam Walther eine Herz- und Kreislauf stärkende Spritze. Bernd Schuster hatte seine Beretta zurückverlangt und von Weiher auch bekommen. Er folgte der Ambulanz. Während man Walther operierte, rauchte Bernd eine Roth Händle nach der anderen und rannte im Wartesaal wie ein gereizter Tiger auf und ab. Er nahm an, man hätte ihn vergessen, als endlich die Tür geöffnet wurde und ein junger Arzt eintrat. Von ihm erfuhr Bernd, dass Marc Walther durchkommen würde. Diese Nachricht erleichterte Bernd sehr. „Er ist schon wieder bei Bewusstsein und hat nach Ihnen gefragt“, sagte der Doktor. „Darf ich zu ihm?“ Der Arzt nickte. „Aber nur kurz. Er ist sehr schwach und darf sich nicht aufregen.“ Bernd ließ sich vom Doktor den Weg zeigen, und wenig später war er mit Marc Walther allein. Eine unsichtbare Hand legte sich kalt auf seine Kehle und drückte zu. Drähte, Schläuche, Sonden ... Irgendwo dazwischen Marc Walther, leichenblass, erschöpft, mit glasigen Augen. Bernd grinste, obwohl ihm bei Walthers Anblick eigentlich nicht danach zumute war. „Du siehst aus wie ein Maschinenmensch. Wie fühlst du dich?“ „Überhaupt nicht“, antwortete Bernds Kollege tonlos. „Die haben mich mit Medikamenten so vollgepumpt, dass ich nicht mehr weiß, ob ich ein Männchen

oder ein Weibchen bin.“ „Der Stimme nach zu schließen gehörst du der Gattung Männchen an.“ „Dieser Millane hatte unverschämtes Glück. Ich war so sicher, dass ich ihn kriegen würde.“ „Er wird bezahlen. Wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Das Leben ist gerecht, Marc, wenn wir’s auch nicht immer erkennen können oder wahrhaben wollen. Am Ende siegt immer das Gute. Die Zeit ist auf unserer Seite und gegen Franco Millane.“ „Das Leben ist gerecht, sagst du“, flüsterte Marc Walther. Er schloss die Augen und schluckte. „Und was ist mit Doris? War das gerecht?“ „Uns allen ist unser Weg vorgezeichnet, Marc.“ „Ich erkenne keinen Sinn in dem Weg, den meine Tochter gehen musste.“ Bernd seufzte. „Ich auch nicht, aber der Mensch kann nicht immer begreifen, was geschieht. Er ist zu klein, zu unbedeutend, ein Sandkorn nur im großen Universum, in diesem riesigen, unbegreiflichen Gefüge aus Leben und Unendlichkeit.“ „Millane ist bestimmt untergetaucht.“ „Ich werde ihn suchen“, sagte Bernd. „Carsten Weiher ist zwar dagegen, er ist der Meinung, Millane wäre ausschließlich sein Fall, aber darum kümmere ich mich nicht.“ „Weiher wird dir Schwierigkeiten machen.“ „Das hat er mir angedroht“, sagte Bernd lächelnd. „Er kennt mich nicht. Er weiß nicht, dass man mir nicht drohen darf. Damit macht man mich nur störrisch. Ich werde tun, was ich für richtig halte. Das kann Herr BKA nicht verhindern.“ „Er kann dich für eine Weile wegschließen lassen.“ Bernd zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Dann mache ich eben später weiter. Ich gehe jetzt, du brauchst Ruhe. Ich komme morgen wieder. Vielleicht

kann ich dir dann schon ein paar erfreuliche Neuigkeiten mitbringen.“

33

Bernd setzte tags darauf auch Franziska Jahn ein, allerdings ließ er sie nur telefonieren, während er selbst in persönlichen Gesprächen, zumeist unter vier Augen, herauszufinden versuchte, in welchem Loch sich die Ratte Franco Millane verkrochen hatte. Er wäre bereit gewesen, gutes Geld für eine brauchbare Information zu bezahlen, doch so gern man sich die in Aussicht gestellten Scheine auch verdient hätte, im Moment konnte Bernd niemand helfen. Gegen elf Uhr kehrte Bernd in sein Büro zurück. Franziska wollte wissen, ob er etwas in Erfahrung gebracht hätte. Er seufzte und schüttelte den Kopf, aber er war nicht entmutigt, denn die Zeit arbeitete nach wie vor für ihn, davon war er überzeugt. „Bist du fündig geworden?“, fragte er sie. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sie ihn mit der Sensation gleich beim Eintreten überfallen. Er war deshalb nicht enttäuscht, als sie den Kopf schüttelte und sagte: „Vorläufig nicht, aber ich erwarte einige Rückrufe. Vielleicht bringt uns der eine oder andere ein Stück weiter.“ „Kochst du immer noch den besten Kaffee von Berlin und Umgebung?“ „Ich denke schon.“ „Ich möchte mich davon überzeugen“, sagte Bernd und begab sich in sein Allerheiligstes. Zu Franziskas Wunderkaffee rauchte er dann eine Roth Händle, und als Franziska die leere Tasse abholte, sparte er nicht mit Lob. Sie ließ ihn allein und meldete eine Minute später einen Anruf von Carsten Weiher. „Bist du für ihn zu sprechen?“

Bernd überlegte kurz und beschloss dann, sich anzuhören, was Weiher ihm zu sagen hatte. Vielleicht wollte der BKA-Agent sich für sein gestriges schlechtes Benehmen entschuldigen. Diese Gelegenheit durfte ihm Bernd nicht vorenthalten. „Stell durch“, bat er, und Augenblicke später kam nicht Franziska Jahns angenehme Stimme durch den Draht, sondern Weihers unangenehmes, raues Organ drang ihm ins Ohr. „Sie nehmen mich wohl nicht ernst, Herr Schuster!“, wetterte er gleich los. „Erst mal guten Tag“, sagte Bernd provozierend. „Hat man in Ihrem Elternhaus so wenig Wert auf gute Manieren gelegt?“ „Steigen Sie herunter von Ihrem hohen Ross, Schuster. Sie haben dort oben nichts zu suchen. Sie sind nur Privatdetektiv.“ „Mit anderen Worten, Sie halten sich für etwas Besseres.“ „Ich halte mich für autorisiert, das Verbrechen in unserem Land zu bekämpfen, während Sie sich selbst zu dem gemacht haben, was Sie sind.“ „Wenn das Ihre vorgefasste Meinung ist ...“ „Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich Leuten wie Ihnen ein für alle Mal die Arbeit verbieten. Dann gäbe es keine Privatdetektive mehr, die sich alle für Sherlock Holmes persönlich halten, uns in Wirklichkeit aber nur im Weg sind und uns die Arbeit erschweren.“ „Ein Glück, dass Sie nichts zu sagen haben, Herr Weiher“, sagte Bernd gleichmütig. „Ich habe Sie gestern gewarnt, Herr Schuster!“, erinnerte der BKA Agent. „Aber Sie scheinen sich meine Worte nicht gemerkt zu haben.“ „Oh, das stimmt nicht. Ich kann mich noch an jedes einzelne sehr gut erinnern“, widersprach Bernd. „Ich muss aber zugeben, dass Sie auf mich damit nicht den geringsten Eindruck gemacht haben.“ „Sie versuchen Franco Millane zu finden, Schuster, obwohl ich Ihnen erklärt

habe, dass es ein BKA-Fall ist, aus dem Sie sich raushalten sollen.“ Bernd ärgerte sich über Weiher, aber er ließ es sich nicht anmerken. Der Mann hielt sich für etwas Besonderes. Vielleicht hatte er mit Privatdetektiven schlechte Erfahrungen gemacht, deshalb durfte er aber doch nicht alle in einen Topf werfen. Es wäre der Sache dienlicher gewesen, wenn sie zusammengearbeitet hätten, aber diesen Vorschlag brauchte Bernd dem BKA-Agenten erst gar nicht zu machen. Weiher hätte ihn ja doch nur abgelehnt. „Ich warne Sie zum letzten Mal, Herr Schuster“, sagte Carsten Weiher. „Wenn Sie die Finger nicht von meinem Fall lassen, werde ich unangenehm.“ „Noch unangenehmer!“ „Kommen Sie mir nicht in die Quere, Schuster, und halten Sie ja keine wichtigen Informationen zurück, sonst sind Sie weg vom Fenster wegen Behinderung der Behörden. Haben Sie mich verstanden?“ „Aber ja. Sie haben schließlich laut genug gesprochen.“ „Dann merken Sie es sich auch!“, knurrte Weiher und legte auf. Bernd ließ den Hörer sinken. Er gehörte nicht zu den Menschen, die auch die andere Backe hinhielten, wenn man sie auf die eine schlug. Er schlug zurück. In diesem Fall sah das so aus, dass er jemand anrief, mit dem er schon oft zusammengearbeitet hatte. Sein Kontakt war ein einflussreicher BKA-Mann. Diesen Umstand machte sich Bernd Schuster zunutze. Er klagte ihm sein Leid und bat ihn, Carsten Weiher auf die Zehen zu treten, Sein Gesprächspartner versprach, das zu tun, und wer seine Füße kannte, wusste, dass Carsten Weiher das auch spüren würde.

34

Franco Millane wohnte nicht mehr in seinem eigenen Haus. Er war jetzt Gast im Hause eines guten Freundes und konnte bleiben, solange er wollte. Silvio Gonzales befand sich bei ihm. Er trug den rechten Arm in der Schlinge, doch niemand sollte glauben, dass er jetzt nicht mehr gefährlich war. Der Riese schoss links fast so gut wie rechts, und wo er mit seiner linken Faust hinschlug, da wurden Zähne locker. Vorläufig leitete Millane seine Unternehmen per Telefon. Er gab nichts aus der Hand, alles blieb unter seiner Kontrolle. Es war wichtig, dass alle, die für ihn arbeiteten, wussten, dass ihnen der Boss nach wie vor auf die Finger schaute. Dadurch war gewährleistet, dass keiner die Zügel schleifen ließ. Alle trugen weiterhin mit demselben ungebrochenen Eifer dazu bei, dass der Geldfluss, der in Millanes Taschen strömte, nicht versiegte. Gonzales saß in einer bunten Hollywoodschaukel und blickte gelangweilt in den leeren Swimmingpool vor der überdachten Terrasse, die jetzt Franco Millane betrat. Das Grundstück war groß, gepflegt und mit einer hohen Mauer eingefriedet. Eine Insel am Rande der Großstadt. Kein Lärm, keine Hektik, nur Frieden und erholsame Stille. „Ich komme mir vor wie im Urlaub“, sagte Gonzales grinsend. Millanes Stirn war gerunzelt. „Hast du Sorgen, Boss?“, fragte der Riese und erhob sich. Der Gangsterboss schüttelte den Kopf. „Keine Sorgen, Silvio. Ich ärgere mich nur immer noch über Marc Walther, diesen gottverfluchten Bastard. Er lebt, liegt im Krankenhaus, wird wieder gesund.“ „Und das gefällt dir nicht.“

„Ganz und gar nicht.“ Der Glatzkopf grinste. „Dem kann doch Abhilfe geschaffen werden, das ist doch überhaupt kein Problem. Sag mir, in welchem Krankenhaus der Mann liegt, und ich gehe hin und mache ihn kalt.“ „Du musst dich schonen.“ „Ach was. Meine linke Seite ist okay.“ Franco Millanes Miene verfinsterte sich. „Nein, Silvio. Mit Marc Walther rechne ich selbst ab. Eine Kugel wird genügen.“

35

‚Heute hat sein Gesicht schon ein bisschen Farbe‘, dachte Bernd, als er das Krankenzimmer betrat. Er hatte sich erkundigt, ob er dem Kollegen Whisky bringen dürfe, und der behandelnde Arzt hatte nicht nein gesagt. Grinsend hob er nun die kleine Flasche, die in Papier gewickelt war. „Ich habe dir Herztropfen mitgebracht. Sie werden dich stärken.“ „Ich nehme keine Medizin, nicht auch noch von dir“, sagte Marc Walther. „Diese wird dir schmecken.“ „Wirf sie zum Fenster hinaus, Bernd.“ „Sieh sie dir doch erst mal an“, sagte Bernd Schuster schmunzelnd und wickelte die Flasche aus. „Whisky!“ Walther strahlte. „Das ist natürlich etwas Anderes.“ „Sag ich doch. Der Arzt hat nichts dagegen, wenn du ab und zu einen Fingerhut voll zur Brust nimmst, aber übertreib’s nicht.“ Bernd flößte dem Kollegen den ersten gefüllten Fingerhut ein. „Schmeckt tausendmal besser als alles, was die hier auf Lager haben“, sagte Walther. „Und hilft wahrscheinlich auch tausendmal besser. Ich halte nichts von Pillen und Säften. Ich ekle mich davor. Setz dich, Bernd, und erzähl mir, was du inzwischen unternommen hast.“ Bernd nahm Platz. Er berichtete von Carsten Weihers Anruf, und Walthers Blick wurde ärgerlich. Seine Züge hellten sich aber auf, als er erfuhr, auf welche Weise Bernd zurückgeschlagen hatte. Er vergaß einen Moment, wie es um ihn stand, und grinste.

„Damit hat Weiher nicht gerechnet. Dein BKA-Freund wird ihn handzahm machen.“ „Das hoffe ich“, sagte Bernd. Er sprach in groben Umrissen über das, was er in den letzten Stunden getan hatte und was er noch zu unternehmen gedachte. „Du kriegst ihn, Bernd“, sagte Walther zuversichtlich. „Da bin ich ganz sicher. Er hat den schärfsten Jagdhund und den besten Fährtenhund auf den Fersen, den ich kenne. Schade, dass ich nicht dabei sein kann, wenn es zum Finale kommt.“ „Vielleicht bist du dabei.“ „Wird noch eine Weile dauern, bis die mich hier rauslassen“, sagte Walther. „Bis dahin hast du Millane längst zur Strecke gebracht.“ Bernd forderte ihn auf, ihm alles zu erzählen, was er über Millane wusste. Es konnte etwas dabei sein, wovon Bernd keine Kenntnis hatte. Sie unterhielten sich eine Stunde, dann wurde das Essen gebracht. Bernd verließ das Krankenhaus, ohne zu ahnen, dass er seinen Kollegen zum letzten Mal lebend gesehen hatte.

36

Franco Millane kam mit dem Taxi. Er trug einen Hut, dessen breite Krempe sein Gesicht überschattete, und eine große dunkle Sonnenbrille. Die Sonne bestrahlte das Krankenhaus, die großen Fenster schienen zu glühen. Hinter einem dieser Fenster befand sich Marc Walther. Er hatte die Schießerei an der Spree überlebt, doch heute würde ihn sein Schicksal ereilen. Millane sagte dem Taxifahrer, wo er halten sollte, bezahlte den Fahrpreis und stieg aus. An der Ecke stand ein Polizist. Er beachtete den Gangsterboss nicht. Wenn er geahnt hätte, wer hier soeben aus dem Wagen gestiegen war, hätte er sofort zur Waffe gegriffen, doch er blickte gelangweilt in die andere Richtung und nahm von Millane keine Notiz. Im Krankenhaus herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Schwestern, Helfer und Ärzte gingen aus und ein, Besucher kamen oder verließen das Gebäude. Zwei alte Frauen erkundigten sich beim Portier nach einer Bekannten, die sie besuchen wollten. Mit seiner Auskunft wussten sie nichts Rechtes anzufangen. Sie schauten sich gegenseitig ziemlich ratlos an. Daraufhin trat der Pförtner aus seinem Glaskäfig und begab sich mit ihnen zu den Fahrstühlen. Einen größeren Gefallen hätte der hilfsbereite Mann dem Gangsterboss nicht machen können. Franco Millane nützte diesen Zufall geschickt. Er betrat rasch die leere Portiersloge und suchte in dem dicken Buch, das dort lag, nach Walthers Namen. Er entdeckte die Eintragung und wusste nun, wo der Mann, den er töten wollte, lag. Bevor der Portier umkehrte, befand sich Millane schon auf dem Weg zu

seinem Opfer. Er nahm nicht den Lift, sondern ging zu Fuß. In der zweiten Etage entdeckte er einen hohen Wäschekorb auf Metallrollen. Er fischte einen weißen Kittel heraus, zog ihn an, nahm die Sonnenbrille ab und legte den Hut auf ein Fensterbrett. Nun war Dr. Franco Millane auf dem Weg zum Patienten. Er würde Sterbehilfe leisten. Bei diesem Gedanken huschte ein kaltes Lächeln über sein Gesicht. Während er die nächste Treppe hinaufstieg, zog er seine Pistole und schraubte einen klobigen Schalldämpfer auf die Waffe. Der Flur, den er wenig später betrat, war leer. Millane orientierte sich kurz, ging an der Teeküche vorbei und stand gleich darauf vor Marc Walthers Zimmer. Gewissenhaft blickte er sich um. Niemand kümmerte sich um ihn. So hatte er es gern. Wenn er jetzt eintrat, würde er mit dem verfluchten Schnüffler, der es gewagt hatte, seine Waffe auf ihn zu richten, allein sein. Marc Walther würde allein sein - mit seinem Henker.

37

Bernd Schuster hatte von seinem Kollegen ein paar Namen erfahren, die er noch nicht gekannt hatte. Einer davon war der von Sven Wolters. Diesem Mann gehörte nicht nur ein gut gehender Imbiss, er stand - und das machte ihn für Bernd interessant - auch auf Franco Millanes Lohnliste. Der Laden war gerammelt voll. Viele Jugendliche hatten sich bei Wolters eingefunden. Sie saßen sogar vor dem Lokal, weil drinnen kein Platz mehr war. Bernds Magen knurrte zwar, aber er hatte keine Lust auf einen Hamburger oder eine Curry-Wurst, die ja in Berlin als besondere Spezialität galt. Es war ihm wichtiger, sich mit dem Lokalbesitzer zu unterhalten. Hinterher würde er ein Restaurant in der Nähe aufsuchen und den lästigen Magen zum Schweigen bringen. Er fragte einen Angestellten nach Wolters. „Ist in seinem Büro“, antwortete dieser und wies mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. „Vielen Dank“, sagte Bernd und machte den drängelnden Leuten Platz. Sie wollten alle zur Futterkrippe, und Bernd hatte nicht die Absicht, ihnen das zu verwehren. Er klopfte an die Tür, an der Privat stand. Sven Wolters reagierte nicht, obwohl er da war. Er telefonierte gerade, das war der Grund. Bernd öffnete die Tür und trat ein. Der Raum war erstaunlich groß. Wolters, ein Playboy vom Scheitel bis zur Sohle, saß an einem gewaltigen Schreibtisch, seine Beine lagen auf der Arbeitsplatte. Er hielt den Hörer ans Ohr und blickte zum Fenster hinaus. Draußen zerzauste der Wind die Krone eines Kastanienbaumes.

„Hören Sie, das interessiert mich nicht“, sagte Wolters ärgerlich. „Dafür bin ich nicht zuständig. Ich kümmere mich nicht um anderer Leute Angelegenheiten. Wenden Sie sich damit an Mannig. Ja, Thorsten Mannig, das ist der richtige Mann. Ich verstehe nicht, warum die Ihnen das nicht gesagt haben ... Nein, die Nummer weiß ich nicht auswendig. Denken Sie, ich merke mir sämtliche Telefonnummern? Dafür gibt es schließlich Telefonbücher ... Natürlich steht Mannig drin. Sehen Sie nach, dann werden Sie ihn finden ... Ja. Und rufen Sie mich nicht mehr an. Ich will mit diesen Dingen nichts zu tun haben. Ich habe genug Probleme um die Ohren. Ich kümmere mich nicht auch noch um Sachen, für die ich nichts bezahlt kriege, das kann niemand von mir erwarten.“ Damit beendete Wolters das Gespräch. Er legte den Hörer auf die Gabel und griff nach der Zigarette, die auf dem Aschenbecherrand lag. Dass er nicht allein war, wusste er nicht, denn er kehrte Bernd Schuster den Rücken zu. „Herr Wolters?“, sagte Bernd freundlich. Der Mann riss die Beine vom Tisch und sprang auf. Er war so erschrocken, als hätte er einen Geist vor sich. Das kommt vom schlechten Gewissen, dachte Bernd und trat zwei Schritte näher.

38

Vorsichtig öffnete Franco Millane die Tür und trat ein. Marc Walther bemerkte es nicht, er schlief. Das missfiel Millane. Er wollte keinen Schlafenden töten, er wollte die Angst in Walthers Augen sehen. Behutsam schloss Millane die Tür. Er näherte sich dem Krankenbett, die Pistole in der Hand. Neben dem Bett verharrte er einen Augenblick regungslos. Er musterte dieses verhasste Gesicht, das so friedlich aussah. Angst und Entsetzen würden es in wenigen Augenblicken verzerren und entstellen. Mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen schlief der Privatdetektiv. ‚Bald wirst du für immer schlafen‘, dachte der Verbrecher und setzte dem Mann die Waffe an den Kopf. Eine Kugel, nur eine einzige Kugel würde genügen, um den Schnüffler vom Leben zum Tod zu befördern. Walther spürte den Druck nicht, den Millane mit der Pistole auf ihn ausübte. „Walther!“, sagte Franco Millane laut und rücksichtslos. Der Privatdetektiv öffnete verwirrt die Augen. Ein Ausdruck grenzenloser Fassungslosigkeit erschien in seinem Blick, als er Millane erkannte. Der Verbrecher grinste eiskalt. „Es ist kein böser Traum, ich bin es wirklich, Walther.“ „Millane!“, stöhnte der Privatdetektiv, und das Blut wich aus seinem Gesicht. „Ich bin hier, um mich von dir zu verabschieden. Du trittst eine große Reise an, Walther, und ich wollte nicht versäumen, dir adieu zu sagen.“ Obwohl Marc Walther die Waffe jetzt spürte, wollte er sich aufrichten, so schnell er konnte. Er musste irgendetwas tun. Doch der Gangster ließ es nicht zu. „Fahr zur Hölle, Walther!“, sagte er und drückte ab.

Die Kugel fuhr mitten in Marc Walthers Leben.

39

„Was fällt Ihnen ein, hier unaufgefordert einzutreten?“, schnappte Sven Wolters. „Können Sie nicht lesen? Haben Sie nicht gesehen, was an der Tür steht?“ „Ich habe angeklopft“, verteidigte sich Bernd. „Ich habe es nicht gehört. Habe ich 'Herein!' oder irgendetwas in der Art gerufen?“ Bernd lächelte. „Ich habe nichts vernommen.“ „Dann scheren Sie sich gefälligst zum Teufel. Ich bin beschäftigt.“ „Eine anstrengende Beschäftigung, die Beine auf den Tisch legen und rauchen. Andere verdienen sich ihr Geld mit mehr Einsatz.“ „Das geht Sie einen feuchten Kehricht an!“, schrie Wolters. „Machen Sie, dass Sie rauskommen!“ „Möchten Sie nicht wissen, weshalb ich hier bin?“ „Hinaus!“, schrie Wolters. Als sich Bernd jedoch nicht von der Stelle rührte, glaubte der Bursche, handgreiflich werden zu müssen. Aber damit geriet er bei Bernd Schuster an die falsche Adresse. Es war nicht leicht, Bernd hinauszuschmeißen, diese Erfahrung musste Sven Wolters jetzt machen. Er wollte Bernd packen, doch dieser wehrte seine Hände ab. Da schlug Wolters zu. Bernd pendelte den Schlag aus und konterte bretthart. Zwei Treffer saßen nicht ganz dort, wo Bernd sie haben wollte, weil sich Wolters schnell bewegte, aber der dritte Treffer warf den Mann gegen einen Metallkarteischrank. Es klirrte und schepperte. Der Schmerz stachelte Wolters’ Wut an. Anstatt sich friedlich zu geben, stieß er sich ab und wollte Bernd mit wuchtigen Schlägen aus seinem Büro prügeln.

Doch der war kampferfahren genug, um den Gegner blitzschnell stoppen zu können. Seine langen Jahre als Feldjäger in Frankfurt waren eine harte Schule. Bernd konnte kämpfen, fair und auch so, wie man auf der Straße kämpfte. Mit einem Kinnhaken brachte Bernd den angriffslustigen Kerl ins Wanken. Wolters fiel auf den Schreibtisch, stützte sich darauf. Der Messingbrieföffner sprang ihm ins Auge, und in seiner Rage vergaß er sich so weit, dass er danach griff. Er zuckte herum. Bernd sah das Metall blinken und sprang zurück. Haarscharf verfehlte ihn die Spitze des Brieföffners. Bernd schlug eine härtere Gangart ein. Er hatte keine Lust, von Sven Wolters „erdolcht“ zu werden. Sein Karatetritt traf den Widersacher unvorbereitet. Wolters schrie auf. Der Schmerz grub ihm tiefe Falten ins Gesicht. Während er noch daran war, ihn zu verdauen, packte Bernd die Hand, die den Brieföffner hielt, und drehte sie in Gedankenschnelle herum. Wieder schrie Wolters. „Fallen lassen!“, befahl ihm Bernd scharf. Als der Mann nicht sofort gehorchte, verstärkte er den Druck. Wolters knirschte mit den Zähnen. „Sie ... Sie brechen mir den Arm!“ „Sie wollten mich umbringen.“ Bernd drückte den Arm des Mannes noch weiter nach oben. Wolters war gezwungen, den Brieföffner fallen zu lassen. Sobald er unbewaffnet war, riss ihn Bernd mit sich und warf ihn in den Schreibtischsessel. Sven Wolters wollte sofort wieder hoch, doch da befand sich wie durch Zauberei plötzlich die Beretta in Bernds Hand, und Wolters starrte verblüfft in die schwarze Mündung. Er schien zu befürchten, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Bernd ließ ihn in dem Glauben, denn das konnte Wolters gesprächiger machen. „Wer sind Sie?“, keuchte Wolters. Schweiß glänzte auf seinem Gesicht.

„Ruhig, Mann“, sagte Bernd frostig. „Ganz ruhig!“ „Was wollen Sie?“ „Wo ist Millane?“ „Das weiß ich nicht.“ „Sie haben drei Sekunden, um es mir zu sagen, Wolters!“ „Verdammt noch mal, ich habe keine Ahnung. Er ist untergetaucht, das ist alles, was ich weiß!“ „Wer weiß es, Wolters? Beeilen Sie sich. Drei Sekunden sind nicht lang!“ Sven Wolters zitterte. „Meine Güte. Sie werden doch nicht ... Ich kann Ihnen nicht helfen.“ „Wer kann es?“ „Vielleicht Tom. Tom Nöhrig.“ Bernd verlangte die Adresse des Dealers. Wolters nannte sie sofort. Nöhrig war zwar sein Freund, aber jetzt musste ihm das Hemd näher sein als der Rock. Bernd richtete sich auf und ließ die Beretta verschwinden. Wolters blieb zitternd sitzen. Bernd wies auf das Telefon. „Wenn Sie auf die glorreiche Idee kommen, Nöhrig zu warnen, sehen wir uns wieder“, sagte er. „Dann mache ich Hackfleisch aus Ihnen.“ Wolters schluckte hart. Er hatte keinen Grund, an Bernd Schusters Worten zu zweifeln, deshalb würde er Thomas Nöhrig auch nicht anrufen. Er wollte nicht, dass ihn dieser Mann noch mal durch den Wolf drehte. Er hasste Schmerzen.

40

Bernd fühlte sich gut. Er glaubte, von Nöhrig erfahren zu können, was er wissen wollte, und dann würde er Franco Millane in seinem Versteck einen unerwarteten Besuch abstatten. Wenn er es geschickt anstellte, konnte ihm eine großartige Überraschung gelingen. Millane würde vor Freude an die Decke gehen - und anschließend ins Zuchthaus wandern. Es konnte noch ein großer Tag werden. So sah es Bernd, aber es war jetzt schon ein schwarzer Tag. Er wusste es nur noch nicht. Er stieg in den Mercedes und schob den Zündschlüssel ins Schloss. Als er den Motor starten wollte, schnarrte das Autotelefon. Der Anrufer war Bernds alter Freund, Inspektor Horst Südermann, Leiter des Dezernats LKA 11, Gewalt an Personen, in der Keithstraße 30. „Schön, mal wieder von dir zu hören“, sagte Bernd. „Ich habe schon zweimal versucht, dich zu erreichen.“ „Horst, du kannst nicht von mir verlangen, dass ich ständig neben dem Telefon sitze, damit ich sofort abheben kann, wenn es dir in den Sinn kommt, mich anzurufen.“ „Ich habe dir keine erfreuliche Mitteilung zu machen, Bernd.“ „Wann hast du das schon? Du scheinst dich auf Hiobsbotschaften spezialisiert zu haben.“ „Marc Walther ist tot, Bernd.“ „Was?“, schrie Bernd Schuster. Eine Eisschicht legte sich um sein Herz. „Ich war doch erst vor Kurzem bei ihm, es ging ihm gut.“ „Es würde ihm immer noch gutgehen, wenn er mittlerweile nicht Besuch von seinem Mörder gehabt hätte. Kannst du sofort kommen? Ich befinde mich im

Krankenhaus.“ „Ich bin schon unterwegs“, sagte Bernd rau, stieß den Hörer in die Halterung und startete.

41

Er fand keinen Parkplatz, stellte den Mercedes irgendwo ab und stürmte in das Krankenhaus. Nicht nur der Inspektor, sondern auch dessen Stellvertreter Wilhelm Krone erwartete ihn. Es kam nicht oft vor, dass Bernd seine Gelassenheit verlor, aber jetzt war das der Fall. Er wollte Marc Walther sehen. Die Freunde führten ihn zu ihm. Zwei Beamte standen vor dem Krankenzimmer. Walther lag immer noch im Bett, doch jetzt war er tot. Bernd sah, wo den Freund die Kugel getroffen hatte. Der Killer musste sie aus nächster Nähe abgefeuert haben. Deutlich waren die Brandspuren zu erkennen, die das Einschussloch umgaben. „Er wäre durchgekommen“, sagte Bernd mit belegter Stimme. „Verdammt, Marc hätte es geschafft ...“ Auf dem Nachttisch stand die kleine Whiskyflasche, die Bernd dem Kollegen gebracht hatte. Nur ein Fingerhut voll Whisky fehlte. „Tut uns leid, Bernd“, sagte der Inspektor, der sah, wie sehr dem Freund der Mord an Walther an die Nieren ging. „Wer hat es getan?“, wollte Bernd Schuster wissen. Der sommersprossige, schlaksige Wilhelm Krone erwähnte einen Krankenpfleger, der den Täter gesehen hatte. Sie suchten den Mann im Pflegerzimmer auf. „Der Mann trug einen weißen Arztkittel“, erzählte der Pfleger. „Ich hatte in der Kleiderkammer am Ende des Flurs zu tun.“ „Hat der Mann Sie gesehen?“, fragte Bernd. „Nein, sicher nicht.“

„Glück für Sie. Er hätte Sie garantiert nicht am Leben gelassen. Können Sie ihn beschreiben? Würden Sie ihn wiedererkennen?“ „Ich glaube schon. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass ich ihn wiedererkennen würde. Zunächst hielt ich ihn für einen Doktor, aber ich kenne alle Ärzte hier, und es gibt nur einen einzigen, der auch so einen Bart trägt.“ Der Bart alarmierte Bernd Schuster. Der Pfleger hätte den Mann nicht deutlicher zu beschreiben brauchen. Bernd wusste bereits, von wem sein Kollege ermordet worden war. Von Franco Millane persönlich. „Jetzt ist er dran!“, stieß Bernd zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

42

Bernd läutete. Er erwartete, dass Thomas Nöhrig die Tür aufmachte, und er war entschlossen, den Mann gleich so hart anzufassen, wie er es verdiente. Doch es öffnete nicht der Dealer, sondern ein schwarzhaariges Mädchen mit großen, grünen Augen. Sie drehte eine Locke um ihren Zeigefinger und ließ ihren Blick an Bernd auf und ab huschen. Sie trug ein Kleid im Schlotter-Look, in dessen Ausschnitt hübsche pralle Brüste wogten. Sie lächelte vielversprechend, und ihre Zungenspitze erschien zwischen den weißen, regelmäßigen Zähnen. „Sieh einer an, es gibt ihn doch, meinen Märchenprinzen, den Mann, von dem ich so lange schon träume“, sagte sie mit einer Stimme, die Bernd normalerweise fasziniert hätte. Heute jedoch ließ sie ihn kalt. Er hatte ständig dasselbe Bild vor sich: Marc Walther im Bett - tot. Das hübscheste Mädchen konnte dieses schreckliche Bild nicht verscheuchen. „Ich bin Gitta Behrens.“ „Bernd Schuster“, sagte er verwirrt und schaute auf die Tür. Er suchte ein Namensschild, aber es gab keines. Zum Teufel, hatte ihm Wolters eine falsche Adresse genannt? Das konnte er sich kaum vorstellen. Sven Wolters war ziemlich erledigt gewesen, und er hatte Angst gehabt. In einer solchen Situation lügt man nicht. „Ich möchte zu Tom“, sagte Bernd. „Glücklicherweise ist er nicht zu Hause“, erwiderte Gitta. „Wissen Sie, wo er ist?“ „Er geht, wann er will, kommt, wann er will. Er sagt mir nichts. Unsere Beziehung hat den absoluten Tiefpunkt erreicht. Ich frage mich, wieso ich

eigentlich noch hier bin. Überall sonst wäre ich besser dran. Wollen Sie reinkommen und mir Gesellschaft leisten? Ich habe schreckliche Langeweile. Da Tom schon eine Weile fort ist, wird er wohl demnächst nach Hause kommen.“ Sie gab die Tür frei und machte eine einladende Handbewegung. Die üppigen Bälle im Dekolleté schaukelten sanft. Die Kleine hatte eine Menge Sexappeal, das musste man ihr lassen. Bernd trat ein. Er glaubte zu wissen, warum Gitta noch nicht fortgegangen war. Bestimmt war sie drogenabhängig, und Tom Nöhrig versorgte sie billig mit Stoff. Sie brauchte dafür nur mit ihrem Körper zu bezahlen. Gitta gab der Tür einen Stoß und schritt mit wiegenden Hüften vor Bernd in ein geräumiges Wohnzimmer. Auf dem Teppich lagen mehrere Illustrierte. Gitta ließ sie liegen, stieg darüber hinweg und fragte, ob sie Bernd etwas anbieten könne. Er entschied sich für einen kleinen Johnnie Walker. Das Mädchen begab sich zur Bar und goss den Scotch in zwei Gläser. Während sie das tat, forderte sie Bernd auf, sich zu setzen. „Sie sind kein Freund von Tom, nicht wahr?“, sagte Gitta. „Wie kommen Sie darauf?“, erwiderte Bernd. „Als ich vorhin die Tür öffnete, sahen Sie aus, als wollten Sie mich fressen. Da war ein Ausdruck in Ihren Augen - hart, entschlossen, gnadenlos. Er galt Tom, hab’ ich recht?“ Sie brachte die Drinks. „Außerdem“, fuhr sie lächelnd fort, „sehen Toms Freunde anders aus.“ „So? Wie denn?“ Sie zuckte mit den wohlgerundeten Schultern. „Eben anders. Ich kann’s nicht erklären.“ Bernd nahm den Drink entgegen. Gitta Behrens setzte sich ebenfalls. Sie schüttelte ihre schwarze Mähne zurück. Sie tranken.

„Kennen Sie viele von Toms Freunden?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Einige“, antwortete sie und schlug die langen Beine übereinander. Bernd hörte das Knistern ihrer Nylons. Sie wäre zu haben gewesen, doch Bernd hatte kein Interesse. Bestimmt enttäuschte er sie damit, denn sie hatte ihn nicht nur eingeladen, um sich mit ihm über Tom Nöhrig zu unterhalten. Es gab Erfreulicheres, worüber man reden oder das man tun konnte. „Nicht alle, die sich als Freunde bezeichnen, sind auch welche“, bemerkte Gitta. „Sie sind trotz Ihrer Jugend schon sehr weise“, sagte Bernd. „Die einen brauchen ein Leben lang, um ihre Erfahrungen zu machen, bei den andern geht es etwas schneller. Ich bin durch eine harte Schule gegangen.“ „Das sieht man Ihnen nicht an.“ „Ich musste schon mit dreizehn in den Ring steigen, der sich Leben nennt, und kämpfen. Natürlich habe ich nicht immer gesiegt, aber ich bin auch nicht mit wehenden Fahnen untergegangen. Es gelang mir immer, mich irgendwie durchzulavieren.“ „Das spricht für Sie.“ „Was wollen Sie von Tom?“ „Ich möchte ihm ein paar Fragen stellen.“ „Sie möchten ihm was am Zeug flicken. Sie haben es auf ihn abgesehen. Ich spüre es.“ „Hätten Sie etwas dagegen?“, fragte Bernd. Gitta Behrens schüttelte den Kopf. „Es ist mir ziemlich egal, was mit Tom iert. Ich bin mit ihm so gut wie fertig. Ich würde ihn ganz gern verlassen, aber das ist nicht so einfach. Kein Mädchen darf Tom Nöhrig verlassen, verstehen Sie? Damit würde ich seine männliche Eitelkeit verletzen. Worauf bildet ihr Männer euch eigentlich so viel ein? Können Sie mir das sagen? Wieso glaubt ihr, um so viel besser zu sein als wir Frauen?“ Bernd antwortete nicht. Gitta wollte auch keine Antwort. Er forderte sie auf, ihm

die Namen einiger Freunde von Nöhrig zu nennen. Sie erwähnte Namen, die er zum ersten Mal hörte. Er lenkte sie behutsam auf Franco Millane zu. Als der Name fiel, tat Gitta so, als hätte sie ihn noch nie gehört, aber das nervöse Flattern ihrer Lider verriet ihm, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Er versuchte, sie in die Enge zu treiben. Sie rutschte nervös hin und her. Angst zeigte sich in ihrem Blick. Sie griff nach ihrem Glas, sah, dass es leer war, und stand auf. „Ich brauche noch einen“, sagte sie. „Möchten Sie auch?“ „Ich habe noch.“ „Sind Sie bei allem so langsam? Die Drinks sind in diesem Lokal gratis. Warum schädigen Sie Tom Nöhrig nicht?“ „Sie haben Angst, Gitta. Angst, etwas zu verraten, das Ihnen Unannehmlichkeiten bescheren könnte“, sagte ihr Bernd auf den Kopf zu. Sie lachte nervös und gekünstelt. „Es gibt nichts, wovor ich mich zu fürchten brauche, Herr Schuster.“ Sie füllte ihr Glas. Unter der Bar befand sich eine Lade. Die öffnete Gitta, ohne dass es Bernd sehen konnte. Eine Derringer-Pistole lag darin. Gitta Behrens griff danach und drehte sich langsam um. Ihr Blick war jetzt unfreundlich und kalt.

43

Bernd Schusters Aktivitäten blieben Franco Millane nicht verborgen. Man unterrichtete ihn davon, sobald er sich wieder in seinem Versteck befand. Millane kannte den guten Ruf Schusters, und es behagte ihm nicht, dass dieser renommierte Privatdetektiv es sich zum Ziel gesetzt hatte, ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen. „Er ist der Beste“, sagte Millane zu Silvio Gonzales. „Wenn die Bullen vom BKA hinter mir her sind, ist das okay. Das gehört mit zum Spiel. Auf der einen Seite sind die Guten, auf der andern die Bösen, und es ist die Aufgabe der Guten, die Bösen zu erwischen, während es die Bösen so einrichten müssen, dass man sie nicht erwischen kann. Hier die Bullen, da wir. Privatdetektive haben sich nicht einzumischen. Sie bringen alles durcheinander, verwirren das Spiel, es wird undurchsichtig. Und einer von den ganz großen Verwirrern ist Bernd Schuster. Er ist sehr erfolgreich. Walther war sein Freund. Er macht diesen Fall zu seiner persönlichen Sache.“ „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, Boss“, sagte Silvio Gonzales. „Irgendwann wird auch Bernd Schuster seinen Meister finden. Er kocht schließlich auch nur mit Wasser. Ein Wunderkind ist er nicht.“ „Nein, das ist er nicht. Aber er ist zäher und ausdauernder als jeder andere Schnüffler. Kein anderer ist so hartnäckig wie er. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, führt er das auch aus. Man sagt, er hätte sieben Leben, und ich bin fast versucht, das zu glauben.“ „Gib mir grünes Licht, Boss, und ich beweise dir, dass er nur ein Leben hat“, sagte Silvio Gonzales. „Du willst mit nur einem Arm gegen Schuster antreten? Du solltest ihn ernster nehmen.“ „Ich schaff ihn dir vom Hals.“

„Wenn du unverletzt wärst - vielleicht.“ „Ich such mir ein paar Leute aus. Es wird ihnen ein Vergnügen sein, mich zu begleiten, wenn ich ihnen sage, wen es umzunieten gilt.“ Franco Millane hatte Walther getötet. Er wollte sein Versteck kein zweites Mal verlassen, sonst hätte er sich auch um Bernd Schuster selbst gekümmert. Vernunft und Vorsicht sagten ihm, dass es besser war, diese Arbeit andere tun zu lassen. Warum nicht Silvio? Wenn ihn die richtigen Männer unterstützten, konnte eigentlich nichts schiefgehen. „Na schön, Silvio“, sagte Millane und nickte. „Schuster gehört dir, heute Nacht.“ Gonzales grinste erfreut. „Du wirst mit mir zufrieden sein, Boss. Ich denk mir auch ’ne schöne, spektakuläre Todesart für den Schnüffler aus. Er wird nicht sang- und klanglos verschwinden. Sein Abgang soll zu einem viel beachteten Paukenschlag werden.“

44

Gonzales konnte nicht ahnen, dass ihm ein Mädchen namens Gitta Behrens ins Geschäft pfuschte. Bernd Schuster zog die Luft scharf ein. ‚Jetzt nur nicht die Nerven verlieren‘, sagte er sich. Er wies auf die kleine verchromte Pistole in der schlanken Hand des Mädchens. „Ich hoffe, das Spielzeug ist nicht geladen.“ „Es ist geladen“, erwiderte das Mädchen erstaunlich hart. Das te nicht zu ihrem sanften Äußeren. „Und ich würde nicht zögern, abzudrücken, wenn Sie sich nicht still und friedlich verhalten.“ Bernd schaffte ein unbekümmertes Lächeln. Er hob die Hände. „Ich ergebe mich. Zufrieden?“ „Sie scheinen sehr viel Humor zu besitzen. Oder Sie erkennen den Ernst Ihrer Lage nicht.“ „Ich weiß, woran ich bin.“ „Und das macht Ihnen nichts aus? Oder sind Sie nur ein verdammt guter Schauspieler?“ „Ich bin der Schrecken jeder Pokerrunde. Man weiß bei mir nie, woran man ist.“ „Das glaube ich Ihnen, aber mich können Sie nicht bluffen. Ich weiß, dass Sie gefährlich sind. Ich kenne Männer Ihres Schlages. Sie geben niemals auf, nützen die kleinste Chance und kommen immer irgendwie über die Runden.“ „Diesbezüglich scheinen wir einander sehr ähnlich zu sein“, sagte Bernd. Er hoffte, dass das Mädchen näherkam. Wenn es ihm gelang, ihr den restlichen Scotch ins Gesicht zu schütten, hatte er gewonnen. Aber Gitta Behrens rührte sich nicht von der Stelle. Sie war ein sehr kluges Mädchen, das musste ihr Bernd zugestehen.

„Sind Sie von der Polizei?“, fragte Gitta. Bernd schüttelte den Kopf. „Privatdetektiv. Wollen Sie meine Visitenkarte? Vielleicht für einen besonderen Fall?“ „Wenn Sie in Ihr Jackett greifen, drücke ich ab.“ „Dann lasse ich es wohl besser bleiben.“ „Das wäre auf jeden Fall gesünder für Sie. Was wollen Sie von Tom?“ „Ich will Franco Millane das Handwerk legen.“ „Sie sind verrückt. Das hat bisher noch keiner geschafft.“ „Mir wird es gelingen“, behauptete Bernd. „Ausgerechnet Ihnen. Selbst ich konnte Sie austricksen. Wie wollen Sie da gegen Millane bestehen?“ „Legen Sie das Spielzeug in die Lade, und ich zeig’s Ihnen.“ „Sie werden Millane nicht schaden“, sagte Gitta. „Sie können diesen Mann doch unmöglich mögen, Gitta. Damit würden Sie mich sehr enttäuschen.“ „Es kümmert mich nicht, was Sie über mich denken. Nein, ich mag Franco Millane nicht, aber ich habe gelernt, mit Kerlen wie ihm zu leben. Man kann nicht gegen den Strom schwimmen, das ist nur kräfteraubend, und schließlich geht man unter. Es ist klüger, sich mit Millane zu arrangieren. Er braucht mich, und ich brauche ihn.“ „Arbeiten Sie für ihn?“, fragte Bernd. „Möglich. Das geht Sie nichts an.“ „Sie brauchen ihn, und Sie brauchen Tom Nöhrig, weil Sie süchtig sind. Hab’ ich recht?“ „Das ist meine Sache, ich ...“

„Sie sind ein junges, hübsches Mädchen. Eine Schönheit sind Sie - noch. Aber das Rauschgift wird Sie aushöhlen. Es wird Sie so fertigmachen, dass Sie sich selbst hassen werden, Ihren Körper und die schreckliche Gier, die in ihm wohnt. Sie werden den Tag verfluchen, an dem Sie zum ersten Mal Heroin nahmen, aber dann wird es für eine Umkehr zu spät sein. Sie werden zum Wrack werden und elend zugrunde gehen. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich habe schon viele diesen Weg ohne Wiederkehr gehen sehen. Jetzt ist es für eine Umkehr noch nicht zu spät. Sie wollen von dem Zeug loskommen. Ich habe Freunde, die Ihnen dabei helfen würden. Sie könnten es schaffen. Machen Sie den entscheidenden Schritt, Gitta. Legen Sie die Pistole weg.“ Gitta zog den Handrücken unter der Nase durch. „Ich hab’s schon mal versucht. Es war die Hölle. Wissen Sie, wie schrecklich die Entzugserscheinungen sind? Man glaubt, innerlich zu verbrennen, dabei ist einem entsetzlich kalt. Durst quält Sie, und Sie würden sich am liebsten jedes Haar einzeln ausreißen und sich die Haut vom Körper fetzen. Ich hab’s einmal versucht, und ich tu’s nie wieder. Ich hätte nicht die Kraft, das noch mal durchzustehen. Tut mir leid, Bernd. Sie sind an die Falsche geraten. Sie können mich nicht bekehren.“ Bernd atmete aus. „Na schön, und was werden Sie jetzt tun? Werden Sie mich erschießen?“ Sie wischte sich wieder die Nase, war hochgradig nervös, hätte einen Schuss gebraucht. Tom Nöhrig schien sie damit knapp zu halten, damit sie immer schön brav nach seiner Pfeife tanzte. „Wenn Sie mich nicht zwingen, werde ich nicht abdrücken“, sagte Gitta. „Dann bleibt mir also noch eine kurze Galgenfrist.“ „Tom soll sich überlegen, was mit Ihnen geschieht“, sagte das Mädchen. „Ich werde ihn anrufen.“ „Haben sie Doris Walther gekannt?“, fragte Bernd. „Flüchtig“, gab Gitta Behrens zu. „Sie ist tot.“ „Ich weiß. Ein schönes Ende. Man geht auf die Reise und kommt nie mehr

zurück. Die Welt ist nicht so wunderbar, dass man das bedauern müsste.“ „Die Welt ist das, was wir aus ihr machen, Gitta“, sagte Bernd eindringlich. „Wenn wir zulassen, was Leute wie Franco Millane tun, wird diese Welt immer mieser werden. Millane hat Doris Walther auf dem Gewissen, und er hat heute ihren Vater eiskalt ermordet, weil der es gewagt hatte, sich gegen ihn zu stellen. Soll er immer weiter tun dürfen, was ihm beliebt? Sollen noch mehr Menschen durch ihn zugrunde gehen?“ „Ich halte mich nicht für berufen, die Welt zu retten, Bernd, und Sie können es auch nicht“, erwiderte Gitta. „Jeder muss selbst sehen, wo er bleibt. Das Schicksal hat für mich die Weichen gestellt, und ich bewege mich in die vorgegebene Richtung.“ Sie kam nicht näher. Die Idee mit dem Scotch konnte Bernd sich abschminken. Er dachte an die Beretta. Würde es möglich sein, sie zu ziehen? Er warf einen Blick auf das Telefon. Der Apparat stand nicht in Bernds Reichweite. Gitta würde gefahrlos telefonieren können. Sie setzte sich in Bewegung. Keine Sekunde ließ sie ihn aus den Augen. Bernd hatte eingesehen, dass es unmöglich war, sie zu überreden. Sie brauchte dringend Stoff, und sie rechnete bestimmt mit einer Sonderration, wenn sie Bernd Tom Nöhrig übergab. Sie rief ihn an. Das Gespräch mit dem Dealer dauerte keine zwei Minuten. „Er kommt“, sagte Gitta, nachdem sie aufgelegt hatte. „Das war zu erwarten“, gab Bernd trocken zurück. ‚Die Beretta! Die Beretta!‘, pochte es fortwährend in seinem Schädel. „Mord ist nicht Ihre Sache, nicht wahr?“, sagte Bernd. „Sie denken, Sie können Ihre Hände in Unschuld waschen, wie es Pontius Pilatus getan hat. Aber wenn Sie mich ans Messer liefern, ist das genauso, als hätten Sie selbst mir das Leben genommen.“ „Schluss jetzt!“, herrschte ihn das Mädchen an. „Seien Sie still. Ich will nichts mehr hören.“

„Bei Ihnen meldet sich doch nicht etwa so etwas wie ein schlechtes Gewissen.“ „Halten Sie den Mund!“, rief Gitta und hob die Pistole. Bernd stockte der Atem. Einen Moment lang hatte er befürchtet, dass sie es tun, dass sie abdrücken würde. Unter seiner Kopfhaut entstand ein unangenehmes Kribbeln. „Darf ich eine letzte Zigarette rauchen?“, fragte er. Die Roth Händle befanden sich gleich neben der Beretta. „Nein!“, antwortete das Mädchen hart, und damit war auch diese Chance zunichte.

45

Fünfzehn endlose Minuten vergingen. Bernd verkraftete die nervliche Anspannung besser als das Mädchen. Sie schaute immer wieder auf die Uhr, wurde immer unruhiger und fahriger. Ein einziges falsches Wort hätte genügt, um Gitta Behrens zur Explosion zu bringen. Bernd wusste, dass er das Mädchen nicht reizen durfte. Er hielt wohlweislich den Mund und wartete mit ihr. Dann traf Tom Nöhrig ein. Der Dealer lachte ihn aus. Nöhrig wusste, dass Marc Walther nicht mehr lebte, und er sagte, Bernd wäre verrückt, weil er daraus keine Lehre gezogen hätte. Gitta trippelte aufgeregt hin und her. „Ich habe meine Sache doch gut gemacht, nicht wahr?“ „Ja, Baby, ich bin mit dir zufrieden“, antwortete Nöhrig. Er wusste, was sie wollte. Jedermann konnte sehen, wie dringend sie es brauchte, aber er ließ sie noch zappeln. Sie sollte darum betteln, so hatte er es gern. „Niemand darf sich an Franco Millane vergreifen“, sagte Gitta heiser. „Er ist unser Freund.“ „Oh ja, Baby, das ist er. Unser bester Freund. Er schaut auf uns.“ „Du wirst ihm doch von mir erzählen, Tom.“ „Klar, Baby, und ich bin sicher, er wird dich reich belohnen. Franco Millane ist ein großzügiger Mann. Er weiß es zu schätzen, wenn man treu zu ihm hält.“ Gitta schniefte. Sie lachte unnatürlich, rieb die Handflächen aneinander und leckte sich immer wieder die trockenen Lippen. „Tom, ob ich vielleicht jetzt schon einen kleinen Vorschuss haben könnte? Es ... es geht mir nicht gut, Tom. Du weißt, was mir fehlt.“

„Dir fehlt meine Wundermedizin.“ „Ja, Tom. Hast du was bei dir? Es würde mir hinterher gleich viel bessergehen. Ich habe dir doch einen großen Dienst erwiesen. Gib mir, was ich brauche, Tom. Ich bitte dich. Bitte ...“ „Sicher, Baby. Sicher kriegst du deine Belohnung. Schließlich hast du großartige Arbeit geleistet.“ „Bitte, Tom“, flehte sie und blickte ihn verzweifelt an. „Gib es mir jetzt! Sofort!“ Nöhrig schüttelte verständnislos den Kopf. „Sei doch nicht so ungeduldig, Baby.“ Sie zitterte, schluchzte, wimmerte. „Bitte, Tom ...“ Er rückte endlich ein Heroinbriefchen heraus, mit dem sie hastig verschwand. Nöhrig blies sich stolz auf. „Die habe ich in der Hand, was?“ „Sie sind ein Dreckskerl, Nöhrig. Wenn mir mein Speichel für Sie nicht zu schade wäre, würde ich vor Ihnen ausspucken“, sagte Bernd angewidert. Nöhrig zog seine Pistole und schlug sie Bernd ins Gesicht. Der Detektiv kippte zur Seite und verlor das Bewusstsein.

46

Gitta kam zurück. Sie hatte glänzende Augen. Alles war ihr egal. Sie bewegte sich wie in Trance. Dass Bernd Schuster ohnmächtig war, störte sie nicht. Er würde bald tot sein, doch auch das würde sie nicht belasten. Hauptsache sie bekam ihren Stoff. Diese Quelle durfte nie versiegen, sonst würde sie wahnsinnig werden. „Fühlst du dich jetzt besser, Baby?“, fragte Nöhrig. „Viel besser“, antwortete das Mädchen schläfrig. „Ich fühle mich großartig.“ „Du wirst mir helfen, ihn fortzuschaffen.“ „Alles, was du willst, Tom.“ „Bist ’n braves Mädchen“, sagte Nöhrig zufrieden und tätschelte Gittas Wange. „Komm, fass mit an.“ Sie legten sich jeder einen Arm von Bernd über die Schultern und brachten ihn aus der Wohnung. Nöhrigs Wagen stand im düsteren Hinterhof. Niemand bemerkte, wie die beiden Bernd Schuster da hinein verfrachteten. Gitta dachte, damit wäre ihr Teil der Arbeit getan, doch Nöhrig befahl ihr, mitzukommen. Sie stiegen ein und fuhren hinaus aus der Stadt ins Grüne. „Und was weiter?“, fragte Gitta. „Du t auf ihn auf“, sagte Nöhrig und stieg aus. „Aber ... Aber was mach ich, wenn er zu sich kommt?“, fragte Gitta erschrocken. „Dann brätst du ihm noch eins über. Sieh zu, dass er dir nicht abhandenkommt, Baby. Du bist mir für ihn verantwortlich. Wenn ich zurückkomme, und Bernd

Schuster ist nicht mehr da, hätte das sehr bedauerliche Folgen für dich.“ Sie wollte ihn fragen, was er vorhatte, aber er schlug die Tür zu und ging. Wieder war Gitta mit Bernd Schuster allein. Wieder hielt sie die DerringerPistole auf ihn gerichtet, obwohl dies im Augenblick nicht nötig gewesen wäre. ‚Sicher ist sicher‘, sagte sie sich. Und wieder vergingen die Minuten nur schleppend. Nöhrig kehrte zurück. Er hatte einen Wagen gestohlen, und in den setzten sie den Privatdetektiv. „Ein Schnüffler in ’nem geklauten Auto. Abgesoffen. Das wird die Bullen ganz schön ins Grübeln bringen“, sagte Nöhrig grinsend und begab sich zum Wagenheck. Er stemmte sich dagegen, strengte sich an, um das Fahrzeug ins Rollen zu bringen. Sobald sich das Auto bewegte, ging es leichter. Sekunden später kippte das Fahrzeug über die Uferkante und stürzte mit der Schnauze voran ins Wasser. „Das war’s“, sagte Nöhrig und rieb sich lachend die Hände. „Wir können den Knaben abhaken und vergessen. War ein Kinderspiel, ihn zu erledigen.“ Blubbernd und zischend entwich die Luft aus dem rasch versinkenden Fahrzeug. Bald war nichts mehr davon zu sehen. Nur die Wasseroberfläche kräuselte und bewegte sich noch unruhig. „Komm, Baby“, sagte Nöhrig zu dem Mädchen. „Wir fahren nach Hause. Das muss gefeiert werden.“ Sie wusste, auf welche Weise er am liebsten feierte, und sie würde ihn wieder gewähren lassen, denn das war der Preis, den sie für den Stoff bezahlen musste.

47

Als das kalte Wasser in den Wagen eindrang, ertönte dumpfes Gurgeln, in das sich allmählich ein helles Pfeifen mischte. Die Kälte des Wassers griff nach Bernd Schuster und umschloss ihn wie eine Riesenfaust. Sie löste einen Schock in seinem Körper aus, der ihn weckte. Jäh, fast brutal, wurde er aus der Ohnmacht in die gefährliche, lebensbedrohende Realität zurückgerissen. Er begriff nicht sofort, wo er war und was ierte. Aber er reagierte ohne zu zögern. Sein Selbsterhaltungstrieb übernahm das Kommando und überbrückte die Augenblicke der Ratlosigkeit. Sehr schnell drang das Wasser von allen Seiten herein und kroch an Bernd Schuster hoch. Über ihm befand sich eine Luftglocke. Er streckte sich und atmete heftig. Er pumpte so viel Luft wie möglich in seine Lunge, dann tauchte er unter und versuchte die Tür zu öffnen. Er schaffte es nicht. Nicht, weil er zu schwach gewesen wäre. Es gab irgendein Hindernis, das er selbst mit größtem Krafteinsatz nicht zu überwinden vermochte. Die Luft wurde knapp. Er streckte sich noch einmal nach oben, aber da gab es keine Luftglocke mehr. In seinen Lungenflügeln breitete sich ein schmerzhaftes Brennen aus, und die Gier nach Sauerstoff drohte unerträglich zu werden. Er war versucht, den Mund aufzureißen und zu „atmen“. Aber es wäre nur Wasser in seine Luftröhre gestürzt. Bernd versuchte es bei der anderen Tür. ‚Schnell! Mach schnell!‘, schrie es in ihm. ‚Du hast nur noch wenige Sekunden!‘ Die Tür bewegte sich.

‚Dem Himmel sei Dank!‘, durchzuckte es Bernd. Er drückte stärker dagegen, schlüpfte hinaus und schwamm hastig der Wasseroberfläche entgegen. Wenn Nöhrig noch da war, würde er ein Zielschießen auf ihn veranstalten, doch Bernd hatte keine andere Wahl. Er musste auftauchen. Sein Kopf durchstieß die Wasseroberfläche. Luft! Endlich! Herrlich! Er atmete heftig, keuchte, hustete. Geschafft! Aber es war knapp gewesen, verdammt knapp.

48

Nöhrig feierte mit Sekt und Sex. Er vergnügte sich mit Gitta Behrens im Bett, und sie erfüllte ihm jeden Wunsch. Er genoss es. Franco Millane hatte er von seiner Heldentat noch nicht informiert. Das hatte Zeit. Später, wenn er rundum zufriedengestellt worden war, würde er den Boss anrufen. Sie waren beide nackt, befanden sich im Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch standen zwei schlanke Gläser, in denen die goldene Flüssigkeit perlte. Gitta kannte Nöhrigs empfindsamsten Stellen. Sie bearbeitete sie mit ihren weichen Fingerkuppen und setzte hin und wieder ihre langen, spitzen Fingernägel ein. Nöhrig grinste. „Du bist super, Baby. Immer wieder ein Erlebnis. Mach weiter. Du weißt, womit du einem Manne Wonne spenden kannst.“ Gitta beugte sich über ihn. Ihr langes schwarzes Haar kitzelte seine behaarte Brust. „Es macht dir doch auch Spaß, nicht wahr?“, fragte Nöhrig heiser. „Ja, Tom, großen Spaß sogar“, antwortete sie, obwohl es nicht stimmte. Sie empfand überhaupt nichts. Sie tat nur, was er von ihr erwartete, erfüllte eine lästige Pflicht, um ihn nicht zu verärgern. „Oh, Baby, Baby, du machst mich wahnsinnig!“, keuchte er und schloss die Augen. Er gab sich ihren Zärtlichkeiten ganz hin. Sie spielte auf seinem Körper virtuos wie auf einem Instrument. Alle Saiten brachte sie zum Schwingen - doch plötzlich hörte sie damit auf. „Was ist?“, fragte Nöhrig. „Warum ...“ Er öffnete die Augen. Gitta hatte sich von ihm zurückgezogen und bedeckte ihre Blößen mit dem Laken.

Sie blickte zur Tür, in der ein Mann stand, ein Mann, der eigentlich tot sein müsste: Bernd Schuster!

49

Gleich nach dem unfreiwilligen Bad hatte Bernd Schuster triefnass ein Taxi geentert und sich nach Hause bringen lassen. Er hatte ein paar nasse Geldscheine draufgelegt, damit der Fahrer das viele Wasser akzeptierte, das er mitbrachte. Der Mann wartete vor dem Haus, bis Bernd sich umgezogen hatte. Nun stand er in der Tür, in trockenen Kleidern. Er hatte sich mit seinem Einbruchswerkezug Einlass verschafft, um Nöhrig zu überraschen, und wie er sah, war ihm das auch gelungen. Tom Nöhrig war sprachlos. Der untersetzte Dealer glotzte Bernd an, als wäre es dem gelungen, aus dem Jenseits zurückzukehren. „Aber ...“, stammelte er. „Aber das gibt’s doch nicht ...“ „Alles ist möglich, Nöhrig“, sagte Bernd frostig. Der Dealer schnappte über. Er sprang aus dem Bett und hechtete zur Waffe, die mit seinen Kleidern auf einem Stuhl lag. Bernd bewegte sich wie der Blitz. Er versetzte dem Stuhl einen Tritt und beförderte ihn aus Nöhrigs Reichweite - und dann sprachen die Fäuste. Bernd bedachte den Mann, der ihn ertränken wollte, nicht zu knapp mit Hieben. Der nackte Dealer hatte dem wenig entgegenzusetzen. Bald schlug er nicht mehr zurück, schrie nur noch und hielt die Arme schützend über den Kopf. Mit wuchtigen Schlägen brach er den Widerstand des Mannes. In einer Ecke des Raumes sackte Tom Nöhrig zusammen und brüllte, Bernd solle aufhören. Bernd stellte den Schlaghagel ein, aber er war entschlossen weiterzumachen, wenn ihm Nöhrig nicht sagte, was er wissen wollte. „Wo hält sich Millane versteckt?“, fragte er schneidend. „Weißt du es?“ „Ja“, stöhnte der Dealer. „Einer seiner Freunde hat ihm sein Haus zur Verfügung gestellt.“

„Wie heißt der Mann?“ „Andreas Seliger. Er hat seine Finger in vielen unsauberen Geschäften, besitzt mehrere Hä.“ Bernd verlangte die Adresse. Nöhrig hatte nicht den Mut, sie für sich zu behalten. Bernd warf die Kleider auf den Dealer. „Zieh dich an!“ Jetzt erst ließ Nöhrig die Arme sinken. Er musterte Bernd ängstlich. „Was wollen Sie noch? Sie verlangen doch hoffentlich nicht von mir, dass ich Sie zu Millane begleite.“ „Ich möchte nur verhindern, dass die Bullen einen Schreck kriegen, wenn ich dich ihrer Obhut anvertraue“, erwiderte Bernd, und Tom Nöhrig begann, sich umständlich anzukleiden. Begreifen konnte er immer noch nicht, dass Bernd Schuster lebte. Aber er musste sich mit dieser unerfreulichen Tatsache einfach abfinden. Was hätte er sonst tun sollen?

50

Silvio Gonzales hatte gut gewählt. Drei finstere, eiskalte, gnadenlose Typen hatte er in Andreas Seligers Haus beordert. Diese Männer hätten für Geld ihrer eigenen Großmutter die Kehle durchgeschnitten. Jeder von ihnen hatte bereits mehrere Morde auf dem Kerbholz. Sie waren schon Profikiller gewesen, bevor sie Franco Millane in seine Dienste genommen hatte. Wenn man sie gut bezahlte, konnte man sich auf sie verlassen. Sie fürchteten weder Tod noch Teufel, hatten kein Herz und kein Gewissen. Sie waren genau richtig für den Job, den sie für und mit Silvio Gonzales erledigen sollten. An ihrer Schlagkraft würde Bernd Schuster zerbrechen und zugrunde gehen. Franco Millane war mit der Auswahl seines kahlhäuptigen Leibwächters einverstanden. Er musterte die kalten, gefühlsrohen Männer, stand wie ein Feldherr vor zwei gekreuzten Säbeln, die dekorativ an der Wand hingen, und konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gab, mit dem diese kleine Spezialeinheit nicht fertigwerden würde. Gonzales trug eine israelische UZI. Sie hing an einem Lederriemen über der linken Schulter. Die moderne Waffe hatte eine enorme Schussleistung und war mit einer Hand zu bedienen. Draußen war es dunkel geworden. Im Haus brannte Licht. Millane ging vor den Killern langsam auf und ab. „Silvio hat euch gesagt, worum es geht. Ich habe dem kaum etwas hinzuzufügen. Männer wie Bernd Schuster sind eine Gefahr für unsere Existenz. Es genügt nicht, sie einzuschüchtern. Sie sind furchtlos, hartnäckig und gerissen. Schuster ist der übelste von dieser Sorte, deshalb werdet ihr ihn ausradieren. Auf welche Weise ihr ihn um die Ecke bringt, ist mir egal, das überlasse ich euch. Pumpt ihn mit Blei voll, jagt ihn in die Luft, erschlagt ihn wie eine Ratte. Mir ist nur eines wichtig: dass Bernd Schuster den kommenden Morgen nicht erlebt.“

Silvio Gonzales bleckte die Zähne. „Ich denke, diesen Wunsch können wir dir erfüllen, Boss. Wir werden ihn erschlagen, mit Blei vollpumpten und in die Luft jagen, damit er ganz sicher hin ist.“ Er wandte sich an die Killer. „Freunde, es gibt Arbeit. Lasst uns darangehen, sie gut und gewissenhaft zu erledigen.“

51

Endlich wusste Bernd, wo sich Franco Millane verkrochen hatte, und er war entschlossen, sich den Gangsterboss zu holen. Tom Nöhrig war von der Polizei abgeholt worden, und Gitta Behrens befand sich bei den Leuten, von denen Bernd ihr erzählt hatte. Man würde alles versuchen, um ihr zu helfen, vom Rauschgift loszukommen, darauf konnte er sich verlassen. Nun befand sich Bernd in der Nähe von Andreas Seligers Haus, und er war nicht allein. Er hatte den Inspektor und seinen Stellvertreter bei sich. Spätestens seit dem Mord an Marc Walther waren auch die beiden scharf auf Millane. Von Carsten Weiher hatte Bernd nichts mehr gehört. Der Anruf bei Miller hatte gewirkt. Weiher rasselte nicht mehr mit dem Säbel, sondern ließ Bernd in Ruhe, und das machte sich nun bezahlt, denn Franco Millane saß jetzt schon so gut wie hinter Gittern. Hinter einem hohen Hibiskusstrauch versteckt, beobachteten die Freunde das Gebäude. Der gewichtige Inspektor, wie immer ungeduldig, brummte: „Ich schlage vor, wir nehmen die Sache in Angriff, oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen?“ „Der Boden würde sich dafür eignen“, sagte Bernd schmunzelnd. „Millane ist nicht allein im Haus“, bemerkte Wilhelm Krone. „Das war auch nicht zu erwarten“, gab Horst Rogers zurück. „Wo eine Schmeißfliege ist, da sind zumeist auch noch andere. Wie viele hast du gezählt?“ „Ich sehe außer Millane vier“, antwortete Krone. „Ich auch“, sagte Horst. „Das müssen natürlich nicht alle sein. Das Haus ist groß. In den anderen

Räumen können sich auch noch ein paar Burschen aufhalten“, bemerkte Krone. „Wir schaffen das schon, keine Bange.“ „Still!“, zischte Bernd Schuster und stieß den Inspektor an. Horst verstummte sofort. Millane trat mit seinen Männern aus dem Haus. Ein Wagen stand davor, und Horst befürchtete, dass der Gangster mit seinen Leuten in einsteigen würde. „Die wollen ’ne Spazierfahrt machen“, brummte der Inspektor. „Sightseeing: Berlin at night! Den Spaß werden wir ihnen verderben. Keiner dieser Brüder kommt hier weg.“ Gonzales erreichte den Wagen. Aus dem Hibiskusstrauch donnerte Horst Südermanns gewaltiges Organ: „Polizei! Waffen fallen lassen und Hände hoch! Jeder Widerstand ist zwecklos!“ Doch die Verbrecher glaubten ihm nicht. Fluchend griffen sie zu ihren Waffen. Wie aufgescheuchte Hühner stoben sie auseinander, suchten Deckung und feuerten auf den sprechenden Hibiskusstrauch. Bernd hatte damit gerechnet, deshalb stand er schon längst nicht mehr dahinter. Mit der Beretta in der Faust stürmte er durch die von Schüssen erfüllte Nacht. Die UZI in Gonzales‘ linker Hand spuckte Blei. Vor dem kurzen Lauf zuckten die Mündungsblitze. Auch Franco Millane beteiligte sich an der Schießerei. Als er Bernd Schuster bemerkte, wollte er ihn sofort mit gezielten Schüssen von den Beinen holen, doch Bernd schlug wie ein Hase einen Haken nach dem andern, und Kugel um Kugel verfehlte ihn. Er selbst zielte nicht, feuerte einfach, um Millane in die Defensive zu drängen. Der Gangster wich auch tatsächlich zurück, nutzte jede Deckung, wechselte fortwährend die Position. Einer der Profikiller brüllte auf, torkelte Horst Südermann und Wilhelm Krone entgegen, ließ seine Waffe fallen und schlug lang hin.

Die andern verstärkten die Intensität des Feuers. Vor allem Silvio Gonzales schoss wie von Sinnen um sich. Eine Kugel zupfte an Krones Ärmel. Der schlaksige Beamte lag sofort auf dem Boden und robbte hinter einen steinernen Blumenbehälter. Erde spritzte hoch, bunte Blüten fielen auf Wilhelm. Er zog den Kopf ein, schob seine Walther PPK rechts am Blumenbehälter vorbei und drückte mehrmals ab. Dann schoss keiner mehr auf ihn, und er kam sofort wieder auf die Beine, Gonzales hatte die UZI leergeschossen. Er schleuderte sie fort und sprang in den Wagen. Er witterte eine Niederlage, und er wollte nicht dabei sein, wenn sie zum Tragen kam. Zum ersten Mal kümmerte er sich nur um sich selbst. Es war aber auch noch nie eine Situation so brenzlig gewesen. Zwei der drei Killer waren ausgeschaltet worden. Der dritte richtete soeben seine Waffe auf den Inspektor. Wilhelm Krone sah es und brüllte: „Horst!“ Der Inspektor reagierte trotz seiner Leibesfülle erstaunlich schnell. Er warf sich auf den Rasen und drückte fast gleichzeitig mit dem Killer ab. Und seine Kugel traf! Der Motor heulte auf, Gonzales gab wild Gas und raste los. Horst und Wilhelm jagten ihm alles hinterher, was sie noch an Kugeln in ihren Waffen hatten. Das Fahrzeug schwänzelte plötzlich, kam vom Kurs ab, wurde dabei immer schneller, raste auf die hohe Grundstückseinfriedung zu und krachte mit ungeheurer Wucht dagegen. Im Wageninneren schien ein Glutball zu entstehen. Er dehnte sich rasant aus, hatte keinen Platz mehr und zerriss das Fahrzeug. Die Scheiben platzten, die Türen flogen auf, eine helle Stichflamme schoss hoch und wurde zu einem schwarzen Rauchpilz. Während das alles geschah, zog sich Franco Millane ins Haus zurück. Das Magazin seiner Luger war leer. Er ließ die Waffe fallen, sprang hinter die Tür

und wartete auf Bernd. Als der kam, rammte er ihm die Tür gegen den Leib, und die massive Klinke traf Bernds Handrücken. Er verlor die Beretta, in der sich höchstens noch eine Kugel befinden konnte, deshalb ließ er die Waffe liegen, stieß die Tür auf und drang mit den Fäusten auf Millane ein. Er trieb den Mann mit harten Schlägen vor sich her. Millane wankte, war angeschlagen und gezeichnet, aber er gab nicht auf. Was ihm in die Finger kam, schleuderte er Bernd entgegen. Vasen, Aschenbecher, Blumentöpfe. Doch Bernd ließ sich nicht aufhalten. Da riss Franco Millane einen der gekreuzten Säbel von der Wand. Er hieb und stach auf Bernd Schuster ein, schlitzte dessen Jackett auf und traf auch die Schulter, glücklicherweise aber nur mit der Breitseite der Klinge. Bernd wich zurück. Ein glühender Schmerz saß in seiner Schulter. Wenn er den Arm bewegte, wurde es noch schlimmer. Er schonte den Arm trotzdem nicht, packte einen Stuhl und stach mit den vier Beinen nach dem Gegner. Ein schwerer Hieb machte aus dem Vierbein ein Dreibein, und dann stach Millane durch die Polsterung der Sitzfläche. Zwei Zentimeter vor Bernd Schusters Magen stoppte die Klinge. Ein unbeschreibliches Gefühl durchtobte den Detektiv. Er ließ den Stuhl los. Millane zog den Säbel aus der Polsterung, doch inzwischen gelang es Bernd Schuster, sich den zweiten Säbel zu holen. Sofort sah die Situation wesentlich besser für ihn aus. Er war zwar kein Fechtgenie, aber mit Franco Millane konnte er mithalten. Er versuchte einen Trick, den er mal in einem Mantel-und-Degen-Film gesehen hatte, und zu seiner größten Verwunderung hatte er Erfolg damit. Die Säbel rieben sich knirschend aneinander, und einen Augenblick später war Millane entwaffnet. „Wie Stewart Granger in seiner besten Zeit“, sagte Bernd und setzte Millane die Säbelspitze an die Kehle. Er hätte nur zuzustoßen zu brauchen, aber er tat es

nicht. Er bedauerte, dass Marc Walther das nicht mehr miterleben konnte. Es hätte ihn mit großer Genugtuung erfüllt. „Es ist gut, Bernd“, sagte Inspektor Südermann und trat neben den Freund. „Du kannst den Zahnstocher absetzen. Wir übernehmen den Knaben. Franco Millane, Sie sind verhaftet. Wilhelm, erkläre ihm seine Rechte.“

52

Vier Wochen danach besuchte Bernd Schuster Gitta Behrens. Er trug ihr nicht nach, in was für eine Situation sie ihn gebracht hatte. Es war nicht ihre eigene Entscheidung gewesen. Sie hatte den Teufel im Leib gehabt. Aber nun war sie auf dem besten Wege, von ihm loszukommen. Bernd hatte sich erkundigt und erfahren, dass ihre Chancen sehr gut standen. „Diesmal schaffe ich es, Bernd“, sagte sie glücklich. Sie saß mit ihm im Sanatoriumspark unter einer großen alten Trauerweide. „Es gibt eine neue Therapie, und ich spreche darauf an. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.“ Bernd lächelte. „Nehmen Sie es einfach als Geschenk von mir an.“ „Darf ich ... Darf ich Sie küssen, Bernd?“ Er gestattete es ihr, und er war froh, dass Franziska Jahn nicht sah, wie heftig er darauf reagierte. „Haben Sie Millane gekriegt?“, wollte das Mädchen wissen. „Haben Sie daran gezweifelt?“, fragte Bernd grinsend zurück. Sein größter Triumph bei diesem Fall war nicht der Sieg über Franco Millane gewesen. Nie würde er den Augenblick vergessen, in dem er Carsten Weiher das verlorengegangene Heroin überreichte. Der BKA-Mann hatte sich verdammt schwergetan, aber er hatte sich entschuldigt, und Bernd hatte ihm die Hand gereicht und die Entschuldigung angenommen. Er war nicht nachtragend. „Wenn Sie hier raus dürfen, melden Sie sich bei mir“, sagte Bernd zu Gitta. „Ich werde Ihnen weiterhelfen.“

„Warum tun Sie so viel für mich?“, fragte Gitta verständnislos. Bernd zuckte mit den Schultern. „Ich würde es für jeden tun. So bin ich nun mal.“

53

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“ Franziska ließ fassungslos die Speisekarte sinken. Für den heutigen Abend war die Wiederholung ihres so unschön beendeten Pizza-Essen geplant. Aber kaum saßen sie, als Bernd wie von der Tarantel gestochen aufsprang und zu den Toiletten eilte. Mit einem breiten Grinsen kehrte er nach kurzer Zeit zurück und griff wortlos nach der Karte. „Du willst doch mir jetzt aber nicht erzählen, dass du gerade auf der Frauentoilette gewesen bist, Bernd?“ Franziskas Entrüstung war zwar gespielt, denn sie kannte ihren Bernd gut genug. „Weißt du, Franzi, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Aber der Wirt hat mich sofort erkannt und mir versichert, dass jetzt seine Frau regelmäßig dort nach dem Rechten sieht. Nun – ich konnte ihm nichts Anderes nach meinem raschen Inspektionsgang sagen. Allerdings entging ich nur knapp dem Angriff einer empörten älteren Dame, die mich gerade mit Abscheu musterte, als ich aus der Damentoilette kam und ihr freundlich die Türe aufhielt.“ „Na, da kannst du ihr ja noch dankbar sein, dass sie für dich nicht schnell genug war!“, feixte Franziska. „Bestellst du für mich bitte wieder die Diavolo und für uns den guten Valpolicella? Dann kann ich selbst noch einmal rasch verschwinden!“ „Franzi!“, erwiderte Bernd fassungslos, und Franziska, die nur vortäuschte, den Tisch zu verlassen, schüttete sich aus vor Lachen über sein Gesicht. ENDE

Finger weg von gestohlener Ware!

Berlin 1968 Kriminalroman Band 28 von Tomos Forrest & A. F. Morland Frank möchte seinem Vater beweisen, dass er ein gutes Leben auch ohne sein Geld führen kann. Zusammen mit zwei Freunden kommt er auf die Idee, einen Lastwagen mit wertvoller Fracht zu stehlen. Aber nicht nur, dass es sich bei den beiden Fahrern um knallharte Gangster handelt – auch die Ladung des LKWs wurde zuvor von einem Mann gestohlen, der in der Berliner Unterwelt gefürchtet ist. Und Bernd Schuster, der Privatdetektiv, gerät unversehens zwischen die Fronten...

1

Im letzten Augenblick brachte Bernd Schuster den Mercedes zum Stehen. Franziska stützte sich mit beiden Händen ab, und stieß jetzt mit einem zischenden Geräusch die angehaltene Luft heraus. „Puh, das war knapp!“, sagte sie, und Bernd hämmerte mit beiden Händen auf das Lenkrad. „Selten solche Vollidioten erlebt! Nehmen uns die Vorfahrt und riskieren einen schweren Unfall, nur, weil sie im LKW sitzen und sich sicher fühlen. Von wegen ‚Könige der Landstraße‘! Das waren eher die Rowdys der Landstraße!“ Er hatte den Beinahe-Zusammenstoß mit dem LKW verhindert, aber dabei auch den Motor abgewürgt. Jetzt startete Bernd Schuster und fuhr mit durchdrehenden Reifen an. „Was hast du vor, Bernd?“ „Die Kerle schnappen und zur Rede stellen – so geht es jedenfalls nicht!“ Franziska legte ihm eine Hand auf den Arm. „Bitte, mach das nicht, Bernd. Wir hatten einen so schönen Abend, lass ihn nicht noch in einer Auseinandersetzung mit einem LKW-Fahrer enden!“ „Aber ich kann doch den Kerl nicht einfach...“ „Ich habe mir die Aufschrift gemerkt. Spedition Fuchs, die wird sich finden lassen. Weißt du was? Ich rufe morgen den Chef der Spedition an und bitte ihn, seine Fahrer ein wenig nachzuschulen. Es kann nicht sein, dass die LKWs in der Innenstadt so fahren, als befänden sie sich auf einer Trucker-Show, wie wir sie neulich mit Lucy gesehen haben.“ Bernd warf ihr einen raschen Seitenblick zu.

Insgeheim stimmte er Franziska zu. Es machte wenig Sinn, in der Dunkelheit hinter einem LKW herzujagen und den Fahrer auf seinen Fahrstil hinzuweisen. Nach ein paar Metern hatte er sich entschlossen, die Verfolgung aufzugeben. Er bog ab und kehrte zurück auf die Hauptstraße. Franziska bemerkte sofort, dass er den Wagen wieder in Richtung der Kurfürstenstraße lenkte. Hier arbeiteten die beiden in Bernds Detektei zusammen. Im anschließenden Wohnhaus besaß er seine großzügig geschnittene Wohnung im 14. Stock. Und Franziska wollte diesen Abend dort ausklingen lassen. „Übrigens, weil ich den Namen gerade gelesen habe, Bernd. So ein Silberfuchs als kuscheliger Kragen in der kalten Jahreszeit wäre gar nicht schlecht.“ „Verstehe!“, antwortete Bernd und lächelte, ohne den Blick zu ihr zu wenden. „Ich, wenn ich an meinen Kontostand denke, so plane ich bei solchen Geschenkwünschen sofort ein Kaninchen als Fellspender ein.“ „Was? Mehr bin ich dir nicht wert?“ „Also, so betrachtet, könnte ich mir vielleicht auch einmal einen Waschbären ansehen. Die Tierchen sollen ja preiswert sein, weil sie inzwischen bei uns heimisch sind“, antwortete er feixend. Aber da kam er schlecht bei seiner Franziska an, die als Sekretärin seine Schreibarbeit erledigte und als Assistentin mit ender Ausbildung auch einen Teil der Recherchen übernahm. „Du Schuft!“, sagte sie nur leise und kniff Bernd in den Unterarm. „Au, das tat weh! Ich kann morgen nicht zur Arbeit kommen!“, kommentierte er wehleidig. „Untersteh dich, Bernd Schuster! Wir stehen unter scharfer Beobachtung deiner lieben Tochter Lucy! Sie erwartet uns morgen beim gemeinsamen Frühstück und hat mir erst gestern gesagt, dass sie sich allmählich Sorgen um uns beide macht.“ „Sorgen?“ „Ja. Sie ist der Meinung, dass du manchmal so tust, als ob du mich jederzeit ersetzen könntest!“

„Wie bitte? Das sagt meine Lucy?“ Bernd Schuster fuhr scharf rechts an den Straßenrand, schaltete den Warnblinker an und beugte sich zu Franziska, um sie zu küssen.

*

Sie waren zu dritt und schlecht ausgerüstet. Dennoch wollten sie ein Ding drehen. Ihr erstes, einziges und zugleich größtes sollte es werden, mit nur einer echten Kanone. Die besaß Georg. Frank und Karl hatten Spielzeugrevolver, die jedoch kaum von echten Waffen zu unterscheiden waren. Der Unterschied machte sich erst im Ernstfall bemerkbar, aber Frank, Georg und Karl hofften, dass es dazu nicht kommen würde. Sie waren keine Profis, und eine Schießerei war nicht nach ihrem Geschmack. Wenn’s knallte, würde zumindest Frank die Hosen voll haben, das stand nicht nur für Georg und Karl, sondern auch für ihn selbst fest. Mit wachsender Nervosität lagen sie in der Dunkelheit auf der Lauer. Der feuchtkalte Wind, der von der Spree herüberkam, biss sich durch ihre Klamotten und machte allmählich ihre Glieder steif. Sie trugen Mützen aus schwarzer Wolle. Wenn sie die über ihr Gesicht zogen, waren sie unkenntlich. Sie würden es schon irgendwie richtigmachen. Groß geplant hatten sie nichts. Doch Vorbilder hatten sie genug, im Kino und im Fernsehen. So glatt wie dort würde auch ihr Coup ablaufen. Das wünschten sie sich jedenfalls. Ein dumpfes Dröhnen durchdrang die Nacht.

„Da kommt ein LKW!“, platzte es aus Karl heraus. „Ein LKW kommt, Freunde!“ „Wir sind nicht taub“, brummte Georg. Er spielte immer den Kühlen, Überlegenen. „Wir hören ihn, und wir wissen, dass es sich nicht um das Brummen einer fetten Hummel handelt. Wir sind wegen dieses LKWs hier, du Intelligenzbolzen.“ „Maul halten!“, keuchte Frank und zog seine Mütze herunter. Auch seine Freunde maskierten sich hastig. Frank schielte nervös durch die Sehschlitze auf die echte Waffe. „Hoffentlich machst du keinen Blödsinn damit“, kam es gedämpft durch die Wolle. „Keine Sorge, ich leg’ schon keinen um“, erwiderte Georg. Frank hätte gern gewusst, wo der Freund den Revolver aufgetrieben hatte, aber Georg sagte es ihm nicht. „Ich will nicht, dass man uns einen Mord anhängt“, sagte Frank. „Das hier ist schon schlimm genug.“ Georg stieß Karl an. „Was habe ich dir gesagt? Wenn’s ernst wird, verliert er die Nerven.“ „Man wird ja noch was sagen dürfen!“, maulte Frank. Karl legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Reg dich nicht auf, Junge. Es wird alles glattgehen. Es wird bei diesem einen Mal bleiben, wie wir es beschlossen haben. Ein zweites Ding brauchen wir nicht mehr zu drehen. Wir werden endlich das Leben führen können, von dem wir schon so lange träumen. Wir werden unsere eigenen Herren sein, Berlin verlassen, die Freiheit genießen und nur noch leben.“ So war es geplant. Ihnen fehlte nur das nötige Kleingeld, das Startkapital. Dann würden sie aussteigen und ein Leben nach ihren Vorstellungen führen. Ohne Stress, ohne Zwänge.

Wovon Millionen Menschen ein Leben lang nur träumten, für sie würde es Wirklichkeit werden. Ein einziger Coup würde genügen. Dieser Coup. Der LKW bog um die Ecke. Seine Scheinwerfer hätten die drei Maskierten beinahe angestrahlt. Sie versteckten sich hastig hinter alten Holzkisten. Wie ein riesiges Ungeheuer kam ihnen der LKW vor, und was er in seinem großen Bauch hatte, wollten sie sich unter den Nagel reißen. „Cool bleiben, Jungs“, sagte Frank heiser. „Ganz cool bleiben.“ Georg lachte unter seiner Maske. „Wenn du das sagst, hört sich das wie ein Witz an.“ Frank schwitzte. „Wir dürfen nicht zu früh in Erscheinung treten, aber auch nicht zu spät. Wir müssen genau den richtigen Moment erwischen.“ „Tu mir den Gefallen und spar dir deine Belehrungen“, sagte Georg mürrisch. „Eines sage ich dir“, bemerkte Frank mit erhobenem Zeigefinger. „Wenn du anfängst zu ballern, weil dir die Nerven durchgegangen sind, schlage ich dir die Zähne ein. Ich war von Anfang an dagegen, dass wir’s mit ’ner echten Kanone machen. Stimmt’s, Karl?“ „Was erwartest du von mir?“, fragte Georg ärgerlich. „dass ich den Revolver wegschmeiße, meinen Finger auf die Kerle richte und ,Peng!‘ rufe, wenn’s kritisch wird?“ „Es kann überhaupt nicht kritisch werden, Mann“, entgegnete Frank. „Schließlich sind wir zu dritt und...“ Er sprach nicht weiter, denn der LKW war stehengeblieben. Nervös nagte Frank an seiner Unterlippe. Es schmerzte schon, aber er konnte nicht damit aufhören. ‚Es muss klappen!,‘ dachte er trotzig. ‚Es muss! Wir sind gut, wir können was, wir haben Mut. Und wir haben ein Ziel, für das es sich lohnt, dieses Verbrechen zu begehen. Einmal ist keinmal, sagt man.‘

Als der LKW-Motor abgestellt wurde, herrschte plötzlich eine Stille, die Frank fürchterlich auf die Nerven ging. Und es ierte so endlos lange nichts. Verdammt noch mal, wieso stiegen die beiden Männer nicht endlich aus? Es war schließlich der Beifahrer, der als erster aus dem LKW sprang. Der Mann war groß und muskulös und hatte kein Haar auf dem Schädel. Wie ein Gangster sieht der aus, dachte Frank, den die breiten Schultern des Mannes sehr beeindruckten. Er kam sich plötzlich mit dem Spielzeugrevolver lächerlich vor. Jetzt stieg auch der Fahrer aus. Der Mann hatte ein eingeschlagenes Nasenbein und Blumenkohlohren. Er musste eine Zeitlang im Boxring gestanden haben. ‚Heiliger Bimbam, da haben wir uns ja die richtigen Gegner ausgesucht‘, durchfuhr es Frank. Er hätte die ganze Sache am liebsten abgeblasen, doch dabei hätten Georg und Karl nicht mitgespielt. Sie waren zwar auch nicht gerade hart wie Granit, aber doch ein wenig härter als er. Fahrer und Beifahrer begaben sich zum LKW-Heck. „Jetzt!“, zischte Georg. Frank war nicht sicher, ob dies schon der richtige Augenblick war. Genau genommen hielt er keinen Moment mehr für den richtigen, aber er blieb bei der Stange, sprang jetzt nicht ab. Seine Freunde sollten sich auf ihn verlassen können, deshalb flitzte er mit ihnen aus dem Versteck. Sie trugen Schuhe mit Kreppsohlen. Keiner ihrer Schritte war zu hören. Geduckt hetzten sie durch die Dunkelheit auf die beiden Männer zu. „Hände hoch! Keine Bewegung!“, schrie Frank, beinahe zu früh. Die Männer bewegten sich doch, sie drehten sich um. Zehn Schritte waren die Maskierten noch vom LKW entfernt.

Sie zeigten sie die Revolver, den echten und jene beiden, über die man lachen konnte. „Pfoten hoch!“, schrie jetzt Georg. „Wird’s bald? Oder wollt ihr euch eine Kugel einfangen?“ Ihm gehorchten die Männer. Frank bekam fast einen Komplex. War Georg die stärkere Persönlichkeit? Oder hatten die Männer erkannt, dass Georgs Waffe echt war? Unmöglich. Nicht bei diesen schlechten Sichtverhältnissen. Sie erreichten den Glatzkopf und den Ex-Boxer. Frank fuchtelte ihnen mit seinem Spielzeug vor der Nase herum. „Die Fahrzeugschlüssel!“, verlangte er. Der Fahrer händigte sie ihm zögernd aus. „So, und jetzt Abmarsch!“, kommandierte Karl. „Mitkommen!“, befahl Georg, und als sich die Männer nicht sofort in Bewegung setzten, gab ihnen Frank einen Stoß, sprang aber dann sofort zurück. Sie hatten vor, die Männer in das Lagerhaus einzuschließen, vor dem der LKW stand. Georg hatte das Türschloss mit einem Dietrich geknackt. Wenn man es objektiv betrachtete, hatte Georg bisher am meisten getan. Ihm war auch aufgefallen, dass hier mehrmals in der Woche zu dieser nachtschlafenden Zeit LKWs entladen wurden. Im Moment spielten Fahrer und Beifahrer noch mit, aber Frank glaubte nicht, dass die beiden noch lange so zahm bleiben würden. Wenn er sie richtig einschätzte, waren sie Männer, denen man nicht so schnell Angst machen konnte. Auch nicht, wenn man maskiert war und sie mit Revolvern bedrohte. Sie betraten mit dem Glatzköpfigen und dem Ex-Boxer das Lagerhaus. Stricke

und Knebel lagen bereit. Soweit hatten Frank, Georg und Karl schon vorausgedacht. „Umdrehen!“, blaffte Georg. „Hände an die Wand! Zwei Schritte zurück und Beine grätschen!“ Stumm gehorchten die Männer, und nun sollte Frank sie sicherheitshalber durchsuchen. Er zögerte. „Nun mach schon!“, zischte Georg ungeduldig. „Mach! Mach!“ Frank trat vor. In ihm verkrampfte sich alles. Verdammt heiß war es unter der Wollmaske. Er kam fast um. Aufgeregt setzte er dem Kahlhäuptigen seinen Revolver an die Rippen, aber, zum Teufel, der Mann nahm ihn und seine Spielzeugwaffe nicht ernst. Der Glatzkopf hatte genug von diesem Spiel. Er setzte sich über alle Regeln der Vernunft hinweg und explodierte förmlich. Es ierte alles so schnell, dass Frank mit dem Denken nicht mitkam. ‚Ist er wahnsinnig?‘, schrie es in ihm. ‚Er kann doch nicht...‘ Aber der Mann konnte. Ein gewaltiger Faustschlag traf Frank. Der junge Mann sah Sterne. Dann warf ihn der Treffer nieder. Er verlor die Spielzeugwaffe, doch die brauchte er ohnedies nicht. Schwer benommen schüttelte er den Kopf, sein Blick war glasig. Im Boxring wäre er vom Ringrichter angezählt worden. Trübe Schleier hingen vor seinen Augen. Durch die sah er, wie der Glatzkopf unter die Jacke fasste und eine großkalibrige Waffe aus dem Gürtel riss. Das musste tatsächlich ein Gangster sein. Der sah nicht nur so aus. Als der Mann seine Pistole auf ihn richtete, brüllte Frank entsetzt Georgs Namen. Georg war mit seiner echten Kanone auf einmal seine einzige Rettung. Wer hätte das gedacht?

Georg war verstört. Mit schreckgeweiteten Augen sah er, was ierte, und er wusste, dass jetzt alles von ihm abhing. Nur er konnte Franks Leben retten, wenn er schneller schoss als der Glatzkopf. Und treffen musste er auch. Er drückte ab. Ohrenbetäubend laut krachte der Schuss. Es war der erste in Georgs Leben. Er hätte nicht gedacht, dass es so laut krachen würde. Er wusste nicht, ob er getroffen hatte. Gezielt hatte er jedenfalls nicht. Er hatte die Augen geschlossen, bevor er abdrückte. Vielleicht, um nicht zu sehen, was der Schuss bewirkte. Der Rückstoß der Waffe war so hart, dass es Georg den Arm hochriss. Er machte die Augen auf. Was er erwartete, wusste er nicht genau. Aber keinesfalls, dass der Glatzkopf noch auf den Beinen stand. Doch das war der Fall. Da es keine unverwundbaren Menschen gibt, musste Georg danebengeschossen haben. Und nun wies die Waffe des Glatzkopfs auf ihn. Es ierte so viel auf einmal, dass die Situation nicht mehr überschaubar war. Auch der Ex-Boxer zog eine Pistole. Frank sprang auf und stürzte sich auf den Kahlhäuptigen, um zu verhindern, dass der seinen Freund erschoss. Karl warf sich gegen den Kerl mit den Blumenkohlohren. Er schlug den Mann mit seiner Spielzeugwaffe nieder. Frank prallte gegen den Kahlkopf, der den Stecher im gleichen Moment durchzog. Die Pistole entlud sich, Georg brüllte auf, wurde wie von einer unsichtbaren Faust herumgewirbelt und zu Boden geschleudert. Frank blieb das Herz stehen. Soeben hatte ihm Georg das Leben gerettet, und nun war er selbst tot. Blind vor Wut fällte er den Glatzkopf mit einem einzigen Schlag. Der Mann brach wie vom Blitz getroffen zusammen und regte sich nicht mehr.

Auch der Ex-Boxer war bewusstlos. Karl holte sich die Waffen der beiden, während Frank wie gelähmt dastand und fassungslos auf Georg starrte. Er hielt es unter der Wollmaske nicht mehr aus, riss sie sich vom Kopf. Er war kreidebleich. „Er ist tot!“, stöhnte er erschüttert. „Georg ist tot.“ Aber er irrte sich zum Glück. Der Schock hatte Georg nur für wenige Sekunden außer Gefecht gesetzt, denn die Kugel des Glatzkopfs war ihm in die Schulter gedrungen. Jetzt regte sich Georg wieder, und Frank fiel ein Felsblock vom Herzen. „Georg! Meine Güte, ich dachte, du wärst hinüber!“, stieß Frank aufgewühlt hervor. „Mensch, bin ich froh, dass du noch lebst.“ Georg richtete sich auf. Er ächzte sofort und fasste sich an die linke Schulter. Dann riss auch er sich die Maske vom Kopf. Sein Gesicht war puterrot. Er steckte die Mütze ein und starrte hasserfüllt auf die beiden Bewusstlosen. „Verdammt, ich würde sie am liebsten umlegen.“ „Blödsinn. Sei froh, dass du lebst“, sagte Frank, während er ihm beim Aufstehen half. „Los, wir müssen weg.“ Karl schnappte sich die Stricke und fesselte in aller Eile den Ex-Boxer. Er arbeitete so schnell, als gelte es, einen Wettbewerb zu gewinnen. Inzwischen begab sich Frank mit seinem verletzten Freund zum LKW. „Kannst du allein einsteigen?“, fragte er. „Oder möchtest du, dass ich dir helfe?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern wollte sofort helfen. In seinem Übereifer tat er Georg weh. Der Freund schrie auf und fauchte wütend: „Lass mich in Ruhe, Frank! Ich komm’ schon allein zurecht.“

„Entschuldige... Wir sind alle ziemlich nervös...“, bemerkte Frank und nahm die Hände zurück. „Hast du starke Schmerzen?“ „Nur, wenn ich lache“, sagte Georg bissig. „Wieso bist du sauer auf mich, Mann?“, fragte Frank verständnislos. „Ich habe dir die Kugel nicht ins Fell gebrannt.“ Es bereitete Georg große Schwierigkeiten einzusteigen, aber er ließ sich von Frank nicht helfen. Sobald er im LKW saß, kletterte Frank hinterher. Karl schloss die Lagerhaustür ab und kam, nun ebenfalls unmaskiert, angerannt. Frank überließ ihm das Steuer. Sie hatten nicht vor, weit mit dem heißen LKW zu fahren. Es gab in der Nähe den Rohbau eines U-Bahn-Abschnittes, an dem die Arbeiten vorübergehend eingestellt worden waren, weil die Mittel für die Fertigstellung fehlten. Es war kaum zu glauben, dass Berlin so pleite war. So eine riesige, wenn auch geteilte Stadt. Und doch war es eine Tatsache. Die verwaiste Baustelle war ein gutes Versteck. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, den LKW dort zu suchen. Karl fuhr los. Man erkannte sofort, dass er mit solchen Brummern umgehen konnte. Er steuerte den LKW sehr sicher. Obwohl das große Fahrzeug gut gefedert war, gab es doch immer wieder Unebenheiten, die bis zu Georg durchkamen und ihn schmerzlich aufstöhnen ließen. „Beiß die Zähne zusammen“, riet Frank ihm. „Es ist nicht weit. Du hast es bald überstanden.“ „Ach, halt die Klappe!“, fuhr Georg ihn an. „Ich weiß selbst, wie weit es ist.“ „Man kann sagen, was man will, er kriegt alles in die falsche Kehle“, beschwerte sich Frank bei Karl.

„Ist ja auch keine Kleinigkeit, ’ne Kugel im Fleisch zu haben“, erwiderte der. Große Tafeln wiesen rechtzeitig auf die Baustelle hin. Es gab unübersehbare Bodenmarkierungen, an die sich die Autofahrer halten sollten. Eine Blinklichtkette zeigte den derzeitigen Straßenverlauf an, und Balkenständer versperrten die Einfahrt. Karl stoppte den LKW, dann sprangen er und Frank aus dem Fahrzeug und räumten die Ständer weg. Sobald die Hindernisse beiseitegeschafft waren, kletterte Karl hinter das Steuer zurück und fuhr etwa dreißig Meter weit. Hinter dem LKW stellte Frank die Absperrungen wieder an ihren Platz. Damit es schneller ging, stieg Karl noch einmal aus und half mit. Wenig später rollte das große Fahrzeug in die schwarze, einsame Tiefe des UBahn-Tunnels hinein. Es sah aus, als würde das weit aufgerissene Maul eines bösen Ungeheuers den LKW verschlingen. Mit Mann und Maus, wie man so schön sagt.

2

Der Glatzkopf wurde von vielen nur „der Russe“ genannt. Nicht wegen seines etwas exotischen Aussehens, sondern weil er tatsächlich russischer Abstammung war. Michail Petrow war sein Name, und seine Eltern waren in Leningrad auf die Welt gekommen. Nach einer kräfteraubenden, entbehrungsreichen Odyssee war es ihnen gelungen, in den Westen überzusiedeln. Ihr Sohn Michail hatte in Hannover das Licht der Welt erblickt. Das war vor gut dreißig Jahren gewesen. Michails Eltern lebten nicht mehr, und das war gut für sie, denn der Lebenswandel ihres Sohnes hätte ihnen viel Kummer bereitet. Er hatte Hannover vor fünf Jahren den Rücken gekehrt, was für ein Glück für diese Stadt war, und ging nach Berlin, wo er schnell Anschluss an die Unterwelt fand. Heute war er dick im Geschäft, und er machte alles, wofür man ihn bezahlte. Auch vor einem Mord schreckte er nicht zurück. Er kam vor dem Ex-Boxer, dessen Name Sebastian Eckels war, wieder zu Bewusstsein. Ein Brennen am linken Oberarm weckte ihn. Die Schießerei fiel ihm ein. Der Bursche, der auf ihn geballert hatte, musste ihm einen Streifschuss vert haben. Wütend wollte er aufstehen. Da merkte er, dass man ihn gefesselt hatte. Das war ihm noch nie iert. Der Teufel sollte diese Dilettanten holen! Er hatte gleich erkannt, dass das keine ausgebufften Profis waren. Obwohl sie am Drücker gewesen waren, hatten sie sich mehr aufgeregt als die Männer, die vor ihren Revolvern standen.

Zornig zerrte der Russe an seinen Fesseln. Sie schnitten schmerzhaft ins Fleisch, und das Blut staute sich pochend in den Fingern. Petrow drehte sich und zog die Beine an. Er rammte die Absätze gegen den Körper seines Komplizen. „Sebastian! He, Sebastian!“ Der Ex-Boxer ließ einen tiefen Seufzer hören. „Verdammt noch mal, hör auf zu pennen, Sebastian!“ Der Typ mit dem eingeschlagenen Nasenbein öffnete verwirrt die Augen. Er brauchte ein paar Minuten, bis er begriff, was gelaufen war. Besonders hell war Sebastian ja noch nie gewesen, und der Schlag auf den Schädel hatte nicht dazu beigetragen, dass sich sein Denkvermögen verbesserte. „Kann man endlich mit dir reden?“, fragte der Russe ungeduldig. „Teufel auch, die haben uns niedergeschlagen und gefesselt.“ „Du merkst aber auch alles. Ich würde zu gern deinen Intelligenzquotienten haben“, giftete Michail Petrow. „Wie viel verlangst du dafür? Fünfzig Cents?“ Eckels wollte die Fesseln sprengen, schaffte es aber nicht. „Ist schon lange her, seit ich zum letzten Mal ausgeknockt wurde“, brüstete er sich. „Das war neunundsiebzig, im Kampf gegen Ralf Grohe, diesen Schlagetot.“ „Ich kenne die Story.“ „Es war ’ne glatte Schiebung. Grohe wäre zu nehmen gewesen, aber gewisse Leute hatten hohe Wetten abgeschlossen und wollten ihr Geld nicht verlieren. Der Ringrichter war bestochen. Grohe erwischte mich mit einem kurzen Haken. Ich musste auf die Knie. Der Ringrichter fing sofort an zu zählen, aber er zählte zu schnell. Wenn er normal gezählt hätte, hätte ich Zeit gehabt, mich zu erholen. So musste ich zu früh aufstehen und wankte direkt in Grohes Schwinger.“

„Ich sagte, ich kenne die Story.“ „Das nagt immer noch in mir. Damals landete meine Karriere nämlich im Eimer.“ „Das Leben besteht nicht nur aus Siegen.“ „Die haben mich damals eiskalt verkauft.“ „Hör mal, willst du mir deswegen die Weste vollheulen? Ausgerechnet jetzt? Rück näher heran. Nun mach schon! Ich hab ’n Messer, hier in dieser Tasche. Hol es raus und schneide mir die Fesseln durch.“ Sebastian Eckels schob sich schlängelnd über den Boden. Er erreichte den Komplizen und fingerte nach dem Messer. Sekunden später schnappte die Klinge auf, dann säbelte der Ex-Boxer die Handfesseln des Russen durch. Die Fußfesseln nahm sich Michail Petrow selbst ab. Anschließend befreite er Sebastian Eckels. „Du bist verletzt“, stellte Eckels fest, als er den blutdurchtränkten Ärmel sah. „Lass mich mal sehen.“ „Ist nur ein Kratzer.“ Eckels grinste. „Ihr Russen spielt gern die harten Typen, eh?“ „Ich bin Deutscher wie du“, knurrte der Glatzkopf. Eckels hatte seinen wunden Punkt getroffen. Er wollte nicht als „Iwan“ angesehen werden. Es gefiel ihm auch nicht, dass ihn alle den Russen nannten, aber er konnte nichts dagegen tun. Er konnte schließlich nicht alle umlegen, die ihn so nannten. Manche kannten ja nicht einmal seinen Namen. Sie wollten das Lagerhaus verlassen, doch die Tür war abgeschlossen. Der Russe kannte eine andere Tür, von der er wusste, dass sie nur von innen verriegelt war.

Zu der begab er sich, und wenig später standen er und Sebastian Eckels vor dem Lagerhaus. „Der LKW ist weg. Geklaut!“, bemerkte Eckels. „Großartig, wie du mitdenkst“, sagte der Russe sarkastisch. „Das wird ’ne Menge Ärger geben“, meinte Eckels. „Erst mal für uns“, sagte Michail Petrow. „Wir müssen es trotzdem dem Boss sagen. Daran führt kein Weg vorbei.“ „Andreji Sokolow wird toben. Es ist das erste Mal, dass man den Boss bestohlen hat.“ „Es ist nun mal iert, und wir müssen dafür geradestehen. Mit Ruhm haben wir uns ja nicht gerade bekleckert. Dabei hatten wir es mit Stümpern zu tun. Die hatten mehr Schiss als wir, ist dir das nicht aufgefallen? Mich würde es nicht wundern, wenn das ihr erster Coup war.“ „Und der wurde gleich ein Erfolg.“ Der Russe wedelte mit der Hand. „Das ist noch nicht raus.“ Michail Petrow kannte eine Telefonbox in der Nähe. Dem Ex-Boxer war sie noch nie aufgefallen, obwohl er daran genauso oft vorbeigefahren war wie der Russe. „Hast du’n bisschen Kleingeld?“, fragte Petrow, nachdem er seine Taschen durchstöbert, aber keine Münzen gefunden hatte. Eckels gab ihm, was er hatte, und Petrow fütterte damit den Automaten. Dann wählte er Andreji Sokolow’ Nummer. Eckels war froh, dass der Russe das übernommen hatte. Er wollte mit dem Boss jetzt nicht reden. Gute Nachrichten übermittelte er ihm gern, aber auf schlechte Nachrichten reagierte der Boss zumeist verdammt sauer. So war es auch diesmal. Petrow redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern berichtete dem Boss geradeheraus, was geschehen war. Andreji Sokolow bekam prompt einen Tobsuchtsanfall.

Er nannte Petrow und Eckels die größten Idioten des Jahrhunderts, und das war noch eines von den harmlosen Dingen, die er dem Russen an den Glatzkopf warf. Eckels hörte alles ganz genau, denn Andreji Sokolow brüllte laut genug. Petrow ließ ihn toben, es war Sokolow’ gutes Recht, schließlich hatte er soeben erfahren, dass ihm, grob geschätzt, vierhunderttausend Mark durch die Lappen gegangen waren. Er wollte wissen, wer sich erdreistet hatte, ihn zu bestehlen. Das Kuriose an der Sache war nämlich, dass die Ware, die sich im LKW befand, von Sokolow auch nicht gekauft, sondern gestohlen worden war. Der Russe war natürlich nicht in der Lage, dem Boss diese Frage zu beantworten. „Hör zu, Michail!“, sagte Andreji Sokolow, nachdem die erste Zornwelle verebbt war. „Ich will den LKW samt Inhalt wiederhaben.“ „Das kann ich verstehen, Boss“, gab der Russe zurück. „Ist mir egal, wie ihr das anstellt. Ich bin nur am Erfolg interessiert. Ihr holt euch zurück, was die euch geklaut haben, und ihr legt die drei um, ist das klar?“ Der Russe lachte schnarrend. „Das hättest du nicht zu verlangen brauchen, das hätten wir auf jeden Fall getan.“

3

Franziska Jahn brachte die Morgenpost. ‚Was für ein Glück für mich, dass ich dich habe!‘, dachte Bernd bei ihrem Anblick und betrachtete ihre langen, wohlgeformten Beine. „Man sollte denen, die immer ,Weg mit dem Minirock!' rufen, diese wunderbaren Beine zeigen. Ihnen würde die Luft wegbleiben, und sie müssten verstummen.“ Franziska lachte. „Bernd, du alter Schmeichler! Was ist mir dir heute los? Hast du mehr als ein Frühstücksei gegessen? Sind die Hormone in Aufruhr?“ „Das war nicht nur so dahergeredet“, sagte Bernd. „Ich hab’s ehrlich gemeint.“ Es blitzte in Franziskas veilchenblauen Augen. „Du hast schon immer eine eigene Art gehabt, mir Komplimente zu machen. Aber wenn du dich in einen Fall verbissen hast, kannst du auch sehr unausstehlich sein.“ „Also, das muss ich entschieden zurückweisen“, sagte Bernd grinsend. „Ich weiß es besser. Schließlich arbeite ich schon seit einigen Jährchen für dich, du Sklaventreiber.“ Bernd wies auf die Post. „Etwas Wichtiges dabei?“ Franziska schüttelte ihre goldfarbene Löwenmähne. „Nein.“ „Warum wirfst du das Zeug dann nicht einfach in den Papierkorb?“ „Es sind ein paar Rechnungen dabei.“ „Dann erst recht.“ Franziska lachte. „Das würde dir so en. Möchtest du eine Tasse von meinem berühmten Kaffee?“

„Sehr gern sogar.“ „Einmal möchte ich erleben, dass du nein sagst.“ „Hör mal, das kann ich dir doch nicht antun. Ich bin als Arbeitgeber schließlich verpflichtet, dich bei Laune zu halten. Frustrationen würden das Arbeitsklima erheblich belasten, und das kann man sich in einem Zwei-Einhalb-MannUnternehmen nicht erlauben.“ „Was ist heute los mit dir? So rücksichtsvoll bist du doch sonst nicht. Hast du irgendwelche Pläne, von denen ich wissen sollte?“ Bernd schmunzelte. „Nun ja, wenn du mich so fragst... Ich würde ganz gern mal wieder schick mit dir ausgehen. Was Gutes essen, was Nettes trinken. Und dann ...“ „Und dann?“, fragte Franziska und senkte die seidigen Wimpern ein wenig. „Ein Abend muss nicht zu Ende sein, nachdem man gegessen und getrunken hat.“ „Ich glaube, ich verstehe“, sagte Franziska schelmisch. Das uralte Spiel zwischen ihnen. Seit drei Jahren waren die beiden fest liiert und schon so etwas wie eine Familie geworden, denn Lucy, Bernds siebzehnjährige Tochter aus erster Ehe, akzeptierte Franziska – und die liebte die aufgeweckte, quirlige Lucy wie eine eigene Tochter. „Und was sagst du dazu?“ „Ich überleg’s mir noch.‘‘ „Aber nicht zu lange, sonst müsste ich mich um eine andere Begleitung umsehen.“ Franziska kniff angriffslustig die Augen zusammen. „Siehst du, jetzt bist du schon wieder unausstehlich!“ Sie sauste aus dem Büro. Bernd lehnte sich grinsend zurück, zündete sich eine Roth Händle an und freute sich auf den Abend mit Franziska.

Sie brachte den Kaffee in einem Kännchen und stellte zwei Tassen auf Bernds Schreibtisch. „Wir haben Besuch.“ „Von wem?“, erkundigte sich Bernd. „Sein Name ist Schultheiss. Werner Schultheiss.“ „Der Zeitungsverleger?“ „Man sieht, du kennst die oberen Zehntausend.“ „Leider kenne ich nicht nur die, sondern auch die unteren Zehntausend“, erwiderte Bernd. „Schick den Mann herein. Was will er?“ Franziska Jahn zuckte mit den Schultern. „Er sagte nur, er hätte einen Auftrag für dich. Ich hoffe, du vergisst nicht, mich auch mitmachen zu lassen, wenn’s ein interessanter Fall ist.“ „Mal sehen“, sagte Bernd ausweichend. Franziska wusste, dass das alles andere als eine Zusage war. Sie schritt zur gepolsterten Tür. „Bitte, Herr Schultheiss.“ Der Zeitungsverleger erschien. Man sah ihm den Erfolgsmenschen an. Er wirkte selbstsicher und vital. Seine Durchschlagskraft war deutlich zu spüren. Und doch hatte er ein Problem, das ihn zu Bernd führte. Der Privatdetektiv erhob sich, lächelte freundlich und streckte dem Besucher die Hand entgegen. „Tag, Herr Schultheiss.“ „Herr Schuster“, sagte der Verleger und schlug mit ernster Miene ein. Ein grauer Schatten lag auf seinem breiten Gesicht, wie Bernd bei genauerem Hinsehen erkannte. Bernd wies auf den Besucherstuhl. „Bitte nehmen Sie Platz.“ Schultheiss setzte sich. Bernd bot ihm Kaffee an, und Schultheiss lehnte nicht ab.

Nach dem ersten Schluck wollte Bernd wissen: „Was führt Sie zu mir, Herr Schultheiss? Ich habe neulich Ihren Leitartikel gelesen, und ich kann nicht umhin, Ihnen meine Anerkennung auszusprechen. Sie haben damit genau den Nerv der Leser getroffen. Sie scheinen solche heißen Eisen gern anzufassen.“ „Nun, Herr Schuster, einer muss es schließlich tun. Ich habe mich noch nie gescheut, den Menschen meine Meinung zu sagen beziehungsweise ihnen einen Spiegel vorzuhalten, damit sie sich selbst erkennen. Wahrscheinlich verbirgt sich dahinter das Geheimnis meines Erfolgs.“ Schultheiss seufzte. „Leider bin ich nicht in allen Belangen so erfolgreich. Damit bin ich eigentlich schon beim Grund meines Besuchs angelangt. Ich brauche Ihre Hilfe.“ „Wobei?“, fragte Bernd. „Es handelt sich um meinen Sohn. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Witwer. Meine Frau starb sehr jung, und ich konnte mich nicht dazu entschließen, wieder zu heiraten. Evelyn war eine so großartige, einmalige Frau. Es wäre keiner anderen auch nur annähernd möglich, die Lücke, die sie hinterließ, auszufüllen. Außerdem wollte ich meinem Jungen keine neue ,Mutter' zumuten. Das hätte ihn zu sehr verwirrt. Vielleicht war es falsch, soviel Rücksicht zu nehmen. Je besser man etwas machen will, desto mehr Fehler ieren einem. Jedenfalls trifft das auf alles zu, was ich für meinen Sohn getan habe.“ „Er dankt es Ihnen nicht?“ „Wenn es bloß das wäre. Ich erwarte keinen Dank, Herr Schuster, denn was ich getan habe, war für mich selbstverständlich. Ich wollte meinem Jungen nicht nur Vater, sondern auch Freund sein. Immer wieder sagte ich ihm, er könne mit allen Problemen, und wären sie noch so klein, zu mir kommen. Doch er zog sich mehr und mehr zurück, lebte in einer Art von Schneckenhaus, ließ mich nicht an sich heran. Ich setzte so große Hoffnungen in ihn, hatte Pläne mit ihm, aber er will nichts davon wissen. Ich träumte davon, irgendwann mal den Verlag mit ihm gemeinsam zu führen, und in der weiteren Folge hätte er das, was ich geschaffen habe, dann übernommen.“ „Väter wollen immer, dass die Söhne in ihre Fußstapfen treten, aber das klappt nicht bei allen, Herr Schultheiss.“ „Ich verstehe meinen Sohn nicht, verstehe nicht die Art, wie er sich kleidet, die Art, wie er spricht. Ein Fremder wohnte unter meinem Dach. Er hat Freunde, mit

denen ich nicht einverstanden bin, und er hat Ansichten, die mir unbegreiflich sind. Er redet vom Aussteigen. Mit zweiundzwanzig Jahren!“, sagte Werner Schultheiss. „Aber ich weiß, dass mein Sohn das Zeug in sich hat, ebenso groß zu werden wie ich. Ich bin sein Vater. Er hat meine Erbanlagen, Herr Schuster. Er müsste nur wollen... Aber er will nicht. Er träumt von einer schönen großen Yacht, die reiche Leute mieten können. Dann fährt er sie umher, lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen und lebt sorglos in den Tag hinein. Er ist ein Phantast.“ Werner Schultheiss nippte von seinem Kaffee. „Vor drei Tagen“, fuhr er fort, „bat ich meinen Sohn um eine Aussprache. Ich wollte ihn endlich zur Vernunft bringen, weil ich merkte, dass unsere Beziehung den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte. Ich wäre zu Konzessionen bereit gewesen. Ich habe in meinem Leben schon viele Verhandlungen geführt. Ich weiß, dass man dabei mit Sturheit gar nichts erreicht. Man muss flexibel sein, und ich hatte die Absicht, meinem Sohn etliche Zugeständnisse zu machen, doch er wollte nichts davon wissen. Ich sah das Desinteresse, mit dem er in dieses Gespräch ging, und ich hatte manchmal das Gefühl, er würde mir überhaupt nicht zuhören. Er schien die Schotten dichtgemacht zu haben und von seiner Yacht zu träumen. Auf meine Frage, womit er den Kauf eines solchen Schiffes finanzieren wolle, sagte er mir, es gäbe für jedes Problem eine Lösung. Er machte mich wütend. Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, ruhig zu bleiben, sachlich zu diskutieren und zu argumentieren, mich nicht aufzuregen. Aber er schaffte es schließlich doch, mich in Rage zu bringen, und es fielen dabei Worte, die mir heute leidtun. Aber sie wurden nun mal gesagt, und ich kann sie nicht mehr zurücknehmen, so gern ich das möchte.“ „Und nun?“, fragte Bernd Schuster. „Es kam zu dem Streit, den ich vermeiden wollte, und Frank rannte aus dem Haus. Er sagte, ich würde ihn nie wiedersehen, er hätte ein für alle Mal genug von mir, und ich solle ihn nicht suchen, denn selbst wenn ich ihn fände, würde er sich weigern, zu mir zurückzukehren. Ich hatte schon seit längerem befürchtet, dass es zu diesem Bruch kommen würde. Obwohl ich mich seelisch darauf vorbereitet habe, ist diese Trennung nun doch sehr schmerzlich für mich.“ „Das kann ich verstehen“, sagte Bernd. „Ihr Sohn ist also verschwunden, und ich soll ihn suchen.“

„Ja“, sagte der Verleger. „Und was tue ich, wenn ich ihn gefunden habe? Ich kann ihn nicht mit Gewalt nach Hause bringen. Er ist volljährig. Er kann tun, was er will, solange er mit dem Gesetz nicht in Konflikt gerät.“ „Sehen Sie, und genau das ist der springende Punkt“, hakte Werner Schultheiss ein. „Frank behauptete, für jedes Problem gäbe es eine Lösung. Eine Yacht, wie sie ihm vorschwebt, müsste meiner Schätzung nach eine halbe Million Mark kosten. Auf ehrliche Weise kann er sich so viel Geld niemals beschaffen, also muss er es auf unehrliche Weise versuchen ...“ Der Verleger senkte den Blick. „Ich mache mir ernsthaft Sorgen um meinen Sohn, Herr Schuster. Es besteht die Gefahr, dass er auf die schiefe Bahn gerät. Ich will ihm helfen, und wenn er sich nicht helfen lassen will, dann werde ich ihn, verdammt noch mal, zwingen, meine Hilfe anzunehmen. Er kann von mir nicht erwarten, dass ich tatenlos zusehe, wie er abrutscht. Sie wissen über diese Dinge besser Bescheid als ich. Die schiefe Bahn wurde schon vielen jungen dummen Phantasten zum Verhängnis. Anfangs geht es nur ganz leicht bergab, und sie reden sich ein, jederzeit umkehren zu können. Aber dann wird der Weg immer steiler, man rutscht aus, stürzt und saust im Höllentempo in die Tiefe. Nein, Herr Schuster, ich habe Frank nicht großgezogen, damit er so ein Ende nimmt.“ „Okay“, sagte Bernd. „Ich suche ihn, und wenn ich ihn gefunden habe, werden wir weitersehen.“

4

Frank Schultheiss nagte wieder nervös an seiner Lippe. Es hätte so viel zu tun gegeben, und sie taten überhaupt nichts. Der LKW war beladen mit wertvollen Pelzen, darunter etlichen aus den Ostgebieten, wertvolle Polarfüchse und andere Felle aus Kamschatka, Silberwölfe und sogar ein gewaltiges Bärenfell. Georg Schäfer kannte einen Hehler, den er hätte aufsuchen müssen, aber Georg fiel vorläufig aus. Die Kugel, die in seiner Schulter steckte, machte ihm zu schaffen. Er hatte eine Menge Blut verloren und fieberte leicht. Ab und zu packte ihn ein so starker Schüttelfrost, dass Georg mit den Zähnen klapperte. Frank hatte den Tunnel kurz verlassen und Frühstück besorgt. Georg hatte nichts essen wollen, aber die Freunde hatten ihm so lange keine Ruhe gelassen, bis er schließlich ein paar Bissen hinunterwürgte. Nur Durst hatte er pausenlos. Drei Cola-Flaschen hatte er schon leergetrunken. „Verdammter Mist“, sagte Karl Ryan. „Damit hat keiner von uns gerechnet. Was machen wir mit dir, Georg?“ „Er braucht einen Arzt“, sagte Frank. „Du hast wohl ’ne Meise“, stöhnte Georg. Soll alles umsonst gewesen sein?“ „Willst du lieber draufgehen?“, fragte Frank. „So schnell stirbt man nicht. Für die Pelze, die wir uns unter den Nagel gerissen haben, bin ich bereit, etwas zu ertragen.“ Karl wischte ihm mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Wir ziehen die Sache durch, wie wir es uns vorgenommen haben“, sagte Georg. „Es gibt nur eine unwesentliche Programmänderung. Da ich zurzeit nicht aktionsfähig bin, müsst ihr euch mit dem Hehler in Verbindung setzen.“

„Was ist mit der Kugel?“, fragte Frank. „Vergiss sie fürs Erste.“ „Die muss raus, sonst bringt sie dich um.“ „Sie wird schon rauskommen.“ „Von allein bestimmt nicht“, sagte Frank. „Mann, du trampelst ganz schön auf meinen Nerven herum“, schimpfte Georg Schäfer verärgert. „Jeder Arzt ist verpflichtet, eine Schussverletzung unverzüglich der Polizei zu melden. Also können wir uns die Hilfe eines Doktors abschminken. Wir haben uns die Pelze geholt, und ich gebe sie nicht mehr her, ist das klar? Wenn wir das Zeug verscherbelt haben, kaufen wir die Yacht, Freunde, und dann geht’s auf große Fahrt. Karibik... Südsee ... Es wird ein herrliches Leben sein. Es gibt nur noch ein paar kleine Hürden zu überwinden. Was uns dann winkt, ist die Erfüllung eines ganz großen Traums. Das lasse ich mir von einem pflichtbewussten Doktor nicht vermasseln. Die Kugel muss raus, in diesem Punkt gebe ich dir recht, Frank. Und ich weiß auch schon, wer mich operieren wird: ihr beide.“ Frank riss entgeistert die Augen auf. „Du bist wohl nicht ganz dicht. Ich ... Ich kann so etwas nicht. Mir wird schlecht... Mir wird schon übel, wenn ich nur daran denke“, stöhnte er. „Verdammt noch mal, reiß dich zusammen, du Schwächling!“, herrschte Georg ihn an. Es funkelte zornig in Franks Augen. Er hörte es nicht gern, wenn man ihn einen Schwächling nannte. Er hatte bei dem Überfall mitgemacht und nur eine Spielzeugwaffe bei sich gehabt. Er hatte bewiesen, dass er kein Schwächling, kein Feigling war. Georg Schäfer kniff die Augen zusammen. „Du wirst mit Karl die Kugel rausholen!“, sagte er entschieden. „Das bist du mir schuldig. Ich habe dir das Leben gerettet. Schon vergessen? Der Kerl hätte dich

kaltgemacht, wenn ich nicht eingegriffen hätte. Nun wirst du gefälligst etwas für mich tun.“ „Okay“, sagte Karl Reimann beschwichtigend. „Wir machen es. Reg dich nicht auf, Georg. Wir machen es ja. Ist bestimmt nicht schwierig.“ „Ihr braucht ein Messer mit einer langen, schmalen Klinge“, sagte Georg. „Hab’ ich“, sagte Karl. „Und eine lange, starke Pinzette.“ „Die besorgen wir“, versprach Karl. „Und eine Pulle Schnaps besorgen wir auch, du wirst sie brauchen. Du wirst dich so schwer besaufen, dass dich der Alkohol ganz gefühllos macht. Dann merkst du nicht mal, wenn wir dir den ganzen Arm abschneiden.“ „Du hast ein Gemüt wie ein Fleischerhund.“ Karl grinste. „Das Leben hat mich hart gemacht.“ Er wandte sich an Frank: „Du hast gehört, was wir brauchen. Geh und besorge es. Aber lass dich nicht erwischen.“ Frank kletterte aus dem LKW und verließ den Tunnel. Er blieb fünfundvierzig Minuten weg, brachte nicht nur Pinzette und Schnaps, sondern auch Mullbinden, Vitaminkapseln, kreislaufstärkende Tropfen und eine Heilsalbe mit. Aus der Gesäßtasche zog er zu guter Letzt ein Fläschchen mit einer klaren, antiseptischen Flüssigkeit. Er sagte, damit müsse Karl das Messer reinigen. Dann ging erst mal die Flasche im Kreis. Jeder nahm einen Schluck, denn alle hatten ihn dringend nötig. Frank war schrecklich nervös. Er hoffte, dass Karl Reimann die Hauptarbeit machen würde, so dass für ihn nur Handlangerdienste zu verrichten blieben. Georg Schäfer setzte wieder die Flasche an und trank, als wäre er am Verdursten. Karl grinste. „Der Junge säuft wie ein Loch. Ist ’n ganz schwerer Alkoholiker“, meinte er

scherzhaft. Bald hatte Georg glasige Augen. „Jetzt zeige ich euch mal, was ein richtiger Mann ist“, sagte er mit schwerer Zunge. „Die Indianer waren früher auch hart im Nehmen. Aber wo gibt es heutzutage noch echte Indianer? Das Feuerwasser hat sie zu degenerierten Schlappschwänzen gemacht...“ Karl hob die Hand. „Keine Diskriminierung von Minderheiten, bitte!“ „Wer diksrinimiert ... dissmikri.. niert... Schwieriges Wort. Wer tut das, was ich nicht aussprechen kann, denn?“ „Ich glaube, wir können beginnen“, sagte Karl. „Ich nehm’ lieber noch ’nen Schluck“, lallte Georg Schäfer und griff nach der Flasche. „Kann auf keinen Fall schaden. Jetzt hab’ ich doch ein wenig Bammel vor meiner eigenen Courage.“ Er trank, setzte die Flasche kurz ab, trank noch einmal. „Das müsste reichen“, sagte Karl. „Hat einer von euch ein Stück Holz, das ich mir zwischen die Zähne klemmen kann?“ „Nein“, sagte Karl. „Aber vielleicht stellt dir Frank einen von seinen Fingern zur Verfügung.“ Georg lachte. „Gute Idee. Wie wär’s, Frank? Opferst du einen Finger? Bleiben dir immer noch neun.“ Frank Schultheiss schluckte trocken. Georg hatte Nerven. Wie konnte er in dieser Situation noch Witze reißen? Karl traf die nötigen Vorbereitungen, und dann wurde es ernst. Inzwischen war auch Georg das Witzemachen vergangen. Er atmete schnell, und seine Lider flatterten. Karl entblößte die Schulter des

Freundes. „Sieht böse aus“, stellte er fest. „Behalte deinen idiotischen Kommentar für dich“, brummte Georg. Karl goss etwas von dem klaren Schnaps auf die Wunde. Georg stöhnte auf. Als Karl das Messer ansetzen wollte, schrie Georg: „Warte! Warte einen Augenblick!“ „Hast du’s dir anders überlegt?“, fragte Karl. „Vielleicht ist es besser, wenn Frank mich festhält. Wenn ich mich aufbäume, erstichst du mich am Ende noch.“ „Wer sagt, dass du dich aufbäumen sollst?“ „Jetzt begreife ich, was einer damit meint, wenn er sagt: Gott schütze mich vor meinen Freunden.“ Frank hielt Georg fest, und Karl begann mit der blutigen Arbeit. Frank bekam dabei alle möglichen Zustände, aber er biss die Zähne zusammen und machte nicht schlapp. Wenn Georg das aushielt, musste er es auch durchstehen. Karl werkte fünfzehn Minuten. Manchmal konnte Georg nicht anders, er musste seinen Schmerz herausschreien, aber er schrie auch, Karl solle weitermachen, solle auf keinen Fall aufhören, solle sich nicht um sein Geschrei kümmern. Und dann hielt Karl die Kugel mit der Pinzette hoch. Er grinste, strahlte. Es war für sie alle ein großer Augenblick. Sie hatten schon wieder etwas geschafft, was sie nie zuvor getan hatten. So wie in der vergangenen Nacht. Das schmiedete sie nicht nur zusammen, es gab ihnen auch mächtig Auftrieb. Gab es etwas, wozu sie nicht fähig waren? Sie konnten es kaum glauben. Sie fühlten sich großartig, selbst Georg.

„Nicht wegschmeißen, die Kugel“, bat er. „Die hebe ich mir auf. Ich werde sie an einer Kette um den Hals tragen. Sie wird mir Glück bringen und mich immer daran erinnern, was ich für ein toller Typ bin.“ „Verbinde den tollen Typ“, sagte Karl zu Frank, und nachdem das geschehen war, fragte er Georg nach dem Namen des Hehlers. „Er heißt Karlheinz Hansen“, erklärte Georg Schäfer. „Wohnt in Kreuzberg am Landwehrkanal, Brachvogelstraße. Handelt mit Waren aller Art. Übernimmt jede heiße Ware zu Höchstpreisen.“ „Wie hast du den denn aufgetan?“, fragte Karl bewundernd. Georg grinste. „Mein Geheimnis. Er kann natürlich nicht bar bezahlen, muss die Ware selbst erst weiterverkaufen, aber das geht bei ihm angeblich ruckzuck. Und, was wichtig ist, man kann ihm trauen.“ „Karlheinz Hansen, hm? Ich freue mich darauf, die Bekanntschaft dieses ehrlichen Gauners zu machen“, sagte Karl Reimann.

5

Bernd Schuster hatte von seinem Klienten zwei Namen und zwei Adressen bekommen, und nun war er auf dem Weg zu Georg Schäfer und Karl Reimann, die beiden Freunde von Frank Schultheiss. Werner Schultheiss‘ Ansicht nach waren das zwei schräge Vögel, so schräg, wie Frank noch nicht war, aber bald sein würde, wenn sie weiterhin die Möglichkeit hatten, auf ihn abzufärben. Bernd fuhr nach Kreuzberg, wo die Freunde Franks ein altes Fabrikgebäude bezogen hatten. Die Wohnung des ehemaligen Direktors der nach dem Krieg verfallenen Fabrik war alles andere als ein Vorzeigeprojekt, aber das kannte Bernd Schuster aus der geteilten Stadt inzwischen bestens. Es gab eben ein paar Schattenseiten, aber welche Stadt hatte die nicht. Das Gebäude, das Bernd Schuster wenig später betrat, war alt und schäbig wie alle in diesem Viertel, und wie die meisten von ihnen hatte es außen eine Feuerleiter. In der Gründerzeit gebaute Hä dieser Art übernahmen gern die modernen Vorteile, wie sie in Amerika längst Standard geworden waren. Auf dem Hof flatterte Wäsche an einer Leine, die durch ein paar ziemlich morsch aussehende Stangen gestützt wurde. Bernd begab sich in den zweiten Stock des ehemaligen Direktionsgebäudes. Er hörte einen Mann brüllen und eine Frau schreien. Ehekrach. Er kümmerte sich nicht darum, das ging ihn nichts an. Bernd läutete bei Georg Schäfer. In der Nachbarwohnung eskalierte die Auseinandersetzung. Der erste Teller wurde gegen die Wand geschleudert. Bernd läutete abermals, doch Georg Schäfer öffnete nicht. Nebenan läutete Blechgeschirr die nächste Runde ein, und plötzlich schrie die

Frau wie am Spieß. Das konnte Bernd Schuster nun nicht mehr überhören. Die Frau hatte Schmerzen. Ihr Geschrei war ein Appell an Bernd Schusters Ritterlichkeit. Er eilte zur Nachbartür und stieß sie auf. In der Wohnküche lagen Scherben auf dem Boden. Ein großer, dicker Mann riss eine zerzauste rothaarige Frau an den Haaren. „Lassen Sie die Frau los!“, rief Bernd energisch. Der Mann drehte den Kopf wütend in seine Richtung. „Raus! Verschwinden Sie! Das geht Sie nichts an. Das ist meine Frau“, fauchte er. „Dann behandeln Sie sie gefälligst auch so!“ „Hilfe!“, schluchzte die Frau. „Bitte helfen Sie mir!“ Genau das hatte Bernd Schuster vor. Er packte den Dicken und riss ihn zurück. Der Mann ließ die Rothaarige los und konzentrierte sich auf den Störenfried. „Na warte, dir dresch‘ ich die Nase ins Gehirn!“, knurrte er und griff an. Bernd wich der Faust des Gegners aus, konnte aber nicht verhindern, dass der Körper des Schwergewichts gegen ihn prallte. Sie taumelten beide gegen den E-Herd, woraufhin eine Schüssel aus feuerfestem Glas auf den Boden fiel. Feuerfest war die Schüssel, aber nicht bruchsicher. Sie zerplatzte in hunderte von Scherben, und die geschälten Kartoffeln, die sich darin befunden hatten, hüpften nach allen Seiten davon. Der Dicke war nur anfangs gefährlich. Er hatte keine Ausdauer. Außerdem konnte sich Bernd sehr bald schon auf ihn einstellen. Als der Mann wieder zuschlug, fing Bernd die Faust ab und drehte seinem Gegner den Arm auf den Rücken. Dann versetzte er ihm einen kräftigen Stoß, und der schwere Brocken krachte

mit dem Schädel gegen eine Küchenschranktür. Ächzend landete der Dicke danach auf dem Boden. Die Frau lehnte schluchzend an der Tür, die ins Wohnzimmer führte. „Dieser brutale Kerl. Ich hasse ihn.“ „Sie können ihn anzeigen.“ „Er würde mich umbringen.“ Bernd wischte ihr mit seinem Taschentuch die Tränen ab. „Sind Sie mit ihm verheiratet?“, fragte er. Die Frau nickte unglücklich. „Er ist so entsetzlich eifersüchtig. Ich habe ihn noch nie betrogen, aber er tut so, als würde ich mit jedem Mann ins Bett gehen. Vielleicht sollte ich es einmal tun, damit seine verdammte Eifersucht endlich begründet ist.“ Panik verzerrte mit einem Mal das Gesicht der Frau. „Dieter!“, kreischte sie verstört. Hinter Bernds Rücken schien sich eine Katastrophe anzubahnen. Er fuhr wie von der Natter gebissen herum und sah den Dicken, mit einem Küchenmesser in der Hand. Dieter war ein schlechter Verlierer. Was Bernd ihm angetan hatte, brachte ihn so sehr in Rage, dass er den Verstand verlor. In seiner rasenden Wut wusste Dieter nicht mehr, was er tat. Er griff Bernd an. Das Messer hatte eine Klinge, die nicht viel kürzer war als ein Säbel. Dieter hätte Bernd damit spielend durchbohren können. Damit es dazu nicht kam, wechselte Bernd Schuster zu einer härteren Gangart über. Was Karate war, wusste Dieter nur vom Hörensagen. Nun bekam er diese waffenlose Kampftechnik zu „spüren“. Bernd trat und schlug. Blitzschnell ging das. Er war bestrebt, den Dicken zu

entwaffnen, doch Dieter trennte sich nicht vom Küchenmesser. Seine Frau verfolgte entgeistert den Kampf. Es war ihr nicht neu, dass Dieter rabiat war, aber dass sein Verstand dermaßen aushakte, war ihr unbegreiflich. Dieter konnte doch keinen Mord begehen! Bernds Faust stach dem Dicken entgegen. Der Mann stöhnte auf und torkelte zwei Schritte zurück. Auf dem Herd stand eine Bratpfanne. Schön schwer, schön groß. Der Griff reckte sich Bernd Schuster einladend entgegen. Als Dieter sich ihm mit dem blinkenden Küchenmesser wieder entgegen wuchtete, verschwand sein feistes Gesicht hinter der Bratpfanne, und es gab einen Ton, als hätte jemand mit einer Keule gegen einen Gong geschlagen. Das reichte Dieter. Er legte sich hin und gab Ruhe. Bernd Schuster warf eine von seinen Karten auf den Tisch und riet der Frau, ihn anzurufen, falls ihr Mann noch eine Lektion brauchte. „Machen Sie ihm klar, dass Sie von nun an unter meinem persönlichen Schutz stehen. Sollte er Sie noch einmal hart anfassen, bringe ich ihn wegen schwerer Misshandlung vor Gericht.“ Die Frau setzte sich. „Vielleicht sollte ich ihn verlassen. Ich könnte zu meiner Schwester nach Hamburg gehen...“ Bernd sagte, er hätte zu Georg Schäfer gewollt, der Nachbar wäre aber anscheinend nicht zu Hause. „Hat er etwas ausgefressen?“, fragte die Frau. „Das weiß ich noch nicht.“ „Von ehrlicher Arbeit hält der nicht viel. Liegt lieber den ganzen Tag auf der faulen Haut und spielt so laut Radio, dass ich mein Gerät nicht einzuschalten brauche.“ „Wann hat er zum letzten Mal so laut gespielt?“, wollte Bernd wissen.

„Vor drei Tagen, glaube ich.“ Vor drei Tagen hatten sich Frank und Werner Schultheiss im Streit getrennt. „Heißt das, er war drei Tage nicht zu Hause?“, fragte Bernd. „So muss es wohl sein, denn wenn er daheim ist, plärrt immer sein Stereogerät.“ Wo Georg Schäfer derzeit war, entzog sich der Kenntnis der Frau. Sie erinnerte sich aber, den Wagen des Nachbarn vor einer in der Nähe befindlichen Privatpension gesehen zu haben. Sie sagte, Schäfers Wagen würde aus tausenden Fahrzeugen hervorstechen, denn er wäre mit bunten Aufklebern übersät. Hatte Schäfer jemanden besucht, der in der Pension wohnte? Etwa Frank Schultheiss? Diese Möglichkeit hätte Bernd Schuster sehr begrüßt. Er dankte der Frau für das, was sie ihm erzählt hatte. Sie hatte ihm möglicherweise sehr geholfen. „Ich muss mich bedanken, Herr Schuster“, sagte sie ernst. „Ich glaube, die Strafe, die Dieter von Ihnen bekommen hat, wird ihm eine Lehre sein.“ „Das hoffe ich“, erwiderte Bernd. „Rufen Sie mich wirklich an, wenn Sie Hilfe brauchen.“ Die Frau nickte und kümmerte sich um ihren Mann, während der Detektiv die Wohnung verließ. Bernd begab sich jedoch nicht sofort zur Pension, sondern sah sich zuerst noch in Georg Schäfers Wohnung um. Im Wohnzimmer stand ein schwarzer Hi-FiTurm, die Stereoboxen hingen in Ohrhöhe an der Wand. Das Gerät brachte eine Leistung von zweimal hundert Watt. Bernd glaubte gern, dass die Ziegelwand dünn wie Papier wurde, wenn Schäfer seine Anlage so richtig orgeln ließ. Bernd ging mit System vor. Er interessierte sich für alles, um den Mann, dem die Wohnung gehörte, besser kennenzulernen.

Wie Schäfer aussah, verrieten ihm mehrere Fotografien, die in einer gelben Kunststoffhülle steckten. Wovon der junge Mann lebte, blieb ungeklärt. Auf einem großformatigen Schreibtisch lagen Magazine, in denen nackte Mädchen in verführerischen Posen abgebildet waren. Manchmal hatte Georg Schäfer mit einem Faserschreiber kleine nackte Männchen dazu gezeichnet, die den Verlockungen der Mädchen nicht widerstehen konnten. Bernd blätterte die Telefonkladde durch. Er fand Karl Reimanns Nummer und rief dort an, doch auch Reimann war nicht zu Hause. Unter alten Zeitungen und zerknittertem Reklamematerial fand Bernd einen handgeschriebenen Zettel mit sieben Namen. Auch die Adressen standen auf dem karierten Papier. Bernd las die Namen durch, doch sie waren ihm fremd. Neben dem dritten befand sich ein roter Punkt. Wozu hatte Georg Schäfer diesen Namen markiert? Was waren das für Namen? Bernd ging die Reihe noch einmal durch, und plötzlich klingelte es bei ihm. Das war eine Hehlerliste. Hatte Schäfer vor, mit jenem Mann, vor dessen Namen er einen roten Punkt gesetzt hatte, ins Geschäft zu kommen? Den markierten Namen kannte Bernd nicht, aber einen andern: Siegfried Stellner. Der Mann war ebenfalls in Kreuzberg zu Hause und für Diebe, Räuber und Einbrecher eine wichtige Anlaufstation. Seit Jahren ging Diebesgut durch Stellners Hände, ohne dass es ihm die Polizei nachweisen konnte. Bernd schloss von diesem einen Namen auf die anderen. Er war davon überzeugt, dass er eine Hehlerliste in der Hand hielt. Frank Schultheiss träumte von einer eigenen Yacht. Er brauchte schätzungsweise

eine halbe Million D-Mark, um diesen Traum verwirklichen zu können. Wusste Georg Schäfer, wie man mit einem Schlag an so viel Geld kam? Hatten Frank Schultheiss und seine beiden Freunde vor, mit dem Hehler Karlheinz Hansen ein verbotenes Geschäft abzuwickeln? Wie weit waren die Vorbereitungen inzwischen gediehen? Bernd steckte die Liste ein. Als er aus der Wohnung trat, hörte er nebenan Dieter brummen, aber es klang friedlich. Die Lektion, die ihm Bernd erteilt hatte, schien ihn zur Vernunft gebracht zu haben.

6

Nach der „Operation“ waren alle erleichtert, aber Georgs Zustand gefiel seinem Freund Frank nicht. Der Sohn des Zeitungsverlegers fand, dass Georg nicht im LKW bleiben sollte. „Du gehörst ins Bett“, sagte Frank. „In ein richtiges Bett. Du musst schlafen, brauchst Ruhe, um so rasch wie möglich wieder zu Kräften zu kommen.“ „Mach dir meinetwegen keine Gedanken“, lallte Georg. „Ich fühle mich gut.“ „Blödsinn, mir kannst du nichts vormachen. Ich sehe, wie du dich fühlst.“ Karl Reimann grinste. „Wenn er sagen würde, es ginge ihm miserabel, wäre selbst das noch geprotzt.“ Frank Schultheiss nickte. „Genau.“ „Frank hat recht, Georg“, sagte Karl. „Du wärst in einem Bett wirklich besser aufgehoben. Was willst du hier allein, wenn wir zu Karlheinz Hansen gehen? Auf den LKW aufen? Erstens kannst du das in deinem Zustand sowieso nicht, und zweitens ist das nicht nötig. Kein Mensch kommt auf die Idee, den Brummer hier zu suchen. Wir bringen dich ins Hauptquartier.“ Er meinte damit die Pension, in der sie seit drei Tagen wohnten, um immer beisammen zu sein. „Du haust dich in die Falle, schläfst eine schöne Runde und lässt uns inzwischen tun, was getan werden muss“, sagte Frank. Der schwer betrunkene und stark geschwächte Georg Schäfer willigte ein. Frank verließ den Tunnel, um den Wagen des Freundes zu holen. Georg hatte Mühe, die Augen offenzuhalten. Der viele Schnaps, den er getrunken hatte, benebelte ihn, und der Schmerz, der durch diesen Nebel pochte, war unerträglich dumpf.

Reimann rauchte eine Zigarette nach der andern und blickte immer wieder auf seine Uhr. Ihr großes Ding hatte sich etwas anders abgespielt, als sie sich das vorgestellt hatten, und das behagte ihm nicht. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es bei dieser einen Abweichung nicht bleiben würde. Er fragte sich, wie Profis die Sache geplant hätten. Bauten sie mehr Sicherungen ein, damit nichts schiefgehen konnte? Er war sich keines Fehlers bewusst. Niemand hatte vorhersehen können, dass der Glatzkopf und der Ex-Boxer Waffen tragen und diese auch benützen würden. Nachdenklich musterte Karl Reimann den schweigsamen Freund, der mit geschlossenen Augen neben ihm lag. Wenigstens ist die Kugel raus, dachte er. Das ist schon ein großer Vorteil. Jetzt braucht er sich nur noch zu schonen, dann ist er bald wieder der Alte. Er behauptet immer, ein gutes Heilfleisch zu haben. Nun wird sich herausstellen, ob das stimmt. Frank Schultheiss traf ein. „Er schläft“, sagte Karl Reimann. „Dann weck ihn“, verlangte Frank. Karl rüttelte Georg behutsam. „Georg, wach auf! Frank ist mit dem Wagen da“, sagte er. Georg Schäfer stöhnte. Seine Augen öffneten sich. Sie waren immer noch glasig. „Was?“, fragte er. Karl wiederholte, was er gesagt hatte. Georg richtete sich schwerfällig auf. Die Freunde halfen ihm, so gut sie konnten. Georg hängte sich an sie. Es war nicht ganz einfach, ihn zu halten. Seine Knie knickten ständig ein, und die Freunde mussten auf seine verletzte Schulter achtgeben. Aber mit vereinten Kräften schafften sie es, Georg in dessen mit

Aufklebern übersäten Wagen zu verfrachten. Frank war mit dem Auto in den Tunnel gefahren. Sobald Georg im Fond saß, setzte sich Karl neben ihn, und Frank ließ sich hinter das Steuer fallen. Georgs Gesicht zuckte. Er stöhnte anhaltend. „Schmerzen?“, fragte Karl. „Die Wirkung vom Schnaps lässt nach“, sagte Georg. „Beiß die Zähne zusammen. Du hast es bald überstanden“, redete ihm Karl gut zu. „Wir stecken dich ins Bett, und du kannst schlafen, solange du willst.“ „Und wenn du aufwachst, bist du vielleicht schon ein reicher Mann“, sagte Frank Schultheiss grinsend. „So schnell lässt sich das Geschäft nun auch wieder nicht abwickeln“, sagte Georg. Der dämmrige Tunnel war so breit, dass Frank einen Kreis fahren konnte. Beim Verlassen des Tunnels war Frank sehr vorsichtig, damit niemand auf sie aufmerksam wurde. Wenig später befanden sie sich auf der Fahrt zur Pension. Sollte jemand sie beobachten, glaubte er höchstens, dass sie ihren betrunkenen Freund hineinbrachten. Die Freunde nahmen auf ihrem Weg in ihr Zimmer Georg in die Mitte und stützten ihn, so gut sie konnten. Karl zog die Tagesdecke fort. Frank hielt inzwischen Georg fest. Als er ihn dann ausziehen wollte, sagte Georg: „Lass das. Ich hau’ mich gleich so hin.“ Er zog nur die Schuhe aus und kroch mit Franks Hilfe ins Bett. Karl hatte Georgs Revolver. Er trug auch die Waffen bei sich, die dem Glatzkopf und dem Ex-Boxer gehörten. Wie ein wandelndes Waffenarsenal kam er sich vor. Es war ihm nicht unangenehm, dass Georg ihn aufforderte, ihm seine Waffe wiederzugeben.

„Man kann nie wissen“, meinte Georg. „Es ist beruhigender, auf einer Knarre zu schlafen.“ Er schob die Waffe unter das Kopfkissen. Da Karl mit einer Schusswaffe genug hatte, hielt er die andere Frank Schultheiss hin. Der wollte sie nicht anfassen. Zögernd starrte er sie an. „Nun nimm sie schon“, verlangte Karl. „Sie beißt nicht.“ Frank hatte eine unerklärliche Scheu davor, die echte Waffe an sich zu nehmen. Bisher fühlte er sich noch nicht wie ein Verbrecher. Wenn er aber mit einer richtigen Waffe durch die Stadt spazierte, war er einer. Wollte er das? Sollte er diesen gravierenden Schritt tun? „Du brauchst sie ja nicht zu benutzen“, sagte Karl. Das gab den Ausschlag. Frank griff nach der Waffe und schob sie in seinen Gürtel. Georg versuchte ihnen zu sagen, wie sie mit dem Hehler verhandeln sollten. Sie hielten seine Hinweise für überflüssig und hörten ihm kaum zu. Es lag schließlich auch in ihrem Interesse, dass sie bei diesem Geschäft so gut wie möglich abschnitten. Karl Reimann wies grinsend auf Georg und sagte zu Frank: „Geht’s dem nicht gut? Er liegt auf der faulen Haut und lässt uns arbeiten. Ich hoffe, du machst dir das nicht zur Gewohnheit, mein Junge.“ Sie verließen die Pension. Diesmal stiegen sie in Karls Wagen, weil der weniger auffallend war. Sie fuhren zu Karlheinz Hansen, der sie in einem gediegen eingerichteten Büro empfing. Niemand hätte ein solches Büro hinter der schäbigen Außenfassade vermutet. Auf dem Hof lagerten große Berge von Kohlen, daneben stand ein Lieferwagen mit Hansens Firmennamen. Neben dem An- und Verkauf bot er Hausentrümpelungen an und lieferte in ganz West-Berlin Kohle aus. Ein vielseitiger Geschäftsmann, oder aber nur eine perfekte Tarnung.

Da Hansen sie nicht kannte, war er zunächst sehr vorsichtig. Er wirkte überaus seriös mit seiner Hornbrille, der dicken Zigarre und dem eleganten Flanellanzug, war freundlich und reserviert und taute erst allmählich auf, als sie Georg Schäfers Namen erwähnten, der mit ihm bereits ein erstes informatives Vorgespräch geführt hatte. Sie sagten ihm, was sie hatten, und er zeigte sich interessiert, aber er machte ihnen klar, dass sich die Ware nicht innerhalb weniger Stunden verhökern ließ. „Ich muss Sie um etwas Geduld bitten, meine Freunde“, sagte Karlheinz Hansen. „Ich werde mich sofort dahinterklemmen und mich bemühen, einen Interessenten aufzutreiben. An und für sich sehe ich kein Problem, die Pelze zu einem guten Preis an den Mann zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass ich Sie zufriedenstellen kann.“ Frank lachte begeistert in sich hinein. ‚Es klappt‘, dachte er. ‚Meine Güte, es funktioniert tatsächlich‘. Dass es so leicht sein würde, die heiße Ware loszuwerden, hätte er nicht gedacht. In Kürze würden sie das Geld für die Yacht haben, und dann konnten sie Berlin für immer den Rücken kehren. Sonne, schöne Frauen, keine Sorgen mehr. Karlheinz Hansen gefiel ihm. Der Mann sah nicht aus wie ein Hehler. Krumme Geschäfte trauten ihm wohl nur die zu, die ihn genauer kannten. Er wirkte wie ein Mann von Welt und hatte ein selbstsicheres Auftreten. Als er ihnen etwas zu trinken anbot, um auf das angebahnte Geschäft anzustoßen, nahmen sie erfreut an. Es gab keine überflüssigen Fragen, der Hehler war nicht neugierig. Es interessierte ihn nicht, wie sie sich die Pelze verschafft hatten und wem sie gehörten. Mit diesen Dingen schien er sein Gewissen nicht belasten zu wollen. Er kümmerte sich nur ums Geschäft und um den Profit, den er damit für sich erzielen konnte. Sie stießen mit Kognakschwenkern an und tranken auf das bevorstehende Geschäft. Hansen versprach, sich so bald wie möglich zu melden.

Eine heiße Ware durfte nicht lange liegen bleiben, sondern musste schnell an den Mann gebracht werden, damit sich ihre Spur verlor. Der Hehler fragte, wo er sie erreichen könne, und sie nannten ihm den Namen der Pension, in der sie vorläufig wohnten. Karlheinz Hansen reichte ihnen zum Abschied die Hand. „Ich rufe Sie an. Vielleicht schon heute Abend. Spätestens aber morgen Vormittag“, versprach er. Karl Reimann grinste zufrieden. „Es ist ein wahres Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Herr Hansen“, behauptete er. „Jeder sollte auf dem Gebiet, auf dem er tätig ist, sein Bestes geben“, erwiderte der Hehler. „Dem versuche ich allezeit Rechnung zu tragen.“ Karl Reimann und Frank Schultheiss verließen das Büro. Auf dem Weg zum Wagen schlug Karl dem Freund übermütig auf die Schulter. „Was sagst du nun? Abgesehen von Georgs Verletzung, die nicht eingeplant war, klappt alles wie am Schnürchen.“ Ganz konnte Frank die Euphorie des Freundes nicht teilen. Er würde erst erleichtert und befreit aufatmen, wenn sie mit der Yacht auf große Fahrt gingen. Bis dahin würde er noch eine Weile eiserne Nerven brauchen. Er hoffte, dass die Belastung nicht zu viel wurde.

7

Karlheinz Hansen stand am Fenster und blickte ihnen nach. Seine Miene war jetzt düster. Kein Wunder, er hatte sich soeben mit zwei Fast-Toten unterhalten. Er wandte sich um und setzte sich an den Schreibtisch. Auf seinem Notizblock stand eine Telefonnummer. Die wählte er. Das Freizeichen ertönte. Hansen spielte nervös mit einem Bleistift und wartete ungeduldig, bis sich am andern Ende jemand meldete. „Ja?“, kam es bissig durch den Draht. Der Mann schien jedem böse zu sein, der ihn anrief. „Karlheinz Hansen“, sagte der Hehler. „Was gibt’s?“ „Soeben waren zwei junge Männer bei mir und boten mir Pelze an ...“ Andrej Sokolow, der Mann am andern Ende der Leitung, sagte: „Ich höre.“ Er hatte mit allen Hehlern Kontakt aufgenommen, die für das Geschäft in Frage kamen. Auch mit Karlheinz Hansen. Sein Name hatte sogar besonders hoch oben auf ihrer Liste gestanden. Sie hatten ihm klargemacht, um wessen Pelze es sich handelte, die demnächst zum Kauf angeboten werden würden, und sie hatten ihm zu verstehen gegeben, dass er ein toter Mann sein würde, wenn er das Geschäft mit den „Rotznasen“ abwickeln würde. Andrej Sokolow zu bestehlen, war das Verrückteste, was man tun konnte. Die jungen Kerle konnten unmöglich gewusst haben, worauf sie sich einließen. Und nun würden sie die Suppe auslöffeln müssen, die sie sich eingebrockt

hatten. Wer sich an Sokolows Eigentum vergriff, setzte sich gewissermaßen selbst eine Waffe an die Schläfe und drückte ab. Karlheinz Hansen hatte keine Lust, mit diesen jungen Verrückten unterzugehen. Das war der Grund, weshalb er sich so prompt mit Andrej Sokolow in Verbindung setzte. Der Russe sollte keine Veranlassung haben, sauer auf ihn zu sein. Sein Bericht war kurz und präzise. „Sehr gut“, sagte Sokolow zufrieden. „Ich weiß Loyalität zu schätzen. Weißt du, wo die Mistkerle unseren LKW versteckt haben?“ „Danach habe ich nicht gefragt. Ich wollte nicht, dass sie Verdacht schöpfen.“ „Macht nichts, das kriegen wir raus. Es genügt, wenn du uns sagst, wo wir sie finden.“ Der Hehler gab den Namen der Pension bekannt. Ihm war klar, dass er damit die jungen Männer ans Messer lieferte, doch das ließ sich nicht vermeiden. ‚Besser sie als ich‘, dachte Karlheinz Hansen zu seiner Rechtfertigung. Das Hemd ist einem schließlich näher als der Rock.

8

Es war ein kurzer, schwerer, bleierner Schlaf, der Georg Schäfer übermannte. Irgendwann erwachte er ganz plötzlich. Ihm fiel sofort auf, dass sich die Wirkung des Alkohols weitgehend verflüchtigt hatte. In seiner Schulter tobte ein brennendes Stechen. Vielleicht war er davon wach geworden. Er dachte an Frank Schultheiss und Karl Reimann, und er bedauerte, nicht selbst mit dem Hehler verhandeln zu können. Er hatte in diesen Dingen zwar ebenso wenig Erfahrung wie seine Freunde, aber er hielt sich für cleverer und kaltschnäuziger. Vielleicht wäre es ihm gelungen, mehr herauszuholen, als Frank und Karl erzielen würden. Vielleicht aber auch nicht. Er hatte Durst. Trocken klebte seine Zunge am Gaumen. Im Bad gab’s Wasser, aber er wollte nicht aufstehen. Ein Geräusch drang an sein Ohr. Er zuckte nervös zusammen. Kein Wunder, seit der vergangenen Nacht hatte er kein reines Gewissen mehr. Für einen kurzen Augenblick meinte er einen Schatten über das Fenster und die Gardinen huschen zu sehen. Schlich dort draußen jemand herum? Er griff sofort unter das Kopfkissen und zog die Waffe hervor. Dann lag er völlig regungslos, atmete flach und lauschte angestrengt. Schritte entfernten sich, und Georg Schäfer entspannte sich, aber die Waffe behielt er in der Hand. Es war möglich, dass jemand vom Personal am Fenster vorbeigegangen war, oder ein Gast. Vielleicht kehrten auch Frank und Karl zurück.

Es dauerte nicht lange, da vernahm Georg wieder ein Geräusch. Diesmal kam es von der Tür. Frank und Karl? Nein, die beiden konnten es nicht sein. Sie besaßen einen Schlüssel, hätten mühelos aufgeschlossen. Was Georg hörte, ließ ihn darauf schließen, dass sich jemand Einlass verschaffen wollte, der keinen Schlüssel hatte, der in das Schloss te. Irgendetwas musste schiefgegangen sein. Wer befand sich dort draußen? Die Polizei? Nein, die verhielt sich anders. Die hämmerte gegen die Tür und verlangte, dass aufgemacht wurde. Ein Einbrecher, der sich zufällig für dieses Zimmer entschieden hatte? Georg Schäfer gab es auf, zu raten. Er setzte sich hoch. Der Schmerz in seiner Schulter verstärkte sich, wurde gemein. Georg presste die Kiefer zusammen. Schweißtröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Er verließ das Bett und schleppte sich ins Bad. Die Tür schloss er vorsichtig, aber nicht ganz. Er ließ einen Spalt offen, um zu sehen, wer sich unerlaubt Einlass verschaffte. Vor Aufregung begann er zu zittern. Er lehnte sich an die kalten, glatten Kacheln und entsicherte die Waffe. Mit geschlossenen Augen stand er da, schwach, aber bereit zu kämpfen. Er schluckte, sein Kehlkopf hüpfte dabei nervös auf und ab. Die Eingangstür öffnete sich. Fast lautlos bewegte sie sich, aber Georg Schäfer hörte es. Er hatte gute Ohren. Der letzte Whiskyrest war jetzt aus seinem Kopf raus. Er war wieder völlig klar, und sein Herz schien hoch oben im Hals zu schlagen. Er war auf sich allein gestellt, und das behagte ihm nicht, aber er musste da durch, es half nichts.

Jemand trat ein. „Schließ die Tür“, sagte eine Stimme. Also waren es zwei. ‚Auch das noch‘, dachte Georg Schäfer, und die Schweißtropfen auf seiner Stirn wurden größer. Die Tür fiel ins Schloss. Dann war einige Sekunden überhaupt nichts zu hören. Diese Stille zerrte ungeheuer an Schäfers Nerven. Er hielt sie auf einmal nicht mehr aus. Es musste etwas geschehen, irgendetwas! Wenn er jetzt die Tür aufstieß und den Eindringlingen mit der Waffe in der Hand entgegentrat, würde er sie möglicherweise überrumpeln können. Eine andere Möglichkeit gab es nicht für ihn. Wenn er nicht verletzt gewesen wäre, hätte er aus dem Badezimmerfenster klettern und sich absetzen können, doch dazu fühlte er sich zu schwach. Er musste die Sache deshalb anders angehen, den Stier bei den Hörnern packen. Er atmete tief ein und konzentrierte sich auf seinen Auftritt. Dann stieß er die Tür mit dem Fuß auf und hob die Waffe. Was nun ierte, spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Georg Schäfer erkannte den Glatzkopf und den Ex-Boxer natürlich sofort wieder. Er konnte nur nicht begreifen, wieso die beiden hier aufkreuzten. Sie hielten Pistolen mit Schalldämpfern in ihren Fäusten, und als Georg Schäfer seine Waffe hob, fühlten sie sich bedroht und gezwungen, schneller zu schießen als er. Georg Schäfer spürte zwei ungemein harte Schläge. Sie hätten ihn auch dann umgeworfen, wenn er kräftiger gewesen wäre. Er fiel auf den Rücken und röchelte. Rosiger Schaum trat ihm auf die Lippen. Er wusste, dass er sterben würde, und er hatte schreckliche Angst davor.

Die Waffe war seinen kraftlos gewordenen Fingern entglitten. Dennoch ließen der Russe und sein Komplize ihre Kanonen noch nicht sinken. Vorsichtig kamen sie näher, bereit, abermals abzudrücken, falls es nötig sein sollte. Georg Schäfer blickte ihnen aus furchtgeweiteten Augen entgegen. Der Russe grinste ihn mit gebleckten Zähnen an. „Da staunst du, was?“, sagte er: „Du hast nicht damit gerechnet, dass wir uns so bald schon wiedersehen würden, wie? Wo ist der LKW mit den Pelzen?“ Schäfer schluchzte. Der Traum, den er mit seinen Freunden gehabt hatte, war für ihn ausgeträumt. „Red schon!“, herrschte ihn der Russe an. „Du hast nicht mehr viel Zeit. Wo habt ihr den LKW versteckt?“ Georg Schäfer presste die Lippen zusammen. Wenigstens diesen Triumph wollte er den beiden Kerlen nicht gönnen. „Junge, du scheinst nicht zu begreifen, wie es um dich steht“, sagte Sokolow kalt. „Du bist im Begriff, über den Jordan zu gehen. Was hat es da noch für einen Sinn, den Mund zu halten?“ Georg Schäfers Augen füllten sich mit Tränen. Er hatte wirklich keine Chance mehr, aber seine Freunde, die hatten noch eine. Er durfte sie ihnen nicht verderben. Was konnte ihm jetzt noch ieren? Was konnten ihm diese Kerle jetzt noch anhaben? Nichts mehr. Er würde sterben. Er würde sich aus dem Staub machen, und sie würden es nicht verhindern können. Sie würden das Nachsehen haben. Trotz des grimmigen Ernstes seiner Lage grinste er auf einmal. Er weinte und grinste. „Er ist übergeschnappt“, sagte der eine der Mörder. Der Russe fasste Georg Schäfer hart an.

„Unser LKW!“, schrie er dem Jungen ins fahle Gesicht. „Wo habt ihr ihn versteckt?“ ‚Es geht nur schneller, wenn du mich auf diese Weise anpackst‘, dachte Georg Schäfer. Er glaubte zu spüren, wie ihm das Leben aus dem Körper rann. „Wo sind die Pelze?“, fragte Sokolow zornig. „Sucht sie ...“ „Du hältst dich wohl für den Größten, was? Nahe am Abkratzen, aber immer noch störrisch wie ein Maulesel. Verdammt, du könntest deinen Freunden eine Menge Ärger ersparen, wenn du reden würdest. Oder ist es dir egal, was mit ihnen iert? Wir werden sie uns vorknöpfen, und du kannst dich darauf verlassen, dass sie reden werden. Und sobald sie uns gesagt haben, wo sich der LKW befindet, legen wir sie um. Das könntest du ihnen ersparen, indem du uns sagst, was wir wissen wollen.“ Georg Schäfers bebende Lippen öffneten sich. „Er scheint Vernunft anzunehmen“, sagte der Ex-Boxer. Der Russe beugte sich über den Sterbenden, und dieser lispelte ihm etwas ins Ohr. „Verdammt!“, knurrte Andrej Sokolow und richtete sich wütend auf. Georg Schäfer lebte nicht mehr. „Was hat er gesagt?“, fragte Sebastian Eckels neugierig. „Wir sollen uns zum Teufel scheren.“

9

Der nächste, der dem Hehler Karlheinz Hansen einen Besuch abstattete, war Bernd Schuster. Bernd kannte den Mann nicht, aber Hansen wusste sofort, mit wem er es zu tun hatte, und das machte ihn sichtlich nervös. Auf einem Couchtisch standen drei Kognakschwenker. Hansen schien erst vor kurzem Besuch gehabt zu haben und noch nicht dazu gekommen zu sein, die Gläser wegzuräumen. Der Hehler sah, dass Bernd die Gläser aufgefallen waren. Karlheinz Hansen war das nicht angenehm. Die Unbefangenheit, die der Hehler an den Tag legte, war gespielt, das war nicht schwer zu durchschauen. Für gewöhnlich waren seine Nerven besser, aber bei Bernd Schuster musste man höllisch aufen. Das war ein Detektiv aus der obersten Schublade, über den schon eine erkleckliche Anzahl von Gesetzesbrechern gestolpert war. Hansen hatte kein Verlangen danach, sich dieser Reihe anzuschließen. Er gab sich sehr wortkarg, und die meisten Fragen beantwortete er ausweichend oder mit einer Gegenfrage. Insgeheim verwünschte er diesen Tag und alles, was er ihm bisher beschert hatte. Er war an guten Geschäften stets interessiert, doch diesmal wäre es ihm lieber gewesen, man hätte ihn nicht berücksichtigt. Wenn er zu viel von seinem Wissen preisgab, tauchten Männer bei ihm auf. Sagte er nichts, verärgerte er Bernd Schuster, und mit dem war auch nicht gut Kirschen essen. Wie er sich auch entschied, es würde die falsche Entscheidung sein. Verflucht. Warum mussten diese jungen, unerfahrenen Kerle auch ausgerechnet die Russen bestehlen? Er behauptete, Frank Schultheiss, Georg Schäfer und Karl Reimann nicht zu

kennen, aber er sah, dass Bernd Schuster ihm das nicht abkaufte. „Die drei haben irgendein Ding vor“, sagte Bernd. „Vielleicht haben sie es auch schon gedreht und mit Ihnen Kontakt aufgenommen.“ Hansen legte verwundert die Hände auf die Brust. „Mit mir? Mein lieber Herr Schuster, wofür halten Sie mich? Ich hab’ doch nichts mit Verbrechern zu tun. Warum sollten sich solche Leute an mich wenden?“ „Damit Sie verhökern, was sie sich unter den Nagel gerissen haben“, sagte Bernd frostig. Hansen fand, dass es an der Zeit war, den Empörten zu spielen. „Also ich muss schon sehr bitten, Herr Schuster. Was Sie mir da unterstellen ...“, begann er. „Ist die Wahrheit!“, fiel Bernd dem Mann ins Wort. „Ich, ich hör’ wohl nicht recht. Wollen Sie allen Ernstes behaupten, ich wäre ein, ein Hehler?“ „Genau.“ „Wie kommen Sie auf so eine Schnapsidee? Ich bin ein ehrlicher, seriöser Geschäftsmann. Meine Bücher sind in Ordnung. Sie haben kein Recht, mir Kontakte zur Unterwelt anzulasten, ohne auch nur den geringsten Beweis zu haben.“ „Warum hören Sie nicht auf mit dem Versteckspiel, Hansen? Ich bin nicht an Ihrem Kopf interessiert. Noch nicht, aber das kann sich ändern, wenn Sie mir weiter den Unschuldsengel vorspielen. Denn in diesem Fall zwingen Sie mich, ein bisschen am Lack Ihrer Lauterkeit zu kratzen, und ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen das nicht angenehm wäre, denn was dabei zum Vorschein käme...“ Zorn funkelte in Hansen’ Augen. Er riss sich die Hornbrille herunter. „Sie drohen mir? Mir?“ „Sehr richtig, Hansen. Aber glauben Sie nicht, dass ich es bei dieser Drohung belasse. Wenn Sie mit dem, was Sie wissen, nicht sehr bald rausrücken, machen

Sie mich sehr böse. Ich brächte es glatt fertig, Sie ins Gefängnis zu bringen.“ Gefängnis! Das war für Karlheinz Hansen ein rotes Tuch. Verdammt, dieser Schnüffler reizte ihn zu sehr. Das wollte er sich nicht bieten lassen. Da Bernd Schuster wohl kaum gegangen wäre, wenn Hansen ihn dazu lediglich energisch aufgefordert hätte, sah sich der Hehler gezwungen, seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. Es war eine Unbeherrschtheit, zu der er sich nicht hätte hinreißen lassen dürfen, aber er hatte die Kontrolle über sich verloren. In seiner Schreibtischlade lag eine Pistole. Die wollte er auf den Detektiv richten und ihm nahelegen, das Büro zu verlassen, weil sonst ein Unglück geschehen würde. Als er die Lade aufzog, startete Bernd, und als Hansen die Hand hineinsteckte, drückte Bernd die Lade mit der Hüfte zu und lehnte sich an ihr an. Hansen schrie auf. Bernd verstärkte den Druck. Hansen brüllte wie unter Folter. „Meine Hand! Sind Sie wahnsinnig? Meine Hand!“, schrie er. „Ich habe eine Liste mit Hehlernamen in Georg Schäfers Wohnung gefunden“, sagte Bernd, ohne zurückzutreten. „Auch Ihrer steht drauf, sogar mit einem roten Punkt markiert. Ich habe deshalb Grund zu der Annahme, dass Frank Schultheiss, Georg Schäfer und Karl Reimann sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt haben.“ „Sie brechen mir das Handgelenk.“ „Hab’ ich recht?“, fragte Bernd hart. „Ja, verdammt. Sie waren hier, aber nur Reimann und Schultheiss.“ „Was haben sie ausgefressen?“, wollte Bernd wissen. „Herrgott, wollen Sie nicht aufhören, meine Hand zu malträtieren?“

Bernd trat zurück, riss die Lade auf und schnappte sich die Pistole. Er nahm das Magazin aus der Waffe und warf es mit der Pistole auf den Schreibtisch. Karlheinz Hansen massierte mit schmerzverzerrtem Gesicht sein gerötetes Handgelenk. „Was haben die drei getan?“, wollte Bernd abermals wissen. „Sie haben einen LKW mit Pelzen gestohlen.“ „Wert?“, fragte Bernd. „Etwa 400.000 Mark.“ Bernd pfiff durch die Zähne. „Wurden Sie mit Schultheiss und Reimann handelseinig?“ „Nein.“ „Wieso nicht?“ „Weil die Sache einen verdammt gefährlichen Haken hat. Die drei scheinen noch nie so ein Ding gedreht zu haben, und beim ersten Mal vergreifen sie sich gleich am Eigentum von Andrej Sokolow. Mehr Pech konnten sie gar nicht haben. Wissen Sie, wer Sokolow ist?“ „Wir kennen uns nicht persönlich, aber ich habe schon viel von ihm gehört“, sagte Bernd. „Und es war nie etwas Erfreuliches.“ „Die Jungs wissen nicht, wen sie bestohlen haben.“ „Woher wissen Sie es?“, fragte Bernd. „Man hat mich informiert.“ „Und man hat Ihnen geraten, die Finger von den Pelzen zu lassen.“ „So ist es“, bestätigte Karlheinz Hansen. „Wem gehören die Pelze wirklich?“, erkundigte sich Bernd.

„Keine Ahnung.“ „Dass Andrej Sokolow sie nicht legal erworben hat, liegt auf der Hand. Er stiehlt Pelze, und diese werden ihm geklaut. Ich kann mir vorstellen, dass er derzeit auf hundert ist.“ „Das ist er.“ „Und dass er die Köpfe derer fordert, die sich erdreisteten, ihn zu bestehlen“, fuhr Bernd Schuster fort. Karlheinz Hansen schwieg, aber Bernd wusste, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. „Sie haben das Geschäft mit Schultheiss und Reimann also nicht gemacht“, sagte Bernd. „Haben Sie sie an einen anderen Hehler verwiesen?“ „Kein Hehler würde es wagen, die Pelze zu übernehmen. Er würde damit sein Todesurteil unterschreiben.“ „Haben Sie das den Jungs gesagt?“, fragte Bernd. „Nein.“ „Dann ließen Sie sie also in dem Glauben, in Ihnen den richtigen Partner gefunden zu haben.“ „Was hätte ich anderes tun sollen?“ „Schultheiss und Reimann vertrauten Ihnen. Sie gaben Ihnen die Adresse, wo Sie sie erreichen können, und Sie gaben diese Adresse an Andrej Sokolow weiter.“ „Nicht direkt an Sokololw, aber an seine Männer. Ich war gezwungen, so zu handeln, Herr Schuster.“ Bernds Augen wurden schmal. Er schüttelte den Kopf. „Nein, Hansen, das mussten Sie nicht. Soll ich Ihnen sagen, was Sie hätten tun müssen? Die Polizei informieren.“

Der Hehler starrte Bernd entgeistert an. „Ich bin doch nicht lebensmüde. Ich gebe Ihnen den Rat, sich aus dieser Sache rauszuhalten, Schuster. Was ieren wird, können Sie sowieso nicht mehr verhindern, also lassen Sie den Dingen ihren Lauf.“ „Das werde ich nicht tun“, sagte Bernd schroff. „Ich will Ihnen sagen, was ich tun werde. Ich verrate damit kein Geheimnis. Ich werde alles tun, um diesen Jungs zu helfen, und ich werde dafür sorgen, dass die Pelze dem rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden.“ „Das wird Andrej Sokolow zu verhindern wissen.“ „Und ich weiß, wie man es anstellen muss, um Typen wie Sokolow aus dem Verkehr zu ziehen.“ „Sie werden das nicht überleben, Schuster.“ „Lassen Sie das getrost meine Sorge sein. Sie waren vorhin so freundlich, mir einen Rat zu geben. Nun gebe ich Ihnen einen Rat: kein Wort zu Sokolow.“ „Kann ich ja gar nicht“, sagte Karlheinz Hansen. „Wenn Sokolow erfährt, dass ich nicht dichtgehalten habe, bin ich dran.“

10

Frank Schultheiss dachte an seinen Vater, dem er es zeigen wollte. Er würde das Ziel erreichen, das er sich mit seinen Freunden gesteckt hatte. Genau genommen war es bereits in greifbare Nähe gerückt. Die Hauptarbeit, die Beschaffung der Beute, hatten sie hinter sich. Was jetzt folgte, konnte nicht mehr so schlimm sein. Georg würde auf der Yacht zu neuen Kräften kommen, und ein großer Traum würde sich für sie drei erfüllen. „Woran denkst du?“, fragte Karl Reimann. „An die Yacht.“ Karl lachte und schlug vergnügt auf das Lenkrad. „Wir werden auf allen Weltmeeren zu Hause sein. Oh Mann, es wird herrlich sein. Ich kann es kaum erwarten. Wenn wir Berlin verlassen, werde ich Jubelschreie ausstoßen und mich wie verrückt gebärden. Ich werde auf dem Deck Purzelbäume schlagen und der verdammten Mauer entgegen brüllen: ,Wir haben es geschafft!'“ Sie hörten hinter sich das Martinshorn eines Streifenwagens. Karls Übermut verschwand sofort. Er schaute nervös in den Außenspiegel und sah die zuckenden Blaulichter. „Verdammt, die können doch nicht uns meinen“, sagte er. „Fahr lieber etwas langsamer“, riet ihm Frank. „Wenn ich zu langsam fahre, falle ich auch auf. Dann denken die womöglich, ich wäre blau.“ Der Streifenwagen überholte sie. Frank Schultheiss blickte starr geradeaus, und Karl Reimann bemühte sich, alles so richtig zu machen, als wäre er im Begriff, die Führerscheinprüfung zu absolvieren.

Die Polizisten fuhren an ihnen vorbei und bogen an der nächsten Kreuzung links ab. Sofort war Karl wieder obenauf. „Die Polizei, dein Freund und Helfer!“, rief er übermütig aus. „Wie gut, dass es sie gibt. Sie wacht Tag und Nacht darüber, dass uns nichts zustößt. Das ist wirklich sehr beruhigend.“ Es war nicht mehr weit bis zur Pension. „Georg hat gute Vorarbeit geleistet“, lobte Karl. „Es wird ihn freuen zu hören, dass wir mit Hansen so wunderbar klarkamen. Wir sind echte Glückspilze, nun mal abgesehen von dem Pech, das Georg hatte. Aber in ein paar Wochen wird er wieder so gut wie neu sein.“ Die Werbung für die Pension kam in Sicht. Es war ein von oben nach unten an der Fassade laufender Schriftzug. Wie in so vielen Hän in Berlin hatte hier ein findiger Unternehmer zwei Etagen preiswert gekauft und die Pension eingerichtet. Karl Reimann parkte seinen Wagen neben dem seines Freundes. Er zog den Zündschlüssel ab und drückte die Tür auf. Frank Schultheiss stieg auf der Beifahrerseite aus und blickte sich misstrauisch um. Es war nicht auszuschließen, dass sein Vater ihn suchen ließ, aber Frank konnte sich nicht vorstellen, dass man ihn hier finden würde. „He“, sagte Karl aufgekratzt. „Was ist? Schläfst du mit offenen Augen?“ Frank folgte ihm. Karl war bester Laune, er konnte sich nicht vorstellen, dass jetzt noch irgendetwas schiefgehen könnte. Sie hatten die Sache fest im Griff, und sobald Karlheinz Hansen sie bezahlt hatte, würden sie nach Holland fahren, sich ein schickes Boot aussuchen und dann in See stechen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden, oder doch zumindest für eine lange Zeit. Berlin war nicht Karls Fall. In dieser Stadt war er vom Schicksal immer nur geprügelt worden, deshalb konnte er sie auch nicht lieben.

Seit er denken konnte, wollte er weg von hier, aber er hatte keine Chance gesehen, das jemals zu schaffen. Doch nun sah die Zukunft zum ersten Mal rosig für ihn aus. Deshalb war er auch so übermütig. Es war herrlich, endlich nicht mehr zu den Verlierern zu gehören. Es war großartig, ein Sieger zu sein. Sie betraten das Zimmer. Georg lag im Bett und schlief. Er regte sich nicht, aber Karl wollte ihn nicht schlafen lassen. Er musste dem Freund unbedingt mitteilen, wie es bei Karlheinz Hansen gelaufen war. Georg würde das auch wissen wollen. Totenblass sah Georg aus. Karl schrieb das dem Blutverlust zu, aber er machte sich weiter keine Sorgen. Er war zuversichtlich, dass es dem Freund schon bald wieder gutgehen würde. Es würde Georg schon bessergehen, wenn er hörte, wie reibungslos das Gespräch mit dem Hehler abgelaufen war. „Georg!“, sagte Karl. „Lass ihn schlafen“, mahnte Frank. „Ich muss ihm alles erzählen.“ „Das kannst du später immer noch.“ „Er hat ein Recht darauf, es gleich zu erfahren“, beharrte Karl und rüttelte den Freund sanft. „He, Georg, wach auf. Es gibt großartige Neuigkeiten.“ Frank trat näher und betrachtete das schlaffe Gesicht des Freundes mit sorgenvoller Miene. „Ich weiß nicht so recht, Karl...“, sagte er heiser. „Georg sieht so komisch aus.“ „Komisch? Er ist krank. Die Verletzung ist auch eine Art Krankheit, von der er sich erholen muss.“

„Er regt sich doch überhaupt nicht. Er, er atmet nicht einmal“, stellte Frank Schultheiss erschrocken fest. „Quatsch, er atmet nicht!“, wiederholte Karl unwillig. „Wenn er nicht atmen würde, wäre er ja tot. An so ’ner Schulterverletzung stirbt man nicht. Außerdem war Georg noch sehr lebendig, als wir ihn verließen.“ Frank Schultheiss griff zaghaft nach der Decke und zog sie langsam von Georgs Körper. Einen Augenblick später sah er die beiden Löcher in Georgs Brust. Sie befanden sich beide nahe beim Herzen. Frank hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Er starrte Karl entgeistert an. „Karl! Georg ist wirklich tot.“ „Verdammt, jemand hat ihn während unserer Abwesenheit ermordet“, stieß Karl Reimann fassungslos hervor. Die Frage danach, wer es getan haben könnte, erübrigte sich, denn plötzlich krachte die Badezimmertür gegen die Wand, und der Russe und der Ex-Boxer erschienen. Frank Schultheiss war so verstört, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Er reagierte überhaupt nicht, als Michail Petrow auf ihn zukam und ihn mit seiner Pistole niederschlug. Karl Reimann wurde von Sebastian Eckels gepackt und gegen den Schrank gestoßen. „Keinen Mucks, sonst bist du tot!“, drohte er. „Ihr Schweine! Ihr verdammten Schweine habt Georg umgebracht!“, schluchzte Frank Schultheiss. Er sprang auf und stürzte sich wütend und verzweifelt auf den Glatzkopf. Er wusste nicht mehr, was er tat. Er riskierte, genauso zu enden wie Georg, aber Andrej Sokolow streckte ihn mit keiner Kugel nieder, sondern fällte ihn erneut mit einem harten Schlag. Benommen blieb Frank liegen.

„Euer Freund musste sterben, weil er uns nicht sagen wollte, wo unser LKW ist!“, knurrte Eckels. „Ihr herzlosen Teufel!“, schrie Frank Schultheiss. Ein Tritt des Russen ließ ihn verstummen. „Hoffentlich seid ihr nicht genauso blöd“, sagte der Ex-Boxer. „Nehmt lieber Vernunft an. Was ihr euch vorgenommen habt, ist ein paar Nummern zu groß für euch. Ihr Idioten habt euch an Andreji Sokolows Eigentum vergriffen. Wisst ihr, wer Andreji Sokolow ist? Nein? Dann will ich es euch sagen: Sokolow ist unser Boss. Sein Name hat in der Berliner Unterwelt einen sehr guten Klang. Er ließ die Pelze nicht klauen, damit ihr sie ihm abnehmt. Ihr könnt euch vorstellen, dass er im Moment ziemlich sauer ist. Wenn ihr uns nicht sagt, wo ihr den LKW versteckt habt, bringen wir euch zu ihm, und was er dann in seinem Zorn mit euch anstellt, könnt ihr euch nicht vorstellen. Also, wo ist der LKW?“ Frank Schultheiss schaute Karl Reimann an, und dieser schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ihr könnt mit den Pelzen nichts mehr anfangen“, behauptete Sebastian Eckels. „Es gibt in ganz Berlin keinen Hehler, der sie euch abkaufen würde. Sie sind für euch wertlos. Also rückt sie heraus und rettet damit euer Leben!“ Karl Reimann schüttelte wieder den Kopf. Der Russe verlor die Geduld. Er sagte, er wisse, wie man ihre Redseligkeit fördern könne, steckte die Waffe weg und drosch mit seinen Fäusten auf Schultheiss ein. Frank wehrte sich nicht. Er hielt nur die Arme schützend vors Gesicht, doch die Fäuste des Russen trafen ihn immer wieder schmerzhaft und durchschlugen etliche Male seine Deckung. Als er es nicht mehr aushielt, schrie er: „Aufhören! Bitte! Ich sag’s! Ich sag’s!“ „Nein!“, schrie Karl Reimann. „Das darfst du nicht, Frank.“ „Ich kann nicht mehr.“

„Denk an unser Ziel!“ „Ich ... kann ... nicht mehr...“, stöhnte Frank. „Wo ist unser LKW?“, fragte der Russe rau. Frank Schultheiss sagte es ihm. Karl Reimann schüttelte verzweifelt den Kopf und fragte vorwurfsvoll: „Warum hast du das getan, Frank?“ „Verzeih mir, Karl ...“ „Der LKW war unsere Lebensversicherung. Begreifst du, was du getan hast? Solange sie nicht wussten, wo die Pelze sind, mussten sie uns leben lassen. Doch nun brauchen sie uns nicht mehr. Du hast den einzigen Trumpf, den wir hatten, weggeworfen. Jetzt werden sie uns genauso töten wie Georg.“ Sebastian Eckels lachte schnarrend. „Dein Freund ist ein sehr cleveres Bürschchen, Frank. Das kann man von dir nicht behaupten. Er hat recht. Jetzt werden wir euch umlegen.“ „Aber... Ihr habt die Pelze doch wieder“, schrie Frank. „Das ist richtig, aber es bleibt der Tatbestand bestehen, dass ihr euch an Andreji Sokolows Eigentum vergriffen habt, und darauf steht die Todesstrafe.“ Andrej Sokolow zog seine Waffe. „Ich, ich habe gelogen!“, stieß Schultheiss aufgeregt hervor. „Es stimmt nicht, was ich vorhin gesagt habe. Ich hab’s nur gesagt, damit Sie aufhören, mich zu schlagen. Aber der LKW steht nicht in diesem Straßentunnel.“ „Er blufft“, sagte Sebastian Eckels. „Nein, ich ...“ „Klar bluffst du, um doch noch deine Haut zu retten“, sagte Andrej Sokolow. „Dein Freund wäre nicht so zerknirscht, wenn du uns angelogen hättest. Wir brauchen euch nicht mehr.“

„Außerdem wisst ihr jetzt zu viel über die Pelze, und das ist Andreji Sokolow nicht recht“, sagte der Ex-Boxer. Der Russe richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Blick wurde gnadenlos. Mit gegrätschten Beinen stand er da und sah auf den zitternden Frank Schultheiss hinunter. „Ihr hättet klein anfangen sollen. Nun bleibt euch dieser große Happen im Hals stecken und bringt euch um.“ Er zielte auf Franks Kopf. Der Junge schloss die Augen. Er konnte den Anblick der Schalldämpfermündung nicht mehr ertragen.

11

Bernd Schuster trat das Gaspedal durch. Größte Eile war geboten, denn Karlheinz Hansen hatte die Jungen an die Verbrecher verraten. Was Bernd nun austrug, war ein Wettlauf mit der Zeit. Er wählte einen Weg, der ihm Umwege und Straßenkreuzungen ersparte. Eine rote Ampel hätte sein Blut zum Kochen gebracht. Sein Tempo lag über der Geschwindigkeitsbegrenzung. Er brauchte jetzt nur ein bisschen Glück, denn wenn ihn die Polizei aufhielt, konnte er für Frank Schultheiss und dessen Freunde wahrscheinlich nichts mehr tun. Er wurde langsamer, als er den langen Schriftzug der Pension sah, ließ den 450 SEL abrupt halten und erblickte Georg Schäfers Aufkleberauto, das man wirklich nicht übersehen konnte, und stoppte direkt dahinter. Sekunden später stand er vor der Tür und klopfte. Da schrie jemand: „Hilfe!“ Und dann war der Teufel los. Bernd hörte einen Mann fluchen, die Hilfeschreie verstummten, Bernd zog die Beretta und stieß die Tür auf. Ein junger Mann torkelte ihm entgegen. Es war Frank Schultheiss. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war nicht zu übersehen. Frank fiel dem Detektiv in die Arme. Eine rote Beule zierte seinen Kopf. Schwer wie ein Sack war Frank Schultheiss, und er klammerte sich so verzweifelt an Bernd, dass dieser sich kaum bewegen konnte. Bernd sah den toten Georg Schäfer im Bett. Neben ihm tauchte Michail Petrow auf. Bernd wusste, dass der Glatzkopf für Andreji Sokolow arbeitete, und er

kannte auch den Mann mit den Blumenkohlohren, von dem sich soeben Karl Reimann losriss. Sebastian Eckels feuerte. Karl Reimann schlug einen Haken, hechtete über das Doppelbett und suchte Schutz hinter einem Sessel. Jetzt drückte Bernd ab. Seine Beretta hatte eine kräftigere Stimme als Eckels‘ Pistole. Die Waffe krachte laut, und die Kugel schoss dem Ex-Boxer die Waffe aus der Hand. Der Russe schleuderte einen Keramikaschenbecher. Bernd, durch Frank Schultheiss behindert, konnte nicht schnell genug ausweichen. Der Aschenbecher streifte ihn, und es schien plötzlich Nebel im Raum zu herrschen. Durch den hetzte Sebastian Eckels, und auch der Russe wollte Fersengeld geben. Bernd schüttelte Frank Schultheiss ab. Der Junge lehnte sich erschöpft an die Wand. Inzwischen war Petrow schon fast an Bernd vorbei. Noch leicht benommen, griff Bernd nach dem Gangster. Der Russe riss sich los, aber Bernd stellte ihm ein Bein und brachte ihn zu Fall. Auf dem Boden schnellte Petrow herum und trat nach Bernds Pistolenhand. Der Detektiv verlor die Waffe, bückte sich nicht danach, sondern zerrte den Russen auf die Beine. Karl Reimann, der mit einer so günstigen Entwicklung nicht gerechnet hatte, kam vorsichtig hinter dem Sessel hervor. Diese Chance mussten sie nutzen. Er eilte zu Frank, packte ihn bei den Rockaufschlägen und schüttelte ihn. „Wir müssen weg, Frank!“, zischte er. Bernd hatte mit dem Russen zu tun, er konnte die Flucht der beiden nicht verhindern. Draußen sprang inzwischen Sebastian Eckels in den Wagen, mit dem er und Michail Petrow gekommen waren. Er ließ den Motor an. Seine Hand schmerzte. Der Schuss war bestimmt gehört

worden. Noch standen die Leute unter Schock, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die ersten Neugierigen blicken ließen. Bis dahin hätte er mit Michail verschwunden sein sollen, aber der Russe kam nicht, und ohne ihn durfte Eckels nicht abfahren, das hätte ihm dieser sehr übelgenommen. „Nun mach schon!“, keuchte Eckels. „Komm, Michail!“ Aber der musste kämpfen. Bernd Schuster ließ ihm keine andere Wahl. Die Männer verbissen sich geradezu ineinander. Der Russe war kein Schwächling, und er wusste sich zu wehren, aber Bernd verstand es, ihm tüchtig zuzusetzen. Wie oft hatte er in seiner Dienstzeit als Feldjäger in Frankfurt handfeste Auseinandersetzungen gehabt, wenn die betrunkenen Wehrpflichtigen sich wieder einmal mit den amerikanischen Gis anlegten. Und keine der Parteien war zu überreden, sich zu trennen. Bernd und seine Kollegen gingen durch eine harte Schule. Das kam ihm nun während seiner Einsätze in Berlin zugute. „Das haben wir diesem Hansen zu verdanken!“, keuchte Karl Reimann. „Dafür leg’ ich ihn um. Das Schwein hat uns verraten. Komm zu dir, Frank! Wenn wir den LKW aus dem Tunnel holen, ist vielleicht noch nicht alles verloren.“ Er zerrte den Freund zum Fenster, öffnete es und kletterte hinaus. Frank Schultheiss folgte ihm. Bernd Schuster hatte den Jungen gefunden und gleich wieder verloren. Soeben landete Petrow einen schmerzhaften Treffer. Pfeifend entwich die Luft aus Bernd Schusters Lunge. Seine Konterschläge kamen bretthart, und er merkte, dass der Russe angeschlagen war. Da brüllte der Glatzkopf den Namen seines Komplizen, und er hatte auch noch die Zeit, den Ex-Boxer herbeizuwinken. Sebastian Eckels verstand. Sie machten das, was jetzt kam, nicht zum ersten Mal. Der Ex-Boxer gab Gas, der Wagen schoss vorwärts. Petrow krallte seine Hände

in Bernd Schusters Jackett und drehte sich blitzschnell mit ihm. Dann ließ er Bernd los und sprang zurück. Das Timing stimmte haargenau. Der Wagen war schon da. Bernd hatte keine Chance, ihm auszuweichen. Das Fahrzeug packte ihn verdammt unsanft. Der Aufprall war schmerzhaft. Bernd wurden die Beine weggerissen, er f hohem Bogen davon und hätte sich sämtliche Knochen gebrochen, wenn er nicht in einen dichten großen Busch mit dünnen Zweigen gesaust wäre, die ihn einigermaßen sanft abfingen. Eckels Fuß wechselte vom Gas zur Bremse. Die Pneus schmierten dicke schwarze Striche auf den Asphalt. Der Russe riss die Tür auf der Beifahrerseite auf, und Eckels raste schon los, als der Russe erst ein Bein im Auto hatte. Es schleuderte den Glatzkopf gegen die Lehne. Die Tür flog zu. Bernd Schuster brauchte einige Augenblicke, um zu verdauen, was mit ihm geschehen war. Endlich tauchten die ersten Schaulustigen auf. Zögernd kamen sie näher, und als Bernd Schuster auf allen Vieren aus dem Gebüsch kroch, blieben sie gebannt stehen. Er hatte eine Menge Glück gehabt. Nichts war gebrochen, aber mit einigen schmerzhaften Prellungen würde er eine Weile leben müssen. Er sagte, jemand solle die Polizei rufen und die Mordkommission verständigen. Als die Leute Mordkommission hörten, wurden einige von ihnen blass.

12

Inspektor Horst Südermann, der gewichtige Leiter der Mordkommission in der Keithstraße, traf mit seiner Crew ein. „Ich sag’ schon nichts mehr“, bemerkte er. „Es vermag mich kaum noch zu überraschen, dass fast immer, wenn es einen Toten gibt, du in der Nähe bist.“ „Du übertreibst mal wieder maßlos“, sagte Bernd, während Horsts Kollegen ausschwärmten, um die Spuren zu sichern. „Anstatt mich zu fragen, wie ich mich fühle...“ „Wie fühlst du dich?“ Bernd winkte seufzend ab. „Ach, frag lieber nicht.“ „Hast du den Mann im Bett erschossen?“ „Nein. Hast du noch mehr so intelligente Fragen auf Lager?“ „Aber du weißt, wer er ist“, fuhr Horst Südermann unbeirrt fort. „Georg Schäfer.“ „Wer hat es getan, Bernd?“ „Michail Petrow und Sebastian Eckels. Sie arbeiten für Andreji Sokolow.“ „Du bist mit Sokolow im Clinch?“ „Bis vor kurzem hatte ich keine Ahnung, dass das der Fall ist. Doch nun weiß ich es, und es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, ihm das Handwerk zu legen.“ „Klär mich auf, Bernd. Worum geht es?“ „Um gestohlene Pelze im Wert von 400.000 Mark.“

„Wer hat sie gestohlen? Sokolow?“ „Zuerst er.“ „Und du sollst sie dem rechtmäßigen Eigentümer zurückbringen?“ „So lautete mein ursprünglicher Auftrag nicht, aber darauf wird es nun wohl auch noch hinauslaufen.“ „Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen.“ „Du bist eben nicht nur körperlich schwerfällig“, sagte Bernd. „Kann ich eine Zigarette haben?“, fragte der Inspektor. „Hast du wieder mal keine eigenen?“ „Wann hab’ ich das schon?“ „Wär’s da nicht besser, du würdest dir das Rauchen abgewöhnen?“ Horst seufzte. „Das sagt sich so leicht. Ich bin ein willensschwacher Mensch.“ „Man sieht’s an deiner Figur“, sagte Bernd und gab dem Freund eine Roth Händle. Horst zog den Rauch tief ein. „So“, sagte er. „Und nun fang noch mal von vorn an, aber langsam, zum Mitschreiben und so, dass sogar ich dir folgen kann.“ Bernd gab dem Inspektor einen lückenlosen Bericht. Als Horst erfuhr, auf welche spektakuläre Weise die Gangster Bernd Schuster ausgeschaltet hatten, fragte er: „Möchtest du, dass dich der Polizeiarzt untersucht?“ „Nicht nötig. Ich habe mich bereits selbst einer eingehenden Untersuchung unterzogen und festgestellt, dass meine Situation zwar ernst, aber nicht hoffnungslos ist.“

„Für einen, der dem Totengräber erst vor kurzem von der Schippe gerutscht ist, klopfst du schon wieder ganz muntere Sprüche.“ „Das liegt wohl an dir. Es heitert mich ungemein auf, wenn du in meiner Nähe bist.“ Bernd erinnerte sich an den Kampf mit dem Russen. Er hatte sich ganz auf den Mann konzentriert, denn dieser Petrow war ein verdammt ernst zu nehmender Gegner. Aber Bernd hatte trotzdem gehört, was Karl Reimann zu Frank Schultheiss sagte. „Das haben wir diesem Hansen zu verdanken!“, hatte Reimann gekeucht. „Dafür leg’ ich ihn um. Das Schwein hat uns verraten. Komm zu dir, Frank! Wenn wir den LKW aus dem Tunnel holen, ist vielleicht noch nicht alles verloren.“ In einem Tunnel hatten sie den LKW mit den Pelzen versteckt. Er gab sein Wissen dem Inspektor weiter. „Welcher Tunnel käme deiner Ansicht nach dafür in Frage?“, erkundigte sich Bernd. Horst dachte angestrengt nach. Zwischendurch nahm er zwei Züge von der Roth Händle. Dann funkte es plötzlich bei ihm. „Ich glaube, dabei kann es sich nur um diesen umstrittenen U-Bahn-Schacht handeln, dessen Bau vorübergehend eingestellt wurde.“ Bernd wusste sofort, welchen Schacht der Inspektor meinte. „Endlich bist du auch mal für etwas nütze“, sagte er und eilte zu seinem Wagen. Wenn niemand in der Nähe gewesen wäre, wäre er gehumpelt. So aber biss er die Zähne zusammen und kämpfte gegen den ziehenden Schmerz im linken Bein an. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder!“, rief Horst ihm nach. „Wegen des Protokolls. Deine Unterschrift, die drei Kreuze, ließen sich zwar leicht fälschen, aber ich möchte mich deinetwegen nicht strafbar machen.“ „Ich komme, sobald ich kann“, gab Bernd zurück und stieg in den Mercedes. Er

gurtete sich an und fuhr los, griff nach dem Autotelefon und setzte sich mit seinem Büro in Verbindung. „Soll ich einen Tisch für zwei Personen in einem schicken kleinen Restaurant bestellen?“, fragte Franziska Jahn. „Da kam mir neulich ein Insidertipp zu Ohren...“ Bernd erinnerte sich, dass er heute Abend mit ihr ausgehen wollte, doch im Moment stand ihm nicht der Sinn danach. Er ging deshalb nicht auf ihre Frage ein, sondern bat sie um zwei Telefonnummern, um die von Werner Schultheiss und um jene von Karlheinz Hansen. „Wie kommst du ohne mich voran?“, wollte Franziska wissen. „Schleppend“, antwortete er. „Ich würde dir ja gern helfen ...“ „Tatsächlich? Dann hilf mir, damit ich die beiden Nummern so schnell wie möglich kriege.“ „Ist das alles, was ich für dich tun kann?“, fragte Franziska enttäuscht. „Für den Augenblick ja, Schatz“, erwiderte Bernd. „Aber es kommt ja bald der Abend, und da werde ich mit ein paar Wünschen aufwarten ...“ „Ich rufe zurück“, sagte Franziska und legte auf. Drei Minuten später meldete sie sich wieder den gewünschten Nummern. Bernd bedankte sich für die prompte Bedienung, sagte, er würde sich bald revanchieren, und unterbrach die Verbindung. Dann ging er nach der Dringlichkeit vor und rief zuerst Karlheinz Hansen an, denn den wollte Karl Reimann umbringen. Aber er hatte kein Glück. Der Hehler meldete sich nicht. Dafür klappte es bei Werner Schultheiss auf Anhieb.

„Ah, Herr Schuster“, sagte der Zeitungsverleger erwartungsvoll. „Was gibt’s?“ „Sie kennen das Spiel mit der guten und der schlechten Nachricht, woran die Frage geknüpft wird, was man zuerst hören will.“ „Ja. Und?“ „Also die gute Nachricht wäre, dass ich Ihren Sohn gefunden habe.“ „Wunderbar. Großartig. Wie geht es ihm?“ „Es fehlt noch die schlechte Nachricht, Herr Schultheiss: Ich habe Frank wieder verloren.“ „Aber wieso denn? Was soll das heißen, Herr Schuster? Ich verstehe nicht...“ Bernd versuchte es dem enttäuschten Vater so schonend wie möglich beizubringen, dass sein Sohn einen gefährlichen Gangsterboss bestohlen hatte. „Einen Gangsterb ..“, stieß Werner Schultheiss verblüfft hervor. „Ja, was hat Frank diesem Mann denn gestohlen?“ „Einen LKW, der mit Pelzen im Wert von 400.000 Mark beladen ist“, gab Bernd Schuster Auskunft. „Das muss auf dem Mist seiner Freunde gewachsen sein. Mein Sohn käme nie und nimmer auf eine solche hirnrissige Idee.“ „Wessen Idee es ist, ist im Moment zweitrangig, Herr Schultheiss“, sagte Bernd ernst. Er befand sich noch auf dem Weg zu jenem U-Bahn-Schacht. Das Verkehrsaufkommen war glücklicherweise nicht aufregend. „Was im Moment mehr Gewicht hat, ist die Tatsache, dass sich dieser Gangsterboss nicht bieten lässt, was Ihr Sohn und seine Freunde getan haben. Der Mann kennt keinen Spaß. Wie es aussieht, will er nicht nur die Pelze wiederhaben, sondern hat auch den Tod der drei Diebe angeordnet.“ „Aber... Aber das kann er doch nicht tun!“, schrie Werner Schultheiss entsetzt. „Einen Jungen hat es bereits erwischt“, sagte Bernd.

„Wen?“ „Georg Schäfer.“ „Wie heißt dieser Gangsterboss?“, fragte Werner Schultheiss hektisch. „Andreji Sokolow. Ich hoffe, Sie haben nicht die Absicht, sich mit ihm anzulegen, Herr Schultheiss. Lassen Sie mich das tun und die Polizei, aber mischen Sie sich um Himmels willen nicht ein, sonst reißen die Katastrophen nicht ab.“ „Sie müssen meinen Sohn wiederfinden, Herr Schuster. Sie müssen ihn beschützen. Bringen Sie diesen Sokolow ins Zuchthaus.“ „Alles das habe ich vor“, sagte Bernd. „Ich zahle jede Summe, wenn Sie mir meinen Jungen wohlbehalten wiederbringen, Herr Schuster.“ „Wir haben ein Honorar vereinbart. Mehr brauchen Sie nicht zu bezahlen, Herr Schultheiss“, sagte Bernd und schob den Hörer in die Halterung. Er konnte in solchen Dingen großzügig sein, denn seine Erbschaft hätte ihm ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Aber irgendwo in der Sonne zu liegen und die Hände im Schoß zu halten, war nicht seine Sache. So kam es, dass weder Tochter Lucy noch Lebensgefährtin und Assistentin Franziska etwas davon erfuhren. Jetzt hatte er die Baustelle fast erreicht, machte die Umleitung nicht mit, sondern schlüpfte mit dem Mercedes durch eine Lücke in der Absperrung. Im tunnelartigen Schacht ging es heiß her, denn nicht nur Frank Schultheiss und Karl Reimann waren da, sondern auch Michail Petrow und Sebastian Eckels, und sowohl die einen als auch die anderen waren entschlossen, mit dem LKW abzufahren. Sie lieferten einander ein wildes Feuergefecht. Der Russe und sein Komplize waren den jungen Gegnern gegenüber im Vorteil. Sie wussten besser, wie man kämpfte. Bernd war entschlossen, sich auf die Seite der Jungen zu schlagen. Er stoppte den Mercedes und rannte geduckt durch das Dämmerlicht, das im Tunnel

herrschte. Er riss seine Beretta heraus, und als sich die ersten Kugeln in seine Richtung „verirrten“, schoss er zurück. Er sprang von Deckung zu Deckung. Die Schmerzen im Bein vergaß er, musste er vergessen, denn wenn er nicht schnell genug war, konnte er sich mehr als nur ein geprelltes Bein einfangen. Irgendwann war Bernd dann neben Frank Schultheiss. Der Junge starrte ihn fragend an. Er wunderte sich, Bernd schon wieder zu sehen. Seine Augen fragten: Wer sind Sie? Bernd sagte es ihm, aber das war alles, was er mit Frank reden konnte, denn dann griffen die Gangster an. Wie ein Keil fuhr Petrow zwischen Bernd und den Jungen. Bernd war gezwungen, sich zurückzuziehen. Er verlor Frank Schultheiss aus den Augen. Der Russe und sein Komplize drängten Bernd in die Defensive, und während die beiden sich mit dem Detektiv befassten, nützten Karl Reimann und Frank Schultheiss die Chance, zu verschwinden. Sie hatten eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, sich den LKW wiederholen zu wollen. Nun ging es ihnen nur noch darum, sich in Sicherheit zu bringen. Bernd sah sie abhauen, war aber zum zweiten Mal nicht in der Lage, es zu verhindern. Er hatte gehofft, Frank würde zur Einsicht kommen und aufgeben, aber er rannte noch schneller aus dem U-Bahn-Schacht als Karl Reimann. Und Bernd blieben der Russe und der Ex-Boxer. So hatte er sich die Entwicklung der Geschehnisse nicht vorgestellt. Er setzte hinter die nächsten Aktionen mehr Druck und erhöhte seine Risikobereitschaft. Mit Schultheiss und Reimann hatten die Gangster verhältnismäßig leichtes Spiel gehabt, aber Bernd Schuster war aus einem anderen Holz geschnitzt. Seinem

Mut und seiner Kampferfahrung hatten der Glatzkopf und der Ex-Boxer nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Bernd feuerte, hechtete hinter einen Ziegelstapel, rollte ab, kam auf die Beine und schoss sofort wieder. Sebastian Eckels entging der Kugel nur, indem er sich blitzschnell fallen ließ. Jetzt war der Weg zum LKW frei. Bernd startete sofort. Mit weiten Sätzen rannte er durch den Tunnel. Als Michail Petrow erkannte, was Bernd vorhatte, stieß er einen ordinären Fluch aus, aber damit konnte er auch nicht verhindern, dass Bernd behände in den großen Laster kletterte. Der Detektiv startete durch, der Motor brüllte, und die Gangster stürmten heran. Bernd sah sie im Außenspiegel. Er blieb ruhig, denn er wusste, dass sie den LKW nicht erreichen würden. Als der Russe von dem Fahrzeug nur noch fünf Schritte entfernt war, setzte sich es sich in Bewegung. Sofort wurde der Abstand größer, und ein ohrenbetäubendes Dröhnen erfüllte die stillgelegte Baustelle. Gleichzeitig nebelte eine dunkle Auspuffwolke die Verbrecher ein. Sie hatten das Nachsehen, doch damit fanden sie sich nicht ab. Während Bernd Schuster mit dem LKW den Tunnel verließ, keuchten die Gangster hinterher. Bernd nahm sich nicht die Zeit, vor der Absperrung anzuhalten und sie beiseite zu räumen. Er überrollte sie und knüppelte den schweren Brummer der Hauptstraße entgegen. Es dauerte nicht lange, bis der Gangsterwagen im Rückspiegel auftauchte. Der Russe saß hinter dem Steuer. Der Ex-Boxer schaute beim Seitenfenster heraus und hielt die Pistole schussbereit in der Hand. Als sie nahe genug an den LKW herangekommen waren, eröffnete Sebastian

Eckels das Feuer auf Bernd. Die Kugeln hieben in die Tür und verfehlten Bernd manchmal nur um Haaresbreite. Bernd war gezwungen, schnellstens zu reagieren. Er zog den Laster nach links und schnitt in die Fahrspur des Gangsterautos. Der Russe bremste scharf ab, konnte eine Kollision aber nicht verhindern. Der LKW riss ihnen den Radkasten auf und die Stoßstange ab. Petrow hatte Mühe, den Wagen unter Kontrolle zu halten. Als Bernd auf den rechten Fahrstreifen zurückkehrte, setzte der Russe mit dem ramponierten Auto zu einem hektischen Überholmanöver an. Es hätte geklappt, wenn Bernd weniger aufmerksam gewesen wäre. So aber kamen die Verbrecher am LKW nicht vorbei, denn Bernd scherte sofort wieder aus, und diesmal drückte er den Verfolgerwagen so wirkungsvoll gegen eine Litfaßsäule, dass das Fahrzeug buchstäblich auseinanderbrach und die beiden Insassen im Stich ließ. Schuster wäre es lieber gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, Frank Schultheiss zur Vernunft zu bringen.

13

Zweimal hatten Petrow und Eckels mit Bernd Schuster zu tun gehabt, und beide Male hatten sie dabei nicht sonderlich gut ausgesehen. Das wurmte sie. Da Bernd in Unterweltkreisen kein Unbekannter war, wussten sie, wer ihnen so kräftig in die Suppe gespuckt hatte, und als sie das ihrem Boss mitteilten, sah der rot. „Schuster hat jetzt meine Pelze?“, brüllte Andreji Sokolow außer sich vor Wut. „Verdammt, wie konntet ihr das zulassen?“ Petrow hielt den Hörer etwas von seinem Ohr weg, damit sein Trommelfell keinen Schaden nahm. „Was ist mit Schultheiss und Reimann?“, wollte der Boss wissen. „Entkommen“, sagte der Russe kleinlaut. „Ich erwarte von euch, dass ihr alles wieder ins Lot bringt.“ „Wenn Schuster sich nicht eingemischt hätte, hätte es keine Probleme gegeben“, verteidigte Petrow sich. „Dann wären jetzt alle drei Jungs tot, und die Pelze befänden sich wieder in deinem Besitz.“ „Wenn! Wenn!“, schrie Andreji Sokolow aufgebracht „Seid ihr denn nicht imstande, mit dem Schnüffler fertig zu werden? Meine Befehle sind immer noch dieselben: Ich will, dass die Diebe bestraft werden und dass ich die Pelze wiederkriege. Wie ihr das anstellt, ist eure Sache. Wichtig ist nur, dass ihr schnell handelt. Ich habe keine Lust, noch lange auf eure Erfolgsmeldung zu warten. Kriege ich nicht bald etwas Erfreuliches von euch zu hören, könnte ich auf die Idee kommen, dass ihr Nieten seid, dass ich das Geld, das ich euch gebe, eigentlich zum Fenster hinauswerfe.“ Was der Boss damit andeutete, wusste der Russe nur zu genau. Sokolow würde in ihnen Versager sehen, und mit solchen Männern wollte er nichts zu tun haben.

Da sie zu viel wussten und ihm schaden konnten, war es ihm nicht möglich, sich einfach nur von ihnen zu trennen. Er würde sie zum Schweigen bringen müssen, und zwar für immer. Wenn Andreji Sokolow sie also zu Versagern stempelte, war das gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Der Russe schluckte trocken. Er versprach dem Boss, alles daranzusetzen, um das derzeit ungünstige Blatt zu wenden. „Das hoffe ich für euch“, sagte Sokolow, und es hörte sich an, als hätte er gesagt: ,Wenn ihr versagt, seid ihr tot!‘

14

Bernd „versteckte“ den LKW erst mal in einem leerstehenden Lagerhaus, das er bei einem seiner Fälle entdeckt hatte. Zwar konnte man die großen Tore nicht mehr richtig verriegeln, das ganze Gelände war zum Abbruch bestimmt, aber hierher verirrte sich außer ein paar spielenden Kindern niemand. Mit einem Taxi fuhr er zurück zur U-Bahn-Baustelle. Dort stieg er in seinen Mercedes um und rief sein Büro an, aber Franziska Jahn meldete sich nicht. Er warf einen Blick auf die Armaturenbrettuhr. Es war fünfzehn Uhr. Feierabend konnte Franziska noch nicht gemacht haben. ‚Sie wird kurz weggegangen sein‘, versuchte Bernd sich zu beruhigen. ‚Vielleicht hat ja auch Lucy sie angerufen und gebeten, sie abzuholen. Doch irgendetwas in ihm wollte das nicht akzeptieren. Franziska Jahn war sein wunder Punkt. Deshalb vermied er es, so gut er konnte, sie in vorderster Front einzusetzen. Es war ihm lieber, sie saß im Büro und unterstützte ihn von dort aus. Franziskas Ehrgeiz wollte sich mit dieser Aufgabe jedoch nicht zufriedengeben. Sie wollte beweisen, dass sie Mut hatte, dass sie clever war und dass sie sogar kämpfen konnte, wenn es sein musste. Der Karatekurs sollte nicht umsonst gewesen sein, und neben dem wöchentlichen Training verbessere sie ebenfalls an einem Tag der Woche ihren Umgang mit Schusswaffen. Er hoffte, dass sie nicht schon wieder eigene Wege gegangen war, ohne ihn zu informieren und sein Einverständnis einzuholen. Nachdem sie sich beim zweiten Versuch immer noch nicht meldete, beschloss Bernd im Büro nach dem Rechten zu sehen. Er zündete sich eine Roth Händle an und machte eine Bestandsaufnahme, während er sich der Kurfürstenstraße näherte. Auf der Soll-Seite standen nach wie vor Frank Schultheiss, Karl Reimann und

Andreji Sokolow mit seinen Gangstern. Auf der Haben-Seite standen jetzt die Pelze. Ein Trumpf, den Bernd geschickt gegen Sokolow ausspielen musste. Dort, wo der LKW nun stand, würden ihn die Verbrecher nie finden. Bernd musste sich also überlegen, wie er Andreji Sokolow damit eine Falle stellen konnte. Doch zunächst wollte er wissen, weshalb sich Franziska Jahn nicht meldete. Als er sein Büro indem ehemaligen Ladenlokal betrat, war Franziskas Schreibtisch verwaist. Bernd spürte ein flaues Gefühl im Magen. Er hatte eine Antenne für unangenehme Dinge, und er witterte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Die Bestätigung fand er auf Franziskas Schreibtisch. Dort lag nämlich ein Zettel, auf den jemand geschrieben hatte: „Willst du deine Assistentin lebend wiedersehen? Dann ruf uns an!“ Darunter stand eine Telefonnummer. In Bernd Schuster kochte die Wut. Man hatte Franziska entführt. Wenn Andreji Sokolow und seine Männer dahintersteckten, würden sie dafür in Kürze bezahlen. Bernd dachte an Franziska. Bestimmt ließ sie es sich nicht anmerken, aber sie hatte Angst. Diese Kerle konnten üble Dinge mit ihr anstellen. Sie sollte nur so lange in der Gewalt dieser Verbrecher bleiben, wie es unvermeidbar war, deshalb rief Bernd gleich von ihrem Telefon aus die angegebene Nummer an. „Hallo!“, meldete sich ein Mann. „Bernd Schuster“, sagte der Detektiv. „Das geht aber prompt.“

„Ich bin von der schnellen Truppe. Wo ist meine Sekretärin?“ „Nicht hier“, antwortete der Mann. „Ich hoffe, es geht ihr gut“, sagte Bernd mit belegter Stimme. „Oh ja, ich denke schon.“ „Kann ich mit ihr sprechen?“ „Ich sagte doch, sie ist nicht hier.“ „Dann geben Sie mir eine andere Nummer“, platzte es aus Bernd heraus. „Nur nicht unfreundlich werden, Schnüffler!“, wies ihn der Mann zurecht. „Du sitzt auf einem verdammt dünnen Ast. Du solltest nicht auch noch daran sägen.“ Bernd fuhr sich mit der Hand über die Augen und bemühte sich um Beherrschung. „Okay, ich habe den Zettel gefunden und angerufen. Was soll weiter geschehen?“ „Zunächst mal nichts. Du bleibst, wo du bist. Man wird sich mit dir in Verbindung setzen.“ Bernd seufzte. „Na schön. Ich werde warten.“ „Es wäre unklug von dir, dich an die Bullen zu wenden. Lass sie draußen. Die Sache läuft zwischen dir und uns, oder gar nicht.“ „Ich habe verstanden“, sagte Bernd und legte auf. Dann tigerte er durch sein Büro. Er nahm sich einen Johnnie Walker, rauchte drei Roth Händle, und als das Telefon anschlug, stürzte er sich auf den Hörer wie der Bussard auf den Hasen. „Ja?“, rief er erregt in den Hörer. Am andern Ende der Leitung meldete sich der Revierleiter Wilhelm Krone. „Ach, du bist es“, sagte Bernd enttäuscht. „Du warst schon mal freundlicher zu mir.“

„Entschuldige“, sagte Bernd. „Was gibt’s?“ „Du wolltest wegen des Protokolls vorbeikommen.“ „Ich kann im Moment nicht weg. Ich sagte, ich würde kommen, sobald ich Zeit habe.“ „Deine Stimme klingt nervös.“ „Ich bin die Ruhe in Person.“ „Mir kannst du nichts vormachen, Freund. Ich kenne dich schon zu lange. Was war los in dieser U-Bahn-Baustelle? Uns wurde eine Schießerei gemeldet, und der LKW ist nicht mehr da.“ „Ich erzähle dir alles später und so ausführlich, wie’s nur geh, aber jetzt muss ich Schluss machen. Du blockierst die Leitung, und ich erwarte einen wichtigen Anruf.“ Bernd legte auf, ehe der Beamte etwas erwidern konnte. Er rannte wieder hin und her. ‚Teufel noch mal, die lassen mich ganz schön zappeln‘, dachte er. ‚Ich soll weich werden, damit sie mit ihren Forderungen leichter durchkommen‘. Abermals läutete das Telefon. Diesmal handelte es sich um den Anruf, auf den Bernd so ungeduldig gewartet hatte. Er sprach mit Andreji Sokolow persönlich. Der Gangsterboss sah keinen Grund, sich zu verstecken, nicht mit Franziska Jahn als Faustpfand. Es war klar, dass ihm Bernd Schuster aus der Hand fressen musste. „Sie haben etwas Unverzeihliches getan, Sokolow“, sagte Bernd grimmig. „Ich möchte sagen, der Zweck heiligt die Mittel“, erwiderte der Gangsterboss gelassen. „Ist meine Assistentin bei Ihnen?“ „Machen Sie sich keine Sorgen, Schuster. Es geht ihr gut. Daran wird sich auch

nichts ändern, solange Sie vernünftig bleiben. Ich habe im Grunde genommen nichts gegen Sie. Solange Sie mir nicht in die Quere kommen, können Sie tun, was Sie wollen. Jeder hat seinen Job. Sie den Ihren, ich den meinen. Man kann in Frieden nebeneinander leben. Es ist eine Sache der Vernunft und des Arrangements, das man trifft.“ ‚Ich treffe keine Arrangements mit Verbrechern‘, wollte Bernd erwidern, aber er behielt es wohlweislich für sich. Seine Position war derzeit sehr schwach. Wenn er Andreji Sokolow verärgerte, würde Franziska das zu büßen haben, deshalb war er gezwungen, sich jedes Wort genau zu überlegen. „Wir hätten nie miteinander zu tun gekriegt, wenn Sie sich nicht in Dinge eingemischt hätten, aus denen Sie sich besser rausgehalten hätten“, sagte Sokolow. „Ihre Aktivitäten kollidierten mit meinen Interessen, und das gefällt mir nicht. Aus diesem Grund sah ich mich gezwungen, etwas gegen Sie zu unternehmen. Ich hatte gehofft, dass Franziska Jahn Ihre Schwachstelle ist, und ich scheine mich nicht geirrt zu haben. Hübsche, tüchtige Assistentinnen sind rar. Vielleicht ist das Mädchen auch noch ein bisschen mehr für Sie. Das käme mir, ich geb’s ehrlich zu, sehr gelegen.“ „Kommen Sie zum Kern der Sache!“, verlangte Bernd ungeduldig. „Sie haben meine Mitarbeiterin entführt, um mich unter Druck setzen zu können.“ „Ist nicht schwer zu durchschauen, nicht wahr? Könnten Sie sich vorstellen, dass wir zu einer Einigung gelangen, die beide Teile zufriedenstellt? Sie haben meine Pelze.“ „Es sind nicht Ihre Pelze.“ „Bitte, Herr Schuster, wir wollen nicht spitzfindig sein, ja? Ich betrachte die Pelze als mein Eigentum, und es missfällt mir, dass Sie sie haben. Sie haben sie doch noch, oder? Es wäre dumm, wenn Sie sie bereits der Polizei übergeben hätten, denn in diesem Fall würde es Ihnen nicht leichtfallen, sie zurückzuholen. Das müssten Sie aber, damit Franziska Jahn am Leben bleibt.“ „Ich habe die Pelze noch nicht der Polizei übergeben“, sagte Bernd. „Das war sehr klug von Ihnen, sehr vorausblickend.“

„Es ist nicht gut, wenn man von seinen Feinden gelobt wird“, sagte Bernd. Andreji Sokolow lachte. „Ich bin nicht Ihr Feind. Wir tätigen zusammen ein Geschäft, und dann trennen sich unsere Wege wieder. Also, Sie haben meine Pelze, ich habe Ihre Sekretärin. Es liegt auf der Hand, dass ein Tausch die beste und vernünftigste Lösung unserer Probleme wäre. Was sagen Sie dazu?“ „Wann und wo wollen wir das Geschäft abwickeln?“, fragte Bernd. „Sie sind ein Mann von schneller Entschlusskraft“, sagte Andreji Sokolow, „das gefällt mir. Ich muss gestehen, dass ich Ihnen einiges an Achtung entgegenbringe. Sie schieben nichts auf die lange Bank, und das ist auch ganz in meinem Sinn. Begeben Sie sich zum Nollendorfplatz. Warten Sie vor dem Eingang zum ehemaligen Bahnhof. Kommen Sie allein und unbewaffnet. Wenn ich merke, dass Sie mich austricksen wollen, platzt das Geschäft, und Franziska Jahn landet im Leichenhaus. Ich sage es Ihnen absichtlich so brutal, damit Sie erkennen, wie ernst die Lage Ihrer Mitarbeiterin ist.“ „Ich komme“, sagte Bernd. „Allein und unbewaffnet.“ „Sie sind ein äußerst vernünftiger Mann, Schuster“, bemerkte der Gangsterboss und legte auf. Bernd zog sein Jackett aus und legte das Schulterhalfter ab. Er hängte es mit der Beretta über die Lehne seines Schreibtischsessels, schob das Hosenbein hoch und band sich ein Wadenholster um, in die er eine kleine Derringer-Pistole steckte. Wenn er Glück hatte, würde Sokolow die kleine Waffe nicht entdecken. Wenn er Pech hatte, würde man ihm die Waffe abnehmen. Andreji Sokolow würde ihm die unsaubere Gangart nicht sonderlich übelnehmen. In diesem Kampf war vieles erlaubt. Wer immer nur mit sauberen Karten spielen wollte, kam sehr leicht unter die Räder. Bernd zog sein Jackett wieder an, aber er verließ sein Büro noch nicht, sondern rief Horst Südermann an. „Ist der wichtige Anruf inzwischen erledigt?“, fragte der Inspektor. „Mich würde ehrlich interessieren, was für ein Anruf wichtiger ist als meiner. Ich bin

immerhin dein bester Freund. Und nicht nur das. Ich bin auch dein einziger.“ „Hör zu, einziger Freund, du könntest mir einen riesengroßen Gefallen erweisen..“

15

Bernd wartete vor dem Eingang zum Antiquitätenmarkt in der U-Bahn-Station Nollendorfplatz, wie es Andreji Sokolow von ihm verlangt hatte. Er wusste nicht, worauf er achten sollte. Würde einer der anten ihn ansprechen? Würde ein Wagen anhalten und jemand ihn auffordern einzusteigen? Er nahm an, dass man ihn im Moment noch beobachtete, um sicherzugehen, dass er nicht falschspielte. Er spielte mit gezinkten Karten, aber das war nicht zu erkennen. Ungeduldig schaute er auf seine Uhr. Es wurde allmählich Zeit, dass sich jemand blicken ließ. Er steckte sich eine Zigarette an. Ein kaffeebraunes Mädchen schlenderte heran. Sie hatte lange, makellose Beine, und eine hübsche, aufregende Figur. Kam sie von Sokolow? Bernd blickte ihr erwartungsvoll entgegen. Würde sie ihn ansprechen? Er rechnete damit, aber sie lächelte nur und hätte wohl nichts dagegen gehabt, wenn er sie angesprochen hätte. Es war eine von diesen Gelegenheiten, die sich immer und überall ergeben können, völlig harmlos. Zwei Menschen begegnen einander. Der eine sagt etwas, das dem andern gefällt. Unter Umständen wird mehr daraus... Diesmal nicht. Ein wenig enttäuscht ging das Mädchen weiter. Bernd blickte ihr gedankenverloren nach. Plötzlich fuhr ihm ein Bus beinahe über die Zehen, obwohl er auf dem Gehsteig stand. Zischend öffneten sich die pneumatischen Türen, und der Fahrer forderte Bernd auf einzusteigen.

Ein kleineres, unauffälligeres Fahrzeug konnten sie in der Eile wohl nicht auftreiben, dachte Bernd und stieg in den Bus. Er sah Franziska Jahn wieder. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als er feststellte, dass sie okay war. Ihre veilchenblauen Augen verschossen zornige Blitze, aber darum kümmerte sich keiner. Außer dem Fahrer befanden sich noch zwei Gangster im Bus, und ihr Boss. Sokolow gab dem Fahrer einen Wink. Die pneumatischen Türen schlossen sich, und der Autobus fuhr weiter. Auf einen zweiten Wink von Sokolow trat einer der Gangster vor Bernd und tastete ihn ab. Der Mann war zu faul, um sich zu bücken. Das war Bernds Glück. „Er ist sauber, Boss“, meldete er. „Bernd Schuster erfüllt die Bedingungen, die man ihm stellt, zuverlässig“, sagte Sokolow zufrieden. Er war teuer gekleidet. Bernd schätzte ihn auf Fünfzig, die Züge wurden allmählich schlaff, und er hatte dicke Tränensäcke unter den Augen. Er saß im Bus ganz hinten. Franziska Jahn saß neben ihm, und neben ihr saß ein Kerl mit einer furchterregenden Visage. Franziskas Miene drückte Bedauern aus, weil Bernd sich ihretwegen in dieser schlechten Position befand. Er gab ihr mit einem Blick zu verstehen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche, es würde alles gut werden. Bernd durfte nicht näherkommen, und Franziska durfte nicht aufstehen. „Sagen Sie dem Fahrer, wohin er fahren soll!“, befahl Andreji Sokolow. Bernd wandte sich an den Mann und nannte ihm das Fahrziel. Sokolow lächelte zufrieden. Er dachte, es würde alles so ablaufen, wie er es sich

vorgestellt hatte. Bernd setzte sich und versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er hasardierte und konnte nur hoffen, dass dieses gewagte Spiel gut für Franziska und ihn ausging. Der Bus fuhr in die Gegend mit den alten, abbruchreifen Hän. In wenigen Augenblicken würde eine große Entscheidung fallen. Die Minuten davor waren für Bernd Schuster die reinste Folter. Während der Fahrt wurde nichts gesprochen. Bernd und der Gangsterboss hatten sich nichts mehr zu sagen, und Franziska schien Sprechverbot zu haben. Sie fuhren an Lagerhän vorbei. Bernd wies den Fahrer ein. Sie erreichten die Lagerhalle, in der er den LKW abgestellt hatte. „In der Halle!“, sagte Schuster nur und deutete mit der Hand auf die nur angelehnten Tore. Sokolow verlangte die LKW-Schlüssel. Bernd warf sie ihm zu. Als der Autobus in der Nähe des Lasters anhielt, fragte Bernd: „Darf ich mit meiner Sekretärin jetzt aussteigen?“ „Einen Augenblick noch“, sagte der Gangsterboss grinsend. „Sie haben Ihren LKW. Was wollen Sie noch?“ Sokolow lachte. „Er könnte leer sein.“ „Sie trauen wohl nicht mal sich selbst.“ „Ich wäre verrückt, wenn ich einem Mann wie Ihnen uneingeschränktes Vertrauten entgegenbrächte.“ Die Türen öffneten sich hinten. Er und der Mann, der Bernd vorhin durchsucht hatte, stiegen aus.

Sokolow und der Fahrer blieben im Bus. „Wenn die Pelze da sind, können Sie mit Franziska Jahn gehen, wohin Sie wollen“, sagte der Gangsterboss. Bernd stand unter Strom. Natürlich waren die Pelze da, jedoch nicht nur sie... Er erhob sich, stellte den Fuß auf den Sitz und tat so, als würde er seinen Schnürsenkel richten. Er ließ die zwei Gangster nicht aus den Augen. Sie schlossen die Hecktüren des LKWs auf und gaben Sokolow dann mittels Handzeichen zu verstehen, dass sich die Pelze im Transporter befanden. „Tut mir leid, dass ich Sie bis zuletzt für durchtrieben hielt“, sagte Andreji Sokolow grinsend. „Können wir gehen?“, fragte Bernd heiser. „Ich stehe zu meinem Wort“, antwortete der Gangsterboss, und Franziska durfte sich erheben. Bernd Schusters Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Es konnte nämlich noch eine ganze Menge schiefgehen. Der Detektiv streckte seiner Fanzi die Hand entgegen. Die linke war es, denn mit der rechten griff er nach dem Derringer. „Komm her, Franziska. Komm zu mir“, verlangte er. Da brüllte draußen plötzlich der mit dem Gorillagesicht: „Bullen! Verdammt, Boss, das ist eine Falle!“ „Schnell, Franziska!“, schrie Bernd. Die Polizei war zu übereifrig gewesen. Man hätte warten müssen, bis Bernd mit Franziska den Autobus verlassen hatte. Jetzt wurde die Sache für Bernd und seine Franziska doch noch haarig. Draußen griffen Sokolows Männer zu ihren Waffen. Das war auf

Schwierigkeiten immer ihre allererste Antwort. Aber auch Andreji Sokolow und der Busfahrer rissen ihre Pistolen heraus. Sokolow fluchte und wollte Franziska Jahn erschießen. Bernd zog den Derringer, sprang vor und stieß Franziska zwischen die Sitzreihen. Sokolows Luger krachte, und die Kugel verfehlte Franziska nur ganz knapp. Bernd federte in Combat-Stellung und verhinderte, dass der Gangsterboss noch einmal abdrückte. Jetzt war der Privatdetektiv in der richtigen Position. Sokolow schrie getroffen auf. Daraufhin wollte der Fahrer Bernd von den Beinen holen, doch der Detektiv drehte sich in Gedankenschnelle, und als der Mann die Waffe auf sich gerichtet sah, ließ er seine fallen. Auf dem Platz und überall tauchten Cops auf. Die beiden Gangster lieferten der Polizei ein erbittertes Rückzugsgefecht, doch sie erreichten den Bus beide nicht. Bernd eilte zu Franziska, und der Busfahrer gab Gas. Das große Gefährt raste los, doch mittlerweile hatte die Polizei Sperren errichtet. Ein Durchkommen war unmöglich, denn hinter den Sperren standen die Beamten mit ihren Waffen und schossen auf den Bus. Der Fahrer kurbelte wie von Sinnen am Lenkrad. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg. Mehrere Kugeln trafen die große Frontscheibe, durchbohrten sie. Eine davon traf den Verbrecher. Sie stieß ihn zurück. Seine Hände ließen das Lenkrad los, die Arme hingen seitlich herab. Dann kippte er langsam nach vorn, und im nächsten Moment prallte der Autobus gegen einen anderen, abgestellten LKW. Bernd und Franziska landeten höchst unsanft im Fußraum. Sie hatten sich noch nicht wieder erhoben, da sprangen schon mehrere uniformierte Polizisten in den

Bus und hielten den verletzten Gangsterboss in Schach. Bernd richtete sich auf. Er half Franziska auf die Beine. Andreji Sokolow starrte ihn hasserfüllt an. „Ich wusste, dass man Ihnen nicht trauen darf, Schuster!“, knurrte er. „Leider habe ich Ihnen nicht genug misstraut.“ „Sie sind nicht der Erste, der mich unterschätzt hat“, sagte Bernd. „Vielleicht ist Ihnen das ein Trost.“ Krankenwagen trafen ein. Man nahm sich der Verletzten an. Bernd stieg mit Franziska aus dem Bus und sie lehnte sich seufzend an ihn. „Der edle Ritter hat die schwache Prinzessin wieder mal gerettet“, sagte sie ärgerlich. „Mein Schuldenkonto bei dir wächst und wächst.“ Bernd strich über die goldene Fülle ihres Haares. „Darüber würde ich mir an deiner Stelle keine Gedanken machen.“ Franziska erklärte: „Sie stürzten ins Büro ohne anzuklopfen. Ein Glatzkopf und...“ „... ein Kerl mit eingeschlagenem Nasenbein und Blumenkohlohren“, sagte Bernd. Franziska sah ihn überrascht an. „Du kennst die beiden?“ „Das waren Michail Petrow und Sebastian Eckels.“ „Sie fielen über mich her. Ich hatte keine Chance, mich zu wehren.“ „Das glaube ich dir gern“, sagte Bernd. „Sie brachten mich zu Sokolow, und was der mir in Aussicht stellte, hörte sich alles andere als rosig an.“ „Es ist vorbei“, sagte Bernd, um sie zu beruhigen. Er spürte, wie sie zitterte, und sie gestand ihm, dass sie große Angst gehabt hatte. Sie wollte wissen, wieso es hier so von Polizisten wimmelte.

„Ich habe Horst verraten, wo der LKW steht“, sagte Bernd lächelnd. „Sicherheitshalber nahm ich auch noch einen Minisender mit, damit ich keinesfalls abhandenkommen konnte. Wir hatten während der ganzen Fahrt ein paar Polizisten in unserer Nähe.“ Bernd holte die Roth Händle-Packung aus der Innentasche seines Jacketts. Eine von den Zigaretten war präpariert. Er zeigte es Franziska und bemerkte schmunzelnd: „Du weißt, dass ich nur höchst ungern ohne Netz arbeite.“ Er wollte die Roth Händle wieder einstecken, da griff eine Hand an ihm vorbei nach den Zigaretten und bediente sich. Bernd brauchte den Kopf nicht zu wenden, um zu wissen, dass das Inspektor Südermann war. Horst zündete sich den ergatterten Glimmstengel sofort an. „Ein Erfolg, der sich sehen lassen kann“, bemerkte der Inspektor zufrieden. „Wir haben Sokolow und die Pelze.“ „Weiß man schon, wem sie gehören?“ „Noch nicht, aber das wird nicht mehr lange ein Geheimnis sein. Mal sehen, vielleicht kann ich für dich eine Wiederbeschaffungsprämie herausschinden. Allerdings nur dann, wenn du mir versprichst, dich in angemessener Form erkenntlich zu zeigen.“ „Du wirst von mir kriegen, was dir zusteht“, sagte Bernd grinsend. „Ein Päckchen Zigaretten und zwei Hot Dogs.“ „Das ist wahre Freundschaft", brummte der Inspektor.

16

Abgekämpft saßen Frank Schultheiss und Karl Reimann in einer ziemlich heruntergekommenen Eckkneipe, von denen West-Berlin so viele aufzuweisen hatte. Sie tranken Bier mit Schnaps. Frank war der Ansicht, dass die Sache für sie gelaufen war. Sie hatten sich übernommen. Es war eben doch nicht so einfach, auf die Schnelle zu einer halben Million zu kommen. Sie hatten sich das zu einfach vorgestellt, daran war ihre Ahnungslosigkeit in diesen Dingen schuld. Und sie mussten auch noch das Pech haben, sich am Eigentum von Gangstern zu vergreifen, was prompt einen von ihnen das Leben gekostet hatte. „Verdammt!“, knirschte Karl Reimann wütend. „Verdammt, Frank.“ „Komm, Karl. Lass es gut sein. Der Traum ist zu Ende. Wir werden nie eine eigene Yacht besitzen. Wir müssen froh sein, dass die Sache für uns so glimpflich abgegangen ist.“ „Froh sein?“, fragte Karl, als hätte er sich verhört. „Diese verdammten Hundesöhne wollten uns killen, wir stehen mit leeren Händen da und ohne Zukunft, und du sagst, wir müssen froh sein! Das kannst du doch nicht ernst meinen.“ „Georg ist schlimmer dran“, gab Frank Schultheiss zu bedenken. „Wir haben uns strafbar gemacht. Kriege ich von dir jetzt auch noch den glorreichen Vorschlag zu hören, es wäre das Vernünftigste, uns der Polizei zu stellen?“ „Wir haben auf der ganzen Linie verloren, Karl.“ Reimann kniff die Augen zusammen. „Und wem haben wir das zu verdanken?

Karlheinz Hansen! Der Hehler hat uns eiskalt ans Messer geliefert.“ „Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“, meinte Frank Schultheiss. „Ich glaube, ich höre schon wieder nicht richtig. So kann nur einer reden, hinter dem ein reicher Vater steht. Klar, für dich sieht die Zukunft nicht so übel aus. ,Komm zurück, Frank! Alles verziehen!' Ich habe leider keinen so mächtigen, verständnisvollen Daddy, in dessen Arme ich flüchten kann. Für mich geht dieser Kampf weiter. Genau genommen haben wir nie zusammengehört, Frank.“ „Das darfst du nicht sagen. Wir sind Freunde.“ „Wir kommen aus grundverschiedenen Gesellschaftsschichten. Ich komme von ganz unten, du von ziemlich weit oben. Irgendwann werden wir so sein wie unsere Väter. Du reich. Ich bettelarm. Ich werde trinken und mein Leben verfluchen. Ich werde resigniert haben und wehmütig daran denken, dass ich mich ein einziges Mal gegen das Schicksal aufgelehnt habe und dabei gehörig auf die Schnauze gefallen bin. Aber eines wird es bei mir nie geben, Frank: offene Rechnungen! Was dieser Hehler getan hat, ist unverzeihlich. Das schreit nach Rache.“ „Rache, Karl. Wozu soll die denn noch gut sein?“ „Man hat Georg eiskalt ermordet. Wir sind es unserem toten Freund schuldig, den Verräter zu bestrafen.“ „Dadurch wird Georg auch nicht wieder lebendig.“ Karl nickte. „Ich hab’s von Anfang an gewusst. Du hast nie richtig zu uns gehört. Uns trennen Welten, Frank. Wenn Georg noch leben würde, wenn es dich statt seiner erwischt hätte, er würde nicht zögern, Vergeltung zu fordern. Georg war wie ich. Für uns gelten andere Gesetze. Die Gesetze der Straße. Von denen hast du keine Ahnung. Du bist ja wohlbehütet aufgewachsen. Dein Vater hat dem kleinen Frank stets alle Steine aus dem Weg geräumt, damit er nur ja nicht stürzt und sich weh tut. Um mich hat sich niemand gekümmert. Wenn ich gestürzt bin, konnte ich noch so laut plärren, es hat sich keiner darum geschert. Das setzt im Leben anscheinend andere Werte. Wahrscheinlich reagiert man dann auf alles empfindlicher und ist eher bereit, sich zu wehren. Du bist also der Ansicht, Karlheinz Hansen solle ungeschoren davonkommen.“

„Ich bin dafür, dass wir uns geschlagen geben“, sagte Frank. „Es gibt für uns nichts mehr zu gewinnen, Karl. Wir können alles nur noch schlimmer machen, wenn wir nicht zur Einsicht kommen.“ „Na schön“, sagte Karl Reimann grimmig. „Dann lege ich den Hehler eben allein um. Wenn du nicht weißt, was deine Pflicht ist... Ich habe nicht die Absicht, mich davor zu drücken. Ich gehöre nicht zu denen, die die rechte Backe hinhalten, wenn man sie auf die linke geschlagen hat. Man hat mich schon zu oft geschlagen, verstehst du? Deshalb schlage ich zurück.“ Frank trank sein Bier aus. Er wischte sich mit dem Handrücken über den feuchten Mund. „Was du vorhast, ist Mord, Karl.“ „Das weiß ich.“ „Hast du schon mal einen Menschen umgebracht? Weißt du, wie das ist? Bist du überhaupt fähig, so etwas zu tun?“ „In diesem Fall ja, denn Karlheinz Hansen ist ein Schwein. Ohne seinen Verrat würde Georg noch leben.“ „Ich sage dir, du wirst nicht die Kraft aufbringen, den Mann zu erschießen. Er wird dir in die Augen sehen. Er wird um sein Leben betteln. Und du wirst es nicht übers Herz bringen abzudrücken, denn du bist kein Mörder. Du bist ein Dieb, ein Räuber. Aber du kannst einem Menschen nicht das Leben nehmen.“ Karl Reimann kniff die Augen zusammen. „Ich werde dir das Gegenteil beweisen. Du wirst es in der Zeitung lesen.“ Frank seufzte schwer. Er wusste nicht mehr, wie er den Freund doch noch umstimmen konnte. Karl musterte ihn lange schweigend. Dann sagte er: „Das war’s dann wohl. Hier trennen sich unsere Wege. Kehrst du zu deinem Vater zurück?“ „Ich weiß es noch nicht.“ „Natürlich tust du das. Wohin solltest du sonst gehen?“

„Wir könnten zusammenbleiben.“ „Wir beide?“, fragte Karl und schüttelte den Kopf. „Das bringt nichts. Es ist besser, wenn wir von nun an getrennte Wege gehen.“ „Finde ich nicht.“ „Wenn ich bei Hansen war, werden die Bullen mich jagen. Es ist besser für dich, wenn du dann nicht mehr bei mir bist.“ Frank Schultheiss blickte dem Freund in die Augen. „Soll ich dir etwas verraten? Ich hab’s mir soeben überlegt. Ich werde dich zu Karlheinz Hansen begleiten.“ Karl Reimann riss überrascht die Augen auf. „Ist das dein Ernst?“ „Mein vollster“, sagte Frank und streckte dem Freund die Hand entgegen. Karl zögerte kurz, dann schlug er ein.

17

Andreji Sokolow und seine Männer wurden in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Zwei der Gangster mussten sofort operiert werden und landeten anschließend auf der Intensivstation. Sokolow und dem Typ mit dem Gorillagesicht ging es nach der ambulanten Behandlung so gut, dass man sie anschließend in die Keithstraße überstellen konnte. Sie wurden getrennt. Um Sokolow kümmerten sich Inspektor Südermann und dessen Stellvertreter Wilhelm Krone. Den andern Verbrecher nahmen sich die Vernehmungsspezialisten vor. Natürlich wusste Andreji Sokolow, wie der Hase lief. Sagst du ja, bleibst du da ... Deshalb bestritt er grundsätzlich alles, was ihm Horst Südermann und Wilhelm Krone anlasteten. Das Einzige, was er bestätigte, war sein Name, seine Adresse und sein Geburtsdatum. Und selbst das schien er nur höchst ungern zuzugeben. Horst und Wilhelm gönnten ihm eine kleine Verschnaufpause. Sie begaben sich auf den Flur. Da Bernd Schuster nicht in der Nähe war, schnorrte sich der Inspektor von Wilhelm eine Zigarette. „Ziemlich hartnäckiger Brocken“, bemerkte der sommersprossige Krone. „Er ist ein Idiot“, erklärte Horst und blies den Rauch an ihm vorbei. „Was denkt er, noch retten zu können?“ „Wetten, er wird nach seinem Anwalt schreien, wenn wir wieder reinkommen?“ „Ich werde ihn nicht daran hindern, ihn anzurufen“, sagte Horst. „Aber nicht einmal, wenn sein Anwalt zaubern könnte, würde es ihm gelingen, ihn loszueisen. Diesmal kriegt Sokolow sein Fett. Das bleibt ihm nicht erspart.“

Nach der Zigarettenpause kehrten sie zu Andreji Sokolow zurück, und es war so, wie Krone es vorhergesehen hatte. Der Gangsterboss verlangte energisch nach seinem Anwalt. Als dieser dann eintraf und ihm, nachdem er sich einen Überblick über den Sachverhalt verschafft hatte, erklärte, es wäre das Beste, ein umfassendes Geständnis abzulegen, bekam Sokolow einen Tobsuchtsanfall. Und dann gestand er.

18

Sie warteten in Karlheinz Hansens Büro. Fünfundvierzig Minuten waren seit ihrem Eintreffen vergangen, aber der Hehler machte ihnen nicht die Freude zu erscheinen. „Vielleicht hat er’s mit der Angst zu tun gekriegt und hat die Stadt verlassen“, nahm Frank Schultheiss an. Karl Reimanns Gesicht sah aus, als wäre es aus Stein gehauen. „Er wird früher oder später aufkreuzen, und dann wird er sterben.“ Frank gab es einen Stich. Er hörte diese Worte nicht gern. Er war mit Karl nicht hergekommen, um den Hehler zu töten. Er hatte Karl hierher begleitet, um diesen sinnlosen Mord zu verhindern. Er hatte es schon leicht anklingen lassen, dass man den Hehler auch anders bestrafen könnte, aber Karl war noch nicht darauf eingegangen. ‚Er wird es nicht tun‘, sagte sich Frank immer wieder. ‚Er ist jetzt noch wütend, aber das wird sich legen. Bald wird er die Kraft nicht mehr dazu aufbringen, Hansen so sehr zu hassen, dass es reicht, ihn zu erschießen. Außerdem bin ich ja auch noch da‘. Frank Schultheiss blickte sich mit unstetem Blick um. Die Zeit verging schleppend, aber das war nicht so schlecht, denn mit jeder Minute wurde Karls Wut schwächer. Die beiden saßen in tiefen Sesseln. Eine innere Unruhe scheuchte Karl jetzt hoch. Er ging im Büro ungeduldig auf und ab und setzte sich schließlich an Hansens Schreibtisch. Die Pistole legte er vor sich hin. Geistesabwesend starrte er auf die Tür, durch die der verhasste Hehler endlich eintreten sollte. Schräg hinter ihm befand sich ein klotziger Panzerschrank. Sie hatten gleich bei

ihrer Ankunft versucht, ihn zu öffnen. Es war ihnen aber nicht gelungen. „Wir werden ihn zwingen, den Tresor aufzumachen“, sagte Frank. „Kann sein, dass er eine schöne Stange Geld darin aufbewahrt. Wenn wir es ihm wegnehmen, wird es ihn bestimmt sehr schmerzlich treffen. Kerle wie er hängen wahnsinnig am Geld. Sie beten den Mammon geradezu an. Wir nehmen uns alles, was da ist. Das wird für ihn ein schmerzhafter Tiefschlag sein.“ „Er wird bis zuletzt denken, sich damit freikaufen zu können, aber zu guter Letzt wird ihm eine Kugel zwischen die Augen nicht erspart bleiben“, sagte Karl. Frank hielt den Atem an. Es würde nicht leicht sein, den Freund zur Vernunft zu bringen, aber es musste ihm gelingen. Was sie bis jetzt getan hatten, war noch nicht so schlimm. Kritisch wurde ihre Lage erst, wenn sie’s mit einem Mord übertrieben. Einen Mann zu töten, war das Furchtbarste, das sie tun konnten. Frank vernahm ein Geräusch und zuckte zusammen. Sein Freund griff sofort zur Pistole. Karlheinz Hansen traf endlich ein.

19

„Ich bringe dich nach Hause“, hatte Bernd Schuster zu seiner Sekretärin gesagt. Auf seinen Wink hin war ein Taxi stehengeblieben. Sie waren eingestiegen, aber Franziska hatte dem Fahrer nicht ihre Adresse genannt, sondern die Anschrift von Bernds Büro. „Meine Arbeitszeit ist noch nicht zu Ende“, sagte sie. Bernd grinste. „Du willst mir wohl beweisen, wie hart du im Nehmen bist. Das ist nicht nötig. Ich glaub’s dir auch so. Du hast eine Menge Aufregungen hinter dir ...“ „Von denen ich mich am besten bei der Arbeit erhole“, fiel das blonde Mädchen dem Detektiv ins Wort. „Ich bin okay, Bernd, wirklich. Betrachten wir’s doch mal ganz nüchtern. Was ist denn schon Großartiges iert? Petrow und Eckels haben mich abgeholt und zu Sokolow gebracht. Dort verbrachte ich einige Zeit in einem Raum, dessen Fenster vergittert sind, und anschließend machte ich eine Autobusfahrt.“ Bernd lachte. „Wenn man sich das so anhört, war es wirklich überhaupt nicht aufregend.“ „Sag’ ich doch.“ Im Büro bekam Franziska einen doppelten Scotch. Dann wollte sie im Aschenbecher die Nachricht verbrennen, die für Bernd auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte. Der Detektiv hinderte sie jedoch daran. „Man darf kein Beweisstück vernichten, merk dir das. Diesen Wisch bekommt Inspektor Südermann“, erklärte er. „Wird der sich freuen!“ Bernd gab Franziska einen freundschaftlichen Klaps auf die Kehrseite.

„Kann ich dich schon wieder allein lassen?“, erkundigte er sich. „Ich nehme nicht an, dass mich gleich wieder jemand kidnappen wird.“ „Dann bis später“, sagte Bernd und ging.

20

Die Tür schwang auf, und Karlheinz Hansen erstarrte. Karl Reimanns Pistole wies auf die Brust des Hehlers. „Da laufen dir die Gläser deiner Brille an, was?“, sagte Karl frostig. „Damit hast du nicht gerechnet, wie? Uns wiederzusehen, nachdem du uns ans Messer geliefert hast. Komm herein, Verräterschwein. Schließ die Tür!“ Hansen stakste zwei Schritte vorwärts und drückte die Tür hinter sich zu. Er war blass geworden. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Nervös rückte er sich die Hornbrille zurecht. „Was war das für ein Gefühl, als wir gingen?“, fragte Karl Reimann. „Du wusstest, dass uns der Tod erwartet. Weißt du, wie scheußlich es ist, zu wissen, dass man nur noch wenige Augenblicke zu leben hat? Hast du das schon mal am eigenen Leib erfahren? Nein? Dann wird es dafür langsam Zeit. Sie haben unseren Freund gnadenlos umgelegt. Als wir in die Pension kamen, war er bereits tot, und sie wollten auch uns erschießen. Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich Angst hatte, hundsgemeine Angst. Und ich schwor mir, dass ich dich töten würde, falls ein Wunder mich retten sollte. Und nun bin ich hier. Um dich zu erschießen.“ Der Hehler hob unaufgefordert die Hände. Sein Blick pendelte zwischen Karl Reimann und Frank Schultheiss hin und her. Schultheiss schien mit dem, was sein Freund sagte, nicht einverstanden zu sein. Darin witterte Karlheinz Hansen eine winzige Chance. „Wollen Sie mich auch erschießen?“, fragte der Hehler den Sohn des Zeitungsverlegers. „Sind Sie genauso rachsüchtig wie Ihr Freund?“ „Ich bin der Meinung, dass Sie für diesen Verrat büßen sollen“, erwiderte Frank Schultheiss.

„Ich soll mit meinem Leben bezahlen?“ Frank blickte Hansen mit schmalen Augen an. „Wie wär’s mit Geld?“ „Geld.“ Der Hehler überlegte blitzschnell. Im Tresor befanden sich 25.000 Mark. Würde er sich damit freikaufen können? „Geld“, wiederholte er und nickte. „Es gibt nichts auf der Welt, das sich mit Geld nicht regeln ließe.“ „Vielleicht kommen wir doch noch ins Geschäft“, sagte Frank. Der Hehler wies nervös auf Karl Reimann. „Wie steht er dazu?“ „Ich nehme an, er macht seine Entscheidung davon abhängig, wie viel Sie zu bieten haben.“ „25.000“, sagte Hansen. „Bar, auf die Hand.“ „Mehr ist dir dein mieses Leben nicht wert?“, fragte Karl Reimann aggressiv. „Mehr befindet sich nicht im Safe“, sagte der Hehler. „Wenn Sie eine größere Summe verlangen, müsste ich zur Bank...“ Reimann wedelte mit der Pistole unwillig hin und her. „Nichts da. Du bist hier und bleibst hier. Wir lassen dich nicht wieder weg. Für wie dämlich hältst du uns? Wir mussten lange auf dich warten.“ Karl Reimann erhob sich. Er forderte Hansen auf, näher zu kommen. Zaghaft setzte sich der Hehler in Bewegung. „Ich, ich hatte keine andere Wahl“, verteidigte Karlheinz Hansen sich krächzend. „Ihr hattet Andreji Sokolow bestohlen, ausgerechnet den. Ich wusste von dem Diebstahl schon, bevor ihr zu mir kamt. Man machte mir klar, dass ich ein toter Mann wäre, wenn ich das Geschäft mit euch machen würde.“ „Du wolltest wissen, wo wir zu erreichen wären, und wir waren so blöd, es dir zu sagen“, blaffte Reimann. „Kaum waren wir zur Tür raus, hast du Sokolows Killer angerufen.“

„Was hätte ich anderes tun sollen?“, fragte der Hehler unglücklich. „Hätte es nicht genügt, zu sagen, das Geschäft wäre zu groß für dich? Wir hätten auch jede andere Ausrede akzeptiert. Musstest du uns unbedingt ans Messer liefern?“ Karlheinz Hansen schwieg schuldbewusst. Er rechnete mit Schultheiss‘ Unterstützung. Von Reimann hatte er keine Schonung zu erwarten. Er dachte an Bernd Schusters Besuch. Nachdem der Detektiv gegangen war, hatte er seine Pistole in den Tresor gelegt. Da lag sie noch. Reimann war zwar voller Hass und nicht ungefährlich, aber er war auch noch jung und unerfahren. 25.000 Mark waren eine Menge Geld. Er hatte so viel wahrscheinlich noch nie auf einem Haufen gesehen. Das Geld würde ihn verwirren, und in diese Verwirrung hinein würde ein Schuss krachen. Reimann wies auf den Panzerschrank. „Aufmachen!“ „Ja“, beeilte sich Hansen zu sagen. „Sofort.“ Er dachte an seine Pistole, mit der sich diese äußerst unangenehme Situation bereinigen ließ. Er würde zuerst auf Reimann schießen, das war klar, aber er konnte auch Schultheiss nicht schonen. Nur wenn beide tot waren, konnte er behaupten, sie hätten ihn in seinem Büro überfallen, um ihn zu berauben. Es war sein gutes Recht, sein Eigentum vor solchen Verbrechern zu schützen. Wenn nicht anders, dann mit der Waffe in der Hand. Das Gericht würde ihm Notwehr zugestehen, und er würde als freier Mann nach Hause gehen. Doch noch war die Sache kritisch und stand auf des Messers Schneide. Reimann und Schultheiss durften nicht Verdacht schöpfen, sonst ging der Schuss

buchstäblich nach hinten los. „Ich ... ich tue alles, was Sie wollen“, sagte der Hehler unterwürfig. Reimann sollte erkennen, wie sehr er sich fürchtete. Der Junge sollte nicht im Entferntesten auf die Idee kommen, der Mann, den er töten wollte, rechnete sich noch eine Chance aus. Hansen trat vor den Tresor. Er rieb sich die feuchten Hände am Jackett trocken und drehte dann die Rädchen der Zahlenkombination. Ein leises, kaum wahrnehmbares Ratschen drang an Hansens Ohr. Viel deutlicher war das aufgeregte Atmen des jungen Mannes zu hören, der nur drei Schritte vom Panzerschrank entfernt stand. ‚Wenn er die Pistole zu früh sieht, schießt er‘, dachte der Hehler. ‚Ich muss sofort die Hand auf die Waffe legen‘. Die letzte Ziffer. Karlheinz Hansens Kopfhaut spannte sich. Jetzt hing sehr viel davon ab, dass Reimann ihm nichts anmerkte. Er zog die dicke Panzertür auf und griff in den Schrank. Seine Finger berührten das kalte Metall der Waffe. „Weg da!“, keuchte Karl Reimann und stieß den Hehler kraftvoll zur Seite. Damit hatte Karlheinz Hansen nicht gerechnet. Er fiel um. Die Pistole nahm er mit. Voller Wucht landete er auf dem Boden. Ein glühender Schmerz flammte in seinen Ellenbogen auf. Seine Hände waren für einen Moment wie taub. Er hätte nicht schießen können. Es befand sich keine Kraft in seinen Fingern. Für Karl Reimann sah es aber so aus, als hätte der Hehler die Waffe in Anschlag gebracht. Der junge Mann reagierte darauf mit wilder Panik und hellem Entsetzen. Er sah

die Pistole auf sich gerichtet und rechnete damit, dass Karlheinz Hansen schneller durchziehen würde. Ihm war klar, dass er der Erste sein musste. Für einen weiteren Gedanken hatte er keine Zeit. Nur Schnelligkeit konnte ihn jetzt noch retten. Frank Schultheiss sah die Pistole nicht in Hansens Hand. Der Schreibtisch verdeckte den halben Mann. Frank sah nur, was Karl tat, und das war schrecklich für ihn, denn er sah sich außerstande, den Freund daran zu hindern. „Karl!“, brüllte er. Sein Schrei fiel zeitlich mit dem Krachen des Schusses zusammen. Frank sah, wie sich der Hehler auf dem Boden ausstreckte und nicht mehr rührte. Frank stürzte sich auf den Freund, obwohl es keinen Sinn mehr hatte. „Bist du wahnsinnig?“ Frank stieß Karl gegen die Wand. „Du hast es getan. Du hast es wirklich getan. Ich hatte gehofft, dich umstimmen zu können. Du Mörder, du bist nicht besser als er und all die andern. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben.“ Es war auch für Karl ein Schock, dass er den Hehler erschossen hatte. Er starrte Frank aus weit aufgerissenen Augen an. „Begreifst du nicht? Ich musste es tun. Es, es war Notwehr. Er wollte mich erschießen. Er hatte eine Pistole im Tresor.“ „Du lügst!“, schrie Frank verstört. „Er hat sie noch in der Hand. Ich musste mich schnell entscheiden, hatte keine Zeit, mir irgendetwas zu überlegen. Er oder ich. Da habe ich abgedrückt. Ich hätte ihn wahrscheinlich nicht erschossen, Frank. Du musst es mir glauben. Ich habe ihn zwar gehasst, aber ich spürte ganz genau, dass ich die Kraft nicht aufbringen würde, ihn zu töten. Selbst die Tatsache, dass er Schuld an Georgs Tod hatte, reichte nicht aus. Ich, ich bin kein Mörder, Frank.“ Frank Schultheiss nickte niedergeschlagen und umarmte den Freund. „Ich glaube dir, Karl.“

21

Früher oder später würden Frank Schultheiss und Karl Reimann bei Karlheinz Hansen aufkreuzen, das stand für Bernd Schuster fest. Es war noch eine Rechnung offen. Bernd hatte es noch im Ohr, wie Reimann geschrien hatte, er würde Hansen umbringen. Die Frage war also nur, wann Frank und Karl bei dem Hehler erscheinen würden. Und nicht einmal das war mehr eine Frage, als Bernd das Haus betrat. Er hörte einen Schuss und wusste, dass Schultheiss und Reimann bereits da waren. Er zog die Reserveautomatik, die er dem Handschuhfach seines Mercedes entnommen hatte, und hetzte die Treppen hoch. Mit einem Tritt stieß er die Tür auf. Dann sprang er vorwärts und hielt die 38er dabei mit beiden Händen hoch. Zum dritten Mal hatte er Frank gefunden, und diesmal würde er dafür sorgen, dass ihm der Junge nicht wieder durch die Lappen ging. Er sah Karlheinz Hansen auf dem Boden liegen, die Augen hinter der Hornbrille weit aufgerissen. Der Blick war gebrochen. Frank Schultheiss und Karl Reimann umarmten einander, als suchte einer beim andern Halt. Bernd befahl ihnen, sich nebeneinander an die Wand zu stellen. „Keine Bewegung!“, sagte er scharf. „Keine Tricks, Jungs. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich angesichts dieses Toten ziemlich nervös bin. Wer hat ihn erschossen?“ „Wir!“, sagte Frank. „Ich war es“, gestand Karl Reimann. „Ich gebe zu, ich wollte den Tod unseres Freundes rächen, hätte es dann aber doch nicht fertiggebracht, Hansen zu töten.

Als er aber seine Pistole auf mich richtete, verlor ich vor Angst fast den Verstand. Sie bringen uns jetzt ins Gefängnis, nicht wahr?“ „Es ist meine Pflicht, euch der Polizei zu übergeben“, sagte Bernd. Aber daraus sollte vorerst nichts werden, denn der Russe und sein Komplize hatten dieselbe Idee gehabt wie Bernd Schuster. Sie hörten, was er sagte, und wollten sein Vorhaben vereiteln. Da sie sich mit nichts besser auszudrücken verstanden als mit ihren Pistolen, ließen sie die sprechen. Es kam zu einer Neuauflage des U-Bahn-Kampfes. Bernd hechtete hinter ein Sofa, und die erste Gangsterkugel, die abgefeuert wurde, riss Frank Schultheiss um. Als Karl Reimann den Freund stürzen sah, drehte er durch. Er schoss Sebastian Eckels nieder. Liegend feuerte der Ex-Boxer zurück und traf den Jungen tödlich. Der Russe versuchte sich Bernd zu holen. Vorsichtig kam er näher. Der Detektiv wartete. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Bernd konzentrierte sich auf die Schritte des Gangsters. Er drehte sich lautlos und setzte die Füße gegen das Sofa. Als Michail Petrow nahe genug war, rammte er ihm die Sitzgelegenheit gegen die Beine. Petrow fiel nach vorn. Sein Kopf ragte über die Lehne, und Bernd Schuster ließ sogleich seine Faust nach oben sausen. Der Russe gab einen grunzenden Laut von sich und kippte benommen zur Seite. Bernd sprang auf. Der angeschlagene Gangster fiel mit dem Sofa krachend um, stand aber im nächsten Moment schon wieder auf den Beinen. Sie verloren beide ihre Pistolen, kämpften mit Fäusten, Handkanten und Füßen. Es ging in Karlheinz Hansens Büro dabei eine Menge zu Bruch. Bernd bekam den Russen immer besser unter Kontrolle. Sein Fintenreichtum

brachte Petrow ins Schwimmen. Immer wieder gelang es ihm, den Kahlkopf zu überraschen, und sein Untergang zeichnete sich ab. Da setzte der Russe noch einmal alles auf eine Karte. Sein Tritt kam für Bernd völlig unerwartet. Er krümmte sich stöhnend, japste nach Luft und bemerkte verschwommen, wie sich der Russe seine Pistole wiederholte. Jetzt schwang die Waffe hoch, und Bernd starrte in das schwarze Mündungsauge. ‚Aus!‘, durchfuhr es ihn. Diesmal schaffst du’s nicht mehr. Der Russe sah ihn hasserfüllt an. Mitleidlos und eisig war seine Miene. Es bestand kein Zweifel, dass er abdrücken würde. Und Bernd konnte es nicht verhindern. Es war ein scheußliches Gefühl, das von ihm Besitz ergriff, und als er den Knall hörte, zuckte er heftig zusammen. Aber er spürte keinen Schmerz, nicht einmal den harten Schlag der Kugel. Es riss ihn auch nicht zu Boden. Er blieb stehen, war unverletzt. Unmöglich! Auf diese Distanz schoss doch ein Mann wie Petrow nicht daneben. Was war iert? Über Petrows Gesicht breitete sich mit einem Mal ein ungläubiger Ausdruck. Sein Mund öffnete sich, und ein dünner Blutfaden sickerte über die Lippe. Er hatte nicht geschossen. Er war getroffen worden. Jetzt öffnete sich langsam seine Hand, und die Pistole rutschte aus seinen Fingern. Er brach zusammen, und Bernd konnte sehen, wer hinter dem Russen stand. Frank Schultheiss. Der Junge hatte eine Kugel im Bein, verlor viel Blut. Er hielt Bernds 38er in der Hand und hatte dem Detektiv damit das Leben gerettet. Bernd würde nicht vergessen, das zu erwähnen.

Es würde dem Jungen mildernde Umstände einbringen. Bernd nahm ihm die Automatik ab und schob sie in seinen Gürtel. Dann stellte er das Sofa auf und sagte: „Setz dich, Junge.“ Frank bewegte sich mechanisch und nahm willenlos Platz. Bernd legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du hast im genau richtigen Moment eingegriffen. Dafür möchte ich dir danken.“ Hörte Frank überhaupt, was er sagte? Bernd band ihm mit seiner Krawatte den Oberschenkel oberhalb der Schussverletzung ab, um die Blutung einzudämmen. Dann kümmerte er sich um Petrow und Eckels. Beide Gangster waren schwer verletzt und kampfunfähig. Aber sie würden nicht sterben, wenn sie schnell genug ärztliche Hilfe bekamen, und dafür wollte Bernd sorgen. Es genügte, dass er Horst Südermann anrief. Alles andere würde der Inspektor veranlassen. Horst hörte sich Bernds Bericht an und beglückwünschte ihn anschließend zum Erfolg, der ohne Frank Schultheiss‘ Unterstützung nicht zustande gekommen wäre. Nach diesem Gespräch rief Bernd den Zeitungsverleger an, denn der Vater des Jungen saß schon lange auf glühenden Kohlen, und Bernd hatte endlich die Möglichkeit, ihn von dort herunterzuholen. Werner Schultheiss stieß einen Freudenschrei aus. Die Tatsache, dass sein Sohn verletzt war, gab ihm dann aber einen Dämpfer. „Ist es schlimm, Herr Schuster?“, fragte er besorgt. „Er wird es überleben.“ Der Verleger wollte unbedingt mit seinem Jungen sprechen. Bernd hielt Frank den Hörer hin.

„Dein Vater“, sagte er. Frank blickte ihn unsicher an und wagte nicht, nach dem Hörer zu greifen. Bernd nickte ihm aufmunternd zu. „Nun mach ihm schon die Freude“, bat er. Frank übernahm den Hörer. „Hallo, Papa“, sagte er dünn. Mehr brachte er nicht heraus. Es war bestimmt lange her, seit er zum letzten Mal so herzzerreißend geweint hatte. Zwischendurch sagte er immer wieder abgehackt: „Es tut mir leid, Paps... So schrecklich leid ...“ Bernd nahm ihm den Hörer aus der Hand. Werner Schultheiss wollte wissen, wo sich sein Sohn befand. Bernd nannte ihm Karlheinz Hansens Adresse. „Ich komme sofort“, sagte der Verleger, dann war die Leitung tot. Er erschien noch vor der Polizei und schloss seinen Sohn innig in die Arme. „Nun wird alles, alles gut, Frank“, sagte Werner Schultheiss ergriffen. „Sorgen Sie dafür, dass er einen guten Anwalt bekommt“, riet Bernd Schuster dem Verleger. „Den wird er nämlich brauchen.“ „Der beste Strafverteidiger Berlins wird sich seiner annehmen“, versicherte Werner Schultheiss. „Hab keine Angst, mein Junge. Es wird nicht so schlimm werden. Du hast einen Vater, der stets zu dir halten wird, daran musst du immer denken. Egal, was kommt, ich bin immer für dich da. Es ist noch nicht zu spät, umzukehren.“ Horst traf ein, und die Verletzten wurden abtransportiert. Werner Schultheiss machte die Fahrt ins Krankenhaus mit. Der Inspektor blickte sich um. „Du hast hier ganz schön gewütet.“ „Das war ich nicht allein“, erwiderte Bernd. Am Abend tat es gut, mit Franziska Jahn nett auszugehen, und sie verstand es in

der weiteren Folge großartig, ihn die vergangenen Strapazen vergessen zu lassen. Er fühlte sich rundum wohl. Zwei Tage danach rief die Gesellschaft an, bei der die Pelze versichert gewesen waren. Man bat Bernd höflich, vorbeizukommen, und in der Chefetage wurde ihm dann nicht nur mehrfach dankbar die Hand geschüttelt, sondern auch ein Scheck überreicht, auf dem eine ansehnliche Summe stand. Er nahm ihn an, um des lieben Friedens willen. Er wollte all die freundlichen Leute schließlich nicht vor den Kopf stoßen. ENDE

Für Kunst kann wird auch gemordet ...

Berlin 1968 Kriminalroman Band 29 von Tomos Forrest & A. F. Morland Berlin steht eine Sensation bevor. Der Millionär Mark L. Schwartz will zum ersten Mal seine Kunstsammlung in einer Charlottenburger Villa präsentieren. Neben Dali, Kokoschka und anderen bekannten Namen besteht ein Teil aus Grafiken ebenfalls bekannter, zeitgenössischer Künstler. Da kann es nicht ausbleiben, dass auch ein paar Verbrecher ihre Pläne machen, wie man an die wertvollsten Stücke gelangt. Für Bernd Schuster wird die Sicherung der Sammlung zu einer großen Herausforderung, denn der Drahtzieher bei dem geplanten Kunstraub ist ein alter Bekannter von ihm...

1

26. Juni 1963. Bernd Schuster war gerade erst von Frankfurt nach Berlin übergesiedelt, zusammen mit Tochter Lucy. Die Wohnung, die beide in Berlin-Frohnau bezogen, genügte den ersten Ansprüchen, aber Bernd war eifrig dabei, in jeder freien Minute die Zeitungsanzeigen durchzulesen, um für sie eine schönere, größere und modern geschnittene Wohnung zu finden. Möglichst in der Innenstadt. Aber der heutige Tag sah Vater und Tochter vergnügt dem Rathaus Schöneberg zustreben, zusammen mit vielen anderen Schaulustigen. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy war in die geteilte Stadt gekommen, und nun wollten die Berliner diesen charismatischen und sehr beliebten Präsidenten möglichst hautnah erleben. Sie stimmten beide ausgelassen in den Jubel ein, als Kennedy die Worte aussprach, die zur Legende werden sollten: „Ich bin ein Berliner!“ „Das Erlebnis feiern wir gemeinsam, Lucy. Auf was hast du jetzt Lust?“, erkundigte sich Bernd, als beide wieder unterwegs waren, um zum weit entfernt geparkten Wagen zu gehen. „In’s Kino, Papa!“ „Heute? Kino?“ „Ja, es gibt doch den ersten Teil von Winnetou! Bitte, Papa, sag ja!“, bettelte die Zwölfjährige, und Bernd Schuster konnte nicht lange widerstehen. Gemeinsam gingen sie in die Nachmittagsvorstellung, so dass Lucy rechtzeitig nach Hause kam und früh ins Bett ging, um am nächsten Tag pünktlich aus den Federn zu kommen. „Das war ein schöner Tag, Paps!“, sagte sie glücklich, als er sich an ihrem Bett verabschiedete. „Und ja, ich weiß, dass du noch einmal losmusst. Ich bin ein

großes Mädchen und kann schon mal allein bleiben! Also – gute Nacht!“ Noch eine Weile lauschte Bernd im benachbarten Wohnzimmer. Er hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Lucy, aber es nutzte alles nichts. Heute würde die Falle zuschnappen, und ein gefährlicher Verbrecher von den Straßen Berlins verschwinden. Bernd überprüfte seine Beretta, schob sie in das Schulterhalfter und startete.

*

Er war einer von denen, die wussten, wann eine Sache verloren war. Bernd Schusters Beretta wies auf seine breite Brust, und er wäre verrückt gewesen, zu glauben, noch eine Chance zu haben. Mit einem überheblichen Grinsen, wie nur er es zustande brachte, ließ er die Beute fallen. Sie befand sich in einem schwarzen Stoffsack: zwanzigtausend Mark und noch ein paar Kleinigkeiten aus dem Safe der gegenüberliegenden Bar, der Chris Grothe einen nächtlichen Besuch abgestattet hatte. Seit einem Monat war Bernd Schuster hinter diesem raffinierten Kriminellen her. Endlich war es ihm gelungen, Chris Grothe auf frischer Tat zu ertappen. Über ihnen rollte ratternd eine S-Bahn über die Hochstrecke. Grothe hob langsam die Hände. „Mein Wagen steht dort drüben, Chris.“ Grothe bedachte ihn mit einem frostigen Blick. „Wohin fahren wir?“ „Keithstraße 30.“ „Okay. Gehen wir.“ Schuster winkte den gefährlichen Burschen mit dem Lauf seiner Beretta nach

links. „Drei Schritte, Chris.“ Der Gangster zählte sie grinsend ab: „Eins, zwei, drei. Recht so?“ „Ich bin zufrieden“, gab Bernd zurück. Er hob den Sack mit der Beute auf. Mit einem neuerlichen Wink veranlasste er Grothe, zu gehen. Sie erreichten den Mercedes. Bevor der Verbrecher einstieg, schenkte er Bernd Schuster ein mitleidiges Lächeln. Seine Augen sagten: Du armes Würstchen, was hast du denn schon Großartiges erreicht? Und sein Mund formte die Frage: „Meinen Sie, dass sich die Mühe wirklich gelohnt hat?“ Bernd grinste breit. „Ich denke schon.“ „Was werde ich kriegen? Sieben Jahre. Wenn ich mich gut führe, bin ich in fünf Jahren wieder frei. Fünf Jahre, Schuster. Was ist das schon? Die sitz‘ ich doch auf einer Backe ab.“ Fünf Jahre. Die Rechnung sollte für ihn tatsächlich aufgehen. Nach genau fünf Jahren – und keinem Tag länger – öffneten sich für Chris Grothe die Gefängnistore wieder. Er war jetzt siebenundzwanzig ... und voller neuer Pläne.

2

Bernd Schuster ließ seinen silbergrauen Mercedes 450 SEL vor der beeindruckenden Villa in Charlottenburg ausrollen. Es war ein Tag mit allem Drum und Dran: akzeptable Temperatur, blauer Himmel, lachende Sonne, Windstille. Ein Tag zum Angeln, zum Faulenzen, zum Menschsein. Aber wer nahm darauf schon Rücksicht. Es gab Klienten, die scherten sich nicht um die Schönheit eines Tages. Sie hatten andere Probleme. Probleme, die Bernd für sie lösen sollte. Schuster stieg aus dem Wagen. „Da wären wir“, sagte er zu seiner Assistentin Franziska Jahn. Die hübsche, blonde Frau war jedoch mehr für Bernd Schuster als nur eine jederzeit einsatzbereite Helferin. Seit zwei Jahren waren die beiden ein Paar, was Franziska aber nicht daran hinderte, ihn immer wieder zu bitten, bei seinen Einsätzen dabei sein zu dürfen. Ausgebildet in Karate und im ständigen Schießtraining, war sie ihm durchaus eine gute Hilfe. Aber er wollte sie aus allen wirklich gefährlichen Situationen, soweit das möglich war, heraushalten. Sie klappte die Tür auf der anderen Seite zu. „Von so einer Villa träume ich manchmal“, sagte sie bewundernd. „Muss herrlich sein, in so etwas zu wohnen.“ Bernd grinste. „Träumst du bei der Gelegenheit auch von der Miete, die dafür Monat für Monat hinzulegen ist?“ „Ich werde mich hüten. Es soll ja kein Albtraum sein.“ Sie hörten Arbeitsgeräusche: das Ächzen einer Zugsäge, die schrillen Töne einer hochtourigen Bohrmaschine, Hämmern ... Die herrschaftliche Villa ragte beeindruckend zwischen hohen Pappeln hervor. Es gab einen breiten Balkon, hohe Fenster, Säulen vor dem protzigen Eingang, auf den Schuster gleich darauf mit seiner Assistentin zuschritt. Ein Mann mit einer rotblau gefärbten Schnapsnase lief ihnen über den Weg. Er trug ein Brett. Wohl nur, um den Schein zu wahren.

Bernd hielt ihn auf. Der Bursche setzte sofort das Brett ab. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er Bernd, aber seine Augen waren auf Franziska Jahn gerichtet, denn die gefiel ihm scheinbar viel besser. „Zu Frau Regina Schwartz“, sagte Schuster. „Wo finden wir sie?“ Der Schnapsmann schürzte die Unterlippe. „Frau Schwartz? Ich glaube, die ist im Augenblick im Obergeschoss.“ „Diese Auskunft werde ich Ihnen nie vergessen“, sagte Bernd grinsend. Er schob seinen Arm unter den von Franziska und strebte der Treppe zu, die nach oben führte. Widerwillig nahm der Handwerker sein Brett wieder auf. Er trottete durch die Räume des Erdgeschosses und rollte mit den Augen, als sich einer seiner Kollegen nach ihm umwandte. „Da hab‘ ich jetzt ‘ne blonde Mieze gesehen ... Mann, war die klasse.“ Im Obergeschoss wurden Trennwände in sämtlichen Räumen aufgestellt. Die saalähnlichen Zimmer wurden zu kleinen Labyrinthen umgebaut. Männer standen auf hohen Leitern und bohrten Löcher in die Decke. Andere tapezierten die Kunststoffwände. Der Parkettboden wurde mit Sisalläufern ausgelegt. Franziska Jahn zog überall bewundernde Blicke auf sich. Regina Schwartz’ Stimme war schon von Weitem zu hören. Sie diskutierte mit dem Elektriker, weil sie an seiner Arbeit etwas auszusetzen hatte. Als sie den Mann mit einer unwilligen Handbewegung entließ, betraten Franziska und Bernd den Raum. Franziska stellte fest, dass Frau Schwartz eine unwahrscheinlich attraktive Frau war. Schätzungsweise fünfundvierzig Jahre alt, elegant, unglaublich gutaussehend. Ihr Teint war sauber, die Figur durch sorgfältige Diät bezaubernd, sylphidenhaft. Sie besaß jene Art von reizvoller Überschlankheit, die Fotomodellen ihren besonderen Charme verleiht. Ihre Züge waren von sanfter Weichheit. Und das mit fünfundvierzig. Mehr als beachtlich. Regina Schwartz trug ein einfaches, kaum dekolletiertes Kleid, dem man eine gewisse Eleganz nicht absprechen konnte. Ihr kastanienbraunes Haar war locker und gut geschnitten. Als sie die Schritte hörte, drehte sie sich halb um. Ihre ärgerliche Miene verflog. Ein freundliches Lächeln hieß Bernd Schuster und seine Assistentin herzlich

willkommen. Mit ausgestreckten Händen ging sie auf Schuster zu. „Bernd! Freut mich, Sie wiederzusehen.“ „Die Freude ist auf meiner Seite, Regina“, erwiderte Schuster höflich. Er deutete eine kleine Verneigung an. „Darf ich Ihnen meine Sekretärin vorstellen? Frau Franziska Jahn. Franziska, das ist Frau Regina Schwartz. Eine der reichsten Frauen von Berlin.“ Regina winkte lachend ab. „Nun übertreiben Sie nicht, Bernd. Ich bin nicht reich. Mein Mann ist es.“ „Kommt das nicht auf dasselbe heraus?“, fragte Schuster. „Nur, solange die Ehe gutgeht.“ „Das tut sie bei euch doch, oder?“ „Ich kann nicht klagen.“ „Das freut mich“, sagte Bernd. Die beiden Frauen musterten einander mit jenem undefinierbaren Blick, den sie immer für eine Konkurrentin parat haben. Ein paar Teilchen Neugier, ein wenig harte Kritik, eine Prise Missgunst, ein Schuss Neid und vielleicht auch noch etwas Misstrauen. Von Bewunderung konnte Bernd weder bei Franziska noch bei Regina etwas entdecken. Er grinste. Das alte Spiel. Jede Frau spielte es. Jede beherrschte es. Franziska und Regina waren in dieser Disziplin sogar Meisterinnen. Etwas unterkühlt reichten sie sich die Hände. „Sie sind also die gute Fee von Bernd Schuster“, stellte Regina lächelnd fest. „Und Sie sind diejenige, die Bernd in einem Atemzug nennt, wenn er von Berlin spricht. Sie scheinen großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben, Frau Schwartz.“ Regina Schwartz lachte hell auf. „Das hoffe ich, hoffe ich wirklich.“ Sie schickte einen dankbaren Blick an Bernds Adresse. Es freute sie, dass er sie noch nicht vergessen hatte.

Sie war die Frau von Mark L. Schwartz, dem vermögendsten Mann von Berlin. Es gab kaum ein gewinnträchtiges Unternehmen, in dem er seine Goldfinger nicht hatte. Mark L. Schwartz, gewiss ein Mann, zu dem man aufblicken konnte. Und es gab viele Frauen, die Regina um den Platz an seiner Seite beneideten. Er war ein netter Bursche, hatte kaum Allüren, überhäufte seine Frau mit Geschenken, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Mark war fünfundfünfzig. Das Hämmern und Bohren riss Regina aus ihren Erinnerungen. Die Umbauarbeiten, die an der Villa vorgenommen wurden, gehörten zu den umfangreichen Vorbereitungen, die die bevorstehende Wanderausstellung erforderlich machte. „Sie haben sich in den drei Jahren, die wir uns nicht gesehen haben, nicht verändert, Bernd“, sagte Regina lächelnd. „Das Kompliment kann ich reinen Gewissens zurückgeben. Auch an Ihnen sind die letzten drei Jahre spurlos vorübergegangen“, erwiderte Bernd. Franziska seufzte leise. ‚Liebe Güte, wie charmant er sein kann‘, dachte sie. ‚Bei mir hält er sich in der Beziehung weitgehend zurück‘. Franziska kannte die Geschichte, wie Bernd das Ehepaar Schwartz kennengelernt hatte. Die beiden waren in eine üble Rauschgiftaffäre verwickelt worden. Mark Schwartz engagierte Bernd Schuster, den man ihm empfohlen hatte. Bernd erledigte seine Arbeit mit Auszeichnung. Und von da an war er in unregelmäßigen Abständen gern gesehener Gast bei den Schwartz’ in Berlin. „Wir sind mit den Umbauten ein wenig in Verzug“, erklärte Regina Schwartz. Sie nahm Bernd und Franziska mit auf den Balkon. Vor ihnen dehnte sich die endlose Weite eines gepflegten Parks aus. „Aber wir werden es schaffen, die Wanderausstellung zum festgesetzten Termin zu eröffnen.“ Bernd wies auf die Villa. „Sie haben sich dafür den prachtvollsten Rahmen ausgesucht.“ Regina atmete schwer aus. „Hat viel Zeit gekostet, das richtige Haus zu finden.“ „Der Aufwand hat sich gelohnt“, meinte Bernd. Regina blickte ihm so fest in die Augen, dass sich Franziska Jahn beinahe

überflüssig vorkam. Sie grollte innerlich. „Ich danke Ihnen, dass Sie sofort hierhergekommen sind, Bernd.“ Schuster grinste. „Sag‘ ich nicht immer: ,Anruf genügt, komme ins Haus!‘?“ „Mein Mann hat eine Million D-Mark in sein neues Hobby gesteckt“, erzählte Regina. Bernd ließ einen anerkennenden Pfiff hören. „Kleinlich kann man ihn wirklich nicht nennen.“ „Er hat innerhalb eines Jahres die besten Bilder und Grafiken zeitgenössischer Maler aufgekauft. Die Sammlung umfasst bei den Gemälden einen Oskar Kokoschka, ferner Kandinsky, Hundertwasser, sogar einen Dali. Bei den Grafiken nenne ich nur Vaserely, Antes, Quinte, Bubenik – alle bekannten Künstler sind vertreten. Ein namhafter Kunstexperte war ihm dabei behilflich. Mark versteht nicht allzu viel von diesen Dingen, aber er bemüht sich, laufend dazuzulernen.“ Bernd lächelte. „Mark L. Schwartz, der Philanthrop. Es sieht ihm ähnlich, dass er nicht bloß Bilder kauft und sie dann in seinem Haus versteckt ...“ Regina nickte. „Mark findet, es ist nicht richtig, dass schöne Kunstwerke einem Menschen allein gehören. Sie sollen viele Menschen erfreuen. Deshalb hat er diese Wanderausstellung ins Leben gerufen. Er will die Kunstwerke einer breiten Publikumsschicht zugänglich machen.“ „Eine vernünftige Ansicht“, sagte Bernd. „Wir haben uns mit einer bekannten Berliner Werbeagentur zusammengetan, die in jeder Stadt, die wir besuchen, für uns die Reklametrommel rührt.“ Bernd nickte. „Ich habe die Plakate schon gesehen.“ „Wie gefallen sie Ihnen?“ „Grafische Kunstwerke. Geschmackvoll gestaltet, trotzdem nicht zu übersehen“, erwiderte Bernd.

„Mark will am Eröffnungstag eine Pressekonferenz geben. Rundfunk und Fernsehen werden über unsere Ausstellung berichten. Wir rechnen mit einer hohen Besucherzahl.“ „Die Leute werden bestimmt in Scharen kommen“, meinte Schuster. Franziska Jahn hatte es langsam satt, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Regina hatte kaum einen Blick für sie. Es war Zeit, dass sie sich in die Unterhaltung einschaltete, damit die beiden wieder auf sie aufmerksam wurden. Sie fragte: „Wann treffen die Kunstwerke in Berlin ein, Frau Schwartz?“ „Ach, bitte, nennen Sie mich doch Regina, ja?“ „Okay ... Regina.“ „Und ich darf Franziska zu Ihnen sagen?“ „Warum nicht?“ „Sie sind süß, Franziska.“ „Sie auch“, sagte Franziska, aber wenn sie ganz ehrlich zu sich war, meinte sie es nicht so, wie sie es gesagt hatte. Sie hatte nichts gegen Regina. Es war nur diese dumme Eifersucht, die es eigentlich nicht geben durfte, weil ihr Bernd gar keinen wirklichen Grund dafür bot. Aber wer kann schon raus aus seiner Haut, die manchmal so eng ist wie eine Zwangsjacke. Wäre Regina alt und hässlich gewesen, hätte sich Franziska garantiert besser in ihrer Nähe gefühlt. So aber ... „Die Kunstwerke treffen in einer Woche hier ein“, sagte Regina. „Bis dahin muss in der Villa alles getan sein.“ „Kommen die Bilder aus der Bunderepublik oder dem Ausland?“, wollte Franziska wissen. „Wir waren mit der Ausstellung bislang in zehn Städten der USA: San Francisco, Los Angeles, Phoenix, Houston, Dallas, Memphis, Washington, Baltimore, Philadelphia, Chicago.“

„Die Bilder reisen von Chicago hierher?“, fragte Franziska. „Ja.“ „Warum ist Berlin erst die Nummer elf?“, erkundigte sie sich weiter. Regina lächelte nervös. „Das ist eine gute Frage, Franziska. Ich will versuchen, Ihnen darauf eine gute Antwort zu geben. Mein Mann fürchtet den Moloch Berlin. Es muss eine Art Komplex sein. Für ihn ist diese geteilte Stadt der Wohnsitz des Lasters und des Verbrechens. Er nennt Berlin einen Hexenkessel, und er macht sich Sorgen um die Sicherheit der Gemälde. Mark hängt an seinen Bildern. Man könnte fast sagen, sie sind ihm so wichtig wie für jemand anders seine Kinder. Unsere Ehe blieb kinderlos. Mit diesen Gemälden hat Mark sich einen Ersatz geschaffen. Zu jedem einzelnen Kunstwerk hat er eine ganz besondere Beziehung, und er könnte es nicht verwinden, wenn ihm eines von diesen wertvollen Bildern gestohlen würde.“ „Sind die Gemälde versichert?“, fragte Franziska. „Selbstverständlich. Aber alles Geld dieser Welt kann keinen ideellen Wert ersetzen, Franziska.“ „Das leuchtet mir ein.“ „Aus diesem Grund hat mich Mark gebeten, Bernd zu engagieren.“ Regina wandte sich nun wieder an Schuster. „Ich soll Sie beauftragen, für unsere Wanderausstellung die nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Sie kennen so ziemlich alle Tricks, mit denen die Verbrecher arbeiten. Nur wenn Sie sich persönlich um die Gemälde kümmern, will Mark das Wagnis auf sich nehmen, sie auch hier auszustellen. Im anderen Fall müsste ich die Umbauarbeiten hier unverzüglich abbrechen.“ Reginas wache Augen musterten Bernd eingehend. Bernd rieb sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn. „Eine verdammt heikle Sache ...“ „Sie hätten selbstverständlich völlig freie Hand“, sagte Regina schnell. „Wenn was schiefgeht ... Ich möchte Mark nicht enttäuschen.“

„Ich bin genauso sicher wie er, dass die Sache bei Ihnen in den allerbesten Händen liegt, Bernd. Mark traut niemandem so sehr wie Ihnen.“ Bernd grinste. „Eine Menge Vorschusslorbeeren ...“ Was Regina ihm da anbot, war bestimmt kein leichter Job. Eine schwierige Aufgabe, Bilder im stolzen Wert von einer Million D-Mark so zu sichern, dass es nicht einmal dem gerissensten Dieb in dieser Stadt möglich war, sich an ihnen zu vergreifen. Berlin war vollgeklebt mit netten Plakaten, die überall verkündeten, dass hier demnächst ein fantastischer Schatz zu holen sein würde. Eine schwierige Aufgabe. Sie reizte Bernd Schuster. Deshalb nahm er den interessanten Auftrag an. Und natürlich auch aus Freundschaft zu Regina und Mark L. Schwartz. Er nickte und sagte grinsend: „Okay, Regina. Dann werde ich also dafür sorgen, dass Marks Lieblinge nicht in die falschen Hände kommen.“ „Ich danke Ihnen, Bernd. Ich wusste, dass Sie sich uns zur Verfügung stellen würden.“

3

Das Motorrad war ein japanisches Fabrikat. Ein heißer Ofen. Chromblitzend und entsetzlich laut, weil der Auspuff völlig und jeglichen Schalldämpfer arbeitete. Brüllend bog die Suzuki in die schmale, schattige Sackgasse ein. Zehn Meter noch. Dann verstummte der Lärm, der so gar nicht zu dem hübschen Mädchen te, das nun vom Sattel sprang. Sie trug hautenge Jeans und eine weiche braune Nappalederjacke, die sich beachtlich über ihrem üppigen Busen wölbte. Ihr Name war Yvonne Keller. Sie nahm den Sturzhelm ab, der sie wie ein Wesen von einem anderen Stern aussehen ließ. Jetzt schüttelte sie die weiche, wallende Fülle ihrer blonden Mähne. Das Haar reichte bis zu den Schulterblättern. Ächzend riss Yvonne die Maschine auf den Ständer. Der Zündschlüssel verschwand in der Lederjacke. Plötzlich legte sich eine Hand auf Yvonnes Schulter. Hart und schwer. Das Mädchen fuhr erschrocken herum. Der Sturzhelm polterte auf die Straße und rollte der Gosse entgegen. Yvonne schlug aus der Drehung heraus sofort zu. Ihre Handkante traf den Oberarm eines etwa siebenundzwanzigjährigen Mannes. Er war blond, hatte eine unleugbare Ähnlichkeit mit Robert Redford und war kräftig. Das bewies er in diesem Moment. Blitzschnell fing er den Arm des Mädchens ab. Eine rasante Drehung. Yvonne stieß einen heiseren Schmerzensschrei aus und fasste sich an die Schulter. „Au!“, krächzte sie. „Au! Du kugelst mir den Arm aus!“ Der Mann ließ sie grinsend los. „Nächstens schaust du dir die Leute zuerst genauer an, ehe du versuchst, sie zu erschlagen!“ Sie holte das jetzt nach, während sie die immer noch schmerzende Schulter massierte. Ihre Augen weiteten sich. „Chris. Chris Grothe!“ Der Bursche grinste. „In voller Lebensgröße.“ Er wies auf die Suzuki. „Schickes Ding hast du dir da zugelegt.“ „War nicht billig.“

„Das glaube ich. Allein bezahlt?“ „Ganz allein“, nickte Yvonne. Kein Junge hatte da auch nur eine müde Mark hinzugelegt. Sie hasste es, einem Kerl verpflichtet zu sein. Das gab ja doch nur Streit und Ärger. Grothe starrte ungeniert auf Yvonnes Busen. „Bist verdammt sexy geworden, Baby.“ Yvonne hob gleichmütig die Schultern. Sie wusste, dass sie prima aussah. „Man tut, was man kann.“ „Lange nicht gesehen“, sagte Grothe. „Vier Jahre?“ „Fünf“, sagte Grothe. „Eine verdammt lange Zeit. Vieles ändert sich. Alles wird anders in fünf Jahren.“ Grothe nickte mit finsterer Miene. Er hatte Schuster damals gesagt, die fünf lächerlichen Jährchen würde er auf einer Backe absitzen, aber er hatte beide dazu gebraucht, um es durchzustehen. Nun, wo er wieder draußen war, hatte er den Eindruck, er könne sich in dieser Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war, nicht mehr zurechtfinden. Yvonne hatte recht. Vieles änderte sich in fünf Jahren. „Ich habe auf dich gewartet“, sagte Grothe. Yvonne blickte ihn erstaunt an. Der Schmerz in der Schulter ebbte allmählich ab. Gott, hatte dieser Junge Bärenkräfte. Man sah sie ihm eigentlich gar nicht an. „Auf mich? Was kann ich denn für dich tun?“ „Du wenig.“ „Versteh‘ ich nicht.“ Grothe hob Yvonnes Sturzhelm auf und reichte ihn ihr. Dabei schaute er ihr fest in die Augen. In seinem Blick entdeckte sie all das, was man ihm nachsagte: Bosheit, Gemeinheit, Aggressivität, Grausamkeit und Intelligenz.

„Ich suche Fred Pawlak“, sagte er ernst. Yvonne schüttelte grimmig den Kopf. Unwillig stieß sie hervor: „Den gibt es nicht mehr.“ „Willst du damit sagen, dass er tot ist?“ „Ja. Er ist tot. Gestorben. Jedenfalls für mich ist er gestorben!“ „Was war los mit euch beiden?“, fragte Grothe neugierig. Er konnte sich an die Zeit erinnern, wo sich die beiden kennengelernt hatten. Turteltauben waren sie gewesen. Das „Pärchen des Jahres“ wurden sie von ihren Freunden genannt. Und man war der Meinung, falls es in naher Zukunft eine Hochzeit geben würde, dann bestimmt mit Yvonne und Fred. Yvonnes Miene wurde hart. „Heroin“, sagte sie verbittert. „Das war los mit ihm. Fred macht heute noch Selbstmord mit der Nadel. Ich denke, er wird es jetzt bald geschafft haben.“ „Wie geht es ihm?“ „Dreckig, hab‘ ich gehört. Ich kümmere mich nicht mehr darum. Fred Pawlak, das ist ein Kapitel in meinem Leben, das ich restlos gestrichen habe. Das Schwein wollte auch mich süchtig machen. Glücklicherweise bin ich ihm auf sein Geschwafel nicht hereingefallen, sonst wäre ich heute genauso am Ende wie er.“ „Kannst du mir sagen, wo er wohnt?“ „Geh da lieber nicht hin. Er ist es nicht mehr wert, dass man sich um ihn schert. Besser, er krepiert. Er hat uns allen schon genug Kummer gemacht.“ „Gib mir seine Adresse.“ „Mann, ich hätte dich für klüger gehalten ...“ „Die Adresse!“, verlangte Chris Grothe scharf. Yvonne zuckte zusammen, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. Wut blitzte in ihren Augen auf. Was nahm dieser Zuchthausbruder sich ihr gegenüber eigentlich heraus? In was für einem Ton redete er mit ihr? Wer war er denn, dieser dahergelaufene Straßenköter?

„Nun?“, drängte Grothe. „Tempelhof, Ringbahnstraße 14.“ „Vielen Dank“, sagte Grothe. ‚Fahr zur Hölle‘, dachte Yvonne. ‚Und nimm Fred Pawlak gleich mit!‘

4

Pawlak war Maler. Früher, bevor er an der Nadel hing, brachte er ganz able Bilder zustande. Sogar drei Vernissagen waren ihm gegönnt gewesen, und zwei Kritiker – unmaßgebliche Leute von unmaßgeblichen Zeitungen – hatten seine Werke sogar über Gebühr gelobt. Die Zeitungsausschnitte bewahrte er heute noch in seinem Schrank auf. Ja, früher hatte er wenigstens noch Talent gehabt. Wo war das heute? Abhandengekommen, ohne restliche Spuren. Er hatte gedacht, in seiner beruflichen Entwicklung schneller vorwärtszukommen, wenn er seine Bilder unter dem Einfluss von Drogen malte. Viele seiner Kollegen arbeiteten so. Auch Musiker griffen zum Rauschgift, wenn sie was Besonderes leisten wollten. Zuerst hatte er es mit Haschisch versucht. Dann hatte er Marihuana geraucht. Und die Bilder waren tatsächlich besser geworden. Wie die warmen Semmeln konnte er sie verkaufen. Man riss ihm seine Werke aus der Hand. Aber eines Tages stagnierte die Entwicklung. Pawlak hatte sich an Hasch und Marihuana zu sehr gewöhnt. Sie konnten ihn nicht mehr beflügeln. Also ging er einen Schritt weiter: Heroin. Von diesem Tag an führte der Teufel den Pinsel. Wieder durchlebte Fred Pawlak eine erfolgreiche Phase. Er konnte mit Geld um sich werfen. Und er redete sich ein, vom Heroin jederzeit wieder loskommen zu können. Er brauchte nur zu wollen. Aber er wollte nicht. Wollte nicht, weil er nicht konnte. Das Rauschgift bekam ihn immer fester in den Griff. Es ließ ihn nicht mehr los. Es unterhöhlte seine Gesundheit. Er magerte ab. Er brauchte seinen Schuss immer häufiger. Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde die Qualität seiner Bilder immer schlechter. Bald wollte sie keiner mehr haben. Lieber einen leeren Rahmen an die Wand hängen, als eines von Fred Pawlaks infantilen, lächerlichen Bildern, hieß es. Der Abstieg war nicht mehr aufzuhalten. Pawlak verdiente mit seinen Gemälden kaum noch Geld. Er versuchte verzweifelt, den Dämon Rauschgift loszuwerden, aber es war zu spät dazu. Bibbernd lag er in seiner hellen Atelierwohnung auf dem Boden. Ihm war erbärmlich kalt. Er klapperte mit den Zähnen, stöhnte, hatte wahnsinnigen Durst. Das waren wieder einmal diese verdammten Entzugserscheinungen, die ihn

quälten. Er hätte ganz dringend etwas in die Vene gebraucht, aber sein Dealer weigerte sich, ihm noch einmal Kredit zu geben. „Erst bezahl deine Schulden“, hatte er eiskalt gesagt. „Dann kannst du wieder was von mir haben. Eher nicht.“ Pawlak hätte ihm am liebsten den Schädel eingeschlagen. „Hör zu, Siggi ich verkaufe in den nächsten Tagen wieder ein Bild. Ich hab‘ ‘nen Mäzen gefunden. Er gibt mir tausend Mark für den Schinken. Sobald ich das Geld habe, bin ich bei dir. Dann kriegst du alles wieder. Mit Zinsen und Zinseszinsen.“ Siggi grinste spöttisch. „Wird Zeit, dass du mal ‘ne andere Platte auflegst, Fred. Die Story mit dem Mäzen kenn‘ ich schon seit einem Jahr. Hängt mir schon zum Halse raus.“ ‚Ich erwürge ihn. Bei Gott, ich erwürge ihn, wenn er mir nichts gibt!‘, dachte Pawlak verzweifelt. Er erniedrigte sich vor dem höhnisch grinsenden Dealer so sehr, dass er vor diesem auf die Knie sank und ihn händeringend anflehte, nicht so schrecklich hartherzig zu sein. Heulend umklammerte er Siggis Knie. Der riss sich wütend von ihm los und versetzte ihm einen kräftigen Tritt, der ihn umwarf. „Verdammt noch mal, ich bin Geschäftsmann. Ich kann es mir nicht mehr leisten, dir noch was zu kreditieren, Fred. Tut mir leid. Tut mir wirklich leid, aber es geht nicht. Ich hab‘ genauso meine finanziellen Verpflichtungen. Ich muss flüssig sein für die nächste Lieferung. Nun steh endlich auf und mach ‘ne Fliege. Und komm erst wieder, wenn du wieder Kohlen in der Tasche hast.“ Pawlak schnellte in seiner grenzenlosen Verzweiflung hoch. Er brauchte den Stoff. Er musste ihn haben. Um jeden Preis. Mit einem heiseren Schrei warf er sich auf Siggi. Er packte ihn an der Kehle und würgte ihn. Aber Siggi war kräftig. Ein Magenhaken warf Pawlak an die Wand. Sein Gesicht verzerrte sich. Er japste nach Luft, hatte irrsinnige Schmerzen. Trotzdem wollte er sich noch einmal auf Siggi stürzen. Doch da hatte dieser wie durch Zauberei ein Messer in der Hand. Mit gefletschten Zähnen fauchte er: „Verdammt, Fred. Wenn du mir nicht so viel Moos schulden würdest, würde ich dich jetzt wie einen räudigen Straßenköter abstechen. Mach, dass du rauskommst aus meiner Wohnung ...“ „Es tut mir leid, Siggi“, sagte Pawlak zerknirscht. Teufel, noch nie hatte er sich so sehr gehenlassen. Noch nie hatte er die Kontrolle so beängstigend über sich verloren. Er war jetzt so weit. Er würde einen Mord begehen, um zu seinem

Schuss zu kommen. Diese furchtbare Erkenntnis ließ ihn schaudern. Er wusste, dass er bei einer der letzten Stationen angelangt war. Mit hängenden Schultern schlurfte er zitternd aus Siggis Wohnung. „In längstens vier Wochen will ich mein Geld wiederhaben!“, plärrte ihm Siggi nach. Aber Fred wusste, dass er auch in vier Wochen nicht würde zahlen können. Zu Hause wurden die Schmerzen dann immer schlimmer. In seiner Verrücktheit wusste er kaum noch, was er tat. Er rannte in die Küche, band sich den Arm ab, nachdem er den Hemdsärmel hochgerollt hatte. Hässlich blau und schrecklich zerstochen war seine Armbeuge. Er nahm eine Nadel und stach sie in eine Vene. Nur so. Bloß, um sich selbst zu täuschen. Aber nach dem Stich folgte keine Wirkung. Er heulte, und er kletterte beinahe die Wände hoch. „Oh Gott, ich halte das nicht aus!“, brüllte er. Mit glasigen Augen wankte er ins Atelier zurück. Dort stolperte er über seine eigenen Füße und knallte hart auf den Boden. Schluchzend wälzte er sich jetzt auf dem Boden. Er brauchte was, brauchte es so verdammt dringend wie nie zuvor. Sein Herz schlug unregelmäßig. Schaum trat auf seine Lippen. Die Kälte, die ihn schüttelte, nahm zu. Wahnsinnige Krämpfe zwangen ihn, sich winselnd zusammenzukrümmen. Er biss sich in die Hand. Es half alles nichts. Sein Körper würde ihn so lange foltern, bis er ihm das Rauschgift, das er forderte, gegeben hatte. Hechelnd wie ein Tier kroch Pawlak über den Boden. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Er presste die Augen fest zusammen. Als er sie wieder öffnete, sah er Beine. Eine Halluzination. Beine. Männerbeine. Es musste sich um eine gottverfluchte Halluzination handeln. Niemand fand es mehr der Mühe wert, sich um Fred Pawlak zu kümmern. Die Zeiten waren vorbei. Schlotternd rollte sich der Maler auf den Rücken. Ungläubig betrachtete er das männliche Gesicht dort oben. Jetzt war er sicher, dass es sich um eine Halluzination handelte. Ja, jetzt schnappte er langsam über. Er sah Chris Grothe. Was für ein Irrsinn. Der saß im Knast seine sieben Jahre ab. ‚Mal sehen, wie weit der Wahnsinn schon geht‘, dachte Pawlak. Das Lächeln, das er versuchte, misslang kläglich. „Hi, Chris“, krächzte er. „Hi, Fred“, sagte die Halluzination. ‚Mensch‘, raunte es in Pawlak, ‚du bist ja noch verrückter, als du denkst. Er steht nicht nur da. Du kannst ihn nicht nur

sehen. Du kannst ihn auch hören. Du kannst dich mit ihm unterhalten. Mit einem Trugbild. Ist das nicht meschugge?‘ „Wie geht‘s, Chris?“ „Mir geht es besser als dir.“ Pawlak kicherte. Der Spuk sagte obendrein auch noch die Wahrheit. Heiliger Strohsack, was für eine irrsinnig komische Situation war das doch. Da lag er auf dem Boden. Dort stand Chris Grothe, der gar nicht wirklich da war. Er konnte mit jemandem reden, der seit fünf Jahren im Kittchen saß. Ein Fall für die Klapsmühle. Ganz sicher. Der Schüttelfrost ebbte etwas ab. Vermutlich trat er zugunsten des Wahnsinns zurück. Pawlak kämpfte sich mühsam hoch. Er starrte Grothe, den er immer noch für eine raffinierte Täuschung seiner Sinne hielt, mit großen, glasigen Augen an. Die Zunge huschte schnell über seine spröden, trockenen Lippen. „Verzeih, Chris. Hast du was dagegen, wenn ich dich anfasse?“, fragte er zaghaft. „Hier meine Hand“, sagte Grothe schmunzelnd. Er streckte dem Maler die Hand entgegen. ‚Jetzt greifst du durch ihn hindurch!‘, sagte sich Pawlak. ‚Du wirst nach seiner Hand fassen, wirst zudrücken und wirst nichts in deiner Pfote haben. Nichts weiter als Luft‘. Blitzschnell griff er zu. Da war ein Widerstand. Eine weiche, warme Hand. Pawlak stieß einen verwirrten Schrei aus, riss sich von Grothe los und sprang zitternd zurück. „Chris!“, stöhnte er fassungslos. „Du bist es wirklich!“ Grothe lachte amüsiert. „Was dachtest du denn? Hast du geglaubt, ich wäre ein Geist?“ „Chris“, ächzte Pawlak. Er schlug die Hände vors Gesicht und murmelte dahinter: „Er ist es wirklich.“ „Ich hab‘ gehört, es geht dir nicht besonders.“

„Wenn ich sagen würde, es geht mir schlecht, wäre selbst das noch geprotzt“, erwiderte Pawlak leise. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Grothe musterte den Maler. Seine Augen lagen in dunkelgrauen Höhlen. Über den Jochbeinen spannte sich eine fahle Haut, die an den Wangen tief einsank. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen, hatte kaum Muskeln, sein Hals war dürr und sehnig. „Ich hab‘ dir was mitgebracht“, sagte Grothe. Er griff in die Innentaschen seines Jacketts und holte drei Heroinbriefchen hervor. „Für mich?“, fragte Pawlak, als könne er es nicht glauben. „Ich hab‘ das Zeug ja nicht nötig“, antwortete Grothe lächelnd. „Oh, Chris. Chris, du bist ein Heiliger.“ Aufgeregt griff der Maler nach den Briefchen. „Bin gleich wieder hier!“, stieß er nervös hervor. Er rannte in die Küche, um sich den Schuss zu setzen. Als er wiederkam, war er wie ausgewechselt. Er wirkte ruhig, zufrieden, ausgeglichen. Seine Hände zitterten nicht mehr. Der tierhafte Ausdruck war nicht mehr in seinen dunklen Augen. Während seiner Abwesenheit hatte sich Chris Grothe ein wenig in der Atelierwohnung umgesehen. Die Bude platzte fast aus den Nähten. Überall standen Bilder herum. Halbfertige. Fertige, die wie halbfertige aussahen. Schade um Farbe, Zeit und Leinwand. Die Farben harmonierten nicht miteinander. Sie führten einen erbitterten Kampf gegeneinander. Wenn man einem Orang-Utan einen Pinsel in die Hand gedrückt hätte, wären geschmackvollere Motive auf die Leinwand gebracht worden. „Gefällt dir irgendwas davon?“, fragte Pawlak. „Kannst alles haben.“ „Wenn einer solche Sachen verbricht, sollte er aufhören“, sagte Grothe ernst. „Damit ist nichts mehr zu verdienen.“ Pawlak schaute mit gekräuselter Stirn auf seine Hände. „Wem sagst du das.“ „Warum suchst du dir keinen Job, der was einbringt?“ „Keiner will mich haben“, sagte Pawlak kleinlaut. „Denkst du, ich hab‘s noch nicht versucht?“

Grothe lächelte hintergründig. „Vielleicht will ich dich haben, Junge.“ „Du?“ Verständnislosigkeit in Pawlak‘ Blick. „Wieso du?“ „Setz dich. Ich habe mit dir zu reden.“ Sie nahmen auf der abgewetzten Samtcouch unter dem schrägen Fenster Platz. „Seit wann bist du wieder draußen?‘, wollte Pawlak wissen. „Seit ein paar Tagen.“ Der Maler lächelte verlegen. „Und schon willst du dich ins Unglück stürzen, indem du mir ‘nen Job anbietest? Wie hast du mich gefunden?“ „Ich war bei Yvonne.“ Pawlak‘ Miene verdüsterte sich. „Yvonne, die miese kleine Kröte. Es gibt nichts, wovon sie viel hält. Nur Sex interessiert sie. Morgens, mittags, abends. Und wenn‘s möglich ist, auch mal zwischendurch einen auf die Schnelle. Ich hab‘ das nicht durchgehalten. Schließlich hat mich der Stoff völlig geschafft. Da ist sie dann abgehauen, um sich anderswo zu holen, was sie so dringend nötig hatte.“ Grothe angelte die Zigarettenpackung aus der Tasche. Er gab dem Maler eine davon. Sie rauchten. „Was hast du für mich?“, fragte Pawlak gespannt. „Eine prima Sache.“ „Bringt sie was ein?“ Grothe grinste von Ohr zu Ohr. „Hör mal, hab‘ ich schon mal ein Ding gedreht, bei dem zu wenig heraussprang?“ „Nee.“ „Na also. Was soll dann die dämliche Frage.“ Grothe ließ den Zigarettenrauch durch die Nasenlöcher sickern. Pawlak schüttelte den Kopf.

„Was ist?“, fragte Grothe. „Es ist zwar verdammt nett, dass du an mich gedacht hast und mich in einen Coup mit hineinnehmen möchtest, aber ich kann bei der Sache nicht mitmachen.“ Grothe lachte. „Du weißt ja noch gar nicht, worum es geht, Junge.“ Pawlak wies auf den Boden, und zwar auf die Stelle, wo er vorhin gelegen hatte. „Du hast gesehen, was mit mir los ist. Ich würde dir die Tour vermasseln, Chris. Man kann sich auf mich nicht verlassen. Ich flippe ständig aus. Ich kann niemandem helfen, ich brauche selber Hilfe.“ Grothe wies mit der Glut seiner Zigarette auf Pawlak‘ Gesicht. „Ich will dich trotzdem haben, Fred.“ „Mensch, dann bist du bestimmt nicht mehr so intelligent, wie du mal warst. Was ist iert? Haben sie dir im Knast zu oft auf die Birne gehauen?“ Grothe zog an seiner Zigarette und schmunzelte dann. Er ließ seinen Blick durch das Atelier schweifen und sagte: „Du malst die größte Scheiße, die ich je gesehen habe.“ „Ich kann nichts Anderes mehr.“ Grothe überhörte den Einwand und fuhr unbeirrt fort: „Du kannst zwar selbst nichts mehr, aber ich bin überzeugt davon, dass du immer noch ein – sagen wir – gutes Gemälde von einem weniger guten unterscheiden kannst. Und bei diesen Drucken... diesen Grafiken – da habe ich überhaupt keine Ahnung. Mal was davon gehört, dass sie möglichst nummeriert und vom Künstler signiert sein sollten – mehr weiß ich nicht.“ „Das schon, aber ...“ „Du bist ein Experte, Fred. Und ich brauche einen Experten.“ „Bilderraub?“ „Ja. Aber im großen Stil.“

Pawlak griente. „Mit Kleinigkeiten hast du dich ja noch nie abgegeben.“ Grothe drehte die Augen, zur Decke. „Diesmal ist mehr drin, Junge. Viel mehr.“ „Wie viel?“, fragte der Maler gespannt. „Schätzungsweise Dreihunderttausend.“ Pawlak bekreuzigte sich. „Heilige Mutter Gottes. Hast du die Absicht, die staatliche Gemäldegalerie zu plündern?“ Grothe schüttelte den Kopf. „Ich mach‘ mir‘s einfacher. Ich vergreif‘ mich an den Bildern von Mark L. Schwartz. Da sind ein paar bekannte Namen drunter. Sogar ein Dali. Und Kokoschka. Und wie die anderen alle heißen.“ „Das klappt nicht“, entgegnete Pawlak. „Wieso nicht?“ „Man wird die Kunstwerke genauso gut absichern wie die Goldbarren in Fort Knox.“ Grothe winkte gleichgültig ab. „Die Sicherheitsmaßnahmen auszutricksen, lass getrost meine Sorge sein. Dein Job ist es, mir zu sagen, welche Bilder den größten Wert haben.“ „Wer wird noch mitmachen?“, fragte Pawlak. Grothe hob die Schultern. „Weiß ich noch nicht. Erfährst du früh genug. Vier. Das müsste reichen.“ Grothe lachte gepresst. „Damit dein Anteil nicht zu klein wird. Hab‘ ich dein Okay? Kann ich mit dir rechnen?“ Chris Grothe streckte dem Maler die Hand entgegen. Pawlak lachte nervös. „In meiner Situation kann ich es mir gar nicht leisten, nein zu sagen.“ Er schlug ein.

5

Bernd ließ die Roth Händle-Packung im Kreis gehen. Franziska Jahn schüttelte den Kopf. Sie mochte nur gelegentlich eine leichte Zigarette. Dafür langte Knut, der Mechaniker und gelegentliche Helfer doppelt zu. Eine Zigarette schob er sich hinters Ohr und sagte: „Die rauche ich später.“ Sie saßen in Schusters Büro. Bernd hatte sich Pläne von der Villa in Charlottenburg und vom Grundstück beschafft. Darüber brüteten sie nun schon eine ganze Weile. Knut, der zweiundzwanzigjährige Mechaniker, war wieder einmal vorbeigekommen, weil in seiner Schrauberbude, wie er die Werkstatt nannte, Flaute herrschte. Knut war nicht nur ein begabter Schrauber und Spezialist für amerikanische Motorräder, sondern auch einer der besten Gitarristen Berlins. Seine öffentlichen Auftritte hatten hin und wieder Festivalcharakter, und wenn mal in einem der zahlreichen Berliner Tonstudios eine besonders heiße Scheibe produziert werden sollte, dachte man zuerst daran, Knut zu fragen, ob er nicht Zeit und Lust hätte, mitzumachen. Bernd blies langsam den Rauch aus: „Drei Sicherungen müssten reichen. Was meint ihr?“ „Kommt ganz auf die Sicherungen an“, sagte Knut. Er war zwar schmal wie ein Handtuch, aber nicht zu unterschätzen, wenn‘s drauf ankam. Außerdem hatte er einen Schlag am Leib, der garantiert nicht von schlechten Eltern stammte. „Ich dachte an folgende Kombination“, erklärte Schuster. „Erst einmal decken wir die Villa mit einer der besten Alarmanlagen, die wir kriegen können, zu. Das heißt, wir lassen sämtliche Türen und Fenster in den Sicherheitskreis mit einbeziehen. Dann verbinden wir jedes einzelne der Kunstwerke mit dem Draht einer gesondert installierten Alarmanlage.“ „Und was wäre Nummer drei?“, erkundigte sich Franziska. „Das dritte Überwachungssystem besteht aus Fleisch und Blut.“ „Hunde?“, fragte Knut.

„Menschen“, erwiderte Bernd. „Genauer gesagt: Männer, die einer privaten Sicherheitstruppe angehören. Man kann sie mieten. Als Leibwächter, Bewachung von Tresoren, Begleitpersonal für Geldtransporte ... Sie übernehmen jeden Auftrag. Die besten Männer hat Sven Prüfer in seiner schlagkräftigen Crew. Seine Leute stechen so manchen Polizeibeamten in sämtlichen Disziplinen aus. Also: Von Prüfer kriegen wir die Männer, und von Dieter Meisel – er ist Direktor des größten Berliner Elektronikkonzerns – bekommen wir die Alarmanlagen.“ Knut rieb sich feixend die Hände. „Bleibt für uns also nichts mehr zu tun.“ „Irrtum“, erwiderte Bernd. „Gewissenhaft, wie ich nun mal von Natur aus bin, habe ich bereits alle Spitzel, die ich kenne, wissen lassen, dass sie für mich die Ohren offenhalten sollen. Wenn sie hören, dass sich jemand für die Kunstsammlung von Mark Schwartz anders interessiert, als es erwünscht ist, werden sich mich unverzüglich anrufen.“ „Schwartz’ Bilder werden in Berlin so sicher sein wie in Abrahams Schoß“, tönte Knut. „Und damit deine Worte auch wirklich wahr werden, wirst du dich nach Wilmersdorf begeben und da deine Sensoren auslegen.“ „Wozu soll das denn gut sein?“, fragte Knut. „Wilmersdorf ist nun einmal das Künstlerviertel.“ „Wem sagst du das?“ „Ich will hören, was die Künstler so über die Wanderausstellung reden“, sagte Bernd. Knut blickte Franziska an, verzog das Gesicht, wies mit dem Daumen auf Schuster und meinte: „Er lässt wirklich nichts aus, solange andere für ihn die Arbeit machen.“ „Es steht immerhin eine Million Mark und natürlich auch mein guter Ruf auf dem Spiel“, erwiderte Bernd. Knut erhob sich. „Noch etwas?“, fragte der schlaksige Bursche.

„Das wäre vorläufig alles. Du meldest dich zumindest alle zwölf Stunden ...“ „Persönlich?“ „Persönlich. Telefonisch. Das bleibt dir überlassen. Ich will nur alle zwölf Stunden hören, dass du noch nicht unter die Räder gekommen bist.“ „Okay. Dann mache ich mich jetzt auf die Socken“, erwiderte Knut. Er salutierte schlampig und verließ dann Schusters Büro. Franziska begab sich in die kleine Küche, um Kaffee zu kochen. Inzwischen studierte Bernd Schuster jede Einzelheit der Pläne. Er versetzte sich in die Lage etwaiger Bilderräuber und fragte sich, wie er die Sache anpacken würde. Wie konnte man die erste Hürde – die private Schutztruppe – nehmen? Am einfachsten mit Gewalt, vielleicht sogar einer Schießerei. Aber das war zu laut. Oder mit Messern. Damit konnte man drei, vier Männer ausschalten, aber nicht zehn. Und Bernd dachte an zehn Leute. Aber gesetzt den Fall, das Bewachungspersonal war ausgeschaltet. Dann hatten die Verbrecher noch eine Nuss zu knacken: Jede Ritze würde von einer zuverlässigen Alarmanlage überwacht werden. Und sollten die Verbrecher das Wunder zustande bringen, auch diese Hürde zu nehmen, würden sie immer noch nicht im Besitz der Gemälde sein, denn jedes einzelne löste Alarm aus, wenn jemand sich unerlaubterweise daran zu schaffen machte. Bernd hob den Kopf. Er war der Meinung, die Aufgabe bereits bestens gelöst zu haben. Franziska brachte den Kaffee. Ihr Blick gefiel Bernd nicht. ,,Is‘ was?“, fragte er, während er die Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Franziska schüttelte verlegen den Kopf. „Nein.“ „Ich seh‘ doch, dass dich ein Problem beschäftigt“, sagte Bernd eindringlich. „Was ist es?“ „Regina“, sagte Franziska kleinlaut. Jetzt schaute sie intensiv an Bernd vorbei. „Was ist mit Regina?“, fragte Schuster amüsiert. Sie wollte nicht darüber reden, tat es aber trotzdem. Sie wollte es wissen, damit sie die Sache hinterher vergessen konnte. Sie zwang sich, Bernd ins Gesicht zu

schauen. „Regina“, sagte sie leise. „Bernd ... war da mal was zwischen dir und ihr?“ Schuster lachte. Er warf den Kopf zurück und lachte herzlich. „Liebe Güte, Franziska. Regina ist einige Jährchen älter als ich.“ „Sie sieht immer noch verdammt gut aus!“, sagte Franziska. Sie fand wirklich nicht, dass es etwas zu lachen gab. „Ich könnte mir vorstellen ...“ „Zügle deine ungestüme Fantasie“, lächelte Bernd. „Es war nie etwas zwischen Regina und mir. Ich kann sie gut leiden, das ist alles.“ Er wurde ernst, nachdenklich. Seine Augen schweiften in die Vergangenheit ab. „Die Gelegenheit war zwar einmal da, aber ich habe sie nicht genützt.“ Franziska atmete hörbar erleichtert auf.

6

Auch Regina dachte an damals. Sie bedauerte heute noch, dass es zwischen ihr und Bernd nicht geklappt hatte. Dabei hatte an jenem Abend alles gestimmt. Es war eine von diesen Situationen gewesen, in der es fast entschuldbar ist, wenn man den Kopf verliert. Regina war mit Bernd allein gewesen. Am BadeseeStrand. Beide hatten sie einiges getrunken. Der Wind war lau und streichelte ihren Körper. Der samtschwarze Himmel war mit glitzernden Sternen übersät. Jede Einzelheit war Regina heute noch im Gedächtnis. Sie hatte Bernd aufgefordert, mit ihr ein Stück hinauszuschwimmen. Nackt, weil sie kein Badezeug mitgebracht hatten. Es hätte etwas ieren müssen, wenn es nach Regina gegangen wäre. Aber Bernd Schuster bewies, dass er auch in kritischen Situationen einen kühlen Kopf bewahren konnte. Ein flüchtiger Kuss war die einzige Ausbeute dieser herrlichen Nacht, die extra für Liebende geschaffen zu sein schien. Regina wohnte im City-Hotel, einem gründlich renovierten Bau der Vorkriegszeit. Rauchend ging sie in ihrer Suite auf und ab. Sie war nervös, kribbelig. Und sie fragte sich, was für einen Eindruck sie auf Bernd gemacht hatte. Mark fiel ihr ein. Ein lieber, alter, kränklicher Mann. Franziska Jahn war ein unverschämt hübsches Ding, und beängstigend jung. Regina hätte Franziskas Mutter sein können. Bei diesem Gedanken erschrak sie. Das Telefon klingelte. Regina hob nach dem dritten Läuten ab. „Ja, bitte?“ „Ihr Gatte für Sie, Frau Schwartz.“ Sie seufzte. Er rief im richtigen Augenblick an, ohne es zu wissen. „Wie geht es dir, mein Engel?“, fragte er mit seiner sanften ruhigen Stimme. „Es geht mir wunderbar, abgesehen von der Einsamkeit, die mich plagt.“

„Warum amüsierst du dich nicht?“ „Allein?“ „Es tut mir schrecklich leid, dass ich im Augenblick hier noch unabkömmlich bin. Wir holen alles nach, was wir jetzt versäumen, Schatz, das verspreche ich dir. Alles. – Hat Schuster den Auftrag übernommen?“, erkundigte sich Mark L. Schwartz dann gespannt. „Ja.“ Schwartz atmete erleichtert aus. „Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Wie geht es mit den Umbauarbeiten voran?“ „Wir hinken etwas hinter den festgesetzten Terminen nach, aber wir kommen noch innerhalb der Toleranz klar.“ „Dann kann alles andere fahrplanmäßig durchgezogen werden.“ „Natürlich.“ „Das freut mich, macht mich glücklich, mein Schatz.“

7

Bernd Schuster hatte an diesem Tag kein Glück. Sechsmal musste er das Viereck umrunden, ehe er eine Lücke entdeckte, in die er den Mercedes hineindrücken konnte. Vor dem Eingang des Elektronikgeschäftes stand Portier und rauchte. Ihn fragte Bernd nach dem Büro von Dieter Meisel. „Gleich in der zweiten Etage, am Ende des Flures. Sie müssen sich dort noch in seinem Vorzimmer melden.“ Bernd wartete nicht, bis der Fahrstuhl aus dem fünften Stock nach unten kam, sondern eilte schwungvoll die Treppen in den zweiten Stock hinauf. Hier herrschte gediegene Vornehmheit. Irgendwo tickerte ein Fernschreiber. Licht flutete durch riesige Fenster in den großen Flur, den Schuster betrat. An einem meterlangen, gläsernen Schreibtisch saß eine kühle Blondine, deren Make-up so perfekt war, dass man sie für eine Puppe halten konnte. Soeben legte sie den Telefonhörer auf den Apparat. Dann sprach sie in das Mikro eines Diktaphons. Eine tüchtige Kraft. Gewiss trank sie täglich ihren Karottensaft, ihre Orangenmixtur, mied Alkohol und Nikotin. Und vermutlich aß sie nur kleine Steaks ohne Beilage. Sonst hätte sie keine so gertenschlanke Figur behalten. Ihre grünen Augen musterten Schuster eindringlich. Dieser Prüfung musste sich jedermann unterziehen, der zu ihrem Chef vorgelassen werden wollte. Die tüchtige Blondine traf hier zuerst die erforderliche Auslese. Bernd erreichte ihren Schreibtisch. „Sie wünschen?“ Es klang unnahbar und unpersönlich. „Mein Name ist Schuster. Ich habe mit Herrn Meisel einen Termin vereinbart.“ „Diese Tür, Herr Schuster. Herr Meisel erwartet Sie seit zehn Minuten.“ Das war

ganz klar eine Rüge. Bernd gab ärgerlich zurück: „Ich konnte keinen Parkplatz finden!“ Blondie ließ sich auf keine Debatte ein. Sie benahm sich, als wäre Bernd schon weg, kümmerte sich wieder um ihre Arbeit, blätterte die Geschäftspost durch. Meisels Büro war viel zu groß für den einen Mann, der hier irgendwie verloren wirkte. Meisel hatte eng am Kopf anliegende Ohren, dünne Lippen und eine schlanke Nase. Sein schwarzer Nadelstreifenanzug machte aus ihm eine elegante Erscheinung. Auf kurzen Beinen kam er um den gewaltigen Schreibtisch herum, um Bernd freundlich zu begrüßen. „Ich bin zehn Minuten zu spät dran“, sagte Bernd entschuldigend. „Ich bitte Sie, das macht doch nichts.“ „Ihre Sekretärin ist anderer Meinung.“ „Sie ist eine krankhaft penible Person. Bitte nehmen Sie Platz, Herr Schuster.“ Die braune Ledersitzgruppe war glatt, wirkte kalt, aber man saß fantastisch in den Sesseln. „Was zu trinken, Herr Schuster? Eine Zigarre?“ „Wenn Sie erlauben, möchte ich gleich mit der Tür ins Haus fallen.“ „Ganz mein Stil“, nickte Meisel. „Ganz mein Stil.“ „Zeit ist Geld.“ „Und Geld ist kostbar, deshalb soll man keine Zeit vergeuden.“ „Wir verstehen uns“, grinste Schuster. Er hatte bereits am Telefon angedeutet, was er von Meisel haben wollte. Nun rankte er um dieses Gerüst die weiteren Details. Um Meisel die Situation anschaulicher erklären zu können, holte er die Fotokopien der Pläne, die er von Regina Schwartz bekommen hatte, aus der Brusttasche seiner Jacke. Er breitete sie auf dem Tisch aus und erläuterte anhand der Zeichnung, wie er sich die Sicherung von Haus und Bildern vorstellte.

Danach war Meisel am Zug. Bernd forderte ihn auf, ihm seine Offerte zu unterbreiten. Zuerst warf Meisel mit guten Slogans herum. Nachdem er alles das heruntergerasselt hatte, was sich die cleveren Jungs aus der Werbeabteilung für die Firma hatten einfallen lassen, tönte er mit großen Augen und zum Schwur erhobener Hand: „Wenn erst mal unsere Alarmanlagen installiert sind, Herr Schuster, können Sie alle Ihre Sorgen vergessen.“ Bernd grinste. „Das will ich. Deshalb bin ich hier. Wenn Sie mir jetzt zeigen wollen, was Sie alles anzubieten haben ...“ Meisel brachte die Unterlagen. Er zeigte dem Privatdetektiv einige raffinierte Systeme. Elektronische Spielereien, die sogar Alarm schlugen, wenn eine Maus hustete. Bernd hörte sich die Vorträge über Fotozellen, Laserbündel und dergleichen aufmerksam an. Meisel machte ihn mit Alarmsystemen bekannt, die auf Schallwellen reagierten. Andere waren allergisch gegen Erschütterungen. Und dann gab es sogar – neben den Sensoren, die auf Wärme reagierten – Schnüffelanlagen, die auf Geruchsbasis arbeiteten. Nach dem trockenen, theoretischen Teil folgte der praktische Teil. In einem Nebenraum konnte Bernd Schuster die Anlagen persönlich testen. Als er mit Meisel dann wieder in dessen Büro war, traf er seine Entscheidung. Der kleine Direktor des großen Elektronikkonzerns nickte lächelnd. Wohlwollend und anerkennend sagte er: „Sie haben die beste Wahl getroffen, Herr Schuster.“ Von Geld kaum ein Wort. Gutes hat nun mal seinen Preis. Und Bernd war sich sicher, dass Mark Schwartz anstandslos bezahlen würde, was er für ihn hier aushandelte. „Jetzt gibt es nur noch ein Problem“, sagte Bernd. „Und das wäre?“, fragte Meisel. Er legte die Handflächen aneinander, als wollte er einen Heiligen imitieren. „Ich brauche die Anlagen sofort.“ „Sie sind prompt lieferbar.“

Bernd grinste. „Vom Liefern allein habe ich nichts. Mir geht es ums Installieren. In drei Tagen muss alles fix und fertig sein.“ Meisel japste nach Luft. Bernd wusste, dass die Techniker es in drei Tagen nicht schaffen konnten. Und Meisel sagte es ihm mit belegter Stimme: „Unmöglich! Bei einem Gebäude von dieser Größe sind sechs Tage das Minimum!“ „Vier Tage“, sagte Bernd. „Fünf.“ „Vier!“ Das war Bernds letztes Wort. Meisel fuhr sich nervös über die Augen. „Meine Leute müssten mit Hochdruck Tag und Nacht arbeiten ...“ Bernd fiel dem kleinen Direktor grinsend ins Wort: „Ich bin davon überzeugt, dass Sie sie dafür fürstlich bezahlen werden.“ Schuster unterschrieb die erforderlichen Verträge. „Ich verlasse mich darauf, dass Sie den mir zugesagten Termin einhalten.“ Meisel seufzte. „Wir werden unser Möglichstes tun, Herr Schuster.“ „Das wird nicht genug sein. Sie werden ausnahmsweise das Unmögliche möglich machen müssen.“

8

Die Kneipe war noch immer dieselbe. Der Wirt jedoch ein anderer. Sein Vorgänger war dick und schwerfällig gewesen, hatte Asthma gehabt und war an seiner kranken Bauchspeicheldrüse zugrunde gegangen. Der neue Wirt sah aus, als hätte er sein Leben lang nichts als Kummer gehabt. Chris Grothe lümmelte sich auf den Tresen. Er schaute sich im Lokal um. Neben der Music-Box lehnte ein einsamer Rocker mit Lederjacke und abgewetzter Jeans. Er hatte die Augen geschlossen und schnippte mit den Fingern, aber nicht synchron mit dem Song, der aus den Lautsprechern dröhnte. Vier Männer saßen an einem der Tische und droschen Skatkarten mit ernsten Gesichtern. „Was darf‘s denn sein?“, schrie der Wirt über den Tresen. „Bier“, verlangte Grothe. Der Wirt nickte und füllte ein großes Glas. Grothe rümpfte die Nase. „Ist verdammt laut hier drinnen, finden Sie nicht?“ Der Wirt zuckte die Achseln. Er schielte furchtsam zu dem Rocker hinüber. „Was soll ich machen?“ „Kann man das Ding denn nicht leiser stellen?“, fragte Grothe. Er trank vom Bier. „Das würde mir der Bursche dort verdammt übelnehmen.“ „Ist er schwerhörig?“, fragte Grothe. „Nein. Er hat‘s nur gern laut.“ „Ich nicht.“ „Ich auch nicht.“

„Der Lärm macht einem ja Löcher ins Trommelfell.“ „Mir brauchen Sie das nicht zu sagen. Ich habe die Löcher ja schon.“ Grothe schüttelte unwillig den Kopf. „Machen Sie‘s leiser, Mann.“ „Der Typ wird ...“ „Gar nichts wird er.“ Grothe grinste breit. „Wir leben in einem demokratischen Land. Hier wird das gemacht, was die Mehrheit will. Wir beide sind die Mehrheit. Der Typ dort drüben ist die Minderheit.“ „Ich will keinen Ärger haben.“ „Den nehme ich Ihnen ab“, sagte Grothe. „Und jetzt stellen Sie endlich die Box leiser. Der Lärm macht mich verdammt aggressiv.“ Als der Wirt am Rädchen unter dem Tresen drehte, machte der Rocker die Augen auf. „Leg sofort wieder ein paar Phon zu, Stinker, sonst gibt‘s was hinter die Löffel.“ Grothe starrte den Rocker verächtlich an. „Ich habe ihn darum gebeten, das Ding leiser zu stellen.“ „Verdammt noch mal, ich hab‘ mein Geld in diesen stinkigen Automaten geworfen, weil ich Musik hören will. Und zwar laut!“ „Du bist nicht allein hier“, sagte Grothe frostig. Es juckte ihn in den Fingern. Kerle von dieser Sorte reizten ihn schon durch ihre bloße Anwesenheit. „Die Platte drehte sich um mein Geld!“ „Geben Sie ihm seinen Fuffziger zurück“, sagte Grothe zum Wirt. Der Mann nahm eine Münze aus der Kasse. Grothe warf sie dem Rocker zu. Sie traf seine Brust und klimperte dann auf den Boden. „Jetzt hast du keinen Schaden mehr“, stellte Grothe gleichmütig fest. Der Rocker kam langsam näher. „Willst du aufmüpfig werden?“, schnaufte er angriffslustig. Grothes Blut kam in Wallung. Er wusste, dass er jede Schlägerei vermeiden

musste. Man hatte ihn auf Bewährung rausgelassen. Das hieß, dass er sich bewähren musste. Kein Verstoß gegen die Gesetze, kein Streit, kein Raufhandel. Sonst holten sie ihn sofort wieder ins Kittchen zurück. Dann musste er auch noch die restlichen zwei Jahre absitzen. Er wusste, dass er sich mit diesem Typ nicht schlagen durfte, aber er würde es tun, weil Kerle wie dieser für ihn das gleiche waren, wie für den Stier das rote Tuch. Der Rocker pflanzte sich breitbeinig vor Grothe auf. „Möchtest du einen Satz heiße Ohren haben?“ Grothe knurrte: „Besser, du gehst jetzt, bevor es für dich hier drinnen ungemütlich wird.“ „Hört auf!“, stöhnte der Wirt hinter Grothe. „Hört damit um Himmels willen auf!“ „Ich gehe, wenn es mir t!“, zischte der Rocker. „Es t dir jetzt!“, erwiderte Grothe hart. Er versuchte erst gar nicht, sich noch länger zu beherrschen. Er schlug so schnell zu, dass der Rocker die Faust erst bemerkte, als sie schon knapp vor seinen Augen war. Der Treffer hatte es in sich. Die enorme Wucht des Schlages riss den Mann zurück. Er warf zwei Stühle um und fing sich an einem Tisch. Die Kartenspieler legten ihre Karten weg und verfolgten weiterhin mit ernsten Mienen den folgenden Kampf. Fluchend wuchtete sich der Rocker vorwärts. Grothe wich den brettharten Schlägen des Gegners geschickt aus, hielt sich den Burschen mit gekonnten Konterschlägen auf Distanz und ließ ihn erst dann näher an sich heran, als er die Absicht hatte, die handfeste Rauferei mit einem wuchtigen Uppercut zu seinen Gunsten zu entscheiden. Der Rocker flog mitten in den Aufwärtshaken hinein. Seine Augen wurden glasig. Er brach in die Knie. Chris Grothe packte ihn beim Kragen seiner Lederjacke, schleppte ihn zum Kneipenausgang, öffnete die Tür und gab ihm dann einen kraftvollen Tritt in die Kehrseite, der ihn über den Gehsteig und bis in die Gosse katapultierte. Danach kehrte Grothe gelassen an den Tresen zurück. Der Wirt schaute ihn mit ängstlich flatternden Augen an. „Das war zwar verdammt mutig von Ihnen, aber Sie hätten es lieber bleiben lassen sollen. Der Typ hat ‘ne Menge Freunde. Wenn er die alle mobilisiert, haben wir beide bald

nichts mehr zu lachen.“ Grothe grinste. „Der kommt nicht mehr wieder. Der hat genug.“ Er trank von seinem Bier. Dann fragte er: „Wie lange gehört Ihnen die Kneipe schon?“ „Drei Jahre.“ „Das war mal die Stammkneipe von Karsten Seiler.“ „Stimmt.“ „Kommt er noch hierher?“ „Nicht mehr.“ „Seit wann nicht mehr?“, wollte Grothe wissen. „Seit ungefähr einem Jahr.“ „Gibt‘s einen bestimmten Grund dafür?“, fragte Grothe. „Er soll sein Leben von Grund auf geändert haben.“ „Karsten?“ Grothe grinste. „Das gibt‘s doch gar nicht.“ „Er lebt jetzt in einer Kommune.“ Chris Grothe schaute den Wirt ungläubig an und lachte dann aus vollem Hals. „Karsten? In einer Kommune? Das kann ich einfach nicht glauben. Hab‘ ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Früher war er ein richtiger Eigenbrötler.“ Grothe schüttelte verblüfft den Kopf. Karsten Seiler in einer Kommune. Das war einfach unvorstellbar. Vielleicht bei Typen wie diesem Langhans oder Teufel, Kommune 1. Er hatte darüber gelesen. „Eine Frau hat ihn da reingebracht“, sagte der Wirt. „Sie muss ihm ganz schön den Kopf verdreht haben, wenn er sich von ihr zu einer solchen Verrücktheit verleiten ließ“, grinste Grothe. Er wollte von dem Wirt die Adresse der Kommune hören, und der Mann nannte sie ihm. Grothe lachte belustigt in sich hinein. Yvonne hatte recht. In fünf Jahren änderte sich tatsächlich eine ganze Menge. Er bezahlte sein Bier und verließ die Kneipe.

Draußen standen fünfzehn Lederjacken. Er brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass sie seinetwegen da waren ...

9

Nach Meisel nahm Bernd Schuster sich Sven Prüfer vor. Der Leiter der privaten Sicherheitstruppe war ein strenger, militärisch wirkender Mann, kalt, nüchtern und klug. Seine Leute bewachten Hä von Reichen und Politikern. Sie eskortierten Persönlichkeiten, die befürchten mussten, entführt zu werden. Und sie beschützten weltbekannte Wissenschaftler, die inkognito in Berlin weilten und Angst vor einem möglichen Terroranschlag hatten. Oder – in den Osten entführt zu werden. Der Auftrag, den Bernd Schuster zu vergeben hatte, war für Sven Prüfer ein wahres Fressen. Die Prüfer-Truppe würde wieder einmal in aller Munde sein, und eine gute Werbung konnte einem solchen Unternehmen niemals schaden. „Ich sage Ihnen, Herr Schuster, wenn meine Männer sich um die Villa kümmern, ist das Geld, das Sie für die Alarmanlagen ausgeben, zum Fenster hinausgeworfen.“ Bernd schmunzelte. „Wenn sie schon nicht nützen, schaden werden sie auf keinen Fall.“ „Das nicht. Aber es ist Verschwendung ...“ „Herr Schwartz, mein Auftraggeber, kann es sich leisten, großzügig zu sein.“ „Tja. Wie Sie meinen.“ Bernd ließ sich von den fünfzehn besten Männern, die Prüfer unter Vertrag hatte, die Dossiers vorlegen. Darin waren – sozusagen – sämtliche technischen Daten jedes einzelnen Mannes genau aufgeführt. Die Leute wurden hier zerlegt und aufgegliedert wie Autos oder Flugzeuge: Name. Vorname. Geburtsdatum. Krankheiten. Familienstand. Schulbildung. Charaktereigenschaften. Spezielle Wissensgebiete. Ausgebildet in Kampfsportarten?

Bernd siebte gründlich. Er ließ sich sehr viel Zeit, und Prüfer störte ihn nicht. Fünf Dossiers reihte Bernd schließlich aus. Zehn blieben übrig. Die legte Schuster auf Prüfers Schreibtisch und sagte: „Das sind die Männer, die ich haben will, Herr Prüfer.“ „Sie können jederzeit über meine Leute verfügen.“ „Wann kann ich mit ihnen reden?“ „Morgen Vormittag?“ „Fein. Dann sehen wir uns also morgen wieder.“

10

Sie schnitten ihm sofort den Rückweg ab. Grothe entdeckte den Burschen, den er vermöbelt hatte. Der Kerl hielt sich im Hintergrund auf und grinste gehässig. „Ist er das?“, fragte einer in der ersten Reihe. „Isser!“, dehnte der Gefragte. „Das ist er. Haut ihm auf die Fresse, Freunde!“ Chris Grothe sah die Fahrradketten und Stahlruten in den Fäusten der Rocker und wusste, dass es ein großer Fehler gewesen war, sich an dem Jungen zu vergreifen. Aber, verdammt, daran war nun nichts mehr zu ändern. Es war iert. Sich zu entschuldigen brachte hier ganz bestimmt nichts ein. Höchstens triefenden Hohn und wieherndes Gelächter. Die Kerle waren nicht gekommen, um sich einen heiser gemurmelten Rückzieher anzuhören. Sie waren hier, um sich zu amüsieren. Mit Fahrradketten und Stahlruten. Von keinem würden sie sich jetzt um dieses Vergnügen bringen lassen. Grothe spürte, wie seine Achselhöhlen feucht wurden. Jetzt hieß es, die Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Es wird schon nicht so schlimm kommen, sagte er sich. Dann schnellte er vorwärts. Wenn es ihm gelang, den Rockerring zu durchbrechen, kam er vielleicht mit ein paar blauen Flecken davon. Kraftvoll spurtete er auf die schwächste Stelle des Rings zu. Schon wirbelten die Ketten hoch, und die Stahlruten pfiffen bösartig durch die Luft. Der erste Schlag tat höllisch weh. Der zweite und dritte ebenfalls. Ab dem vierten Treffer konnte sich der Schmerz nicht mehr weiter steigern. Grothe prallte gegen mehrere Körper. Wie Gummiwände waren sie. Sie gaben nur ein wenig nach und schleuderten ihn dann gewaltig ins Zentrum des Schlaghagels zurück. Er schlug zurück, so gut er konnte. Er trat mit den Füßen um sich. Er schmetterte seine Fäuste in jede Rockervisage, die ihm zu nahekam. Aber es waren zu viele. ‚Schütz deinen Kopf!‘, schrie es in Grothe. ‚Du musst deinen Kopf schützen,

sonst erschlagen sie dich!‘ Er umklammerte mit beiden Händen keuchend seinen Schädel. Blut war auf seiner Zunge. Sie droschen auf seine Arme, hämmerten seine Rippen blau, versuchten seinen Unterleib zu treffen. Er stöhnte auf und fiel auf die Knie. Sie machten unbarmherzig weiter. So lange, bis er auf dem Boden lag und kaum noch Reflexe hatte. Da war plötzlich ein schriller Pfiff. Die Meute stob auseinander. Die Hiebe und Tritte hörten schlagartig auf. Eine Schmerzwelle löste die andere ab. Grothe krampfte sich ächzend zusammen. Blut und Schweiß vermengten sich mit dem Dreck von der Straße. Jemand beugte sich über Grothe. „Mein Gott, was haben diese Teufel mit Ihnen gemacht?“ Es war der Wirt. Zwei Hände griffen unter Grothes Achseln. Er wurde aufgerichtet. „Sie sind nicht mehr wiederzuerkennen“, hörte Grothe den Mann sagen. „Wie fühlen Sie sich?“ „Es geht schon“, gurgelte Grothe. „Sie brauchen ganz dringend einen Arzt.“ „Nicht nötig. Es wird schon wieder.“ „Die Polizei. Wir müssen die Polizei verständigen.“ ‚Oh Gott, nur das nicht‘, dachte Grothe erschrocken. Er versuchte, sich zusammenzureißen. Polizei! Dieses eine Wort hieß wieder Zuchthaus für ihn. Zwei Jahre. Nur keine Polizei! Mühsam kämpfte sich Grothe auf die Beine. Er schwankte wie ein Betrunkener. Der Wirt stand blass vor ihm und wusste nicht, ob er ihn noch stützen sollte oder bereits loslassen konnte. „Diese Kreaturen hätten Sie beinahe erschlagen!“, entrüstete er sich. „Das kann die Polizei im Nachhinein auch nicht mehr ändern“, ächzte Grothe. Ihm war schrecklich übel. Er war nahe daran, sich zu übergeben, und sein Schädel brummte wie ein Bienenstock. „Man muss diesen Bastarden endlich mal klarmachen, dass sie nicht alles ungestraft tun dürfen!“, zischte der Wirt. Der rote Schleier vor Grothes Augen bekam Risse. Er blickte den mageren Mann

an und sagte: „Wissen Sie, was Sie erreichen, wenn Sie sich an die Bullen wenden? Erst mal nichts, denn die Polypen werden keinen einzigen Rocker fassen. Und später, wenn ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist, werden die Rocker zu Ihnen ins Lokal kommen, und, Mann, dann möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken. Deshalb: besser keine Polizei. Vergessen Sie den Vorfall. Was Vernünftigeres können Sie gar nicht tun.“ „Und Sie ...?“ Grothe lächelte schief. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich bin hart im Nehmen. Die paar Hiebe machen mich nicht kaputt.“ „Kommen Sie, ich spendiere Ihnen einen Drink.“ „Nicht nötig. Ich komm auch so wieder klar.“ Der Wirt wies auf den Kneipeneingang. „Sie können sich drinnen das Blut abwaschen.“ „Das mach‘ ich zu Hause. Ist nur ein paar Straßen weit.“ Grothe wandte sich um und wankte wie ein Betrunkener davon ...

11

Das Getriebe war angekurbelt. Nun lief es. Bernd Schuster kehrte am frühen Nachmittag in sein Büro zurück. Er grinste. Franziska saß an ihrem Schreibtisch und schien am Lippenstift zu lutschen. Und sie beobachtete sich bei dieser Tätigkeit im Make-up-Spiegel. Als die Tür mit einem satten Knall ins Schloss fiel, verschwanden Lippenstift und Spiegel blitzschnell. Ein koketter Blick flatterte in Schusters Richtung. „Schon wieder zurück?“ „Wie du siehst“, erwiderte Bernd. „War was Wichtiges während meiner Abwesenheit?“ „Zwei Anrufe.“ „Von wem?“ „Der eine von Horst Südermann.“ „Und der andere?“ „Regina“, sagte Franziska. Sie schien Schwierigkeiten beim Aussprechen dieses Namens zu haben. „Beide möchten, dass du zurückrufst. Mit wem soll ich dich zuerst verbinden?“ „Mit Regina natürlich“, sagte Bernd und grinste. Und Franziska seufzte, als hätte er sie geschlagen. „Seelische Grausamkeit nennt man das!“, beschwerte sie sich, während sie die Nummer des City-Hotels wählte. „Möchtest du hier telefonieren? Oder lieber ungestört in deinem Büro?“ „Gleich hier. Ich habe vor dir nichts zu verbergen.“ Die Verbindung klappte auf Anhieb. Franziska Jahn verlangte Frau Regina Schwartz. Augenblicke später war Reginas Stimme in der Leitung. Mit unterkühlter Miene gab Franziska den Hörer an Bernd weiter. „Ja, Regina?“ „Wie läuft‘s bei Ihnen? Geht alles glatt, Bernd?“

„Ich habe alles bestens organisiert. Wir bekommen zwei gute Alarmanlagen und die zehn ausgeschlafensten Sicherheitsleute von Berlin. Sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind, kann nach menschlichem Ermessen nichts mehr schiefgehen.“ „Verbürgen Sie sich persönlich dafür?“ „Selbstverständlich. Das ist es, wofür ich bezahlt werde.“ „Mark hat angerufen. Er lässt Sie grüßen, Bernd.“ „Vielen Dank. Wann wird er in Berlin eintreffen?“ „In den nächsten Tagen. Er weiß noch nicht genau, wann er kommen kann. Zu viel Arbeit. Das alte Lied. Sie kennen es.“ Regina seufzte unglücklich. Sie schien mal wieder eine ihrer depressiven Phasen durchzumachen. „Was ich inzwischen mache, scheint keinen zu kümmern.“ „So dürfen Sie nicht reden, Regina!“, widersprach Bernd. „Oh Bernd. Ich sehe mal wieder alles durch eine hässliche schwarze Brille. Hätten Sie heute Abend Zeit für eine nicht gerade besonders glückliche Frau? Wir könnten zusammen essen. Ich verspreche Ihnen, Sie mit keiner Trauermiene zu langweilen. Sagen Sie ja, Bernd. Ich brauch‘ heute jemand, der sich um mich kümmert, und es soll nach Möglichkeit kein verdammter Gigolo sein, der mit irgendeinem Trick herausgefunden hat, dass ich eine reiche Frau bin.“ „Na schön“, sagte Bernd, und er mied es, dabei Franziska anzusehen. „Ich werde kommen.“ „Sie sind ein Schatz, Bernd.“ „Ich weiß. Wann soll ich erscheinen?“ „t Ihnen acht?“ „Um die Zeit habe ich den größten Hunger.“ „Na wunderbar. Dann um acht. Ich freu‘ mich auf diesen Abend, Bernd. Ich zieh‘ für Sie mein schönstes Kleid an.“

Bernd lachte verhalten. „Das ist beinahe zu viel der Ehre, Regina.“ „Finde ich absolut nicht. Sie sollen sehen, wie sehr ich Sie schätze.“ Nach dem Gespräch saß Franziska Jahn mit unterdrückter Wut auf ihrem Schreibtischstuhl und kritzelte nervös auf ein Blatt Papier. „Franziska, du benimmst dich kindisch“, sagte Bernd rügend. „Ich kann nicht anders. Tut mir leid. Ich finde, du hättest vorhin höflich, aber bestimmt ablehnen sollen.“ „Regina ist unsere Klientin. Ich muss mich um sie kümmern.“ „Sie bliebe auch dann unsere Klientin, wenn du nicht mit ihr zu Abend essen würdest.“ Ein Blitzstrahl sauste aus Franziskas Augen. „Im Übrigen ist Regina keine Klientin, sondern eine raffinierte Circe. Sie will dich um den Finger wickeln. Merkst du das denn nicht? Ich merk‘s.“ Bernd lächelte belustigt. „Keine Sorge, Franziska. Ich schon auf, dass mir nichts iert. Und nun leg mir das Gespräch mit Horst in mein Büro.“ Bernd setzte sich an seinen Schreibtisch. Er schmunzelte. Franziska war eifersüchtig. Er fand das nett. Eines der Telefone auf seinem Schreibtisch schnarrte. „Ja?“ „Hier spricht Horst“, kam das laute Organ von Inspektor Horst Südermann aus dem Hörer. Der Inspektor leitete die Mordkommission in der Keithstraße, das Dezernat 11, Tötungsdelikte und Gewalt an Menschen. Er hatte für Bernd eine Neuigkeit, die den gewaltig wachrüttelte. Horst sagte: „Ich habe da etwas von den Kollegen des Einbruchsdezernats erfahren, das dich vermutlich interessieren wird.“ „Was ist es?“, fragte Bernd neugierig. „Sie haben Chris Grothe vor ein paar Tagen wieder auf die Menschheit losgelassen. Man hat mir erzählt, der Junge soll bereits wieder einen beängstigenden Eifer entwickeln.“

Bernd lachte gepresst. Er hatte die Nacht vor fünf Jahren sofort wieder vor Augen. Jene Nacht, wo er Chris Grothe endlich auf frischer Tat ertappt hatte. „Er hatte lange Zeit, sich auszuruhen“, sagte Bernd. „Was treibt er denn so?“ „Ich weiß nichts Konkretes“, antwortete Südermann. „Aber du kannst sicher sein, dass er versuchen wird, wieder mal nach den Sternen zu greifen.“ Plötzlich hatte Bernd Schuster ein mulmiges Gefühl. Er kratzte sich nervös hinterm Ohr. Blödsinn, wie kam er bloß auf die Idee? Chris Grothe konnte Gott weiß was anstellen. Es war verrückt, anzunehmen, dass er sich um die Bilder kümmern könnte, die Bernd zu schützen hatte. Verrückt? War es wirklich so verrückt anzunehmen, dass Chris Grothe scharf auf die im Rahmen der Wanderausstellung gezeigten Bilder war? Grothe war ein gerissener Bursche. Einer, der es möglicherweise trotz aller Sicherheitsvorkehrungen versuchen würde. Ein Kerl, den man nicht unterschätzen durfte. Wenn er wirklich die Absicht hatte, nach den Sternen zu greifen, warum dann nicht gleich nach dem größten Stern, der in ein paar Tagen über Berlin aufgehen würde? Bernd bedankte sich für die interessante Information. Er beschloss, sich nebenher um Chris Grothe zu kümmern. Nur, um später keine unliebsame Überraschung zu erleben. Franziska sollte versuchen, herauszufinden, was Chris Grothe so alles machte, um seine Zeit totzuschlagen.

12

Er wankte durch einen kleinen Park. In den Baumkronen zwitscherten Vögel. Er verfluchte sie, weil sie so ausgelassen waren, während er so bohrende Schmerzen hatte, dass er am liebsten laut gebrüllt hätte. Ein Brunnen. Chris Grothe torkelte darauf zu. Mit beiden Händen schöpfte er das kühle Nass in sein zerschrammtes und verschwollenes Gesicht. Das Wasser tat ihm gut. Er hielt die Luft an und steckte den Kopf tief in die kühle, klare Flüssigkeit. Danach war ihm etwas wohler. Er schaute an sich hinunter. Besonders adrett wirkte er gerade nicht. Die Hosen waren schmutzig. Das Jackett an zwei Stellen zerrissen. Dagegen konnte er im Moment nichts tun. Nachdem er mehrmals seinen Mund ausgespült hatte, setzte er seinen Weg fort. Die Kommune, der sich Karsten Seiler angeschlossen hatte, hauste in einem abbruchreifen Haus, aus dem die meisten Mieter bereits ausgezogen waren. Die Fenster im Erdgeschoss waren größtenteils eingeschlagen. Das Haustor klemmte, war nicht mehr zu schließen. Chris Grothe trat ein. Stille umfing ihn. Er schritt durch den düsteren Korridor. Die Fliesen wackelten und klapperten unter seinen Füßen. Matt schleppte sich Grothe die Treppe hoch. Das Geländer wackelte, während er sich daran hochzog. Im ersten Stock waren einige Fenster mit Brettern vernagelt. Durch die Ritzen fiel Tageslicht. Es zeichnete helle Streifen auf den dreckigen Boden. Vier Türen. Eine davon war halb offen. Dahinter schlurfende Schritte. Er klopfte leise, und als sich niemand um ihn scherte, versuchte er die Tür aufzudrücken. Es ging nicht, wegen der Vorlegekette. Rasselnd spannte sie sich. „Hallo!“, rief er in die Wohnung. Er klopfte lauter. Nun schlurfte jemand heran. Im Türspalt erschien ein hübsches Mädchengesicht. Unwillkürlich gab es Grothe einen Stich. Silvia!, dachte er verwirrt, und automatisch drehte sich das Rad der Zeit um fünf Jahre zurück. Silvia Korner. Sie war seine Freundin gewesen. Ein sauberes, nettes Mädchen, das darunter gelitten hatte, dass er ein Krimineller war. Gott,

wie oft hatte sie versucht, ihn von der schiefen Bahn abzubringen. Mehrmals hatte sie ihm gedroht, ihn zu verlassen. Aber sie hatte ihn nicht verlassen können, weil sie ihm verfallen war. Mehrmals hatte sie einen Anlauf genommen, um das Verhältnis zu beenden, das sie für untragbar hielt. Aber wenn er sie dann berührte, erschauerte sie. Und obwohl sie über sich und diese ganze Situation unglücklich war, ging sie doch immer wieder mit ihm ins Bett. Ihr Geist wehrte sich gegen ihn. Aber ihr Körper konnte ohne ihn nicht sein. Silvia. Sie hatte versprochen, auf ihn zu warten. Drei Jahre lang hatte er Briefe von ihr bekommen, und sie hatte ihn auch hin und wieder besucht. Allmählich kam sie seltener. Schließlich blieben auch die Briefe aus. Seit zwei Jahren hatte er von Silvia nichts mehr gehört und nichts mehr gelesen. Er wusste nicht, wie es ihr ging, was sie machte, ob sie einen anderen gefunden hatte. Einen anderen! Grothes Backenmuskeln zuckten. Er litt unter diesem Gedanken. Silvia war immer noch sein Mädchen. Sie war sein Besitz. Wenn sie jetzt einem anderen gehörte, dann ... Er wollte sie zu sich zurückholen. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Aber sie sind keine Ewigkeit. Silvia und er waren immer noch dieselben Menschen. Er würde sie wieder berühren, und diese Berührung würde wieder jene Schauer von damals in ihr hervorrufen. Sie würde ihm nicht widerstehen können, genau wie früher. Als Grothe jetzt dieses hübsche Mädchengesicht im Türspalt sah, dachte er unwillkürlich, es wäre Silvia. Sie hatte tatsächlich eine weitgehende Ähnlichkeit mit seinem Mädchen. Nur die Mundpartie war ein wenig derber geformt als bei Silvia. Und die Augen hatten nicht jenen lebensbejahenden Ausdruck, den er bei Silvia so sehr geschätzt hatte. Diese Augen waren stumpf, glanzlos, apathisch. Dieses Mädchen kannte alle Höhen und Tiefen des Lebens. Und sie war high. Grothe kannte den dafür typischen Blick: ein starrer, von einer fadenscheinigen Zufriedenheit und zweifelhaftem Glück geprägter Ausdruck. „Was willst du?“, fragte das Mädchen mit einer schleppenden Stimme. „Wohnt hier Karsten Seiler?“, fragte Grothe zurück. Er schluckte nervös. „Ja.“

„Ist er da?“ „Nein.“ „Darf ich reinkommen?“ „Meinetwegen.“ Das Mädchen schloss die Tür, nahm die Vorlegekette ab, ließ Grothe eintreten. „Ich bin ein Freund von Karsten“, sagte Grothe. Das Mädchen war einen Kopf kleiner als er. Silvias Größe. Sie trug Holzschuhe an den nackten Füßen. Ihr Rock war schmutzig. Die Bluse bis zum Nabel offen. Er konnte ihre Brüste sehen. Das Mädchen dachte nicht daran, sich zu bedecken. Schamgefühl? Das besaß sie schon lange nicht mehr. Sie hatte es auf dem Weg hierher in diese Kommune verloren. „Wie heißt du?“, fragte sie ihn ohne großes Interesse. „Chris Grothe. Und du?“ „Moni.“ „Aha. Moni. Und wie noch?“ „Nur Moni. Moni genügt. Moni Sowieso.“ Grothe schaute sich um. Kahle Wände. Schmutzige Tapeten. Von der Decke hing ein Draht herunter, an dem eine Glühbirne befestigt war. Eine deprimierende Behausung. Hier drinnen konnte man nur besoffen oder high existieren. Moni hatte anscheinend das Beste aus ihrer Situation gemacht. Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern und einer Küche. Grothe fragte, ob er sich umsehen dürfe. Moni zuckte gleichgültig mit den Schultern. Er dürfe alles, sagte sie und begab sich in die Küche. In den beiden Räumen lagen Matratzen auf dem schmierigen Boden. Zerfranste Matratzen, aus denen das Rosshaar herausragte. Daneben verstreut die billigen Habseligkeiten der Kommunarden, die im Augenblick nicht daheim waren. Moni war allein. „Wo sind sie alle?“, fragte Grothe das Mädchen in der Küche. Sie stand beim

Herd und rauchte einen t. Auf der Gasflamme stand ein großer brauner Topf. Moni rührte mit gelangweilter Miene darin um. „Ausgeflogen. Demo. Irgendwo in diesem Scheiß-Berlin“, sagte sie. „Wie viele seid ihr?“ „Drei Frauen, vier Kerle“, gab Moni zurück. „Das sind sieben.“ „Nummer acht ist ‘n Zwitter. Den zähl‘ ich nicht.“ „Ach so.“ ‚Sie sieht Silvia verblüffend ähnlich‘, dachte Grothe. Das kurze blonde Haar, die schmale Taille. Die grünen Augen. Nur... Silvia ist oben etwas üppiger. Dem Himmel sei Dank dafür. Moni wies auf Grothes Gesicht. „Unfall gehabt?“ Chris Grothe lächelte schief. „So kann man es auch nennen. Da waren ein paar Rocker, denen meine Visage nicht gefiel.“ „Möchtest du, dass ich mir die Verletzungen mal ansehe? Bin mal Krankenschwester gewesen. Hab‘ auch ein bisschen Pflaster für dich übrig.“ Grothe nickte. „Mach mal.“ „Dann musst du hier für mich umrühren. Hab‘ heute Küchendienst. Ein verdammter Job. Ich hasse ihn.“ „Was kochst du?“, fragte Grothe. „Eintopf. Ich koche immer Eintopf, wenn ich dran bin. Ich kann nämlich nichts Anderes. Und den kriegen die anderen so lange zu fressen, bis er ihnen zum Hals herauswächst und sie mich bitten, die Finger vom Kochen zu lassen.“ Die Zigarettenasche fiel in den Topf. Moni verrührte sie. Die Brühe war ohnedies schon so scheußlich, dass dieses artfremde Gewürz auch keinen Schaden mehr anrichten konnte. Sie ging und kam mit einer winzigen Hausapotheke wieder. Zuerst betupfte sie die Wunden mit einer höllisch brennenden, antiseptischen Tinktur. Dann bepflasterte sie die Verletzungen. Die Salbe, die sie auf Grothes Gesicht

schmierte, sollte die Schwellungen rascher abklingen lassen. Er sah jetzt aus wie eine fette Speckschwarte. Glänzte wie gewienert. Die ersten Typen trafen eine Stunde später ein. Kein Gruß. Kein Wort. Sie beachteten Grothe nicht, krochen auf ihre Matratzen und dösten vor sich hin. ‚Welch ein Leben‘, dachte Grothe. ‚Noch schlimmer als in einer Gefängniszelle. Und sie führen es freiwillig. Ich kann Karsten nicht verstehen. Als es Abend wurde, kam der Rest nach Hause. Karsten kam als letzter. Grothe erkannte ihn kaum wieder. Er trug sein Haar ebenso schulterlang wie die anderen. Er wirkte blass und ungesund. Trotzdem war er körperlich noch weit besser beisammen als die anderen Kommunarden. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, als er Grothe erblickte. „Chris!“ Er brüllte den Namen voll Freude heraus, riss die Arme auseinander, rannte auf Grothe zu und umschlang ihn lachend. „Chris Grothe, du gottverdammter Halunke, was machst du denn hier?“ „Ich wollte mich bei dir zurückmelden“, sagte Grothe. Er grinste unter den zahlreichen Pflastern. „Wer hat dir denn das angetan?“, fragte Karsten. Er wies auf Grothes Gesicht. „Daran ist ein Rocker schuld, dem ich in den Hintern getreten habe.“ „Nur ein Rocker?“, fragte er ungläubig. „Er hatte die Fähigkeit, sich innerhalb weniger Minuten zu verfünfzehnfachen.“ Karsten Seiler stellte Grothe seinen Freunden vor. Chris schüttelte feuchte, schlaffe Hände, die so kraftlos waren, dass sie nicht mal herzhaft zudrücken konnten. Die beiden anderen Mädchen waren hässliche Enten. Der Zwitter hielt sich im Hintergrund auf. Er kämmte ununterbrochen seine braunen Bürstenhaare. Grothe wurde zum Essen eingeladen. Er wollte zuerst ablehnen, weil er gesehen hatte, mit welchen Ingredienzien Moni ihren Eintopf versehen hatte. Doch dann setzte er sich, machte gute Miene zum bösen Spiel und würgte den verteufelten Schlangenfraß mit einer wahren Todesverachtung hinunter. Nach dem Essen lobte Seiler Monis Kochkünste auf seine Weise: „Das war mit

Abstand der größte Dreck, den ich jemals gefressen habe. Hoffentlich kann mein Magen das Zeug behalten.“ „Wir sind hier nicht im Ritz!“, schrie Moni ihn wütend an. Seiler grinste. „Im Ritz würden sie nicht mal wagen, das Zeug in den Ausguss zu schütten, weil davon die Ratten draufgehen.“ Moni drehte sich mit zornigem Schwung um und warf den Rock hoch. Sie trug kein Höschen. Die anderen grinsten, als Seiler dem Mädchen einen klatschenden Schlag aufs nackte Hinterteil gab. Moni schrie wutentbrannt auf und wollte sich auf Seiler stürzen. Die anderen hielten sie davon ab. „Ich würde mich gern noch ein bisschen mit dir unterhalten“, raunte Grothe dem Freund zu. „Allein!“ „Wir können einen kleinen Verdauungsspaziergang machen, wenn du möchtest“, schlug Seiler vor. Grothe willigte sofort ein. Sie verließen die Wohnung. Als sie auf der Straße waren, sagte Karsten: „Erzähl, wie‘s im Knast war, Chris.“ „Schlimm.“ „Wurdest du schlecht behandelt?“ „Nein. Trotzdem. Es ist immer schlimm, wenn man nicht tun kann, was man tun möchte. Wenn man wie ein Tier eingesperrt ist.“ „Wie war das Essen?“ „Besser als bei euch“, grinste Grothe. Seiler hob die Schultern. „Man gewöhnt sich an den Fraß.“ „Ich wollt‘s nicht glauben, als ich hörte, dass du in einer Kommune lebst. Welches von den drei Mädchen hat dich da hineingezogen?“ „Es war Britta, eine vergammelte Stripperin. Sie lebt nicht mehr bei uns.“ „Warum bist du dann noch da?“, fragte Grothe erstaunt.

„Vielleicht deshalb, weil ich noch keine bessere Bleibe gefunden habe. Eigentlich habe ich mich nicht wegen Britta dieser Kommune angeschlossen. Den Ausschlag dafür hat etwas Anderes gegeben: Die Bullen waren hinter mir her. Wollten mich hopsnehmen, verstehst du? Ich sollte meine Birne für etwas hinhalten, das ich nicht getan hatte. Hat mir nicht geschmeckt. Deshalb bin ich in der Kommune untergetaucht. Einen Monat später erwischten sie dann den Kerl, der mit meiner Methode gearbeitet hat. Aber da hatte ich mich in die Kommune schon eingelebt. Du kennst mich. Ich bin ein faules Schwein. Deshalb blieb ich.“ Grothe stieß dem Freund mit dem Ellenbogen leicht in die Rippen. „Sag mal, bist du immer noch das Ass von früher, wenn es um knifflige Alarmanlagen geht?“ Seiler grinste. „Das käme auf einen Versuch an. Was man mal gelernt hat, vergisst man nicht so bald wieder. Hab‘ immerhin ein paar Semester Elektrotechnik hinter mir.“ „Inzwischen ging die Entwicklung weiter. Die Zeit bleibt nicht stehen.“ „Ich bin auf dem Laufenden.“ Seiler blieb stehen. Er schaute Grothe lauernd in die Augen. „He. Junge, heißt das, dass du einen Spezialisten für Alarmanlagen brauchen kannst?“ „Ich denke, ich hätte eine Verwendung dafür.“ Karsten Seilers Augen funkelten begeistert. „Was für ein Süppchen gedenkst du zu kochen? Komm, sag es dem guten Karsten.“ „Da kommt ‘ne Wanderausstellung nach Berlin. Sind dir die Plakate schon aufgefallen?“ Seiler senkte den Blick. Seine Begeisterung versiegte wie Wasser im Sand. „Ist was nicht in Ordnung?“, fragte Grothe irritiert. Seiler betrachtete seine Schuhspitzen. Sie waren rissig und ungeputzt. „Ich habe auch schon an die Wanderausstellung gedacht.“ „Und?“ „Ich hab‘ sogar meine Fühler in diese Richtung ausgestreckt.“

„Ja? Und?“ „Hab‘ die Fühler inzwischen wieder zurückgezogen.“ „Warum?“, fragte Grothe erstaunt. „Ich kenne einen Burschen. Ist Elektriker von Beruf. Er ist bei den Umbauten dabei, die in der Villa in Charlottenburg vorgenommen werden. Der Junge hat selbstverständlich keine Ahnung, aus welchem Grund ich mich für seine Arbeit so sehr interessiere. Wir haben uns lange darüber unterhalten. Er ist ein tüchtiger Junge. Zuverlässig. Saubere Weste und so. t ganz und gar nicht zu uns“, sagte Seiler grinsend. „Jedenfalls dachte ich, mit so‘n paar hübschen Gemälden würde sich im Handumdrehen ein nettes Sümmchen verdienen lassen. Aber dann hörte ich etwas, das mich ziemlich rasch ernüchterte.“ „Was?“, fragte Grothe gespannt. „Was hast du gehört?“ Seiler rümpfte die Nase. Er schüttelte den Kopf. „Die Sache ist mir zu riskant, Chris ...“ „Was hat dir dein Elektriker gesagt?“, fragte Grothe eindringlich. „Regina Schwartz überwacht die Umbauarbeiten ...“ „Ist das ein Grund, zu kneifen?“ „Das nicht.“ „Aber? Mann, so rede doch, Karsten. Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“ „Regina Schwartz hat einen Privatdetektiv engagiert. Sie hat den Mann beauftragt, die nötigen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.“ „Wenn schon. Ist doch ganz klar, dass man mit so etwas rechnen muss. Dachtest du, man würde die Gemälde einfach an die Wand hängen, ohne sie so gut wie möglich zu schützen? Man wird eine Alarmanlage installieren. Du bist Experte in Alarmanlagen. Ich kann weit und breit kein Problem sehen, Karsten.“ „Der Schnüffler ist das Problem, Chris.“

„Jetzt mach aber ‘nen Punkt, Junge.“ „Soll ich dir seinen Namen verraten?“ „Ich höre.“ „Bernd Schuster.“ Unwillkürlich hielt Grothe die Luft an. Sein Herz hämmerte aufgeregt gegen die Rippen. Eine heiße Welle schoss ihm in den Kopf. Bernd Schuster! „Wie gefährlich der Bursche ist, brauche ich dir wohl nicht extra zu sagen!“, knurrte Karsten. „Du hast ihm fünf Jahre Knast zu verdanken.“ Bernd Schuster! In Chris Grothes Kopf drehte sich plötzlich alles. Die Gedanken überschlugen sich. Das Schicksal führte sie noch einmal zusammen. Grothe presste die Kiefer fest zusammen. Damals, vor fünf Jahren, war der Punkt an den Spürhund gegangen. Alles in Grothe schrie jetzt nach Revanche. Jetzt musste er den Coup landen, denn damit konnte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er konnte die Gemälde kassieren. Und er konnte Bernd Schuster eins auswischen. Wenn es ihm gelang, die Bilder aus der Villa zu klauen, würde Schusters Image dadurch in arge Mitleidenschaft gezogen werden. War das nicht eine großartige Revanche, die sich ihm hier bot? Eine hervorragende Chance. Chris Grothe wollte sie auf jeden Fall nützen. Er konnte sich damit selbst bestätigen. Und er konnte Schuster beweisen, dass er damals, vor fünf Jahren, nur Glück gehabt hatte. Dass Chris Grothe der bessere Mann war! Er wollte diesen Beweis antreten. Das verlangte sein Ehrgeiz. „Du hast Angst vor Schuster?“, fragte Grothe spöttisch. „Er hat dich ins Kittchen gebracht.“ „Er hatte damals Glück. Und ich hatte Pech. So etwas wiederholt sich nicht. Was ist? Drehen wir das Ding zusammen? Dass du allein davor Muffensausen hattest, kann ich verstehen, aber nun bin ich dabei.“ Grothe lachte. „Was kann da noch schiefgehen?“ „Ich weiß nicht, ich hab‘ ‘nen richtigen Bammel vor diesem verdammten Schnüffler.“ „Der kocht doch auch bloß mit Wasser, Karsten. Verflixt noch mal, ich kenn‘ dich ja nicht wieder. Früher hat man dich von einer Sache nicht so lange

überzeugen müssen.“ „Ich hab‘ was gegen Gefängnisse.“ „Denkst du, ich nicht? Trotzdem gibt‘s bei mir kein Zaudern. Weil ich weiß, dass wir‘s schaffen werden.“ „Nur wir beide?“ „Fred Pawlak ist mit von der Partie.“ Seiler riss verblüfft die Augen auf. „Mann, du bist wohl nicht ganz bei Trost. Was willst du denn mit dem Traummännchen? Der vermasselt dir doch gleich von Anfang an die Tour.“ Grothe schüttelte den Kopf. „Er wird uns sagen, welche Bilder wir klauen sollen.“ Seiler griente. „Na, alle. Ist doch klar.“ „Dazu wird die Zeit nicht reichen. Die Sache muss ruckzuck gehen, ‘ne minuziöse Maßarbeit muss das werden, Karsten. Wie wir‘s gewöhnt sind. Ein blitzschneller Schlag. Und Bernd Schuster und all die anderen gucken dämlich in die Röhre. Na, ist das nicht nach deinem Geschmack, alter Junge?“ „Vielleicht sollten wir noch ‘nen cleveren Spezialisten bemühen“, sagte Seiler, und damit war klar, dass er bei der Sache mitzumachen gedachte. „Wen?“, fragte Grothe erfreut. „Thorsten Marx. Hat manchmal verblüffende Ideen. Ist ein guter Mann. Kannst dich hundertprozentig auf ihn verlassen.“ „Wann kann ich ihn kennenlernen?“ „Wann du willst.“ „Okay. Rede erst mal mit ihm.“ „Wieviel werden wir aus der Sache rausholen?“, fragte Seiler.

„Ich schätze so um die dreihunderttausend, vielleicht auch vier. Kommt drauf an, was mein Abnehmer bezahlt. Geteilt durch vier. Und zwar brüderlich. Keiner kriegt mehr, keiner kriegt weniger. Sonst gibt‘s Neid und Streitereien.“ Seiler rieb sich nachdenklich die Nase. „Schuster sucht sich bestimmt die gottverdammtesten Alarmanlagen aus, die zurzeit auf dem Markt sind.“ Chris Grothe grinste. „Das ist sein gutes Recht.“ „Es wird nicht leicht sein ...“ „Das hat niemand behauptet, aber die Hürde wird zu nehmen sein.“ Grothe kniff ein Auge zu. „Wir haben immerhin einen Mann in der Villa. Den Elektriker. Halt ihn dir warm, klar? Von ihm werden wir erfahren, von welcher Firma die Alarmsysteme stammen. Damit erledigt sich die Hälfte unserer Arbeit sozusagen schon von selbst.“ Sie gingen weiter. Karsten Seiler grinste. „Teufel, du bist immer noch der gleiche eiskalte, gerissene Hund, Chris.“ Das war ein Kompliment, das Grothe gern annahm. Er nickte und erwiderte unbescheiden: „Man hat ebenso seine Qualitäten.“ An der nächsten Ecke blieben sie wieder stehen. Ein Wagen fuhr an ihnen vorbei. Sie beachteten ihn nicht. Grothe sagte: „Als ich vorhin kam, war nur Moni zu Hause ... Mensch, Karsten, für einen Moment dachte ich, es wäre Silvia.“ Seiler nagte an der Unterlippe. „Ja, sie sieht Silvia ziemlich ähnlich. Aber sie hat einen ganz anderen Charakter als Silvia. Sie treibt‘s mit jedem. Er muss ihr nicht einmal gefallen. Hat sie‘s bei dir nicht versucht?“ „Nein.“ „Das wundert mich.“ Seiler lachte in sich hinein. „Silvia“, sagte Grothe ernst. „Weißt du, wie‘s ihr geht? Ich hatte noch keine Zeit, sie zu besuchen. Vielleicht gehe ich morgen zu ihr.“ Seiler scharrte mit dem Fuß auf dem Asphalt. Er hatte befürchtet, dass Chris

Grothe dieses Thema anschneiden würde. „Darf ich dir einen Rat geben, Chris?“ „Klar. Du bist mein Freund.“ „Aber spring mir nicht gleich ins Gesicht ...“ „Warum sollte ich?“ Seiler holte tief Luft und meinte dann: „An deiner Stelle würde ich‘s sein lassen. Ich würde nicht zu Silvia gehen, wenn ich du wäre.“ „Warum nicht? Sie war mein Mädchen. Sie ist es immer noch.“ Seiler schaute Grothe schief an. „Wieso glaubst du das?“ Grothe lachte. „Hör mal, ich weiß doch, wie sie früher zu mir stand.“ „Zwischen damals und heute liegen fünf Jahre, Chris. Fünf lange Jahre!“ „Sie hat versprochen, auf mich zu warten.“ „Ich denke, das hat sie während der ersten drei Jahre auch getan.“ Grothe riss die Augen auf. Er atmete schneller. Vor zwei Jahren hatte sie aufgehört, ihn zu besuchen. Grothes Hände schossen vor. Seine Finger krallten sich in Seilers Jackett. Er schüttelte den Freund. „Was weißt du, Karsten?“, fragte er heiser. „Versuch dich zu beruhigen, Chris.“ „Verdammt noch mal, ich will mich nicht beruhigen!“, schrie Grothe dem Freund ins Gesicht. „Zum Henker, Karsten, was ist mit Silvia? Ist es ... Ist es ein ... anderer Mann?“ Seiler wich Grothes Blick aus. Er schaute zur gegenüberliegenden Straßenseite. „Sie hat drei Jahre gewartet. Wie ‘ne Witwe kam sie uns vor.“ „Und dann?“, fragte Grothe aufgewühlt. „Was ist dann iert? Ein anderer Mann?“

„Ja, Chris. Tut mir leid.“ „Wer ist es? Kenne ich ihn?“ „Ja.“ „Sag mir seinen Namen!“, Grothe schüttelte Seiler wieder. „Hörst du nicht? Ich will, dass du seinen Namen nennst!“ „Sie hat mit Hans was angefangen, nachdem sie drei Jahre auf dich gewartet hat.“ Das war ein Keulenschlag für Grothe. Er ließ den Freund los. Kraftlos sanken seine Arme nach unten. Hans Wagner. Silvia hätte sich mit jedem anderen einlassen können, Grothe hätte das verstanden. Aber dass sie sich mit Wagner zusammengetan hatte, das konnte er nicht begreifen. Mit Wagner, dieser Niete, diesem Waschlappen, diesem rückgratlosen Schleimscheißer. Grothe schüttelte benommen den Kopf. „Nicht mit Wagner“, sagte er mit belegter Stimme. Er suchte in Seilers Augen den Beweis, dass das nicht stimmte, dass er sich verhört hatte, oder dass Karsten ihn bloß aufziehen wollte. „Tut mir leid, Chris“, seufzte Seiler. Hilflos zuckte er die Achseln. „An dem ist doch nichts dran.“ Verständnislos schlug sich Grothe auf die Stirn. „Was kann Hans Wagner ihr denn schon bieten?“ „Er ist Fahrer bei der Müllabfuhr.“ „Na bitte. Das ist ein Job, der zu ihm t ... Silvia verdient was Besseres, Karsten!“ „Sie liebt ihn, Chris.“ „Das gibt‘s doch nicht!“, schrie Grothe zornig. „Ist einfach unmöglich! Sie hat Hans Wagner früher nicht mal gesehen, wenn er vor ihr stand.“ „Jetzt sieht sie ihn. Und sie liebt ihn.“ „Vielleicht liebt sie ihn, weil kein anderer da ist, den sie lieben könnte.“

„Möglich.“ „Aber jetzt bin ich wieder da. Hans Wagner hat seine Schuldigkeit getan. Hans Wagner kann gehen. Silvia wird zu mir zurückkehren.“ Seiler sagte mit ernster Miene: „Ich finde, du solltest ihr und dir dieses Wiedersehen ersparen, Chris. Dabei kommt nichts Gutes raus.“ Grothe starrte den Freund wütend an. „Silvia Korner ist mein Mädchen! Ich hole sie zu mir zurück!“ „Das wird sie nicht wollen.“ Grothe grinste mit gefletschten Zähnen, und knurrend sagte er: „Seit wann hat Silvia Korner denn was zu wollen, he?“

13

Bernd Schuster hatte das Dinner hinter sich gebracht, ohne seine Ehre in Reginas Schlafzimmer zu verlieren. Am nächsten Morgen schaute Knut kurz in Bernds Büro. Der allgemeine Tenor in Wilmersdorf: Man war schon mächtig gespannt, was Mark L. Schwartz in seiner Wanderausstellung präsentieren würde. Bernd bat den Jungen, sich weiter in Wilmersdorf umzuhören. Franziska Jahn war unterwegs, um Chris Grothes Spur zu suchen. Bis um elf hatte sie damit noch keinen Erfolg. Um elf Uhr fünfzehn traf Bernd Schuster bei Sven Prüfer ein. Die zehn Männer waren alle überdurchschnittlich groß. Kräftig. Sportgestählt. Ihre Gesichter waren hart, markant und ernst. Es war Prüfers Elite. Der Chef der Sicherheitsfirma war stolz auf diese Männer. Draufgänger waren das, die sich nicht fürchteten. Prüfer hatte seine Leute bereits instruiert. Sie wussten, worum es ging. Bernd erklärte den Leuten nun, wie er sie einzusetzen gedachte: „Die Villa in Charlottenburg wird während der gesamten Nachtstunden bewacht. Also während der Zeit, wo die Wanderausstellung ihre Pforten geschlossen hat. Doppelpatrouillen vom Einbruch der Dunkelheit bis zum Tagesanbruch. Jedes Paar umrundet die Villa in einem vorgeschriebenen Radius. Zehn Meter. Zwanzig Meter. Dreißig Meter. Vierzig Meter. Und fünfzig Meter. Die einen umrunden das Gebäude im Uhrzeigersinn. Die anderen gehen in entgegengesetzter Richtung um das Haus. Die nächsten wieder im Uhrzeigersinn und so weiter. Sie werden Schusswaffen tragen, meine Herren. Aber ich bitte Sie, davon nur im äußersten Notfall Gebrauch zu machen. Die Wanderausstellung wird drei Wochen in Berlin bleiben. Während dieser Zeit werden Sie Ihr Leben auf den Kopf stellen. Sie werden am Tag schlafen und in der Nacht wach sein. Sie werden so wenig Alkohol wie möglich trinken und auf alle Vergnügungen verzichten, denn ich brauche Männer, die sich während dieser drei Wochen voll und ganz auf ihren Job konzentrieren. Auf den Job – auf sonst gar nichts! Haben wir uns verstanden?“

Die Männer nickten. „Noch irgendwelche Fragen?“, wollte Bernd wissen. Bernd kannte die Leute bereits alle beim Namen. Einer meldete sich mit Handzeichen. „Ja bitte?“, fragte Bernd. „Ich möchte wissen, wann es losgeht, Herr Schuster.“ „Übermorgen“, sagte Bernd. „Also bereits drei Tage vor der Eröffnung der Ausstellung.“ Das war alles, was Sven Prüfers Supermänner wissen wollten.

14

Am Nachmittag desselben Tages stellte sich heraus, dass sich Franziska Jahn mit Erfolg die Hacken schiefgelaufen hatte. Sie kam wie ein Wirbelwind in Schusters Büro. Er sah ihren triumphierenden Blick und wusste, dass seine Franzi eine gute Nachricht für ihn brachte. Sie knallte ihre Handtasche auf Bernds Schreibtisch und setzte sich auf den Besucherstuhl. Bernd beugte sich schmunzelnd vor und fragte: „Was kann ich für Sie tun, gute Frau? Ist Ihnen Ihr Schoßhündchen davongelaufen? Ist das der Grund, weshalb Sie das Büro eines Privatdetektivs mit zweifelhaftem Ruf aufsuchen?“ Franziska spielte augenzwinkernd mit. „Oh, es ist nicht das Hündchen, das mir Kummer macht, Herr Schuster. Das kann ich sterilisieren lassen. Es ist mein Chef. Ich möchte, dass Sie sich an seine Fersen heften. Ich glaube, er hat da was mit einer Frau.“ „Scheint mir ein beachtlicher Bursche zu sein, Ihr Chef.“ „Die Frau ist älter als er.“ „Ich nehme an, sie sieht trotzdem noch blendend aus.“ „Ich habe die älteren Rechte auf ihn.“ Bernd lachte. „Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, Frau ... äh ... wie war doch gleich Ihr Name?“ „Jahn. Franziska Jahn. Man kennt mich in ganz Berlin.“ „Tut mir aufrichtig leid, von Ihnen noch nie gehört zu haben, Frau Jahn. Ist ja beinahe unverzeihlich, wo Sie doch eine so bezaubernde Person sind. Würden Sie mir einen kleinen Tipp geben?“ „Aber gern, Herr Schuster.“ „Wann haben Sie Ihre schwache Stunde?“

„Jeden Dienstag.“ „Heute ist Dienstag.“ „Sie sind ein Glückspilz, Herr Schuster.“ Bernd räusperte sich. „Ich denke, jetzt haben wir genug geblödelt. Ich sehe deine strahlenden Augen und weiß, dass du mir gleich was Wunderbares an den Kopf knallen wirst.“ Franziska lehnte sich zurück. „Ich habe die Hälfte der Einwohner von WestBerlin befragt. Chris Grothe scheint es tatsächlich auf die Kunstsammlung von Mark Schwartz abgesehen zu haben.“ Bernd grinste und klopfte mit seinem Zeigefinger auf die rechte Nasenflanke. „Habe ich nicht einen goldenen Riecher?“ „Grothe hat einen Maler namens Fred Pawlak aufgesucht. Pawlak war mal ein vielversprechendes Talent. Hat relativ gute Bilder gemalt, war verhältnismäßig gut im Geschäft, fing aber an, sich Heroin zu spritzen. Heute malt ein Kind im Vorschulalter bessere Bilder als Pawlak.“ ‚Heroin ist teuer‘, überlegte Bernd. ‚Pawlak hat sicherlich dringend viel Geld nötig. Wenn Grothe ihm ein Angebot gemacht hat, hat er bestimmt angenommen‘. „Außerdem“, fuhr Franziska Jahn mit ihrem Bericht fort, „wurde Chris Grothe mit einem Typ namens Karsten Seiler zusammen gesehen. Seiler gilt als Spezialist für Alarmanlagen.“ Bernd stieß einen überraschten Pfiff aus. „Pawlak und Seiler en hervorragend in unser Puzzle. Der eine versteht was von Bildern. Der andere ist ein Experte für Alarmanlagen. Da wollen wir doch gleich mal querfunken.“ Schuster erhob sich. „Hast du die Adressen von Pawlak und Seiler?“ „Wenn ich was mache, dann mach‘ ich‘s gründlich.“ „Du bist ein wirklicher Schatz“, lobte Bernd seine hübsche Lebensgefährtin. „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich anfangen würde.“

Franziska schürzte die Unterlippe. „Ich bin davon überzeugt, du hättest dir eine andere Detektiv-Volontärin zugelegt, zu der du dasselbe sagen würdest.“ Bernd beugte sich über sie. „Wie kannst du nur so etwas Dummes sagen?“, fragte Bernd das Mädchen mit gedämpfter Stimme. Sie küssten sich leidenschaftlich, und als sie sich endlich wieder trennten, gab sie Bernd die gewünschten Adressen. Er verließ das Büro. „Es kann heute später werden!“, rief er noch im Hinausgehen. „Ich kümmere mich um Lucy! Versprochen!“, antwortete sie lächelnd. Sie waren schon ein tolles Team.

15

Bernd gab der Mercedes-Tür einen sanften Schubs. Sie fiel mit einem schmatzenden Geräusch zu. Er hob den Kopf und betrachtete die schäbige graue Gebäudefassade. Hier zu wohnen war nicht jedermanns Sache. Und das Haus stand wohl nur deshalb nicht leer, weil die Mieten halb geschenkt waren. Keine hohen Mieten – kein Geld für Reparaturen. Kein Geld für Reparaturen – kontinuierlicher, unaufhaltsamer Verfall des Gebäudes. Kinder rasten auf Rollschuhen den Bürgersteig entlang. Sie lachten und waren guter Laune. Für sie war das kein Elend, in dem sie aufwuchsen. Sie kannten nichts Besseres. Bernd betrat das Haus, in dem Fred Pawlak seine Atelierwohnung unterhielt. Er hämmerte im letzten Stock an die zerkratzte Tür. Der Fußabstreifer bestand nur noch aus Fransen, hatte schon lange keine Funktion mehr. Niemand öffnete oder fragte, wer da sei. Es blieb beim negativen Erfolg. Versuchsweise legte Schuster die Hand auf die Klinke. Die Tür ließ sich ächzend öffnen. Der Geruch von Farbe legte sich auf Bernds Lungen. Er trat ein. Ringsherum eine Menge Bilder vom „Meister“. Vermutlich in einer schizophrenen Anwandlung entstanden. Bernd stolperte durch die Wohnung. Pawlak war nicht zu Hause. Plötzlich hatte Bernd das Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. Er zuckte blitzschnell herum. Mitten im Raum stand ein seltsamer Mann. Baumlang und lattendürr. Er hatte den Kopf eines Aasgeiers und schwarze, brennende Augen. Er trug einen rabenschwarzen Anzug und eine gleichfarbige Krawatte. Er sah aus wie einer von diesen Leuten, die für Geld bei einem Begräbnis mitgehen und wie Schoßhunde um den teuren Verblichenen heulen, ohne ihn zu seinen Lebzeiten gekannt zu haben. „Was suchen Sie hier?“, fragte der Mann. Auch seine Stimme schien aus einer Gruft zu kommen. „Fred Pawlak suche ich“, sagte Bernd.

„Der wohnt nicht mehr hier.“ „Darf ich fragen, wer Sie sind?“, sagte Bernd. „Mein Name ist Müller. Freddy Müller. Ich kümmere mich ums Haus.“ „Hausbesorger?“ „Nein. Das ist Herr Stephan. Ich vertrete ihn. Den armen Herrn Stephan plagt zurzeit das Rheuma so sehr, dass er sein Bett nicht verlassen kann.“ „Wieso wohnt Pawlak nicht mehr in dieser Wohnung, Herr Müller?“ „Er scheint was Besseres gefunden zu haben.“ „Und seine Bilder?“, fragte Bernd. „Die hat er dagelassen.“ „Das sehe ich. Möchte er nicht, dass man sie ihm nachbringt?“ „Diese Bilder?“ Müller lachte grollend. „Ich bitte Sie, die sind nicht mal die Transportkosten wert. Herr Pawlak hat sich von ihnen getrennt. Ist ihm bestimmt nicht schwergefallen, sie zurückzulassen.“ „Hat er Ihnen seine neue Adresse genannt?“, wollte Schuster wissen. „Mit keiner Silbe.“ Bernd nickte. „Dann werde ich Ihre kostbare Zeit nicht mehr länger in Anspruch nehmen, Herr Müller. Es war sehr nett, Sie kennengelernt zu haben.“ „Falls Herr Pawlak nochmals zurückkommt, was soll ich ihm dann ausrichten?“ „Sagen Sie ihm, Bernd Schuster sei hier gewesen, und er möchte mich anrufen.“ „Das werde ich ihm bestellen, Herr Schuster.“ Aber er wird nicht anrufen, dachte Bernd bei sich und verließ die Atelierwohnung des Malers.

16

Moni machte ihm auf, als er klopfte. Ihre Augen fingen sofort zu glänzen an. „Hi!“, sagte sie und lächelte verheißungsvoll, während sie mit den Hüften rotierte. „Hi“, sagte Bernd. Sie machte keine langen Geschichten. Sie schlang einfach ihre Arme um seinen Nacken und presste sich herausfordernd und drängend gegen ihn. „Sag mal, was hältst du davon, Baby?“, fragte sie ihn ungeniert. Bernd grinste. „Oh, im Allgemeinen halte ich davon sehr viel. Nur ... So wie du das machst, so ist es nicht ganz nach meinem Geschmack.“ Moni kicherte. „Ich hab‘ damit ja noch nicht mal angefangen.“ Bernd griff nach ihren Armen und löste sie von seinem Nacken. „Sorry, Baby. Ich glaube, in der Beziehung haben wir beide doch zu verschiedene Ansichten.“ „Du bist der schönste Mann, der mir je begegnet ist.“ Moni zitterte vor Erregung. Ihre Augen schienen zu glühen. Ihr Verlangen war so groß, dass sie sich fest in die Lippe biss. Bernd lächelte. „Bist vermutlich noch nicht weit herumgekommen. Es gibt schönere Männer als mich.“ „Scheiße, die sind doch alle schwul. Du bist ein männlicher Mann. Und so verdammt sexy. Meine Fresse, so was wie dich suche ich, seit ich keine Jungfrau mehr bin.“ Hinter Moni bewegte sich etwas. Bernd schaute über die zuckende Schulter des Mädchens und entdeckte einen muskulösen Burschen, der nur seine grauen – einstmals weißen – Unterhosen anhatte. Er grinste dreckig. „Hör mal, lass dich doch nicht so lange von Moni bitten, Mann. Tu ihr doch den kleinen Gefallen. Was ist denn schon dabei? „Ich bin nicht wegen Moni hier!“, sagte Bernd ärgerlich.

„Verdammt noch mal, sie ist dir wohl nicht gut genug, was?“ Der Junge ballte die Fäuste und nahm eine drohende Haltung ein. Eine verrückte Situation war das. Der Junge war böse auf Bernd, weil er mit Moni nichts anfangen wollte. Moni atmete schwer. Mit schmachtendem Blick schaute sie Bernd an. Und der Junge kam näher. „Bist dir wohl zu fein für Moni, wie?“, knurrte er. „Wenn ihr zwei Idioten nicht gleich damit aufhört, raucht‘s in der Hütte!“, erwiderte Bernd schneidend. „He! He! He! Mann, so kannst du mit deinesgleichen reden, aber nicht mit mir!“, versetzte der Junge zornig. „Du bist jetzt ganz artig, ja? Sonst gibt‘s was auf die Vorderzähne!“, herrschte Bernd den Jungen an. Moni wich zurück. Sie ahnte, was nun kommen würde. Der Junge rammte Bernd die Faust in den Magen und schickte im selben Moment einen Schwinger hinterher. Den Magenhaken fing Bernd Schuster ab, indem er die Bauchmuskeln blitzschnell anspannte. Der Bursche sah kräftiger aus, als er tatsächlich war. Sein Schwinger blieb an Schusters hochzuckender Linken hängen. Und dann kam die Dampframme, die den Halbnackten bis ins nächste Zimmer zurückwarf. Moni fasste sich voll Bewunderung ins blonde Haar. „Oh Gott, und welche Kraft er hat!“ Der Junge kam nicht wieder. Bernd atmete aus. Er wandte sich an Moni. „Kannst du mir ein Rendezvous mit Karsten Seiler verschaffen?“ „Karsten hat sich abgeseilt. Hat die Kommune für immer verlassen. Ist richtig schade um den Jungen.“ „Und wo hängt er jetzt seinen Hut auf?“, fragte Bernd.

„Wenn ich‘s wüsste, wäre ich nicht hier“, sagte Moni. „Okay, Moni – danke“, sagte Bernd, und dann verzog er sich schleunigst.

17

„Puh!“, machte er und fächerte sich Luft zu, als er sich in seinen 450 SEL setzte. Sachen gibt‘s, die gibt‘s gar nicht, dachte Bernd. Er wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Augen und griff dann nach dem Hörer des Autotelefons. Hatte ihn ganz schön ins Schwitzen gebracht, das kleine Luder. Er tippte die Telefonnummer der Keithstraße in den Apparat. Als sich die Telefonistin meldete, ließ er sich mit dem Büro von Inspektor Südermann verbinden. Wilhelm Krone, Horsts Stellvertreter, nahm das Gespräch entgegen. „Na, Bernd. Wie geht‘s denn so?“, fragte der Beamte leutselig. „Darfst du einer Privatperson mal ausnahmsweise eine Auskunft erteilen?“, fragte Bernd Krone. Der lachte abgehackt. „Mal sehen. Vielleicht kann ich bei einem so guten Freund wie dir eine Ausnahme machen. Worum handelt es sich?“ „Chris Grothe.“ „Ah, von dem habe ich schon gehört.“ „Ich hab‘ ihn vor fünf Jahren in den Knast gebracht. Jetzt ist er wieder draußen. Verpflegt sich selbst.“ „Und was stört dich an dem Knaben?“, fragte Krone. „Ich habe da so ein dummes Gefühl, über das ich noch nicht reden möchte.“ „Wie kann ich dir dann helfen?“, wollte Krone wissen. „Indem du mir den Namen und die Anschrift von seinem Bewährungshelfer nennst. Das lässt sich doch machen, oder?“ „Momentchen. Ich rufe zurück.“ „Ich sitze in meinem Wagen. Die Nummer hast du?“

„Aber sicher.“ „Dann beeil dich“, sagte Bernd und schob den Hörer in die Halterung. Er startete den Motor und ließ den Mercedes die Straße entlangrollen. Bald schwamm er mitten in der Verkehrsflut, eingekeilt zwischen Lieferwagen und Pkws. Und dann meldete sich Krone wieder. „Ja, Wilhelm?“, sagte Bernd, nachdem er abgehoben hatte. „Ich lausche.“ „Der Bewährungshelfer heißt Klaus-Dieter Klenke.“ „Sonst noch was?“, fragte Bernd. „Das ist alles.“ „Dann dank‘ ich recht herzlich.“ „Keine Ursache. Vielleicht kannst du mir auch mal wieder ein blaues Auge schlagen.“ „Aber mit dem größten Vergnügen“, grinste Bernd. „Bestell dem Häuptling einen schönen Gruß.“ „Das kriegen wir schon hin“, sagte der Polizist, und Bernd schob den Hörer zum zweiten Mal in die Halterung. Zwanzig Minuten später erreichte Bernd die angegebene Adresse. Bernd betrat das Haus. Nüchterne, kalkweiße Wände. Ein steriler PVC-Boden. Eine weiße Deckenbeleuchtung. Wie im Krankenhaus. Das Büro von Klenke befand sich im zweiten Stock. Schreibmaschinengeklapper hinter einer hellen Nussholztür. Bernd klingelte. Etwas summte, und dann gab der Magnet die Tür frei. Bernd trat ein. Hier waren die Wände mit Stofftapeten verkleidet. Auf dem Boden lag ein strapazierfähiger, grauer Nadelfilzbelag. Klenke hatte freundliche Augen. Alles verstehend. Alles verzeihend. Er war der geborene Bewährungshelfer, der gewiss für alles eine Entschuldigung fand. Ein schmächtiger Mann mit einem spärlichen Kinnbart. In seinem Mund blitzten Goldzähne.

„Mein Name ist Schuster“, sagte Bernd. Er reichte dem Mann seine Visitenkarte. „Privatdetektiv!“, stellte Klenke fest. „Womit kann ich Ihnen behilflich sein, Herr Schuster?“ Er schaute Bernd mit offenen, ehrlichen Augen an. Dieser Mann hatte nichts zu verbergen. Und er war gewiss über das normale Maß hinaus hilfsbereit. Das kam Bernd sehr gelegen. Klenke würde ihm keine Schwierigkeiten machen. „Ich suche einen Ihrer Schützlinge.“ „Wie ist sein Name?“ „Chris Grothe.“ Nichts spielte sich in Klenkes Augen ab. Absolut nichts. Nur „Aha“ sagte der Bewährungshelfer. Und dann: „Darf ich fragen, weswegen Sie ihn suchen? Er ist doch nicht etwa schon wieder straffällig geworden?“ „Wie‘s aussieht, kann man seine Seele noch retten“, sagte Bernd. „Aber man müsste schnell sein, sonst kommt man zu spät.“ Klenke verstand. „Sie meinen, er bereitet etwas vor?“ „So könnte man es nennen, Herr Klenke.“ Der Bewährungshelfer schüttelte den Kopf. „Warum sich diese jungen Leute ihr Leben immer wieder aufs Neue verpatzen. Ich kann das nicht verstehen. Was hat er vor?“ „Ich denke, es ist noch etwas verfrüht, darüber zu sprechen“, sagte Bernd ausweichend. Er lächelte und fügte hinzu: „Ein ungelegtes Ei, Sie verstehen. Es würde mir genügen, wenn Sie mir sagen, wo unser gemeinsamer Freund wohnt.“ Klenke schaute Bernd unschlüssig an. „Was haben Sie mit ihm vor, Herr Schuster?“ „Ich will ihm bloß ein bisschen ins Gewissen reden. Bin davon überzeugt, dass er meinen Argumenten zugänglich sein wird. Dann haben wir beide den Engel vor einem neuerlichen Fall bewahrt.“ Das hörte Klenke gern, deshalb war er nun auch bereit, mit der Adresse des

Gangsters herauszurücken. Er holte sein Notizbuch aus der Schreibtischlade, blätterte kurz darin, sagte dann „Aja“ und nannte Schuster die Anschrift eines billigen Hotels. Bernd bedankte sich. Zwei Minuten später steuerte er seinen Silbernen zu diesem Hotel am WernerVoß-Damm. Das Hotel erwies sich als eine ganz miese Absteige. Die Frauen, die hier rauchend auf und ab gingen, waren leicht einzuschätzen. Einige von ihnen sahen so gut aus, dass sie‘s nicht nötig gehabt hätten, hier zu arbeiten. Bernd betrat das ehrwürdige Gebäude. Im ersten Stock kicherte ein Mädchen. Es klang so schrill, als würde jemand mit der Kreissäge quer durchs Holz fahren. Irgendwo war das eindeutige Schnaufen eines Zuchtbullen zu vernehmen. Der Mann hinter dem Rezeptionspult war ein alter Bekannter von Bernd: Carlo. Oder auch „Messer“-Carlo genannt. „Bernd Schuster!“, sagte er, und es klang so ehrfürchtig, dass Bernd schmunzeln musste. „Du brauchst vor mir nicht gleich auf die Knie zu sinken“, sagte Bernd amüsiert. „Wie ist die allgemeine Lage?“ „Unverändert“, sagte „Messer“-Carlo. Seine Wangen wiesen zwei hässliche Narben auf. Er war eines Tages zu nahe an die Klinge eines Gegners geraten. ierte ihm eigentlich selten, denn Carlo konnte wendig sein wie eine Raubkatze. „Wie sollte sich bei dir auch etwas ändern?“, sagte Bernd. „Zufällig hier?“ Bernd schüttelte den Kopf. „Absichtlich hier.“ Carlos Stirn bekam Kummerfalten. „Doch nicht etwa meinetwegen. Ich bin sauber.“ Bernd grinste. „Das wäre mal was Neues.“ „Ehrlich. Ich ...“

Bernd winkte ab. „Geschenkt, Carlo. Hier soll Chris Grothe abgestiegen sein.“ Carlo atmete erleichtert aus. Er entspannte sich und lächelte auch nicht mehr so nervös. „Ach, seinetwegen sind Sie ...“ „Ist er zu Hause?“, fragte Bernd. „Nein.“ „Welche Zimmernummer hat er?“ „Elf.“ „Darf ich mich da mal umsehen?“ „A-aber natürlich.“ Bernd bekam den Schlüssel und ging nach oben. Nummer elf. Er betrat ein schäbiges Zimmer. Die Vorhänge waren vergilbt und nicht ganz sauber. Das Doppelbett war anscheinend längere Zeit nicht benutzt worden. Kein Knitter in der Bettwäsche. Bernd öffnete den Schrank. Außer einer Motte, die aufgeregt zu flattern anfing, als die ächzenden Türen aufgingen, befand sich nichts im Kasten. Der ganze Raum war leer. Kein Rasierzeug auf der gläsernen Ablage über der Waschgelegenheit, nicht mal eine Tube Zahnpaste war da. Ein Zimmer, das von Chris Grothe zwar gemietet, aber nie benutzt worden war. Bloß eine Adresse. Weil auf Bewährung freigelassene Häftlinge eine Anschrift aufweisen mussten. Ob sie wirklich da wohnten, das zu kontrollieren wäre Aufgabe des Bewährungshelfers gewesen. Aber Klenke hatte zu viele Schützlinge zu betreuen. Er konnte sich einfach nicht um alles kümmern. Bernd kehrte zu „Messer“-Carlo zurück. Der Mann wurde um einige Zentimeter kleiner. Bernd gab ihm den Zimmerschlüssel. „Danke“, sagte er brummig. „Gern geschehen. Wenn ich sonst noch was für Sie tun kann, sagen Sie‘s.“ Bernd zog die Brauen ärgerlich zusammen. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass Nummer elf nichts weiter als ein leeres Zimmer ist? Eine Fassade!“ „Ich ... ich verstehe nicht.“ Hilflos hob „Messer“-Carlo die Schultern. „Wie viele Stunden hat Chris Grothe in diesem Zimmer dort oben verbracht?“

„Keine einzige.“ Bernd nickte grimmig. „Davon rede ich. Er kam hierher, mietete das Zimmer und ging wieder. Richtig?“ „Ja. Und er bezahlte die Miete im Voraus.“ „Für wie lange?“ „Zwei Wochen.“ „Sagte er, dass er wiederkommen würde?“, fragte Bernd. „Er sagte gar nichts. Nicht mal gegrüßt hat er, als er ging.“ Jetzt erlaubte sich Carlo eine Frage, die ihm bereits auf der Zunge brannte: „Hat er ... Ich meine, hat er was ausgefressen, Herr Schuster?“ „Er will etwas ausfressen. Und ich möchte ihn davon abhalten.“ „Aha. Sie treffen sozusagen ‘ne vorbeugende Maßnahme.“ Bernd nickte lächelnd. „Du hast es wieder mal erfasst, Carlo.“ Bernd stieß dem Mann seinen Zeigefinger gegen das Brustbein. „Du rufst mich an, wenn er die Nase zur Tür hereinsteckt, klar?“ „Glasklar.“ „Okay. Bleib sauber, Kumpel.“ Bernd verließ das Hotel. Carlo spuckte auf den Boden und fauchte: „Scheißschnüffler!“ Es kam ihm von Herzen.

18

Zurück zu Klenke. Der Bewährungshelfer kitzelte sich im Kinnbart, als Bernd ihm eröffnete, dass Chris Grothe mindestens zwei Adressen haben musste. Eine für die Behörden. Und eine, wo er sich wohlfühlte, weil keiner wusste, dass er da zu Hause war. Klenke schüttelte verständnislos den Kopf. „Warum tut er das?“ „Er will seinen nächsten Coup in Ruhe vorbereiten, nehme ich an“, sagte Bernd. „Er kennt doch die Bestimmungen.“ „Um die schert sich doch ein Chris Grothe nicht“, erwiderte Bernd. Wie naiv war Klenke eigentlich? Wie konnte er annehmen, Grothe hätte nichts Anderes im Kopf als die Zwangsjacke, die ihm Vater Staat vert hatte. Bernd fragte: „Wie oft muss er sich bei Ihnen melden?“ „Einmal in der Woche“, sagte Klenke. „Wann ist er fällig?“, wollte Bernd wissen. Klenke schaute auf seinen Terminkalender. „Morgen.“ „Würden Sie mich benachrichtigen, wenn er hier aufkreuzt?“ „Natürlich, Herr Schuster.“ „Sie nageln ihn dann so lange fest, bis ich da bin, okay?“ „In diesem Fall bestehe ich darauf, dass ich bei der Unterredung dabei sein darf.“ Bernd nickte. „Okay. Meinetwegen.“ „Wie ist Ihre Nummer?“

Bernd deutete auf die Visitenkarte. „Selbst mein Autotelefon ist da vermerkt.“ Klenke nickte. Schuster tippte sich grüßend an die Stirn und verließ das Büro des Bewährungshelfers. Er war zu neunundneunzig Prozent sicher, dass sich Chris Grothe kein weiteres Mal mehr bei Klenke blicken lassen würde. Der Junge hatte jetzt andere Sorgen.

19

Es war eine unangenehme Situation. Silvia Korner lehnte an der Kommode. Sie trug ein einfaches Kleid und eine Kette aus Holzperlen um den Hals. Sie war furchtbar nervös und nestelte mit zitternden Fingern ununterbrochen an ihrem Taschentuch herum. Chris war da. Er saß rittlings auf einem Stuhl und blickte sie mit großen, bewundernden, ja verliebten Augen an. Sie konnte seine Blicke kaum noch ertragen. Es war ihr unangenehm, wie er sie anstarrte. Oh Gott, warum war er nur zu ihr gekommen? Sie hatte sich darüber gefreut, ihn endlich vergessen zu können. Während der vergangenen zwei Jahre hatte sie immer weniger an ihn gedacht. Sie erinnerte sich nicht gern an die Zeit mit Chris Grothe. Was hatte sie damals schon gehabt? Leid und Kummer. Ärger und Zank. Manchmal hatte er sie geschlagen. Hans Wagner würde so etwas nie tun. Hans achtete und liebte sie. Brutalitäten, wie Chris Grothe sie praktizierte, waren ihm fremd. Da war er nun und benahm sich so, als wären die letzten fünf Jahre nur fünf Minuten gewesen. Er dachte, es wäre alles beim Alten. Wie konnte er nur auf diese verrückte Idee kommen? Silvia schluckte aufgeregt. Er war zu ihr zurückgekommen, aber sie wollte ihn nicht mehr haben. Eigentlich hatte sie ihn von Anfang an nicht haben wollen, weil sie so gar nicht zusammenget hatten. Wie eine Sucht war er damals für sie gewesen. Und obwohl sie Chris Grothe in den langen, einsamen Nächten vermisste, war sie dem Privatdetektiv dankbar für den Dienst gewesen, den er ihr erwiesen hatte. Endlich war sie frei. Endlich konnte Chris sie nicht mehr beeinflussen. Chris Grothe war für sie nur mehr Vergangenheit, an die sie sich nur widerwillig erinnerte. Und nun ... Ganz plötzlich ... schlagartig war Chris Grothe wieder zur Gegenwart geworden. Das ängstigte Silvia. Sie fühlte instinktiv, dass da noch etwas in ihr schlummerte, das immer noch auf Chris‘ animalische Ausstrahlung ansprach. Sie hatte Angst vor sich selbst. Dieses Wissen machte Silvia unglücklich. Sie durfte Hans Wagner das nicht antun. Hans war ein braver,

arbeitsamer Bursche. Es gab einfach nichts, das er für sie nicht tun würde. Er liebte sie. Und sie liebte ihn wieder. Jedenfalls hatte sie das zwei Jahre lang geglaubt. Doch nun war Chris Grothe da. Und er brachte ihre Gefühle in Unordnung. Er brachte sie mit seiner bloßen Anwesenheit in Aufruhr. Nein, Chris Grothe war nicht bewältigte Vergangenheit. Chris Grothe war ein Gift, das sie immer noch in ihrem Körper hatte. Sie wehrte sich verzweifelt dagegen, aber es war so und nicht anders. Es war noch nicht vorbei mit Chris Grothe, obwohl sie es so sehr gehofft hatte. Sie sagte mit heiserer Stimme: „Ich ... ich wollte, du wärst nicht hierhergekommen, Chris.“ Der Gangster grinste breit unter seinen zahlreichen Pflastern. „Freust du dich denn überhaupt nicht, mich nach so langer Zeit wiederzusehen, Baby?“ „Nein“, sagte Silvia schroff. „Wozu bist du gekommen? Wir haben einander nichts mehr zu sagen.“ „Ich habe dir eine ganze Menge zu sagen“, erwiderte Grothe mit belegter Stimme. „Zum Beispiel das: Warum hast du nicht auf mich gewartet? Du hattest es mir versprochen.“ Silvia nagte aufgeregt an ihrer Unterlippe. Sie schaute starr an Grothe vorbei. „Wir haben von Anfang an nicht zusammenget, Chris. Du hast einen ganz anderen Charakter als ich. Wir haben doch niemals richtig miteinander harmoniert. Wenn du ehrlich bist, musst du das zugeben.“ Grothe lachte. „Oh, im Bett haben wir fantastisch harmoniert.“ „Das Bett.“ Silvia sagte es verächtlich. „Meinst du nicht, dass das für ein gemeinsames Leben zu wenig ist?“ „Alles andere ergibt sich von selbst.“

„Das ist nicht wahr.“ „Komm zu mir zurück, Baby!“, sagte Grothe eindringlich. „Es wird alles wieder so wie früher.“ „Ich will nicht, dass es wieder so wie früher wird. Hörst du? Ich will nicht!“ Grothe grinste sicher. „Du sagst nicht die Wahrheit, Süße!“ „Doch, Chris. Doch, das tu‘ ich.“ „Hans Wagner ist kein Mann für dich, Baby. Ich kenne ihn. Er ist ein Tölpel. Und als Liebhaber ist er vermutlich eine Null.“ Zornesröte schoss dem Mädchen ins Gesicht. Mit schriller Stimme schrie sie: „Ich verbiete dir, so über Hans zu reden! Dazu hast du kein Recht.“ Grothe lachte. „Irrtum, Baby. Ich habe bei dir jedes Recht. Jedes.“ Er winkte gleichmütig ab. „Wagner war bloß Ersatz. Zwar kein vollwertiger, aber immerhin ... Jetzt hat er ausgedient. Deshalb werde ich mit Hans reden ...“ Silvia riss verdattert die Augen auf. „Worüber willst du mit ihm reden?“ „Darüber, dass er hier nichts mehr zu melden hat.“ Silvias Augen verengten sich. Sie bebte vor Zorn. „Wenn du das tust... Wenn du das tust ...“ Grothe griente unbekümmert. „Was ist dann? Stößt du mir dann eines von deinen Küchenmessern in die Brust?“ „Ich will dich nicht mehr sehen, Chris Grothe. Begreifst du das denn nicht? Ich will nicht, dass dieser Albtraum noch einmal beginnt. Wir gehören nicht zusammen. Ich verabscheue dich. Ich war so froh, als es endlich zwischen uns aus war. Heute bin ich endlich glücklich. Verflucht noch mal, ich lasse mir mein Glück von dir nicht kaputtmachen. Hast du jetzt endlich begriffen, was ich für dich empfinde?“ Chris Grothe erhob sich langsam. Er lächelte. Silvia hatte Tränen in den Augen. Er wusste, dass sie alles das, was sie ihm da an den Kopf warf, nicht meinte. Sie versuchte eine Wand zwischen sich und ihm aufzurichten, wollte sich hinter dieser Wand vor ihm verstecken.

Er ging langsam auf sie zu. „Du siehst wundervoll aus, wenn du wütend bist, Baby.“ „Bleib mir vom Leib!“, keuchte das Mädchen zitternd. „Ich bin verrückt nach dir, Baby.“ „Fass mich nicht an, Chris.“ „Warum wehrst du dich so sehr gegen mich? Warum wehrst du dich gegen dein Glück?“ „Glück?“, schrie das Mädchen kreischend. „Pah. Glück nennst du das? Ein Unglück ist es. Das größte Unglück, das mir ieren kann!“ Mit einem triumphierenden Lächeln wollte er sie in seine Arme nehmen. „Chris, wenn du mich nicht in Ruhe lässt ...“ Seine Hände berührten sie. Silvia Korner zuckte wie unter einem Stromschock zusammen. Sie schrie auf, als hätte ihr Grothe einen körperlichen Schmerz zugefügt. Und dann holte sie blitzschnell aus und schlug ihn mit aller Kraft ins Gesicht. Wut flammte in seinen Augen auf. „Ich hasse dich!“, schrie Silvia, so laut sie konnte. „Ich hasse dich! Hasse dich! Hasse dich!“ Plötzlich schlug er zu. Die Ohrfeige riss das Mädchen von den Beinen. Sie fiel auf den Teppich und heulte. „Warum musst du immer alles kaputtmachen?“, schrie sie, während ihr dicke Tränen über die bleichen Wangen rollten. „Was bist du nur für ein gewissenloser Mensch? Warum musst du alles Schöne zerstören?“ Grothe fletschte zornig die Zähne. „Du kommst zu mir zurück, Baby. Ist das klar? Und wir werden wieder zusammenkommen, selbst wenn du dich dagegen noch so sehr auflehnst!“ Grothe machte auf den Hacken kehrt und verließ die kleine Wohnung. Als die Tür draußen krachend zufiel, war Silvia Korner so unglücklich wie noch nie in ihrem Leben ...

20

Zuerst rief sein Gelegenheits-Assistent Knut an. Und kaum hatte Bernd Schuster den Hörer in die Gabel zurückgelegt, da klingelte der Apparat schon wieder. Diesmal war es Regina. Es war nur ein fadenscheiniger Vorwand, als sie sich erkundigte, ob alles in Ordnung wäre. In Wirklichkeit hatte ihr Anruf einen ganz anderen Grund. Sie wollte wissen, ob Bernd für sie Zeit hatte. Schuster war froh, sie nicht belügen zu müssen. Nein, er habe keine Zeit, erklärte er. Knut habe ihn soeben angerufen und er müsse dringend weg, um den Jungen in Wilmersdorf zu treffen. Regina ließ einen tiefen, bedauernden Seufzer hören. „Wie schade“, sagte sie leise. „Tja. So ist‘s nun mal im Leben“, gab Bernd lächelnd in den Hörer zurück. „Der Job hat immer Vorrang.“ „Verflixt noch mal, warum erwische ich nie den richtigen Zeitpunkt?“ „Vielleicht deshalb, weil Sie die Frau von Mark Schwartz sind.“ „Das war jetzt gemein, Bernd.“ „Ich bitte um Vergebung“, sagte Schuster schmunzelnd. „Bin ich Ihnen lästig?“ „Absolut nicht.“ „Sie können mir ruhig die Wahrheit sagen. Das haut mich nicht um.“ „Sie sind mir nicht lästig, Regina. Ganz bestimmt nicht.“ „Ich danke Ihnen, Bernd. Sie sind wirklich ein ganz patenter Bursche. Beinahe schon zu patent“, sagte Regina und legte auf. Bernd startete seinen Mercedes und fuhr nach Wilmersdorf. Einige Zeit später betrat er die kleine Bar, in der

Knut auf ihn wartete. Schummeriges Licht hellte den Raum nur geringfügig auf. Wer es nicht so dunkel haben wollte, der konnte die dicke Kerze anzünden, die auf jedem Tisch stand. Es war eine der beliebten, bunten Kleckerkerzen, die man auf eine leere Weinflasche stellte. Langsam lief das bunte Wachs in schmalen Bahnen herunter und bildete eine interessante Kruste um die Flasche. Genau das war jetzt in vielen Haushalten der letzte Schrei, und in diese Künstlerbar te es ebenfalls. Knut hob die Hand, als Bernd die Bar betrat. Er war nicht allein. Ein Typ mit langem, strähnigem Haar saß neben ihm. In seinem struppigen Vollbart schienen sich Filzläuse eingenistet zu haben. Er kratzte darin ununterbrochen herum. Bernd trat an den Tisch. „Was darf‘s sein?“, rief der Wirt. „Johnnie Walker“, gab Bernd zurück. Knut wies auf den Struwwelpeter. „Bernd, das ist Tom. Gebürtiger Pole. Künstler. Genauer: Maler. Tom Sarazin ist sein Künstlername.“ „Hallo, Tom.“ „Hallo, Bernd.“ Schuster setzte sich. Der Whisky kam. Bernd trank. Nachdem er das Glas abgesetzt hatte, drehte er die Handflächen nach oben. „Ich bin da. Was habt ihr mir zu bieten?“ Knut wies auf den Künstler. „Er hat Fred Pawlak gesehen.“ „Wo?“, fragte Bernd interessiert. „Sag‘s ihm, Tom“, verlangte Knut. Er drehte sein leeres Glas zwischen den Händen hin und her. Der Bärtige beugte sich über den Tisch. Er verwendete anscheinend Terpentin als Deodorant. Stank ganz erbärmlich danach. „Vor einer Stunde hab‘ ich Fred gesehen“, kam es in hartem Deutsch aus dem verfilzten Bart. „Hier gleich um die Ecke, lief mir einfach über den Weg. Wir stellten uns die üblichen Fragen.

Was man so treibt. Wie‘s so geht. Wir hatten mal zusammen ‘ne Ausstellung gemacht. Er verkaufte damals fast ebenso viele Bilder wie ich. War ‘n brauchbares Talent, damals. Hat sich aber ziemlich verschlechtert, wie ich von anderer Seite gehört habe. Er erzählte mir, er wohne jetzt am Stadtrand von Berlin. In ‘nem schicken Haus. Der Junge war verdammt aufgekratzt. Lachte ununterbrochen. Erweckte den Eindruck, als ginge es ihm ganz prima. ,Ich hab‘ da ‘ne tolle Sache in Aussicht‘, sagte er. ,Was denn?‘ fragte ich ihn. ,‘ne Sache, die ‘n Haufen Geld einbringt‘, antwortete er. ,Will jemand auf einen Schlag alle deine Bilder kaufen?‘ fragte ich. Da grinste er verschlagen und sagte: ,Darüber, Freund, darf ich mit niemandem reden.‘ Dann ging er seines Weges.“ Bernd nahm wieder einen Schluck von seinem Whisky. Er glaubte zu wissen, wie der Hase lief. Chris Grothe hatte ein Haus am Stadtrand gemietet und Fred Pawlak und Karsten Seiler zu sich geholt. Da bereiteten sich die Gangster nun ungestört auf ihren großen Coup vor. Knut presste die Kiefern zusammen. „Am Stadtrand. Man gut, dass unser heißgeliebtes Berlin eine Insel ist“, knurrte er missmutig. „Aber jetzt geht das Suchen erst richtig los.“

21

Wagners Müllwagen war der letzte, der in die riesige Garage einfuhr. Er griff nach seiner Lederjacke und kletterte aus dem Fahrerhaus. War mal wieder ein harter Arbeitstag gewesen. Er war rechtschaffen müde. Mit verzogenem Gesicht spannte er das schmerzende Kreuz durch. Dieses lange Sitzen hinter dem Steuer machte ihn ganz mürbe. Im Vorbeigehen klopfte er mit den Füßen gegen die riesigen Pneus. Eine Art Kontrolle. Er nahm sie nicht genau. Plötzlich tauchte eine Gestalt zwischen den Müllwagen auf. Die Sichtverhältnisse waren hier in der Halle nicht die besten, deshalb erkannte Hans Wagner nicht sofort, wer da auf ihn zuschlenderte. Die Hände in den Hosentaschen. Groß. Breitschultrig. Wagner warf seine Lederjacke über die linke Schulter. Er hatte ein längliches Gesicht, tiefliegende Augen, einen schmallippigen Mund und eine breite, lange Nase. Sein Schädel war kantig. Das Haar pechschwarz. Jetzt erkannte Wagner den Mann. Schlagartig wich die Farbe aus seinem Gesicht. „Chris!“, stieß er heiser hervor, und sein Herz trommelte sofort heftig gegen die Rippen. „Tag, Hans.“ Grothe blieb vor Wagner stehen. In seinen Augen lag Verachtung. Er musterte Wagner mit einem geringschätzigen Blick. „Ich habe auf dich gewartet“, sagte er leise. „Auf mich?“ Wagner legte erstaunt die Hand auf die Brust. „Ich habe mit dir zu reden, Hans.“ „Seit wann bist du wieder ...?“ „Seit ein paar Tagen.“ Wagner ärgerte sich über den kalten Schweißausbruch, den er nicht verhindern konnte. Er hatte Angst vor Grothe. Hatte immer Angst vor diesem Kerl gehabt.

Und jetzt, wo er mit Silvia zusammen war, musste er Grothe noch viel mehr fürchten. Silvia war die Freundin von Chris gewesen. „Worüber hast du mit mir zu reden?“, fragte Wagner, obwohl er es ahnte. Grothe entblößte die Zähne, indem er die Oberlippe hochzog. „Worüber schon? Kannst du‘s dir nicht denken?“ „Silvia.“ „Bist ein gerissener Hund“, sagte Grothe spöttisch. Mit finsterer Miene fuhr er fort: „Silvia wird zu mir zurückkehren, Hans.“ Wagner hatte mit einem Mal einen würgenden Kloß im Hals. Okay, er fürchtete diesen Verbrecher, und er würde sich jede Erniedrigung von ihm gefallen lassen. Jede. Grothe würde ihm auch alles wegnehmen dürfen, ohne dass er sich zur Wehr setzte ... alles, bis auf eines: Silvia. Silvia würde er nicht freiwillig hergeben. Um Silvia würde er mit Klauen und Zähnen kämpfen, denn Silvia war sein Leben, sein Glück, sein Alles. Er liebte sie mit einer Intensität, die er niemals für möglich gehalten hätte. Für sie ließ er sich in Stücke reißen. Nur wegnehmen durfte sie ihm keiner. Auch Chris Grothe nicht. Wenn er sie zurückhaben wollte, musste er ihn zuerst töten, anders würde er Silvia Korner nicht bekommen. Grothe grinste herausfordernd. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Silvia wird zu mir zurückkehren!“ Wagner schluckte trocken. „Ich hab‘s gehört.“ „Was sagst du dazu?“ „Hat Silvia diesen Entschluss gefasst?“ Grothe schüttelte den Kopf. „Das hat sie nicht. Aber es ist eine ganz selbstverständliche Sache, denke ich.“ Wagner spürte sein Herz nun bis hinauf in den Hals schlagen. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben. Es war verdammt gefährlich, Chris Grothe zu reizen. „Silvia will dich nicht mehr“, sagte Wagner heiser. „Sie ist froh, dass sie dich los

ist.“ Grothe verzog höhnisch das Gesicht. „Woher willst du denn das wissen?“ „Sie hat es mir selbst gesagt. Silvia hat keine Geheimnisse vor mir.“ Grothe lachte gehässig. „Romeo und Julia, was? Die ganz große Liebe. Mensch, mach dir doch nichts vor. Hast du dich schon mal im Spiegel gesehen? Was kannst du Silvia denn schon bieten?“ „Einen sauberen Charakter!“ „Wie viele D-Mark kriegst du denn für deinen sauberen Charakter, he?“ „Das Geld, das Silvia von mir kriegt, ist mit ehrlicher Arbeit verdient!“, sagte Wagner trotzig. „Das weiß Silvia zu schätzen.“ „Denk mal nach, Junge. Wie lange musst du wohl sparen, um ihr ‘nen schicken Pelzmantel kaufen zu können?“ „Silvia braucht keinen Pelzmantel.“ „Aber sie hätte gern einen.“ „Sie weiß, dass wir ihn uns nicht leisten können und ist damit zufrieden.“ „Ist sie das wirklich, Hans? Glaubst du nicht, dass sie manchmal von ein bisschen Luxus träumt? Von einem goldenen Armband. Von einer schönen Wohnung. Von einer schicken Reise. Sieh dich doch an, Hans. Bist du wirklich sicher, dass du der richtige Mann für ein Mädchen wie Silvia Korner bist? Du bist ein mickriger kleiner Habenichts. Wie lange, denkst du, wirst du Silvia an dich fesseln können? Noch ein Jahr? Anderthalb Jahre? Ich sag‘ dir, sie hat dich über kurz oder lang satt, und dann geht sie mit dem erstbesten Typ durch, der ihr mehr zu bieten hat als du. So sieht‘s aus, Hans. Das ist das wirkliche Leben, Eine wie sie hat nichts davon, wenn du ihr bloß vom Honig erzählst. Sie will welchen haben.“ ‚Ruhe!‘, sagte sich Wagner. ‚Bewahre um Himmels willen Ruhe! Sonst gibt es ein Unglück‘.

„Mach, was du willst, Chris. Ich geb‘ sie nicht frei.“ Grothe bleckte die Zähne. „Sieh einer an. Der Junge hat sich ein Rückgrat zugelegt.“ „Ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln um Silvia kämpfen!“ „Die Mittel werden nicht ausreichen“, grinste Grothe. „Ich bin der bessere Mann, das solltest du wissen.“ ‚Beherrsche dich!‘, befahl sich Wagner. ‚Lass dich nicht aus der Reserve locken. Er wartet doch nur darauf!‘ „Ich denke, wir haben nichts mehr miteinander zu reden!“, sagte Wagner. Er wollte an Grothe vorbeigehen, wollte ihn in der Garage einfach stehenlassen. Doch Grothe stieß ihn wütend zurück. „Halt, Freundchen. Ich bin mit dir noch nicht fertig. Und solange ich noch was zu sagen habe, bleibst du stehen und hörst mir zu, ist das klar?“ Grothes verächtlicher Blick maß Wagner von Neuem. „Mann, wie hast du‘s bloß geschafft, Silvia mit der Figur zu imponieren? Das Mädchen gehört mal zum Optiker.“ Grothe lachte dreckig. „Mensch, wenn sie dann mit ihrer Brille nach Hause kommt und dich zum ersten Mal so richtig sieht ... ich glaube, dann wird ihr speiübel werden.“ Es nützte nichts. Wagner konnte sich nicht mehr länger zurückhalten. Er legte seinen ganzen Hass in die Fäuste und schlug schreiend auf Grothe ein. Darauf hatte der Gangster gewartet. Wagners Schläge konnten ihm nicht gefährlich werden. Er deckte geschickt und nützte eiskalt jede Chance, die sich ihm bot. Es war ihm eine große Genugtuung, Wagner zu verprügeln. Hans hätte die Finger von Silvia lassen müssen. Aber dieser schleimige Bruder hatte die Situation niederträchtig ausgenutzt, war zu Silvia ins Bett gekrochen, als er, Grothe, es nicht verhindern konnte. Bald war Wagner nicht mehr der Angreifer. Grothe hieb mit harten, gnadenlosen Schlägen auf ihn ein. Wagner blutete bereits. Er hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Sein Atem ging rasselnd. Wankend kassierte er einen schweren Treffer nach dem anderen. Grothe fasste in sein Haar. Er riss seinen Kopf nach unten und ließ gleichzeitig sein Knie

hochschnellen. Wagner brach zusammen. Schwer gezeichnet rollte er auf den Rücken. „Schwein!“, gurgelte er mit hassverzerrtem Gesicht. „Widerliches, gewissenloses, herzloses Schwein!“ „Komm hoch!“, fauchte Grothe. „Komm, Bürschchen. Ich will dir noch ein paar in die Fresse hauen.“ „Du kriegst Silvia nicht!“, stöhnte Wagner. „Nicht, solange ich lebe!“ Grothe versetzte ihm einen gemeinen Tritt. Wagner heulte auf. In rasender Wut griff er in die Tasche und riss ein Springmesser heraus. Benommen kam er auf die Beine. Grothe wich lauernd zurück. Er ließ das Messer nicht aus den Augen. Sein Lachen war höhnisch und gepresst. „Das bringst du niemals fertig, Junge. Du kannst mich nicht schlitzen. Für so etwas bist du nicht der richtige Kerl!“ „Verdammt, ich tu‘s!“, schrie Wagner wütend. „Ich tu‘s für Silvia und mich!“ Und er stach wirklich zu. Grothe traute seinen Augen nicht, als er die Klinge auf seinen Bauch zusausen sah. Erschrocken schnellte er zurück. Der Bursche war verrückt. Verdammt noch mal, er wollte es tatsächlich tun! Grothe federte ein zweites Mal im allerletzten Augenblick von Wagners Messer weg. Dann bekam er den Messerarm mit beiden Händen zu fassen. Wütend und mit großer Brutalität riss er Wagners Arm hoch. Die Drehung war ungeheuer schmerzhaft. Wagner stieß einen heiseren Schrei aus. Das Messer fiel zu Boden. Und nun machte Grothe den Gegner mit eiskalten Tritten und Schlägen fertig. Der letzte Schwinger. Grothes Faust landete seitlich an Wagners Kopf. Der Mann wurde nach links gerissen und knallte mit dem Schädel gegen den Aufbau des Müllwagens. Der Aufprall raubte Wagner augenblicklich die Besinnung. Grothe stand schwer atmend über dem ohnmächtigen Mann. Er hörte Wagner noch einmal sagen: „Du kriegst Silvia nicht! Nicht, solange ich lebe!“ Und plötzlich war für Chris Grothe ganz klar, was er mit Hans Wagner machen musste ...

22

Am nächsten Tag rief Klenke, der Bewährungshelfer, bei Bernd Schuster an. Der Mann war ganz unglücklich. Dass er sich die Sache so zu Herzen nahm, fand Bernd reichlich übertrieben. „Dieser dumme Junge!“, stieß er bewegt hervor. „Dieser strohdumme Junge!“ Er sprach von Chris Grothe. „Er ist nicht in mein Büro gekommen, Herr Schuster.“ „Ehrlich gesagt, es hätte mich gewundert, wenn er sich noch mal bei Ihnen hätte blicken lassen“, gab Bernd zurück. „Er verpatzt sich damit alles selbst. Dieser Leichtsinn bringt ihn wieder ins Gefängnis.“ Klenke seufzte so schwer, als müsse er die Haftstrafe für Grothe antreten. Bernd lächelte. „Ich bin davon überzeugt, dass er nicht im Traum daran denkt, noch mal ins Kittchen zu wandern.“ „Es wird ihm nichts Anderes übrigbleiben. Die Polizei wird nach ihm fahnden ...“ „Ihn aber höchstwahrscheinlich nicht finden“, ergänzte Bernd. Klenke hüstelte aufgeregt. „Wissen Sie etwa mehr als ich, Herr Schuster?“, fragte er hastig. „Sehen Sie, Herr Klenke, in jedem Fall legt man sich irgendeine Theorie zurecht, die man dann mit Fakten zu erhärten versucht. Meine Theorie sieht so aus: Chris Grothe bereitet einen großen Coup vor. Er hat sich mit ein paar Freunden zusammengetan und wohnt mit ihnen – davon bin ich fast hundertprozentig überzeugt – irgendwo am Stadtrand von Berlin unter einem Dach. Da sitzen sie nun und schmieden ihre Pläne. Und wenn sie schaffen, was sie sich vorgenommen haben, sind sie unter Umständen um ein paar Hunderttausend DMark reicher, denn natürlich müssen sie einem Hehler weit unter Wert verkaufen. Glauben Sie, dass Grothe sich in solch einem Fall noch um seinen

Termin beim Bewährungshelfer schert?“ Klenke sagte mit tonloser Stimme: „Ich werde unverzüglich meine Meldung machen.“ Bernd hielt ihn nicht davon ab. Die Meldung würde zwar keinen spektakulären Bergrutsch auslösen, aber es war Klenkes Pflicht, die Angelegenheit weiterzuleiten. Und die Mühlen des Gesetzes würden wieder zu mahlen beginnen ...

23

Grothe war so wütend, dass er mit der Faust auf das Lenkrad schlug. Der Honda, in dem er saß, rollte durch die Stadt und erwischte die Rote Welle. Grothe musste fast an jeder Ampel anhalten. Das war Öl im Feuer seines Zorns. Verdammt noch mal, mit diesem Coup wollte er das ganz große Geld machen. Mehr Geld, als er jemals bei einem Fischzug erwischen konnte. Fred Pawlak, Karsten Seiler und dieser Thorsten Marx – mit ihm war er nicht so recht einverstanden, der Bursche war aufsässig und eigensinnig – die drei Komplizen würden bei der Sache leer ausgehen, das war für Grothe jetzt schon beschlossene Sache. Pawlak, Seiler und Marx würden nach dem Coup durch die Finger gucken. Grothe grinste verschlagen. Sie hatten keine Ahnung davon, dass er sie alle drei leimen wollte. Aber es würde ieren. Er war nicht gewillt, mit irgendjemand zu teilen. Es war sein Coup. Und wenn er gelang – woran er nicht zweifelte –, war es seine Beute. Ganz klar. Wenn er die Sache allein hätte durchziehen können, hätte er es getan. Aber allein war das nicht hinzukriegen. Zu viele Dinge waren zu tun. Ein Mann allein konnte die Arbeit nicht bewältigen. Aber ein Mann allein konnte sehr wohl die Beute verkraften. Diese Aussichten waren jedoch nicht der Grund für Grothes Zorn. Es war die Tatsache, dass er Bernd Schuster auf den Fersen hatte. Dieses Wissen machte ihn nervös, beunruhigte ihn, saß ihm wie ein spitzer Dorn im Fleisch. Es musste etwas geschehen. Vor einer Stunde hatte Chris Grothe erst erfahren, dass Bernd Schuster hinter ihm herschnüffelte. Wie hatte dieser Teufelsbraten herausbekommen, was er vorhatte? Zufällig war Schuster ganz bestimmt nicht hinter ihm her. Bei Bernd Schuster gab es keine Zufälle. Verdammt, er wollte sich von Schuster die Tour nicht vermasseln lassen. Er wollte seine Vorbereitungen in aller Ruhe treffen. Ungestört. Und unbelastet. Wenn er zwischendurch immer wieder an Schuster denken musste, würde dies seine Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen. Schuster gehörte ausgeschaltet.

Es mussten Vorkehrungen getroffen werden, die ein Garant dafür waren, dass man sich um Bernd Schuster nicht mehr länger zu kümmern brauchte. Grothe hatte – als er davon erfuhr, dass Schuster ihn haben wollte – sofort gedacht, dass er sich in dieser Hinsicht ganz schnell etwas einfallen lassen musste. Und es war ihm auch prompt etwas eingefallen. Etwas, wovon er sich den Erfolg versprach, den er jetzt dringend nötig hatte ...

24

Herzschrittmacher. Das ist ein elektrischer Impulsgeber, der in den Körper von Kranken mit schweren Herzrhythmusstörungen eingepflanzt wird und über eine Drahtelektrode kurze Stromstöße an den Herzmuskel abgibt und damit den Schlagrhythmus beeinflusst. So ein Ding hatte Mark Schwartz seit vier Jahren in seiner Brust. Alle zwei Jahre mussten sie ihm die Batterie austauschen. Obwohl die Sache eine ernste Angelegenheit war, sagte Schwartz immer scherzhaft, er müsse zum Service – wie einer von seinen Wagen. Die Ärzte rieten ihm, weniger zu arbeiten, mehr Urlaub zu machen. Keine Aufregungen. Diät. Ein vernünftiges Leben. Doch Mark Schwartz hielt sich kaum daran. Er war ein Quirl. Geschäfte waren sein Leben. Konferenzen, Verhandlungen, Termine – das füllte ihn aus. Urlaube langweilten ihn. Er war ein Mensch, der ständig etwas tun musste. An diesem Vormittag traf er mit seinem Privatjet in Tempelhof ein. Regina war – kurz nach Klenkes Anruf – in Bernd Schusters Büro erschienen und hatte gesagt: „Mark kommt.“ „Wann?“, hatte Bernd überrascht gefragt. „In einer Stunde.“ „Ein Mann von schnellen Entschlüssen.“ „Er hat mich im Hotel angerufen. Haben Sie Zeit, mit mir zum Flugplatz zu fahren, Bernd?“ „Ich denke, das bin ich Mark schuldig“, sagte Bernd. Er verließ mit Regina Schwartz das Büro. Sie setzte sich zu ihm in den Mercedes. Er roch Chanel No. 5. Sein Wagen war schlagartig ausgefüllt mit diesem betörenden Duft. Während er den Motor anließ, warf sie ihm einen traurigen Blick zu. Auch ein wenig Vorwurf entdeckte er in ihren schönen Augen. Er hatte die Situation, die unleugbar vorhanden gewesen war, wieder nicht ausgenutzt. Sie seufzte, und sie bedauerte es, dass Mark sich entschlossen hatte, jetzt schon

nach Berlin zu kommen. Bernd Schuster war nicht aus Eisen. Er war ein Mann, in dessen Brust ein Herz schlug. Man musste nur den richtigen Zeitpunkt erwischen. Ein, zwei Tage hätten den richtigen Zeitpunkt vielleicht gebracht. Doch nun kam Mark. Bernd war froh darüber, dass Schwartz in Berlin eintraf. Mark würde eine Barriere zwischen ihm und Regina sein, die die hübsche Frau nicht überwinden konnte. Sie würde ihre Gefühle besser unter Kontrolle bringen müssen. Automatisch würde dadurch Bernd die Möglichkeit haben, seinen Job unbelasteter tun zu können. Der schlanke, zweistrahlige Silbervogel senkte sich auf die Rollbahn nieder. Kurze Zeit später betrat Mark L. Schwartz die Ankunftshalle. Man sah ihm seinen Reichtum nicht an. Er trug einen Anzug von der Stange und Schuhe, die nicht dazu ten. Bernd begrüßte ihn herzlich. Mark drückte den Privatdetektiv innig an seine Brust, nachdem er Regina auf beide Wangen geküsst hatte. Schwartz war ein Mann mittlerer Größe, kräftig gebaut. Auf dem breiten, gewölbten Brustkasten saß ein schlanker Hals, und auf diesem ein feingeformter Kopf. Große blaue Augen, die weit auseinanderstanden, konnten verblüffend rasch ihren Ausdruck wechseln, je nach Mark Schwartz’ freundlicher oder ernster Stimmung. „Schön, Sie wiederzusehen, Bernd.“ „Ich freue mich auch, Mark“, erwiderte Schuster. „Ich danke Ihnen, dass Sie sich um unsere Wanderausstellung kümmern. Wie gehen die Vorbereitungen voran?“ „Bestens“, antwortete Schuster. Mark Schwartz lachte. „Ich habe nichts Anderes erwartet, Bernd. Sie sind für mich – wie soll ich mich ausdrücken? – der Inbegriff von Ordnung, Zuverlässigkeit und Sicherheit.“ Schwartz hakte sich bei Regina und Bernd unter. Sein Pilot kümmerte sich inzwischen um das Gepäck. „Einen Willkommensschluck im Flughafenrestaurant?“, fragte der Millionär. Regina warf ihm einen besorgten Blick zu. „Du weißt doch, dass du nicht trinken

sollst, Mark.“ „Ein kleiner Wodka-Juice wird mich nicht umbringen“, sagte Schwartz schmunzelnd. „Ich möchte mit Bernd auf unser Wiedersehen anstoßen. Gönn mir doch die kleine Freude.“ Mark hielt sich dann beim Trinken zurück. Er ließ die Hälfte des Drinks stehen, wies darauf und fragte grinsend seine Frau: „Zufrieden? Ist er nicht brav, dein Mark?“ „Möchten Sie, dass ich Sie nun ins Hotel bringe?“, fragte Bernd. Schwartz schüttelte mit glitzernden Augen den Kopf. „Können Sie sich nicht denken, worauf ich scharf bin, Bernd?“ „Sie möchten die Villa inspizieren.“ „Genau“, nickte Schwartz. „Okay. Dann fahre ich Sie nach Charlottenburg.“ Sie verließen das Flughafengebäude, nachdem der Pilot von Schwartz kurz seine Weisungen erhalten hatte. Bernd erklärte dem Millionär, mit welchen Maßnahmen er die Gemälde zu sichern gedachte. Er erläuterte mit allgemeinverständlichen Worten die Systeme der beiden Alarmanlagen, und. Schwartz war von den Ausführungen des Detektivs sichtlich angetan. Kein Wort von Chris Grothe. Nicht eine Silbe kam über Bernds Lippen. Chris Grothe war ein Problem, mit dem Bernd den Millionär nicht belasten wollte. Chris Grothe war eine Sache, mit der Bernd allein fertigwerden wollte. Ohne großes Aufsehen. Sozusagen hinter den Kulissen. Die Wanderausstellung sollte unbeschwert ihren Gang nehmen. Solange die Bilder noch nicht da waren, konnte Grothe nichts unternehmen. Und solange Grothes Coup noch in der Planungsphase steckte, bestand für Bernd Schuster noch die Möglichkeit, aus dem beabsichtigten Schuss einen Rohrkrepierer zu machen. Es war noch alles drin – für beide Seiten. Sie trafen bei der Villa ein. Das riesige, parkähnliche Grundstück beeindruckte Mark Schwartz sehr. Auch das große Gebäude entsprach vollkommen seinen Erwartungen. Er stand mit

strahlenden Augen davor und nickte zustimmend. „Ein würdiger Rahmen für unsere Ausstellung, Regina. Ich muss dir gratulieren. Du hast eine fabelhafte Wahl getroffen.“ Es folgte ein Rundgang durch das Gebäude. Man war gerade dabei, die Leitungen der Alarmanlage zu verlegen. Als sie die Villa verließen, war sich Mark L. Schwartz sicher, dass seine Kunstsammlung noch nirgendwo sicherer gewesen war, als sie es hier in diesem Gebäude sein würden. Für den Millionär war das ein Grund zum Feiern. „Bernd“, sagte er herzlich. „Möchten Sie nicht den heutigen Abend mit uns verbringen?“ Bernd schaute Regina an. Sag ja, verlangten ihre Augen. Schwartz fügte lachend hinzu: „Selbstverständlich bestehe ich darauf, dass Sie Ihre – gewiss sehr reizvolle – Assistentin mitbringen. Ich möchte sie unbedingt kennenlernen. Sie dürfen sie mir nicht vorenthalten.“ Ein Schatten legte sich über Reginas Augen. Wäre Franziska Jahn nicht Bernds Sekretärin gewesen, dann hätte Regina sie sicherlich sehr gut leiden können. So aber ... Bernd sagte, er würde die Einladung mit großem Vergnügen annehmen. Dann brachte er das Ehepaar Schwartz zum City-Hotel am Kurfürstendamm. Seine Detektei und seine Wohnung befanden sich nicht sehr weit entfernt von hier in der Kurfürstenstraße. Notfalls hätte er sogar die Strecke mühelos zu Fuß bewältigen können, sollte das verlangt werden.

25

Er hatte einen ganz und gar typischen Lebenslauf hinter sich. Sein Name war Benedikt Scheuern. Vierzig Jahre alt. Junggeselle – natürlich, denn er war von Beruf ein Mörder. Doch das war er nicht immer gewesen. Es hatte eine Zeit gegeben, da war er Lehrer in einem angesehenen Mädchenpensionat gewesen. Lehrer! Wenn er heute an damals dachte, musste er sich eingestehen, dass er für diesen Beruf absolut nicht getaugt hatte. Vor allem sein Charakter war für einen sauberen, seriösen Lehrer völlig ungeeignet gewesen. Deshalb hatte er auch nicht davor zurückgeschreckt, mit einigen seiner Schülerinnen intime Beziehungen zu unterhalten. Er, der nach außen hin so tadellose und korrekte Lehrer. Sarah Klinger! Das Luder hatte seinem Leben eine unerwartete Wendung gegeben. Sarah Klinger hatte aus dem harmlosen Lehrer von einst einen gefährlichen Berufskiller werden lassen. Ohne es zu ahnen, hatte sie das getan. Sarah Klinger. Blond, vollbusig, mit einer aufregend schmalen Taille. Voll entwickelt, obwohl sie gerade erst sechzehn geworden war. Er war nicht ihr erster Liebhaber gewesen. Sie kannte Tricks, die ihr eine Vielzahl von Freunden beigebracht haben mussten. Wild, zügellos und voll überschäumendem Temperament war sie gewesen. Keine Tabus hatte es für sie gegeben. Sie wusste alles, konnte alles, machte alles. Mit ihren sechzehn Jahren war Sarah für Benedikt Scheuern ein eindrucksvolles Erlebnis gewesen. Es wäre nichts iert, wenn Sarah ihn nicht eines Tages um eine Aussprache unter vier Augen gebeten hätte. Sie kam nachts in sein Zimmer. Zorn funkelte in ihren Augen. Ihre ansonsten so wundervoll aufgeworfenen Lippen waren verkniffen. Wütend warf sie ihre blonde Mähne in den Nacken. „Schwein!“, sagte sie. Scheuern blickte sie verwundert an. „Ich sagte: Schwein!“

„Ich hab‘s gehört.“ Scheuern grinste. „Würdest du nun die Liebenswürdigkeit haben, mir zu erklären, weswegen du mich beschimpfst?“ „Du treibst es neben mir auch noch mit anderen Mädchen!“, fauchte Sarah wutentbrannt. „Woher willst du denn das wis...“ „Ich weiß es. Es hat keinen Zweck, zu leugnen, Benedikt!“ Scheuern lachte. „Eifersüchtig. Mein kleines Küken ist eifersüchtig.“ „Ich bin nicht mehr dein kleines Küken!“ „Na schön, ich hatte was mit der einen oder anderen ... Aber was ändert das an dem Verhältnis, das uns beide betrifft?“ „Das ändert verdammt viel, Benedikt. Ich dachte, du liebst mich. Du hast es mir so oft gesagt.“ „Gott, das darfst du nicht so wörtlich nehmen, Küken.“ „Ich habe es aber wörtlich genommen!“ „Das war ein Fehler“, sagte Scheuern achselzuckend. „Ich will nicht eine von vielen sein!“, schrie Sarah zornig. Scheuern legte den Finger auf die Lippen und machte: „Pst. Nicht so laut. Du weckst ja das ganze Haus auf.“ „Ist mir doch egal! Von mir aus können es alle wissen, dass wir beide etwas miteinander haben. Sie sollen es sogar wissen. Ich will, dass sie es erfahren. Und ich möchte, dass darüber hinaus bekannt wird, mit wie vielen Mädchen du noch geschlafen hast!“ Scheuern ging auf Sarah zu. „Du bist erregt. Du weißt nicht, was du redest.“ „Ich weiß sehr wohl, was ich sage, Benedikt!“ Blitze flogen aus Sarahs Augen. „Nun beruhige dich doch“, sagte Scheuern eindringlich. Er streckte seine Arme

nach ihr aus. Sie sprang zornig zurück. „Fass mich nicht an!“, zischte sie gereizt. „Ich hasse dich!“ „Nun hör doch endlich mit diesem Theater auf!“, schnauzte Scheuern das aufgebrachte Mädchen ärgerlich an. „Verdammt noch mal, was ist denn schon Großartiges iert? Du bist dahintergekommen, dass ich mit einigen anderen dasselbe gemacht habe wie mit dir. Ist das ein Grund, dermaßen die Wände hochzugehen?“ „Du hast gewusst, dass ich so etwas nicht dulde, Benedikt.“ „Nun mach aber einen Punkt. Denkst du, ich lasse mir von einer Rotznase wie dir Vorschriften machen?“ Sarah ballte ihre kleinen Fäuste. Der Zorn malte ihr kleine weiße Flecken auf die Wangen. „Ich will nicht eine von vielen sein, Benedikt!“ „Du wirst dich damit abfinden müssen.“ „Oh nein, das werde ich nicht. Weißt du, was ich tun werde? Soll ich dir sagen, was morgen iert? Morgen geh‘ ich zum Direktor ...“ „Das ist nicht dein Ernst!“, stieß Scheuern aufgeregt hervor. Sarah lachte heiser. „Doch, Benedikt. Doch. Das ist mein voller Ernst. Ich werde dem Direktor die Augen öffnen. Ich werde ihm alles erzählen, was ich über Benedikt Scheuern und seine verabscheuungswürdigen Liebschaften weiß. Alles, Benedikt hörst du? Alles!“ „Du weißt nicht, was du sagst!“ „Und ob ich‘s weiß.“ „Bist du dir der Folgen eines solchen Schrittes bewusst, Sarah?“ „Ich habe mir alles gründlich überlegt. Man wird mich von der Schule jagen. Dich aber auch, Benedikt Scheuern. Mein Vater wird mich zu Hause halb totschlagen, aber es wird mir nichts ausmachen, denn ich werde die Genugtuung

haben, dass es dich noch viel schlimmer getroffen hat. Du wirst nirgendwo mehr einen Job als Lehrer kriegen, Benedikt. Nicht einmal im stinklangweiligsten Provinznest. Einsperren werden sie dich. Wegen Unzucht mit Minderjährigen. Sag, wie gefällt dir das?“ Scheuerns Miene wurde hart wie Stein. „Sarah, das wirst du nicht tun“, sagte er mit belegter Stimme. „Du hast dir dein eigenes Grab geschaufelt, Benedikt!“, sagte Sarah höhnisch. Grab! Das war das Stichwort! „Sarah, ich werde nicht zulassen, dass du zum Direktor gehst!“, sagte Scheuern frostig. „Du wirst mich nicht daran hindern können!“, erwiderte das Mädchen schnippisch. „Ich werde dich daran hindern“, sagte Scheuern mit brennenden Augen. „Wie denn?“, höhnte Sarah. „So!“, zischte Scheuern. Und dann fasste er blitzschnell nach ihrem Hals. Sie starrte ihn ungläubig an. Er drückte eiskalt zu, hatte nicht das geringste Mitleid mit dem Mädchen. Sie riss den Mund zum Schrei auf, doch Scheuern sorgte dafür, dass kein Laut über ihre Lippen kam. Er fühlte, wie sie starb, und er stellte fest, dass ihn dieses Gefühl nicht im Mindesten berührte. Es ließ ihn kalt. Noch in derselben Nacht schaffte Scheuern das Mädchen aus dem Haus. Auf einer entlegenen Baustelle warf er sie in einen finsteren Schacht. Und Scheuern hatte Glück. Am nächsten Morgen füllte ein verschlafener Bauarbeiter den Schacht mit flüssigem Beton, goss ihn zu. Das tote Mädchen sah er nicht. Heute stand dort ein mehrstöckiges Haus. Sarah Klinger tauchte nicht wieder auf. Natürlich löste Sarahs Verschwinden eine Reihe von polizeilichen Untersuchungen aus. Die Pensionatsleitung, der gesamte Lehrkörper und die Schülerschaft wurden vernommen. Niemand konnte Auskunft über Sarah

Klingers Verbleib geben. Nach einigen Wochen schlief die Sache ein. Der Fall wurde zu den Akten gelegt. Er blieb ungeklärt. Obwohl der Mord für Benedikt Scheuern nicht die geringsten Folgen hatte, fühlte er sich von diesem Tag an nicht mehr wohl in dem Mädchenpensionat. Er ließ eine angemessene Zeit verstreichen, damit niemand misstrauisch wurde, und verließ dann die Schule. Man stellte ihm das allerbeste Zeugnis aus. Er benötigte es jedoch nicht mehr. Zu jener Zeit hatte er Kontakt zu einem Mann namens Wohlrabe. Sie waren zusammen im selben Schießklub. Nach und nach wurde aus der lockeren Beziehung eine enge Freundschaft. Es gab sehr viele gemeinsame Interessen. Scheuerns Schussergebnisse waren fantastisch. Wohlrabe war voller Bewunderung für Scheuerns verblüffende Zielsicherheit. Wohlrabe. Es umgab ihn ein sorgsam gehütetes Geheimnis. Scheuern wusste eigentlich alles von Wohlrabe. Nur eines nicht: welchen Job Wohlrabe hatte. Erst nach vielen Monaten lüftete Wohlrabe dieses Geheimnis. Er war der Meinung, Scheuern lange genug getestet zu haben, und es wäre nun an der Zeit, ihm reinen Wein einzuschenken. Es geschah an einem lauen Frühlingsabend im Hause von Wohlrabe. Sie saßen auf der Terrasse bei einer Flasche Bourbon. Wohlrabe, ein drahtiger Bursche mit verschlagenen Wolfsaugen, blickte Scheuern durchdringend an. „Wieviel Geld hast du auf deinem Bankkonto, Benedikt?“, fragte er. Scheuern hob die Schultern. „Seit ich nicht mehr unterrichte, wird es beängstigend weniger.“ „Du brauchst einen neuen Job.“ Scheuern schüttelte mit gerümpfter Nase den Kopf. „Ich mag nicht mehr unterrichten.“ „Wer redet denn davon?“, fragte Wohlrabe grinsend.

„Ich kann nichts Anderes“, gab Scheuern zurück. „Du kannst schießen. Du hast Köpfchen. Du bist eiskalt.“ „Wer gibt einem dafür schon Geld?“, fragte Scheuern und winkte ab. „Ich“, sagte Wohlrabe zu Scheuerns größter Verwunderung. „Du?“ „Ich hätte Verwendung für einen Mann von deinem Format, Benedikt.“ Scheuern lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. „Ich kann mir dein Angebot ja mal ganz unverbindlich anhören.“ „Ich möchte dich zu meinem Partner machen“, sagte Wohlrabe ernst. „Welche Branche?“, fragte Scheuern. „Eine ziemlich ungewöhnliche Branche. Deshalb ist dabei eine Menge Geld zu verdienen, wenn man sich geschickt verkauft.“ „Ich bin gespannt wie eine Klaviersaite“, grinste Scheuern. Wohlrabe beugte sich vor und redete eindringlich. „Benedikt, ich würde mich dir nicht anvertrauen, wenn ich nicht hundertprozentig davon überzeugt wäre, dass ich dir vertrauen kann und dass du der richtige Mann für diesen Job bist. Sieh mich an. Ich kann sagen, dass ich ein wohlsituierter Mann bin. Das Geschäft läuft nicht bloß gut. Es geht blendend. Die Aufträge häufen sich. Ich kann sie bald nicht mehr allein bewältigen. Mein Bankkonto wächst. In ein paar Jahren kann ich mich zur Ruhe setzen. Keine finanziellen Sorgen mehr. Keine Arbeit mehr. Nur noch faul in der Sonne liegen und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Wie gefällt dir das?“ Scheuern lachte. „Das gefällt jedem, bei dem keine Schraube locker ist.“ „Dieses Ziel könntest auch du erreichen.“ „Als dein Partner.“ „Richtig“, sagte Wohlrabe.

„Teufel noch mal, nun lass doch endlich die Katze aus dem Sack. Was tust du?“ „Ich schieße auf Menschen!“, sagte Wohlrabe. Vollkommen ernst. Vollkommen emotionslos. Es war nicht mehr als die Feststellung einer festgefügten Tatsache. Stille auf der Terrasse. Nur das Zirpen der Grillen war für eine Weile zu hören. Und Scheuerns tiefe, regelmäßige Atemzüge. Wohlrabe, dieser sympathische Kerl, der aussah wie jedermanns Schwager, ein Berufskiller. Das schlug bei Scheuern wie eine Bombe ein. Trotzdem erschreckte es Scheuern nicht im Geringsten, dass Wohlrabe ihn zum Partner haben wollte. Im Gegenteil. Er fühlte sich geehrt und geschmeichelt. Wohlrabe schlug ihm vor, sich sein Angebot in aller Ruhe zu überlegen. Egal, wie er sich entscheiden würde, er würde diesen Entschluss respektieren. Doch Scheuern hatte sich innerhalb weniger Minuten entschieden. Er wusste, dass er töten konnte. Er hatte Sarah Klinger umgebracht, und er hatte dabei nicht ein bisschen die Nerven verloren. Wohlrabe hatte recht. Er war der richtige Mann für einen solchen Job. Deshalb machte er die Sache noch am selben Abend perfekt. Sie arbeiteten ein halbes Jahr zusammen. Wohlrabe war mit seinem neuen Partner sehr zufrieden. Sechs Monate erfüllten sie die Kontrakte, die Wohlrabe abgeschlossen hatte. Und dann starb Wohlrabe. Ganz unerwartet. Auf eine ziemlich verrückte Weise. Wohlrabe reparierte zu Hause ein Elektrogerät. Dabei kam er in den Stromkreis, und aus war es mit ihm. Ein banales Ende für einen so hartgesottenen und skrupellosen Profikiller. Die verbliebenen Verpflichtungen erfüllte Benedikt Scheuern daraufhin allein. Wohlrabes „Firma“ ging automatisch auf ihn über, und von diesem Tag an legte er pro erledigtem Auftrag das doppelte Geld auf sein Bankkonto. Heute besaß Scheuern ein feudales Haus und ein mehrere Morgen großes Grundstück an der Riviera mit Tennisplatz, nierenförmigem Pool, AchtzehnLoch-Golf-Anlage und dergleichen mehr. Sein Wagenpark bestand aus einem Bentley, einem funkelnagelneuen Buick und zwei Sportflitzern europäischer Herkunft. Der große, massiv wirkende Mann – er machte den Eindruck, als wäre er aus

Teakholz geschnitzt – gehörte seit einigen Jahren dem versnobten Kreis der High Society an. Er hatte sein Geld in gewinnträchtigen Unternehmungen stecken und hätte es eigentlich nicht mehr nötig gehabt, auf jene Art Geld zu verdienen, die ihn reich gemacht hatte. Aber er hatte im Laufe der Zeit Gefallen an seiner außergewöhnlichen Arbeit gefunden. Er liebte es, ständig gefordert zu werden. Das hielt seinen Geist wach und rege. Und er brauchte diesen unwahrscheinlichen Nervenkitzel, von dem er immer wieder befallen wurde, wenn er an die Ausführung eines neuen Auftrags ging. Und obendrein brachte es Scheuern auch noch eine Menge Geld ein: dreißigtausend bis fünfzigtausend Mark pro Auftrag. Die Höhe der Summe richtete sich danach, wie schwierig es war, an das Opfer heranzukommen, welche Vorbereitungen erforderlich waren und welche Position das Opfer innehatte. Die Liquidierung eines kleinen Fabrikdirektors kostete den Auftraggeber weniger als zum Beispiel die Beseitigung des Leiters eines multinationalen Konzerns. Scheuern stand rauchend am Fenster und blickte auf die Straße hinaus. Es klingelte. Benedikt Scheuern drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und begab sich dann zur Tür und öffnete. Vor ihm stand ein Fremder, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hollywoodstar Robert Redford hatte. „Herr Scheuern?“ „Ja?“ „Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen. Mein Name ist Chris Grothe ...“

26

Im Wohnzimmer standen prachtvolle Möbel und ein weißer Steinway-Flügel. An den Wänden hingen Originalgemälde namhafter Maler. Grothe schenkte dem Killer von Anfang an reinen Wein ein. Einen Benedikt Scheuern belügt man nicht. Wenn man will, dass Scheuern einen Auftrag übernimmt, muss man ihm die ganze Wahrheit sagen, sonst macht er nicht mit. Das hatte man Grothe mehrfach eingeschärft. Scheuern hörte sich mit unbeweglicher Miene an, was ihm Grothe erzählte. Noch war der blonde Junge nicht beim eigentlichen Kern angelangt. Er sprach noch von der Wanderausstellung, den prachtvollen Gemälden und Grafiken, an denen er sich mit seinen Freunden vergreifen wollte. Damit schuf er den Rahmen. Dann ging er auf sein Problem los: „Wir sind noch beim Planen, Herr Scheuern. Das erfordert den totalen geistigen Einsatz. Wir sind sicher, die Nuss knacken zu können, aber wir brauchen Ruhe für die gewissenhafte Vorbereitung des Coups. Nun kam mir zu Ohren, dass es sich ein verdammter Schnüffler in den Kopf gesetzt hat, mich aufzustöbern. Ich habe einfach keine Ruhe, wenn ich weiß, dass da andauernd jemand hinter mir her ist, verstehen Sie? Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, hierherzukommen und Sie zu bitten, mir diesen unliebsamen Zeitgenossen vom Hals zu schaffen. Ich habe nicht die Zeit dazu, mich selbst darum zu kümmern. Außerdem ...“, Grothe grinste breit, „außerdem machen Sie so etwas wesentlich besser.“ Scheuern sagte eine Weile nichts. Grothe dachte schon, der Killer wolle nicht so recht anbeißen, doch dann nickte Benedikt Scheuern kaum merklich und sagte mit glasharter Stimme: „Ich glaube, wir könnten ins Geschäft kommen, Grothe. Voraussetzung wäre jedoch, dass Sie mit meiner Forderung einverstanden wären.“ Grothe schluckte nervös. „Wie hoch wäre die?“ „Zwanzigtausend Mark. Zahlbar im Voraus. Sollte mir die Sache misslingen, würden Sie Ihr Geld selbstverständlich wieder in voller Höhe zurückkriegen. Außerdem möchte ich ein Prozent von der Beute haben.“

Grothe rutschte im Sessel hin und her und lachte blechern. „An und für sich wäre ich mit Ihren Bedingungen einverstanden. Nur ... Im Voraus kann ich so viel Geld unmöglich flüssigmachen.“ Scheuern hob die Schulter. „Dann, fürchte ich, kann ich leider nichts für Sie tun.“ Grothe fing zu schwitzen an. Es lag ihm sehr viel daran, dass Scheuern diesen Job übernahm. Er wollte Bernd Schuster gut aufgehoben wissen. „Hören Sie zu, Herr Scheuern. Ich bin bereit, Ihnen dreißigtausend Mark zu zahlen. Plus fünf Prozent von der Beute. Na, wie gefällt Ihnen das? Ich weiß, dass Sie Geld genug haben. Aber wenn man sozusagen im Schlaf noch Moos dazubekommen kann, sollte man doch zugreifen, oder sind Sie anderer Meinung?“ „Wann würden Sie bezahlen?“ „Nach dem Coup ... Also: nachdem ich die Bilder verscherbelt habe.“ Benedikt Scheuern schüttelte mit zusammengezogenen Brauen den Kopf. „Das ist gegen meine Geschäftsprinzipien, Herr Grothe.“ Jetzt waren die Schweißperlen auf Grothes Stirn so groß, dass sie zu rollen anfingen. Sie liefen ihm an den Schläfen hinunter. Er wischte sie ärgerlich fort. Ein Ass hatte er noch im Ärmel. Wenn er das geschickt ausspielte, konnte er Scheuern vielleicht doch noch für die Sache interessieren. Das Ass war Scheuerns Ehrgeiz. Chris Grothe bleckte die Zähne. „Ich habe Ihnen noch nicht den Namen des Schnüfflers genannt, Herr Scheuern.“ „Ich bin nicht interessiert.“ „Oho, ich denke, diese Antwort kam etwas zu voreilig. Wissen Sie, wen Sie für mich liquidieren sollen? Keinen geringeren als Bernd Schuster.“ Scheuerns Kopf ruckte hoch.

‚Er beißt an!‘, jubelte Grothe im Geist. ‚Hak sofort nach, dann beißt er an!‘ „Bernd Schuster sollen Sie mir vom Hals schaffen, Herr Scheuern. Nicht irgendeinen x-beliebigen Spannemann aus der untersten Schublade. Nein, den Spürhund schlechthin. Für dreißigtausend Mark plus fünf Prozent Beuteanteil. Sagen Sie bloß nicht, dass Sie das immer noch nicht reizt. Sie wissen, dass Schuster für Sie ein ebenbürtiger Gegner ist, Herr Scheuern. Es muss Sie doch förmlich danach drängen, ihn zu jagen. Den gefürchteten Privatdetektiv aus dem Verkehr ziehen. Was für eine große Aufgabe. Den gerissensten Schnüffler von West-Berlin einschließlich der Bundesrepublik über den Jordan schicken. Wie viele haben das wohl schon versucht und nicht geschafft. Wäre Bernd Schuster für Sie nicht eine Möglichkeit, sich selbst zu bestätigen? An ihm könnten Sie Ihre wahre Größe messen, Herr Scheuern. Wenn Sie Bernd Schuster über die Klinge springen lassen, machen Sie Ihr Meisterstück.“ Das zündete bei Scheuern. Plötzlich war das Geld, das dabei zu verdienen war, nicht mehr so wichtig, und es spielte auch keine Rolle mehr, dass Grothe erst im Nachhinein bezahlen wollte. Der Auftrag war es, der Scheuern reizte. Verflucht noch mal, Grothe hatte recht. Erst der, der Bernd Schuster ins Jenseits katapultierte, hatte wirklich Format. Es lohnte sich, sich diese Auszeichnung zu verdienen. Deshalb besiegelte Benedikt Scheuern den neuen Kontrakt mit einem festen Handschlag.

27

Franziska Jahn bewohnte nach wie vor ihre kleine Wohnung unweit von der Kurfürstenstraße. Sehr häufig verbrachten die beiden die Nächte gemeinsam, aber Franziska schätzte auch die Möglichkeit, sich einmal zurückziehen zu können. Bernd kam im Mercedes angerauscht. Im Lift musterte er sich im Spiegel. Er trug einen schwarzen Smoking, ein weißes Hemd, und eine schwarze Fliege. Als er an Franziskas Tür läutete, machte sie ihm im schwarzen, knappsitzenden Mieder auf. Sie war mal wieder nicht fertig, und sie war so furchtbar nervös, dass ihr nicht einmal auffiel, in welcher Aufmachung sie Bernd die Tür geöffnet hatte. Franziska deutete seinen Blick jedoch falsch. Sie stöhnte. „O Bernd, bitte sieh mich nicht so an. Ich weiß, dass ich spät dran bin. Sei lieb, nimm dir einen Drink und erspar dir die Vorwürfe, ja? Sonst machst du mir den Abend bereits kaputt, bevor er angefangen hat.“ Bernd schmunzelte. „Ich hatte nicht die Absicht, dir irgendwelche Vorwürfe zu machen.“ „Du bist ein Schatz. Danke. Entschuldige, dass ich vor dir im Korsett herumlaufe ...“ „Ich finde es ganz reizend.“ „Du wirst dich gleich mit dem Gesicht zur Wand stellen müssen, wenn du mich weiter so anstarrst. Kannst du dir nicht vorstellen, dass mir das peinlich ist?“ Franziska schob ihn ins Wohnzimmer. Dann huschte sie ins Badezimmer. Er nahm sich einen Johnnie Walker aus dem Barfach. Als er das Glas, ohne sich zu beeilen, geleert hatte, war Franziska immer noch nicht ausgehfertig. Er grinste. Regina war daran schuld. Franziska wollte sie heute Abend unbedingt ausstechen. Aber sie wusste nicht, wie sie das am eindrucksvollsten hinkriegen konnte. Bernd hörte sie nebenan seufzen. Er konnte sich vorstellen, was sie gerade machte. Sie stand bestimmt vor dem offenen Kleiderschrank und wusste nicht,

was sie anziehen sollte. Er schaute auf seine Uhr und ging dann zu ihr hinüber, um ihr zu helfen. Zuerst wollte sie protestieren, doch dann war sie ihm für seine Hilfe dankbar. Er hatte ihr zu einem weißen Seidenjerseykleid geraten, das sich wunderbar an ihre atemberaubende Figur schmiegte. Sie selbst hatte das Kleid bereits in die engere Wahl genommen, aber da war noch das Kardinalrote mit den Spaghettiträgern gewesen und das Opalblaue mit dem raffinierten Dekolleté ... Okay. Also das Weiße machte das Rennen. Als sie die Wohnung verließen, säuselte Franziska: „Wir sind knapp dran, nicht?“ „Etwas“, gab Bernd zurück. „Und trotzdem kein rügendes Wort von deiner Seite. Bernd, du bist großartig.“ „Hätte es einen Sinn gehabt, dich noch mehr nervös zu machen?“, fragte Bernd grinsend. „Du bist super!“, sagte Franziska, und küsste ihn. „Es wird ein netter Abend werden. Die Vorzeichen dafür sind günstig.“ Bernd hielt seiner Lebensgefährtin den Wagenschlag auf. Sie nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Augenblicke später steuerten sie das Hotel an. Ein triumphaler Glanz verzauberte Franziskas schöne Augen. Sie wusste, dass sie Regina heute Abend in die Knie zwingen würde, und auf dieses Kräftemessen freute sie sich schon. Bernd stoppte den 450 SEL. Er war – ganz Gentleman – Franziska beim Aussteigen behilflich. Ein junger Mann mit großen dunklen Augen lächelte ihnen freundlich zu. Ihm oblag es, die Fahrzeuge der Gäste auf den Parkplatz zu fahren. Plötzlich heulte ein Motor hochtourig auf. Und dann überstürzten sich die Ereignisse.

28

Ein schwarzer BMW raste auf den Bürgersteig zu. Ein grelles Scheinwerferpaar blendete Bernd. Es war ein Reflex, als Bernd zum Schulterholster griff. Im gleichen Moment begriff er, dass er die Beretta zu Hause gelassen hatte. Franziska und der Junge standen wie versteinert da. Der BMW raste im Höllentempo auf sie zu. Eine Woge aus Lärm und gleißendem Licht schoss über den Gehsteig. Bruchteile von Sekunden konnten über Leben und Tod entscheiden. Bernd handelte wie unter Zwang. In solchen Situationen setzte in ihm stets eine eiskalte Ruhe ein. Sein Bein flog hoch. Der Jüngling bekam einen Tritt in den Bauch, der ihn über die Motorhaube Wagens hinwegkatapultierte. Mit Franziska Jahn verfuhr Bernd ähnlich. Mit einem kraftvollen Stoß beförderte er sie auf den Hoteleingang zu. Gleichzeitig hechtete er hinter ihr her. Sie landeten beide auf dem Boden. Bernd rollte ab. Franziska blieb verdattert liegen. Drohend flitzte der BMW haarscharf an ihnen vorbei. Der scharfe Hauch des Todes nahm ihnen den Atem. Bernd schnellte herum. Der BMW schlug einen Haken, preschte auf die Fahrbahn zurück. Die Pneus jaulten auf. Der Wagen tanzte hin und her, stabilisierte sich und raste davon. Am Steuer dieses Fahrzeugs musste ein hervorragender, kaltschnäuziger Fahrer sitzen. Bernd riss den Wagenschlag seines 450 SEL auf. Beide Hände stießen gleichzeitig auf das Handschuhfach zu, in dem er seine Reserve-Beretta aufbewahrte. Schon lag die Pistole in seiner Hand. Er entsicherte die Waffe und wollte den BMW von den Reifen holen. Da wankte ihm von links der junge Mann in die Schussbahn. „Weg!“, schrie Bernd. „Zur Seite!“ Der Bursche reagierte viel zu langsam. Als Bernd die Schusslinie wieder frei hatte, war der BMW bereits so weit von Schusters 38er Pistole entfernt, dass er damit keinen Schaden mehr anrichten konnte. Der junge Mann zitterte am

ganzen Leib. „Das war ein Mordanschlag!“ „Du merkst aber auch alles!“, knurrte Bernd. Aber dann sah er ein, dass er dem Burschen unrecht tat. Sein Leben hatte an einem seidenen Faden gehangen. Es war nur verständlich, dass er völlig durcheinander war. „Bist du okay?“, fragte Bernd ihn. „Ihr Tritt hat mir das Leben gerettet.“ „Ich hoffe, der Tritt fiel nicht zu hart aus.“ „Besser ein bisschen Bauchschmerzen als gar keine Schmerzen mehr – nie wieder.“ „Da hast du recht“, sagte Bernd. Er warf die Beretta wieder in das Handschuhfach und kümmerte sich dann um Franziska. Sie bebte vor Wut. „Sieh mich an!“, jammerte sie. Und sie wies auf die grauen Schmutzflecken, die ihr schönes Kleid bedeckten. Typisch Frau. Sie war nicht froh darüber, mit dem Leben davongekommen zu sein. Nein, sie war unglücklich darüber, dass ihr Kleid Flecken hatte. „So kann ich mich unmöglich im Hotel blicken lassen“, stöhnte sie verzweifelt. „Mädchen“, sagte Bernd. Er schüttelte ärgerlich den Kopf. „Du solltest froh sein, dass du da überhaupt noch hineingehen kannst.“ „Was wird Herr Schwartz denken?“ Sie schob Schwartz vor, meinte jedoch Regina. Was sie dachte, war für Franziska maßgebend. Mark konnte sich denken, was er wollte. „Schwartz wird denken, was für eine Unart, ihn so lange warten zu lassen!“, brummte Bernd verdrossen. Dann nahm er seine Franzi um die Mitte und schob sie ins Hotel.

29

Bernd Schuster konnte er vergessen. Benedikt Scheuern hatte versprochen, sich des Schnüfflers anzunehmen, und er hatte keinen Grund, an den Worten des Profikillers zu zweifeln. Schuster würde alle Hände voll zu tun haben, sich diesen gefährlichen Berufsmörder vom Leib zu halten. Er würde keine Zeit mehr haben, sich um ihn, Chris Grothe, zu kümmern. Alles lief in besten Bahnen. Auch mit Silvia Korner würde er wieder klarkommen. Er grinste in sich hinein. Prima hatte er die ganze Sache gedeichselt. Und er war gerade im richtigen Augenblick bei Silvia aufgekreuzt. Sie war einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen. Er hatte leichtes Spiel mit ihr gehabt. Keine Abwehrhaltung mehr gegen Chris Grothe. Überhaupt keine Haltung mehr. Zu gar nichts. Grothe ließ den Wagen ausrollen. Silvia saß neben ihm. Sie hatte rotgeweinte Augen und eine gerötete Nase. Still weinte sie vor sich hin. Er hielt sie nicht davon ab. Sie musste erst nach und nach zur Besinnung kommen. „So“, sagte er, als er den Zündschlüssel abzog. „Wir sind da.“ Silvia hob den leeren Blick und seufzte. Sie sah ein Haus ohne Nachbarschaft. An drei Seiten von einem Birkenhain abgeschirmt. Das Gebäude selbst nicht sonderlich attraktiv: ein Bungalow mit Flachdach, das über den Hauskern links und rechts hinausgezogen war, wodurch die beiden Terrassen, die das Gebäude flankierten, ebenfalls überdacht waren. Es brannte Licht. Grothe stieg aus. Er nahm Silvias Koffer aus dem Fond. Sie hatte ein paar persönliche Dinge auf sein Anraten hin mitgenommen. Müde stieg sie aus. „Du kriegst ein Zimmer für dich allein“, versprach ihr Grothe. Sie hörte ihn reden, reagierte nicht darauf. „Süße“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Ich weiß, wie dir jetzt zumute ist. Du hast mein tiefstes Mitgefühl. Und ich möchte, dass du eines weißt: Ich bin immer für dich da. Wann immer du mich brauchst, Chris‘ Arme sind

ausgebreitet, du brauchst nur hineinzusinken.“ Ihr Blick war leer. Sie schaute durch ihn hindurch. Es störte ihn nicht. Er küsste sie auf die Lippen. Es war, als küsste er eine Tote. Er nahm ihren Koffer auf und sagte sanft: „Komm. Ich bring dich jetzt zu meinen Freunden.“ Sie betraten das Haus. Fred Pawlak war high und hing in der Gegend herum. Er glotzte blödsinnig vor sich hin. Seiler erhob sich, als er sah, dass Grothe nicht allein gekommen war. Und Thorsten Marxs Gesicht wurde von einem jähen Wutanfall verzerrt. Grothe mochte den Kerl nicht. Marx war ein heißblütiger Bursche mit schwarzen Glutaugen und rabenschwarzem Haar, das so struppig und fest wie eine Sofafüllung war. Er brauste wegen jeder Kleinigkeit sofort auf, wich keinem Streit aus und weigerte sich vor allen, Grothe als Boss anzuerkennen. „Chris, was soll das?“, fragte Seiler heiser. „Warum schleppst du Silvia hier an?“ „Verdammt, ja. Das würde mich auch interessieren, was die Tusse hier soll!“, blaffte Marx gereizt. Er schnellte aus dem Sessel, in den er sich gelümmelt hatte. „Sie hat schweren Kummer“, sagte Grothe zornig. Es kostete ihn viel Mühe, nicht die Beherrschung zu verlieren. Marx sollte sich vor ihm in Acht nehmen. Er würde nicht viel Federlesens mit ihm machen. „Kummer?“, dehnte Marx mit böse blitzenden Augen. „Ich hör‘ wohl nicht richtig. Sag mal, sind wir denn bei der Heilsarmee?“ „Ihr Freund hatte einen Unfall“, sagte Grothe grollend. „Er ist tot. Sie braucht jetzt jemand, der sich um sie kümmert.“ „Was geht uns denn das an?“, maulte Marx. „Wir sind aus einem ganz bestimmten Grund hier, falls du das vergessen haben solltest. Wo kämen wir hin, wenn wir alle Frauen, deren Freunde in letzter Zeit einen Unfall hatten, bei uns aufnehmen würden? Sind wir denn ein Heim für vereinsamte Mädchen oder so was?“ Grothe starrte Marx mit zornfunkelnden Augen an. „Halt‘s Maul, Thorsten!“, knurrte er, und seine Hände krampften sich zu Fäusten zusammen. Marx zog einen Mundwinkel schief nach oben. „Hör mal, von dir lasse ich mir

noch lange nicht das Wort verbieten!“ „Ich geb‘ dir den guten Rat, halt die Klappe, Thorsten!“ „Spiel dich bloß nicht auf, Mann. Du bist hier nicht der große Boss, der du gern sein möchtest. Bei Fred und Karsten magst du damit vielleicht ankommen, aber bei mir nicht. Du bist hier nicht der Chef, der das große Sagen hat, verstehst du? Du bist genauso viel und genauso wenig wie ich! Wir sind Partner. Gleichberechtigt, mein Lieber. Und wenn ich mit einer Sache nicht einverstanden bin, dann sag ich‘s. Ob dir das nun t oder nicht.“ Grothe kochte. Er wusste, dass er eine rasche Entscheidung herbeiführen musste, sonst verlor er vor Fred und Karsten das Gesicht. Dann ließen sich die beiden von ihm bald auch nichts mehr sagen. Disziplin musste sein. Schön, man konnte sich zusammenreden. Aber wenn dann entschieden werden sollte, musste das einer allein tun, sonst kam nie etwas Gescheites heraus. „Hör zu, du Pfeife!“, zischte Grothe mit schmalen Augen. „Ich weiß, dass du randvoll mit Komplexen bist. Deshalb fällt es dir so verdammt schwer, dich unterzuordnen. Aber solange du bei uns mitmachst, hörst du auf mein Kommando, ist das klar?“ „Teufel noch mal!“, warf Karsten Seiler nervös ein. „So hört doch damit auf, Jungs. Das bringt doch nichts. Vertragt euch doch endlich. Wenn wir den Coup hinter uns haben, trennen wir uns. Dann könnt ihr hintereinander herschimpfen, soviel ihr wollt. Aber hat es einen Sinn, sich vorher das Leben schwerzumachen? Wir sind nun mal aufeinander angewiesen. Also findet euch miteinander ab.“ „Verflucht, ich war von Anfang an dagegen, dass du Thorsten mit reinnimmst!“, schrie Grothe wütend. „Nun mal sachte!“, bellte Marx. „Ohne mich kriegst du die Chose doch gar nicht hin.“ „Bist verdammt eingenommen von deinen Fähigkeiten, was?“, höhnte Grothe. „Mit Recht!“, gab Marx mit vorgeschobenem Kinn zurück. „Das wird sich erst erweisen. Bis jetzt hast du noch nicht bewiesen, dass du zu was taugst. Kannst nur die Klappe dämlich aufreißen. Viel mehr scheint aber

nicht dahinterzustecken.“ Marx nahm eine feindselige Haltung ein. „Fang bloß nicht an, die Sache zu verwässern. Denkst du, ich durchschaue deine Taktik nicht? Du greifst mich frontal an, damit du von der Frau ablenken kannst. Sie steht nach wie vor im Raum, und ich sage, sie soll verschwinden. Wir können sie hier nicht gebrauchen.“ Grothe blies seinen Brustkorb auf. „Silvia bleibt!“ „Dann ist die Sache für mich gestorben!“ „Und du bleibst auch!“, schrie Grothe. Marx grinste. „Ach. Ich dachte, du wolltest mich sowieso nicht dabeihaben.“ „Nun bist du schon mal drin. Also bleibst du auch so lange drin, wie ich es sage.“ Marx warf den Kopf hoch. „Jetzt geht das schon wieder los. Hab‘ ich dir nicht klargemacht, dass du bei mir überhaupt nichts zu sagen hast? Was ich tu‘, tu‘ ich freiwillig!“ ‚Es ist wie in der Natur‘, schoss es Grothe durch den Kopf. ‚Worte können nicht überzeugen. Taten müssen sprechen. Und der Stärkere bekommt dann die Führungsgewalt zuerkannt‘. Silvia Korner stand da und weinte weiter. Sie bekam kaum mit, was um sie herum vorging. Es war ihr seit Hans Wagners Tod alles egal. Der Sinn ihres Lebens war wie eine Seifenblase zerplatzt. Nun stand sie hier und begriff nicht, dass sie zum Zankapfel geworden war. Grothe unternahm einen letzten Versuch. Er pumpte Luft in seine Lungen, zwang sich zur Ruhe: „ auf, Thorsten. Was wir vorhaben, ist meine Idee, das kannst du nicht leugnen. Ich bin der geistige Vater des Coups.“ Marx lachte abgehackt. „Komm, komm, Chris. Lass doch die geschwollenen Redensarten!“ „Ich habe die Sache initiiert. Folglich steht mir das Recht zu, zu entscheiden,

was geschehen soll und was nicht. Karsten hat dich mit reingenommen, weil er der Meinung war, du würdest unserer Sache wertvolle Impulse geben können. Auf die warten wir alle noch. Bis jetzt hast du dich nicht besonders hervorgetan. Außer dass du von Haus aus gegen alles warst, was ich angeordnet habe. Wir vier sind für einige Zeit ein Team. Einer muss sich auf den andern verlassen können. Wir werden den Coup gemeinsam durchziehen, werden hinterher teilen und einander vergessen. Aber solange die Sache noch in Planung ist, sollten wir uns nicht damit beschäftigen, uns gegenseitig zu zerfleischen, sondern wir sollten uns ausschließlich auf unsere Arbeit konzentrieren! Und welche Arbeit getan wird, das bestimme ich. Ob dir das nun t oder nicht, das ist so!“ Marx bleckte spöttisch die Zähne. „‘ne schöne Rede, die du da gehalten hast. Nur, leider war sie völlig nutzlos, ‘nen Hampelmann wie dich kann ich nicht als Boss anerkennen. Das schaff‘ ich einfach nicht!“ Peng! Das war der letzte Tropfen ins große Fass. Jetzt lief es über. Fred Pawlak und Silvia Korner waren in der glücklichen Lage, nicht mitzukriegen, was nun ierte. Karsten Seiler sprang mit schreckgeweiteten Augen zurück. „Jungs, so nehmt doch Vernunft an!“, brüllte er. Doch sein Schrei verhallte ungehört. Grothe schlug ohne Vorwarnung zu. Als Marx die Fäuste hochriss, um sein Gesicht zu decken, war es bereits zu spät. Grothes Faust traf ihn am Jochbein. Der Schlag warf ihn zurück. Tränen schossen ihm in die Augen. Er konnte alles nur noch verschwommen wahrnehmen. Es war wie an einem schwülen Sommerabend. Man weiß, dass etwas in der Luft hängt. Man spürt die Elektrizität. Man sieht es ringsherum blitzen. Und man wartet die ganze Zeit darauf, dass es mit dem Gewitter losgeht, das einen dann doch – obwohl man darauf gewartet hat – mit seiner ungestümen Heftigkeit überrascht. Marx riss einen Stuhl um, knallte gegen die Wand, stemmte sich davon ab, ging mit den Fäusten auf Grothe los. Grothe taktierte geschickter. Seine Wut machte ihn nicht blind. Er schlug Marx nach allen Regeln der Kunst zusammen. Selbst bekam er nur einige wenige Treffer ab, die allerdings ziemlich schmerzhaft waren. Aber er hatte die Genugtuung, sie dem Gegner alle doppelt zurückgegeben zu haben.

Marx brach ächzend nieder. Grothe trat mit den Füßen nach, und vielleicht hätte er ihn zu Tode getreten, wenn Karsten Seiler jetzt nicht kreischend dazwischengefahren wäre. „Das reicht! Verdammt noch mal, Chris, das sollte wirklich reichen. Was hast du davon, wenn du ihn erschlägst?“ Grothe schrie an Seiler vorbei: „Von jetzt ab wirst du das tun, was ich dir befehle, du gottverdammter Halunke. Keine Widerrede will ich mehr hören. Keine Diskussionen mehr. Hast du mich verstanden?“ Marx knirschte mit den Zähnen. Er krampfte sich auf dem Boden zusammen. Sein Gesicht war blutverschmiert. „Ob du mich verstanden hast!“, schrie Grothe. Jetzt wollte er seinem Erfolg die Krone aufsetzen. „So sag doch endlich ja, du sturer Hund!“, schrie Seiler wütend. „Ja!“, gurgelte Marx. „Wer ist der Boss?“, fragte Grothe scharf. „Du“, sagte Seiler. „Ich will es von ihm hören!“, schnaufte Grothe. „Thorsten!“, rief Seiler. „Sag, dass er der Boss ist!“ „Okay“, ächzte Marx. Grothe grinste breit. Er wusste, wie schwer es dem Kerl fiel, das zuzugeben. „Okay. Du bist der Boss!“ Jetzt war die Sache entschieden. Marx würde ihm keine Schwierigkeiten mehr machen, würde ihm seine Führungsposition nicht mehr streitig machen. Grothe nahm Silvia bei der Hand und brachte sie in ihr Zimmer. „Karsten!“, rief er, in der Tür stehend. „Ja, Boss?“, fragte Seiler. „Bring Silvias Koffer.“

Seiler trug den Koffer hinter der jungen Frau her. Der Raum war mit einem Schrank, einem Tisch, einem Stuhl und einem Bett eingerichtet. Die Vorhänge waren kobaltblau, schwer und zugezogen. Grothe legte Silvia aufs Bett. Er küsste sie auf die Stirn und riet ihr, zu schlafen. „Ich kann nicht“, seufzte sie. „Bring zwei Schlaftabletten“, verlangte Grothe von Seiler. Karsten holte die Schlafkapseln. Grothe gab sie dem Mädchen. Er goss Wasser aus der Glaskaraffe in ein Glas und stützte Silvias Kopf, damit sie sich nicht verschluckte. „In ein paar Minuten wirst du schlafen“, sagte er sanft. Silvia nickte. Er legte die Decke auf sie. Dann verließ er mit Karsten den Raum. Thorsten Marx wankte ins Bad, um sich um seins zerschlagenes Gesicht zu kümmern. Karsten Seiler wandte sich an Grothe. „Hör mal, Chris.“ Er lächelte nervös und hob abwehrend beide Hände. „Explodier jetzt nicht gleich noch mal ... Aber meiner Meinung nach hat Silvia hier wirklich nichts zu suchen.“ „Sie ist mein Mädchen!“, sagte Grothe finster. „Folglich hat sie sehr wohl etwas da zu suchen, wo ich bin!“ „Dein Mädchen?“ „Hans Wagner lebt nicht mehr. Sie hat niemanden außer mir. Deshalb kümmere ich mich um sie. Du siehst doch, in was für einer miesen Verfassung sie ist. Soll ich sie allein lassen und riskieren, dass sie sich vor den Backofen kniet und den Gashahn aufdreht?“ Seiler fuhr sich irritiert über die Augen. Er musterte Grothe eingehend. Wagners Tod hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt erfolgen können. Ob Chris daran gedreht hatte? „Wieso ist Hans tot?“, fragte Seiler vorsichtig. Grothe direkt anzuschießen wagte er nicht. „Du sagtest vorhin, er hätte einen Unfall gehabt?“

Grothe nickte. Er schaute Seiler nicht in die Augen, als er antwortete: „Arbeitsunfall.“ „Wie ... wie ist das iert?“, wollte Seiler wissen. „Er hat den Müllwagen auf die Service-Grube gefahren – so hat es jedenfalls Silvia erzählt. Danach muss er ohnmächtig geworden sein. Jedenfalls ist er neben dem Müllkoloss umgekippt, der Wagen rollte ein Stück zurück – und ihm genau über den Kopf.“ Seiler atmete hörbar aus. „Der arme Junge.“ „Selber schuld. Wäre er nicht Müllwagenfahrer geworden“, sagte Grothe eisig. Dann ließ er Seiler stehen und setzte sich im Wohnzimmer neben den blöde vor sich hinglotzenden Fred Pawlak.

30

Es war nicht ausgeblieben, dass die Polizei im City-Hotel aufkreuzte, obwohl Bernd Schuster nicht nach ihnen gerufen hatte. Die Sache war allein ins Rollen gekommen. Der Junge hatte dem Hoteldirektor Meldung gemacht, und der hatte unverzüglich den Polizeinotruf gewählt. Auf diese Weise war Mark L. Schwartz’ Feier schon torpediert worden, ehe sie richtig in Schwung kommen konnte. Bernd und Franziska landeten auf dem Polizeirevier, wo sie ihre Aussage machen und die angefertigten Protokolle unterzeichnen mussten. Man brachte sie anschließend ins Hotel zurück, aber der Abend war verdorben und blieb es dann auch. Am nächsten Tag gab Mark L. Schwartz seine ersten Radiointerviews. Er trommelte gekonnt. Bernd und Franziska hörten ihn reden, während sie nach Charlottenburg unterwegs waren. Franziska trug einen dunkelbraunen Hosenanzug. Vor allem deshalb, weil sie ihre zerschundenen Knie verdecken musste. Heute Morgen im Bad hatte sie ein paar große blaue Flecken an ihrem Körper entdeckt. „Wie fühlst du dich heute, Franzi?“, erkundigte sich Bernd, während er den Mercedes durch die Stadt chauffierte. Franziska kräuselte die kleine Nase. „Es könnte besser sein.“ „Den Schock von gestern schon verdaut?“, fragte Bernd schmunzelnd. „Einigermaßen“, gab Franziska wahrheitsgetreu zurück. Sie schaute Bernd von der Seite her an. „Bernd, wer saß in dem BMW?“ „Ich sagte gestern der Polizei: Ich habe keine Ahnung. Und ich habe damit kein bisschen gelogen. Ich weiß es wirklich nicht.“ „Chris Grothe?“, fragte Franziska mit schmalen Augen. „Kann sein.“

„Jemand anders kann zurzeit doch nichts gegen uns haben.“ „Oh, das würde ich nicht so felsenfest behaupten. Es könnte durchaus der Fall sein, dass sich jetzt erst jemand entschlossen hat, etwas gegen mich zu unternehmen, dem ich schon vor einigen Wochen auf die Zehen getreten habe.“ „Glaubst du, dass das der Fall ist?“ „Nein.“ „Ich auch nicht“, sagte Franziska. „Ich tippe auf Grothe.“ Bernd lächelte. „Wir werden ihn fragen, wenn wir ihn haben.“ „Werden wir ihn denn jemals kriegen?“, fragte Franziska zweifelnd. Bernd lachte. „Du musst nur fest genug daran glauben, dann klappt es.“ Sie erreichten Charlottenburg. Bernd fuhr den Mercedes absichtlich nicht auf das große Grundstück, auf dem die Villa stand, der ihr Besuch galt. Er hatte die Absicht, sich das Grundstück einmal zu „ergehen“, wie er es ausdrückte. Er wollte die Weite der grünen Fläche optisch auf sich einwirken lassen. Auf diese Weise konnte er im Geist den Aufmarsch der Sicherheitsleute vollziehen und sich überlegen, ob er damit das Optimum angeordnet hatte. Vögel zirpten in den Ziersträuchern. Am Himmel hingen kleine Wattebällchen. Der Rasen, englisch kurzgeschoren, duftete intensiv. Kein Großstadtgetriebe. Kein Lärm. Hier konnten sich die Nerven so richtig erholen. Vor der Villa standen vier Lastkraftwagen. Daneben stand ein etwas kleinerer Einsatzwagen: ein Fahrzeug des Elektronik-Konzerns, dem Meisel vorstand. Bernd begrüßte den Ingenieur des Spezialistentrupps, der mit dem Einbau der Alarmanlagen beschäftigt war. Meisels Experten konnten den vereinbarten Termin großartig halten. Die Installationsarbeiten gingen flott von der Hand. Es gab keinerlei Komplikationen, und es waren auch keine hemmenden Schwierigkeiten zu erwarten. Eine volle Stunde hielte sich Bernd und Franziska in der Villa auf. Sämtliche Türen und Fenster waren bereits gesichert. Ein gesondertes Stromaggregat sorgte dafür, dass die Alarmsysteme zuverlässig mit Energie versorgt werden würden. Nachdem Bernd sich von dem Ingenieur verabschiedet hatte und mit Franziska

die Villa verließ, sagte er nicht ohne Stolz zu seiner Assistentin: „Hier habe ich eine Nuss geschaffen, die Chris Grothe unmöglich knacken kann.“ Franziska hob eine Hand. „Beschrei‘s nur nicht!“ „An die Bilder kommt keiner ran. Unmöglich.“ „Wir wollen‘s hoffen“, sagte Franziska. „Immerhin haben wir auch so noch genug Kummer.“ „Was meinst du?“ „Ich rede von dem Kerl, der uns gestern vom Bürgersteig putzen wollte.“ Bernd hakte sich bei Franziska unter. „Ich will dich ja nicht beunruhigen, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass er‘s noch mal versuchen wird.“ Franziska blieb erschrocken stehen. „Ist das dein Ernst?“ „Er hat ja nicht erreicht, was er erreichen wollte. Mit dem gestrigen Erfolg kann er sich unmöglich zufriedengeben.“ Franziska wiegte den Kopf. „Na, das sind ja schöne Aussichten.“ „Möchtest du ein paar Tage Urlaub haben?“ Franziska reagierte auf dieses Angebot bitterböse. Sie riss sich von Bernd los und stemmte die Fäuste in die Seite. „Sag mal, wofür hältst du mich eigentlich?“ „Für die reizendste Franziska von Berlin und Umgebung.“ „Du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich dich in einer solchen Situation im Stich lasse?“ Sie meinte es gut, aber von „im Stich lassen“ konnte nicht die Rede sein. Bernd hätte Franziska gern für ein paar Tage an die See geschickt, um eine Sorge weniger zu haben. Franziska aus dem Schussfeld zu wissen, hätte ihm gutgetan. Doch Franziska Jahn dachte nicht daran, sich wegschicken zu lassen. Ihr Platz wäre an seiner Seite, meinte sie energisch, und davon war sie mit keinem noch so guten Argument abzubringen. Seufzend gab Bernd die Diskussion auf. Sie

gingen weiter und hatten ungefähr noch hundert Meter zu gehen, da gewahrte Bernd Schuster – halb verdeckt von Sträuchern – eine Person. Ein Mann war es, der sich anscheinend am Mercedes zu schaffen machte. In diesem Augenblick schien er mit seiner Arbeit fertiggeworden zu sein. Er wandte sich nach links und ging mit zügigen Schritten davon. Der Privatdetektiv riss sofort die Pistole aus dem Schulterholster. „Bernd!“, rief Franziska verwirrt aus. „Der Typ von gestern Abend!“, zischte Schuster und rannte mit weiten Sätzen los. Er jagte auf die Grundstücksausfahrt zu, lief, so schnell er konnte, und als er die Straße erreichte, sah er den Verdächtigen in einen weinroten Peugeot 504 steigen. Fast im selben Augenblick wurde der Motor gestartet. Der Peugeot rollte ohne Eile an. Bernds erster Gedanke war: Hinter dem weinroten Wagen her! Mit ein paar Sprüngen war er beim Mercedes. Seine Hand zuckte zur Tür, doch plötzlich blieb sie in der Luft hängen. Moment! Der Bursche hatte hier irgendwo am SEL herumgefummelt. Deshalb war es nicht ratsam, die Tür einfach aufzureißen und in den Wagen zu springen. Bernd wusste von Leuten, die das gemacht hatten. Heute lebten sie nicht mehr. Eine gewaltige Explosion hatte sie in kleine Stücke zerfetzt. Franziska kam angelaufen. Der Peugeot war nicht mehr zu sehen. Bernd warf sich neben dem Silbernen auf den Bauch. „Bleib weg vom Wagen!“, rief er Franziska zu. „Bernd, was ist ...?“ „Hörst du nicht? Du sollst zurückgehen!“ Franziska reagierte. In einer Entfernung von dreißig Metern blieb sie kribbelig stehen. Sie nagte an ihrer Unterlippe, während sie Bernd mit flatternden Augen beobachtete. Er fasste unter den Wagen, musste sich strecken, um das erreichen zu können, wonach er griff. Einen kurzen Moment lang regte er sich nicht. Franziskas Atem stockte. Sie massierte ihre Hände, die auf einmal unangenehm kalt geworden waren. Jetzt erhob sich Bernd. Er hielt ein schwarzes Päckchen in beiden Händen, behandelte es so vorsichtig wie ein rohes Ei. Franziska machte

einen zaghaften Schritt vorwärts, und als Bernd keinen Einspruch erhob, den nächsten und den nächsten ... bis sie bei ihm war. Schuster grinste mit gefletschten Zähnen. „Dieses war der zweite Streich. Hab‘ ich‘s nicht gesagt? War verdammt raffiniert angebracht, das Ding. Wären wir zehn Minuten später zurückgekommen ...“ Er ließ den Satz offen. Franziska kannte sich trotzdem aus. Sie wurde blass und fuhr sich an die Lippen. „Oh, Bernd!“ „Eine Höllenmaschine“, knirschte Bernd. Franziska zitterte. „Wir hatten zweimal unverschämtes Glück ...“ „Ohne Glück kann kein Privatdetektiv überleben. Er braucht Glück, und natürlich muss er auch tüchtig sein. Aber die größte Tüchtigkeit nützt nichts, wenn der Schutzengel ein fauler Hund ist ...“ Franziska betrachtete mit großen Augen den schwarzen Apparat, aus dem zwei verschiedenfarbige Drähte baumelten. „Wie“, presste sie aufgeregt hervor, „wie hätte es funktioniert? Zündschlüssel umdrehen und ...?“ Bernd schüttelte den Kopf. „Das Ding reagiert auf Wärme. Wir hätten damit ein Stück fahren können. Und dann wäre der große, unwiderrufliche Knall gekommen.“ „Mein Gott, ich will gar nicht daran denken ...“ „Immer noch keinen Appetit auf einen kleinen Urlaub?“, fragte Bernd und grinste eisig. Franziska schüttelte zornig den Kopf. „Ich lasse mich von dir nicht abschieben, Bernd Schuster! Ich bin Detektiv-Volontärin und deine Lebensgefährtin. Wie soll denn mal etwas Rechtes aus mir werden, wenn ich in solchen Situationen immer kneife? Und wie stehe ich vor Lucy da, wenn ich dich im entscheidenden Moment im Stich gelassen habe?“ Bernd hob die Achseln. „Es ist dein Leben, das du aufs Spiel setzt.“

„Tust du nicht dasselbe?“ „Bei mir ist das etwas Anderes.“ „Ja, ja. Bei dir ist es immer etwas Anderes!“ Bernd winkte ab. „Steig ein.“ „Wohin fahren wir?“ „Zu Horst Südermann. Seine Experten sollen sich die Bombe ansehen. Vielleicht können sie damit etwas anfangen.“ „Das Polizeigebäude sprengen.“ „Auch eine Möglichkeit“, sagte Bernd und schwang sich in den Mercedes.

31

„Mordversuch Nummer zwei!“, knurrte Horst Südermann mit finsterer Miene. Schwer und behäbig saß er hinter seinem Schreibtisch. Die Klimaanlage spielte mal wieder verrückt. Es war viel zu warm in Südermanns Büro. Bis vor Franziskas und Bernds Eintreffen hatte der Inspektor den Krawattenknopf auf der Brust getragen, den Hemdkragen offen gehabt, sein Jackett hatte auf dem Besucherstuhl gehangen. Jetzt war Horst wieder korrekt gekleidet. Für Bernd hätte er sich dieser Mühe nicht unterzogen, aber für Franziska tat er es. Und er schwitzte mit Leidensmiene still vor sich hin. Die Höllenmaschine befand sich bereits im Labor. Horst hatte sie sofort abholen lassen. Nun warteten sie auf das Ergebnis der Untersuchung. „Das Ding hätte aus euch zwei schöne Engel gemacht“, sagte Südermann feixend. „Danke. Darauf kann ich verzichten“, gab Franziska gepresst zurück. „Wer nicht?“, sagte Südermann. Er wandte sich an Bernd: „Wer war es?“ „Eine wundervolle Frage!“, sagte Bernd mürrisch. „Eine ganz simple Frage“, meinte Horst. „Und trotzdem kann ich sie nicht beantworten.“ Der Inspektor nickte fest. „Typischer Fall von: Beruf verfehlt.“ „Ich habe den Kerl ja kaum gesehen. Gestern gar nicht. Und heute nur vage durch das Blattwerk von Büschen. Und noch dazu von hinten.“ Horst richtete sein Schreibzeug militärisch korrekt aus. „Kann es Chris Grothe gewesen sein?“, fragte er, ohne von seiner nutzlosen Arbeit hochzuschauen. „Bestimmt nicht“, antwortete Bernd, ohne lange nachzudenken.

Horst blickte auf. „Wieso bist du so sicher?“ „Grothe hätte ich erkannt. Der Bursche war mir jedoch fremd.“ „Möchtest du Anzeige erstatten?“, fragte der Inspektor. Bernd blickte den Freund erstaunt an. „Gegen wen?“ „Gegen unbekannten Täter.“ „Machst du Witze? Dabei kommt doch nichts raus.“ „Manchmal schon“, widersprach Südermann. Bernd schüttelte energisch den Kopf. „Die Sache nehme ich lieber selbst in die Hand.“ „Kein Vertrauen zur Berliner Polizei?“, fragte Südermann lauernd. Bernd grinste. „Habt ihr nicht auch ohne meine Anzeige genug zu tun?“ „Wir können über Arbeitsmangel nicht klagen.“ „Siehst du, deshalb will ich euch nicht noch was aufhalsen.“ Horst lachte stichelnd. „Du bist so gut zu uns. Wie ein Vater ...“ „... zu seinen Kindern“, fiel Bernd dem Freund grinsend ins Wort. Horst schaute Franziska an und sagte seufzend: „Er stänkert immer noch so gern wie früher. Hat ein verdammt loses Mundwerk, Ihr Chef. Wenn der mal stirbt, muss man seine Klappe extra erschlagen, damit er Ruhe gibt.“ Das Telefon rappelte. Horst griff nach dem Hörer. „Inspektor Südermann.“ Er lauschte. Seine Augen krochen an der Wand hoch, erreichten die Decke, blieben dort eine Weile hängen. Vier Minuten hörte er nur zu. Dann sagte er: „Danke.“ Und legte auf. Sein Blick pendelte zwischen Bernd und Franziska hin und her. Er ließ die beiden noch einen Moment schmoren. „Das Labor“, sagte er schließlich. Dabei wies er auf den Apparat. „Unser Bombenexperte hat den Knallfrosch

auseinandergenommen.“ „Ja, und?“, sagte Franziska Jahn gespannt. Horst wandte sich an Bernd. „Kannst du dich noch an den Fall mit dem Vorstandsmitglied des Gaswerkes erinnern?“ Bernd nickte. „Ein unbequemer Mann war das.“ „Deshalb musste er sterben.“ Südermanns Augen wanderten zu Franziska. „Eine Höllenmaschine hat ihn vor neun Monaten zerrissen. Und unser Experte legt einen heiligen Eid darauf ab, dass es sich dabei um die gleiche Bauart gehandelt hat wie bei eurem Knallfrosch. Mit anderen Worten: Eure Bombe stammt aus der gleichen Werkstatt wie jene, durch die der Gaswerkdirektor ums Leben kam.“ In Bernd Schusters Kopf liefen die Relais heiß. Eine Parallelbombe! Das bedeutete, dass ihm die Ermittlungsergebnisse von damals zur Verfügung stehen würden. Er sagte hastig: „Ich habe den Mordfall aus den Augen verloren. War zu der Zeit in anderweitig im Einsatz. Wie ging die Sache aus?“ Horst ließ die Faust auf den Tisch fallen. „Wir haben uns damals wirklich verdammt angestrengt, das kannst du mir glauben. Alle verfügbaren Leute haben sich in die Sache hineingehängt. Ganz klar – das Opfer war kein kleiner Mann von der Straße, sondern eine Persönlichkeit, die im Blickpunkt des öffentlichen Lebens gestanden hatte. Du weißt, wie gewaltig in solch einem Fall der Druck von oben ist. Trotzdem kamen wir zu keinem Ergebnis. Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Und noch weniger dessen Auftraggeber.“ Bernds Augen verengten sich. „Okay. Keine hinreichenden Beweise ...“, sagte er schnell. „Das heißt für mich deshalb aber noch nicht, dass es keine verdächtigen Personen in diesem Mordfall gegeben hat. Horst ... was hast du dir damals zusammengereimt?“ Südermann holte den Cognac aus dem Schreibtisch. Franziska lehnte die Einladung ab. Bernd nahm sie an. Horst füllte zwei Gläser, die er ebenfalls aus dem Schreibtisch holte. Er fand, dass dies ein würdiger Augenblick war, einen Schluck zu nehmen. Sie tranken. Dann sagte der Inspektor mit rauer Stimme: „Ich hatte damals eine radikale Politgruppe in Verdacht. Leute um den Dunstkreis der Kommunarden,

wenn du dich an die Sache noch erinnern kannst.“ Bernd nickte. „Kann ich.“ „Der Hauptverdächtige kam bei einem Autobusunglück ums Leben. Er und seine Freunde. Vermutlich ebenfalls eine Angelegenheit, an der gedreht worden war. Wahrscheinlich wollte man verhindern, dass wir eines Tages über den Tatverdächtigen doch noch die wahren Schuldigen erreichen und entlarven konnten.“ „Schön“, sagte Bernd gespannt. „Wer aber hat die schmutzige Arbeit erledigt?“ „Da habe ich nur eine vage Vermutung“, erwiderte Horst Südermann. „Heraus damit.“ „Benedikt Scheuern“, murmelte Südermann. „Ein reicher Typ, der auf Playboy macht. Seit einiger Zeit hält sich da ein hartnäckiges Gerücht, das besagt, dass Scheuern für Geld killt.“ „Glaubst du diesem Gerücht?“, fragte Bernd wie aus der Pistole geschossen. „Das Rätsel an der Sache ist: Scheuern hat so etwas überhaupt nicht nötig. Er hat Geld wie Heu. Er wäre verrückt, wenn er solche Jobs übernehmen würde.“ „Vielleicht ist er verrückt“, sagte Bernd. „Er war mal ein guter, angesehener Lehrer in einem Mädchenpensionat.“ „Also ein intelligenter Bursche. Wie kam er zu dem vielen Geld, das er heute besitzt?“, fragte Bernd. „Er hat an der Börse spekuliert, machte ein paar gute Geschäfte auf dem Devisensektor, kaufte sich als stiller Teilhaber in mehrere aufstrebende Firmen ein, verlieh Geld, hatte Glück ... So einfach ist das. Wir haben sein Leben gründlich durchleuchtet. Kein schwarzer Fleck auf seiner weißen Weste.“ „Wie kommt es, dass du ihn trotzdem in Verdacht hattest, dem Gasdirex die Bombe untergejubelt zu haben?“, fragte Bernd.

„Das sagte ich doch schon. Es gibt da Gerüchte ...“ „Hast du mit ihm gesprochen?“, wollte Bernd wissen. „Natürlich. Und wir haben ihn damals eine Zeit lang beschattet.“ „Was kam dabei heraus?“ „Er ist nicht einmal beim Falschparken zu erwischen.“ „Was hast du für einen Eindruck von Scheuern?“, erkundigte sich Bernd. „Ein eiskalter Mensch. Hat ein Gehirn wie ein Computer.“ „Der prädestinierte Killertyp“, sagte Bernd. „Das kann ihm keiner beweisen.“ „Vielleicht schaff‘ ich es“, sagte Bernd mit einem gefrorenen Lächeln. „Was dagegen, wenn ich mir Herrn Benedikt Scheuern – diesen ach so lauteren Burschen – mal kaufe?“ Horst hob die Schultern. „Du kannst tun, was du für richtig hältst. Aber als Freund muss ich dich warnen. Wenn du Scheuern reizt, kann es ieren, dass er dir durch seine Staranwälte die Hölle heißmachen lässt, und, verdammt noch mal, dann hättest du für eine ganze Weile nichts mehr zu lachen.“ Bernd erhob sich grinsend. „Darauf lass ich‘s gern mal ankommen.“

32

Natürlich wollte Franziska Jahn unbedingt mitkommen. Doch Bernd hatte ein gutes Argument, sie fernzuhalten. „Denk bitte daran, dass Lucy heute eine Stunde früher Schulschluss hat. Und sie wollte mit dir unbedingt rüber ins KaDeWe, um den neuen Lippenstift gemeinsam mit dir zu kaufen.“ „Richtig, das wäre was geworden, wenn ich das vergessen hätte!“, sagte Franziska. Bernd ließ sie schon am Eingang zum Zoo aussteigen und fuhr gleich weiter. Benedikt Scheuern – der Gentlemankiller? Er hatte solche Jobs nicht nötig. Hieß das aber auch automatisch, dass er sie nicht annahm? Vielleicht war er hin und wieder bereit, einem Freund einen kleinen Dienst zu erweisen. Eine Hand wäscht die andere ... Möglicherweise war es auch der Nervenkitzel, der Scheuern reizte und ihn veranlasste, mit Taten Geld zu machen, die weit unter seiner gesellschaftlichen Würde standen. ‚Wie dem auch sei‘, dachte Bernd. ‚Der Knabe ist es wert, dass man ihn sich aus der Nähe ansieht‘. Inzwischen waren mehr Wolken aufgezogen. Ein kräftiger Wind blies den Fußgängern ins Gesicht. Viele hatten sich wohl ein wenig zu sommerlich gekleidet. Schuster sah, wie einige unter dem unerwarteten Wind fröstelten. Wenig später drückte er sich durch den aus hohen Hecken bestehenden Naturzaun. Das allein war schon nicht ganz korrekt. Aber, zum Teufel, er pfiff darauf, nach den Buchstaben des Gesetzes zu tanzen. Hatte sich der Bursche, der ihm die Höllenmaschine unter den Wagen gezaubert hatte, etwa an die goldenen Regeln der menschlichen Gesellschaft gehalten? Also war auch Bernd nicht gewillt, die lästigen Spielregeln zu beachten. Das war ja der Vorteil des Privatdetektivs. Inspektor Südermann durfte sich eine solche Unkorrektheit nicht erlauben. Zugegeben, wenn Scheuern keinen Dreck am Stecken hatte, dann konnte die Sache für Bernd ziemlich unangenehm werden. Scheuern konnte ihn wegen Hausfriedensbruchs belangen. Mit jedem ungenehmigten Schritt, den

Bernd Schuster jetzt auf Scheuerns feudales Haus zumachte, musste er mit Ärger rechnen. Trotzdem blieb Bernd nicht stehen. Die Sache war ihm das Risiko wert. Er schellte. Und während er wartete, prüfte er automatisch den Sitz seiner Pistole, denn wenn Scheuern der autorasende Bombenleger war, den er suchte, würde er seine Waffe in einigen Minuten sicherlich brauchen. Benedikt Scheuern war nicht zu Hause. Bernd beging die nächste Sünde: Er holte sein „Besteck“ aus dem Jackett und machte sich mit Gefühl am Schloss zu schaffen. Zweimal hintereinander ein kurzes Klacken. Dann ließ sich die Tür öffnen. Bernd trat ohne Gewissensbisse ein. Eine gläserne Stille umfing ihn. Bernd zog die Beretta. Auf leisen Sohlen schlich er zur Treppe, die nach oben führte. Mit federnden Sprüngen lief er hinauf. Zwei Gästezimmer mit separaten Toiletten, ein Bad, ein Schlafzimmer und ein Ankleideraum. Leer. Unten, im Wohnzimmer, suchte Schuster hinter den Bildern nach einem Wandsafe. Die Beretta steckte nun wieder in seinem Schulterholster. Er entdeckte keinen Safe, begab sich durch eine Tapetentür in Scheuerns Arbeitszimmer: Bücherregale an den Wänden. Bis zur Decke hinauf. Ein tabakbrauner Teppich auf dem Boden. Er schluckte jeden Schritt, den Bernd machte. Ein mächtiger Mahagonischreibtisch. Ordentlich aufgeräumt. Ein Diktaphon. Zwei Telefone. Ein Fotokopiergerät. Eine Schreibmaschine. Ein Terminkalender. Bernd blätterte um. Da stand eine Telefonnummer. Rot unterstrichen. Nur die Nummer, sonst nichts. Bernd schaltete das Diktaphon ein. Das Band war leer. Plötzlich streifte ein Lufthauch Schusters Nacken. Er zuckte herum. Da stand ein Mann. Und als Schuster zur Beretta greifen wollte, stieß der Mann ihm seine Luger blitzschnell in den Bauch. Bernd hob ganz langsam die Hände ...

33

Benedikt Scheuern! Er strahlte eine eisige Kälte aus. Ein Blick in seine Augen genügte. Bernd wusste alles. Hier war er richtig. Scheuern war sein Mann. Horst Südermanns Verdacht bestätigte sich in diesem kritischen Moment. Scheuern lachte blechern. Spöttisch sagte er: „Sieh an, sieh an. Bernd Schuster gibt mir die Ehre.“ Mit flinken Fingern suchte er Bernd ab. Er machte seine Sache gründlich und holte sich Schusters Beretta, die er mit einem triumphierenden Glitzern in den Augen in seinen Hosenbund versenkte. Er machte sich nicht die Mühe, zu fragen, was Bernd in seinem Haus zu suchen hatte. Er wusste es. Und er war froh darüber, dass Schuster hierhergekommen war. Mit schmalen Lippen zischte Scheuern: „Sie hätten Ihren auffälligen Mercedes nicht so gut sichtbar abstellen sollen, Schuster. Das war ein leichtsinniger Fehler, der Ihnen nicht hätte ieren dürfen.“ „Ich hatte keine Veranlassung, ihn zu verstecken.“ „Ihr Wagen hat mich gewarnt. Ich habe mich wie ein Dieb in mein eigenes Haus gestohlen und Sie hier entdeckt. Das wäre Ihnen nicht iert, wenn ich den Wagen nicht gesehen hätte.“ „Klar, dass Sie meinen Wagen gut kennen“, sagte Bernd spöttisch. „Schließlich haben Sie vor nicht allzu langer Zeit erst daran herumgefummelt.“ Benedikt Scheuern zuckte unbekümmert die Achseln. Er leugnete es nicht einmal, sich an Schusters Wagen zu schaffen gemacht zu haben. Das hieß für Bernd: Hier kommst du – wenn es nach Scheuerns Willen läuft – nicht mehr lebend raus. Scheuern trat drei Schritte zurück. Er wies auf den Schreibtischstuhl und knurrte: „Setzen Sie sich, Schuster!“ Bernd nahm Platz. Scheuern lächelte eisig. „Ich muss gestehen, ich habe Sie unterschätzt, mein

Lieber.“ In Bernds Kopf überschlugen sich die Gedanken. Jetzt wird er eine schöne Rede halten, und dann wird er dich über den Haufen schießen. Bernd schaute nach Scheuerns wachsamen Augen. Denen entging nicht so leicht etwas. „Bernd Schuster“, sagte Benedikt Scheuern, „das ist so etwas wie eine Legende. Berlins Unterwelt kriegt das große Muffensausen, wenn von Ihnen die Rede ist. Es heißt, man kann Sie zwar verletzen, aber es will partout nicht gelingen, Sie für immer abtreten zu lassen. Ich wollte mit diesem lächerlichen, unhaltbaren Märchen aufräumen und nahm die Sache wohl ein bisschen zu leicht, als ich mich in einen Wagen setzte, den ich eigens für diesen Zweck gestohlen hatte, und Sie einfach über den Haufen fahren wollte. Ich gebe zu, ich ging ein wenig zu unbekümmert an das Ganze heran, deshalb hat es auch nicht hingehauen. Darf ich Ihnen im Nachhinein noch zu Ihren großartigen Reflexen gratulieren? Einfach verblüffend, wie Sie im Bruchteil einer Sekunde die Situation überblickten, und dann den Jungen, Ihre Sekretärin und sich selbst aus dem Gefahrenbereich katapultierten.“ Bernd hob die Schultern. „Man hat eben gelernt, solche Momente eiskalt zu meistern.“ „Selbstverständlich war auch ein bisschen Glück dabei“, schmälerte Scheuern Schusters Leistung. „Ein Prozent“, gab Bernd zu. Er starrte unentwegt auf die Luger, die pausenlos auf ihn gerichtet war. „Ich war eigentlich sicher, dass ich‘s mit der Höllenmaschine schaffen würde“, plauderte Scheuern weiter. „Ich dachte, der Knall würde Sie in den Detektivhimmel befördern.“ „Aber auch die Sache ging in die Hose“, sagte Bernd frotzelnd, obwohl ihm nicht danach zumute war. „Offen gestanden, Sie verblüffen mich gleich in dreifacher Hinsicht, Herr Schuster.“ „Ich bin noch für weit mehr Überraschungen gut!“, sagte Bernd.

Scheuern stellte seinen Daumen auf. „Erstens“, sagte er, „verblüfft mich, dass Sie noch leben.“ Jetzt hob er den Zeigefinger. „Zweitens, dass Sie so schnell herausgefunden haben, wer Ihnen das Dynamit unter das Fahrzeug gepackt hat.“ Der Mittelfinger stand auf. „Und drittens, dass Sie so bodenlos dumm sind, hierherzukommen und mir damit die Gelegenheit zu bieten, Fehler eins und zwei elegant auszumerzen.“ „Wer hat Ihnen das aufgetragen?“, fragte Bernd schneidend. „Grothe?“ Scheuern fragte nicht: Wer ist Grothe? Er kannte Grothe. Aber er ging auf die Sache nicht ein. „Ich werde Sie töten, Schuster!“, sagte Scheuern gleichmütig. „Wie viel hat man Ihnen dafür geboten?“ „Das Geld ist dabei Nebensache.“ „Warum sagen Sie mir nicht, dass Grothe Sie um diesen Gefallen bat?“ „Na schön. Wenn es Sie beruhigt. Also gut. Grothe war bei mir und hat mir sein Herz ausgeschüttet. Er sagte, Sie würden ihn nervös machen, er könne sich auf seine Vorbereitungsarbeiten nicht konzentrieren, wenn er Sie andauernd hinter sich wisse. Und so habe ich ihm eben versprochen, ihm zu helfen.“ „Für wie viel?“, fragte Bernd. „Dreißigtausend. Und fünf Prozent von der Beute, die er macht.“ Bernd lachte heiser. „Er wird keine Beute machen.“ „Ich halte ihn für einen tüchtigen Burschen.“ „Die Gemälde, auf die er es abgesehen hat, sind so gut abgesichert, dass er nicht einmal in ihre Nähe kommen wird.“ „Na gut, dann habe ich eben mal ohne Profit gearbeitet. Wenn ich mir dafür einen Schuster als Jagdtrophäe an die Wand hängen darf, lohnt sich für mich der Einsatz trotzdem.“ Scheuern grinste. „Sie werden einen Ehrenplatz erhalten. Ich werde Ihre Leiche auf meinem Grundstück verscharren. Kein Mensch wird Sie

jemals wiederfinden.“ Scheuern dachte an Sarah Klinger. Auch sie war nie mehr wiedergefunden worden. „Wo steckt Grothe, Scheuern?“ „Irgendwo am Stadtrand, wo auch immer. Sicher nicht in Mauernähe.“ „Wo genau?“ „Das kann Ihnen in Ihrer Situation doch vollkommen gleichgültig sein.“ „Ist es mir aber nicht“, sagte Bernd störrisch. „Sollte es Ihnen aber sein. Sie könnten aus einem solchen Wissen sowieso keinen Nutzen mehr ziehen.“ Bernd zog die Brauen zusammen. „Vor neun Monaten. Der Direktor der Gaswerke. Das waren auch Sie, nicht wahr?“ Scheuern schmunzelte amüsiert. „Donnerwetter, Schuster. Können Sie hellsehen?“ „Ich wollte, ich könnte es. Dann wäre Chris Grothe bereits wieder da, wohin er gehört. Und Sie würden ihm Gesellschaft leisten.“ Scheuerns Gesicht wurde hart. „Ich finde, wir haben einander nun lange genug ertragen, Herr Schuster. Stehen Sie jetzt ganz langsam auf. Es ist Zeit fürs Sterben.“

34

Silvia Korner aß kaum etwas. Sie wollte nichts trinken. Wollte niemanden sehen. Wollte sterben. Alles war für sie so schrecklich unwirklich. Dieses Haus, in dem sie sich aufhielt, ohne zu wissen, in welcher Gegend es stand. Chris Grothe, der sie hierhergebracht hatte, ohne dass sie es wollte. Karsten Seiler, Fred Pawlak, Thorsten Marx. Alles Figuren in einem Albtraum, der kein Ende nehmen wollte. Silvia lag auf dem Bett. Mit glasigen Augen starrte sie zur Decke hinauf. Sie hatte keine Tränen mehr, konnte nicht mehr weinen. Dumpf erinnerte sie sich an Chris‘ zweiten Besuch. Er war bei ihr aufgetaucht, als sie erst seit zwei Stunden wusste, dass Hans nicht mehr lebte. Er war zu ihr gekommen und hatte sie stumm in seine Arme genommen. Sie hatte sich nicht widersetzt, ließ es geschehen, wie sie seither alles mit sich willenlos geschehen ließ. „Es tut mir leid“, hatte Chris Grothe gesagt. „Man hat mir davon erzählt.“ Plötzlich hatte sich Silvia von ihm losgerissen. Mit rotgeweinten Augen hatte sie ihn entsetzt angestarrt. „Du! ... Es war kein Unfall! Du hast es getan!“, schrie sie. „Ach komm, rede doch keinen Unsinn!“, widersprach Grothe ernst. „Du hast gesagt, du würdest mit Hans reden!“ „Das ist richtig. Das wollte ich auch tun. Aber ich hatte noch keine Zeit dazu. Ich schwör‘s dir bei meinem Augenlicht, Silvia, ich habe Hans nichts zuleide getan. Ich habe ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen! Heiliges Ehrenwort. Denkst du, ich würde so etwas tun? Glaubst du im Ernst, ich würde einen Mord begehen, um dich zu mir zurückzuholen? Silvia, das Leben geht weiter. Ich weiß, das klingt hart, aber es ist so.“ Und dann hatte er mit Engelszungen auf sie eingeredet. Sie hatte kaum etwas von seinen Worten mitbekommen, ließ sich treiben in ihrem tiefen Schmerz. Und nun war sie hier. In diesem Haus, das ihr fremd war. In diesem Zimmer, das sie nicht mochte. Und sie lag auf dem Bett und hörte Chris und seine Freunde draußen von einem Coup

reden, den sie vorbereiteten. Nur dieses eine Verbrechen wollte Chris noch begehen. Er hatte ihr das ganz offen gestanden. Dann nie mehr wieder, das versprach er ihr in die eiskalte Hand. „Wenn das vorbei ist“, hatte er gesagt, „dann gehen wir weg von Berlin. Irgendwohin. Du kannst dir die Himmelsrichtung aussuchen. Wir werden eine Menge Geld haben, werden ein neues Leben anfangen, und du wirst lernen, mich wieder so zu lieben, wie du es früher getan hast ...“ Ihr war vollkommen gleichgültig, wie ihre Zukunft aussah. Jetzt, wo Hans Wagner tot war, wusste sie erst, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Seit Hans nicht mehr lebte, lebte auch sie nicht mehr ...

35

Bernd Schuster schauderte. „Raus!“, befahl Benedikt Scheuern mit scharfer Stimme. „Ich will die Schweinerei nicht hier auf dem Teppich haben.“ „Wo darf ich mein Blut vergießen?“, fragte Bernd. Es war trockenster Galgenhumor. „Im Keller!“, sagte Scheuern. Das schwarze Mündungsauge seiner Luger bedrohte den Privatdetektiv unentwegt. Bernd stolperte auf die Tür zu, die aus dem Arbeitszimmer führte. Ein unangenehmes Gefühl saß zwischen seinen Schulterblättern. Aller guten Dinge sind drei, dachte er nervös. Zweimal hatte Scheuern, der Könner, gepatzt. Aber beim dritten Mal würde er es schaffen. Im Moment bestand darüber nicht der geringste Zweifel. Scheuern folgte ihm im angemessenen Abstand. „Der Kellerabgang befindet sich dort drüben!“, rief er hinter Bernd. Schuster entdeckte die schmale Tür unter der Treppe. Er musste sie aufmachen und die Treppe hinuntergehen. Bernd vibrierte innerlich. Es überlief ihn pausenlos heiß und kalt. Sollte ihn dort unten, in diesem muffigen Keller, wirklich sein Schicksal ereilen? Scheuern stieg hinter ihm die Stufen hinunter. Er hörte den Killer atmen und wusste, dass er bald nur noch eines hören würde: den Schuss, der ihm das Leben raubte. Diese schwarzen Aussichten kurbelten einen kräftigen Motor in Bernd Schuster an. Bernd setzte die nächsten Schritte zögernd. Graue Betonwände ragten zu beiden Seiten der Treppe auf. Bernd verlangsamte seine Bewegungen kaum merklich. Er brauchte Benedikt Scheuern in unmittelbarer Reichweite, wenn er herumschnellte. Scheuern merkte nicht, dass er um ein paar Zentimeter näher an Schuster herankam. Bernd war Spezialist im Nützen winziger Chancen. Ein Fixbestandteil seines jahrelangen Erfolgsrezeptes. Wie oft hatte er sich schon in ausweglosen Situationen befunden, in denen jeder vernünftige Mensch keinen Pfennig mehr für sein Leben gegeben hätte. Und trotzdem lebte er immer noch. Weil er nicht aufgab. Weil er an den Erfolg glaubte, solange sein Herz noch schlug. Und weil sich seine Gegner bei Gelegenheiten wie dieser so unwahrscheinlich im Vorteil

geglaubt hatten. Scheuern war nahe. Jetzt musste es geschehen, bevor sich der Abstand wieder vergrößerte. Wie von der Natter gebissen fegte der Privatdetektiv herum. Sein Auge suchte sofort die Waffe. Seine Hand schlug danach. Brüllend entlud sich die Pistole in Scheuerns Faust. Aber Bernd Schuster hatte sie bereits zur Seite geschlagen. Und nun feuerte Bernd eine fürchterliche Gerade nach Scheuerns Kinn ab. Der Killer kassierte den Treffer, aber er konnte etwas vertragen. Er drückte den Schlag knurrend durch und zog den Stecher seiner Waffe noch einmal durch. Die Kugel zischte haarscharf an Schusters Hüfte vorbei. Bernd hackte mit der Handkante zu. Scheuern schrie auf. Die Luger flog davon. Jetzt wühlte sich Schuster mit kraftvollen Schlägen in den Mann hinein. Links, rechts peitschten seine Schläge gegen Scheuerns Körper. Der Killer stieß keuchend die Luft aus. Er versuchte von Schusters Fäusten wegzukommen, strauchelte, kugelte die Kellertreppe hinunter. Bernd flog pfeilschnell hinter ihm her. Als Scheuern sich aufrichtete, raste Schusters Rechte auf sein Gesicht zu. Der Killer nahm den ungestümen Schlag so voll, wie er programmiert gewesen war. Die Wucht des Treffers riss den Mann zurück. Er donnerte gegen die Wand, ächzte, war gezeichnet. Bernd war mit einem Satz bei Scheuerns Luger. Er hob sie auf, wollte den Killer damit zur Aufgabe zwingen. Da entsann sich Benedikt Scheuern Schusters Beretta, die er im Hosenbund stecken hatte. Sie richteten die Waffen gleichzeitig aufeinander. Bernd Schuster war um den Bruchteil einer Sekunde schneller. Die beiden Schüsse krachten wie ein einziger. Scheuern zuckte im Abdrücken zusammen. Die Beretta wies zum Zeitpunkt des Fingerkrümmens auf den Boden. Gleich nach dem ohrenbetäubenden Krach fiel dem Killer die Waffe aus den kraftlosen Fingern. Blut floss Scheuern aus dem Mund, über das Kinn, tropfte von da auf den Boden. Bernd wusste, dass er den Mann tödlich getroffen hatte. Noch hielt Scheuern sich auf den Beinen. Mühsam. Zitternd. Aber er hatte nicht mehr lange zu leben, und er ahnte das. Mit unsicheren Schritten torkelte der

Killer auf Schuster zu. Bernd hatte ihn nicht so schwer verletzen wollen. Notwehr. Er hatte nicht die Zeit gehabt, zu zielen. Der winzige Teil einer Sekunde hatte über Leben und Tod entschieden. Es war nur darum gegangen: Wer ist schneller? Bernd war schneller gewesen. Der Killer sank vor Schuster auf die Knie. Er starrte ihn vorwurfsvoll an. Dann kippte er röchelnd zur Seite. Bernd ließ die Waffe sinken. Dieser Mann konnte ihm nicht mehr gefährlich werden. „Schuster!“, gurgelte Benedikt Scheuern mit bebenden Lippen. „Schuster ...“ Bernd beugte sich über ihn. „Wenn ich ... geahnt ... hätte, welchen Ausgang ... diese Jagd nimmt, hätte ich ... die Finger ... von diesem Verlustgeschäft ... gelassen!“ Ein letztes Zucken, ein allerletztes tiefes Seufzen. Dann rollte Scheuerns Kopf zur Seite. Bernd fühlte nach seinem Puls. Nichts mehr. Der Killer war tot.

36

Bernd Schuster nahm beide Pistolen und trug sie nach oben. In Benedikt Scheuerns Arbeitszimmer legte er die Waffen auf den Schreibtisch. Erschöpft wie ein Greis, der seinen alten Organismus überfordert hat, sank Bernd auf den Schreibtischstuhl. Diese schlimme Schlacht war geschlagen. Aber das war bloß ein Teilerfolg. Damit war dieser gottverdammte Fall noch nicht ad acta zu legen. Bernd schaute auf seine Hände. Sie zitterten. Kein Wunder. Er hatte bereits fast im Grab gestanden. Jetzt erst brach ihm der Schweiß aus. Bernd steckte sich eine Roth Händle zwischen die Zähne und brannte sie nervös an. Nachdem er den Rauch mehrmals in die Lungenspitzen hinuntergepumpt hatte, fühlte er sich etwas besser. Eine Vielzahl von Fakten saugten sich an seinem lahmen Geist fest. Benedikt Scheuern – ein Killer. Grothe – sein Auftraggeber. Grothe, der irgendwo am Rand von Berlin seinen verfluchten Schlupfwinkel hatte, den Scheuern nicht verraten hatte. Scheuern, der nun tot in seinem Keller lag. Erschossen von seiner eigenen Luger. Scheuern, der Mann, der einen prominenten Direktor der Gasfabrik mit einer Höllenmaschine vom Leben zum Tod befördert hatte, und der den schönen Knall nun wiederholen wollte. Bernd drückte die Zigarette aus. Dann griff er nach dem Hörer und wählte Horst Südermanns Nummer. „Ja, Bernd?“, sagte Südermann‘ dröhnendes Organ am anderen Ende der Leitung. „Ich rufe wegen Benedikt Scheuern an“, erklärte der Privatdetektiv. „Er macht dir jetzt Schwierigkeiten, wie? Das hab‘ ich geahnt. Verdammt, Bernd, habe ich dich nicht vor ihm gewarnt?“ „Scheuern“, sagte Bernd gepresst, „macht keinem mehr Schwierigkeiten, Horst. Scheuern ist tot ...“ Nach dem Gespräch brannte sich Bernd noch eine Zigarette an. Und dann wartete er auf das Eintreffen der Polizei.

37

Nun wussten sie Bescheid. Decker, der Elektriker, hatte frisch von der Leber weg geplappert. Karsten Seiler hatte sich alles interessiert – jedoch nicht zu interessiert – angehört. Jetzt kannten sie die Schutzmaßnahmen, die von Schuster veranlasst worden waren: Zehn ausgesuchte, bestens geschulte Sicherheitsleute. Zwei gesondert funktionierende Alarmanlagen. Das eine System sicherte Türen und Fenster der Villa ab. Das zweite die wertvollen Gemälde, für die Chris Grothe bereits einen finanzkräftigen Interessenten gefunden hatte. Sie saßen in dem von Grothe unter falschem Namen gemieteten Haus um den großen Couchtisch. Seiler hatte Skizzen von der Villa und vom Grundstück angefertigt. Darüber brüteten die Gangster nun. Wie an die Bilder rankommen? Das war das Problem, das sie zu lösen hatten. Grothe war sicher, dass es einen Weg gab. Er hatte ihn nur noch nicht gefunden. Und die anderen auch nicht. An diesem Tag war Fred Pawlak ausnahmsweise mal nicht so high wie sonst. Grothe versorgte den Maler laufend mit Stoff, aber er hatte ihm geraten, nicht zu viel von dem Zeug zu verwenden, denn wenn er nicht ansprechbar sei, wäre ihnen mit ihm nicht gedient, dann könnten sie ihn gleich nach Hause schicken. Das wollte Pawlak natürlich nicht provozieren, deshalb hielt er sich zurück und pushte sich stets nur so viel, wie er unbedingt brauchte, um sich einigermaßen wohl zu fühlen. Wie an die Bilder rankommen? Das war die Frage, die es zu lösen galt. Fred Pawlak hatte eine Idee. Er meinte: „Wenn wir‘s irgendwie schaffen könnten, von oben in die Villa einzusteigen, würden wir uns das Knacken einer Alarmanlage ersparen.“ Thorsten Marx machte ein Gesicht, als wäre er tödlich beleidigt worden. „Von oben. Du hast sie wohl nicht alle. Wie willst du das denn anstellen? Kannst du fliegen? Ich kann‘s nicht.“

„Von oben“, murmelte Grothe. Der Gedanke faszinierte ihn. „Aber wie? Mit einem Hubschrauber geht das nicht. Würde zu viel Lärm machen.“ „Außerdem wäre ein Hubschrauber auch nicht so leicht aus dem Ärmel zu schütteln“, sagte Marx gesäuert. Karsten Seiler schnippte mit dem Finger. „Mit ‘nem Heliumballon könnte es klappen.“ Seine Augen leuchteten. Er schaute in die Runde. „Ich bin schon ein paarmal mit so ‘nem Ding geflogen ...“ „Kannst du‘s noch?“, fragte Grothe, der diesen Ball sofort aufnahm. „Wie ‘ne Eins!“, tönte Seiler. „Und ich wüsste auch, wo wir ‘nen Ballon herkriegen könnten.“ Der Funken sprang auf Thorsten Marx über. Auf einmal hörte er auf, die Sache zu zerreden. Er beteiligte sich konstruktiv an diesem fruchtbaren Gespräch. „Hört sich nicht mal schlecht an, die Sache. Aber was ist mit dem Berliner Luftraum? Da gelten schließlich besondere Maßnahmen!“, sagte er, schon halb begeistert. „Gar kein Thema. Wird ein Ballon der amerikanischen Besatzungsmächte sein. An den wagt sich niemand heran, könnte schnell zu einer politischen Krise führen. Man wird ihn für einen einfachen Wetterballon halten, wie sie gelegentlich von den Amis gestartet werden.“ „Aber die Sicherheitsleute werden uns bei unserem Flug nicht tatenlos zusehen!“, gab Grothe ernst zu bedenken. Wie man die ausschalten konnte, das wusste Marx ...

38

Der große Countdown lief weiter. Die Kunstwerke trafen in der Villa ein. Das brachte Mark L. Schwartz und seine Frau Regina und natürlich auch Bernd Schuster sowie seine beiden Assistenten Franziska Jahn und Knut auf die Beine. Mark Schwartz rannte mit seinen Listen durch das künstliche Labyrinth. Jedes Gemälde, jede Grafik hatte von ihm bereits einen Platz zugesprochen bekommen, wo es nach seiner Meinung die größte Wirkung erzielte. Es war ein hektisches Treiben. Man trat sich gegenseitig auf die Zehen. Hilfsarbeiter, Techniker, Träger rannten wie Ameisen hin und her. Am späten Nachmittag ebbte die Hektik langsam ab. Mark wirkte ausgepumpt. Regina kümmerte sich um ihn. Immer wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn, und obwohl er total erledigt war, war er sichtlich glücklich, denn er hatte sich nunmehr einen großen Wunsch erfüllt. Er war mit seinen Gemälden und Grafiken in Berlin! Alles lief bestens. Es kam der erste kritische Rundgang. Prachtvolle Bilder hingen an den verschachtelten Wänden, angestrahlt von kräftigen Spotlights. Jedes Kunstwerk ein Leckerbissen für den Kenner. Kunstwerke von begabten zeitgenössischen Malern und Grafikern, darunter etliche, deren Marktwert bereits kometenhaft anstieg. Geschaffen, um das Auge des Betrachters zu erfreuen. Am Ende des Rundgangs wandte sich Mark Schwartz an Bernd. Der Millionär hatte feuchte Augen. Er war gerührt. „Bernd“, sagte er ergriffen. Er fasste nach Schusters Hand und drückte sie innig. „Bernd, ich danke Ihnen.“ „Wofür?“, fragte Bernd schmunzelnd. „Für alles, was Sie für mich und diese Wanderausstellung getan haben.“ „Gott, das war doch nicht viel. Außerdem habe ich‘s für Geld getan. Hören Sie auf, mir fortwährend edle Motive unterzuschieben. Ich bin Geschäftsmann. Regina bat mich, Sicherheitsvorkehrungen für die Ausstellung zu treffen, und

das habe ich getan. Nicht mehr und nicht weniger.“ „Es kommt immer auf das Wie an.“ „Ich habe mein Bestes gegeben. Das war nur selbstverständlich. Ich tu‘ das immer“, schmälerte Bernd seine Leistung. Kein Wort von Chris Grothe, dachte er dabei. Sonst gibt‘s in Schwartz‘ Herzschrittmacher einen Kurzschluss. „Es ist Ihr Verdienst, dass Berlin diese Bilder zu sehen kriegt“, strich Mark heraus. Bernd hob die Schultern. „Na schön. Wenn Sie‘s so haben wollen, dann ist Berlin mir nun eine ganze Menge schuldig.“ Sie testeten die beiden Alarmanlagen. Beste Präzisionsarbeit. Es gab daran nichts auszusetzen. Jedes System funktionierte großartig. Als die Dämmerung einsetzte, trafen Sven Prüfers Sicherheitsleute ein. Mark L. Schwartz schritt die Front der Männer ab, hielt eine kleine Ansprache, in deren Verlauf er die Bedeutung der Kunst für die Menschheit herausstrich, und er vergaß zum Abschied nicht zu erwähnen, dass er sich – wenn die Wanderausstellung nach drei Wochen ihre Pforten wieder schließen würde – bereitfinden würde, jedem Wachmann einen Anerkennungsbeitrag von eintausend D-Mark zu überreichen. Natürlich persönlich. Und natürlich nur dann, wenn nichts schieflief. Was sollte schon schieflaufen?, fragten sich alle, die anwesend waren. Nach der Ansprache fuhren Regina und Mark Schwartz in Richtung Hotel ab. Sämtliche Techniker und Hilfskräfte kehrten zu ihren Familien zurück. Übrig blieben dann zehn hellwache Sicherheitsleute sowie Franziska, Knut, Bernd – sowie Gemälde und Grafiken im stolzen Wert von einer Million Mark. Eine volle Stunde sah sich Bernd Schuster den Ablauf der Bewachung an. „Großartig“, sagte Knut mit einem zufriedenen Grinsen. „Du hast deine Aufgabe hervorragend gelöst, Bernd. Sollte Chris Grothe versuchen, an die Bilder ranzukommen, werden ihm diese zuverlässigen Männer einen verdammt heißen Empfang bereiten.“ Bernd nickte ernst. „Genau das ist der Zweck der Übung. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn es uns gelänge, Grothe abzufangen, bevor er hier seine Tüchtigkeit

unter Beweis zu stellen versucht.“

39

Und dann kam die Nacht vor der Eröffnung der Wanderausstellung. Mark L. Schwartz hatte am Nachmittag Kameraleute vom Fernsehen, Reporter von Rundfunk und Presse zu einem ersten Besuch der Villa eingeladen. Es wurde fotografiert, gefilmt, gefragt, geschrieben. Regina Schwartz war immer an Mark L. Schwartz‘ Seite. Sie war sein Aufputz, auf den er nicht verzichten wollte. Aus allen Zeitungen lachten dem Leser die beiden sympathischen Gesichter entgegen. Das Interesse, das heute schon von Seiten des angeheizten Publikums bekundet wurde, war phänomenal. Schwartz konnte sicher sein, dass hier in Berlin die Besucherzahlen jeden üblichen Rahmen sprengen würden. Doch bevor die Wanderausstellung offiziell ihre Pforten öffnete, wollten sich vier andere Besucher die kostbaren Kunstwerke ansehen. Und nicht nur ansehen ... „Mir wird übel!“, stöhnte Fred Pawlak. Er klammerte sich bibbernd an die Seile, die den Korb hielten. Zitternd schaute er in die Tiefe. Hundert Meter waren das, hatte Karsten Seiler vorhin gesagt. Hundert Meter! Man stelle sich das mal plastisch vor. Und über ihnen wölbte sich die leicht verletzbare Haut des Heliumballons, der von Seiler geschickt gesteuert wurde. „Mensch, reiß dich doch zusammen!“, fauchte Chris Grothe ärgerlich. Er stieß Pawlak wütend in die Rippen. „Was soll ich machen? Ich bin nicht schwindelfrei!“, ächzte Pawlak. „Junge, wenn du noch ‘ne Weile jammerst, pack‘ ich dich bei den Beinen, und du gehst über Bord!“, sagte Thorsten Marx grinsend. Die Männer trugen silbrig glänzende Schutzanzüge. Grothe wandte sich an Marx. „Ist das Aerosol-Gerät einsatzbereit?“ „Klar. Du brauchst bloß zu sagen: jetzt. Dann geht‘s auch schon los“, sagte Marx.

Sie hatten unwahrscheinliches Glück mit dem Wetter. Gleich in zweierlei Hinsicht. Sie brauchten Niederdruck. Es gab Niederdruck. Und sie brauchten einen zarten Lufthauch, der von West nach Ost strich. Auch damit wurden sie bedient. Wäre der Wind von einer anderen Seite gekommen, hätten sie den Startplatz verlegen müssen. Kaum ein Problem. Nur ... der Wind hätte nicht stärker wehen dürfen, sonst wären sie zu schnell auf die Villa zugeflogen. Und womöglich darüber hinweggerast. So aber war alles bestens. Sie konnten zufrieden sein. Der Himmel war auf ihrer Seite und bediente sie vorzüglich. Chris Grothe hielt das Nachtglas an die Augen. „Die Villa!“, sagte er heiser. „Gott, ist mir übel!“, stöhnte Pawlak neben ihm. „Wenn das verdammte Ding bloß nicht so entsetzlich schaukeln würde!“ Der Maler schloss die Augen und klammerte sich noch fester an die Seile. „Du musst langsam runtergehen!“, rief Marx dem Ballonpiloten zu. Karsten Seiler nickte und zog an einem dünnen roten Seil. Die riesige Heliumkugel begann sofort zu sinken. „Welche Höhe brauchen wir?“, fragte Seiler. Marx überlegte kurz. „Fünfzig Meter. Eher darunter. Höher auf keinen Fall, sonst klappt‘s nicht.“ „Okay. Dann sinken wir auf fünfundvierzig.“ „Das ist besser“, nickte Marx. In der Nacht zuvor waren sie in ein Militärdepot der Amerikaner eingebrochen, das ihnen Thorsten Marx gezeigt hatte. Sie hatten dort alles mitgenommen, was sie für den Einsatz brauchten: die Schutzanzüge, das Aerosol-Gerät, die Gasmasken und natürlich auch das Nervengas, das wahrscheinlich noch vom Zweiten Weltkrieg übriggeblieben war. Grothes Körper vibrierte. Noch nie in seinem Leben war er so aufgeregt gewesen. Verdammt, sie würden mit diesem Coup Schlagzeilen machen. Dies war der Coup des Jahrhunderts. Spektakulär. Wagemutig. Und von einem vollen Erfolg beschieden, darüber bestand nunmehr kein Zweifel mehr. Grothe beobachtete durch sein Nachtglas die zehn Wachleute, auf die sie langsam

zuflogen. Die Nacht war pechschwarz. Der Heliumballon war langsam und völlig lautlos unterwegs. Nie und nimmer rechneten die Wachtposten mit einer Gefahr, die von oben kam. Sie marschierten im Sinne des Uhrzeigers um das große Gebäude. Jedoch nicht alle. Einige gingen in entgegengesetzter Richtung um die Villa. Jeden Angriff hätten sie im Handumdrehen abgewehrt, wäre er auf dem Boden erfolgt. Dieser Angriff aber kam von oben. Alles Gute kommt von oben. Diesmal nicht! Fünfundfünfzig Meter zeigte der Höhenmesser an. Zehn Meter noch, dann war die von Thorsten Marx gewünschte Höhe erreicht. „Gasmasken aufsetzen!“, zischte Chris Grothe. Er legte sein Nachtglas weg und griff nach der Gasmaske, die für ihn bereitlag. Er stülpte sie sich als erster über den Kopf. Die anderen folgten seinem Beispiel. Auch Fred Pawlak, obgleich er befürchtete, darunter zu ersticken. Aber – unter der Maske hatte er noch eine Chance, mit dem Leben davonzukommen. Wenn er jedoch das Nervengas aus dieser Nähe einatmete, war er rettungslos verloren. Unter ihnen strich eine Straße vorbei. Bäume. Ein Grundstück. Dann ein Haus, aber nicht die Villa, auf die Karsten Seiler mit verblüffender Sicherheit zusteuerte. Der Ballon sank noch mal um zehn Meter. Die Männer unter den Gasmasken schwitzten. Es war eine große Sache, die sie da in Angriff genommen hatten, und es machte sie alle kribbelig, weil nicht mit hundertprozentiger Sicherheit vorauszusehen war, wie dieser Coup ausgehen würde. Wie Wesen von einem anderen Sonnensystem sahen sie aus. Hinter den runden Gläsern glänzten nervöse Augen. Grothe beugte sich aufgeregt über den Korbrand. Der Heliumballon erreichte das riesige Grundstück, auf dem die Villa stand. Chris Grothe gab Marx ein Zeichen mit der Hand. Jetzt! Und Thorsten Marx schaltete sein Gerät ein. Ab diesem Zeitpunkt regnete es Flüssiggas in Tröpfchenform. Unten angekommen, würde es unwahrscheinlich schnell verdampfen und seine umwerfende Wirkung erzielen ...

40

Und wirklich fielen die Männer um wie die Fliegen. Nicht ein einziger Wachtposten hatte die Möglichkeit, seine Waffe zu ziehen. Der Giftgaseinsatz klappte genauso, wie Thorsten Marx es vorhergesehen hatte. Chris Grothe klopfte ihm begeistert auf die Schulter. In diesem Augenblick war er froh, Marx mit in die Crew genommen zu haben. Karsten Seiler hielt bereits das lange Seil mit dem eisernen Anker in seinen Händen. Marx schaltete das Aerosol-Gerät ab. Der Giftgasregen hörte sofort auf. Seiler übergab Grothe den Anker. Und während er den Heliumballon noch tiefer sinken ließ, wartete Chris Grothe voller Ungeduld auf den Moment, wo er den Anker auswerfen musste. Jetzt war es soweit. Grothe ließ das Seil durch seine Hände gleiten. Die mit Wolltüchern umwickelten Haken verkrallten sich in der Regenrinne der Villa. Der Ballon blieb genau über der Villa stehen. Seiler warf die Strickleiter über Bord. Klappernd rollte sie sich auf. Seiler turnte als erster über die Sprossen hinunter. Nach ihm kam Thorsten Marx. Und nach diesem musste Fred Pawlak an der schwingenden Leiter hinunterklettern. Vielleicht hätte er sich nicht dazu entschlossen, wenn Chris Grothe ihn nicht so verdammt hart gegen das Schienbein getreten hätte. Mit klopfendem Herzen wagte er sich an den Abstieg. Und schaffte ihn. Als letzter verließ Grothe den agierkorb des Ballons. Er brachte die Tasche mit dem Werkzeug mit, das Seiler und Marx – die beiden Alarmanlagenspezialisten – in der Villa benötigen würden. Sie deckten behutsam das Dach ab. Nichts ierte. Einer nach dem anderen schlüpfte durch die schwarze Öffnung. Jetzt waren sie in der Villa. Sie grinsten hinter ihren großen Masken. Hürde Nummer eins war überwunden. Hürde Nummer zwei hatten sie umgangen. Blieb nur noch das Alarmsystem, das die Gemälde schützte, zu knacken. Thorsten Marx und Karsten Seiler schwärmten unverzüglich aus. Sie wussten von dem Elektriker, mit welcher Anlage sie es hier zu tun hatten, und sie hatten

sich mit den nötigen Unterlagen zusammengesetzt und einen gemeinsamen Schlachtplan entwickelt. Nun wusste jeder, was zu tun war. Und sie taten es mit eiskalter Routine. Sie brauchten für ihren heiklen Job fünfunddreißig Minuten. Unter der Gasmaske rann ihnen der Schweiß in Strömen über das angespannte Gesicht. Fünfunddreißig Minuten hockten Chris Grothe und Fred Pawlak auf dem Boden. Der süchtige Maler war fast schon wieder am Ende. Er gierte nach einer neuen Spritze. Verdammt, er hatte sich heute absichtlich etwas zu knapp gehalten, um hier besser über die Runden zu kommen. Er wollte Chris Grothe nicht enttäuschen, wollte den Erfolg dieses gewinnbringenden Coups nicht in Frage stellen. Doch nun warf er sich vor, nicht genug Heroin gepusht zu haben. Auch das konnte den Coup gefährden. Dazu kam die fürchterliche nervliche Anspannung. Teufel, er musste sich ganz schön am Riemen reißen, um nicht vorzeitig schlappzumachen. Endlich kehrten Seiler und Marx zurück. Sie machten das Okay-Zeichen. Grothe sprang auf die Beine. Er riss Pawlak hoch. Jetzt war der Gemälde-Experte dran. Und Fred Pawlak durchwanderte mit seinen Komplizen das Labyrinth, selektierte, wies auf die Bilder, die den größten Wert hatten. Das. Das. Das. Dieses nicht. Dieses auch nicht. Aber das ... Und Seiler, Marx und Grothe nahmen jedes Gemälde, das ihnen Fred Pawlak befahl, vorsichtig vom Haken und ebenso vorsichtig aus dem Rahmen. Die Männer arbeiteten flink und präzise. Größte Eile war geboten. Als ihre Beute den Wert von etwa dreihundertfünfzigtausend Mark erreicht hatte, gab Chris Grothe das Zeichen zum Rückzug. Pawlak wies auf ein Bild, das unbedingt noch mitmusste. Okay. Das eine noch. Aber dann ist Schluss, sagte Grothe unter seiner Gasmaske. Die Freunde konnten ihn nicht hören. Rückzug. Er klappte ebenso hervorragend wie die Ankunft. Grothe kletterte als erster zum Korb hoch. Dann hievte er die gestohlenen Gemälde hinauf. Nun kam Pawlak hochgekrabbelt. Dann stieg Thorsten Marx in den agierkorb. Und als letzter turnte Karsten Seiler über die Sprossen der Strickleiter nach oben. Kurz davor hatte er den Anker von der Regenrinne losgemacht. Grothe hatte ihn eingeholt. Der Ballon flog lautlos weiter. Der Coup, den Bernd Schuster für unmöglich gehalten hatte, war geglückt.

41

Bernd, Franziska und Knut kehrten noch einmal das Unterste zuoberst. Sie wühlten sich wie die Maulwürfe durch die Unterwelt von Berlin, waren mit verbissenem Eifer auf der Suche nach Chris Grothe und seinen Freunden. Trotz des beachtlichen Eifers, den sie alle drei an den Tag legten, blieb es dabei: Sie bekamen nicht raus, wo sich Grothes Schlupfwinkel befand. Am Stadtrand! Eine verdammt ungenaue Angabe. Das konnte schließlich überall sein, innerhalb des Grenzverlaufs. Britischer Sektor, Amerikanischer Sektor, Französischer Sektor. Wie zum Teufel sollte er hier ohne Adresse etwas entdecken? Bernd gestand es sich selbst nicht gern ein, aber er war in dieser Nacht nahe daran, zu resignieren. Doch plötzlich fiel bei ihm ein Groschen. Ihm kam sein Besuch in Benedikt Scheuerns Haus in den Sinn. Sofort war er im Geist wieder in Scheuerns Arbeitszimmer. Er sah vor seinem geistigen Auge Scheuerns Terminkalender, sah sich einen Tag zurückblättern. Es war der Tag gewesen, an dem Scheuern versucht hatte, ihn und Franziska zu überfahren. Der Tag möglicherweise, an dem Scheuern von Chris Grothe um diesen Gefallen gebeten worden war. Bernd stellte sich ein diesbezügliches Gespräch zwischen Scheuern und Grothe vor. Scheuern: „Okay, ich mach‘s.“ Grothe: „Prima. Dreißigtausend plus fünf Prozent von der Beute.“ Scheuern: „Wenn‘s iert ist, soll ich Sie dann gleich verständigen?“ Grothe: „Klar. Das würde mir gefallen.“ Scheuern: „Wo kann ich Sie erreichen?“ Grothe: „Rufen Sie mich einfach an.“ Scheuern: „Wie ist Ihre Nummer?“ Und Benedikt Scheuern schrieb die Nummer auf seinen Terminkalender und

unterstrich sie rot! Bernds Hand zuckte augenblicklich zum Hörer des Autotelefons. Franziska saß auf dem Beifahrersitz neben ihm. Sie schaute ihn erstaunt an. Knut beugte sich von hinten vor. „Was nicht in Ordnung, Bernd?“, fragte er gespannt. „Möglicherweise habe ich eine Bombenüberraschung für euch“, gab Bernd zurück. Dann tippte er die Nummer der Keithstraße in den Apparat. Sobald er Inspektor Südermann am Apparat hatte, bat er ihn, umgehend die Anschrift eines Fernsprecheranschlusses für ihn feststellen zu lassen. Horst redete davon, dass er kein Botenjunge wäre, dass er vom Staat und nicht von Bernd Schuster bezahlt würde ... Aber schließlich ließ er sich doch breitklopfen. Und zehn Minuten später hatte der Privatdetektiv seine Adresse – am Stadtrand!

42

Sie feierten ihren großen Sieg mit Sekt. Karsten Seiler ließ die Korken knallen und spritzte mit dem schäumenden Wein im Wohnzimmer herum. Er lachte ausgelassen und war vergnügt und glücklich. Fred Pawlak zog sich kurz zurück, um sich in aller Stille und Beschaulichkeit eine wohlverdiente Spritze zu setzen. Chris Grothe tanzte mit Thorsten Marx, den er eigentlich nicht mochte. Aber in diesem Augenblick der mitreißenden Hochstimmung wollte er alle Zwistigkeiten vergessen, die es mit Marx gegeben hatte. Dreihundertfünfzigtausend Mark. Sie lagen im Nebenzimmer aufgestapelt. Noch in der Gestalt von Gemälden und Grafiken, doch bereits morgen oder übermorgen würde Grothe sich mit seinem Abnehmer treffen und aus den Bildern schönes, knisterndes Geld machen. Und danach ... Chris Grothe lachte schadenfroh in sich hinein. Sobald er das Moos hatte, würde er sich Silvia schnappen und auf Nimmerwiedersehen verduften. Fred, Karsten und Thorsten würden leer ausgehen, das war beschlossene Sache. Kein Jota wollte Grothe von dieser Linie abweichen. Konnte ihm irgendjemand sagen, weshalb er mit seinen Komplizen ehrlich hätte teilen sollen? Aus Kameradschaft? Zum Teufel damit. Weil er den Coup ohne ihre Hilfe nicht geschafft hätte? Na schön. Sie waren seine Werkzeuge gewesen. Er hatte sich ihrer bedient. Aber seit wann entlohnte man Werkzeuge? Fred kehrte in das Wohnzimmer zurück. Er kicherte dümmlich vor sich hin. „Wenn ich ... hihihi ... wenn ich daran denke, ... hihihi ... was die morgen für dämliche Gesichter machen werden ... hihihi ..., wenn sie die Ausstellung eröffnen ... und nur noch einen Bruchteil der Bilder vorfinden ... hihihi ...“ Die anderen fingen schallend zu lachen an. „Darauf müssen wir trinken!“, schrie Seiler vergnügt. Silvia Korner saß mitten unter ihnen, aber sie freute sich nicht mit ihnen. Es war ihr vollkommen gleichgültig, wie viel Beute sie gemacht hatten. Es kümmerte

sie nicht, dass diese Männer erfolgreich gewesen waren. Es waren fremde Männer für sie. Sogar Chris Grothe. Was gingen sie diese Verrückten an, die miteinander tanzten, mit Sekt herumspritzten, etwas feierten, das ihr völlig gleichgültig war. Grothe drückte ihr eine Sektflöte in die schlaffe Hand. „Hier, Süße! Trink mit uns. Feiere mit uns diesen grandiosen Erfolg! So was gibt es nicht alle Tage. Die Zeitungen werden morgen voll davon sein. Was wir getan haben, wird überall auf Seite eins stehen. Wir machen Schlagzeilen, Schatz! Ist das nicht große Klasse?“ Es gab nichts mehr, was für Silvia Korner große Klasse gewesen wäre. Hans Wagner war es für sie gewesen. Aber Hans lebte nicht mehr. Einem gottverdammten Arbeitsunfall war er zum Opfer gefallen. Wie, um alles in der Welt, hatte das bloß ieren können? Die Männer tranken, und Silvia trank lustlos mit ihnen. Plötzlich bekam die ausgelassene Stimmung der Gangster einen tiefen Riss. „Ein Wagen!“, schrie Thorsten Marx schrill. Er stand beim Fenster und wies nach draußen. Stille im Haus. Schlagartig. Wie angenagelt standen die Männer da. Grothe bewegte sich als erster. Er eilte zum Fenster. Seine Augen weiteten sich, als er den Mercedes erblickte. Er fluchte derb. „Bernd Schusters Wagen!“, stieß er heiser hervor, und seine Stirn bedeckte sich mit kleinen, glänzenden Schweißkügelchen ...

43

Als der Privatdetektiv aus dem 450 SEL stieg, drehte Thorsten Marx durch. Er riss seine Beretta aus dem Schulterholster, zerschlug damit das Fensterglas und schoss auf den Privatdetektiv. Bernd, Franziska und Knut gingen sofort hinter dem Mercedes in Deckung. Sie erwiderten das Feuer. Knut schoss mit Schusters Reserve-Beretta. Franziska besaß eine eigene kleine Waffe, Kaliber .22, mit perlmuttbesetztem Griff. Marx ließ seine Beretta ununterbrochen krachen. Ungedeckt stand er mitten im Fenster. Sein Körper hob sich schwarz vom hellen Wohnzimmer-Hintergrund ab. Es konnte gar nicht ausbleiben, dass er getroffen wurde. Als es ierte, stieß er einen grellen Todesschrei aus. Er kippte nach hinten weg. Seine Arme flogen hoch, die Beretta wirbelte durch den Raum und landete genau vor Silvia Korners Füßen. Obwohl das Mädchen die Waffe anstarrte, schien sie sie nicht zu sehen. Die Schießerei war für sie düstere Irrealität. Die Ereignisse zogen an ihr vorbei, ohne sie in irgendeiner Form zu berühren. Draußen verteilten sich die Gegner. Karsten Seiler nahm Marxs Platz am Fenster ein. Er schoss, so gut er konnte. Draußen wurde die Nacht immer wieder durch das Mündungsfeuer kurz erhellt. Fred Pawlak griff ebenfalls zur Waffe. Doch ehe er einen Schuss abgeben konnte, traf ihn eine verirrte Kugel mitten in die Stirn. Grothe sah ihn fallen und brüllte wütend auf. Geduckt jagte er auf das Fenster zu. Mitten im Sprung spürte er einen gewaltigen Schlag gegen die Brust. Rechts. Der Treffer riss ihn herum und warf ihn auf den Boden. Als Seiler das sah, machte er einen Fehler, der ihn das Leben kostete. „Chris!“, schrie er und sprang auf, um zu seinem verletzten Komplizen zu rennen. Die Kugel traf ihn in den Rücken. Er heulte auf. Dann warf es ihn nieder. Genau auf Grothe. Chris Grothe kämpfte sich knirschend unter dem toten Kameraden hervor. Sein

flatternder Blick war auf das Fenster gerichtet. Im Moment fiel kein weiterer Schuss mehr. Thorsten – tot. Fred – tot. Karsten – tot. Sie würden keinen Anspruch mehr auf die Beute erheben. Das war vorbei. Vorbei. Für alle. Ein heftiger Schmerz durchraste Grothes Brust. Er hustete und krümmte sich mit fest zusammengepressten Zähnen. Mit dieser Verletzung würde er nicht weit kommen. Die Kugel, die in seinem Körper steckte, schien zu glühen. Die Schmerzen waren höllisch. Mühsam richtete er sich auf. Schuster, dieser verdammte Hundesohn. Er hatte es auch diesmal geschafft. Grothe zitterte vor Wut. Er saß in der Falle, und das machte ihn rasend. Zum zweiten Mal hatte er gegen Schuster den Kürzeren gezogen. Ächzend schleppte sich Grothe zu Silvia. Sie schaute durch ihn hindurch, als wäre er aus Glas. Mitleid? Er konnte keines in ihren Augen entdecken. „Verdammt, Silvia, es hat mich schwer erwischt“, stöhnte er. Sein Gesicht verzog sich. „Keine Sorge, die verfluchte Kugel wird mich nicht umbringen. Man wird sie mir im Krankenhaus herausholen, wird mich wieder zusammenflicken, vor Gericht stellen, einsperren.“ Blut tränkte sein Hemd. „Die Zeit hat nicht gereicht für uns“, sagte er bedauernd. „Wir konnten noch nicht wieder zueinander finden ...“ Grothe schaute zum Fenster. Draußen herrschte eine tödliche Stille. „Herrgott, wie ich diesen Schuster hasse. Ich werde mich ergeben. Meine Chancen sind alle dahin.“ Grothe warf seine Waffe weg. „Bevor ich dieses Haus verlasse, Silvia, muss ich dir noch etwas sagen ...“ Silvia schaute ihn auf einmal bewusst an. „Das mit Hans ...“, presste Grothe heiser heraus. „Das war kein Arbeitsunfall. Das hab‘ ich getan. Er sagte, ich würde dich nur zurückbekommen, wenn er tot wäre. Wir schlugen uns. Er wollte mich mit dem Messer schlitzen, hat es aber nicht geschafft, knallte mit dem Schädel gegen den Müllwagen, wurde ohnmächtig ... Na ja, und dann rollte ihm der Wagen über den Kopf ... Ich musste es tun. Ich wollte dich um jeden Preis zurückhaben, Silvia. Er hat mich zu diesem Schritt gezwungen. Verstehst du das, Silvia?“

Sie sagte nichts. Kein Wort. Aber in ihren Augen war plötzlich ein Hass, wie er ihn noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Grothe wusste, dass er nun alles verloren hatte. Auch Silvia Korner. Er wandte sich ächzend um, presste die Hand auf die stark blutende Wunde und brüllte in Richtung Fenster: „Schuster! He, Schuster! Hören Sie mich?“ „Ja, Grothe!“ „Ich komme jetzt raus!“ „Okay.“ „Ich bin unbewaffnet.“ „Vergessen Sie nicht, die Hände hochzunehmen!“, rief Bernd Schuster. „Das schaff‘ ich nicht. Ich bin verletzt.“ „Na schön, dann eben ohne erhobene Hände.“ Grothe schlurfte auf die Tür zu. Der Schmerz schüttelte ihn. Er musste mehrmals kurz anhalten. Qualvolle Sekunden verstrichen. Endlich hatte Grothe die Tür erreicht. Er machte sie auf. Bernd Schuster, Franziska Jahn und Knut zielten mit ihren Waffen auf seine Brust. Silvia Korner saß wie erschlagen im Sessel. ‚Kein Unfall!‘, schrie eine schrille Stimme in ihr. ‚Kein Unfall! Mord!‘ Hans Wagner war einem gemeinen, niederträchtigen Mord zum Opfer gefallen. ‚Einem Mord ... Mord ... Mord‘. Das dröhnende Echo drohte Silvias Kopf zum Platzen zu bringen. Ihre starren Augen ruhten auf der Beretta, die immer noch vor ihren Füßen lag. Mord! Chris Grothe hatte diesen heimtückischen Mord begangen. ‚Wie hart würde man ihn dafür bestrafen? Mit einem lebenslänglichen Zuchthausaufenthalt? Lebenslänglich! Das war zu milde für Chris Grothe. Lebenslänglich –das hieß, dass er weiterleben würde, während Hans Wagner tot war. Tod für Tod!‘

Mechanisch hob Silvia die Beretta auf. Sie hatte noch nie in ihrem Leben eine Waffe in der Hand gehabt, wusste nur, dass man den Finger krümmen musste ... Und das tat sie immer wieder. So lange, bis keine Kugel mehr in der Pistole war. Kein einziges Projektil verfehlte Chris Grothe. Sie trafen ihn alle tödlich in den Rücken. Als er fiel, ließ Silvia die Beretta los. Bernd, Franziska und Knut kamen ins Haus. Silvia stand mit unbeweglicher Miene vor ihnen. „Ich ... musste es tun“, hauchte sie. Und dann verlor sie das Bewusstsein.

44

Im Krankenhaus wurden die Männer von Sven Prüfer zunächst mit Adropin vollgepumpt. Damit bannte man die Lebensgefahr, die in allen zehn Fällen bestanden hatte. Noch in der Nacht kehrten die geraubten Kunstwerke in die Villa zurück. Die amerikanische Armee startete unverzüglich einen Entgiftungseinsatz, der im Morgengrauen abgeschlossen wurde. Um Punkt zehn eröffnete Mark L. Schwartz im Beisein von seiner attraktiven Frau Regina, Bernd Schuster, Franziska Jahn und Knut seine Wanderausstellung. Alle Kunstwerke befanden sich wieder korrekt an ihrem Platz, und es schien, als wären sie niemals fort gewesen ... Franziska nahm ihren Bernd an die Hand und führte ihn direkt zu einer leuchtend gelben Grafik, die ihr sofort ins Auge gefallen war. „Ein Quinte, Bernd. Gefällt mir!“, bemerkte sie lächelnd. „Kann ich mir auch gut über dem Sofa vorstellen. Ich meine – wenn wir unsere Wohnung gemeinsam einrichten!“, antwortete Bernd und grinste schief. „Gemeinsam einrichten?“, echote Franziska. „Na, ich glaube, da muss ich erst noch Rücksprache halten!“ Bernd tat beleidigt. „Ich mache dir auf charmante Weise einen Antrag, und du willst Rücksprache halten? Darf ich erfahren, an wen du dabei denkst, Franzi?“ „An eine langbeinige Schönheit, blond, in Kürze achtzehn Jahre alt und Abiturientin. Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich einen solchen Schritt wage ohne Rücksprache mit deiner Tochter Lucy?“ Bernd nahm sie in dem Arm und küsste sie, obwohl gerade Regina Schwartz auf sie zusteuerte. Als sie das Paar in so inniger Umarmung inmitten der Ausstellung sah, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging auf eine Reihe von

sachverständigen Besuchern zu, die gerade ausführlich über den ausgestellten Dali diskutierten. ENDE

Mordachse Berlin - Rio

Berlin 1968 Kriminalroman Band 30 von Tomos Forrest & A. F. Morland Nie hätte sich Privatdetektiv Bernd Schuster vorgestellt, dass der gerade erlebte Mord ihn nach Rio de Janeiro führen würde. Aber dort soll ein Verbrechen stattfinden, für das in Berlin Experten aus der Unterwelt angeheuert werden. Und nachdem Bernd Schuster und seine geliebte Assistentin buchstäblich im letzten Moment aus einer tödlichen Falle entrinnen, stellt sich für den Privatdetektiv eine ganz andere Frage, die er nach seiner Rückkehr aus Rio nun endlich klären will...

1

Niemand konnte ahnen, dass in wenigen Minuten ein eiskalter Mord die Idylle stören würde und Bernd Schuster erneut in einen Strudel des Verbrechens geriet. Die Freizeitanlage am Britzer Garten war noch relativ neu. Sie wurde vor einem knappen Jahr errichtet, und jedermann in Berlin, der etwas auf sich hielt, musste zumindest einmal dagewesen sein. Man konnte hier Tennis spielen, baden, essen, tanzen, in der Sonne schwitzen, im Solarium Bräune tanken – und, und, und ... Dem reichhaltigen Angebot schienen schier keine Grenzen gesetzt zu sein. Es war klar, dass auch Bernd Schuster mit Franziska Jahn hin und wieder hier einen netten Abend verbrachten. Sie aßen ein köstliches mexikanisches Gericht: Spareribs – auf dem Holzkohlengrill zubereitete Schweinerippchen, bestrichen mit einer leckeren süßscharfen Soße. „Das ist mal ein Abend nach meinem Geschmack“, sagte Franziska strahlend. Sie trug ein leichtes Sommerkostüm, das mit zarten Blümchen bedruckt war. Ihre blonde Mähne umrahmte kunstvoll frisiert das aparte Gesicht mit der kleinen Stupsnase, den erdbeerfarbenen Lippen und den veilchenblauen Augen. Wenn sie lächelte, zeigte sie herrliche weiße, regelmäßige Zähne, die an Perlen erinnerten. „Einmal keine Leichen, keine Verbrecher. Wir beide gelöst und entspannt in einer angenehmen Umgebung. Gutes Essen, delikater Wein ... Es ist wie im Urlaub.“ Bernd Schuster lachte. „Du verstehst es, einem das Nichtstun so richtig schmackhaft zu machen.“ „Pausen müssen auch hin und wieder sein. Wir sind schließlich keine Roboter. Wenn ich an die letzten Wochen und Monate denke. Puh – war das eine hektische Zeit.“ Bernd nickte. „Das hält auf die Dauer der Stärkste nicht aus.“ „Du sagst es“, pflichtete ihm Franziska bei. Sie griff nach ihrem langstieligen

Glas und nahm einen Schluck vom wohltemperierten Wein. Ihre sanften Augen waren über den Glasrand auf Bernd gerichtet. Der Blick, den sie ihm schenkte, wärmte seine Seele, und er bedauerte aufrichtig, dass sie füreinander so wenig Zeit hatten. Immer diese Hetzjagd. Ständig diese Hektik im Büro. Wie oft hatte er sich schon vorgenommen kürzerzutreten. Es gelang ihm einfach nicht. Jeder Fall erforderte seinen vollen Einsatz. Wenn man nur mit halber Kraft arbeitet, erringt man keine Erfolge. Dazu kam noch die Sorge um seine Tochter Lucy, die Abiturientin mit dem Einser-Zeugnis. Schulische Leistungen gaben keinen Grund zur Sorge. Aber da war Lucys Clique, die sich ständig an einer der zahlreichen AntiVietnam-Demonstrationen beteiligen musste. Erst kürzlich war es Bernd Schuster erst gelungen, nach einer Information seines Freundes, Inspektor Südermann, Lucy und ihre Freunde aus einer Situation herauszuholen, die wenig später eskalierte und zu zahlreichen Verletzten führte – sowohl auf Seiten der Demonstranten wie auch bei den Polizisten. Wieder einmal war es Franziska, die durch Berlin raste, um Lucy rechtzeitig herauszuholen, während Bernd selbst mitten in einem heiklen Fall steckte. Das alles belastete das Paar zusätzlich, und Franziska war nach wie vor nicht bereit, ihre eigene Wohnung aufzugeben. Sie erklärte immer lächelnd, sobald das Gespräch darauf kam, dass sie gelegentlich noch einen stillen Rückzugsort benötigte.

2

Unweit von Franziska Jahn und Bernd Schuster spielte sich eine Szene ab, die für den Privatdetektiv erneut alles durcheinander wirbeln sollte. Stephan Kranz hatte keine Chance mehr, und das wusste er auch. Er starrte auf den Revolver, der auf ihn gerichtet war. Seine Augenlider flatterten. Auf seiner Stirn glänzten dicke Schweißperlen. Zum ersten Mal lernte er kennen, was Todesangst ist – ein scheußliches Gefühl, das ihn beinahe um den Verstand brachte. „Können wir nicht reden?“, fragte er krächzend. Der Mann, der gekommen war, um ihn zu töten, schüttelte hartherzig den Kopf. „Es gibt nichts mehr zu reden. Das hier haben Sie sich selbst zuzuschreiben, Kranz.“ „Ich ... ich gebe Ihnen Geld. Nennen Sie den Preis. Ich kaufe Ihnen mein Leben ab.“ „Ich bin an einem Geschäft mit Ihnen nicht mehr interessiert.“ Kranz‘ Zunge huschte aufgeregt über die wulstigen Lippen. Ein Gedanke blitzte in seinen Augen auf. „Wenn Sie mich umbringen, schaufeln Sie sich Ihr eigenes Grab, sind Sie sich dessen bewusst? Ich bin ein guter Freund von Sven Habermann, wie Sie wissen. Sven wird seine Killer auf Sie hetzen.“ „Wenn er das wirklich tut, werde ich mich meiner Haut zu wehren wissen.“ „Wollen Sie gegen diesen mächtigen Gangsterboss einen Krieg anfangen?“ „Es ist noch nicht raus, ob er sich Ihretwegen so viel Mühe machen wird“, erwiderte der Mörder gelassen. „Es wird sich herausstellen.“ Eiskalt hob er die Waffe ein Stück höher. ‚Jetzt iert‘s!‘, hallte es in Stephan Kranz‘ Kopf, und er hatte schreckliche Angst vor dem Knall, der für ihn das sichere Ende bedeuten würde. Abwehrend streckte er beide Arme vor, als könnte er mit bloßen Händen die

Kugel abfangen. „Nein!“, schrie er schrill. „Warten Sie!“ Aber der Killer fand, dass er mit seinem Opfer bereits genügend Zeit vertrödelt hatte. Er war nicht bereit, Stephan Kranz eine weitere Minute zu schenken. Sein Finger krümmte sich. Der Schuss krachte. Die Waffe in der Hand des Mörders bäumte sich kurz auf, nachdem sie Feuer gespien hatte, und Stephan Kranz brach tödlich getroffen zusammen.

*

Alles oder nichts – vor diese Wahl wurde Bernd Schuster immer wieder gestellt. Und so warf er jedes Mal alles in die Waagschale, was er aufzubieten hatte. Auch sein Leben. Der Erfolg bestätigte ihm die Richtigkeit seiner Einstellung. Es gab wohl keinen Privatdetektiv in Berlin, der sich bedingungsloser einsetzte. „Wollen wir nach dem Essen noch ein wenig tanzen gehen?“, fragte Bernd. „Die Kaloriensünden wieder abstrampeln – eine großartige Idee“, erwiderte Franziska. Bernd grinste. „Ich dachte eher an die langsamen Schleicher, bei denen man sich ganz, ganz nahe ist.“ Doch wie schon so oft, sollte wieder einmal nichts daraus werden. Die herrliche Stimmung zerplatzte wie eine Seifenblase, als der Schuss fiel, der Stephan Kranz tötete. Schuster sprang auf. Er war sofort wieder „im Dienst“. Die Gäste im Restaurant waren verstört, aufgeregt, entsetzt, ratlos. Bernd war das alles nicht. Er handelte nüchtern, kühl und augenblicklich. „Entschuldige!“, warf er seiner Franzi zu und stürmte davon. Man konnte innerhalb des großzügig angelegten Freizeit-Centers

selbstverständlich auch wohnen. Bungalows mit verschieden großen Wohnflächen standen dafür zur Verfügung. Bernd rannte aus dem Restaurant. Von allen Seiten liefen Leute herbei, die der Schuss alarmiert hatte. Ihr Ziel war der Bungalow, in dem die Waffe abgefeuert worden war. Auch Bernd Schuster lenkte seine Schritte dorthin. Zum Unterschied von den anderen wurde der Privatdetektiv immer schneller, je näher er dem Gebäude kam. Mit großer Wucht warf er sich gegen die Tür. Sie schwang zur Seite, und Bernd brauchte drei weitere Schritte, um seinen Schwung abzufangen. Er fand eine eindeutige Situation vor: Auf dem Boden lag ein Mann. Tot. Vor der Leiche stand ein anderer Mann, mit der Mordwaffe in der Hand.

3

„Sachte!“, sagte Bernd Schuster heiser. Er war unbewaffnet. Seine Beretta lag im Büro. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sie brauchen würde, wenn er mit Franziska einen netten Abend verbrachte. „Ganz ruhig, Mann!“, sagte Bernd gespannt. Wenn er Pech hatte, drückte der Mörder noch einmal ab. Bernd spürte ein unangenehmes Prickeln im Nacken. Würde es ihm gelingen, den Mann zu überreden, sich zu ergeben? Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven näherte er sich dem Bewaffneten. Er streckte verlangend die Hand aus. „Eine Dummheit sollte reichen. Geben Sie mir den Revolver“, forderte er. Der Mann – groß, drahtig, mit abstehenden Ohren – blickte Bernd verstört an. Es schien, als habe er die Tat in einer Anwandlung von geistiger Verwirrung begangen. Schuster blickte ganz kurz auf das Opfer. Er sah ein bekanntes Gesicht. Der Mann, den die Kugel tödlich getroffen hatte, hieß Stephan Kranz. Eigentlich war es nicht überraschend, dass Kranz so ein Ende gefunden hatte. Er gehörte zu der Sorte von Menschen, die jedes Geschäft machen, ob es nun sauber ist oder nicht, und er verfügte über ein großes Talent, sich Feinde zu schaffen. Aber er hatte auch Freunde. Den Gangsterboss Sven Habermann zum Beispiel, der diesen Mord unter Umständen als eine persönliche Beleidigung ansah, denn seine Freunde standen unter seinem Schutz. An denen durfte sich niemand vergreifen. Ob der Mann mit dem Revolver das wusste? Er regte sich nicht, stand nur da und stierte Schuster mit großen Augen an, als ob ihn dieser Mord selbst am meisten überrascht hätte. „Den Revolver!“, wiederholte der Detektiv. „Her damit!“

Der Fremde reagierte nicht. Bernd blieb zwei Schritte vor ihm stehen. „Wollen Sie mich auch erschießen?“, fragte der Privatdetektiv hart. „Ich ... ich habe diesen Mord nicht begangen“, presste der andere endlich mühsam hervor. „Ich bin kein Mörder.“ „Die Situation spricht eindeutig gegen Sie.“ „Dessen bin ich mir bewusst, aber ich habe das nicht getan. Ich habe Kranz nicht erschossen. Ich könnte niemals einen Menschen umbringen.“ „Aber der Revolver ...“ „Als ich hier hereinkam, lag die Waffe neben dem Toten. Ich hob sie auf. Und dann erschienen Sie.“ So konnte es natürlich auch gewesen sein, und die Verstörtheit des Mannes unterstrich seine Worte. Aber der Fremde konnte auch ein hervorragender Schauspieler sein. Wieder einmal verließ sich Bernd Schuster auf seine Menschenkenntnis – und glaubte dem Mann. Er ging die letzten beiden Schritte weiter und nahm dem anderen die Waffe aus der Hand. Widerstandslos ließ dieser es geschehen. Bernd atmete erleichtert auf. Die Gefahr war gebannt. „Mein Name ist Schuster. Bernd Schuster“, sagte er. „Ich bin Privatdetektiv. Und wie heißen Sie?“ „Tobias Krahe.“ „Beruf?“ „Geschäftsmann.“ Bernd wies auf den Toten. „Was hatten Sie mit Kranz zu schaffen?“ „Ich wollte ihn hier wegen eines Geschäfts treffen.“ „Wussten Sie, mit wem Sie es zu tun hatten?“ „Ja, aber das störte mich nicht. Was ich mit Kranz abwickeln wollte, wäre eine

einwandfreie Sache gewesen.“ Auch solche Geschäfte tätigte Stephan Kranz hin und wieder, das war Bernd bekannt. Aber sie kamen in der Regel eher selten zustande, weil naturgemäß jenseits der Gesetze mehr Profit zu erzielen war. Doch ganz ohne saubere Einkünfte kam Kranz nicht zurecht. Schließlich musste er den Behörden ab und zu einen lupenreinen Verdienst vorweisen können. „Okay“, sagte Bernd. „Sie haben ihn also nicht erschossen. Wo aber ist derjenige, der es getan hat?“ Tobias Krahe hob überfragt die Schultern. „Das weiß ich nicht.“ „War niemand bei der Leiche, als Sie hier hereinkamen?“ „Ich habe keine Menschenseele gesehen.“ „Sie werden keinen leichten Stand haben, wenn die Polizei Sie verhört. Die Fakten sprechen gegen Sie.“ „Ich weiß, und ich kann nur immer wieder beteuern, dass ich unschuldig am Tod dieses Mannes bin.“ „Ich wünsche Ihnen, dass man Ihnen glaubt“, sagte Bernd. Er überlegte: Wenn Tobias Krahe die Wahrheit sagte, gab es für den Mörder nur eine Möglichkeit, den Bungalow zu verlassen – das Fenster. Bernd eilte darauf zu. Es war verschlossen, aber nicht verriegelt. Bernd öffnete es und sprang über die Fensterbank. Krahe blieb allein im Bungalow zurück. Allein mit dem Toten. Bernd hörte Martinshörner. Für Krahe war es das Beste, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Wenn er jetzt die Flucht ergriff, wäre das einem Schuldgeständnis gleichgekommen, und kein Mensch hätte ihm seine Unschuldsbeteuerungen mehr abgenommen. Krahe schien das zu begreifen. Er rührte sich nicht von der Stelle und wartete mit bleichem Gesicht auf das Eintreffen der Polizei. Nur so blieb er glaubhaft. Bernd entfernte sich vom Bungalow. Er versuchte sich vorzustellen, welchen

Weg der Mörder eingeschlagen hatte. Wie meistens in solchen Fällen, bemühte er sich, sich in die Lage des Täters zu versetzen, und er fragte sich, wohin er gelaufen wäre, wenn er Stephan Kranz erschossen hätte. Zum nahen Hauptsee, beantwortete er seine Frage. Ein verstecktes Ruderboot, mit dem man unbemerkt das andere Ufer erreichen kann. Von hier aus rasch zum Buckower Damm, und hier in einen bereitstehenden Wagen. Wenn der Mörder Grips hatte, musste er so vorgegangen sein. Bernd eilte zum See hinunter. Das Gras unter seinen Schuhen war weich wie ein Teppich. Die Seeoberfläche sah aus wie poliertes schwarzes Glas. Ein paar Büsche standen am Ufer. Bernd Schuster erreichte das Wasser. Er suchte nach Spuren im Uferschlamm, und plötzlich hatte er das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Befand sich der Mörder noch hier? Versteckte der Kerl sich in einem der Büsche? Bernd vernahm das leise Rascheln von Blättern. Er zog die Waffe, die er Tobias Krahe abgenommen hatte, aus dem Gürtel und näherte sich vorsichtig einem wild wuchernden Busch, der seine biegsamen Zweige weit über das Wasser streckte. Hinter dieser dunklen Blätterwand befand sich jemand. Kein Zweifel. Erneut strafften sich Bernd Schusters Nervenstränge. War er dem Täter in diesem Augenblick ganz nahe? Besaß der Mann noch eine zweite Waffe? Bernd flitzte um das Gebüsch herum und federte in Combat-Stellung. „Hände hoch!“, bellte er, die Waffe im Anschlag. Ein spitzer Aufschrei – ein Mädchen. Und ein junger Mann, der seinen Arm um ihre Schultern gelegt hatte und Bernd Schuster bestürzt anstarrte. „Um Himmels willen – nicht schießen!“, stieß er heiser hervor. Bernd richtete sich auf und schob den Revolver wieder in den Gürtel. Diese beiden jungen Leute hatten nun garantiert nichts mit dem Mord an Stephan Kranz zu tun. „Haben Sie den Schuss gehört?“, fragte Bernd Schuster.

„Ja“, sagte der junge Mann. „Und haben Sie jemanden gesehen? Vielleicht einen Mann, der es ziemlich eilig hatte und von den Bungalows kam?“ Der junge Mann warf seiner Freundin einen unsicheren, ratlosen Blick zu. „Wir ... wir wollen keine Unannehmlichkeiten haben“, sagte er stockend. „Das verstehe ich“, erwiderte Bernd Schuster. „Aber in einem der Bungalows wurde ein Mann erschossen. Sollten Sie den Mörder gesehen haben, dürfen Sie das nicht für sich behalten, denn sonst kriegen Sie genau die Schwierigkeiten, auf die Sie nicht scharf sind.“ Der Junge und das Mädchen traten zwei Schritte vor. Ihr Aufenthalt am See hätte bestimmt ganz anders verlaufen sollen. „Ja, da war ein Mann“, sagte der Junge. „Sind Sie Polizist?“, fragte das Mädchen. Bernd schüttelte den Kopf. „Privatdetektiv. Eigentlich geht mich der Fall nichts an. Ich bin da mehr oder weniger hineingestolpert. Da ich aber nun mal drin bin, kann ich die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen.“ „Das ist klar“, sagte der Junge verständnisvoll. „Erzählen Sie mir von diesem Mann“, verlangte Bernd Schuster. „Er kam von den Bungalows, gleich nachdem der Schuss gefallen war. Hinter dem Gebüsch dort hatte er ein Ruderboot versteckt ...“ ‚Genau, wie ich‘s mir gedacht habe‘, sagte sich Bernd. „Er sprang hinein und verschwand in der Dunkelheit“, beendete der Junge seinen kurzen Bericht. „Haben Sie den Mann genau gesehen? Können Sie ihn beschreiben?“, fragte Bernd Schuster. „Ich kann mir keine Gesichter merken“, antwortete der Junge bedauernd.

„Und Sie?“, fragte Bernd das Mädchen. Sie war nicht älter als siebzehn, war klein, hatte einen winzigen Busen und trug fliederfarbene Fischerhosen. „Der Mann war groß und kräftig. Er hatte breite Schultern“, sagte sie. „Wie war er gekleidet?“ „Sportlich“, antwortete der Junge. „Er hatte dunkles Haar“, berichtete das Mädchen weiter, „eine große, stark gebogene Hakennase – und sein linker Augenzahn war aus Gold. Man konnte ihn sehen, weil der Mann beim Laufen mit offenem Mund atmete.“ Die Beschreibung war nicht schlecht. Bernd war damit zufrieden, obwohl er im Moment noch nichts damit anfangen konnte.

4

Der Mörder hieß Werner Zobel – ein Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging. Eiskalt, skrupellos, kaltschnäuzig. Tote säumten seinen Weg. Er hatte seine Karriere mit siebzehn begonnen. Ein Freund hatte ihn mit einigen Leuten zusammengebracht, und er musste zunächst eine Menge Dreckarbeit erledigen, ehe man ihn für größere Aufgaben, bei denen mehr heraussprang, verwendete. Zobel hatte bald die Nase voll, sich hochdienen zu müssen. Er erkannte, dass er zum Einzelgänger geboren war und stieg aus. Nach anfänglichen Hungermonaten bekam er seine ersten Mordaufträge, die er zur vollsten Zufriedenheit seiner Auftraggeber erledigte. Die Mundpropaganda empfahl ihn weiter, und bald konnte er sich die Aufträge in der gesamten Bundesrepublik aussuchen und es sich leisten, Jobs, die nicht einträglich genug waren, abzulehnen. Selbst Verbrecher der Cosa Nostra, die ihre eigenen Mörder hatten, wandten sich hin und wieder an ihn, und er hatte auch schon in Sven Habermanns Auftrag einige Männer ins Jenseits befördert. Habermann – der würde jetzt vor Wut schäumen. Werner Zobel grinste. Er saß in seinem Wagen und fuhr aus der Innenstadt heraus. Stephan Kranz hatte nicht geglaubt, dass er, Zobel, es tun würde. Kranz hatte darauf gebaut, dass niemand es wagen würde, ihm, Habermanns Freund, etwas anzutun. „Du hast dir im Hinblick darauf ein bisschen zu viel herausgenommen“, knurrte Zobel grimmig. „Hättest wissen müssen, dass man so etwas mit mir nicht machen kann.“ Verdrossen erinnerte sich Zobel an den Auftrag, den er von Stephan Kranz übernommen hatte.

„Zwanzig Riesen sind dabei für Sie drin“, hatte Kranz großspurig gesagt. „Hört sich verlockend an“, hatte Werner Zobel erwidert. „Was soll ich dafür tun?“ „Eine Kleinigkeit – für Sie. Es gibt einen Idioten, der denkt, mir Schwierigkeiten machen zu können. Ich habe ihn zweimal gewarnt. Er warf mich hinaus. So darf man Stephan Kranz nicht ungestraft behandeln, deshalb möchte ich, dass Sie sich seiner annehmen.“ „Warum nehmen Sie nicht einen billigeren Mann?“ „Weil ich mich darauf verlassen möchte, dass der Job in den besten Händen ist.“ „Wie heißt der Bursche?“ „Jonas Wilde. Er hat mir in letzter Zeit einige lukrative Geschäfte versaut, und er würde es weiter tun. Wenn es ihn nicht mehr gibt, kriege ich das Geld, das ich Ihnen bezahle, im Handumdrehen wieder herein.“ „Wenn das so ist, können Sie Wilde bereits abhaken“, hatte Werner Zobel gesagt, und war losgezogen, um den Auftrag auszuführen. Er erwischte Jonas Wilde in dessen Haus. Der Mann schwamm im Innenpool seine fünfundzwanzig Längen, ohne den Eindringling zu bemerken. Als er das Bassin keuchend verlassen wollte, stand Werner Zobel zwischen den verchromten Griffstangen der Leiter, und seine Kugel stieß das Opfer ins Wasser zurück. Es war noch leichter gegangen, als Zobel es sich vorgestellt hatte. Die Schwierigkeiten stellten sich erst im Nachhinein ein. Als Zobel kassieren wollte. Zuerst war Stephan Kranz verreist, und niemand wusste, wo er steckte. Da dachte sich Zobel aber noch nichts dabei. Als Kranz dann wieder im Lande war, vertröstete er den Killer mehrmals mit dem Bedauern, im Moment nicht flüssig zu sein. Und schließlich meinte er, dass für so einen leichten Job auch zehntausend Mark reichen müssten. Er glaubte, sich diesen Betrug als Sven Habermanns Freund erlauben zu können. Doch Werner Zobel war nicht bereit, sich so etwas gefallen zu lassen. Er stellte Kranz ein Ultimatum, das dieser jedoch ignorierte, und so war der Mord heute Abend für Werner Zobel nur eine logische Folge.

„Habermanns Freund hin – Habermanns Freund her“, brummte der Killer. „Du hast mich reingelegt, und ich habe dir dafür die Quittung präsentiert, Stephan Kranz.“ Die Geschichte hatte nur einen einzigen Haken: Da er, Zobel, aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht hatte, wusste Sven Habermann nun, wer ihm den toten Freund beschert hatte, und das würde den Verbrecher zwingen, etwas gegen ihn zu unternehmen. Also war es ratsam, für eine Weile von der Bildfläche zu verschwinden. Er konnte bei Britta Debner untertauchen. Sie arbeitete als Animiermädchen in einem drittklassigen Lokal, und keiner von Habermanns Leuten wusste, dass Zobel sie kannte. Das Lokal befand sich in der Nähe des Wulfila-Ufers in Tempelhof. Als Zobel die Bar betrat, hängte sich eine vollbusige Blondine an seinen Hals. „Hallo, Süßer, spendierst du mir einen Drink?“ „Einen Eimer aus dem Tempelhofer Hafen kannst du haben. Verschwinde!“, schnauzte Zobel sie an und versetzte ihr einen schmerzhaften Stoß. Die Blondine wollte mit einer Schimpfkanonade loslegen, aber Zobels zorniger Blick ließ sie verstummen. Er begab sich zum Tresen. „Bourbon!“, verlangte er. Der Keeper, ein fülliger Bursche mit spärlichem Haarwuchs, stellte ein Glas vor ihn hin und goss ein. Zobel bezahlte den Drink sofort. „Wo ist Britta?“, wollte er wissen. Der Keeper warf einen Blick zu den Separees. „Britta ist im Moment beschäftigt.“ „So, ist sie das. Nun, dann wird sie ihre Arbeit eben unterbrechen“, meinte Zobel gleichmütig. Er trank seinen Bourbon und begab sich zu den Separees, bei denen es sich um geräumige Logen handelte, vor denen schwere Vorhänge hingen. Zobel fegte den Vorhang der ersten Loge zur Seite – und störte Britta Debner bei einer ziemlich eindeutigen Beschäftigung. Sie zuckte hoch, streifte ihren Rock über die Schenkel und schloss mit einer Hand die Bluse.

Der Mann, um den sie sich gekümmert hatte, war ein kleiner dicker Glatzkopf, der nun wütend protestierte: „Was erlauben Sie sich!“ „Maul halten, du Ferkel“, sagte Zobel. „Weiß deine Frau, was du hier treibst?“ „Sie sind wohl nicht ganz bei Trost!“ „Komm heraus, Britta“, sagte Zobel, ohne sich weiter um den Mann zu kümmern. „Sie haben kein Recht, dieses Mädchen wegzuholen! Verdammt noch mal, ich habe gutes Geld bezahlt, um ...“ Werner Zobel stopfte dem Mann ein paar Geldscheine in die Brusttasche. „Hier hast du deinen Zaster wieder. Such dir Ersatz.“ Der Mörder griff nach Brittas Arm und zog sie aus der Loge. „Mach deine Bluse zu, wir gehen.“ Das Mädchen blickte ihn entgeistert an. „Wohin?“ „Zu dir.“ „Hör mal, ich habe hier zu arbeiten. Ich kann nicht einfach nach Hause gehen.“ „Dein Chef wird dich für heute entschuldigen“, sagte Zobel. „Er wird mich hinausschmeißen.“ „Du brauchst ihm bloß zu sagen, dass ich ihn mir in diesem Fall vornehme, dann wird er dich behalten“, bemerkte Zobel. „Vorwärts jetzt. Ich hab‘s eilig.“ Während sie auf die Tür zugingen, schloss Britta Debner die Knöpfe ihrer weißen Bluse. Sie war keine Schönheit, aber sie hatte das gewisse Etwas – SexAppeal. Ihr braunes Haar war kurz geschnitten, die grünen Katzenaugen leicht schräggestellt, der Gang geschmeidig und aufreizend. Ihr ganzes Wesen sprach die verborgensten Instinkte der Männer an, und das schon, seit sie die Schule verlassen hatte. Sie gehörte zu der Sorte von Mädchen, für die jeder andere Beruf als der, den sie ausübte, undenkbar war. Der Keeper blickte Britta und dem Killer verdattert nach. „Bestell deinem Boss einen schönen Gruß von mir!“, rief ihm Werner Zobel zu.

„Sag ihm, er kann erst morgen wieder mit Britta rechnen, und ich würde es ihm sehr krummnehmen, wenn er der Kleinen deswegen Ärger macht.“ Sie verließen die Bar, und Britta musste in Zobels Wagen steigen. „Du glaubst wohl, dir alles herausnehmen zu können, wie?“, fauchte Britta zornig. „Fast alles“, erwiderte Zobel grinsend. „Ich werde nicht gefragt. Ich muss einfach tun, was der Herr befiehlt.“ „So ist es“, bestätigte der Killer und fuhr los. „Du hast es erfasst, Baby.“ „Und wenn ich mal nicht will?“ „Oh, das würde ich dir nicht raten. Du bist nicht hart genug, um die Folgen auszuhalten.“ Britta Debner wusste, dass es gefährlich war, Werner Zobel zu beleidigen. Sie sagte aber trotzdem: „Ich kann so selbstherrliche Typen wie dich nicht ausstehen.“ „Du wirst dich an mich gewöhnen müssen, Baby“, erwiderte der Killer ungewöhnlich sanft. „Wieso?“ „Weil ich für einige Zeit bei dir wohnen werde.“ „Bei mir?“, begehrte das Mädchen auf. „Bist du übergeschnappt? Du kennst doch meine Wohnung. Die ist so klein, dass ich kaum selbst darin Platz habe.“ „Ich erinnere mich, schon einige Male bei dir übernachtet zu haben.“ „Das ist etwas Anderes.“ „Wieso? Von nun an reihen sich die Übernachtungen einfach nahtlos aneinander.“ „Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

„Lass uns bei dir zu Hause in Ruhe darüber reden, Baby“, meinte der Killer gelassen. Er bog um die nächste Ecke und ließ seinen Wagen vor einem vierstöckigen Gebäude ausrollen. „Ich will mein eigener Herr sein“, stellte Britta Debner kampflustig fest. „Ich vertrage nicht ständig einen Mann um mich.“ Er lächelte. „Ich denke, wir werden sehr gut miteinander auskommen. Du wirst Tisch und Bett mit mir teilen, und wir werden eine Weile ein Leben wie ein Ehepaar führen.“ „Nicht mit mir!“, fauchte das Mädchen. „Du kannst meinetwegen heute Nacht bleiben, aber morgen empfiehlst du dich wieder und suchst dir eine andere Bleibe.“ „Wir reden darüber“, meinte der Killer ruhig. „Oben. In aller Freundschaft.“ Er betrat mit ihr das Haus. Sie fuhren mit dem klappernden und ächzenden Lift zum vierten Stock hoch. Britta Debner schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf, und Werner Zobel ließ ihr höflich den Vortritt. Er drückte hinter sich die Tür ins Schloss, während sie Licht machte. Die Wohnung bestand nur aus einem Raum. Links befand sich eine Kochnische. Auf dem Bett, auf Stühlen und Sesseln lagen Wäschestücke. Zobel schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Du bist sehr unordentlich, Baby. Muss das denn sein?“ „Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute noch so hohen Besuch kriege, hätte ich aufgeräumt und den Boden gebohnert“, erwiderte das Mädchen. Er schlug sie unvermittelt. Mit dem Handrücken ins Gesicht. Sie schrie erschrocken und überrascht auf und fiel auf das Bett. Aus ihrer Nase sickerte Blut. „Du Schwein! Warum hast du das getan?“, schrie Britta. „Ich sagte doch, wir würden in aller Ruhe und Freundschaft miteinander reden“, entgegnete Werner Zobel und schlug noch einmal zu. Diesmal mit der Faust. Die Wucht des Treffers warf sie auf den Rücken. Der Mörder war sofort über ihr.

„Jetzt hör mir mal genau zu, Baby“, sagte er schneidend. „Umstände, die dich nichts angehen, machen es erforderlich, dass ich für eine Weile untertauche. Deine Wohnung erscheint mir als Versteck ideal, deshalb werde ich deine Gastfreundschaft so lange in Anspruch nehmen, wie‘s mir t. Es wäre verdammt unklug von dir, mir diese Gastfreundschaft zu verwehren. Ich könnte auch ohne dein Einverständnis hier wohnen und dafür sorgen, dass du auf den Friedhof übersiedelst. Hast du mich verstanden?“ Britta Debner nickte völlig verängstigt. Er ließ sie los. Sie wagte nichts mehr zu sagen. Ihre Augen schwammen in Tränen. Werner Zobel konnte fordern, was er wollte, denn auf seiner Seite war das Recht des Stärkeren.

5

„In Ordnung, dann erkläre ihm bitte die Sachlage“, sagte Inspektor Horst Südermann, der gewichtige Leiter der Mordkommission, und der schlaksige, sommersprossige Kriminalhauptmeister Wilhelm Krone – Südermanns Stellvertreter – führte den Auftrag unverzüglich aus. Mit unbewegter Miene hörte Tobias Krahe zu. Er war gezwungen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Irgendwann musste sich seine Unschuld herausstellen, und dann würde man ihn wieder auf freien Fuß setzen. Der Tote war bereits abtransportiert worden. Die Leute von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit getan, und Inspektor Südermann hatte mit den beiden jungen Leuten gesprochen, die Bernd Schuster unten am See aufgestöbert hatte. Dennoch nahm Südermann den Geschäftsmann als mutmaßlichen Mörder Stephan Kranz‘ fest. Nun nickte der Inspektor seinem Stellvertreter zu. „Bring ihn zu uns, Wilhelm.“ „Herr Krahe“, sagte Wilhelm Krone und wies auf die Tür. Der Mann setzte sich mit staksenden Schritten in Bewegung. Vor dem Bungalow standen viele Menschen, die dem „Mörder“ teils grimmige, teils verächtliche Blicke zuwarfen. Krahe blickte auf die schmachvollen Handschellen, die ihm Krone angelegt hatte. Wilhelm Krone forderte Krahe auf, in das Polizeifahrzeug zu steigen. Augenblicke später rollte der Dienstwagen langsam an. Die Menge teilte sich nur widerwillig. Fäuste wurden geschwungen. Rufe nach der Todesstrafe wurden laut. Krone verließ mit dem Gefangenen das Freizeitgelände, während sich Franziska Jahn, Bernd Schuster und Inspektor Südermann noch auf einen Schluck zusammensetzten. Bernd bot seinem Freund eine Roth Händle an. Er nahm sich ebenfalls eine heraus. Sie rauchten.

„Bist du davon überzeugt, den richtigen Mann festgenommen zu haben?“, erkundigte sich Bernd Schuster. Er hatte dem Inspektor die Waffe übergeben, die er Krahe abgenommen hatte. Horst zog an seiner Zigarette. „Ein Mann wurde ermordet, und du hast Tobias Krahe mit dem Revolver in der Hand vor der Leiche erwischt. Das sind Fakten, die man nicht unter den Tisch kehren kann.“ „Damit ist Krahes Schuld aber noch nicht bewiesen“, sagte Bernd. „Das ist mir klar. Ich bin schließlich nicht erst seit gestern Polizist. Unsere Aufgabe ist es nun, weitere Beweise zusammenzutragen, die Tobias Krahe entweder be- oder entlasten. Beides ist mir recht. Ich habe persönlich nichts gegen den Mann.“ „Zu seiner Entlastung müsste die Aussage der beiden jungen Leute beitragen“, meinte Bernd engagiert. „Die haben den wahren Täter gesehen.“ Horst schüttelte den Kopf. „Das muss nicht sein.“ „Der Mann kam von den Bungalows, kurz nachdem der Schuss gefallen war, Horst.“ „Er muss deshalb noch lange kein Mörder sein“, erwiderte der Inspektor. „Wofür hältst du ihn denn? Für einen Spanner, der Liebespärchen beobachtete und von dem Schuss verscheucht wurde?“ „Auch das wäre möglich“, sagte der Inspektor. „Wir werden diesen Mann selbstverständlich nicht vergessen ...“ „Aber du bist erst mal froh, wenn du deinen Vorgesetzten eine Festnahme präsentieren kannst“, fiel Bernd Schuster dem Freund ins Wort. „Warum greifst du mich an?“, fragte der Inspektor verstimmt. „Du kennst doch die Gesetze ebenso gut wie ich. Ich konnte Krahe nicht laufen lassen. Als Privatdetektiv kann man die Vorschriften etwas lockerer handhaben, aber mir sind diesbezüglich die Hände gebunden. Es steht dir frei, uns stichhaltige Beweise für Krahes Unschuld zu liefern.“

„Aha, ich soll mal wieder eure Arbeit tun. Vielen Dank. Franziska und ich haben schon genug um die Ohren.“ Das sagte Bernd Schuster an diesem Abend. Am nächsten Vormittag sah die Sache bereits anders aus, denn da suchte ihn ein distinguierter Mann namens Lothar Seidler auf, der sich als Tobias Krahes Anwalt vorstellte. „Bitte nehmen Sie Platz, Herr Seidler“, sagte Bernd und wies einladend auf den Besucherstuhl, der vor seinem großformatigen Schreibtisch stand. Franziska Jahn streckte kurz ihren blonden Lockenkopf zur Tür herein. „Kaffee?“, fragte sie. „Nehmen Sie eine Tasse?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Frau Jahn kocht den besten Kaffee von Berlin und Umgebung.“ Seidler lächelte. „Tatsächlich? Dann muss ich ihn unbedingt probieren.“ „Würde ich auch sagen“, meinte Bernd. Seidler zupfte ein Fusselchen von seinem Nadelstreifenanzug. „Sie können sich bestimmt vorstellen, weswegen ich zu Ihnen komme, Herr Schuster.“ Bernd lehnte sich zurück. „Ich gebe zu, ich habe so eine Ahnung“, erwiderte er. „Wie Sie wissen, befindet sich Herr Tobias Krahe, mein Mandant, in einer wenig beneidenswerten Lage.“ Bernd nickte und wartete darauf, dass Lothar Seidler weitersprach. Der Anwalt wiegte den Kopf. „Unschuldig im Gefängnis zu sitzen, ist keine angenehme Sache.“ „Tja, das iert leider manchmal.“ „Inspektor Südermann und sein Team scheinen von der Unschuld meines Mandanten nicht so sehr überzeugt zu sein wie wir beide, deshalb hat mich Herr Krahe gebeten, Sie um Hilfe zu ersuchen. Mein Mandant hat großes Vertrauen zu Ihnen. Er ist davon überzeugt, dass Sie es schaffen können, den wahren Mörder Stephan Kranz‘ zu finden. Wenn Sie ihn der Polizei präsentieren, hat die

keine Veranlassung mehr, Tobias Krahe länger im Untersuchungsgefängnis festzuhalten.“ Franziska kam mit dem Kaffee, und Lothar Seidler konnte sich davon überzeugen, dass Bernd Schuster nicht übertrieben hatte. „Das ist tatsächlich der beste Kaffee, den ich je getrunken habe“, sagte er. Franziska hörte das Lob nicht. Sie saß schon wieder draußen im Vorzimmer an ihrem gläsernen Schreibtisch, und durch die ledergepolsterte Tür war das gedämpfte Rattern ihrer elektrischen Schreibmaschine zu hören. „Wie ist es?“, erkundigte sich der Anwalt. „Was kann ich meinem Mandanten berichten? Nehmen Sie den Auftrag an, Herr Schuster?“ Bernd hatte im Augenblick zwar eine Menge Kleinigkeiten zu erledigen, aber die konnte er auch auf später verschieben. Es war nichts dabei, das an einen wichtigen Termin gebunden gewesen wäre. Kleinkram eben. Der aber auch mal bearbeitet und ad acta gelegt werden musste. Bernd hätte es nicht fertiggebracht, dem Anwalt einen negativen Bescheid mitzugeben. Erstens hatte er Mitleid mit Tobias Krahe, und zweitens hatte er in diesem Fall – es hörte sich unangenehm realistisch an, aber es war so – Blut geleckt. Sein Ehrgeiz war geweckt. Ein Mann bat ihn um Hilfe. Es wäre ihm unmöglich gewesen, den Auftrag abzulehnen. Auch, wenn er in Wahrheit nicht auf das Honorar angewiesen war. Aber weder Tochter Lucy noch Lebensgefährtin Franziska – sein „Bratkartoffelverhältnis“ ohne Trauschein – wussten von seiner finanziellen Unabhängigkeit. Bernd nickte. „Okay, Herr Seidler. Bestellen Sie Herrn Krahe einen schönen Gruß von mir und sagen Sie ihm, dass ich ihn ab sofort als meinen Klienten betrachte.“ „Machen wir die Sache gleich perfekt? Ich habe alle Vollmachten.“ „Wenden Sie sich diesbezüglich an meine Sekretärin.“ „Ist gut“, sagte Lothar Seidler und trank seinen Kaffee aus. „Schmeckt wirklich hervorragend.“

Bernd schmunzelte. „Vielleicht verrät Ihnen Frau Jahn das Rezept. Mir hat sie‘s bisher noch nicht gesagt.“ Der Anwalt erhob sich. Er streckte Bernd Schuster, der ebenfalls aufstand, über den Schreibtisch die Hand entgegen. „Lassen Sie uns hoffen, dass Herr Krahe nicht länger als unbedingt nötig unschuldig hinter Gittern sitzen muss.“ „Ich werde tun, was ich kann, um ihn so rasch wie möglich aus der Zelle zu holen“, versprach Bernd, und dieses Versprechen besiegelte er mit einem kräftigen Händedruck.

*

Manche sahen in Sven Habermann eine Art Napoleon, und er hatte tatsächlich vom Äußeren her eine gewisse Ähnlichkeit mit dem französischen Feldherrn. Er war klein von Wuchs, worunter er von Kindheit an litt. Das spärliche Haar trug er in die Stirn gekämmt, wie Napoleon; und er ahmte auch gern dessen Haltung nach: ein Arm auf dem Rücken, die andere Hand zwischen die Knöpfe des Jacketts geschoben. Wegen seiner geringen Größe bildete er sich ein, immer Großes leisten zu müssen, um irgendwie einen Ausgleich zu schaffen. Er gehörte der Berliner Unterwelt schon lange an, wusste seine Ellenbogen zu gebrauchen und hatte sich bereits mit dreißig Jahren einen „Platz an der Sonne“ erkämpft. Heute war er vierzig und nahezu eine Berühmtheit. Die meisten seiner Gegner lebten nicht mehr. Einige, die einstmals gegen ihn gewesen waren und ihn nicht hochkommen lassen wollten, hatten sich fünf Minuten vor zwölf mit ihm arrangiert, um am Leben zu bleiben. Es gab Gangster, für die Sven Habermann vor zehn Jahren noch gearbeitet hatte und die nun für ihn tätig waren. Er hatte sein Imperium klug, geduldig und zäh aufgebaut. Rückschläge hatten ihn nicht entmutigt, sondern nur zu noch größeren Leistungen angestachelt. Er hatte seine Verbrecherbande nicht zu schnell wachsen lassen, sich die besten Männer ausgesucht und dort eingesetzt, wohin sie ihren Fähigkeiten

entsprechend gehörten. Bestimmt hätte dieser von Habermann aufgebaute Apparat nun schon allein funktioniert, aber Habermann verließ sich nicht darauf. Er behielt die Zügel weiterhin fest in seiner Hand, blieb ständig am Drücker und kümmerte sich auch heute noch um viele Dinge selbst. Als er hörte, dass sein Freund Stephan Kranz ermordet worden war, tobte er. „Er hat es getan!“, brüllte er und schlug mit der Faust zornig auf den Schreibtisch. „Zobel, dieser Bastard, hat es doch tatsächlich gewagt! Er missachtet mich. Mich – Sven Habermann! Er wusste, dass Stephan mein Freund ist, doch das hinderte diesen Hundesohn nicht daran, ihn umzubringen. Das soll er mir büßen!“ Der Verbrecher beorderte unverzüglich zwei Mörder zu sich: Peter Grothe und Henry Wendler. Habermann tigerte vor den beiden auf und ab. „Habt ihr‘s schon gehört?“ Grothe – bösartig, untersetzt und grauhaarig – nickte. „Werner Zobel hat sich an Kranz vergriffen.“ „Verdammt, ja, das hat er getan!“, schrie Sven Habermann wütend. Seine Augen funkelten zornig. „Wer meine Freunde angreift, greift mich an! So habe ich es seit jeher gehalten. Alle wissen das. Auch Zobel war das bekannt. Dieser Mord ist für mich wie ein Schlag ins Gesicht! Das lasse ich mir von diesem Kretin nicht bieten! Ich schlage zurück. Mit voller Härte!“ Wendler – groß, schlank, elastisch – meinte: „Er hat schon allerhand Mut.“ „Mut?“, fuhr ihn Habermann an. „Verrückt ist er. Er scheint es auf eine Kraftprobe mit mir ankommen lassen zu wollen, dieser Narr. Denkt er denn im Ernst, mir gewachsen zu sein? Er ist ein Nichts. Ein Niemand.“ „Genau genommen ist Kranz nicht ganz unschuldig an seinem Tod“, erlaubte sich Grothe zu sagen. Habermann zuckte herum und starrte ihn gereizt an. „Ich weiß, was iert ist. Es ist mir bekannt, dass Stephan den Bogen überspannt hat, dass er sich zu sehr auf seine Freundschaft mit mir verließ. Okay, Stephan hätte Zobel nicht hereinlegen dürfen. Er hat es getan. Das gab Werner Zobel aber noch lange nicht

das Recht, ihn umzulegen. Zobel hätte zu mir kommen müssen. Ich hätte mir seine Beschwerde angehört und die Differenzen zwischen den beiden bereinigt. Aber daran dachte dieser selbstgefällige Bursche nicht mal im Traum. Er erledigte die Angelegenheit nach seinem Ermessen, und das t mir nicht. Mit dem Mord an Stephan Kranz hat Werner Zobel sein eigenes Todesurteil gefällt, und ich erwarte von euch, dass ihr es umgehend vollstreckt.“ Wendler nickte. „In Ordnung, Boss.“ „Stöbert den Hund auf und schießt ihn über den Haufen“, knurrte Sven Habermann. „Lasst ihm keine Chance. Macht ihn eiskalt fertig.“ Grothe und Wendler gingen. Sie hatten gehört, dass Werner Zobel untergetaucht war. Ihre Aufgabe war es nun, ihn so rasch wie möglich zu finden. Das bedeutete Knochenarbeit für sie. Als sie in ihrem Wagen saßen, meinte Grothe: „Wenn ich bloß wüsste, wo wir anfangen sollen. Habermann macht sich‘s leicht. Er erwartet in Kürze eine Erfolgsmeldung von uns. Aber Berlin ist ein Heuhaufen, und Zobel ist ‘ne verdammte Stecknadel. Wie soll man die im Handumdrehen finden?“ Wendler, der den Wagen lenkte, seufzte. „Leicht wird es nicht sein, aber wir werden es irgendwie schaffen. Wir müssen es schaffen, weil wir Habermann nicht enttäuschen dürfen.“ Sie betraten wenig später einen Billardklub. Hier waren sie bestens bekannt. Ein fetter Koloss saß auf einem hohen Stuhl. Von dieser hohen Warte aus konnte er alle Tische überblicken. „Hi!“, sagte Wendler. Der Fettsack grinste. „Na, ihr beiden. Wie geht‘s eurem Boss?“ „Habermanns Galle läuft mal wieder über“, sagte Grothe. „Wegen der Sache mit Kranz?“ Wendler nickte. „Es hat sich also schon bis zu dir herumgesprochen.“ „So etwas macht verdammt schnell die Runde. Zobel muss den Verstand verloren haben.“

„Der Meinung sind wir auch“, erwiderte Grothe. „Jetzt verlangt Habermann wohl Zobels Kopf.“ „So ist es, aber Zobel ist untergetaucht, und wir wissen nicht, wo wir ihn suchen sollen. Hast du ‘ne Ahnung?“ Der Dicke schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Freunde. Aber ich werde mich für euch umhören. Sobald ich was erfahre, rufe ich euch an, in Ordnung?“ „Damit würdest du uns einen großen Gefallen erweisen“, meinte Wendler. „Mach‘ ich gern“, gab der Fettkloß zurück. „Ciao“, sagten die Killer. „Macht‘s gut“, antwortete der Dicke. Die Killer wandten sich um. Da schnippte der Dicke mit dem Finger. „He, wartet mal!“ Wendler und Grothe kehrten zu ihm zurück. „Ja?“, fragte Hans Wendler neugierig. „Ist dir etwas eingefallen?“ „Fragt doch mal Fritz Kamrath, wo Werner Zobel steckt. Wenn es einer weiß, dann am ehesten noch er. Zobel hat zwar keinen ganz dicken Freund, aber Kamrath kommt wenigstens annähernd da ran.“ „Kamrath. Klar“, sagte Grothe erfreut. „Menschenskind, Hans, wieso sind wir nicht selbst auf den gekommen?“ „Vielen Dank für den Tipp“, sagte Wendler und schlug dem Dicken auf seinen feisten Schenkel. Sie verließen den Billardklub, und trafen zwanzig Minuten später bei Fritz Kamrath ein. Der Mann war ein gerissener Makler. Ein fuchsschlauer Bursche, der schon viele Kunden hereingelegt hatte. Wortgewandt, aalglatt. Er kannte die Gesetze sehr gut und fand in ihnen immer wieder eine Lücke, durch die er schlüpfen konnte.

Sein Büro bestand aus einem Raum, klein und muffig. Es war Platz für einen Schreibtisch, drei Stühle, einen Kleider- und einen Aktenschrank. Als Grothe und Wendler eintraten, nahm Fritz Kamrath die Beine vom Schreibtisch. Er war ein schmales Handtuch mit abfallenden Schultern, einer spitzen Nase und trüben Augen. „Sauregurkenzeit, Fritz?“, erkundigte sich Wendler, während Grothe hinter sich die Tür schloss und den Schlüssel herumdrehte. Kamrath vernahm das metallische Klacken, und seine Lider zuckten nervös. „Kann ich was für euch tun?“, fragte er mit belegter Stimme. „Oh ja, das kannst du“, antwortete Wendler, der es nicht liebte, erst lange um den heißen Brei herumzureden. „Du bist doch so was wie Werner Zobels Freund, nicht wahr?“ „Freund ist ein bisschen zu viel gesagt“, erwiderte Kamrath. „Ich kenne ihn. So, wie ich euch kenne.“ „Das stimmt nicht ganz. Zobel kennst du besser.“ „Vielleicht ein bisschen.“ Wendler stemmte seine Fäuste auf die Schreibtischplatte und beugte sich zu Kamrath hinüber. „Wir suchen deinen Freund, Fritz.“ „Aha. Und weswegen?“ „Du weißt es nicht?“ „Würde ich fragen, wenn ich es wüsste?“ „Nun, du könntest dich ja auch dumm stellen.“ „Wozu sollte das denn gut sein?“ „Wissen wir, was in deinem schlauen Kopf vorgeht?“, gab Wendler zurück. Kamraths Blick pendelte zwischen Wendler und Grothe hin und her. Ihm war nicht geheuer. Er wusste, dass mit diesen Männern nicht gut Kirschen essen war.

Etwas an ihrem Benehmen warnte ihn. Er spürte, dass er auf der Hut sein musste. Ihre Haltung hatte etwas Bedrohliches an sich. Kamrath durfte sie auf keinen Fall reizen, sonst erging es ihm schlecht. Seine Nerven waren schon längst straff gespannt, und nun begann ein dünner Schweißfilm auf seiner hohen Stirn zu glänzen. „Was hat Werner getan?“, wollte Fritz Kamrath wissen. „Er hat Stephan Kranz umgelegt“, antwortete Peter Grothe. Kamrath zuckte zusammen. „Oh mein Gott“, stieß er erschrocken hervor. Wendler nickte. „Einen Freund von Sven Habermann hat er abserviert. Du weißt, was das heißt.“ „Was hat er sich dabei bloß gedacht?“, fragte Kamrath. „Er scheint den Mord in einer Anwandlung von Größenwahn begangen zu haben“, stellte Wendler fest. „Und was hat das für Folgen?“, wollte Kamrath wissen. „Habermann ist auf hundert“, sagte Wendler. „Ich verstehe“, bemerkte Kamrath trocken, und er verstand wirklich. Wenn man Sven Habermann so sehr reizte, hatte dieser nur eine einzige Antwort dafür parat. Deshalb der Besuch dieser beiden Killer. „Du tätest gut daran, dich erkennbar von Zobel zu distanzieren“, riet ihm Grothe. „Dein Freund geht demnächst rettungslos unter. Wenn du nicht auch in diesen Strudel geraten willst, solltest du dich auf unsere Seite stellen.“ „Ich würde am liebsten auf niemandes Seite stehen“, seufzte Kamrath. „Mir wäre am wohlsten, wenn ihr die Sache unter euch ausmachen und mich in Ruhe lassen würdet.“ Wendler grinste. „Das geht nicht, Fritz, denn wir brauchen deine Hilfe.“ „Meine Hilfe?“, echote Kamrath nervös. „Ich bin ein kleines, unbedeutendes Licht. Womit könnte ich euch schon dienlich sein?“

„Zum Beispiel damit, dass du uns sagst, wo wir deinen Freund finden“, meinte Grothe. Kamrath hob die Hände und fuchtelte damit hektisch herum. „Also mein Freund ist Werner nicht – jetzt schon gar nicht.“ „Der feige Hund ist nach dem Mord untergetaucht“, sagte Wendler leise. „Ich könnte mir vorstellen, dass du über seinen Aufenthaltsort Bescheid weißt.“ Kamrath erschrak zutiefst. „Gütiger Himmel, wie kannst du so etwas annehmen?“ „Vielleicht ist er sogar in einer jener Wohnungen untergekrochen, die du anzubieten hast“, sagte Wendler glashart. Jetzt standen Kamrath schon Schweißperlen auf der Stirn. „Ich gebe euch mein Wort, ich habe keinen blassen Schimmer, wo Werner steckt.“ „Du solltest dich nicht vor ihn stellen, Fritz. Das könnte dir verflucht schlecht bekommen!“, sagte Grothe rau. „Aber ich stelle mich doch überhaupt nicht vor ihn“, beteuerte der Makler. „Denkt ihr denn, ich habe nicht alle Tassen im Schrank?“ „Er lügt“, sagte Grothe zu Wendler. „Bin ganz deiner Ansicht“, gab dieser zurück. „Himmel, warum wollt ihr mir nicht glauben?“, fragte Kamrath mit weinerlicher Stimme. „Man kann sehr leicht feststellen, ob einer lügt oder die Wahrheit sagt“, bemerkte Wendler. „So? Wie denn?“, wollte Grothe wissen. „Man muss auf seine Nasenspitze drücken. Ist sie hart, sagt er die Wahrheit. Ist sie weich, lügt er.“ „Na schön, dann drück mal“, riet Grothe dem Komplizen. „Am besten gleich mit

der Faust.“ Und Wendler schlug zu. Kamrath brüllte auf. „Weich“, sagte Wendler ungerührt. „Folglich lügt er“, stellte Grothe trocken fest. Die Wucht des Schlages hatte Kamrath zurückgestoßen. Der Makler war mit dem Stuhl umgefallen und hart auf dem Kunststoffboden gelandet. Er lag nun auf dem Boden, hielt sich mit beiden Händen die Nase und jammerte herzerweichend. „Warum hast du das getan? Warum hast du mich geschlagen?“, kam es abgehackt und gedämpft unter seinen Händen hervor. Grothe und Wendler gingen um den Schreibtisch herum. Grothe riss den Makler hoch und hielt ihn fest. „Los, Hans, frag ihn noch mal!“ „Wo ist Werner Zobel?“, fragte ihn Wendler. Kamrath antwortete nicht. Wendler krallte seine Finger in die wenigen Haare des Maklers und riss dessen Kopf hoch. „Wo versteckt sich dein Freund?“, schrie er ihm ins Gesicht. „Ich ... ich weiß es nicht, weiß es wirklich nicht“, röchelte Kamrath verzweifelt. „Vielleicht sagt er ausnahmsweise doch mal die Wahrheit“, meinte Grothe ungerührt. „Du meinst, der Nasentest könnte ein falsches Ergebnis gezeigt haben?“, fragte Wendler. „Wäre doch möglich“, sagte Grothe. „Na schön, kann sein, dass wir ihm unrecht tun.“ Wendlers Finger hielten den

Makler immer noch an den Haaren fest. „Hör zu, Junge. Du weißt jetzt, was uns interessiert, und du weißt, was dir blüht, wenn du uns nicht behilflich bist, herauszufinden, wo Werner steckt. Such ihn. Uns ist es egal, wie du das machst. Hauptsache, du kriegst heraus, wo Zobel sich befindet. Wir warten auf deine Information. Lass dir in deinem eigenen Interesse nicht zu lange Zeit, sonst kommen wir wieder und spornen dich ein bisschen kräftiger an.“ Wendler stellte den Stuhl wieder auf die Beine. Grothe ließ den Makler los, und der Mann sank erledigt auf die Sitzgelegenheit. „Viel Erfolg“, sagte Peter Grothe. „Vergiss nicht: Wir beide sind verdammt ungeduldige Typen. Du hast also nicht viel Zeit, uns deinen guten Willen zu beweisen“, meinte Wendler. Dann gingen die Killer. Sie konnten sicher sein, dass Fritz Kamrath nun Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um Werner Zobel ausfindig zu machen.

*

Auch Bernd Schuster und Franziska Jahn suchten Stephan Kranz‘ Mörder. Allerdings nicht mit so brutalen Methoden wie Wendler und Grothe. Man konnte sagen, der Detektiv und seine Assistentin drehten buchstäblich die Stadt um. Sie arbeiteten getrennt und waren pausenlos im Einsatz. Hin und wieder telefonierten sie miteinander, um Informationen auszutauschen und die nächsten Schritte zu besprechen. Einer von Bernd Schusters V-Leuten war Karsten, ein junger Bursche mit flotten Dauerwellen, der in in einer Autowaschanlage beschäftigt war. Als er Bernds silbergrauen Mercedes 450 SEL erblickte, hellten sich seine Züge auf. Er besprühte das Fahrzeug mit Autoshampoo, reinigte die Reifen mit einem Handbesen und schickte den Mercedes in den Waschtunnel. Bernd bedeutete ihm, dass er ihn jenseits des Tunnels sprechen wollte. Jimmy nickte, und dann rotierten die senkrecht und waagrecht angeordneten Bürsten

über den Wagen. Als der Mercedes auf der anderen Seite blitzsauber die Waschstraße verließ, stand Karsten neben dem Schild, das die Autofahrer darauf aufmerksam machte, dass sie die Bremsen ihres Fahrzeuges testen sollten. Ein großer, breitschultriger Mann ging auf den Jungen zu. Er wirkte aggressiv. Bernd befürchtete Ärger. Er fuhr rechts ran und stieg aus. „Meine Antenne ist im Eimer!“, polterte der Große. „Das tut mir leid“, sagte Karsten Sattler. Der Große krallte seine Finger in den Overall des Jungen und schüttelte ihn. „So leicht darfst du es dir nicht machen, Kleiner. Ich verlange Schadenersatz.“ „Haben Sie das Schild nicht gesehen?“ „Welches Schild? Hier hängen so viele Schilder herum. Die interessieren mich nicht.“ „Auf dem, das ich meine, steht, dass wir für Schäden an Zierleisten und Antennen nicht aufkommen.“ Der Große kniff die Augen zusammen. „Das werden wir ja sehen. Verdammt, ich krieg‘ von euch ‘ne neue Antenne, oder ich breche dich in der Mitte auseinander, Freundchen. Du bist für den Schaden verantwortlich. Du hättest die Antenne versorgen müssen.“ „Das gehört nicht zu meinen Aufgaben!“, verteidigte sich Karsten Sattler. Der Große rammte ihn gegen die verflieste Wand und wollte ihn ohrfeigen. Damit es dazu nicht kam, griff Bernd Schuster ein. „Lassen Sie den Jungen los!“, knurrte Bernd. Der Große wandte den Kopf, ohne die Hände zurückzunehmen. „Sie halten sich da lieber raus!“, schnauzte er Bernd Schuster an. „Das geht Sie nichts an!“ „Ich bin mit dem Jungen befreundet“, sagte Bernd Schuster.

„Ist mir egal. Ich krieg ‘ne Antenne!“ Bernds Rechte schoss vor. Er riss den Großen von Karsten Sattler weg. „Sie wissen genau, dass Sie im Unrecht sind. Warum steigen Sie nicht in Ihren Wagen und verschwinden?“ „Weil ich dir erst noch Manieren beibringen muss!“, schnaubte der Große. „Mich fasst man nicht so an, wie du das eben getan hast!“ „Wie man in den Wald hineinruft ...“ Der Große stürzte sich auf Bernd Schuster. Er war kräftig, aber er verfügte nicht über Bernd Schusters ausgefeilte Kampftechnik. Der Detektiv hatte keine Mühe, den Fäusten seines Gegners zu entgehen. Er steppte zweimal zur Seite. Den dritten Schlag blockte er ab, und seine Finger schlossen sich um den Arm des Mannes, der in dem Moment begriff, dass er sich mit jemand eingelassen hatte, der eine Nummer zu groß für ihn war. Bernd drehte dem Mann den Arm auf den Rücken. „Wenn Sie Beschwerden haben, wenden Sie sich an den Chef. Der Junge ist dafür nicht zuständig. Und jetzt schwirren Sie ab, bevor ich ungemütlich werde.“ Ein leichter Stoß genügte. Der Große stolperte zu seinem Wagen, stieg mit zornfunkelnden Augen ein und fuhr los. Bernd wandte sich an den Jungen. „Hallo, Karsten.“ Sattler lächelte. „Hallo, Bernd Schuster. Sie kamen im richtigen Moment. Vielen Dank für die Hilfe.“ „War selbstverständlich“, bemerkte Bernd, bot dem Jungen eine Roth Händle an und bediente sich auch selbst. „Solche ungemütlichen Kerle tauchen ab und zu bei uns auf.“ Bernd schmunzelte. „Sie sind das Salz in deiner Suppe. Damit du keine Langeweile hast.“ „Muss wohl so sein“, meinte Sattler. „Wie läuft Ihr Geschäft, Herr Schuster?“

„Oh, ich kann nicht klagen“, sagte Bernd und blies den Rauch an dem Jungen vorbei. „Geht es dir – abgesehen vom Ärger mit diesem Typ – gut?“ „Einigermaßen.“ „Bist du noch mit der wilden Rosa befreundet?“ „Nein, mit der ist es aus.“ „Wessen Schuld?“ „Meine“, gab Karsten Sattler zu. „Sie hat mich wirklich geliebt, aber ich Idiot musste unbedingt noch mit einem anderen Mädchen etwas anfangen.“ „Und Rosa hat dich erwischt.“ „Leider ja. Ich würde die ganze Sache gern ungeschehen machen, aber ... Sie kennen ja Rosa. Sie gab mir zwei kräftige Ohrfeigen, die ich Hornochse auf jeden Fall verdient hatte, und – weg war sie.“ „Hast du versucht, sie zurückzuholen?“ „Natürlich, aber sie will nichts mehr von mir wissen.“ „Soll ich mal mit ihr reden? Ich denke, auf mich hört sie.“ „Ich glaube nicht, dass sie mir diese schreckliche Dummheit verzeiht.“ „Ich kann‘s ja mal versuchen.“ „Dafür wäre ich Ihnen wirklich sehr dankbar, Herr Schuster.“ „Mach‘ ich doch gern für euch beide“, erwiderte Bernd. „Da bekanntlich eine Hand die andere wäscht, erlaube mir ein paar Fragen. Ein Mann namens Tobias Krahe sitzt unschuldig im Untersuchungsgefängnis. Er soll Stephan Kranz erschossen haben, hat er aber nicht. Du weißt, wer Kranz war?“ „Alles andere als ein guter Mensch“, antwortete Karsten Sattler. „Der Mann, der ihn wirklich erschossen hat, sieht folgendermaßen aus“, sagte Bernd Schuster und lieferte die Beschreibung, die er am vergangenen Abend von

dem Pärchen am See bekommen hatte. Der V-Mann hob die Schultern. „Tut mir leid, bei mir klingelt‘s nicht, Herr Schuster.“ „Hast du eine Ahnung, aus welchem Grund Kranz sterben musste? Vielleicht komme ich über das Motiv an den Mörder heran“, sagte Bernd. Er nahm wieder einen Zug von seiner Roth Händle. „Sicher ist eines seiner krummen Geschäfte schuld daran“, vermutete Karsten Sattler und klopfte die Asche ab. „Kann sein, dass er sich in letzter Zeit zu viel herausnahm. Er baute bestimmt darauf, ein Freund von Sven Habermann zu sein, an dem sich niemand vergreifen durfte. Einer hat sich nun aber doch nicht um diese Freundschaft geschert.“ „Wer hat ein so großes Risiko auf sich genommen?“ „Das weiß ich nicht. Es muss aber einer sein, der weder Tod noch Teufel fürchtet, und der glaubt, Sven Habermann und seinen Freunden ebenbürtig zu sein.“ „Also auf keinen Fall ein kleiner Fisch.“ „Bestimmt nicht“, sagte Karsten Sattler. „Mit wem hat Kranz in letzter Zeit am häufigsten Geschäfte gemacht?“ „Mir kam zu Ohren, dass er oft mit Silvio Benestoni zu tun hatte.“ Bernd horchte auf. „Mit dem ungekrönten Bordellkönig von Berlin? Karsten, du solltest dir deine Ohren vergolden lassen. Welche Art von Geschäften tätigten die beiden?“ „Wie Ihnen bekannt ist, handelte Stephan Kranz mit allem. Und Silvio Benestoni ist nicht nur in der Bordellbranche tätig. Sein Geld steckt auch in vielen anderen Unternehmen. Es sollen sogar ein paar seriöse dabei sein, in denen er sein schwarzes Geld weißwäscht.“ „Dann will ich dem guten Silvio mal einen Anstandsbesuch abstatten“, meinte Bernd lächelnd. „Vielleicht kann er mir weiterhelfen.“

Er steckte dem Jungen fünfzig Mark in den Overall und riet ihm, das Geld für Rosa aufzuheben. „Wenn sie dir verziehen hat, kaufst du den besten Wein, den du kriegen kannst, und leerst die Flasche mit Rosa. Und vergiss nicht, ein Glas auf mein Wohl mitzutrinken.“ „Ganz bestimmt nicht. Ich fürchte nur, Rosa wird Sie hinauswerfen, wenn Sie auch nur ein einziges Mal meinen Namen nennen.“ Bernd grinste. „Keine Sorge, wenn ich etwas erreichen will, kann ich sehr stur sein.“ Er setzte sich in den Mercedes und fuhr zu. Silvio Benestoni. Bernd Schuster kannte Benestoni aus einer Zeit, als dieser noch nicht so groß gewesen war. Aber schon damals hatte Schuster erkannt, dass Benestoni in der Unterwelt im Kommen war. Der Mercedes erreichte die breite Grundstückseinfahrt. Das Gittertor stand einladend weit offen. Auf klotzigen Mauersockeln lagen wachsame Löwen aus Stein. Bernd Schuster fuhr durch den großen gepflegten Park mit den alten Bäumen. Er stoppte seinen SEL auf einem kleinen Parkplatz neben einem Haus, das im Jugendstil erbaut war. Bernd stieg aus. Vögel zwitscherten. Eine friedliche Idylle. Eigentlich te sie nicht zu dem Mann, der hier wohnte. Bernd stieg die Stufen hoch. Seine Ankunft war bestimmt nicht unbemerkt geblieben, doch niemand kümmerte sich um ihn. Erst als er das große Haus betrat, tauchten zwei bullige Kerle auf und versperrten ihm den Weg. Bernd kannte ihre Gesichter, aber nicht ihre Namen. Sie waren früher Benestonis Laufburschen gewesen. Sie bleckten die Zähne, als hätten sie die Absicht, Bernd zu beißen. Er wusste, dass er hier nicht willkommen war, aber das störte ihn nicht. Locker und leger nickte er den Bodyguards zu. „Na, ihr beiden.“ „Sie sollten gleich wieder die Kurve kratzen, Schuster“, riet ihm der rechte

Mann. „Ihre Anwesenheit ist in diesem Hause nicht erwünscht“, sagte der linke. „Ach, lasst das doch mal Silvio Benestoni selbst entscheiden, ja?“, gab Bernd Schuster freundlich zurück. „Ist er daheim?“ „Herr Benestoni hat zu tun.“ „Sieh einer an, er auch?“ „Wir können Sie nicht zu ihm lassen.“ „Ihr könnt ihm erst mal sagen, dass ich hier bin und ihn sprechen möchte. Alles Weitere wird sich dann finden“, bemerkte Bernd schroff. „Nichts zu machen. Melden Sie sich telefonisch an. Vielleicht kann Herr Benestoni dann ein paar Minuten für Sie erübrigen.“ „Ihr denkt wohl, ihr arbeitet für den Generalsekretär der Vereinten Nationen. Euer Boss ist nichts weiter als ein mieser Halunke, ein Zuhälter, der sich Besuche dieser Art wohl oder übel gefallen lassen muss, und er kann von Glück sagen, wenn ich ihn mir nicht als Fleißaufgabe vornehme!“ Der rechte Leibwächter wies auf die Tür. „Sie gehen jetzt, Herr Schuster!“ Bernd schob unternehmungslustig das Kinn vor. „Angenommen, ich tu‘s nicht.“ „Dann sähen wir uns leider gezwungen, Sie gewaltsam zu entfernen.“ Bernd nickte. „Okay, versucht das mal.“ Und sie versuchten es tatsächlich. Der linke Kerl zuerst. Seine große Faust schoss vor. Er meinte, leichtes Spiel zu haben. Bernds sicheres Auge erkannte die Gefahr rechtzeitig. Er duckte ab, der Schlag verfehlte ihn, und er schlug hart zurück. Der Getroffene stöhnte auf und wankte zwei Schritte zurück. Nummer zwei griff an. Ein unverhoffter Karatetritt stoppte ihn jedoch jäh. Bernds Handkante schnellte durch die Luft. Ein Uppercut folgte, und der Mann flog gegen die

Wand. Doch so schnell gaben sich die bulligen Typen nicht geschlagen. Sie versuchten in die nächste Attacke mehr System zu bringen, immerhin waren sie zu zweit und Bernd allein. Aber Bernd Schuster ließ sie nicht mehr an sich heran. Ehe sie ihn erneut angreifen konnten, zog er seine Beretta aus dem Schulterholster und richtete sie auf die Bodyguards. „Ihr müsst noch viel lernen“, sagte Bernd spöttisch. „Wenn ich Silvio Benestoni wäre, würde ich euch zum Teufel jagen. Ihr seid euer Geld nicht wert. Euer Boss kann sich unter eurem Schutz nicht sicher fühlen. Vorwärts, bringt mich zu ihm! Aber keine Tricks, sonst gibt es richtig Ärger.“ Niedergeschlagen trotteten die Leibwächter vor Bernds Kanone her. Sie führten Bernd Schuster in einen prunkvollen Salon. Dort saß Silvio Benestoni auf einem plüschbezogenen Sofa, und ein aufregendes Weibchen im hautengen Tigerstreiftrikot verwöhnte ihn. Als er Bernd Schuster sah, stieß er das Mädchen von sich. Er stand auf. Seine dunklen, fast schwarzen Augen funkelten. Er trug einen weinroten Kimono, und darunter war er nackt. Sein strafender Blick fiel auf Bernd Schusters Pistole. „Was hat das zu bedeuten?“, rief er zornig. „Deine Gorillas wollten mich partout nicht zu dir lassen“, sagte Bernd Schuster ohne jeden Respekt. Dieser Mann besaß zwar eine Menge Geld, sicher auch mehr als Bernd, aber er würde niemals dessen Achtung erringen, nicht einmal, wenn er zehnmal so viel Geld besessen hätte. „Was wollen Sie?“, fragte Benestoni gepresst. Bernd sah ihm an, wie mühsam er sich beherrschte. „Ich muss mit dir reden“, antwortete Bernd. „Worüber?“ „Stephan Kranz.“ Der Bordellkönig, dessen Finger beringt und dessen Handgelenke mit Gold bereift waren, überlegte kurz. Er musterte Bernd Schuster argwöhnisch. Das

Tigerweibchen hinter ihm verhielt sich still. „Verschwindet!“, bellte Silvio Benestoni. „Na los! Lasst mich mit Schuster allein.“ Das galt für die Leibwächter ebenso wie für das Mädchen. Die Angesprochenen verließen den Salon. Als Bernd und Benestoni allein waren, verlangte der: „Stecken Sie die Waffe weg. Oder haben Sie Angst vor mir?“ Bernd grinste. „Wer wird sich vor dir fürchten? Du bist doch bekannt dafür, dass du keiner Fliege etwas zuleide tun kannst, nicht wahr? Alle Mädchen, die für dich anschaffen, wissen das.“ „Niemand schafft für mich an, Herr Schuster, das möchte ich entschieden in Abrede stellen!“ „Ist dir eine andere Formulierung lieber? Soll ich sagen, die Mädchen gehen für dich auf den Strich?“ „Das tun sie nicht. Ich besitze Hostessenvermittlungen und Modellagenturen, in denen die Mädchen eine seriöse Arbeit verrichten. Und auch in meinen Clubs geht es anständig zu. Es gibt Verträge, die den Mädchen jede intime Beziehung zu ihren Kunden untersagen.“ „Verträge, mit denen du dich geschickt abgesichert hast“, sagte Bernd. „Wenn sich die Frauen nicht daran halten, was kannst du dann dafür, nicht wahr? Und es geht dich auch nichts an, was sie in ihrer Freizeit anstellen.“ „So ist es. Über die Freizeit meiner Angestellten kann ich natürlich nicht verfügen.“ „Natürlich nicht“, sagte Bernd und winkte verdrossen ab. „Aber lassen wir das. Ich möchte nicht, dass mir übel wird, wenn ich mir dein Gewäsch noch weiter anhöre.“ Er steckte die Beretta in das Schulterhalfter und ging auf Silvio Benestoni zu. Der Mann im Kimono schien ihn mit seinen Blicken erdolchen zu wollen. Knapp vor Benestoni blieb Bernd Schuster stehen. „Kranz ist tot. Ich bin sicher, du weißt das bereits.“

„Na und? Ich habe ihn nicht erschossen.“ „Soll ich dir mal was Ulkiges verraten? Das glaube ich dir sogar“, sagte Bernd. „Was wollen Sie dann von mir?“ „Man hat mir gesagt, du hättest in letzter Zeit einige Geschäfte mit Kranz getätigt.“ „Wer hat Ihnen das gesagt?“ „Die Frage hättest du dir sparen können, Silvio. Du weißt, dass ich die Namen meiner Informanten nicht preisgebe.“ „Na schön, vielleicht habe ich ab und zu ein Geschäft mit Kranz getätigt. Jetzt ist er tot, und es wird kein weiteres mehr zustande kommen. Jemand hat ihn umgelegt, ich war‘s nicht. Sonst noch was?“ „Ja, eine ganze Menge noch“, sagte Bernd. „Du kannst dir vorstellen, dass mich nicht interessiert, wer es nicht war, sondern wer‘s getan hat.“ „Wenn Sie glauben, das hier erfahren zu können, muss ich Sie leider enttäuschen, Bernd Schuster.“ „Ich weiß, wie der Killer aussieht“, sagte Bernd und beschrieb ihn. „Kennst du den Mann?“ „Nein.“ „Nicht so hastig mit den Antworten. Bist du sicher?“ „Absolut.“ „Wenn du ihn doch kennst, und ich krieg‘ das heraus, hänge ich dir Mitwisserschaft an, Silvio. Dann darfst du gesiebte Luft schnuppern, Tüten kleben und langweilige Runden im Gefängnishof drehen.“ „Ich weiß nicht, wer der Mann ist“, sagte Benestoni unwillig. „Kranz muss ein faules Ei gelegt haben“, meinte Bernd, „und das ließ sich der Killer nicht gefallen. Oder Kranz hat jemanden aufs Kreuz gelegt, und der hat

ihm den Killer auf den Hals gehetzt. Etwa in der Richtung muss die Geschichte laufen. Ich wette, du weißt über einige Geschäfte von Kranz Bescheid. Steckt in einem davon ein Mordmotiv?“ „Ich sehe keines“, antwortete Benestoni und warf einen ungeduldigen Blick auf seine teure Rolex. „Wollen Sie mich noch lange mit Fragen löchern?“ „Findest du es denn nicht nett, mit mir zu plaudern?“, fragte Bernd grinsend. „Wenn Sie‘s nicht als persönliche Beleidigung auffassen: ganz und gar nicht.“ „Apropos persönliche Beleidigung. Kranz war Sven Habermanns Freund. Der Mord hat bei Habermann bestimmt einen Tobsuchtsanfall ausgelöst. Er wird denjenigen, der Kranz ins Jenseits geschickt hat, zur Rechenschaft ziehen wollen.“ „Nicht mein Bier. Ich habe mit der ganzen Angelegenheit zum Glück nichts zu tun“, sagte Silvio Benestoni. „Ja, das ist wirklich dein Glück. Aber so ein Unschuldsengel, wie du zu sein vorgibst, bist du nicht. Mich kannst du nicht täuschen. Du hast eine Menge Dreck am Stecken, deshalb wäre es gut für dich, mir ein wenig gefällig zu sein. Du kannst es dir bestimmt nicht leisten, mich zum Feind zu haben, Silvio.“ Benestoni schob die Hände in die tiefen Taschen seines Kimonos. Bernd war auf der Hut. Falls der Bordellkönig eine Waffe zum Vorschein bringen sollte, würde er noch einmal seine Automatik ziehen, und zwar schneller als Silvio Benestoni. „Was soll ich tun?“, erkundigte sich der Glatzkopf. „Ich möchte wissen, wer Stephan Kranz erschossen hat und warum er es getan hat. Du hast die Beschreibung des Killers. Mach etwas daraus. Meine Nummer steht im Telefonbuch. Ruf mich an, sobald du etwas erfahren hast, was mich interessiert. Das wär‘s. Ich wünsche noch einen angenehmen Tag“, sagte Bernd Schuster und ging. Als er in seinen Mercedes stieg, entdeckte er das Tigerweibchen, das an einem der Fenster stand und ihm freundlich zulächelte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie an einen Mann wie Silvio Benestoni geraten konnte.

*

Der Jet landete, aus Rio de Janeiro über Frankfurt kommend, in Tempelhof. Die agiere verließen die Maschine und warteten auf ihr Gepäck in der Ankunftshalle. Unter ihnen befand sich der Journalist Dieter Kohne, knapp über fünfzig Jahre alt, sonnengebräunt, blond und sportlich gekleidet. Er lebte seit fünfundzwanzig Jahren in Rio, arbeitete dort als Korrespondent einiger internationaler Blätter, und im Großen und Ganzen konnte er auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Erst in der jüngsten Vergangenheit hatte ihm das Schicksal einen schmerzhaften Tiefschlag versetzt, den er nicht so einfach hinzunehmen gewillt war. Deshalb die Reise nach Berlin. Er kam zwar alle vier bis fünf Jahre mal in seine Heimatstadt, um alte Freunde und Bekannte zu besuchen, aber diese Reise war außerplanmäßig zustande gekommen. Nachdem die Zollformalitäten erledigt waren, karrte Kohne sein Gepäck auf einem Wagen mit Gummirädern zum Ausgang. Ein Taxifahrer verstaute die beiden Koffer im Kofferraum. Kohne stieg ein und nannte die Adresse eines kleinen Hotels. Als Kohne das Hotel betrat, begrüßte ihn die Besitzerin, eine grauhaarige alte Dame, überschwänglich. „Wieder einmal Heimweh nach dem guten alten Berlin gehabt, Herr Kohne?“ „Tja, so sieht es aus“, gab er lächelnd zurück. Er wohnte immer in diesem Hotel, wenn er in der Stadt war. „Kann ich das gewohnte Zimmer haben?“ „Es tut mir schrecklich leid, Herr Kohne, das ist im Moment von einem Reisenden besetzt. Wenn Sie angerufen hätten ...“ „Ist ja kein Beinbruch. Hauptsache, Sie haben überhaupt etwas für mich frei.“ „Das auf jeden Fall. Vielleicht kann ich den Reisenden bitten ...“

Dieter Kohne winkte ab. „Um Himmels willen, bloß keine Umstände. Ich bin sicher, dass ich mich auch in dem anderen Zimmer wohlfühlen werde.“ „Das hoffe ich“, sagte die alte Dame und schlug auf die Klingel, die auf dem Empfangspult stand. Ein großer junger Mann erschien. Der Enkel der Hotelbesitzerin. „Meine Güte, Klaus, hörst du denn überhaupt nicht mehr zu wachsen auf?“, fragte Dieter Kohne lachend und blickte zu dem jungen Mann hoch. „Mir würd‘s langsam reichen, Herr Kohne“, sagte Klaus. „Das denke ich auch. Wie groß bist du denn inzwischen?“ „Einssiebenundneunzig.“ „Großer Gott. Du musst dich ja schon bald bei jeder Tür bücken.“ „Was soll man machen.“ „Klaus, bitte bringe Herrn Kohnes Gepäck auf Nummer sechs“, sagte die Frau. „Bleiben Sie lange in Berlin, Herr Kohne?“ „Das kann ich noch nicht sagen“, antwortete der Journalist. „Es wird sich ergeben.“ „Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall einen schönen Aufenthalt.“ „Vielen Dank“, sagte Kohne und stieg hinter Klaus die Stufen hoch. Nachdem er geduscht hatte und umgezogen war, rief er ein paar Freunde an. Mit zweien traf er sich zum Kaffee, und als der Abend anbrach, suchte er den Nachtklub eines Freundes auf. Leda nannte sich das Lokal, und über dem Eingang lag ein nacktes Neonmädchen, dem sich ein schöner weißer Schwan näherte. Als Kohne den Nachtklub betrat, hatte er das Gefühl, nach Hause zu kommen. Alles war ihm vertraut. Die Einrichtung. Die Gesichter des Personals. Die Stammgäste. Man winkte ihm zu, war erfreut, ihn zu sehen, man schlug ihm

freundschaftlich auf die Schulter. „Guten Abend, Dieter ...“ „Hallo, Herr Kohne. Auch wieder mal im Lande?“ Er nickte, schüttelte Hände, winkte zurück. Ein dunkelhaariges Mädchen mit prachtvollen, schneeweißen Zähnen kam auf ihn zu. „Der gute Dieter Kohne.“ Sie lachte und umarmte ihn herzlich. „Gott, wie freue ich mich, dich wiederzusehen.“ „Hallo, Klara. Du wirst immer hübscher.“ Sie boxte ihn leicht gegen die Rippen. „Du bist immer noch derselbe Schmeichler.“ Er grinste. „Warum sollte ich mich ändern?“ „Du hast ganz recht. Warum solltest du? Geschäftlich in Berlin?“ „Ja und nein. Wie kommst du mit Theo zurecht?“ „Wunderbar.“ „Wie viele Heiratsanträge hat er dir schon gemacht?“ „Jeden Monat einen“, sagte Klara und lachte. „Da kommt ganz schön was zusammen.“ „Kann man wohl sagen. Warum nimmst du seinen Antrag nicht endlich an?“ „Ich weiß nicht, ich glaube, ich mag Theo viel zu sehr ...“ „Na ja, vielleicht kriegt Theo dich doch noch mal weich. Zur Hochzeit bin ich jedenfalls eingeladen, das ist doch wohl klar.“ „Sonnenklar“, sagte Klara. „Dann will ich mich jetzt mal Theo präsentieren.“ „Tu das, er wird sich mächtig freuen.“

Kohne suchte das Büro seines Freundes auf. Als der den Journalisten erblickte, warf er den Kugelschreiber auf den Schreibtisch und sprang auf. „Mich trifft der Schlag. Du schon wieder? Du warst doch erst vor drei Jahren in Berlin.“ „Bin ich deshalb hier weniger willkommen?“, erwiderte Kohne grinsend. „Du weißt, dass ich mich jedes Mal freue, dich wiederzusehen.“ Franzen war ein Mann mit gepflegtem Oberlippenbärtchen und aristokratischem Auftreten. Er reichte dem Freund begeistert die Hand. „Hast du Klara schon gesehen?“ „Ja, sie sieht blendend aus. Du solltest sie heiraten.“ Franzen seufzte. „Was soll ich denn tun, wenn sie nicht will?“ „Na hör mal, wer von euch beiden hat denn nun etwas zu sagen? Du oder sie?“ „Sie, wie du siehst. Setz dich. Möchtest du was trinken?“ „Ja, gern.“ Theo Franzen begab sich zur fahrbaren Hausbar. Er goss einen dreistöckigen Bourbon ein, nahm sich selbst nur einen kleinen mit viel Soda. Als Kohne das sah, lachte er. „He, was ist denn mit dir los? Bist du auf einmal unter die Abstinenzler gegangen? Wir haben doch früher so mancher Flasche den Garaus gemacht.“ Franzen wiegte den Kopf. „Ich fürchte, damit ist es vorbei. Der Arzt hat Zucker in meinem Blut festgestellt. Das heißt, ich muss ein wenig kürzertreten.“ „Ist es ernst?“, fragte der Journalist besorgt. „Ach nein, ich muss mich nur ein wenig schonen, das ist alles. Die wilden Jahre sind vorbei. Im Grunde genommen war‘s ohnedies schon Zeit, dass ich damit aufhörte.“ Franzen setzte sich zu Kohne. Er stieß mit ihm an. „Auf unser Wiedersehen, alter Kumpel.“ „Auf deine Gesundheit“, sagte Kohne und trank. „Was macht Rio? Noch alles in Ordnung? Wohnst du immer noch in der Rua Sao

Clemente?“ „Natürlich. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.“ „Ganz besonders du.“ „Das ist wahr“, sagte Dieter Kohne und blickte in sein Glas. Irgendetwas schien ihn zu bedrücken. Franzen fiel das auf. „Sag mal, du hast doch was. Heraus mit der Sprache. Was ist los, Dieter? Brauchst du Hilfe? Kann ich irgendetwas für dich tun?“ Kohne blickte noch intensiver in sein Glas. „Ja, Theo, ich denke, dass du etwas für mich tun kannst.“ Er blickte dem Freund fest in die Augen. „Ich möchte mich rächen, Theo, und ich hoffe, dass du mir dabei helfen wirst.“ „Alles, was du willst, Dieter“, sagte Franzen. „Was ist iert? Erzähle.“ „Wir kennen uns nun schon seit fast vierzig Jahren, nicht wahr?“ „Ja. Ja.“ „Und ich habe stets versucht, sauber zu bleiben, obwohl es nicht immer leicht war.“ „Zum Unterschied zu mir“, sagte Franzen offen. „Ich habe in der Zeit so manches krumme Ding gedreht.“ „Aus Frauen habe ich mir nie sonderlich viel gemacht.“ Franzen lachte. „Als Kostverächter möchte ich dich aber auch nicht gerade bezeichnen.“ „Nun ja, natürlich hat man so seine unbedeutenden Affären, aber es ging nie in die Tiefe.“ Franzen hob die Brauen. „Oh, ich glaube, ich weiß, was nun kommt. Es hat dich auf deine alten Tage doch noch erwischt. Die ganz große Liebe. Sie hat bei dir wie ein Blitz eingeschlagen. Nie hättest du dir träumen lassen, dass dir, dem erfahrenen Hasen, so etwas ieren könnte, was?“

„Ihr Name ist Ravenna. Eine wundervolle Frau mit rabenschwarzem Haar und einer pfirsichweichen Haut. Ihr Blick wärmt dir die Seele, sage ich dir. Als ich sie kennenlernte, war ich so glücklich, dass ich es nicht beschreiben kann. Ich war total verrückt. Ich erlebte den Himmel auf Erden. Wenn ich zu Ravenna ging, hatte ich das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Es war eine herrliche Zeit, Theo, die ich nie vergessen kann.“ „Es war?“, fragte Franzen und ließ den Drink in seinem Glas kreisen. „Es war“, sagte Kohne und nickte grimmig. „Denn es ist vorbei. Der Traum ist ausgeträumt. Es gab ein böses Erwachen für mich.“ „Wieso?“ „Da war ein anderer Mann ...“ Franzen schüttelte entrüstet den Kopf. „Es ist doch immer dasselbe Lied. Wenn zwei ihr ganz großes Glück gefunden haben, findet sich ein dritter, der es unbedingt zerstören muss.“ „Sein Name ist Altor Perez. Ein reicher Edelsteinhändler.“ „Ganz klar. Er hat Ravenna mit seinem vielen Geld den Kopf verdreht.“ „Sie kommt aus armen Verhältnissen. Solange sich Perez nicht für sie interessierte, genügte ihr das, was ich ihr bot. Aber dann ...“ „Sie hat dich verlassen. Wegen des Geldes.“ Kohne nickte wütend. „Sie lebt jetzt mit Perez zusammen. Er überhäuft sie mit Geschenken. Vielleicht ist sie mit ihm nicht so glücklich, wie sie es mit mir war, aber sie wird trotzdem nicht mehr zu mir zurückkehren.“ „Möchtest du sie denn wiederhaben?“ „Ich weiß nicht, Theo. Ich glaube nicht. Es kann zwischen uns nicht mehr so wie früher werden. Der Riss ist zu tief. Der lässt sich nicht mehr kitten.“ „Ich kann deine Wut verstehen“, sagte Franzen.

„Ich war nahe daran, mich umzubringen.“ „Junge, du bist doch nicht bei Trost, das ist dieses Mädchen doch nicht wert.“ Kohne zuckte mit den Schultern. Es sah aus, als wäre er müde. „Zu dieser Meinung habe ich mich mittlerweile auch durchgerungen.“ „Und nun willst du zurückschlagen.“ Kohnes Miene verfinsterte sich. „Ja“, sagte er hart. „Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr möchte ich das.“ Franzen nahm einen kleinen Schluck von seinem Drink. „Ich kann dich sehr gut verstehen, alter Freund. Ravenna hätte dir das nicht antun dürfen.“ „Sie soll ihre Strafe bekommen!“ „Sehr richtig“, pflichtete ihm Franzen bei. „Und der Mann auch!“, sagte Kohne. „Er vor allem“, meinte Franzen. „Denn im Grunde genommen hat er den Stein ja ins Rollen gebracht. Du kannst von meiner Seite mit jeder Unterstützung rechnen, Dieter.“ Kohne hatte gewusst, dass sein Freund das sagen würde. Er hatte in Rio lange überlegt, wie er sich für das, was ihm Ravenna und Altor Perez angetan hatten, revanchieren konnte. Einfach hinnehmen wollte er die schmachvolle Niederlage nicht. Die beiden hatten ihm einen schmerzhaften Tiefschlag versetzt, und er hatte gründlich darüber nachgedacht, wie er zurückschlagen sollte. Dabei war ihm automatisch Theo Franzen eingefallen. Er kannte zwar auch in Rio viele Leute, doch unter ihnen war niemand, dem er mehr als Franzen vertraut hätte. Seine Freundschaft zu Franzen war etwas Besonderes. „Seit fünfundzwanzig Jahren wohne ich in der Rua Sao Clemente“, bemerkte Dieter Kohne. „In all den Jahren konnte ich folgendes beobachten, Theo: Einmal jährlich werden in Altor Perez‘ Safe Smaragde im Wert von zehn Millionen Mark für ein paar Tage deponiert. Immer zur selben Zeit. Es ist bald wieder

soweit.“ Franzen horchte auf. „Interessant. Erzähl weiter.“ „Ich hätte diesbezüglich nie etwas unternommen, wenn mir Perez nicht die Frau weggenommen hätte, die ich so abgöttisch liebte. Nun soll ihn mein Konterschlag so hart wie möglich treffen“, sagte Dieter Kohne verbittert. „Perez soll die Smaragde verlieren.“ „Eine gerechte Strafe“, fand Franzen. „Meine ich auch“, sagte Kohne. „Du hast gute Kontakte zur Berliner Unterwelt, Theo. Ich bin sicher, du kannst auch die richtigen Leute für den Coup in Rio auftreiben. Ist ja nicht um die Ecke, aber ich komme für alle Kosten auf. Sag deinen Leuten, sie haben einen nicht sonderlich schwierigen Job und dafür in traumhafter Umgebung. Einmal Berlin-Rio und zurück. Copacabana-Beach, Bikinimädchen und Drinks inklusive.“ Franzen rieb mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn. „Die Leute lassen sich finden, das ist kein Problem. Sie müssen nur abkömmlich sein. Und eine Urlaubsreise wird das ja wahrscheinlich trotz deiner Angebote nicht!“ Kohne sah ihm an, dass er bereits jemanden ins Auge gefasst hatte. „Ich kriege fünf Prozent von der Beute“, sagte er. Franzen sah ihn verwundert an. „Ist das dein Ernst? Du gibst dich mit einer so lächerlich geringen Beteiligung zufrieden?“ „Ich war auf Geld noch nie besonders scharf“, erwiderte Dieter Kohne. „Mir geht es in erster Linie darum, Ravenna und Altor einen Denkzettel zu veren!“ Franzen wiegte den Kopf. „Junge, dich muss es ordentlich erwischt haben.“ „Das hat es, Theo. In mir ist etwas zerbrochen.“ „Wird es schwierig sein, die Smaragde aus dem Safe zu holen?“ „Nicht für gute Leute. Der Tresor ist nichts Besonderes. Und ich habe bereits einen vagen Plan, wie man den Coup durchführen könnte. Besorge du mir die

Männer. Dann werde ich ihnen sagen, wie ich mir die Sache vorstelle.“ „Na schön. Ich werde ein Trio auftreiben, das sich um die Angelegenheit kümmert“, versprach Theo Franzen, und Dieter Kohne war fürs erste damit zufrieden.

*

Der Job war mühsam, doch Bernd Schuster beklagte sich nicht. Er war bekannt für seine Engelsgeduld. Es gab immer wieder Fälle, die sich auf die Schnelle nicht lösen ließen. Franziska Jahn unterstützte ihn tatkräftig, doch vorläufig stellte sich kein Erfolg ein. Aber das entmutigte Bernd Schuster nicht. Er wusste aus Erfahrung, dass sich jeder Knoten irgendwann und auf irgendeine Weise lösen ließ. Man musste es nur lange genug versuchen und durfte auf keinen Fall resignieren. Während Franziska unterwegs war, um sich mit einer jungen Frau zu treffen, die mit Stephan Kranz bis kurz vor seinem Tod intim gewesen war, löste Bernd Schuster sein Versprechen ein, das er Karsten Sattler gegeben hatte, und suchte Rosa auf. Sie arbeitete als Änderungsschneiderin in einer kleinen Boutique. Es war Mittagspause, und Rosa befand sich allein im Geschäft. „Geschlossen“ stand an der Glastür. Bernd schirmte die Augen mit den Händen ab und blickte in die Boutique. Er sah Rosa. Sie saß an ihrer Nähmaschine und arbeitete. Ein hübsches, schwarzhaariges, fleißiges Mädchen mit dunklen Glutaugen. Bernd klopfte an die Scheibe. Rosa hörte es wegen des Maschinengeratters nicht. Bernd klopfte lauter. Rosa wandte ihm ihr bildschönes, makelloses Gesicht zu. Ihre Züge hellten sich auf, als sie ihn erkannte. Sie erhob sich und sperrte auf. „Herr Schuster, freut mich, Sie zu sehen.“

„Störe ich?“, fragte Bernd. „Aber nein. Wollen Sie zu mir?“ Bernd lächelte. „Ist ja sonst keiner da.“ Er trat ein. „Ich kam zufällig hier vorbei, und da dachte ich, ich schaue mal nach Ihnen.“ „Das ist nett.“ „Geht es Ihnen gut?“ „Einigermaßen“, sagte das Mädchen, das seine mexikanische Abstammung nicht verleugnen konnte, und senkte den Blick. Kurz überlegte Bernd, ob sie wohl eines von vielen „Besatzerkindern“ war, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Über ihre Herkunft hatte der Detektiv bislang nur wenig erfahren. Bernd konnte ihr nicht mehr in die ausdrucksstarken Augen sehen, deshalb schob er seine Fingerspitzen unter ihr Kinn und drückte ihren Kopf sanft nach oben. „Ich glaube, Sie sagen mir nicht die Wahrheit, Rosa. Waren wir nicht immer ehrlich zueinander?“ „Was wollen Sie hören?“, fragte das Mädchen gepresst. „Dass es mir schlecht geht?“ „Wir wollen weiterhin aufrichtig sein“, sagte Bernd. „Es stimmt nicht, was ich vorhin sagte. Ich kam nicht zufällig vorbei, sondern absichtlich.“ Sie musterte ihn abwartend. „So? Und der Grund für Ihren Besuch?“ Er merkte, wie sie kühl wurde. „Können Sie sich den nicht denken?“ „Sie haben mit Karsten gesprochen.“ „Richtig.“ „Und nun sind Sie hier, um zwischen uns beiden wieder was einzufädeln“, sagte Rosa mit wachsender Leidenschaft. „Tut mir leid, Herr Schuster, in diesem Fall hätten Sie sich den Weg sparen können. Karsten Sattler ist für mich gestorben.“ „Können Sie wirklich so hartherzig sein, Rosa?“

„Karsten hat mich betrogen!“ „Das weiß ich. Es tut ihm schrecklich leid.“ „Das kann man hinterher leicht behaupten. Ich kann nicht hingehen, einen Menschen umbringen und nachher sagen, es tut mir leid, um nicht verurteilt zu werden.“ „Was Karsten getan hat, kann man nicht mit einem Mord gleichsetzen, Rosa.“ „Er hat meine aufrichtige, saubere Liebe mit Füßen getreten!“, rief sie emotionsgeladen aus. Ihre Augen funkelten vor Zorn. „Das verzeihe ich ihm nie! Nie! Nie!“ „Er hat seinen Fehler längst eingesehen, und er leidet furchtbar unter der Trennung. Genau wie Sie, Rosa.“ „Ich komme darüber hinweg!“, antwortete Rosa trotzig. „Das ist nicht wahr. Sie beide sind wie kein anderes Paar auf dieser Welt füreinander bestimmt, Rosa“, widersprach Bernd Schuster. „Seien Sie nicht so entsetzlich stolz!“ „Was hat ein Mädchen wie ich denn anderes als seinen Stolz?“ „Er darf Ihrem Glück nicht im Wege stehen. Geben Sie Karsten Sattler noch eine Chance, seinen Fehler wiedergutzumachen. Im Grunde genommen möchten doch auch Sie wieder mit ihm zusammen sein. Springen Sie dieses eine Mal über Ihren eigenen Schatten. Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und ich verspreche Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden.“ Rosas schwarze Brauen zogen sich trotzig zusammen. „Er hat mich zutiefst verletzt, Herr Schuster“, sagte sie leise. „Sie kennen diesen furchtbaren Schmerz nicht.“ „Ach, und wie kommen Sie auf diese Idee? Halten Sie mich für einen Menschen, der keiner echten Gefühle fähig ist? Bin ich in Ihren Augen ein eiskalter, gefühlloser Roboter?“ „Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber zwischen Karsten und mir

...“ „Denken Sie, ich musste noch keine Enttäuschung hinnehmen? Sind Sie wirklich der Ansicht, das alles kann nur Ihnen ieren? Liebes Kind, das Leben ist voll von Enttäuschungen. Man kann sie entweder meistern – oder daran zugrunde gehen. Ich habe eine schmerzhafte Scheidung hinter mir, meine Tochter und ich zogen deshalb von Frankfurt nach Berlin – und jetzt muss ich erleben, dass auch meine Frau nach Berlin gezogen ist, um unserer gemeinsamen Tochter näher zu sein. Wechselbäder der Gefühle sind mir also nicht fremd. Also - wofür entscheiden Sie sich?“ Rosa betrachtete ihre Schuhspitzen und sagte nichts. „Lassen Sie Karsten den ersten Schritt zur Versöhnung tun“, verlangte Bernd. „Was geschehen ist, wird nicht wieder ieren. Der Junge wird Sie von nun an bestimmt auf Händen tragen.“ Rosa seufzte, schwieg aber weiter. Bernd spürte, dass er das Mädchen schon fast so weit hatte. „Darf Karsten Sie anrufen?“, fragte er. Sie zuckte mit den wohlgerundeten Schultern. „Meinetwegen.“ Bernd grinste. „Das ist ein Wort.“ Er griff nach Rosas Oberarmen, zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn. „Ich freue mich für euch beide. So, und nun will ich nicht länger stören. Ich werde Sie und Karsten im Auge behalten.“ Rosa lächelte ihn dankbar an. „Sie sind der netteste Privatdetektiv, den ich kenne.“ Bernd lachte. „Darauf kann ich mir nichts einbilden. Bestimmt kennen Sie nicht mehr als einen Privatdetektiv.“ Er verließ die Boutique, stieg in seinen Mercedes und fuhr los. Rosa stand hinter der Glastür, und blickte ihm nach. Während der Fahrt nahm Bernd den Hörer des Autotelefons aus der Halterung und setzte sich mit der Waschstraße in Verbindung, in der Karsten Sattler arbeitete. Er bekam den Jungen an den Apparat.

„Irgendetwas Neues für mich?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Tut mir leid, Herr Schuster. Waren Sie bei Silvio Benestoni?“ „Ja.“ „Und?“ „Ich habe ihm Dampf unterm Hintern gemacht, aber bisher nützte es noch nichts.“ Bernd berichtete von seinem Besuch beim Bordellkönig. „Er wird versuchen, Sie zufriedenzustellen, um Ruhe vor Ihnen zu haben“, meinte Karsten. „Darauf warte ich noch“, sagte Bernd. „Ich hör‘ mich natürlich auch weiter für Sie um.“ „Irgendwann muss das ja mal ein Ergebnis bringen“, meinte Bernd Schuster. „Ich war übrigens bei Rosa.“ Sattler hielt den Atem an. „Hat sie Sie gleich gebissen, geschlagen und getreten?“ „Ruf sie an, Karsten.“ „Ist sie bereit, mir noch eine Chance zu geben?“, fragte Karsten Sattler mit banger Hoffnung. „Ja, aber du musst das Eisen schmieden, solange es warm ist.“ „Das tu‘ ich!“, jubelte er aufgeregt. „Sie ... Sie haben mir einen ganz großen Gefallen erwiesen, Bernd Schuster.“ Bernd schmunzelte. „Habe ich gern getan. Du weißt ja, wie du dich revanchieren kannst.“ „Ich werde alles versuchen, um Ihnen zu helfen.“ „Das erwarte ich von dir“, sagte Bernd und schob den Hörer in die Halterung zurück. Zehn Minuten später traf er zu Hause ein. Er lenkte den Mercedes in die

Kurfürstenstraße und dann in den Parkstreifen vor der alten Ladenzeile, in der er seine Detektei untergebracht hatte. Franziska saß nicht an ihrem Schreibtisch. Bernd hörte sich an, was sich auf dem Band des automatischen Anrufbeantworters befand. Es war nichts von Bedeutung. Er zog eine Roth Händle aus der Packung und zündete sie sich an. In dem Moment läutete das Telefon. Bernd griff nach dem Hörer und meldete sich. Am anderen Ende war Silvio Benestoni. Bernd grinste. Sein Besuch schien großen Eindruck auf den Bordellkönig gemacht zu haben. „Was gibt‘s denn, Silvio?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Wahrscheinlich denken Sie jetzt, Sie hätten mich irgendwie eingeschüchtert“, brummte Benestoni. „Unwichtig, was ich denke, Silvio“, erwiderte Bernd. „Ich habe herumgefragt.“ „Freut mich, dass du das für mich getan hast.“ „Ich hab‘s nicht für Sie getan“, stellte Benestoni richtig, „sondern für mich. Weil mich auch interessiert, wer Stephan Kranz umgelegt hat – und warum.“ „Wie auch immer, was ist dabei herausgekommen?“, wollte Bernd Schuster wissen. „Kranz hat Werner Zobel reingelegt.“ „Wer ist Werner Zobel?“, fragte Bernd. „Der Mann, auf den die Beschreibung t, die Sie mir vom Täter gegeben haben. Ein kaltschnäuziger Profikiller.“ „Der nicht einmal davor zurückschreckt, sich den Zorn Sven Habermanns zuzuziehen“, meinte Bernd. „Was hat ihm Kranz angetan, Silvio?“ „Angeblich erledigte Zobel für ihn einen Auftrag, und er bezahlte hinterher nur die Hälfte des vereinbarten Betrags. Er hätte wissen müssen, dass er so etwas mit Zobel nicht tun konnte, aber er baute auf seine Freundschaft mit Habermann.“

„Die ihm aber nichts nützte.“ „Richtig. Zobel hat jetzt Habermanns Killer im Nacken“, berichtete Silvio Benestoni. „Aber noch haben die ihn nicht, denn Zobel tauchte nach dem Mord an Kranz sofort unter.“ „Wo?“ „Keine Ahnung.“ „Wissen es Habermanns Leute?“ „Auch noch nicht.“ „Sieh zu, dass du es vor ihnen herausfindest“, sagte Bernd. „Hören Sie, was erwarten Sie von mir?“, begehrte der Bordellkönig ärgerlich auf. „Dass ich zaubere?“ „Du willst doch, dass ich dir einigermaßen gewogen bleibe, Silvio.“ „Ich kann keine Wunder vollbringen, Schuster.“ „Aber ja. Du schaffst das schon. Ich scheine mehr Vertrauen zu dir zu haben als du selbst“, erwiderte Bernd und legte auf. Benestonis Anruf war äußerst informativ gewesen. Das Tatmotiv und der Name des Mörders waren nunmehr bekannt. Folglich hatte Inspektor Südermann keinen Grund mehr, Tobias Krahe festzuhalten. Bernd rief den Freund sogleich an, um ihm brühwarm mitzuteilen, was er soeben erfahren hatte. Horst bedankte sich für die Neuigkeit. „Setzt du Krahe nun auf freien Fuß?“, wollte Bernd wissen. „Nein“, antwortete der Inspektor knapp. „Hör mal, wir kennen nun den wahren Mörder“, sagte Bernd leicht verstimmt. „Behaupten kann man vieles. Ich kann Krahe erst laufen lassen, wenn es auch bewiesen ist“, entgegnete Horst.

„Zobel ist ein Profikiller. Er hatte einen triftigen Grund, Kranz umzubringen. Krahe hatte keinen Grund dazu. Das sollte doch reichen.“ „Ich werde Krahe nach Hause schicken, sobald ich Zobel habe und mir ein Geständnis vorliegt.“ „Und was tust du, wenn Zobel nicht gesteht? Sperrst du sie dann beide ein?“, fragte Bernd ärgerlich. „Weil doppelt besser hält?“ „Tu mir den Gefallen und versuch mir nicht immer in meine Arbeit reinzureden, Bernd“, sagte der Inspektor schroff. „Ich weiß selbst, was ich zu tun habe.“ „Anscheinend nicht“, knurrte Bernd Schuster und warf den Hörer in die Gabel. Er musste Zobel finden, und zwar vor Sven Habermanns Killern, sonst konnte dieser Tobias Krahe mit seinem Geständnis nicht mehr entlasten. Aber wie – verdammt noch mal, wie – sollte er dieses Kunststück fertigbringen?

6

Fritz Kamrath trug mit beiden Händen eine große Einkaufstüte aus braunem Packpapier. Er war kaum imstande, über die Tüte hinwegzublicken. Vorsichtig stieg er die Stufen zum Souterrain hinunter. Umständlich schloss er die Tür auf und trat ein. Ein brutaler Stoß warf ihn gegen die Wand. Er stieß einen erschrockenen Schrei aus. Die Einkaufstüte entfiel seinen Händen. Die Frischeier, die sich darin befanden, gingen ebenso zu Bruch wie die Flasche mit der Kaffee-Sahne. Auf dem Boden bildete sich eine Lache. „Nun sieh dir diese Schweinerei an“, sagte Wendler grinsend zu Grothe, der den Makler gestoßen hatte. „Stellst du deine Einkaufstüten immer so temperamentvoll ab, Fritz?“ Kamrath lehnte zitternd an der Wand. Die Angst schnürte seine Kehle zu. Er befürchtete, dass ihn die beiden Killer wieder schlagen würden. „Wie geht‘s deiner Nase?“, erkundigte sich Wendler. „Alles wieder in Ordnung mit dem Riechkolben?“ Kamrath schwieg. „Du redest wohl nicht mit jedem, he?“, fuhr ihn Wendler an. „Müssen mein Freund und ich annehmen, dass wir hier nicht willkommen sind?“ Kamrath brach der Schweiß aus allen Poren. Er wollte nicht schon wieder verdroschen werden. „Sag mal, wolltest du uns nicht anrufen?“, fragte Grothe und stach mit seinem Zeigefinger gegen Kamraths Brust. „Vielleicht konnte er unsere Telefonnummer nicht finden“, bemerkte Hans Wendler. „Die Nummer von guten Freunden kann man nicht verlegen“, stellte Peter

Grothe fest, „die hat man nämlich im Kopf. Oder sind wir etwa nicht deine Freunde, Fritz?“ Kamrath leckte sich furchtsam die Lippen. Er dachte daran zu fliehen, aber weit wäre er wohl nicht gekommen. „Sagten wir nicht, wir würden wiederkommen, um dich kräftiger anzuspornen, wenn du uns nicht mitteilst, wo dein Freund Zobel steckt?“, fragte Wendler drohend. Kamrath schluckte schwer. Er rechnete damit, dass sie ihn wieder schlagen würden, und er sah keine Möglichkeit, das zu verhindern. „Ich ... ich habe alles versucht, um Werner zu finden“, beteuerte er mit weinerlicher Stimme. „Jeden, den ich kenne und der Werner kennt, habe ich gefragt, ehrlich.“ „Aber du hattest kein Glück“, sagte Wendler. „Bis jetzt noch nicht“, gab Kamrath zu. Wendler schüttelte den Kopf. „Mann, das ist nicht gut für dich, das ist verdammt nicht gut für dich. Habermann sitzt uns im Nacken. Unsere ganze Hoffnung hängt an dir. Wenn du Zobel für uns nicht auftreibst, macht der Boss uns zur Minna. Weißt du, was ich denke? Dass du dich für uns nicht eifrig genug eingesetzt hast!“ Kamrath schüttelte heftig den Kopf. „Das ist nicht wahr! Ich schwöre euch, ich ließ nichts unversucht.“ Grothe packte ihn an den Rockaufschlägen. Er riss ihn von der Wand weg, drehte sich rasant mit ihm und schleuderte ihn gegen den Kleiderschrank. „Denkst du, wir lassen uns von dir verschaukeln?“, blaffte er. „Nicht schlagen!“, schrie Kamrath verzweifelt. „Nicht schon wieder schlagen! Ich finde Zobel für euch. Ganz bestimmt. Ihr müsst mir nur etwas mehr Zeit lassen.“ „Wir haben keine Zeit“, sagte Grothe.

„Wie lange?“, fragte Wendler. „Vielleicht schaffe ich es bis heute Abend“, keuchte Kamrath nervös. „Das ... das ist doch nicht zu lange, oder?“ „Okay, Fritz“, entschied Hans Wendler. „Wir verlängern die Frist bis heute Abend. Solltest du bis dahin immer noch mit keiner brauchbaren Information aufwarten können, kannst du dein Testament machen. Verstanden?“ „Ja“, beeilte sich Kamrath zu sagen. „Ja.“ Die Verbrecher gingen, und Fritz Kamrath war heilfroh, dass dieser Besuch für ihn so glimpflich abgegangen war. Aufgeregt stürzte er sich auf das Telefon und rief eine Menge Leute an, doch es hatte sich noch nichts geändert. Nach wie vor konnte ihm niemand sagen, wo Werner Zobel untergekrochen war. Die Erfolglosigkeit machte ihn beinahe hysterisch, denn die Zeit schritt unbarmherzig fort, und am Abend würden Wendler und Grothe wiederkommen. Kamrath schlug mit den Fäusten verzweifelt auf die Wand und schrie: „Verdammt noch mal, wo steckst du, Werner Zobel?“

7

„Mist!“, kam es vom Band des automatischen Anrufbeantworters. Der Mann nannte seinen Namen nicht. „Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, mit diesen Dingern zu reden. Na schön, ich versuch‘s mal. Also ... Mir kam zu Ohren, dass Sie einen Kerl mit Goldzahn und Hakennase suchen, Schuster. Kennen Sie die ‚Black Cat Bar‘? Ich würde mich an Ihrer Stelle da mal umsehen.“ Es klickte. Der Anrufer hatte aufgelegt. Bernd Schuster betrachtete eine Roth Händle rauchend den Apparat. Er spulte das Band zurück und hörte sich den Anruf noch einmal an. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf die Stimme. Wer war das? Hatte er mit diesem Mann schon einmal zu tun gehabt? So sehr sich Bernd Schuster auch bemühte, darauf zu kommen, wer der Anrufer war, er konnte das Rätsel nicht lösen. Die „Black Cat Bar“ kannte er. Das war eine ziemlich üble Spelunke. Da er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, jedem Tipp nachzugehen, machte er sich sofort auf die Socken. Vielleicht hatte er Glück. Nur Emsigkeit wird belohnt. Exakt neun Minuten, nachdem er das Band abgehört hatte, stieg Bernd Schuster in der Wartenburgstraße aus dem Mercedes. Er war neugierig, was ihn in der „Black Cat Bar“ erwartete. Es hätte ihn gefreut, wenn es ihm gelungen wäre, Kranz‘ Mörder zu schnappen, denn dann hätte Horst Südermann keine Veranlassung mehr gehabt, Tobias Krahe weiterhin festzuhalten. Bernd stieg aus. Der Wind blies ihm mehligen Staub aus der Gosse entgegen. Triste Gebäudefassaden umgaben ihn. Bernd Schuster begab sich zu dem etwa hundert Meter entfernten Bareingang. Ein betrunkener Jüngling, vielleicht Anfang der Zwanzig, lehnte daneben. Vor ihm stand seine weibliche Begleitung, vermutlich knapp 18, im ledernen

Minirock. „Musst du immer so viel trinken, Erich?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Lass mich in Ruhe!“, erwiderte der Junge mit schwerer Zunge. Sein Kopf hing tief nach unten. „Spar dir dein blödes Gerede. Verschwinde. Ich will dich nicht mehr sehen.“ „Kann ich helfen?“, fragte Bernd Schuster. Das Mädchen wandte sich zu ihm um. Sie konnte nicht älter als achtzehn sein. Ihre Augen waren dunkelbraun, die Nase klein, der Mund sinnlich. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir helfen würden, ihn zu meinem Wagen zu bringen“, sagte sie. „Ist doch selbstverständlich“, sagte Bernd hilfsbereit. Er trat auf den Jungen zu. „Weg!“, bellte der Betrunkene. „Fass mich nicht an! Ich schlag‘ dir die Zähne ein, wenn du mich ...“ Bernd kümmerte sich nicht um die Proteste. Er packte den Arm des Jungen, legte ihn sich über den Nacken und stemmte den Betrunkenen hoch. „Loslassen!“, lallte der Junge. „Du Dreckskerl hast kein Recht ...“ „Aber Erich, der Herr hilft uns doch nur“, sagte das Mädchen. „Ich brauche keine Hilfe. Ich komme allein zurecht. Ich will nicht in deinen Wagen steigen. Ich will mit dir überhaupt nichts mehr zu tun haben, du Schlampe.“ Das Mädchen seufzte. „Er denkt, ich hätte ihn betrogen.“ „Er denkt nicht nur, er weiß es!“, meldete sich der Betrunkene gleich wieder zu Wort. „Hans hat es mir gesagt.“ „Hans lügt. Du weißt doch, dass er mich nicht mag, und dass er uns beide um jeden Preis auseinanderbringen möchte. Du darfst Hans doch kein Wort glauben.“

„Hans ist mein Freund.“ „Der sich darüber ärgert, dass du für mich mehr Zeit erübrigst als für ihn“, sagte das Mädchen, während Bernd Schuster den Betrunkenen neben ihr herschleppte. Sie blieb vor einem rostzerfressenen VW-Käfer stehen, schloss die Tür auf der Beifahrerseite auf, und Bernd Schuster schubste Erich auf den Sitz. Er warf die Tür zu, ehe Erich wieder aussteigen konnte. Schimpfend und fluchend suchte der Betrunkene nach dem Türöffner, konnte ihn in seinem Rausch jedoch nicht finden. „Vielen Dank, Herr“, sagte das Mädchen. „Sie waren mir eine große Hilfe.“ „Nicht der Rede wert. Wohin fahren Sie mit ihm?“ „Zu mir nach Hause.“ „Wird nicht leicht sein, ihn aus dem Wagen zu kriegen.“ „Mein Bruder wird mir dabei helfen. Nochmals vielen Dank.“ „Keine Ursache“, sagte Bernd. Das Mädchen blickte in Erichs Richtung. „Morgen tut es ihm garantiert leid.“ „Ich würde ihn ein bisschen dursten lassen“, sagte Bernd lächelnd. „Das mache ich, darauf können Sie sich verlassen.“ Sie setzte sich in das Fahrzeug und fuhr los. Bernd kehrte zum Eingang der „Black Cat Bar“ zurück. Ein brummender Ventilator blies ihm schlechte Luft ins Gesicht. Er betrat das Lokal. Durch die rote Beleuchtung bekam alles ein unwirkliches Aussehen. Selbst Bernd kam sich fremd vor, als er sein Gesicht in einem Wandspiegel entdeckte. Aus großen Lautsprechern drangen träge Bluesklänge. An der hufeisenförmigen Bar saßen Mädchen, deren Beruf es war, einsamen Männern Gesellschaft zu leisten. Als Bernd stehenblieb, um nach dem Mann Ausschau zu halten, hinter dem er her war, wurde das missverstanden. Eine brünette Vollbusige mit

verlebten Zügen machte ihm freundlich lächelnd ein Angebot, das er ebenso freundlich lächelnd ablehnte. Ein vierschrötiger Kerl sah es und stänkerte: „Hat er dich abblitzen lassen?“ Bernd erkannte sofort, dass der Bursche auf Streit aus war. Er beachtete ihn nicht und begab sich zum Tresen. Auch die Brünette kümmerte sich nicht um den Stänkerer, der sich nun langsam erhob und mit aufreizendem Gang durch das Lokal stolzierte. Bernd bestellte sich einen Weinbrand. Als er nach dem Glas greifen wollte, legte sich die Pranke des Vierschrötigen auf seinen Arm. Bernd sah ihm kalt in die kleinen Augen. „Du hast sie beleidigt!“, knurrte der Vierschrötige. „Tatsächlich? Den Eindruck hatte ich nicht“, erwiderte Bernd Schuster. „Ich weiß das besser“, knurrte der Stänkerer. „Okay, ich werde mich bei ihr entschuldigen. Zufrieden?“, fragte Bernd, der den Streit vermeiden wollte. „Ich mag sie sehr. Wer sie beleidigt, der beleidigt auch mich. Als Buße bezahlst du eine Flasche Jonny Walker, Black Label.“ Bernd sah ein, dass er dem Ärger nicht aus dem Weg gehen konnte. Deshalb sagte er ganz ruhig: „Wenn du deine Hand nicht wegnimmst, breche ich dir den Arm!“ Der Vierschrötige glaubte, sich verhört zu haben. Er brauchte einige Sekunden, bis durch sein Gehirn sickerte, dass Bernd tatsächlich eine solche Drohung ausgesprochen hatte. Seine erste Reaktion darauf war, dass er die Hand zurückzog. Dann aber schlug er zu. Bernd Schuster hatte damit gerechnet. Er wich blitzschnell aus. Die Faust des Vierschrötigen donnerte gegen die Holzvertäfelung des Tresens. Er schrie auf. Bernd schlug den Arm des Gegners nach unten und kam mit einer Geraden ins Ziel.

Der Stänkerer torkelte zurück, landete auf einem leeren Tisch und riss ihn um. Bernd wartete breitbeinig auf den nächsten Angriff des Kerls, der sich benommen hochkämpfte. Drei, vier Gäste nahmen sich des Vierschrötigen an. Sie drängten ihn ab und bugsierten ihn aus der Bar. Bernd war das recht. Er entspannte sich und wandte sich wieder seinem Weinbrand zu, der im Übrigen von miserabler Qualität war. Bernd bedauerte, sich kein Bier bestellt zu haben. Während er daran unlustig nippte, fiel ihm der Mann auf, den der Anrufer, dessen Stimme sich auf Bernds Tonband befand, gemeint haben musste. Der Typ mit der Hakennase war aus dem Hinterzimmer gekommen. „Augenblick!“, sagte Bernd Schuster und begab sich mit dem Glas in der Hand zu ihm. Der andere sah Bernd irritiert an. Bernd Schuster zückte eine Visitenkarte und hielt sie dem Mann hin. „Schuster, Bernd Schuster, Privatdetektiv“, sagte er. „Mann, Sie waren mir schon beinahe sympathisch, weil Sie dem alten Sack was aufs Maul gegeben haben, und nun muss ich erfahren, dass Sie‘n mieser Schnüffler sind“, sagte der Bursche mit der Hakennase enttäuscht. „Tja, das Leben ist voll unangenehmer Überraschungen“, erwiderte Bernd und grinste. „Darf ich fragen, wie Sie heißen?“ „Darf ich fragen, wieso Sie das interessiert?“, fragte der andere zurück. Bernd sagte es ihm unumwunden. Er sprach vom Mord an Kranz und davon, dass die Täterbeschreibung auf sein Gegenüber te. „Ich heiße Thilo Mannig“, knurrte der Mann. „Und ich habe noch nie einen Menschen umgebracht, Herr Schuster! Was soll dieser verdammte Verdacht? Wer hat Sie hierhergeschickt?“ Bernd nannte Tag und Stunde des Verbrechens und fragte Mannig, ob er für diese Zeit ein Alibi habe. Thilo Mannig starrte Bernd Schuster wütend an. „Zum Teufel, ich hätte es nicht nötig, Ihnen zu beweisen, dass ich unschuldig bin! Ich würde Ihnen viel lieber

einen Kinnhaken geben ...“ „Ich tu‘ nichts weiter als meinen Job, Herr Mannig“, verteidigte sich Bernd Schuster. „Ein Unschuldiger sitzt wegen Mordes. Deshalb frage ich Sie noch einmal: Wo waren Sie zur fraglichen Zeit?“ „Ich war hier!“, behauptete Thilo Mannig, dessen richtiger Name möglicherweise Werner Zobel war. „Wer kann das bezeugen?“ „Die Mädchen. Der Wirt.“ Mannig nannte außerdem noch die Namen von drei Gästen, die er im Lokal entdeckte. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mir Ihre Aussage bestätigen lasse“, sagte Bernd Schuster. „Nur zu“, erwiderte Mannig, begab sich zum Tresen und verlangte einen dreistöckigen Wodka. Bernd machte die Runde. Unabhängig voneinander sagten alle, die Thilo Mannig genannt hatte, er wäre zur fraglichen Zeit hier gewesen. Bernd machte es sich dennoch nicht so leicht, das auf Anhieb zu schlucken. Mannig konnte die Leute nach der Tat präpariert haben. Er glaubte dem Mann erst, als er zum Tresen zurückkehrte, und dieser ihn angrinste. Er sah nun, dass es sich bei Mannigs Goldzahn nicht um einen Augen, sondern um einen Schneidezahn handelte. Seufzend entschuldigte er sich, und als er seinen Bourbon bezahlte, bezahlte er Mannigs Wodka mit. Wieder eine falsche Spur, dachte Bernd Schuster, als er die „Black Cat Bar“ verließ.

8

Der Mörder streckte seine Fühler nur ganz vorsichtig aus. Und er erfuhr dabei eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass es Grothe und Wendler waren, die von Habermann den Auftrag erhalten hatten, ihn zu killen, und die ihn seither mit zäher Verbissenheit suchten. Ihm kam aber auch zu Ohren, dass Bernd Schuster und dessen Assistentin Franziska Jahn alle Anstrengungen unternahmen, um seiner habhaft zu werden. Besonders rührig tat sich bei dieser Suche auch ein Junge namens Karsten Sattler hervor. Angeblich war er das Bernd Schuster aus irgendeinem Grund schuldig. Und Karsten Sattler war der erste, der es schaffte, die Spur des Mörders bis zu Britta Debner zu verfolgen. Britta hatte sich sehr schnell daran gewöhnt, dass Zobel bei ihr wohnte. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass sie ihn vor die Tür setzte, so viel Mut hatte sie nicht, und sie wagte es bestimmt auch nicht, ihn zu verpfeifen. Kummer bereitete Zobel nur dieser vorwitzige Karsten Sattler. Und natürlich Bernd Schuster. Die Entwicklung der Ereignisse versetzten Werner Zobel in Zugzwang. Er musste sich Schuster vom Hals schaffen, und er wusste auch schon, wie. Obwohl es für ihn nicht ungefährlich war, Brittas kleine Wohnung zu verlassen, wagte er sich auf die Straße. Die Stadt war durchsetzt von Habermanns Spitzeln und Zuträgern. Wenn einer von diesen sich an seine Fersen heftete, konnte es für ihn kritisch werden. Deshalb hielt er die Augen offen und war ständig auf der Hut. Er fuhr mit der U-Bahn, mit dem Bus und mit dem Taxi. Er baute immer wieder Sicherungen ein, die es einem Verfolger unmöglich machen sollten, unbemerkt zu bleiben. So gelangte er in die Pallasstraße, und als Karsten Sattler abgelöst wurde, folgte er ihm. Beim Heinrich-von Kleist-Park holte der Killer Bernd Schusters V-Mann ein. Zobel zückte sein Springmesser.

Als er es aufschnappen ließ, fuhr der Junge erschrocken herum. Er sah den Killer, sah das Messer, wurde blass und ergriff die Flucht. Wie von Furien gehetzt jagte er über die Wiese, durch Blumenbeete und Büsche. Doch er vermochte den Verfolger nicht abzuschütteln. Zobel stellte ihm ein Bein. Karsten schlug lang hin. Ein heiserer Schrei entrang sich seiner Kehle. Er rollte auf dem Boden herum, wollte aufspringen und die Flucht fortsetzen. Doch da war Zobel bereits über ihm und setzte ihm die Messerspitze an die Kehle. „Friedlich! Ganz friedlich, sonst stoße ich zu!“, zischte der Killer. Karsten Sattler regte sich nicht. Nur sein Brustkorb hob und senkte sich rasch und seine Lider zuckten. „Du hast dich verdammt eifrig bemüht, mich zu finden!“, sagte Zobel. „Bist ein aufgewecktes Bürschchen. Ein bisschen zu aufgeweckt, möchte ich sagen. Aber deine Rührigkeit blieb nicht unbemerkt, wie du siehst. Kennt Schuster mein Versteck schon?“ „Nein. Ich konnte ihn noch nicht erreichen.“ „Das freut mich. Steh auf!“ „Was haben Sie vor?“ „Hängst du an deinem Leben?“ „Klar.“ „Dann stell keine unnötigen Fragen und tu nur, was ich dir sage! Schuster hat dich angespitzt, mich zu suchen. Okay, du hast mich gefunden, und nun wirst du dem Schnüffler das mitteilen. Allerdings ein wenig verfälscht. Wir wollen schließlich nicht, dass Bernd Schuster mich wirklich in die Pfanne haut, nicht wahr?“ Karsten Sattler stand auf. Er dachte sofort wieder an Flucht. Zobel sah es ihm an und schüttelte drohend den Kopf. „Sobald du losrennst, mache ich dich kalt, ist das klar?“

Der Killer führte den Jungen durch den Park. Sie betraten zusammen eine Telefonzelle, und Werner Zobel erklärte Karsten Sattler, was er zu sagen hatte. „Solltest du davon auch nur mit einer Silbe abweichen, bist du dran!“, warnte der Killer den jungen Mann. Er nahm den Hörer ab und reichte ihn Karsten Sattler. Dann warf er eine Münze ein und verlangte: „Wähl Schusters Nummer!“ Karsten zuckte zusammen, als Zobel ihm das Messer zwischen die Schulterblätter setzte. Wenn der Killer jetzt zustach, traf die Messerspitze haargenau das Herz. Hoffentlich ist Schuster nicht zu Hause, dachte Sattler, während er die Nummer wählte. Am anderen Ende läutete es einmal, zweimal, ein drittes Mal. Karsten Sattler wollte schon erleichtert aufatmen, da meldete sich Franziska Jahn. „Hier ist Karsten Sattler“, sagte der Junge heiser. „Kann ich Herrn Schuster sprechen?“ „Tut mir leid, der Chef ist zurzeit unterwegs“, antwortete die blonde Detektivin. „Kann ich Ihnen helfen?“ Karsten streifte den Mörder mit einem nervösen Blick. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er wollte das, was ihm Zobel aufgetragen hatte, nicht sagen, aber hatte er eine andere Wahl? „Ich habe den Mann gefunden, den Bernd Schuster sucht“, berichtete er schweren Herzens. Zobel hätte ihn umgebracht, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn er es nicht getan hätte. ‚Der Himmel möge mir verzeihen‘, dachte Karsten. „Tatsächlich?“ Es klang wie ein freudiger Aufschrei. „Wo versteckt er sich?“ „Ich habe ihn eben angerufen“, fuhr Karsten so fort, wie Zobel es haben wollte, „und so getan, als wollte ich ihn erpressen.“ „Mein Gott, warum das denn?“, fragte Franziska besorgt. „Um ihn in die Falle zu locken“, sagte Karsten Sattler. „Ich erklärte ihm, dass

ich ihn treffen möchte, und er solle zehntausend Mark mitbringen.“ „Ging er darauf ein?“ „Selbstverständlich.“ „Wohin haben Sie ihn bestellt?“, wollte Franziska Jahn wissen. „In ein Lagerhaus nahe der Vorbergstraße. Da gibt es eine Reihe Wohnhä, und zwischen der Nummer 13 und der Nummer 15 ist ein Hofeingang. Dort steht ein Lagerhaus im zweiten Hinterhof.“ „Wird er kommen?“, fragte Franziska gespannt. „Ja.“ „Wann?“ „In einer Stunde, aber ich werde nicht hingehen. Ich dachte, Herr Schuster könnte das Lagerhaus an meiner Stelle aufsuchen.“ „Das wird Bernd bestimmt gern für Sie übernehmen, Karsten. Sie haben die Sache sehr geschickt eingefädelt. Unternehmen Sie aber nun nichts weiter. Überlassen Sie alles Weitere Bernd Schuster.“ „Keine Sorge, ich pfusche ihm nicht ins Handwerk.“ „Welche Nummer hat das Lagerhaus?“ „Siebzehn.“ „Vielen Dank für den Anruf, Karsten. Ich werde die Information so rasch wie möglich an Herrn Schuster weiterleiten. Sie haben uns sehr geholfen.“ Werner Zobel nahm dem Jungen den Hörer aus der Hand. „Das hast du wunderbar gemacht. Die Sekretärin hat die Geschichte gefressen, und Schuster wird den Haken genauso schlucken. Deine Hilfe ist unbezahlbar.“ „Lassen Sie mich jetzt laufen?“, fragte Karsten kleinlaut. Zobel schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Ich möchte kein Risiko eingehen,

verstehst du? Du könntest auf die Idee kommen, das Büro des Schnüfflers noch mal anzurufen, um die ganze Sache rückgängig zu machen.“ „Und wenn ich Ihnen verspreche, das nicht zu tun?“, fragte Karsten Sattler. Er hätte sich niemals an dieses Versprechen gehalten, und Zobel wusste das auch. Der Verbrecher grinste breit. „Sag mal, für wie dumm hältst du mich eigentlich? Glaubst du, ich vertraue dir? Wie sagen die Russen? Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser. Deshalb bleibst du bis auf Weiteres in meiner Nähe, damit ich dich im Auge behalten kann.“ Zobel stieß den Jungen aus der Telefonzelle. Vom Park bis zur Vorbergstraße war es nicht weit. Auf ihrem Weg dorthin begegneten sie mehreren ahnungslosen anten. Zobel trug das offene Messer in der Außentasche seines Jacketts, und er ließ den Jungen nicht darüber im Unklaren, dass es ihm nichts ausmachte, ihn auf offener Straße, vor den Leuten, umzubringen, wenn es sein musste. Karsten Sattler blieb nichts Anderes übrig, als Zobel zu begleiten. Lagerhaus 17 auf dem zweiten Hinterhof war ein alter Kasten, bis unters Dach mit Gerümpel vollgestopft und vermutlich längst in Vergessenheit geraten. Das große Schiebetor war zwar abgeschlossen, doch Werner Zobel bekam es im Handumdrehen auf. Karsten musste eintreten. Zobel folgte ihm, holte aus und schlug mit der Handkante zu. Lautlos brach der Junge zusammen. Zobel betrachtete den Bewusstlosen zufrieden. Die Sache lief wie geschmiert. Nun waren noch schnell einige Vorbereitungen zu treffen, und dann würde Bernd Schuster zur Hölle fahren. Und Karsten Sattler würde er mitnehmen. Das Autotelefon schnarrte. „Ja?“, meldete sich Bernd Schuster. „Endlich“, sagte Franziska Jahn am anderen Ende erleichtert. „Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?“ „Wer will das wissen?“, fragte Bernd schmunzelnd. „Na ich. Wer sonst?“

„Ich habe soeben mit einer schnuckeligen Brünetten geschäkert“, sagte Bernd, um Franziska zu ärgern. „Und ich habe vor fünfundvierzig Minuten mit Karsten Sattler telefoniert“, erwiderte die Detektivin humorlos. „Bernd, die Sache eilt. Wo befindest du dich im Augenblick?“ „Bin noch in Tempelhof unterwegs. Was wollte Karsten?“ „Er hat Stephan Kranz‘ Mörder eine Falle gestellt“, antwortete Franziska und erzählte, was sie von dem jungen V-Mann erfahren hatte. „Ein Prachtbursche!“, sagte Bernd Schuster begeistert. „Ja, aber nun trifft der Mörder in Kürze hier ein, und du bist nicht da.“ Bernds Nackenhärchen stellten sich auf. „Hier? Wieso sagst du hier, Franziska? Wo bist du denn?“ „In der Vorbergstraße, ganz in der Nähe von den Hän mit den Hinterhöfen“, erwiderte sie. „Großer Gott, mach keine Dummheiten. Hattest du etwa vor, dir Werner Zobel allein zu schnappen?“ „Es wäre mir nichts Anderes übriggeblieben, wenn ich dich nicht erreicht hätte“, gab Franziska zurück. Bernds Herz klopfte einige Takte schneller. Er liebte es nicht, Franziska in Gefahr zu wissen, versuchte sie stets vom Schussfeld fernzuhalten, was ihm leider nicht immer gelang. „Hör zu“, sagte er hastig. „Du wartest weit entfernt am Straßenbeginn auf mich. Geh auf keinen Fall allein zu diesem Hinterhof-Lagerhaus. Ich beschwöre dich, zügle deinen Eifer. Werner Zobel ist ein ungemein gefährlicher Bursche. Ich möchte dich nicht verlieren.“ „Werde nicht gleich hysterisch“, erwiderte Franziska ärgerlich. „Gut, ich warte auf dich Ecke Glieditschstraße.“

„Ich fliege, bin sofort da“, versprach Bernd Schuster, schob den Hörer in die Halterung und gab Gas. Vor der U-Bahn-Station ließ er den Mercedes im Halteverbot stehen und eilte um die Ecke in die Vorbergstraße. Franziska lief ihm entgegen. Sie trug einen gesprenkelten Hosenanzug, sehr männlich geschnitten, sah darin aber dennoch ungemein weiblich aus. Bernd ergriff ihre Hand und machte mit ihr gleich wieder kehrt. Als sie den Mercedes erreichten, stand nur drei Fahrzeuge weiter ein Polizist und stellte das erste Strafmandat aus. „Glück gehabt“, sagte Franziska und wies auf den Uniformierten. „Zwei Minuten später hätte er deinen Wagen aufgeschrieben.“ „Hoffentlich hält unsere Glückssträhne noch eine Weile an“, brummte Bernd Schuster und fuhr auf die Hägruppe zu. „Wir könnten es gebrauchen. Wie war die Lagerhausnummer?“ „Zweiter Hinterhof Nummer Siebzehn“, sagte Franziska. Bernd stoppte den Mercedes vor den Wohnhän. Die Stunde, die Karsten Sattler dem Killer eingeräumt hatte, war noch nicht um. „Besser, du bleibst im Wagen sitzen und lässt mich die Arbeit allein machen“, schlug Bernd Schuster vor. „Bernd, das kannst du mir doch nicht antun“, protestierte Franziska. „Werner Zobel ist ein Profikiller.“ „Seine Chancen sinken auf die Hälfte, wenn wir ihn zu zweit in die Zange nehmen.“ „Na schön“, sagte Bernd Schuster. Es hätte zu lange gedauert, Franziska zu überreden, dass es gesünder für sie war, wenn sie hierblieb. „Aber du gehst nicht das geringste Risiko ein. Habe ich dein Wort?“ Franziska nickte. „Du hast es.“ „Dann komm.“

Sie näherten sich dem Hofzugang mit größtmöglicher Vorsicht. Bernd hielt nach einem Wagen Ausschau, entdeckte aber keinen. Dafür fiel ihm auf, dass das Schiebetor des Lagerhauses einen Meter weit offenstand. Wer hatte das Tor geöffnet? Karsten Sattler? Werner Zobel? „Er kann bereits hier sein“, flüsterte Bernd Schuster seiner Assistentin zu und zog sicherheitshalber seine Beretta aus dem Schulterhalfter. Franziska entnahm ihrer Handtasche, die sie an einem langen Trageriemen über ihrer Schulter trug, die Astra-Pistole und entsicherte sie. Franziska war tapfer, und sie hatte im Laufe der Zeit gelernt sich durchzusetzen. Manchmal engagierte sie sich leider ein bisschen zu unbekümmert, denn sie war nicht nur mit dem Hirn, sondern auch stets mit dem Herzen bei der Sache. Sie betraten das Lagerhaus. Bernd Schuster ließ die Stille auf sich einwirken. Waren sie allein? Oder befand sich außer ihnen noch jemand in diesem alten Gebäude? Durch kleine, schmutzstarrende, vergitterte Fenster fiel düsteres Licht herein. Wenn Werner Zobel noch nicht hier war, musste er in Kürze eintreffen. Es war deshalb nötig, dass Franziska und Bernd sich eine Position suchten, die sie dem Killer gegenüber auf Anhieb überlegen machte. Zwischen dem Gerümpel befanden sich finstere Gänge, die Bernd und seine Franziska in großer Eile absuchten. Sie entfernten sich dabei mehr und mehr vom Lagerhaustor, und plötzlich stutzte Bernd Schuster. Sein scharfes Gehör hatte ein Geräusch wahrgenommen. Mit einer blitzschnellen Handbewegung bedeutete er Franziska Jahn, stehenzubleiben und sich ruhig zu verhalten. Wie erstarrt standen sie beide für einen Augenblick. Sie vernahmen ein leises Scharren und ein dumpfes Stöhnen und wechselten einen hastigen Blick, ehe sie in die nächste finstere Gasse hineinglitten. Schussbereit hielten sie ihre Waffen in den Händen. Doch es war nicht nötig, zu feuern. Im Moment wurden sie nicht bedroht, es bestand keine unmittelbare Gefahr. Es stellte sich lediglich heraus, dass sie nicht allein im Lagerhaus waren. Noch

jemand befand sich hier: Karsten Sattler – gefesselt und geknebelt.

9

Werner Zobel war von sich und seinem Plan begeistert. Er hatte die vergangene Stunde gut genutzt. Für Bernd Schusters Ableben war alles vorbereitet. Der lästige Schnüffler, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Stephan Kranz‘ Mörder zu erwischen, brauchte nur noch zu kommen, dann würde er eine böse Überraschung erleben. Was Zobel benötigt hatte, war für einen, der die Branche kannte, leicht aufzutreiben gewesen. Selbstverständlich hatte er es niemals an der nötigen Vorsicht missen lassen, denn im Augenblick konnte er es sich nicht leisten, dass Grothe und Wendler ihn aufspürten. Um die würde er sich bei nächster Gelegenheit kümmern. Der Killer saß auf dem Flachdach des Lagerhauses Nummer 19 und wartete geduldig. Bernd Schusters Höllenfahrt stand kurz bevor. Zobel grinste. Er kannte viele Ganoven, die schon zitterten, wenn sie bloß Schusters Namen hörten. Er hatte keinen Respekt vor diesem Schnüffler. Okay, Bernd Schuster war besser als so mancher andere Detektiv, aber er war kein Supermann. Auch ihn konnte man hereinlegen. Auch er hatte das ewige Leben nicht gepachtet. Zobel war gerade im Begriff, das allen zu beweisen. Er konnte erkennen, wie ein silbergrauer Mercedes an der Hofeinfahrt vorüberrollte. Schusters Wagen. Der Detektiv saß nicht allein in dem Fahrzeug. Er hatte jemanden bei sich. Ein junges hübsches blondes Mädchen. Seine Assistentin. „Schade um sie“, brummte Zobel und zuckte dann mit den Schultern. „Aber da kann man eben nichts machen.“ Es störte ihn nicht sonderlich, dass es eine Leiche mehr geben würde. Menschenleben hatten für ihn keine Bedeutung. Er war stets bestrebt, seine Jobs so gut wie möglich zu erledigen. Ob sie nun bezahlt wurden oder nicht – wie dieser hier. Bernd Schuster und Franziska Jahn begaben sich zu dem Lagerhaus, in dem sie

den Tod finden sollten. Sie traten nicht sofort ein. „Geht nur rein“, murmelte Zobel. „Karsten Sattler befindet sich bereits drinnen. Er wird sich riesig freuen, euch zu sehen.“ Zobel nahm das Funkgerät in die Hand, das neben ihm lag. Es war klein, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, und besaß als einzige Besonderheit einen roten Knopf. Ein Druck darauf, und der entsprechende Impuls ging hinüber in das Lagerhaus, in dem der Killer nach einem ausgeklügelten System mehr als ein Dutzend Brandsprengsätze versteckt hatte. Das Innere des Lagerhauses würde sich in Sekundenschnelle in eine Flammenhölle verwandeln, in ein Krematorium für Franziska Jahn, Karsten Sattler und Bernd Schuster. Zobel versuchte sich vorzustellen, wie Schuster und seine Assistentin im Lagerhaus vorgingen. Hatten sie Sattler schon entdeckt? Fanden sie ihn in diesem Augenblick? Der Mörder ließ noch einige Sekunden verstreichen. Dann drückte er auf den roten Knopf, und er konnte sich darauf verlassen, dass die Sache klappte. Bernd Schuster zog dem jungen V-Mann den lästigen Knebel aus dem Mund und schnitt mit seinem Taschenmesser die Fesseln durch. Karsten Sattler sah den Detektiv verzweifelt an. „Ich wollte es nicht tun, Herr Schuster. Er hat mich dazu gezwungen. Ich hatte keine andere Wahl. Er stand mit dem Springmesser hinter mir und hätte zugestoßen, wenn ich nicht genau das gesagt hätte, was er mir aufgetragen hatte.“ „Du riefst auf seinen Befehl hin an?“ „Ja. Er erwischte mich im Kleist-Park.“ „Dann hast nicht du ihm, sondern er mir eine Falle gestellt“, kombinierte Bernd Schuster.

„Es tut mir schrecklich leid.“ „Vergiss es, Junge. Ich kann verstehen, dass du dein Leben behalten wolltest. Und wenn du es weiterhin behalten möchtest, solltest du mit uns jetzt schnellstens dieses Lagerhaus verlassen.“ Bernd griff nach Karstens Jackett und stellte den Jungen mit einem Ruck auf die Beine. Zu Franziska gewandt, meinte er: „Zobel hat den Spieß umgedreht. Aus dem Gejagten wurde ein Jäger. Wir müssen zusehen, dass der alte Zustand so bald wie möglich wiederhergestellt ist.“ In diesem Augenblick drückte Werner Zobel draußen auf den roten Knopf, und im Lagerhaus brach im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Es gab einen einzigen dumpfen Knall, der gleichzeitig von überall her zu kommen schien. Die Brandsätze gingen hoch. Eine mit schwer löschbarem Phosphor vermengte Flüssigkeit spritzte sternförmig auseinander. Vor allem in der Nähe des Lagerhaustors hatte der Killer die Brandsätze so raffiniert dicht gestaffelt, dass den im Gebäude befindlichen Personen dieser Fluchtweg abgeschnitten war. Erschreckend schnell griffen die Flammen um sich. Eine rote Feuerwalze rollte durch das Lagerhaus. „Diese Richtung!“, rief Bernd Schuster und lief dorthin, wo das Feuer noch nicht so gefährlich wütete. Bernd musste sich eingestehen, dass der Killer den Ort für den Brandanschlag gut gewählt hatte. Hier waren viele leere Holzpaletten und altes Bauholz gestapelt. Bis zum Dach hinauf schlugen die Flammen, und schwere dunkelgraue Rauchschwaden rollten auf Bernd Schuster und die anderen zu. Der beißende Rauch ließ ihre Augen tränen, reizte ihre Kehle und zwang sie zu anhaltendem Husten. Brennende Holzkisten stürzten krachend um und versperrten Bernd den Weg. Funken schossen ihnen entgegen. Bernd änderte die Richtung. Im Lagerhaus herrschte ein Knacken und Prasseln, und das Feuer fraß den Menschen gierig den Sauerstoff weg. Die Hitze nahm zu. Auf Bernd Schusters Gesicht glänzte der Schweiß. Er sprang

über brennende Hindernisse, wartete, bis ihm Franziska und Karsten gefolgt waren, eilte dann weiter, suchte verbissen nach einem Ausweg aus dieser Hölle. Franziska Jahn blieb dicht hinter ihm. „Das hat er sich clever ausgedacht!“, stieß Bernd Schuster wütend hervor. „Er will uns erledigen, ohne dabei selbst etwas zu riskieren.“ „Und es hat den Anschein, als würde ihm das auch gelingen“, sagte Franziska realistisch. Auch sie keuchte. Das blonde Haar klebte wirr in ihrem Gesicht. Eine Feuerfaust raste Bernd Schuster in diesem Moment aus einer düsteren Lagerstraße entgegen. „Bernd!“, schrie Franziska entsetzt. Der Detektiv sprang zur Seite. Er riss seine Assistentin mit. Alles ging so schnell, dass sich Bernd nicht auch noch um Karsten Sattler kümmern konnte. Die Zeit reichte einfach nicht. Die Flammenfaust traf den jungen V-Mann und stieß ihn weit zurück. Die Hitze nahm Karsten den Atem. Er war nicht einmal in der Lage, erschrocken aufzuschreien. Bernd sah es. „Oh mein Gott!“, entfuhr es ihm. „Karsten!“, brüllte er, doch der Junge antwortete nicht. Als Franziska sah, was Bernd Schuster vorhatte, wollte sie ihn zurückhalten. „Tu das nicht, Bernd!“ „Ich muss dem Jungen helfen!“ „Du kommst in den Flammen um. Wahrscheinlich ist Karsten schon tot.“ „Das ist nicht sicher“, keuchte der Detektiv und riss sich von ihr los. Franziskas Nerven spannten sich bis zum Zerreißen. Sie biss sich die Unterlippe blutig. „Bernd“, krächzte sie, während Bernd Schuster hinter hoch auflodernden Flammensäulen verschwand.

Bernd kämpfte sich zornig durch Hitze und Rauch. Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Er würde erst zu kämpfen aufhören, wenn ihn das Feuer gefressen hatte, und keine Sekunde früher. Die züngelnden Flammen versengten sein Haar und leckten über seinen Anzug, während er mit schützend vor das Gesicht gehaltenen Armen über Hindernisse, die er nicht sehen konnte, vorwärtsstolperte. „Karsten!“, schrie er in das flammende Inferno hinein, doch der Junge reagierte nicht darauf. Um Bernd Schuster herum polterte und krachte es. Das brennende Chaos breitete sich im ganzen Lagerhaus aus. Der Lebensraum für Menschen schrumpfte erschreckend rasch zusammen. Bald würde sich der Feuerring vollends geschlossen haben. Dann hatte Werner Zobel sein gestecktes Ziel erreicht. Und es hatte ihn nicht einmal viel Mühe gekostet. Bernd drohte in der sengenden Hitze die Orientierung zu verlieren. Ein dunkler Fleck auf dem Boden. Ein Mensch vielleicht! Bernd Schuster hastete darauf zu. Es war Karsten. Etwas Brennendes lag auf dem Körper. Bernd trat es zur Seite. Er bückte sich, um Karsten aufzuheben. Da krachte ihm etwas ins Kreuz und warf ihn neben Sattler auf die Knie. Flammen fielen rings um ihn zu Boden, während ein glühender Schmerz durch sein Rückgrat tobte. Bernd biss die Zähne zusammen. Seine Schweißtropfen fielen auf Karstens Gesicht. Der Detektiv packte den Jungen, stand auf und schleifte ihn hustend mit sich. Das Feuer schien Karsten nicht hergeben zu wollen. Immer wieder griff es mit langen Flammenfingern nach Karsten, um den Bernd Schuster erbittert kämpfte. Bernd wusste nicht, ob er einen Toten mit sich schleppte. Er wusste nur, dass er Karsten Sattler dem Feuer nicht kampflos überlassen wollte.

Der Brand zerstörte hinter Bernd Schuster einen Kartonstapel und brachte ihn zum Einsturz. Bernd konnte nicht mehr weiter, und als jenseits der Flammenmauer Franziska Jahn aufschrie, drohte der Detektiv die Nerven zu verlieren.

10

Werner Zobel steckte das kleine Funkgerät ein. Drüben im Lagerhaus waren die Brandsätze hochgegangen. Der Killer brauchte sich um nichts mehr zu kümmern. Alles andere würde das Feuer für ihn erledigen. Er tippte sich grinsend an die Stirn. „Hier muss man es haben, Bernd Schuster! Alle Gegner sind nicht gleich. An einem musstest du ja mal scheitern. Niemand hat immer nur Glück. Dein Konto hast du ohnedies schon weit überzogen.“ Zobel blieb noch auf dem Flachdach sitzen. Er wollte den Anfang des verheerenden Brandes mitbekommen. Erst wenn die Flammen weithin sichtbar aus dem Lagerhaus schlugen, wollte er sich absetzen, denn dann würde in Kürze die Feuerwehr eintreffen. Hinter den kleinen vergitterten Lagerhausfenstern zeigte sich ein rötliches Leuchten, und bald züngelten beim Tor die ersten Flammen heraus. Zobel malte sich aus, wie Bernd Schuster mit seiner Assistentin und dem VMann durch das Feuermeer hetzte. Sie suchten verzweifelt nach einem Ausweg, aber es gab keinen. Es brannte an allen Ecken und Enden, und die Flammen fanden in dem Papier, den Kartons und den alten Brettern und Kisten reichlich Nahrung. Die Hitze brachte Fensterscheiben zum Bersten. Feuer schlug nun schon an vielen Stellen aus dem Lagerhaus. Der Killer genoss das brennende Schauspiel. Die von ihm effektvoll inszenierten Feuerspiele faszinierten ihn. Er erhob sich ohne Eile. ‚Bernd Schuster kannst du vergessen‘, sagte er sich. ‚Der ist von nun an keine Gefahr mehr für dich, und es war eigentlich kinderleicht, mit ihm fertigzuwerden. Komisch, dass es noch keiner vor dir geschafft hat‘. Zobel verließ seinen Beobachtungsposten. Wer stand als nächstes auf seiner Liste? Peter Grothe und Hans Wendler. Er

würde versuchen, Sven Habermanns Killern in den Rücken zu fallen, und wenn er die beiden erledigt hatte – er zweifelte nicht daran, dass ihm auch das gelingen würde – würde er mit Habermann über einen Waffenstillstand reden. Der Gangsterboss würde einsehen müssen, dass es besser war, ihn, Zobel, in Ruhe zu lassen. Rang sich Habermann aber nicht zu dieser Einsicht durch, so würde Zobel auch ihn eiskalt auf seine schwarze Liste setzen.

11

Franziskas Schrei ging Bernd Schuster schmerzhaft unter die Haut. Er musste zu ihr. Aber er konnte Karsten Sattler nicht einfach hier liegenlassen. Atemlos zerrte er den Regungslosen mit sich. Er suchte nach einer Schwachstelle in der hochlodernden Flammenmauer, wo er durchbrechen konnte. Als er eine solche Stelle gefunden zu haben glaubte, wuchtete er sich hindurch, ohne zu wissen, wie es jenseits der Mauer aussah. Karsten riss er mit. Hitze umfing ihn und wollte ihn ersticken. Sie drückte ihn schwer nieder. Er kämpfte verbissen um jeden Zentimeter, und plötzlich klang der Boden unter seinen Füßen seltsam hohl. Blech. Etwa zwei Meter im Quadrat. Bernd bückte sich, ertastete einen eisernen Griff, der im Blech versenkt war, und riss die Abdeckung hoch. Steinstufen. Sie führten steil nach unten. Irgendwohin. Vielleicht zur Kanalisation hinunter. Unter Umständen war das die Rettung. Bernd überlegte nicht lange. Er musste noch Franziska holen. Rasch trug er Karsten Sattler einige Stufen hinunter, legte den schlaffen Körper ab und kehrte um. „Franziska!“ Das Mädchen meldete sich nicht. Bernds Kopfhaut spannte sich schmerzhaft. Hatte das verdammte Feuer auch Franziska ... Er wagte diesen schrecklichen Gedanken nicht weiterzudenken. Herrgott noch mal, warum hatte er sich nicht durchgesetzt? Warum hatte er nicht darauf bestanden, dass sie im Wagen blieb? „Franziska!“ Sein besorgter Schrei durchdrang die glühende Feuerhölle. „Hier, Bernd! Ich bin hier!“, kam es dünn und verzweifelt zurück. Bernd Schuster startete ohne Rücksicht auf Verluste. Er war jederzeit bereit, für Franziska sein Leben zu geben. Was ihm zustieß, war für ihn zweitrangig, nur Franziska Jahn durfte nichts ieren.

Pfeilschnell jagte er durch das Feuer. Ein Hindernis, das er nicht sah, brachte ihn zu Fall. Er krümmte den Rücken, streckte den rechten Arm vor, neigte den Kopf nach links. Judorolle. Gleich nach dem Abrollen stand Bernd wieder auf den Beinen und hastete weiter. Er sah Franziska, die ihm wie betrunken entgegentaumelte. Bernds Herz krampfte sich zusammen. Mit ausgebreiteten Armen fing er Franziska auf. Das Jackett ihres neuen Hosenanzugs brannte. Bernd riss es ihr vom Leib, warf es fort und kämpfte sich mit ihr zu der offenen Abdeckung zurück. Der immer dichter werdende Rauch machte nicht nur Franziska Jahn, sondern auch Bernd Schuster schwer zu schaffen. Franziskas Beine knickten weg. Sie sackte zusammen. Wenn Bernd sie nicht gehalten hätte, wäre sie umgefallen. „Mach jetzt nicht schlapp, Mädchen!“ „Ich kann nicht mehr, Bernd“, hauchte Franziska. „Nur noch ein kleines Stück!“ „Das Feuer wird uns umbringen ...“ „Ich habe eine Möglichkeit entdeckt!“ Franziska versuchte sich zusammenzureißen, doch es gelang ihr nicht. Sie hatte sich bereits zu sehr verausgabt. Mit einem Seufzer verlor sie das Bewusstsein. Bernd nahm sie auf seine Arme und lief weiter. Beinahe hätte ihn ein umstürzender Kistenstapel erschlagen. Er wich in letzter Sekunde aus, lief einen Bogen und erreichte den offenen Niedergang. Eine furchtbare Wut auf Werner Zobel tobte in ihm. Nun wollte er diesen gewissenlosen Killer mehr denn je haben, und er sagte sich, dass es ihm gelingen würde, den Mann zu stellen. Mit Franziska auf den Armen eilte er die Stufen hinunter. Er legte die Bewusstlose neben Karsten Sattler, stieg noch einmal hoch und schloss hastig die Blechabdeckung. Als er Franziska und Karsten wieder erreichte, setzte sich Franziska benommen auf. „Bernd ...“

„Geht‘s dir einigermaßen?“, erkundigte sich Bernd Schuster besorgt. „Wo sind wir?“ „Erst mal vor dem Feuer in Sicherheit.“ „Das ... war diesmal knapp.“ „Kann man wohl sagen.“ Oben tobte der Brand mit unverminderter Heftigkeit weiter. Ein ständiges Krachen und Bersten. Etwas landete mit schrecklichem Getöse auf dem Abdeckblech. Franziska klammerte sich erschrocken an Bernd, dessen argwöhnischer Blick nach oben gerichtet war. Der Deckel schloss natürlich nicht luftdicht. Durch die Rahmenfugen sickerte anthrazitfarbener Rauch. „Wir müssen weiter hinunter“, sagte Bernd Schuster. „Hier können wir nicht bleiben.“ „Was ist mit Karsten Sattler?“, wollte Franziska Jahn wissen. „Ich hatte noch keine Zeit, ihn mir genauer anzusehen.“ „Aber er lebt doch noch, oder?“ „Ich weiß es nicht, Franziska.“ Sie beugte sich über den Sattler. Ihre Finger legten sich auf seine Halsschlagader. Der Puls war kaum wahrzunehmen, aber Franziska Jahn spürte ihn. „Dem Himmel sei Dank, er lebt noch“, stellte sie erleichtert fest. „Steig vorsichtig die Stufen hinunter“, verlangte Bernd Schuster. „Schau genau, wohin du trittst! Stürz nicht!“ Der Detektiv lud sich Karsten auf die Schulter und folgte seiner Assistentin. „Bernd“, sagte Franziska nach zehn Stufen. Ihre Stimme hallte. „Was ist?“ „Hier geht es nicht weiter.“

Es stimmte, was sie sagte. Die Stufen endeten, und im Boden war ein schweres gusseisernes Gitter eingelassen. Darunter befand sich ein quadratischer finsterer Schacht mit einer rostigen Leiter. Bernd legte seine Last ab und bemühte sich, das Gitter aufzukriegen, doch es saß zu fest, ließ sich keinen Millimeter bewegen. Franziska schaute nach oben. „Wir sind hier unten lebendig begraben, Bernd“, sagte sie leise. Der Detektiv legte seinen Arm um sie. „Mach dir keine Sorgen. Die unmittelbare Gefahr ist gebannt. Bald wird die Feuerwehr eintreffen, den Brand löschen und uns finden.“ „Hoffentlich.“ „Bestimmt. Ich habe nur wegen Karsten Bedenken. Er braucht dringend ärztliche Hilfe. Ihn hat es schlimm erwischt.“ Während der nächsten Minuten versuchte Bernd Schuster den Jungen zu wecken. Es gelang ihm nicht.

*

Löschzüge der Feuerwehr trafen ein, und die routinierten Männer sagten dem Brand den erbarmungslosen Kampf an. Da Phosphor mit im Spiel war, ließ sich mit Wasser allein nichts ausrichten. Starke Schaumkanonen erstickten die Flammen unter einem dicken weißen Teppich. Zwei Stunden später fand man Franziska Jahn, Karsten Sattler und Bernd Schuster. Alle drei wurden in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Bernd und Franziska kamen mit einer Herz-Kreislauf stärkenden Injektion davon. Karsten Sattler musste in die Intensivstation. Bernd verständigte Rosa. Sie traf mit dem Taxi fünfzehn Minuten später ein. Ihre Angst um Karsten ließ erkennen, wie sehr sie den Jungen liebte.

Bernd Schuster trat ihr im Besucherraum des Krankenhauses entgegen. „Wie geht es Karsten?“, fragte Rosa heiser. Ihre Augen waren gerötet. Sie musste auf der Fahrt hierher geweint haben. „Er liegt im Koma, Rosa.“ „Nein!“ Es war ein verzweifelter Aufschrei. „Sie müssen ihm jetzt ganz fest die Daumen drücken“, sagte Bernd ernst. „Karsten! Mein Karsten ...“ „Die Ärzte tun für ihn, was sie können.“ „Er muss durchkommen. Ich brauche ihn. Ich ... ich kann ohne ihn nicht leben!“, rief Rosa gepeinigt. Bernd nickte und gab sich zuversichtlich. Er wäre es gern wirklich gewesen. „Karsten schafft es, Rosa. Der Junge ist zäh. Er bleibt bestimmt nicht auf der Strecke.“ „Ich muss zu ihm!“ „Ich fürchte, das werden die Ärzte jetzt noch nicht zulassen.“ „Ich will bei ihm sein. Er braucht mich.“ „Er ist nicht bei Bewusstsein, Rosa.“ „Aber, wenn er zu sich kommt, soll er mich sehen. Bitte helfen Sie mir, Herr Schuster. Reden Sie mit den Ärzten, damit ich zu ihm darf.“ Bernd warf Franziska einen kurzen Blick zu. Die blonde Detektivin nickte. „Na schön“, meinte Bernd Schuster. „Wir können es ja mal versuchen.“ „Ich mache mich ganz klein“, versprach Rosa. „Niemandem werde ich im Weg sein.“ „Okay“, sagte Bernd Schuster. „Kommen Sie.“

12

Die Ereignisse entwickelten sich anders, als Werner Zobel es vorhersehen konnte, jedoch nicht zu seinem Missfallen. Während er versuchte, unbemerkt an Grothe und Wendler heranzukommen, kam ihm zu Ohren, dass Theo Franzen ihn wegen eines Auslandsauftrags suchte. ‚Ausland‘, dachte der Killer. ‚Auch nicht schlecht‘. Das war eine Lösung, die ihm gefiel. Wenn er irgendwo, weit weg vom Schuss, einen Job erledigte, konnte hier inzwischen ungestört Gras über die anhängige Sache wachsen. Grothe und Wendler würden sich in der Stadt mit der Zeit totlaufen. Sven Habermanns Zorn würde abkühlen, und vielleicht fand Zobel bei seiner Rückkehr schon wieder normalisierte Lebensbedingungen in Berlin vor. Nichts hält ewig an. Auch Habermanns Zorn nicht, sagte sich Zobel. Ausland ist gut, sehr gut sogar. Er rief sogleich Franzen an. „Zobel hier. Sie haben was für mich?“ „Bin ich froh, dass Sie endlich anrufen. Man kommt an den amerikanischen Präsidenten eher ran als an Sie, Zobel.“ „Was können Sie mir anbieten?“ „Einen Job in Rio de Janeiro. Ich dachte schon, ich müsste mich nach jemand anderem umsehen. Wären Sie prinzipiell an einem solchen Auftrag interessiert?“ Zobel träumte mit offenen Augen. Der Zuckerhut. Samba, Macumba. Copacabana, der weltberühmte Strand. Rassige Frauen in knappen Bikinis. Zobel war noch nie dagewesen, aber er hatte Filme gesehen und sich vorgenommen, irgendwann einmal dorthin zu reisen. Die Bewohner von Rio behaupteten, Gott habe an sechs Tagen die Welt erschaffen – und am siebten Tag Rio de Janeiro. Ein Auftrag in Rio war genau das, was sich Werner Zobel schon seit langem wünschte, denn in diesem Fall konnte er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, und die Aufenthaltskosten gingen zu Lasten des Auftraggebers.

„Ja, Franzen“, antwortete der Killer. „Ich bin interessiert.“ „Ich denke, alles Weitere sollten wir nicht am Telefon besprechen.“ „Ganz Ihrer Meinung.“ „Wie wär‘s, wenn Sie in einer Stunde zu mir kommen würden?“ „Zu Ihnen?“ „Ich erwarte Sie in meinem Büro.“ „In Ordnung“, sagte Zobel und hängte ein. Eine Stunde später betrat er Theo Franzens Büro. Irritiert blieb er in der Tür stehen, denn Franzen war nicht allein. Drei Männer befanden sich bei ihm. Zwei von ihnen kannte er: Dennis Groth und Stefan Luckert. Groth war ein mittelgroßer Mann mit schlechten Zähnen. Er besaß eine Menge Mut, war mal Rennfahrer gewesen und galt als Allrounder in der Unterwelt. Nur wenn er zum Zahnarzt gehen sollte, verließ ihn der Mut. Eigenartig, aber so war Dennis Groth. Luckert galt als Edelsteinexperte und Alarmanlagenspezialist. Ein großer Typ mit nichtssagendem Gesicht, langer Nase und fetten Ohrläppchen. Er war seit vielen Jahren im Geschäft. Die Einbrüche, an denen er teilgenommen hatte, waren stets ein voller Erfolg gewesen. ‚Was soll das?‘, fragte sich Zobel. ‚Ich dachte, es ginge um Mord!‘ „Aha, da sind Sie ja, Zobel“, sagte Theo Franzen erfreut und erhob sich, um dem Killer entgegenzugehen und ihn freundlich zu begrüßen. „Treten Sie näher und schließen Sie die Tür.“ „Noch nicht“, brummte Zobel. „Vielleicht gehe ich nämlich gleich wieder.“ „Aber warum denn?“ „Ich habe mit keinem so großen Empfang gerechnet.“ „Ich weiß, Sie arbeiten normalerweise allein. Vielleicht hätte ich am Telefon eine

Andeutung machen sollen, aber ich traue diesen Apparaten, ehrlich gesagt, nicht.“ Franzen reichte ihm die Hand. „Groth und Luckert kennen Sie. Ich brauche Ihnen also nur meinen Freund Dieter Kohne vorzustellen. Dieter, das ist Werner Zobel. Der zuverlässigste Mann, den ich auftreiben kann.“ Kohne begrüßte den Mörder mit Handschlag. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Zobel.“ „Soll ich für Sie arbeiten?“, fragte Zobel. Er hätte sich gern besser ausgekannt. Die Erklärung folgte von Theo Franzen. „Mein Freund lebt seit fünfundzwanzig Jahren in Rio.“ „So? Was tut er denn da?“, wollte Zobel wissen. „Ich bin Korrespondent einiger internationaler Zeitungen“, antwortete Kohne. „Kürzlich zog sich der Edelsteinhändler Altor Perez den Zorn meines Freundes zu“, fuhr Franzen fort. „Womit?“, erkundigte sich Zobel. „Perez – ein reicher, gewissenloser Bursche – nahm Dieter die Frau weg, die er liebte und verehrte. Ihr Name ist Ravenna Luego.“ „Soweit ist mir alles klar“, meinte der Killer, der immer noch glaubte, es ginge um Mord. „Was mich ein wenig irritiert, ist die Anwesenheit dieser beiden Herren.“ Theo Franzen strich beinahe liebevoll über seinen Oberlippenbart. „Einmal im Jahr befinden sich in Perez‘ Tresor Smaragde im Wert von zehn Millionen Mark. Wir möchten die gern haben. Ihre Aufgabe ist es, den Coup abzusichern.“ ‚Zehn Millionen‘, dachte Werner Zobel und pfiff leise durch die Zähne. ‚Teufel, mit kleinen Sachen geben die sich wirklich nicht ab‘. Franzen sagte: „Mein Freund Dieter kriegt – er will nicht mehr haben – fünf Prozent von der Beute. Der Rest wird in vier gleiche Teile geteilt. Haben Sie dagegen etwas einzuwenden, Zobel?“

Der Killer grinste. „Ich müsste verrückt sein, diesen Auftrag abzulehnen.“ Franzen lachte. „Der Ansicht bin ich auch.“ Er forderte Zobel auf, sich zu setzen. „Dieter hat ein paar Dias mitgebracht. Die möchte er Ihnen jetzt gern vorführen, damit Sie eine bessere Vorstellung von Ihrem Auftrag bekommen. Ich muss Sie nur um ein klein wenig Geduld bitten. Die Aufbauten für den Lichtbildervortrag sind schnell erledigt. Wenn sich jemand von Ihnen inzwischen etwas zu trinken nehmen möchte, die Bar steht dort drüben.“ Zobel holte sich einen Klaren. Er war nicht gerade besonders begeistert, mit Groth und Luckert zusammenzuarbeiten, aber für so viel Geld wollte er in den sauren Apfel beißen. Der Killer setzte sich zu den beiden, während Theo Franzen den Projektionsapparat aufstellte. „Hoffentlich gibt‘s keine Kompetenzstreitigkeiten in Rio“, sagte Zobel. „Um es hier gleich klarzustellen: Keiner von euch beiden hat mir was zu sagen.“ Dennis Groth bleckte seine angefaulten Zähne. „Keine Bange. Ich bin nicht scharf darauf, mir deinen Kopf zu zerbrechen.“ „Umso besser.“ „Wir werden uns schon irgendwie zusammenraufen“, meinte Luckert. „Immerhin ist bei der Geschichte eine Menge Geld im Spiel. Das wird uns garantiert zu einem schlagkräftigen Trio zusammenschweißen. Persönliche Ressentiments müssen hintangestellt werden. Ich für meinen Teil werde es jedenfalls so zu halten versuchen.“ Franzen rollte eine weiße, leicht schillernde Projektionswand auf und forderte Dieter Kohne auf, mit seinem Lichtbildervortrag zu beginnen. Das Licht erlosch, und auf der Leinwand erschien eine Straße mit Kopfsteinpflaster. Alte Hä standen eng beisammen. Das Bild vermittelte eine ansprechende Atmosphäre. „Das ist die Rua Sao Clemente“, erklärte Dieter Kohne. „Links sehen Sie das Haus, in dem ich wohne, rechts das Gebäude, in dem sich die Firma des Edelsteinhändlers Altor Perez befindet ...“ Es folgten mehrere Detailaufnahmen. Einige davon hatte Kohne vom Fenster seiner Wohnung aus geknipst. Sie vermittelten den Gangstern einen Blick in die

Geschäftsräume des Edelsteinhändlers. Als Stefan Luckert den Safe erblickte, lachte er laut auf. „Meine Güte, in dem Ding würde ich nicht einmal meine falschen Zähne aufbewahren, wenn ich welche hätte, geschweige denn Smaragde im Wert von zehn Millionen Mark. Ich muss schon sagen, Altor Perez scheint ein sehr unbekümmerter Mensch zu sein.“ „Ihm ist in seiner Firma noch nicht einmal eine Streichholzschachtel abhandengekommen“, sagte Kohne. „Für die paar Tage im Jahr scheint es ihm überflüssig zu sein, sich einen Tresor anzuschaffen, der alle Sicherheitsauflagen erfüllt.“ Luckert lachte dumpf. „Dieser Leichtsinn wird sich nun rächen.“ „Das hoffe ich“, knurrte Kohne und zeigte das nächste Bild. „Das ist er: Altor Perez.“ Seine Stimme klang hasserfüllt. Die Männer sahen einen eleganten Mann in weißem Anzug mit rotem Seidenhemd. Sein Kopf war so schmal wie der eines Windhundes. Er hatte schwarzes Haar und dunkle, stechende Augen. Nächste Aufnahme. „Benecio Quispe“, sagte Dieter Kohne. Das gestochen scharfe Bild zeigte einen kleinen Mann mit stark gelichtetem Haar. „Der Bursche scheint eine Menge Komplexe zu haben“, sagte Zobel und nahm einen Schluck von seinem Korn. „Wer ist das?“, wollte Dennis Groth wissen. „Ist der Mann für uns von Bedeutung?“ „Er ist Perez‘ Sekretär“, sagte Kohne. „Und mit den Komplexen haben Sie recht, Herr Zobel. Mich wundert, dass Perez ihm all die Jahre trauen konnte.“ „Wieso?“, fragte Luckert. „Benecio Quispe ist – man sieht es ihm nicht an – ein recht rühriger Lebemann. Manchmal sind seine Spielschulden so hoch, dass sie ihn fast erdrücken. Aber er hat sich in der Firma noch nie eine Unregelmäßigkeit zuschulden kommen

lassen. Obwohl er das Sicherheitssystem kennt und einen Schlüssel zum Tresor besitzt, hat er sich noch nie an Perez‘ Edelsteinen vergriffen.“ Es folgte Ravenna Luego. Eine wunderschöne, rassige Frau mit einer geradezu animalischen Ausstrahlung. Das lange schwarze Haar floss in weichen Wellen auf ihre Schultern. Was Dieter Kohne über sie zu sagen hatte, hörte sich Zobel nicht an. Er weilte mit seinen Gedanken immer noch bei Benecio Quispe, den er für die schwächste Stelle in Perez‘ Sicherheitssystem hielt. Genaugenommen waren Stefan Luckert und Dennis Groth überflüssig. Man musste sich nur an Quispe halten und eine Frau auf ihn ansetzen, die ihm den Kopf verdrehte und ihm den Himmel auf Erden versprach, wenn er für sie die Smaragde klaute. ‚Er würde es tun‘, dachte Werner Zobel. Ich irre mich in diesem Knaben bestimmt nicht. Diesem verklemmten Knilch braucht ein Mädchen mit einer gehörigen Portion Sex-Appeal nur schöne Augen zu machen, und schon frisst er ihr aus der Hand‘. Zobel kannte eine Frau, die so viel Sex besaß: Britta Debner. Wenn sie auf den Sekretär angesetzt wurde, gehörten die Smaragde im Handumdrehen ihnen, ohne dass sie dafür auch nur einen Finger zu rühren brauchten. Dieter Kohne führte noch einige Aufnahmen vor, die Ravenna Luego und Altor Perez zusammen zeigten. Dann beendete er den Lichtbildervortrag, und Theo Franzen machte Licht. „Noch irgendwelche Fragen?“, erkundigte sich Kohne. „Ja“, sagte Dennis Groth. „Ab wann befinden sich die Smaragde in Perez‘ Tresor?“ „Ab übermorgen.“ „Und wie lange bleiben sie da?“ „Bis zum Montag. Ihnen stehen also vier Tage zur Verfügung: Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag.“

„Wann sollen wir abreisen?“, fragte Stefan Luckert. „Wann Sie wollen“, erwiderte Kohne. „Morgen. Heute ...“ „Heute?“, schaltete sich Werner Zobel ein. Je eher er aus Berlin rauskam, desto lieber war ihm das. „In zwei Stunden geht eine Maschine nach Frankfurt, von dort gibt es ohne lange Wartezeit den Lufthansa-Flug nach Rio“, sagte Kohne. Zobel blickte Luckert und Groth an. „Ich habe mich von niemandem groß zu verabschieden.“ „Ich auch nicht“, sagte Groth. „Wollen wir die Maschine in zwei Stunden nehmen?“, hakte der Killer sofort nach. „Großes Gepäck brauchen wir nicht mitzunehmen. Was wir brauchen, kriegen wir alles in Rio. Sogar billiger als hier.“ Luckert grinste. „Ich weiß, wieso du es so eilig hast, die Stadt zu verlassen, Werner. Du hast Schiss vor Sven Habermanns Killern.“ Zobel sprang auf und stürzte sich auf ihn. Er packte ihn bei den Rockaufschlägen und schüttelte ihn wild. „Ich habe vor niemandem Schiss, merk dir das!“ Theo Franzen ging dazwischen. Es kostete ihn einige Mühe, Zobel abzudrängen. „Aber wer wird denn ...“ „Halt in Zukunft dein loses Maul!“, sagte der Killer über Franzens Schulter. „Sonst kannst du was erleben!“ „Solltet ihr euch nicht lieber vertragen?“, sagte Franzen in besänftigendem Ton. „Ihr seid bis Sonntag Partner und nicht Gegner.“ Er hatte gewusst, dass es riskant war, drei Gangster dieses Formats zusammenzuspannen, und er konnte nur hoffen, dass es bei dieser einen Explosion blieb. Zobel setzte sich wieder. Luckert wollte ihn nicht noch mehr reizen, deshalb schwieg er. Nachdem Zobels Zorn verraucht war, trug er seine Idee mit Britta Debner vor,

die ihnen die Arbeit seiner Ansicht nach wesentlich erleichtern konnte, doch er stieß mit seinem Vorschlag bei Groth und Luckert auf keine Gegenliebe. Er fügte sich zum Schein; dachte jedoch zum ersten Mal insgeheim daran, in Rio vielleicht sein eigenes Süppchen zu kochen. Zehn Millionen! So etwas war schon eine verdammt große Versuchung. Sie einigten sich, die Maschine in zwei Stunden zu nehmen und verabschiedeten sich. Als sie gegangen waren, meinte Theo Franzen: „Nun kannst du nichts mehr rückgängig machen, Dieter. Die Lawine rollt.“ „Das ist mir recht!“, knurrte Kohne und starrte grimmig vor sich hin. Perez würde seinen Denkzettel kriegen. Nur das zählte für ihn. Alles andere war ihm egal.

13

Rosa verbrachte die ganze Nacht bei Karsten Sattler, und als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, sah er sie zuerst. Fünfzehn Minuten später läutete bei Bernd Schuster das Telefon. Bernd meldete sich. Franziska war noch nicht da. „Herr Schuster!“, schluchzte Rosa. „Ich bin ja so unsagbar glücklich ...“ Bernd nahm an, dass Karsten über den Berg war. „Wie geht es Karsten?“, erkundigte er sich. „Er ist aus dem Koma erwacht. Die Ärzte sagen, er wird durchkommen.“ „Habe ich nicht gesagt, Karsten ist zäh?“ „Ich darf ihn behalten. Nie mehr gebe ich ihn her, meinen lieben, armen Karsten.“ „Haben Sie mit ihm gesprochen?“ „Ja. Er ist noch sehr schwach.“ „Die Ärzte päppeln ihn schon wieder hoch“, versicherte Bernd dem vor Freude und Glück halb verrückten Mädchen. „Karsten bat mich, Sie anzurufen – wegen dieses Mannes ...“ „Werner Zobel?“ „Ja. Karsten kennt sein Versteck.“ „Lassen Sie hören, Rosa“, sagte Bernd hastig. „Er ist bei einem Mädchen namens Britta Debner untergetaucht. Das fand Karsten heraus.“ Rosa nannte die Adresse.

„Von wo aus rufen Sie an?“, wollte Bernd Schuster wissen. „Ich bin immer noch im Krankenhaus.“ „Sie sollten jetzt nach Hause gehen und ein paar Stunden schlafen.“ „Nein, Herr Schuster. Ich bleibe bei Karsten.“ „Sie werden schlappmachen, Rosa.“ „Sie scheinen nicht zu wissen, was Liebe vermag, Herr Schuster.“ „Sagen Sie Karsten, dass ich ihm alles Gute wünsche.“ „Mach‘ ich.“ „... und dass ich ihn um seine Rosa beneide“, sagte Bernd Schuster und legte auf. Franziska erschien. Bernd war gerade dabei, das Magazin seiner Automatik zu prüfen. „Ziehst du in den Krieg, Bernd?“ „Ich weiß jetzt, wo Werner Zobel zu finden ist“, antwortete der Detektiv. „Von wem hast du den Tipp gekriegt?“ „Karsten Sattler befindet sich auf dem Wege der Besserung. Er fand Zobels Versteck, teilte es Rosa mit, und die rief mich eben an.“ „Soll ich mitkommen, Bernd?“, fragte Franziska. Sie ahnte, dass er nein sagen würde, und sie behielt recht. „Denk an unser Abenteuer im Lagerhaus. Reicht dir das noch nicht? Nein, Franziska, es ist vernünftiger, wenn ich mich allein um Zobel kümmere. Solltest du es im Büro nicht mehr aushalten, kannst du ja Karsten Sattler im Hospital besuchen. Ich bin sicher, er würde sich darüber sehr freuen. Bring ihm Pralinen und eine gute Flasche Schnaps mit. Das Beste vom Besten. Er hat es verdient.“ Bernd hauchte seiner Franzi einen zarten Kuss auf die Wange, aber damit war sie nicht zufrieden und zog ihn an sich. „Verrätst du mir nicht einmal, wo sich Zobels Versteck befindet?“, fragte sie

schließlich. „Er wohnt bei einer Animierdame namens Britta Debner.“ „ auf dich auf, Bernd. Zobel ist gefährlich.“ Bernd Schuster nickte. „Das bin ich aber auch“, sagte er und verließ das Büro, ohne zu ahnen, dass er dorthin nicht so bald zurückkehren würde ...

14

Es war verrückt, und Bernd Schuster konnte es selbst kaum fassen. Er war ein Mann von raschen Entschlüssen, und schnelle Entschlusskraft war nötig gewesen, als Bernd Schuster die Adresse erreichte, die er von Rosa erhalten hatte. Vor dem Haus, in dem Britta Debner wohnte, stand ein Taxi. Eine junge Frau ließ soeben ihr Gepäck im Kofferraum verstauen. Einer der Hausbewohner nannte sie Britta, und das hörte Bernd Schuster. „Wohin geht denn die Reise, Britta?“, fragte der Mann. „Oh, ganz weit fort“, antwortete das Mädchen begeistert. „Nach Brasilien.“ „Ist ja ‘ne Traumreise.“ „Ich fliege nach Rio. Schade, dass die jetzt nicht ihren Karneval feiern. Aber es wird mir auch so sehr gut gefallen.“ „Davon bin ich überzeugt. Also dann, schönen Urlaub.“ „Danke“, sagte Britta Debner und stieg in das Taxi, um sich zum Flughafen bringen zu lassen. Bernd Schuster suchte ihre Wohnung kurz auf. Mit seinem Spezialwerkzeug, das er stets in einem kleinen Etui bei sich führte, öffnete er die Tür. Er stellte fest, dass Britta die Wohnung so versorgt hatte, als beabsichtige sie, längere Zeit fortzubleiben. Kühlschrank leer, ausgeschaltet und offen. Die Stecker sämtlicher Elektrogeräte herausgezogen. Stromsicherungen abgeschaltet. Hauptwasserhahn abgedreht ... Für einige Zeit würde hier keiner wohnen. Auch Werner Zobel nicht. Bernds Instinkt meldete sich. Brittas Abreise schien nicht von langer Hand geplant gewesen zu sein. Bernd nahm an, dass Zobel dieses Versteck kurz nach dem Brandanschlag

aufgegeben und das Land verlassen hatte. Und nun ließ er Britta Debner nachkommen. Nach Rio. Das Mädchen war zu Werner Zobel unterwegs! Wahrscheinlich war Zobel wegen Sven Habermann der Boden in Berlin zu heiß geworden. Rio de Janeiro lag weit genug vom Schuss. Bernd Schuster rief den Flughafen an und erkundigte sich, wann die nächste Verbindung nach Rio möglich war. „In anderthalb Stunden geht die Maschine nach Frankfurt. Dort startete die Lufthansa-Maschine zwei Stunden nach Ankunft der Berliner Masche“, sagte ihm eine sanfte Frauenstimme worauf der Detektiv kurzerhand einen Platz buchte und sich auf den Weg zum Flugplatz machte. Um bei der Kontrolle keine Schwierigkeiten zu haben, legte er seine Beretta in ein Schließfach. Er sah Britta Debner, die ihr Gepäck bereits aufgegeben hatte. Bernd hatte sich erkundigt und erfahren, dass sie erster Klasse reiste, und nahm sich vor, in der Maschine neben ihr zu sitzen. Es war nur noch wichtig, Franziska Jahn von der bevorstehenden Reise in Kenntnis zu setzen. Bernd wählte die Nummer seines Büros. Es dauerte einige Augenblicke, bis sich seine Assistentin meldete. „Ich befand mich mit einem Fuß bereits auf dem Gang“, sagte Franziska. „Und ich stehe mit einem Bein schon in Rio de Janeiro“, erwiderte Bernd Schuster. „Du machst wohl Witze“, sagte Franziska. „Ganz und gar nicht.“ „Konntest du Zobel erwischen?“ „Der Verbrecher befindet sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon in Brasilien. Britta Debner fliegt ihm nach, und ich begleite sie. Natürlich weiß sie nicht, was ich vorhabe.“ „Aber Bernd, du kannst doch nicht ...“

„Was heißt, ich kann nicht? Ich muss!“ „Und was mache ich?“ „Du hältst inzwischen die Stellung.“ „Ich möchte mitfliegen.“ „Mir stehen heiße Tage in Rio bevor, Franziska, das ist nichts für dich. Ich verspreche dir aber hoch und heilig, dich dafür zu entschädigen, wirklich. Du suchst nach der Lösung dieses Falles ein Urlaubsziel aus, und wir fliegen gemeinsam!“ „Es ist nicht fair, wie du mich aus diesem Fall ausbootest, Bernd. Und wie ich dich kenne, gibt es vor dem Antritt unseres Traumurlaubes wieder neue Fälle, die das Reisen unmöglich machen.“ „Ist versprochen, und jetzt, wünsch mir Glück. Und bitte – sei nicht sauer. Vergiss bitte nicht, dass Lucy gegen 15.00 Uhr nach Hause kommt.“ „Schon gut, du Schuft. Komm gesund zurück!“ Dann war es tatsächlich so weit. Bernd Schuster saß neben Britta Debner im Flugzeug und war mit ihr auf dem Weg nach Frankfurt und dann nach Rio. Er hatte sich mit ihr bereits bekannt gemacht und gesagt, dass er sich auf einer Geschäftsreise befinde, wobei er offenließ, welche Art von Geschäften er tätigte. „Waren Sie schon mal in Rio, Herr Zippert?“, fragte das Mädchen. „Mehrmals schon“, erwiderte Bernd, der sich als Tim Zippert vorgestellt hatte. „Ich noch nie. Ich kenne die Stadt nur von Ansichtskarten.“ „Sie wird Ihnen gefallen“, prophezeite Bernd Schuster ihr. „Davon bin ich überzeugt“, sagte Britta. Sie kicherte. „Vorgestern hätte ich mir noch nicht träumen lassen, dass ich eine solche Reise antreten würde. Mein ... Freund überraschte mich damit.“ „Ihr Freund? Aber Sie reisen doch allein.“

Britta Debner nickte. „Werner musste schon gestern weg.“ „Warum flogen Sie nicht zusammen?“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Weiß ich eigentlich nicht. Ist auch nicht so wichtig. Hauptsache, ich sehe Rio. Ich denke, Werner hat geschäftlich da zu tun. Wie Sie.“ Nicht wie ich, dachte Bernd Schuster. Das ganz bestimmt nicht. Und ich kann nur hoffen, dass Zobel nicht wirklich in Rio de Janeiro einen Auftrag zu erledigen hat, denn das würde bedeuten, dass eine Leiche mehr auf sein Konto kommt.

15

Kurz vor der Landung auf dem Flughafen Galeao zog der Jet eine enge Schleife. Die beiden saßen auch in der Lufthansa-Maschine wieder nebeneinander. Britta Debner blickte hinaus. „Sehen Sie nur, Herr Zippert!“, rief sie begeistert aus. „Der Zuckerhut.“ „Der Pao de Acucar“, sagte Bernd Schuster und nickte. „Dieser Morro ist mit seinen dreihundertneunzig Metern keineswegs der höchste, aber der weitaus berühmteste. Er ist das Wahrzeichen der Stadt.“ „Und dort drüben ... Die Christusstatue!“ „Auf dem Corcovado.“ „Die Statue ist ja riesig.“ „Mit dem Sockel achtunddreißig Meter hoch“, sagte Bernd lächelnd. „Meine Güte, Rio ist von hier oben noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt habe.“ Bernd bot sich dem Mädchen als Fremdenführer an, doch sie lehnte freundlich, aber dankend ab. Sie meinte, was die Stadt an Sehenswürdigkeiten zu bieten hätte, würde ihr Werner schon zeigen. „Wird Werner Sie abholen?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Nein“, sagte Britta. „Ich werde im Blue Water Hotel wohnen, und er wird mich da anrufen, sobald er Zeit für mich hat.“ Kurz nach der Landung verabschiedete er sich von dem Mädchen. Er wünschte ihr einen angenehmen Aufenthalt in Rio und wusste, dass er sie nach Möglichkeit keine Sekunde aus den Augen lassen würde.

Sie stieg in ein Taxi. Bernd hatte es nicht eilig. Er rief das Blue Water Hotel an und reservierte für sich dort ein Einzelzimmer. Das Stadtzentrum von Rio befand sich zwanzig Kilometer vom Airport entfernt. Bernd mietete bei Hertz einen Leihwagen. Auf der Fahrt zum Hotel kaufte er einen Koffer und einige Sachen, alles was er für einen mehrtägigen Aufenthalt benötigte. Er war tatsächlich schon einige Male in Rio gewesen, und so wusste er auch, wo er sich eine Waffe plus Munition besorgen konnte. Als er das Hotel erreichte, steckte ein Colt-Cobra-Revolver in seinem Gürtel. Es war nicht gut, in einer Stadt, in der sich Werner Zobel herumtrieb, „nackt“ herumzulaufen. Früher oder später würde Bernd auf den Killer stoßen. Er brauchte nur ständig in Britta Debners Nähe zu bleiben. Das Zimmer war für eine Person sehr geräumig und komfortabel eingerichtet. Im Großen und Ganzen sah es so aus wie die Hotelzimmer überall auf der Welt. Telefon, Fernsehapparat, Wanne und Duschkabine im Bad. Bernd hatte sich nach Brittas Zimmernummer erkundigt. Sie hatte 309. Er hatte 408, wohnte also eine Etage höher und fast direkt über ihr. Als er auf den Balkon trat, hörte er sie im Bad lautstark singen. Das Wasser der Dusche rauschte, und auch Bernd Schuster hatte den Wunsch, sich darunter zu stellen. Mit einem weißen Handtuch um die Lenden verließ er wenig später das Badezimmer und zündete sich eine Roth Händle an. In 309 läutete das Telefon. Bernd Schuster bedankte sich nachträglich bei dem Baumeister, der so wenig schalldicht gebaut hatte. Bernd begab sich auf den Balkon. Britta Debner meldete sich. „Oh Werner, es ist herrlich in Rio!“, rief das Mädchen begeistert. „Ich sehe von meinem Fenster aus diesen prachtvollen Strand – und das Meer ... Es ist ein Traum. Ich würde am liebsten nie mehr nach Berlin zurückkehren ... Der Flug war angenehm ... Langweilig? Nein ... Wie? Ach so ... Nein. Sehen wir uns heute? ... Dann werde ich einen Wagen mieten und mir ein bisschen die Gegend ansehen ... Nein, ich bin dir nicht mehr böse. Der Aufenthalt in Rio versöhnt mich restlos ... Du weißt, dass ich nicht nachtragend bin. Vielleicht muss man mich hin und wieder ein bisschen härter anfassen. Möglicherweise brauche ich das ... Mach dir keine Gedanken ... Wie? ... Ja, da sehe ich mich noch heute um

... Ich werde das schon irgendwie einfädeln. Du kannst dich auf mich verlassen. Bist du telefonisch zu erreichen? ... Ach, du rufst mich an. Ist mir auch recht... Natürlich, ich mach‘ das schon. Das ist kein Problem für mich. Ich würde sogar einen Eunuchen herumkriegen.“ Sie kicherte. „Man hat sich im Laufe der Zeit ebenso seine Tricks zugelegt.“ Britta Debner legte auf. Bernd zog sich an, und als sie eine halbe Stunde später mit einem Leihwagen losfuhr, befand sich Bernd Schuster hinter ihr. Scheinbar ziellos kurvte das Mädchen durch die Stadt. Ab und zu blieb Britta stehen, stieg aus, verschwand in Geschäften, kam vollbepackt wieder heraus und erreichte schließlich den Stadtteil Botafogo. Sie parkte ihren Wagen am Beginn der Rua Sao Clemente, und Bernd glaubte zuerst, sie würde sich für die Casa de Rui Barbosa – jenes Haus, das einst dem brasilianischen Juristen und Staatsmann Rui Barbosa gehört hatte – interessieren, doch sie blieb davor nur kurz stehen und ging dann weiter. Die Straße wurde schmal. Ab und zu fuhr ein Auto hindurch, auf den Gehsteigen befanden sich nur wenige anten, doch der aufs Beschatten von Personen trainierte Detektiv schaffte es trotzdem, unbemerkt zu bleiben. Vor einem alten Gebäude blieb Britta Debner wieder stehen. Rechts neben dem Eingang befand sich ein einfaches Firmenschild: Altor Perez – Edelsteine, stand darauf. Das Mädchen blickte zu den Geschäftsräumen im ersten Stock hoch. Bernd gewann den Eindruck, Britta hätte diese Straße nur wegen dieser Firma aufgesucht. Als sie umkehrte, ohne Perez‘ Geschäft betreten zu haben, verschwand Bernd Schuster hinter einer Haustür. Es gefiel ihm nicht, dass ihm Britta Debner plötzlich Rätsel aufgab. Warum interessierte sie sich für Perez‘ Firma? War ihr der Edelsteinhändler empfohlen worden? Wollte sie sich ein paar hübsche Steine kaufen? Warum hatte sie die Geschäftsräume dann nicht betreten? Als es Abend wurde, traf Britta Debner wieder in ihrem Hotel ein. Nach wie vor hatte sie keine Ahnung, dass Bernd Schuster im selben Haus wohnte, und er hoffte, dass das noch lange so bleiben würde. Sie war in gewisser Weise sein Pilotfisch, der ihn zu Werner Zobel führen sollte. Wann würden die beiden sich treffen? Heute noch? Bernd hätte das sehr begrüßt.

16

Was Bernd Schuster nicht wusste, war die Tatsache, dass Peter Grothe und Hans Wendler in derselben Maschine gesessen hatten wie er und Britta Debner. Fritz Kamrath hatte ihnen den Tipp gegeben, dass Werner Zobel bei Britta untergeschlüpft war, und Sven Habermanns Killer hatten sich in der Nähe der Wohnung auf die Lauer gelegt. Aber Zobel war nicht mehr „nach Hause“ gekommen. Dafür reiste Britta Debner tags darauf nach Rio ab, und die beiden Killer kombinierten genauso wie Bernd Schuster: Britta musste zu Zobel unterwegs sein. Sie hielten vom Flughafen aus Rücksprache mit ihrem Boss. „So, so, nach Rio ist das feige Schwein also abgehauen!“, rief Habermann am anderen Ende der Leitung grimmig. „Das wird ihm nichts nützen. Lasst euch von dem Mädchen zu ihm führen. Es ist mir egal, wo Zobel über den Jordan geht, ob hier oder in Rio de Janeiro. Hauptsache er krepiert!“ Und so flogen Wendler und Grothe ebenfalls nach Rio. Touristenklasse. Damit Bernd Schuster sie nicht bemerkte. In Rio angekommen, nahmen sie sich ein Zimmer in der Avenida Atlantica, in der sich auch das Hotel Blue Water befand, und sie legten sich gleichfalls einen Leihwagen zu, um genauso beweglich zu sein wie Britta Debner und Bernd Schuster. Dass ihnen der Berliner Detektiv ständig vor der Nase herumtanzte, gefiel ihnen allerdings nicht. Wendler meinte: „Wir müssen uns etwas einfallen lassen, Peter.“ „Wegen Schuster?“, fragte Grothe und kratzte sich seinen Bart. Wendler nickte. „Der Schnüffler macht mich ganz krank.“ „Ich versuche ihn zu ignorieren.“

„Das ist das Verkehrteste, was du tun kannst. Wir müssen höllisch auf Schuster aufen, damit er uns nicht in die Quere kommt. Er ist ebenso scharf auf Zobel wie wir, deshalb hängt er die ganze Zeit hinter Britta Debner.“ „Und wir hängen hinter beiden. Wenn Schuster Werner Zobel gefunden hat, haben wir ihn auch aufgestöbert.“ „Denkst du, Schuster wird dann ruhig zusehen, wie wir Zobel umnieten?“ „Er wird keine andere Wahl haben.“ „Er wird sich auf Zobels Seite stellen und ihn verteidigen. Wir brauchen nur ein bisschen Pech zu haben, dann beißen nicht die beiden, sondern wir ins Gras. Wir müssen unsere Vorkehrungen treffen, Peter.“ „Was stellst du dir vor?“, fragte Grothe. Er lag angezogen auf dem Bett, hatte entspannt die Arme unter dem Kopf verschränkt, während Wendler am Fenster stand und Richtung Blue Water Hotel blickte. Jetzt drehte er sich langsam um. „Wenn man weiß, dass Schwierigkeiten zu erwarten sind, muss man rechtzeitig etwas dagegen unternehmen, richtig?“ „Richtig“, sagte Grothe. „Wenn wir uns ungestört um Zobel kümmern wollen, muss Bernd Schuster vorher weg.“ Grothe drehte den Kopf in Wendlers Richtung. „Willst du Schuster auch umlegen?“ „Wir müssen ja nicht gleich mit dem schärfsten Geschütz auffahren“, meinte Wendler überlegend. Er ballte seine rechte Hand zu Faust. „Wie wär‘s, wenn wir dem Schnüffler gut zureden würden?“ „Du meinst, wir sollten ihn verdreschen.“ „Ihm mit der Faust ein bisschen ins Gewissen reden“, sagte Wendler grinsend. „Ihm nahelegen, dass er in dieser Stadt unerwünscht ist, dass er nach Berlin zurückkehren soll.“

„Ob das bei dem Kerl was nützt?“, fragte Grothe zweifelnd. „Kommt darauf an, wie hart und überzeugend unsere Argumente sind. Wir können ja durchblicken lassen, dass er draufgeht, wenn er nicht auf uns hört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er versessen darauf ist, sich von uns für Werner Zobel mit Blei spicken zu lassen.“ Grothe setzte sich auf. „Na, meinetwegen, versuchen wir‘s mit ihm zuerst mal in Güte.“ „Wenn das nicht hilft, können wir ihn immer noch umlegen“, sagte Wendler, und genau das war auch Grothes Ansicht.

17

Das Spielcasino befand sich in der idyllischen Bucht von Guanabara. Auf der Fahrt dorthin sah Bernd Schuster auf Balkonen und Veranden Kerzen aufleuchten, die von den Hausangestellten in eine Schale mit Erde gestellt wurden und die bösen Geister vertreiben sollten. Der Aberglaube und die Angst vor Dämonen ist in Rio noch weit verbreitet. Bernd Schuster wäre nicht auf die Idee gekommen, das Spielcasino aufzusuchen, wenn es Britta Debner nicht getan hätte. Sie trug ein verführerisches zitronengelbes Kleid mit Spaghettiträgern. Im Ausschnitt wogte ein üppiger, nett anzusehender Busen. Britta durchstreifte die Räume, ohne vorerst zu spielen. Bernd blieb in ihrer Nähe, doch das bemerkte sie nicht. Sie schaute den Spielern am Black-JackTisch eine Weile über die Schultern, fütterte einen einarmigen Banditen mit fünf, sechs Münzen, ohne zu gewinnen, warf dem Spielautomaten einen ärgerlichen Blick zu und konzentrierte sich anschließend auf die Tische, an denen Roulette gespielt wurde. Ein eleganter Croupier forderte die Gäste auf, ihr Spiel zu machen. Britta Debner trat hinter einen kleinen Mann mit stark gelichtetem Haar. Seine Augen glänzten wie im Fieber, die Wangen waren gerötet. Er schien der Spielleidenschaft völlig verfallen zu sein. Chips in verschiedenen Größen und Farben lagen vor ihm. Er setzte ein. Der Croupier ließ die Kugel laufen. Der Mann, hinter dem Britta Debner stand, gewann. Er lachte nervös auf. Ein kleines Büchlein lag in seiner Griffnähe. Er nahm eine Eintragung vor. „Ich wusste es“, sagte er auf Portugiesisch. „Ich wusste, dass die Pechsträhne heute abreißt.“ Zwei Männer gingen an Bernd Schuster vorbei. „Glaubst du wirklich, dass Benecio Quispe endlich mal wieder Glück im Spiel hat?“, fragte der eine. „Wäre allmählich an der Zeit“, meinte der andere. „Der Bursche kann einem

langsam leidtun. Niemals ein Erfolgserlebnis.“ „Ich möchte bloß wissen, woher er das viele Geld zum Spielen nimmt.“ „Er kennt Kredithaie.“ „Er ist verrückt. Die machen ihn doch mit ihren Wucherzinsen fertig.“ „Sein Bier.“ Die Männer gingen weiter, ohne Bernd Schuster zu beachten. Benecio Quispe, hinter dem Britta Debner Aufstellung genommen hatte, als gehörte sie zu ihm, setzte auf die Neun. Das Rad drehte sich wieder. Die Kugel ratterte und klapperte über die Rippen zwischen den einzelnen Ziffern und blieb auf der Neun liegen. Das gab vierunddreißigfachen Einsatz für Quispe. Sein Blick streifte zum zweiten Mal Britta Debner. Er sagte etwas auf Portugiesisch zu ihr. Sie verstand nicht alles. Er wiederholte es auf Englisch: „Sie dürfen nicht weggehen, Miss. Seit Sie hinter mir stehen, habe ich Glück. Sie müssen unbedingt bleiben.“ Britta lächelte ihn freundlich an. „Okay. Wenn Sie meinen, dass ich Ihnen Glück bringe.“ „Mit Sicherheit.“ Benecio Quispe warf einen Blick in sein kleines, schlaues Büchlein und setzte auf Schwarz. Er verlor. Aber schon mit dem nächsten Einsatz gewann er wieder. Es gab einige unbedeutende Rückschläge, doch die Gewinne waren stets höher als die Verluste. Quispe drückte dem Mädchen glücklich ein paar Chips in die Hand. „Hier, Sie müssen unbedingt auch spielen.“ „Und wenn ich verliere?“ „Ich kann‘s verschmerzen.“ Britta Debner setzte – verlor, setzte – verlor, setzte – und verlor alles, was Benecio Quispe ihr gegeben hatte. „Sehen Sie, alles ist weg“, sagte das Mädchen traurig. „Das macht nichts“, erwiderte er. Und er wollte ihr weitere Chips aufdrängen, doch sie lehnte dankend ab.

„Es freut mich mehr, wenn ich Ihnen Glück bringe“, sagte sie und begnügte sich damit, fortan nur noch hinter dem Brasilianer zu stehen. Er scheffelte mit strahlenden Augen eine Menge Chips. Als er wieder zu verlieren begann, wollte er die Verluste mit höheren Einsätzen wettmachen, doch Britta war so klug, ihn davon abzuhalten, und er hörte erstaunlicherweise auf sie. Damit rettete sie ihm eine Menge Geld. Er warf dem Croupier ein großes Plastikplättchen zu, raffte seinen Gewinn zusammen und wechselte ihn an der Kasse ein. „So viel Geld habe ich noch nie gewonnen“, gestand er dem Mädchen. „Natürlich türmte sich vor mir auf dem Tisch schon mal mehr auf, aber ich war niemals klug genug, rechtzeitig aufzuhören.“ „Tja, den Zeitpunkt darf man nicht übersehen.“ „Ich hätte heute wieder alles verloren. Sie sind mein Glücksengel. Wie kann ich mich revanchieren?“ „Wenn Sie möchten, können Sie mich zu einem Drink einladen.“ „Mit dem größten Vergnügen“, sagte Benecio Quispe, und es war ihm anzusehen, dass er schon lange nicht mehr so glücklich gewesen war. Die Bar war groß und gut besucht. Britta Debner war so sehr mit Benecio Quispe beschäftigt, dass sie Bernd Schuster nicht bemerkte, der nicht weit von ihr entfernt auch einen Drink nahm. Der Brasilianer war sehr gebefreudig. Er warf mit dem Geld um sich, als stünde bei ihm zu Hause eine Banknotenpresse und er könne jederzeit Scheine nachdrucken. Bernd fragte sich, was wohl Werner Zobel zu diesem Flirt sagen würde, wenn er davon erfuhr. Würde er Britta tüchtig die Leviten lesen? Würde er sie ohrfeigen? Verprügeln? Der Detektiv konnte nicht wissen, dass dies alles mit Zobels Einverständnis lief, ja, dass der Verbrecher die Debner auf Benecio Quispe angesetzt hatte. Britta Debner vermittelte dem Brasilianer das Gefühl, ein ganz toller Hecht zu sein. Das fiel ihr nicht sonderlich schwer. Sie tat in Berlin Abend für Abend nichts Anderes.

Was sie Quispe über sich erzählte, war alles gelogen. Bernd hatte sie etwas ganz Anderes erzählt. Der Detektiv fing nur Bruchstücke der Unterhaltung auf, aber die machten ihn stutzig. Offensichtlich legte es Britta darauf an, den Brasilianer zu bezirzen. Was bezweckte sie damit? Sie horchte den Mann sehr geschickt aus, ließ ihn von sich erzählen, und so erfuhr auch Bernd Schuster, dass Benecio Quispe der Sekretär des Edelsteinhändlers Altor Perez war – und vor wenigen Stunden erst hatte Britta Debner vor dem Haus gestanden, in dem sich Perez‘ Firma befand. Zufall? Unmöglich. Welches Spiel spielte Britta Debner? Interessierte sie sich für Perez‘ Edelsteine? Wie te Werner Zobel hier ins Spiel? Der Mann war ein Berufskiller, Mord sein Geschäft. War er nun im Begriff, umzusatteln? Musste Bernd in Britta Debner Zobels Komplizin sehen? Fragen, Fragen, Fragen. Die Zukunft würde die Antwort bringen. Britta gab sich nett, freundlich und verständnisvoll. Sie war anziehend und verführerisch. Quispe kroch ihr auf den Leim, ohne es zu bemerken. Nach dem dritten Drink fragte er: „Und was unternehmen wir nun? Nach Hause gehen lasse ich Sie auf keinen Fall, Miss Debner.“ Sie schenkte ihm einen vielsagenden Blick. „Wer spricht denn vom Nach-HauseGehen, Herr Quispe?“ Er räusperte sich. „Wenn Ihnen der Trubel hier zu viel ist ...“ „Ja, Herr Quispe?“ „Ich möchte nicht, dass Sie meinen Vorschlag in die falsche Kehle kriegen.“ „Was wollen Sie mir vorschlagen, Benecio?“ „Ich bewohne ein kleines Haus ... allein ... nicht weit von hier ... Mit einem herrlichen Blick auf die Baia de Guanabara.“ Britta Debner lächelte. „Möchten Sie mir diesen Ausblick zeigen, Benecio?“ Er hob beteuernd beide Hände. „Ich würde Ihnen selbstverständlich in keiner Weise nahetreten. Ich weiß, was sich gehört. Haben Sie schon mal eine Batida

getrunken?“ „Nein, noch nie“, erwiderte Britta Debner. Endlich war sie mal wieder ehrlich. „Was ist das?“ „Unter den typisch brasilianischen Getränken nimmt die Batida eine Spitzenstellung ein. Sie ist ein sehr süßes Getränk, das aus Zuckerrohrschnaps und Fruchtsäften besteht.“ „Das muss ich unbedingt mal probieren.“ „In meinem Kühlschrank steht eine ganze Flasche davon.“ „Ein Grund mehr, Ihre freundliche Einladung anzunehmen, Benecio“, sagte das Mädchen und schob seine Hand unter Quispes Arm. Die beiden verließen das Spielcasino. Bernd Schuster folgte ihnen. Britta Debner begab sich zu ihrem Leihwagen. Sie forderte den Brasilianer auf, vorzufahren, sie würde ihm folgen. Die Autos starteten, und Bernd Schuster folgte ihnen. Auf der Avenida Rodrigues Alves überholte ein gedrungener schwarzer Sportwagen zuerst Bernd Schuster und dann Britta Debner. Sekunden später schnitt der schwarze Flitzer in Benecio Quispes Fahrspur und zwang den Brasilianer damit zum Anhalten. Quispe trat kräftig auf die Bremse. Britta Debner brachte ihr Fahrzeug nicht rechtzeitig zum Stehen, weil sie nicht genügend Abstand gehalten hatte. Sie fuhr auf Quispes Wagen auf. Da sie nicht angegurtet war, riss es sie nach vorn. Sie stieß mit dem Kopf irgendwo gegen, und ihr wurde schwarz vor den Augen. Aus dem Sportwagen sprangen zwei Schlägertypen, wie es sie auch in Berlin zur Genüge gab. Es handelte sich um Geldeintreiber, die für jenen Kredithai arbeiteten, bei dem Quispe die höchsten Schulden und sämtliche Zahlungsfristen überschritten hatte. Sie zerrten den Mann aus seinem Auto und versetzten ihm ein paar harte Faustschläge. Bernd Schuster stoppte sein Fahrzeug. Es gab für ihn nichts zu überlegen. Er musste Benecio Quispe beistehen. Mit der Schulter rammte er den Wagenschlag

auf, sprang aus dem Auto und rannte zu Quispe, dem die Kerle soeben ein Bündel Banknoten aus der Tasche rissen. Ein Tritt ließ Benecio Quispe zu Boden gehen. Bernd kaufte sich den Kerl, der getreten hatte. Er riss ihn herum und versetzte ihm eine kraftvolle Ohrfeige. Der Bursche flog gegen Quispes Wagen. Bernd wandte sich dem zweiten Schläger zu. Er tauchte unter dessen Armen durch und konterte mit einer schmerzhaften Geraden. Aber der Bursche war hart im Nehmen. Er zog sein Knie hoch. Bernd sprang blitzschnell zurück, fing das Bein ab und riss es noch höher. Dadurch verlor der Kerl das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Sofort war der geohrfeigte Schläger zur Stelle. Er wollte beweisen, dass er besser war, als es vorhin ausgesehen hatte, und Bernd konnte seinen Fäusten nicht mehr ausweichen. Für einige Sekunden hatte der Schläger mehr vom Kampf, aber dann gewann Bernd wieder Oberwasser. Mit sicherem Blick entdeckte er die Deckungsfehler des Gegners. Er nutzte jede Chance. Ein kraftvoller Schlag beförderte den Kerl weit zurück. Der Bursche zischte seinem Komplizen etwas zu. Der andere sprang auf. Beide warfen sich in den Sportwagen und rasten davon. Benecio Quispe lehnte sich ächzend an sein Fahrzeug. „Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Bernd Schuster. „Man lebt“, stöhnte der Brasilianer. Bernd begab sich zu Britta Debner. Sie hing benommen über dem Lenkrad. Bernd zog sie zurück und stellte erleichtert fest, dass sie unverletzt war. „Lassen Sie nur, ich kümmere mich schon um sie“, sagte Quispe. „Glauben Sie, dass Sie allein zurechtkommen?“, fragte Bernd.

„Ich denke schon. Es geht mir schon viel besser.“ „Die Kerle haben Ihnen eine Menge Geld abgenommen.“ „Ich war‘s ihrem Boss schuldig.“ „Ich verstehe“, sagte Bernd Schuster. Quispe tätschelte Britta Debners Wangen. „Dem Himmel sei Dank, sie kommt zu sich“, rief er erleichtert aus. Bernd fragte, ob er noch irgendwie helfen könne. Quispe verneinte. Er bedankte sich für das, was Bernd Schuster getan hatte, und Bernd kehrte zu seinem Wagen zurück, ehe Britta wieder ganz bei Besinnung war. Es war ihm lieber, sie wusste nichts von ihm. Er fuhr an den beiden beschädigten Fahrzeugen vorbei und wartete etwa fünfhundert Meter weiter, versteckt hinter Büschen in einer Parklücke.

18

Britta sah Quispe benommen an. „Was ist iert?“ „Sind Sie okay, Britta?“, fragte Quispe besorgt. Das Mädchen legte die Hand auf den Kopf. „Es brummt noch ein bisschen.“ Sie fragte den Brasilianer noch einmal, was iert wäre. Er senkte den Blick und beichtete ihr von seinen Schulden. „Die Kerle waren Schuldeneintreiber?“, fragte Britta erstaunt. Quispe nickte. „Ja, leider.“ „Ist das denn eine Art, Geld zurückzufordern?“, empörte sich das Mädchen. Quispe hob die Schultern. „Tja, in diesen Dingen verstehen solche Leute keinen Spaß.“ „Warum lassen Sie sich mit solchen Verbrechern ein?“ „Ich befand mich in einer momentanen Geldverlegenheit. Ich dachte, das geborgte Geld bald wieder zurückzahlen zu können, aber es klappte nicht so, wie ich mir das vorstellte, und mich begannen die Wucherzinsen aufzufressen. Doch nun haben die Kerle ihr Geld. Wir können sie vergessen. Sie werden mich nicht mehr behelligen.“ „Schulden Sie noch jemandem Geld?“, fragte Britta besorgt. „Schon, aber nicht so viel.“ „Sie sollten es zurückzahlen.“ Er lächelte schief. „Ich werde mir Ihren Rat zu Herzen nehmen.“ Jetzt erst dachte Britta an die Wagen. Sie stieg aus. Quispe meinte, die Schäden wären halb so schlimm, und er fragte hoffnungsvoll: „Fahren wir weiter?“

„Möchten Sie, dass ich nach diesem Vorfall noch mit Ihnen komme?“ Er zuckte die Schultern. „Ich kann so viel Batida unmöglich allein trinken. Er wird Ihnen jetzt besonders guttun.“ „Na, meinetwegen.“ Britta setzte sich wieder in ihren Leihwagen, dessen Motor immer noch lief. Als Quispe losfuhr, folgte sie ihm, und nach fünfhundert Metern hängte sich auch Bernd Schuster wieder an. Es gab keinen weiteren Zwischenfall. In Quispes Haus kamen die beiden einander dann sehr schnell nahe. Bernd war es peinlich, dabei zuzusehen, und da nicht zu erwarten war, dass Britta Debner in dieser Nacht noch mit Werner Zobel zusammentraf, ließ Bernd Schuster die beiden allein und kehrte zum Hotel zurück.

19

„Vierhundertacht“, sagte Peter Grothe und blieb vor der entsprechenden Tür stehen. „Hier ist es. Das ist Schusters Zimmer.“ Er trat näher und lauschte. Als er nichts hörte, öffnete er die Tür mit Hilfe seiner Plastikkreditkarte. Hans Wendler streifte einen Schlagring über seine Finger. Die Killer traten ein. „Der Vogel ist ausgeflogen“, brummte Grothe. „Er kann nicht ewig fortbleiben.“ „Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, auf dem Hotelparkplatz auf ihn zu warten.“ „Hier ist es doch viel bequemer“, sagte Wendler und setzte sich in einen ausladenden Sessel. „Auf dem Parkplatz wären wir ungestört gewesen.“ „Es wird uns auch hier keiner stören“, erwiderte Wendler zuversichtlich. Grothe begab sich zur Balkontür und blickte hinunter. „Ich werde mich bedeutend wohler fühlen, wenn Schuster im Flugzeug nach Berlin sitzt. Es reicht mir, mit Zobel zu tun zu haben. Ich brauche nicht noch zusätzlich einen Schnüffler im Genick.“ Wendler grinste. „Darauf kann ich auch verzichten. Weißt du, was wir tun, wenn wir Zobel erledigt haben? Wir bleiben noch ein paar Tage in Rio und lassen es uns richtig gutgehen. Wir reißen uns zwei schnuckelige Bienen auf und machen Highlife, dass sich die Balken biegen.“ „Einverstanden“, sagte Grothe. „Hoffentlich führt uns Britta Debner bald zu Zobel. Ich mag nicht, wenn sich etwas so lange hinzieht.“ Ein Ruck ging durch seinen Körper. „Schuster!“, stieß er leise hervor. „Dort unten fährt sein Wagen. Er biegt auf den Parkplatz ein.“ Wendler ließ die Hand mit dem Schlagring auf und ab wippen. „Unser Freund

wird gleich eine große Überraschung erleben. Los, Peter, postier dich!“ Er selbst federte aus dem Sessel hoch und stellte sich neben die Tür. Er freute sich auf den Moment, wo er Bernd Schuster nach allen Regeln der Kunst zusammenschlagen würde.

20

‚Morgen‘, dachte Bernd Schuster, während er mit dem Lift zur vierten Etage hinauffuhr. ‚Wenn du Glück hast, bringt dich Britta Debner morgen mit Werner Zobel zusammen, ohne es zu wollen‘. Britta – sie hatte anscheinend bewusst Bekanntschaft mit Benecio Quispe, dem Sekretär des Edelsteinhändlers Altor Perez, geschlossen. Also hatte Werner Zobel Berlin nicht nur einfach verlassen, um Ruhe von seinen Verfolgern zu haben. Zobel war mit voller Absicht ausgerechnet nach Rio gekommen, das stand für Bernd Schuster jetzt fest. Sollte es der Killer tatsächlich auf Perez‘ Edelsteine abgesehen haben, würde ihm Bernd auf jeden Fall einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen versuchen. Der Fahrstuhl hielt in der vierten Etage an. Lautlos glitten die Leichtmetalltüren zur Seite. Bernd setzte den Fuß auf den geblümten, äußerst strapazierfähigen Teppichboden, mit dem der Gang ausgelegt war. Er ließ die schwere Vollgummibirne, die an seinem Zimmerschlüssel hing, kreisen. Sie sollte bezwecken, dass die Hotelgäste ihren Schlüssel nicht mitnahmen, sondern beim Empfang abgaben. 408. Bernds Zimmer. Seine Gedanken kreisten weiter um Britta Debner, Werner Zobel und Altor Perez. Während er den Schlüssel ins Schloss schob, dachte er unwillkürlich an Tobias Krahe, der immer noch in Untersuchungshaft saß und sich danach sehnte, endlich wieder freigelassen zu werden. ‚So lange, wie‘s schon gedauert hat, wird es wohl nicht noch einmal dauern‘, sagte sich Bernd Schuster, während er die Tür öffnete. Sie schwang zur Seite und verdeckte Hans Wendler. Der Detektiv machte Licht und kickte die Tür mit dem Absatz zu. Da trat hinter dem Kleiderschrank Peter Grothe hervor. Er hielt einen matt schimmernden Totschläger in seiner Rechten. Bernd kannte den Mann. Er

wusste auch, für wen Grothe arbeitete, und es schoss ihm durch den Kopf, dass Grothe niemals allein arbeitete. Also – wo war der andere? ‚Hinter dir!‘, signalisierte ihm sein Instinkt, und er fuhr sofort geduckt herum. Genau im richtigen Augenblick, denn Wendler stürzte sich bereits auf ihn. Bernd nahm den Kopf blitzschnell zur Seite. Der Schlag wischte an seinem Wangenknochen vorbei. Bernd warf sich dem Angreifer entgegen. Seine Handkante traf Wendler zweimal und streckte ihn nieder. Benommen blieb er liegen. All das war so schnell abgelaufen, dass Grothe dem Komplizen nicht mehr beistehen konnte. Jetzt stürzte er sich mit hochgeschwungenem Totschläger auf Bernd Schuster. Bernd pendelte zur Seite und attackierte Grothe mit Karatetritten. Dann wuchtete er sich vorwärts und bekam das Handgelenk des Gegners zu fassen. Eine rasante Drehung. Grothe brüllte auf. Der Totschläger polterte auf den Boden. Grothe versuchte sich loszureißen. Die beiden Männer wirbelten durch das Zimmer. Alles, was ihnen im Weg stand, warfen sie um. Die Balkontür flog zu. Das Glas brach klirrend. Wendler erholte sich. Bernd war gerade dabei, Grothes Niederlage vorzubereiten, da mischte sich Wendler erneut ein. Diesmal traf der Schlagring, und Bernd Schuster fiel auf die Knie. Er sah Sterne und krallte sich in Grothes Kleidung. Der schlug wütend auf Bernds Hände, erreichte aber nicht, dass der Detektiv ihn losließ. „Verdammt, hilf mir, Hans!“, keuchte Grothe. Bernd zerrte sich an seinem Gegner hoch. „Er lässt mich nicht los!“, schrie Grothe wütend. Wendler wollte Bernd Schuster die Faust ins Genick schlagen, um den Komplizen zu befreien. Da ließ Bernd Schuster los und wandte sich Wendler zu. Er blockte den Schlag ab. Seine Faust traf den Gangster. Wendler stöhnte auf. Die Wucht des Schlages warf ihn gegen den Einbauschrank. Grothe riss einen Stuhl hoch. Er wollte Bernd damit niederschlagen, doch der steppte in Gedankenschnelle zur Seite. Grothe konnte seinen Schwung nicht

bremsen. Die Beine des Stuhls landeten auf dem Teppich und brachen. Bernd sprang den Mann mit aller Kraft an. Grothe versuchte ihn sich mit den Stuhlresten vom Leib zu halten. Bernd Schuster stieß sie beiseite und schlug den Verbrecher nieder. Mit einer so heftigen Gegenwehr hatten die beiden Killer nicht gerechnet. Sie hatten schon viel von Bernd Schuster gehört und gewusst, dass er ein guter Kämpfer war, dass er aber so gut war, hätten sie nicht gedacht. Grothe verlor die Lust am Kampf. Er wollte abhauen. Als er hochfederte, streckte ihn ein neuerlicher Faustschlag des Detektivs nieder. Er merkte, dass die Sache für ihn kritisch zu werden begann. Bernd Schuster hatte seine schmerzempfindlichsten Punkte getroffen. Leider konnte sich Bernd nicht weiter um ihn kümmern, denn da war noch Hans Wendler, der seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Bernd Schuster musste sich vollkommen auf ihn konzentrieren. Wendler versuchte es mit durchschaubaren Finten, auf die Bernd jedoch nicht hereinfiel. Der Detektiv traf jedes Mal blitzschnell Gegenmaßnahmen. Er brachte den Gangster mit seinen Attacken allmählich zur Verzweiflung. Auch in Wendler fraß sich der Fluchtgedanke fest. Aber auf dem Weg zur Tür gab es ein Hindernis: Bernd Schuster! Wendler wollte den Detektiv mit der Schulter zur Seite rammen, schaffte es auch, aber dann stellte Bernd Schuster ihm ein Bein. Der Killer knallte auf den Boden. Als er sich aufrappelte, war Bernd bei ihm. Mit einem präzisen Schlag schickte er den Verbrecher ins Land der Träume. Wendler kippte zur Seite, rollte auf den Rücken und regte sich nicht mehr. ‚Jetzt Grothe!‘, dachte Bernd Schuster und wandte sich um, aber der zweite Killer befand sich nicht mehr im Raum. Bernd entdeckte ihn draußen auf dem Balkon. „So haben wir nicht gewettet!“, knurrte Bernd Schuster.

Grothe sprang zum Nachbarbalkon hinüber. Von da sprang er ins dritte Stockwerk weiter. Doch Bernd hatte nicht die Absicht, den Kerl entkommen zu lassen. Er machte den Akrobatenakt mit und erreichte die dritte Etage auf demselben Weg wie Grothe – nur schneller. Der Gangster stürmte durch ein Zimmer, das zurzeit nicht belegt war. Bernd hechtete hinter ihm her, erwischte seine Beine und brachte ihn zu Fall. Grothe landete auf dem Bett. Er krallte seine Finger in die Tagesdecke, drehte sich und warf sie Bernd Schuster über den Kopf. Während Bernd mit dem Stoff kämpfte, um so rasch wie möglich wieder freizukommen, schlug Grothe auf ihn ein. Einige Treffer waren verdammt schmerzhaft. Bernd biss die Zähne zusammen, Schweiß bedeckte sein Gesicht. Als er die Decke endlich abwerfen konnte, revanchierte er sich bei Grothe für die Hiebe, die er einstecken musste. Der Killer wich zurück. Bernds Faust stieß ihn gegen die Wand. Er griff nach dem großen Bild, das neben ihm hing, riss es vom Haken und schlug damit auf Bernd Schuster ein. Bernd hob den Arm schützend über den Kopf. Das Bild zerbrach. Bernd Schuster sprang zurück. Grothe nutzte diese Chance, um die Flucht fortzusetzen. Er flüchtete – absichtlich oder irrtümlich, das wusste Bernd nicht – ins Bad. Schwungvoll warf der Gangster die Tür zu, aber Bernd Schuster ließ ihm nicht die Zeit, abzuriegeln. Er stieß die Tür einen Sekundenbruchteil zuvor auf. Sie prallte gegen den Verbrecher, der zurücktaumelte. Beinahe wäre er in die Badewanne gefallen. Er hielt sich am Plastikvorhang der Dusche fest. Ratschend gaben die verchromten Klammern den Vorhang frei, und Grothe landete auf den Fliesen. Es war verrückt von ihm, immer noch zu glauben, die Flucht könne ihm gelingen. Er wuchtete sich gegen Bernds Beine. Der Detektiv fiel gegen den Spiegelschrank. Grothe stürzte sich auf die Handbrause und schlang seinem Gegner den Schlauch um den Hals. Bernd blieb schlagartig die Luft weg.

Er versuchte die Finger unter den Schlauch zu schieben, doch es gelang ihm nicht. Die Atemnot wurde besorgniserregend akut. Bernd bearbeitete die Rippen seines Gegners mit den Fäusten, aber erst ein Treffer mit dem Knie brachte ihm den gewünschten Erfolg. Grothe ließ den Schlauch los. Bernd Schuster pumpte gierig Luft in seine Lunge. Er riss sich den Schlauch vom Hals, während der Gangster aus dem Bad rannte. Bernd holte sich den Mann, und ein Handkantenschlag entschied die erbitterte Auseinandersetzung endlich für Schuster. Der Kampflärm war nicht ungehört geblieben. Hotelgäste hatten den Hausdetektiv alarmiert. Der große, breitschultrige Mann öffnete die Tür zu dem Zimmer, in dem sich Bernd Schuster mit Grothe befand. „Was ist denn hier los?“, fragte er zuerst auf Portugiesisch, dann auf Englisch. Bernd wies keuchend auf Grothe. „Er und sein Komplize sind über mich hergefallen.“ „Dies ist nicht Ihr Zimmer?“ „Richtig. Ich wohne eine Etage höher“, sagte Bernd. „Wieso sind Sie dann hier ...?“ „Der Kerl floh über die Balkone. So gelangten wir hierher“, erklärte Bernd Schuster. Der Hoteldetektiv glaubte ihm. Er besaß Handschellen. Als sie über Grothes Handgelenken zuklickten, atmete Bernd Schuster erleichtert auf. „Wo ist der andere?“, fragte der Brasilianer. „Der liegt hoffentlich noch in meinem Zimmer“, erwiderte Bernd Schuster. „en Sie auf den Kerl gut auf“, sagte er und wies auf Grothe. Dann hastete er davon, den Gang entlang, die Treppe hoch. Aber Hans Wendler hatte Glück gehabt. Er war rechtzeitig wieder zu sich gekommen, um unbemerkt Fersengeld geben zu können.

Jedes Aufsehen vermeidend, führte der Hausdetektiv den gefesselten Gangster in sein Büro und verständigte die Polizei. Von der Hoteldirektion erschien jemand, um sich wegen des Vorfalls bei Bernd zu entschuldigen. Der Mann versprach, dass die kaputte Balkontürscheibe gleich am nächsten Morgen ersetzt werden würde. Damit hatten die Aufregungen für diesen Tag ein Ende. Bernd Schuster ging zu Bett, und während er auf den Schlaf wartete, fragte er sich, was ihm wohl der kommende Tag bringen würde. Britta Debner kehrte erst am nächsten Morgen ins Hotel zurück. Da besaß Bernd Schusters Balkontür schon wieder eine neue Scheibe. Erneut wurde die Debner angerufen. Bernd begab sich wieder auf Horchposten. „Benecio ... Ja, eben bin ich eingetroffen ...“ Sie kicherte. „Oh, du bist süß ...“ Sie kicherte wieder. „Natürlich war es sehr, sehr schön mit dir ... Nein, geduscht habe ich noch nicht, ich wollte es gerade tun ... Heute? Weiß ich noch nicht. Darf ich dich in der Firma anrufen? ... Ich dich auch, mein feuriger Brasilianer ... Oh, ich hielt es nicht für möglich, dass du so leidenschaftlich sein kannst ... Ich werde heute den ganzen Tag an dich denken. Denkst du auch ein bisschen an mich? Nur, wenn es dir deine Arbeit erlaubt ... Ja ... Ja ... Also bis dann.“ Sie legte auf. Einmalig, dachte Bernd Schuster, wie schnell sie den Brasilianer herumgekriegt hat. Wenn sie in diesem Tempo weitermacht, frisst er ihr bald aus der Hand. Britta duschte. Sie konnte damit noch nicht fertig sein, als das Telefon bei ihr wieder läutete. Bernd malte sich aus, wie sie nun splitternackt zum Apparat eilte. „Hallo!“, meldete sie sich. Es schien mit der Verbindung nicht zu klappen, denn sie wiederholte ihr „Hallo!“ Und dann hatte sie Werner Zobel an der Strippe. Bernd hätte viel dafür gegeben, um den derzeitigen Aufenthaltsort des Killers zu erfahren. Britta Debner berichtete über ihre Nacht mit Benecio Quispe. „Er schwebt im siebten Himmel, Werner“, sagte sie lachend. „Der arme Dummkopf. Er denkt, ich hätte mich tatsächlich unsterblich in ihn verliebt ... Damit würde ich noch

etwas warten ... Ich weiß, dass uns nicht viel Zeit zur Verfügung steht, aber wir dürfen nichts überstürzen. Wenn Quispe die Sache durchschaut, können wir sie vergessen ... Klar bin ich vorsichtig ... Heute treffe ich ihn wieder ... Er ist von mir fasziniert.“ Sie kicherte. „Ist das ein Wunder – so, wie ich gebaut bin ... Das behalte ich im Auge ... Er wird bestimmt nichts merken ... Ach, dort ... Daran bin ich ja beinahe vorbeigefahren ... In Ordnung, Werner ... Ich denke, dass ich ihn bis heute Abend soweit habe. Er wird zu Wachs in meinen Händen. Ich werde ihn so formen, wie wir ihn brauchen. Seine Komplexe kommen uns sehr gelegen. Ich glaube nicht, dass er von einem Mädchen schon mal aufrichtig geliebt wurde. Immer nur Enttäuschungen – davon muss die Seele ja einen Knacks kriegen.“ Sie lachte hell. „Oh ja, das wird seine größte Enttäuschung, aber so ist das Leben nun mal: hart und ungerecht.“ Damit endete das Gespräch. Britta ließ sich das Frühstück aufs Zimmer bringen. Sie setzte sich auf den Balkon und genoss die Aussicht über Copacabana. In der Nähe des Hotels rotteten sich Jugendliche zusammen, trommelten Sambarhythmen, zu denen einige gutgebaute Bikinischönheiten ekstatisch tanzten. Das war Rio. Durchpulst von heißem, überschäumendem Leben. Es steckte jeden an, der hierherkam. Nach dem Frühstück verließ Britta Debner das Hotel. Bernd hängte sich wieder hinter sie, aber sie machte ihm nicht die Freude, sich mit Zobel zu treffen. Er wurde allmählich ungeduldig.

21

Ein gepanzertes Auto brachte die Smaragde in die Rua Sao Clemente. Dennis Groth und Stefan Luckert hielten sich in Dieter Kohnes Wohnung auf und beobachteten, was sich in den gegenüberliegenden Geschäftsräumen abspielte. Um alles genau verfolgen zu können, hatten sie ein Fernglas mitgebracht, das ständig vom einen zum anderen wechselte. Altor Perez und sein Sekretär nahmen die wertvolle Sendung in Empfang und schlossen sie nach einer kurzen Kontrolle im Tresor ein. Groth leckte sich die Lippen und gab das Fernglas seinem Komplizen. „Zehn Millionen – in einem Spielzeugsafe. Perez hat nicht alle Tassen im Schrank.“ „Er ist einfach zu vertrauensselig“, meinte Luckert grinsend. „Unser Vorteil.“ „Was nützt ein Panzerwagen, wenn die Smaragde hinterher im Regal eines Selbstbedienungsladens liegen?“ „Stört dich das?“ „Es ist hirnrissig.“ Luckert zündete sich eine Zigarette an. Das Fernglas legte er weg. Das gepanzerte Auto verließ die Rua Sao Clemente, und in der gegenüberliegenden Firma erledigten Altor Perez und Benecio Quispe irgendwelchen Papierkram, ohne zu ahnen, dass sie beobachtet wurden. Luckert nahm Kugelschreiber und Papier zur Hand und machte sich Notizen. Benecio Quispe verließ die Firma am frühen Nachmittag, um sich mit Britta Debner zu treffen. Inzwischen arbeiteten Groth und Stefan Luckert in groben Umrissen einen Plan aus, nachdem sie vorgehen würden. Fürs erste fassten sie als möglichen Starttermin den Samstag ins Auge. Sollte es aus irgendeinem Grund an diesem Tag nicht klappen, stand ihnen für den Coup immer noch der

Sonntag zur Verfügung. Von Brittas Anwesenheit in Rio de Janeiro hatten die beiden keine Ahnung. Werner Zobel ließ sie darüber vorläufig noch im Unklaren. Schließlich war ja noch nicht sicher, ob Britta bei Quispe jenen Erfolg erzielen konnte, der ihnen vorschwebte. Vielleicht war Benecio Quispe zu allem zu verleiten, nur nicht zum Diebstahl der Edelsteine. Alles hing davon ab, wie geschickt Britta Debner den Brasilianer einwickelte. Sollte er davor zurückschrecken, seinen Chef zu bestehlen, so würden sich doch Groth und Luckert um die Smaragde kümmern müssen. Solange die Sache noch nicht vollends ausgegoren war, hielt Werner Zobel den Mund und wartete ab. Britta verbrachte nicht nur den Nachmittag, sondern auch den Abend mit Benecio Quispe. Sie zog alle ihres Könnens und spielte einen Trumpf nach dem anderen aus. Sie setzte geschickt und raffiniert alles ein, was sie zu bieten hatte. Das war eine ganze Menge. Und sie formte Quispe, ohne dass der es bemerkte. Wieder in seinem Haus, in seinem Bett, schmiegte sie sich schnurrend wie ein Kätzchen, das sich besonders wohl fühlt, an ihn. Er streichelte ihre warme, pfirsichweiche Haut. Sie ließ ihn von seiner Arbeit sprechen. Er erzählte von den wertvollen Edelsteinen, die nun für vier Tage im Firmensafe liegen würden. Sie stützte sich auf die Ellenbogen und sah ihn lange an. „Was ist?“, fragte er und lächelte. „Es ist fast nicht zu glauben, Benecio“, sagte sie zärtlich. „Ich habe den Eindruck, dich schon jahrelang zu kennen, dabei kennen wir einander erst so kurze Zeit. Wenn mir jemand gesagt hätte: ,Du wirst dich in Rio unsterblich verlieben‘, hätte ich ihn glatt ausgelacht. Aber es ist iert, und es ist wundervoll.“ Sie küsste ihn mit brennenden Lippen. „Du bist ein großartiger Liebhaber, Benecio. Vielleicht sollte ich es nicht sagen, aber ...“ „Aber?“

„Ich glaube, ich ...“ „Nun sag‘s schon.“ „Ich könnte immer bei dir bleiben.“ „Für immer. Weißt du, dass das sehr, sehr lange ist, Britta?“ „Bis an mein Lebensende, und ich bin sicher, ich würde keinen einzigen Tag davon bereuen. Du bist so gütig, so warmherzig, so einfühlsam. Glaubst du an so etwas wie Bestimmung? Könntest du dir vorstellen, dass wir beide füreinander bestimmt sind? Dass uns eine höhere Macht zusammengeführt hat?“ „So etwas gibt es bestimmt“, sagte Quispe. Sie schmiegte sich noch enger an ihn. „Lass uns gemeinsam träumen, Benecio. Von einer kleinen Insel, die uns gehört, und auf der wir ganz allein wohnen. Niemand stört uns in diesem Paradies. Wir sind den ganzen Tag füreinander da, wir haben keine Sorgen, tun nur, was uns Spaß macht. Wäre das nicht wundervoll?“ Er tätschelte sie liebevoll. „Oh ja, das wäre es. Bestimmt träumen viele Menschen diesen Traum, doch für die meisten geht er nicht in Erfüllung.“ „Es muss ja nicht unbedingt eine Insel sein. Ich wäre auch mit einer stillen, friedlichen Bucht zufrieden.“ Er lachte leise. „All diese Träume zerbrechen an der harten Realität des Lebens, Britta. Geld regiert die Welt. Geld macht alle Träume kaputt ...“ „Das stimmt nicht, Benecio“, widersprach Britta Debner. „Man kann damit auch Träume verwirklichen.“ „Ja, wenn man genügend davon hat. Aber wer ist schon in dieser glücklichen Lage?“ „Wir beide könnten es sein“, sagte Britta vorsichtig. Sie wusste, dass sie jetzt sehr viel Fingerspitzengefühl brauchte. Ein falsches Wort konnte alles zunichtemachen.

Sie ließ ihre Fingerspitzen über seine Brust gleiten. „Perez bezahlt mich zwar nicht schlecht, aber um dir ein solches Leben zu bieten, müsste ich viel, viel mehr Geld haben.“ „Nenn eine Summe, Benecio.“ Er lachte. „Gott, was soll ich sagen?“ „Zehn Millionen Mark. Könnten wir damit unsere Träume realisieren?“ „Ich denke schon. Aber wer besitzt so viel Geld?“ „Altor Perez.“ „Du spielst auf die Smaragde an.“ „Ja. Mit ihnen könnte man eine sorgenfreie Zukunft aufbauen.“ Quispe wandte ihr sein Gesicht zu und lächelte sie an. „Weißt du, dass ich schon mal daran dachte, mir die Edelsteine einfach zu nehmen und zu verschwinden? Bei Gott, ich war schon einmal nahe dran. Die Möglichkeit hätte ich gehabt. Aber mir fehlte letzten Endes dann doch der Mut.“ Sie küsste seine Wange und knabberte an seinem Ohrläppchen. Er spürte ein Kribbeln im Nacken. „Ich bin froh, dass du es nicht getan hast, Benecio“, flüsterte sie gegen seinen Hals. „Wieso? Dann hätte ich dir deine Träume doch erfüllen können.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Darling, denn dann wären wir einander nie begegnet. Vielleicht wollte es das Schicksal, dass du damit noch gewartet hast.“ „Du meinst ...“ „Wir beide, Benecio ... Ein Leben voller Glück und Zufriedenheit ... Endlose Liebe ...“ Ein seltsames Feuer fing in seinen Augen zu lodern an. „Perez würde ich damit nicht treffen. Die Smaragde sind ausreichend versichert. Perez hätte keinen

Schaden. Und ich wüsste auch, wo ich die Steine zu Geld machen könnte. Ich hab‘ das alles schon einmal in Gedanken getan, und soll ich dir etwas verraten?“ „Was?“ „Ich hatte dabei nicht die geringsten Gewissensbisse. Der einzige Haken daran war, wie gesagt: zu wenig Mut.“ „Zehn Millionen Mark.“ Britta Debner ließ die Worte wie Schlagsahne auf ihrer Zunge zergehen. „Die Versicherungsgesellschaft würde unser endloses Glück finanzieren. Die schwerreiche Versicherungsgesellschaft.“ Er grinste. „Oh, einen so hohen Verlust würde sie schon schmerzlich spüren.“ „Ich habe mir sagen lassen, dass sich Versicherungen für solche Fälle bei anderen Gesellschaften rückversichern. Diese Gauner scheffeln ein Vermögen pro Jahr. Sieh dir nur ihre Paläste an. Leben sie vom Draufzahlen? Nein. Sie nehmen stets mehr als sie geben. Wäre es nicht gerecht, sie endlich einmal ordentlich zur Kasse zu bitten?“ Quispe schmunzelte. „Wenn man es von unserer Warte aus betrachtet, wäre es das.“ Sie schob sich halb auf ihn. „Glaubst du, dass du diesmal den Mut aufbringen könntest, Benecio? Jeder Tag könnte für uns dann so sein wie der heutige. Schöner noch.“ „Jeder Polizist in diesem Land würde uns jagen.“ „Dann verlassen wir Brasilien eben. Ich kann mit dir überall auf der Welt glücklich sein. Du kaufst dir eine neue Identität, wirst ein anderer Mensch ohne Vergangenheit, und wir werden reich sein. Angenehm reich.“ Seine Miene verriet ihr, dass er es tun würde. Die Versuchung und das, was sie ihm versprochen hatte, war einfach zu groß für ihn.

22

Ein riesiger Ventilator drehte sich an der Decke und verrührte die stickige Luft in dem kleinen Polizeibüro. Der Mann, dem Bernd Schuster gegenübersaß, war ein dicker, schwitzender Zigarrenraucher mit buschigen schwarzen Augenbrauen und stets verdrossener Miene. Er schien mit der ganzen Welt auf ständigem Kriegsfuß zu leben. Capitano Ricardo Jaruiz war sein Name. Hinter ihm hing ein zerfledderter Stadtplan an der Wand. Sämtliche Laden des Aktenschranks standen offen. Auf den Regalen ringsherum herrschte ein heilloses Durcheinander. Man sagt, unordentliche Menschen wären kreativ. Wenn das stimmte, musste Bernd einem geistigen Genie gegenübersitzen. Jaruiz ließ durchblicken, dass er keine Ausländer mochte – und schon gar keine ausländischen Privatdetektive. Eine Kooperation mit diesem Mann konnte Bernd Schuster folglich von vornherein ausschließen. Ohne den dicken Zigarrenstummel aus dem Mund zu nehmen, brummte der Capitano: „Überfallen hat man Sie also, Señor Schuster.“ „So ist es. In meinem Hotelzimmer“, antwortete Bernd. „Aus welchem Grund befinden Sie sich in Rio?“ „Aus keinem besonderen. Ich möchte in dieser wunderschönen Stadt lediglich ein paar Tage Urlaub machen“, sagte Bernd. Die Wahrheit hätte ihm bloß Schwierigkeiten eingebracht. Wie er den Capitano einschätzte, hätte der ihm jede berufliche Aktivität untersagt. Ricardo Jaruiz nahm seine Antwort nickend zur Kenntnis. „So, so. Urlaub.“ „Ganz recht“, bestätigte Bernd Schuster. Jaruiz musterte ihn aus den Augenwinkeln. Der Capitano war bestimmt ein listiger Fuchs. Er glaubte nicht, was ihm Bernd sagte. „Wirklich nur Urlaub,

Señor Schuster?“ Bernd legte beteuernd die Hände auf seine Brust. „Wenn ich‘s Ihnen sage.“ „Kein Auftrag – vielleicht?“ Bernd schüttelte den Kopf. „Ich will mich in Rio lediglich von den Strapazen erholen, die mir meine nervenverschleißende Tätigkeit in Berlin laufend einbringt.“ „Hm, Sie dachten, Brasilien wäre weit genug vom Schuss weg.“ „Ja, Capitano Jaruiz, das dachte ich.“ „Aber dann überfallen zwei deutsche Gangster Sie in Ihrem Hotelzimmer. Haben Sie dafür eine Erklärung?“ Da Bernd den Fall nicht aus der Hand geben wollte, sagte er: „Ich fürchte nein, Capitano.“ Ricardo Jaruiz nickte grimmig. „Sehr gut“, sagte er sarkastisch. „Sehr gut. Und Sie erwarten von mir, dass ich Ihnen das abnehme.“ „Sie werden es müssen“, bemerkte Bernd freundlich. „Ist es nicht vielleicht so, dass Ihnen die beiden Gangster nachreisten, um sich für etwas zu revanchieren, was Sie ihnen in Berlin angetan haben?“ „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, sagte Bernd Schuster. „Sie kennen die Verbrecher nicht, haben sie nie zuvor gesehen!“ Jaruiz sagte das so bestimmt, dass Bernd keine Veranlassung sah, ihn zu korrigieren. „Völlig grundlos fallen die beiden über Sie her, wollen Sie zusammenschlagen, aber Sie drehen den Spieß um ...“ Bernd hob abwehrend die Hand. „Augenblick, Capitano Jaruiz. Ich habe nicht behauptet, die Kerle hätten das grundlos getan.“ „Sie haben mir keinen Grund genannt.“ „Warum fragen Sie nicht den Mann danach, den Sie gestern in Ihren Käfig

gesteckt haben?“ „Denken Sie, das habe ich noch nicht getan?“ „Und?“ „Ich kann ihn fragen, was ich will, er spielt den Taubstummen.“ „Das tut mir leid für Sie“, sagte Bernd. „Beschreiben Sie noch mal den anderen“, verlangte Jaruiz. Bernd kam der Aufforderung des Capitano nach. Die Polizei fahndete bereits nach Hans Wendler, bislang aber ohne Erfolg. Bernd Schuster dachte bei sich, dass man Wendler wohl am ehesten da finden würde, wo sich Werner Zobel befand, aber er hütete sich davor, Ricardo Jaruiz gegenüber davon etwas verlauten zu lassen. Schließlich wollte er von ihm nicht hören, er dürfe sich in die Arbeit der Polizei nicht einmischen. Möglicherweise hätte ihn Capitano Jaruiz sogar abgeschoben. Um dem vorzubeugen, sagte Bernd Schuster nur das, was ihm keinen Ärger einbringen konnte. Der Polizist rümpfte die Nase. „Die Geschichte gefällt mir nicht, Señor Schuster.“ „Glauben Sie, mir gefällt sie?“, gab Bernd zurück. „Ich bin ein friedliebender Mensch.“ Jaruiz blickte ihn unfreundlich an. „Darf ich Ihnen einen Rat geben?“ „Selbstverständlich.“ „Machen Sie in Rio wirklich nichts Anderes als Urlaub, sonst sorge ich dafür, dass Sie mehr Schwierigkeiten an den Hals kriegen, als Sie verkraften können. Auf Wiedersehen.“ Bernd dachte an seinen Freund Horst Südermann, während er das Polizeigebäude verließ. Mit dem war er zwar auch nicht immer einer Meinung, aber der ließ sich hin und wieder wenigstens etwas sagen und stellte nicht

automatisch die Stacheln auf, wenn ihm ein Privatdetektiv über den Weg lief. Mit Horst war eine Zusammenarbeit möglich. Mit Jaruiz war sie undenkbar, deshalb würde Bernd Schuster seinen Job weiterhin allein tun.

23

Manchmal treibt der Zufall die verrücktesten Blüten. Wendler war wegen des Misserfolgs im Hotel beunruhigt. Natürlich konnte er sich darauf verlassen, dass Peter Grothe den Mund hielt, aber er war nun allein, und das schmeckte ihm ganz und gar nicht. Er hätte zwar Sven Habermann in Berlin anrufen und ihn um Verstärkung bitten können, aber damit hätte er sich ein Armutszeugnis ausgestellt. Deshalb nahm er davon Abstand. Was er mit Grothe gemeinsam hätte erledigen sollen, blieb nun an ihm allein hängen. Dass die Polizei ihn suchte, war klar. Also musste er doppelt auf der Hut sein, und besonders vorsehen musste er sich wegen Bernd Schuster, der ja nun von seiner Anwesenheit in Rio Kenntnis hatte. Da der Detektiv imstande war, zwei und zwei zusammenzuzählen, wusste er, mit was für einem Auftrag sie hierhergekommen waren. Folglich würde Bernd Schuster nichts unversucht lassen, um ihm, Wendler, zuvorzukommen. „Mist!“, schimpfte der Killer, während er durch Rio fuhr, als hätte er die Orientierung verloren. Die Stadt war groß. 3,3 Millionen Einwohner. Wendlers einzige Hoffnung war Britta Debner. Aber die hatte sich diesen Brasilianer geschnappt und schien sich partout nicht mit Zobel treffen zu wollen. Hatte sie Ersatz für Zobel gefunden? Wie nahm der das denn auf, nachdem er sie eigens nach Rio nachkommen ließ? „Mist!“, sagte Wendler wieder, denn er hatte vor einer halben Stunde Britta Debners Spur verloren und konnte sie nicht wiederfinden. Kreuz und quer fuhr er durch Rio. Dieser verdammte Lastwagen. Er war von rechts aus einer schmalen Straße herausgekommen, und wenn Wendler nicht so geistesgegenwärtig gebremst hätte, hätte es mächtig gekracht. Als der Killer die Fahrt endlich fortsetzen konnte, war Britta verschwunden gewesen, und nun gab Wendler die Hoffnung allmählich auf, das Mädchen noch einmal wiederzufinden. ‚Hol‘s der Teufel‘, dachte er, vielleicht war sie ausgerechnet

jetzt zu Zobel unterwegs!‘ Der Killer warf einen Blick auf das Straßenschild. Rua Voluntarios. Eine Parallelstraße der Rua Sao Clemente. Er bog in die Avenida Pasteur ein, war übelgelaunt, litt unter der Hitze und wünschte vor allem Bernd Schuster zur Hölle, weil der die Schuld daran trug, dass Grothe nicht mehr neben ihm sitzen konnte. Der verrückte Zufall schlug kurz nach dem Aeroporto Santos Dumont zu. Rechts ging es zu einem vornehmen Yachthafen ab. Und – Hans Wendler traute seinen Augen nicht – da stand ein Wagen, in dem Werner Zobel saß! Wendler war mit der Welt sofort wieder versöhnt. Vergessen war der Ärger und die lähmende Hitze. Sein Jagdinstinkt erwachte. Er wusste, dass Werner Zobel ein verdammt guter Mann war, und es reizte ihn, zu beweisen, dass er besser war. Sein Herz schlug schneller. Endlich. Endlich hatte er Zobel gefunden. ‚Wurde auch allmählich Zeit‘, dachte Wendler, während er beobachtete, wie Zobels Fahrzeug losfuhr und die Straße überquerte. Seine Handflächen wurden feucht. Nervös drehte er das Lenkrad. Er kehrte um und folgte Zobel. Mochte jetzt geschehen, was wollte, er würde sich von Zobel nicht abhängen lassen. Ein solches Geschenk brachte ihm der Zufall nur einmal und nie wieder. Er musste diese Chance unbedingt nutzen. Avenida Rio Branco. Eine ungemein belebte Straße. Das galt nicht nur für die Fahrwege, sondern auch für die breiten, in schwarz-weißem Mosaik gepflasterten Gehsteige, die von Menschen, die es eilig hatten, wimmelten. Wie Prellböcke in der Flut der Fußgänger saßen an den meisten Straßenecken Gebäckverkäuferinnen. Zobel verließ nach kurzer Zeit den Trubel der Großstadt. Er erreichte eine stillere Gegend. Fuhr die Rua Almirante entlang, die sich zum Corcovado hinaufschlängelte. Rechts noch ein paar kleine Hä. Dann nur noch üppige Vegetation. Und Werner Zobel ganz allein auf der Straße. Weit und breit keine Menschenseele. Auf so eine Gelegenheit hatte Hans Wendler gewartet. ‚Los!‘, kommandierte er sich selbst.

Gleichzeitig drückte er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Zobel sah das Fahrzeug im Innenspiegel, ohne sich etwas dabei zu denken. Die Bewohner von Rio sind als hitzige Autofahrer bekannt, und hier schien es einer besonders eilig zu haben. Sollte er. Zobel lenkte seinen Wagen mehr an den rechten Fahrbahnrand, um das nachkommende Fahrzeug vorbeizulassen. Und Wendler raste an ihm vorbei. Die Pistole lag zwischen seinen Schenkeln. Er lenkte blitzschnell nach rechts und bremste scharf ab. Handbremse. Gang heraus. Kupplung los. Wendler sprang aus dem Auto. Die Pistole in Anschlag ging er hinter dem Wagen in Deckung, zielte auf Werner Zobel und gab in rascher Aufeinanderfolge vier Schüsse ab. Die Projektile zertrümmerten die Windschutzscheibe, hinter der sich Zobel befand. Ein Splitterregen flog ihm ins Gesicht. Er rammte mit der Schulter den Wagenschlag auf und ließ sich auf die Fahrbahn fallen. Wendler feuerte wieder, dann lud er blitzschnell nach. Doch um Zobel schien sich eine Legion von Schutzengeln zu kümmern. Die Kugeln seines Gegners schrammten über den Asphalt und zirpten als Querschläger davon. Während des Rollens riss Zobel seine Pistole mit dem aufmontierten Schalldämpfer heraus. Er plumpste in den tiefen Straßengraben und blieb für mehrere Sekunden reglos liegen. Wendler wartete. Es fiel ihm nicht ein, einfach loszustürmen. Zobel war kein xbeliebiger Gegner, der gleich die Hosen voll hatte, wenn auf ihn geschossen wurde. Für einige Augenblicke herrschte Stille. Wendler schlich um seinen Wagen herum. Seine Nervenstränge waren zum Zerreißen gespannt. Noch nie im Leben war ihm etwas so wichtig gewesen, wie jetzt mit Werner Zobel fertig zu werden. Dieser Mann war ein echter Prüfstein. Wer Zobel schaffte, war etwas Besonderes. Zobel lag im Straßengraben und knirschte wütend mit den Zähnen. Verdammt, Sven Habermanns langer Arm reichte tatsächlich bis nach Rio de Janeiro. Das hätte er nicht für möglich gehalten. Er fragte sich, wie Wendler seine Spur gefunden hatte, doch die Antwort war jetzt nicht so wichtig. Wichtiger musste

ihm sein, seine Haut zu retten. Er robbte den Graben hoch. Stacheln bohrten sich in seine Haut, rissen ihm blutige Schrammen. Er spürte es kaum. Ohne dass Wendler es bemerkte, wechselte er seine Position. Die Schalldämpferpistole lag fest in seiner Hand, als er sich sehr vorsichtig aufrichtete, um zu den beiden Fahrzeugen zu spähen. Er blickte knapp über die Fahrbahn, und das erste, was er zu sehen bekam, waren Hans Wendlers Füße. Den Rest des Mannes verdeckte der Wagen. ‚Macht nichts‘, dachte Werner Zobel. Gleich würde er mehr von Wendler sehen. Er visierte den rechten Fuß seines Gegners an und drückte ab. Plopp! Drüben schrie Wendler getroffen auf. Die Kugel stieß seinen Fuß weg. Er verlor das Gleichgewicht und fiel hinter dem Auto hervor. Darauf hatte Zobel gewartet. Während Wendler fiel, jagte Zobel drei Kugeln durch den Lauf. Sie trafen Wendlers Brust, und eine war so tödlich wie die andere. Zobel kehrte wie ein Triumphator zu seinem Wagen zurück, stieg ein und fuhr weiter. Hans Wendler ließ er mitten auf der Straße liegen.

24

Bernd Schuster befand sich seit einer halben Stunde wieder auf Britta Debners Fährte. Das Mädchen hatte sich einen anderen Leihwagen zugelegt, mit dem es zielstrebig durch Rio de Janeiro unterwegs war. Bernd fand es an der Zeit, dass sie ihn zu Werner Zobel führte. Irgendwann musste sie sich ja endlich mit ihm treffen. Er konnte doch nicht immer nur telefonieren. Dazu hätte er sie nicht nach Rio nachkommen lassen müssen. Natürlich konnte von hier aus nach Berlin telefonieren. Das war zwar teurer, kostete jedoch nicht einen Bruchteil von dem, was Zobel für Britta hier auslegen musste. Bernd Schuster ließ die Frau gewissermaßen an der langen Leine laufen. Er fuhr niemals zu dicht auf, ließ mal zwei, mal mehr Autos zwischen sich und Britta fahren, ohne Schwierigkeiten zu haben, dranzubleiben. Britta Debner konnte unmöglich bemerken, dass sie beschattet wurde. Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne lachte vom postkartenblauen Himmel, die anten warfen scharf geschnittene Schatten auf die Gehsteige. In den Straßen pulsierte wie immer das Leben. Es war angenehm warm, aber nicht lästig heiß. Bernd beschäftigte sich in Gedanken mit Hans Wendler, der nun bestimmt im Alleingang versuchen würde, Sven Habermanns Mordbefehl auszuführen. Wendler hatte sich diesen Auftrag nicht so schwierig vorgestellt. Sein Komplize saß im Gefängnis. Er wurde von der Polizei gesucht und suchte selbst hartnäckig den Mann, der Stephan Kranz erschossen hatte. Und über all dem schwebte nach wie vor die Frage, wer Werner Zobel früher finden würde – Bernd Schuster oder Hans Wendler. Ahnungslos führte Britta Debner ihren Schatten zu einem kleinen, unscheinbaren Haus beim Museu Nacional. Die steil ansteigende Straße schlängelte sich an dem von hohen Büschen umsäumten Grundstück vorbei, auf dem der Bungalow

stand. Britta stieg nicht aus. Sie blieb in ihrem Leihwagen reglos sitzen und beobachtete intensiv das Gebäude, das zunächst einen unbewohnten Eindruck machte. Aber nach zehn Minuten erschien ein Mann auf der Terrasse, dessen Anblick Bernd Schuster einen Pfiff durch die Zähne entlockte. Der Mann, der sich vor dem Haus zeigte, war ein alter Bekannter von Bernd Schuster: Dennis Groth. Ein Ganove der übelsten Sorte. Diesem Ex-Rennfahrer war jede Schurkerei zuzutrauen. „Was tut der denn in Rio?“, fragte sich Bernd. Wieso beobachtete Britta Debner dieses Haus? Wohnte auch Werner Zobel hier? Groth und Zobel und Britta und Quispe. Das war eine Kette, die unmissverständlich auf die Edelsteine Altor Perez‘ hinwies. Auf der Terrasse erschien ein zweiter Mann. Auch er war Bernd Schuster nicht unbekannt. Lange Nase, fette Ohrläppchen: Stefan Luckert. Seine Anwesenheit räumte die letzten Zweifel aus, denn Luckert war Alarmanlagenspezialist und Edelsteinexperte. „Donnerwetter“, brummte Bernd Schuster. „Zobel möchtest du dir holen, und auf ein bevorstehendes Verbrechen stößt du.“

25

Benecio Quispes Zunge huschte aufgeregt über die Lippen. Er sah Britta Debner mit unstetem Blick an. „Was ich tue, tu‘ ich nur für dich“, sagte er mit belegter Stimme. „Du tust es für uns“, korrigierte ihn Britta. „Ja.“ „Nur Mut. Es kann ja überhaupt nichts schiefgehen. Du weißt, wie man die Alarmanlage ausschaltet, du besitzt einen Schlüssel zum Tresor. Es ist die einfachste Sache von der Welt, die Smaragde zu nehmen und einfach fortzugehen.“ Er nickte. „Ja, es ist ganz einfach. Eine Spielerei ist es geradezu. Trotzdem war es mir niemals möglich, es zu versuchen. Im Gedanken, da spielte ich das Verbrechen in allen möglichen Varianten durch. Aber es ist eben doch ein haushoher Unterschied, ob man sich etwas nur in seinem Kopf ausmalt, oder ob man es tatsächlich ausführt.“ Sie befanden sich in Quispes Haus, und Britta Debner war zu dem Brasilianer besonders nett und zärtlich. Sie sprach mit weichen, gefühlvollen Worten von der Zukunft, die jetzt in seinen Händen lag. Wenn er das Wagnis auf sich nahm, würden sie sich ihren großen Traum erfüllen können. Um seine Nerven zu beruhigen, trank er. Sie riet ihm davon ab, aber er sagte, dass er das jetzt brauche. „Meinst du, dass es über deine Kräfte geht?“, fragte Britta und streichelte ihn liebevoll. „Das kann ich noch nicht sagen“, erwiderte er. „Leicht fällt es mir jedenfalls nicht.“ „Dann lass es bleiben“, meinte das Mädchen unvermittelt.

Er sah sie irritiert an. „Und unser Traum?“ „Der ist dann eben ausgeträumt.“ „Das will ich nicht, Britta.“ Sie wurde sehr ernst, wandte sich von ihm ab, lehnte sich an die Wand, den Blick auf den Boden gerichtet. „Was ist?“, fragte er unsicher. „Was hast du? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ „Vielleicht ist es besser, wenn wir die Finger davon lassen“, entgegnete Britta, ohne ihn anzusehen. An ihrer Haltung erkannte er, dass sie traurig war. Er trat hinter sie und griff nach ihren Schultern. Mit sanftem Druck drehte er sie um. Sie schaute an ihm vorbei. „Sieh mich an, Britta“, verlangte er. „Bitte sieh mich an.“ Sie blickte ihm todernst in die Augen. „Oh Benecio ...“ „Liebst du mich, Britta?“ „Unsäglich. Das ist ja das Schlimme an der Sache.“ „Wieso ist das schlimm?“, fragte er verwirrt. „Halt mich fest, ganz fest, Benecio“, flüsterte sie und klammerte sich an ihn, als brauchte sie Hilfe. „Ich bin ja so unglücklich.“ „Aber warum denn?“ „Ich kann es nicht länger für mich behalten, Benecio. Ich muss es dir endlich gestehen.“ „Was denn gestehen?“ „Ich habe ein falsches Spiel getrieben. Ich musste dich belügen. Man hat mich dazu gezwungen. Du wirst mir das nie verzeihen, und ich nehme dir das nicht übel. Anfangs dachte ich, ich würde das schon irgendwie hinkriegen. Aber dann stellte sich die Liebe ein. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass ich mich in dich verlieben würde?“

„Moment!“, sagte er völlig durcheinander. „Was redest du denn da? Ich komme überhaupt nicht mit, Britta. Kannst du dich nicht präziser ausdrücken?“ „Man hat mich auf dich angesetzt. Wir haben uns nicht nur zufällig kennengelernt.“ „Wer hat dich auf mich angesetzt?“ „Werner Zobel.“ „Wer ist Werner Zobel?“ „Ein brutaler Kerl. Ich habe entsetzliche Angst vor ihm. Ich muss tun, was er von mir verlangt, sonst verprügelt er mich, oder er bringt mich um. Zobel schreckt vor nichts zurück. Er ist mit zwei Komplizen nach Rio gekommen, um sich Perez‘ Smaragde zu holen. Sie wollen den einfachen Weg gehen. Er führt über dich. Ich erhielt von Zobel den Auftrag, dich um den Finger zu wickeln. Oh Benecio, ich versuchte kalt zu bleiben, aber du hast etwas in mir geweckt ... Und nun weiß ich nicht mehr weiter. Ich kann dich einfach nicht mehr länger belügen, Darling. Lass uns fortgehen. Ohne die Smaragde. Ich folge dir, wohin du willst. Ich brauche den Reichtum nicht. Mir genügt meine große Liebe. Verlassen wir Rio?“ „Was geschieht, wenn wir bleiben?“ „Daran möchte ich lieber nicht denken. Zobel würde meinen Ungehorsam grausam bestrafen. Er würde mich töten, das könntest du nicht verhindern. Oh Gott, wären wir einander doch nie begegnet.“ „Das darfst du nicht sagen, Britta“, erwiderte der Brasilianer. „Begreifst du denn nicht? Ich bringe dir Unglück.“ „Das ist nicht wahr. Du liebst mich. Damit machst du mich zum glücklichsten Menschen. Mich hat noch nie eine Frau so sehr geliebt wie du. Es ist nicht viel dran an mir ...“ „Das stimmt nicht, du bist ein wundervoller Mensch, Benecio.“ „Lieb, dass du mich so siehst.“

„Ich würde so furchtbar gern mit dir zusammenbleiben.“ „Wir werden uns nicht trennen, Britta.“ „Du weißt nicht, was du damit auf dich lädst. Diese drei Verbrecher werden uns jagen. Wenn sie die Smaragde nicht kriegen, werden sie zu reißenden Bestien.“ Er stemmte sie von sich und sah sie mit einem dünnen Lächeln an. „Nun gut, dann sollen sie die Edelsteine eben haben.“

26

Die Bar in der Avenida Vieira Souto gehörte einem Mann, den Britta Debner schon mal gesehen zu haben glaubte. Er sah dem Hauptdarsteller des Films Orfeu Negro zum Verwechseln ähnlich. Der Streifen spielte in Rio. Britta hatte ihn erst kürzlich zu Hause im Nachmittagsprogramm des Fernsehens gesehen. Dass sie bald danach Rio de Janeiro in natura sehen würde, hätte sie sich damals nicht träumen lassen. Sie wartete auf Werner Zobel. Ein Cuba libre stand vor ihr auf dem Tisch. Als Zobel das Lokal betrat, zuckte das Mädchen kaum merklich zusammen. Er sah sich kurz um, erblickte sie und ging auf sie zu. Nachdem er sich gesetzt hatte, sagte er: „Ich höre.“ „Er wird es tun“, sagte sie ernst. Er lachte. „He, Baby, du hast doch nicht etwa auf einmal Mitleid mit ihm.“ „Doch. Es ist nicht fair, ihn so zu hintergehen.“ „Verdammt noch mal, Fairness können wir uns nicht leisten. Nicht, wenn zehn Millionen Mark im Spiel sind. Hast du schon mal versucht, dir so viel Geld vorzustellen?“ „Die Menschen tun zu viel für Geld.“ „So geht‘s nun mal zu auf der Welt. Man muss mit den Wölfen heulen. Du kannst nicht gegen den Strom schwimmen. Wann holt er die Steine aus dem Safe?“ „In einer Stunde“, sagte Britta. „Du bist großartig, einfach fantastisch!“, sagte Zobel begeistert. „Ich komme mir schäbig vor.“

„Das geht vorbei. Womit hast du ihn denn weichgekriegt? Ich meine, zuerst hast du ihm ja eingeredet, er solle die Steine für dich stehlen. Wie hast du‘s geschafft, ihn dazu zu bringen, dass er sich von den Smaragden trennt?“ „Er begnügt sich mit meiner Liebe. Mit den Smaragden kauft er mich von euch frei.“ Zobels Brauen zogen sich zusammen. „Du hast ihm von uns erzählt?“ „Musste ich doch. Ich stellte euch so schlecht wie möglich hin und sagte ihm, dass ihr mich umbringen würdet, wenn ihr die Edelsteine nicht kriegt.“ Der Killer grinste. „Und da geht er hin und besorgt für uns die Steine, damit wir euch in Ruhe lassen. Ich muss gestehen, ich habe dich unterschätzt. Ich hätte dir nicht zugetraut, dass du so raffiniert bist.“ Er ging telefonieren, rief das Haus an, in dem sich Groth und Luckert aufhielten. Stefan Luckert meldete sich, und nun konnte Zobel seine Katze aus dem Sack lassen. „Hör zu, Stefan“, sagte er, „ihr könnt euch euren schönen Plan an den Hut stecken ...“ „Sag mal, bist du besoffen?“, fragte Luckert ärgerlich. „Ihr wart dagegen, dass ich Britta Debner nach Rio mitnahm, deshalb ließ ich sie heimlich nachkommen, und das Mädchen hat großartige Arbeit geleistet. Es gelang ihr, Benecio Quispe für uns zu gewinnen. Sie hat ihn zu unserem Werkzeug gemacht. Ihr könnt alles, was ihr vorhabt, vergessen. Quispe wird die Steine aus dem Safe holen, und Britta wird sie uns bringen. Na, wie habe ich das gedeichselt? Ihr braucht keinen Finger zu rühren und kriegt eine Menge Geld. Ich denke, das sollte uns allen ein bisschen was wert sein.“ „Verdammt, Werner, ich hasse es, wenn jemand hinter meinem Rücken ‘ne Extratour reitet!“, blaffte Luckert. „Vereinbart war, dass die Beute – nach Abzug von Dieter Kohnes fünf Prozent – geviertelt wird“, sagte Zobel frostig. „Ein Viertel für Theo Franzen, drei Viertel für uns. Ich schlage vor, dass wir Britta Debner mit hineinnehmen und aus den drei Vierteln vier Viertel machen.“

„Bist du verrückt?“ „Es bleibt vom Kuchen immer noch genug für jeden von uns übrig“, sagte Zobel. „Kommt nicht in Frage!“ „Hör mal, das Mädchen hat die ganze Arbeit getan!“, sagte Zobel scharf. „Ich lehne deinen Vorschlag ab!“, schrie Luckert aufgebracht. „Zum Henker, du solltest froh sein, dass ihr zwei mit drinbleibt!“, schrie Zobel wütend zurück. „Britta und ich könnten ebenso gut allein absahnen. Begreif endlich, dass du auf einem verflucht schwachen Ast sitzt, Stefan! Die Sache läuft für euch entweder nach meinen Bedingungen oder gar nicht. Dann seid ihr aus dem Rennen. Es steht euch natürlich frei, nach eurem Plan vorzugehen, aber ihr werdet einen leeren Safe vorfinden.“ Luckert machte sich mit ordinären Flüchen Luft. Da er keine andere Wahl hatte, musste er auf die Bedingungen des Killers eingehen. Zobel sagte ihm, was weiter zu geschehen hätte und hängte ein. Er kehrte zu Britta zurück. „Ich habe für dich einen ordentlichen Anteil herausgehauen“, sagte er grinsend. „Luckert war zwar nicht eben begeistert davon, aber er musste die bittere Pille wohl oder übel schlucken.“ „Wie viel kriege ich?“, erkundigte sich das Mädchen. „Genauso viel wie Luckert, Groth und ich. Ist ‘ne ganze Menge, was?“ „Du hast doch einen Hintergedanken. Warum hast du so viel für mich herausgehauen, Werner?“ „Nun, ich dachte, wenn wir uns zusammentun, können wir das schöne Geld gemeinsam ausgeben. Würde dir das nicht gefallen?“ „Das weiß ich noch nicht.“ „Du darfst es dir in Ruhe überlegen“, meinte Zobel lächelnd. „Es gibt nur noch ein paar Kleinigkeiten zu klären. mal auf ...“

27

Seit Britta Debner Bernd Schuster unwissentlich hierhergeführt hatte, lag der Detektiv hinter den hohen Büschen auf der Lauer. Noch wartete er geduldig auf das Eintreffen von Werner Zobel, um die Falle dann zuschnappen zu lassen. Doch der Killer erschien nicht, und als Stefan Luckert den Bungalow verließ, riss Bernds Geduldsfaden. Luckert fuhr mit einem Wagen weg. Dennis Groth blieb allein zurück, und so disponierte der Detektiv rasch um, damit er so ins Spiel kam, wie er sich das vorstellte. Er verließ sein Versteck und schlich auf das Haus zu. Groth zündete sich eine Zigarette an, legte sie weg und holte sich einen Drink von der Hausbar. Als er das Glas an die Lippen setzte, trat Bernd durch die Terrassentür ein und sagte: „Cheerio!“ Groth fuhr der Schreck in die Glieder. Er schleuderte sein Glas nach Bernd Schuster und versuchte zu fliehen. Bernd duckte sich. Das Glas flog über ihn hinweg und zerschellte an der Wand. Der Detektiv jagte hinter Groth her. Der Gangster riss die Tür auf. Bernd trat sie zu und riss den Verbrecher zurück. Groth reagierte hysterisch. Bernd wartete ab, bis Groths Dampf nachließ. Er beschränkte sich darauf, sich vor Zufallstreffern zu schützen. Dennis Groth verausgabte sich so sehr, dass ihm Bernd hinterher nur noch einen Stoß zu geben brauchte. Der Mann wankte zurück, stieß gegen einen Sessel und plumpste hinein. Er wollte sich sofort wieder hochstemmen, doch das ließ Bernd Schuster nicht zu. Blitzschnell riss er seinen Colt Cobra aus dem Gürtel und ließ den verstörten Verbrecher in die Mündung blicken. „Ganz ruhig, Freund“, sagte Bernd eindringlich. „Ich rate dir, mich nicht zu ärgern, das würde dir nämlich sehr schlecht bekommen. Entspann dich! Sei nicht so verkrampft, Junge. Lass uns in aller Ruhe wie vernünftige Männer reden.“

Groth starrte den Detektiv hasserfüllt an. Er konnte nicht begreifen, dass Bernd Schuster hier so unverhofft aufkreuzte. „Überrascht, mich zu sehen?“, fragte Schuster grinsend. „Das kann man wohl sagen“, gab Dennis Groth heiser zu. „Wer hat uns verpfiffen?“ „Niemand.“ „Das gibt es nicht. Von irgendjemand musst du den Tipp gekriegt haben, Schuster!“ „ auf, wir wollen voreinander keine Geheimnisse haben, okay? Ich sage dir, was ich weiß, und du sagst mir, was du weißt, einverstanden?“ Groth sagte nicht ja und nicht nein. Sein Einverständnis voraussetzend, begann Bernd Schuster: „Es begann in Berlin. Werner Zobel legte Stephan Kranz um. Der Tat dringend verdächtigt wurde aber nicht euer Freund, sondern ein Mann namens Tobias Krahe. Er sitzt seither im Gefängnis. Meine Aufgabe ist es, den richtigen Täter zu überführen. Nach dem Mord verschwand Zobel von der Bildfläche. Nicht meinetwegen, sondern wegen der Killer, die ihm Sven Habermann an den Hals hetzte. Bei meiner Suche nach Zobel stieß ich auf ein Mädchen namens Britta Debner. Ich erfuhr, dass ihr Freund sie nach Rio nachkommen lässt und flog mit. Von da an wurde für mich der Fall ein bisschen eintönig, denn ich konnte nur noch Britta beschatten und darauf warten, dass sie sich mit Zobel traf. Sie führte mich zwar nicht zu ihm, aber hierher. Als ich dich und Luckert erblickte, fiel bei mir der Groschen. Ihr wollt ein Ding drehen. Britta Debner zeigte großes Interesse für Altor Perez‘ Firma. Sie lachte sich sogar dessen rechte Hand Benecio Quispe an. – Und nun zu meinen Fragen: In wessen Auftrag seid ihr nach Rio gereist?“ Statt zu antworten, trat Dennis Groth gegen Bernd Schusters Knie. Dann schnellte er hoch. Es war ein Reflex, dass Bernd Schuster mit dem Colt zuschlug. Der Gangster sackte zusammen und regte sich nicht mehr. Bernd hob das schmerzende Bein und bewegte es einige Male hin und her. Humpelnd begab er sich auf die Suche nach einem widerstandsfähigen Strick, mit dem er Groth fesseln konnte, damit dieser nicht noch einmal auskeilte.

Er verschnürte den Mann fachgerecht. Dann schlug er so lange auf Groths Wangen, bis der Gangster die Augen öffnete. „Fang allmählich an, deine Situation richtig einzuschätzen!“, riet Bernd Schuster dem Verbrecher. „Für dich gibt‘s keinen Blumentopf mehr zu gewinnen. Also nimm Vernunft an und rede. Wer hat euch nach Rio de Janeiro geschickt?“ „Theo Franzen“, sagte Groth krächzend. „Kenne ich nicht.“ Groth klärte Bernd Schuster über den Mann auf. Ihm war jetzt alles egal. Er redete wie ein Wasserfall. So erfuhr Bernd Schuster auch von den Smaragden im Wert von zehn Millionen Mark, die die Gangster dem Edelsteinhändler abnehmen wollten. „Wer hat Franzen auf die Idee gebracht?“, wollte Bernd wissen. „Dieter Kohne.“ Bernd erfuhr Kohnes Beweggründe. „Ursprünglich war geplant, dass Luckert und ich die Steine aus dem Firmensafe holen“, erzählte Groth weiter. „Wir wussten nicht, dass Zobel seine eigenen Vorbereitungen parallel laufen ließ. Nachdem Britta Debner Benecio Quispe herumgekriegt hat, stellt uns Zobel jetzt vor die vollendete Tatsache und verlangt für das Mädchen einen Anteil, der ebenso hoch ist wie unsere. Wären wir damit nicht einverstanden gewesen, hätte Zobel uns ausgebootet.“ „Quispe verschafft euch also die Smaragde.“ „Ja“, sagte Groth. „Wann?“ „Britta Debner wird die Steine in etwa einer Stunde am Cais do Porto übergeben.“ „An wen? An Zobel?“

„Und an Luckert“, sagte Groth. Es funkelte in Bernd Schusters Augen. In einer Stunde würde er Zobel endlich dingfest machen und ihm die Millionenbeute abnehmen. Er freute sich jetzt schon darauf. „In der Zwischenzeit will Zobel eine flankierende Maßnahme treffen, um Quispes Arbeitsbedingungen zu optimieren“, fuhr Groth fort. „Was heißt das im Klartext?“, fragte Bernd Schuster. „Zobel wird dafür sorgen, dass Altor Perez seinem Mitarbeiter nicht in die Quere kommen kann.“ Bernd erschrak. „Willst du damit andeuten, er hat die Absicht, Perez zu töten?“ „Für so viel Geld macht Zobel gern diese Fleißaufgabe“, sagte Groth. „Damit erweist er Dieter Kohne bestimmt einen zusätzlichen Gefallen.“ „Wo wohnt Perez?“, fragte Bernd Schuster wie aus der Pistole geschossen. Dennis Groth nannte die Adresse. Da der Fall für ihn gelaufen war, machte es ihm nichts aus, noch jemand mit hineinzureißen. Bernd rannte los. „Schuster!“, rief ihm Groth nach. „Was wird nun aus mir?“ „Ich hab‘ erst mal zu tun“, gab Bernd in der Tür stehend zurück. „Sobald ich etwas Luft habe, sorge ich dafür, dass man dich abholt.“

28

Altor Perez besaß ein Traumhaus. Es stand auf einem Hügel, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die Ilha Cotunduba hatte. Die üppige Vegetation wucherte bis ans türkisfarbene Schwimmbecken, in dem Ravenna Luego mit der Eleganz eines Fisches schwamm. Sie trug den kleinsten Tanga, den Werner Zobel je gesehen hatte. Ein dünnes Lächeln huschte über seine Züge. Das Leben des Mädchens hing an einem seidenen Faden. Wenn Ravenna im Schwimmbecken blieb, würde ihr nichts geschehen, wenn sie sich aber zu Perez ins Haus begab, war sie genauso dran wie der Edelsteinhändler. Der Killer fragte sich, wie Dieter Kohne wohl die Meldung aufnehmen würde, dass es Ravenna Luego ebenfalls erwischt hatte. Das Mädchen hatte ihm die schwerste Enttäuschung seines Lebens bereitet. Er hasste Altor Perez und Ravenna Luego deswegen, aber würde sein Hass so stark sein, dass er sich sogar über den Tod der beiden freuen konnte? Zobel schlich im Schatten von Palmen auf das große Haus des Edelsteinhändlers zu. Altor Perez befand sich in seinem Arbeitszimmer. Damit dem Coup ein sicherer Erfolg beschieden war, musste der Mann sterben, so wollte es Werner Zobel. Theo Franzen hatte ihn schließlich mit nach Rio geschickt, damit er das ZehnMillionen-Mark-Ding abschirmte, und er war nun drauf und dran, das zu tun. Im Haus läutete das Telefon. Perez meldete sich. Zobel hörte ihn reden. Der Mörder blickte Richtung Swimmingpool. Die Gelegenheit war günstig. Ravenna Luego schwamm soeben vom Haus weg. Blitzschnell verschwand Zobel im Gebäude. Er zog seine Waffe und entsicherte sie. Perez unterhielt sich immer noch mit dem Anrufer. Zobel blickte sich in der

großzügigen Wohnhalle um. Antike Schränke, Uhren, Stühle schufen eine wohnliche Atmosphäre. Eine Sitzgruppe aus Büffelleder stand vor dem offenen Kamin. Wertvolle Gemälde, natürlich Originale, hingen an den Wänden. Perez hatte Stil, das gestand ihm der Killer zu. Aber nicht mehr lange, dachte Werner Zobel. Der Tod löscht alles aus. Den guten Geschmack, die besten Ideen, das Talent fürs Geschäft ... Zobel durchquerte zielstrebig die Halle. Draußen schnellte Ravenna Luego aus dem Schwimmbecken. Ein prachtvoll gebautes Mädchen. Wie Silberperlen glitzerten die Wassertropfen auf ihrer olivfarbenen Haut. Der Killer sah sie nicht. Er erreichte in diesem Augenblick die Tür, die in Altor Perez‘ Arbeitszimmer führte. Ravenna schlüpfte in einen schneeweißen Bademantel, setzte die Kapuze auf und band den Gürtel vor dem flachen Bauch zu einer großen Schleife. Dann schlüpfte sie in Sandalen und kam auf das Haus zu. Zobel ahnte das nicht. Er wähnte das attraktive Mädchen immer noch im Swimmingpool. Damit sie den Mord an Perez nicht sofort mitbekam, beabsichtigte Zobel den Edelsteinhändler nicht zu erschießen. Mit der Waffe wollte er Perez nur bewusstlos schlagen. Den Rest konnte er dann mit bloßen Händen besorgen. Soeben beendete Perez das Telefongespräch. Darauf hatte Werner Zobel gewartet. Nun war es Zeit zu handeln. Der Mörder stieß die Tür auf. Altor Perez saß an einem großformatigen Schreibtisch. Er zuckte heftig zusammen und war zu keiner Abwehrmaßnahme fähig. Er riss nur verdattert die Augen auf, während der Killer auf ihn zu rannte und ihn mit einem einzigen Schlag vom Schreibtischstuhl holte. Hastig steckte Zobel die Waffe weg, eilte um den Schreibtisch herum, kniete sich neben den Ohnmächtigen und legte ihm die Hände um den Hals. Als er zudrückte, gellte ein schriller Schrei auf. Ravenna Luego stand in der Tür.

29

Diesen Schrei hörte Bernd Schuster, als er aus dem Wagen stieg. Der Detektiv griff zum Colt und lief los. Er sprang über den hüfthohen Zaun, lief über einen teppichweichen Rasen, an der Seitenwand des Gebäudes vorbei in Richtung Terrasse. Auf seinem Weg dorthin fiel ihm ein offenes Fenster auf, durch das er in Altor Perezs Arbeitszimmer sehen konnte. Bernd stoppte und erfasste die Situation mit einem Blick. Der Edelsteinhändler lag neben seinem Schreibtisch auf dem Boden. In der Tür stand Ravenna Luego, und neben Altor Perez kniete Werner Zobel. ‚Endlich!‘, schoss es Bernd Schuster durch den Kopf. Er hoffte, dass Perez noch lebte. „Zobel!“, schrie Bernd und brachte den stumpfnasigen Revolver in Anschlag. Der Killer rollte zur Seite, riss seine Waffe heraus und eröffnete auf Bernd Schuster das Feuer. Das Krachen der Schüsse erschreckte Ravenna Luego so sehr, dass sie wieder schrie und sich zitternd die Ohren zuhielt. Sie hätte fliehen sollen, doch in ihrem Schock kam sie nicht auf diesen Gedanken. „Ravenna!“, rief Bernd Schuster. „Laufen Sie weg! Schnell!“ Aber das Mädchen schrie so laut, dass es Bernds Worte nicht hörte. Der Detektiv rief den Killer an. „Gib auf, Zobel!“ „Spaßvogel! Warum denn?“ „Du kommst von hier nicht mehr weg!“ „Ich wette dagegen!“, schrie der Mörder. Bernd lud seine Waffe nach.

„Verdammt, Schuster, ich dachte, du wärst mit Franziska Jahn und Karsten Sattler im Lagerhaus verbrannt!“ „Da sieht man wieder, wie man sich irren kann.“ „Und wie hast du meine Spur gefunden?“ „Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir auf dem Weg zur Polizei.“ Der Killer lachte. „Da kriegst du mich nie hin.“ Bernd wollte ihm das Gegenteil beweisen. Er spannte die Muskeln und stieß sich ab. Mit einem Hechtsprung flog er durch das offene Fenster in Perez‘ Arbeitszimmer. Werner Zobel fing sofort wieder an zu schießen. Bernd spürte einen Schlag gegen die Schulter, und dann fuhr ein heftiger Schmerz durch seinen Arm. Er stöhnte auf, wälzte sich hinter einen Ledersessel in Deckung und erwiderte das Feuer. Zobel sprang auf. Schießend rannte er durch den Raum. Auf Ravenna Luego zu, die vor Entsetzen leichenblass wurde. Bernd hatte das Gefühl, die Haare würden ihm zu Berge stehen. Sobald der Killer die Nähe des Mädchens erreichte, konnte Bernd Schuster nicht mehr schießen. Er wollte Ravenna nicht gefährden. Zobel packte sie und riss sie an sich. Sie schrie sofort wieder auf. Wie einen lebenden Schild hielt der Killer sie vor sich und schleppte sie mit nach draußen. Bernd sprang auf, sobald die beiden nicht mehr zu sehen waren. Er blickte kurz auf seine Schulter. Jackett und Hemd waren aufgerissen. Bernd sah Blut und wusste, dass er einen Streifschuss abbekommen hatte. Er ignorierte die Verletzung und lief zur Tür. Ravenna Luego fasste Mut. Sie versuchte sich loszureißen. In der Eile konnte Zobel sie nicht fest genug halten. Sie biss ihn einfach in die Hand. Er schrie zornig auf und versetzte ihr einen Faustschlag, der sie umwarf.

Auf allen Vieren kroch sie davon. Bernd registrierte es und federte aus dem Arbeitszimmer. Zobel riss soeben die Haustür auf. Und er schoss auf Bernd Schuster, der seine Position blitzschnell wechselte und zurückfeuerte. Doch Zobel hatte mehr Glück als Verstand. Ravenna Luego schnellte auf einmal hoch und stand konfus zwischen dem Killer und Bernds Waffe. Ehe der Detektiv daran etwas ändern konnte, erreichte Zobel seinen Wagen und raste davon. Bernd verzichtete darauf, ihm zu folgen. Er wusste, wo er Zobel wiederfinden würde: am Cais do Porto. Im Augenblick erschien es ihm wichtiger, sich um das Mädchen und den Edelsteinhändler zu kümmern. Verstört wankte Ravenna auf ihn zu. „Warum hat der Mann das getan?“, fragte sie mit heiserer Stimme. Bernd erklärte ihr die Situation mit wenigen Worten. Gemeinsam bemühten sie sich dann um Altor Perez, der soeben zu sich kam. Bernd war froh, dem Edelsteinhändler das Leben gerettet zu haben. Als der Mann sich etwas besser fühlte, erfuhr er von Bernd Schuster, was geschehen war. „Quispe auch“, sagte Perez erschüttert. „Das hätte ich nicht von ihm gedacht.“ „Die Gangster haben die Sache raffiniert eingefädelt“, sagte Bernd Schuster. „Aber keine Sorge, Sie kriegen Ihre Smaragde wieder. Kann ich Sie beide allein lassen?“ Ravenna legte ihren Arm um Perez. „Wir kommen schon ohne Sie zurecht, Señor Schuster.“ Bernd lächelte. Als er ging, rief ihm Perez nach: „Viel Glück!“ „Danke“, gab Bernd Schuster zurück. „Kann ich gebrauchen.“

30

Cais do Porto. Bernd lag auf der Lauer. Das Finale stand kurz bevor. Bernd hatte Zeit und ließ deshalb ein paar Rückblenden ablaufen. Der Mord an Stephan Kranz hatte weite Kreise gezogen. Wie ein Stein, den man in ein stilles Wasser wirft. Es war ziemlich turbulent zugegangen in dem Fall, der nun bald zu Ende sein würde. Bernd saß in seinem Wagen und rauchte eine Roth Händle. Er fragte sich, was aus Hans Wendler geworden war. Hatte ihn inzwischen die Polizei erwischt? Befand Habermanns Killer sich immer noch auf der Suche nach Zobel? Oder war es zwischen den beiden Killern bereits zu einer heißen Konfrontation gekommen? Irgendwann würde Bernd auch auf diese Fragen eine Antwort haben. Ein Wagen lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Auto fuhr an einem kleinen Park mit hohen alten Palmen vorbei und hielt vor einer großen Bootsvermietung an. Hier konnte man sich vom Tretboot bis zur 20-Meter-Yacht alles leihen. Bernd sah Werner Zobel und Stefan Luckert. Er hätte sofort zuschlagen können, aber dann wären ihm die Smaragde nicht in die Hände gefallen, und die wollte er auch haben. Er hielt nach Britta Debner Ausschau, und er entdeckte ein Motorboot, das in diesem Moment in den Hafen einlief. Hinter dem Ruder stand Benecio Quispe. Neben ihm stand Britta. Ihre Züge wirkten starr, als wären sie aus Porzellan. Quispe legte an. Britta sprang an Land. Sie trug einen Koffer, den sie bei Zobel und Luckert ablieferte. Anschließend kehrte sie zu Quispe zurück, und das Motorboot verließ den Hafen wieder. Nun musste Bernd Schusters Auftritt kommen.

31

„Lass mal die Pracht sehen“, verlangte Luckert. „Nicht hier“, sagte Zobel und startete den Motor. „Warum denn nicht? Es kommt doch keiner auf die Idee, dass sich in dem Koffer Smaragde im Wert von zehn Millionen Mark befinden. Nun mach schon auf“, sagte Stefan Luckert drängend. „Ich möchte mir ansehen, was Britta Debner geliefert hat.“ Zobel grinste. „Was hast du denn? Hast du Angst, das Mädchen legt uns rein?“ „Kann man‘s wissen?“ „Britta ist doch nicht verrückt. Sie kennt mich doch“, sagte Zobel, aber er ließ doch die Metallverschlüsse aufschnappen und hob vorsichtig den Deckel. In weichem grauem Samt lagen die wertvollen Edelsteine gebettet. Ihr Strahlen schien ansteckend zu sein, denn auch Zobel strahlte. „Zufrieden?“, fragte er seinen Komplizen und wollte den Koffer wieder schließen. „Moment noch“, sagte Luckert, holte aus der Außentasche seines Jacketts eine Juwelierlupe und klemmte sie sich vor das rechte Auge. Dann griff er wahllos nach einem Stein, um ihn eingehend zu betrachten. Plötzlich wurde er bleich. „Verdammt!“ „Was ist?“, fragte Zobel irritiert. Luckert nahm einen anderen Stein. „Verdammt!“ „Zum Teufel, was ist denn los?“, zischte Zobel ungeduldig und wütend. „Imitationen! Das sind lauter Imitationen! Hervorragend gemacht, aber doch falsche Steine!“ „Das ist nicht wahr!“, schrie Zobel zornig.

„Ich bin Experte.“ „Aber das können doch nicht alles nachgemachte Steine sein!“ „Britta Debner hat dich reingelegt! Dieses gerissene Mädchen macht nicht mit uns, sondern mit Benecio Quispe gemeinsame Sache.“ „Unmöglich!“ „Hier hast du ja den Beweis! Warum hast du die Arbeit nicht Groth und mich tun lassen? Warum musstest du dich einmischen? Warum musstest du unbedingt beweisen, wie clever du bist? Mann, das ist der Reinfall des Jahrhunderts! Der ach so schlaue Werner Zobel wurde von ‘ner Mieze ausgetrickst! Ich lach‘ mich kaputt. Ist dir klar, dass du uns damit zum Gespött der Leute gemacht hast? Wir können uns in Berlin nicht mehr blicken lassen!“ Zobel ging ein Licht auf, während er mit schmalen Augen in die Koffer starrte. „Dieses Luder macht mit dem Brasilianer nicht gemeinsame Sache, Stefan. Sie will die echten Steine für sich allein haben. Ich habe ihr aufgetragen, Quispe nach Übergabe des Koffers umzulegen, und genau das wird sie tun.“ Bernd Schuster lief hinter prachtvoll blühenden Tropenbüschen auf den Gangsterwagen zu. Er trachtete, von Zobel und Luckert nicht im Rückspiegel entdeckt zu werden. In seiner Rechten lag der Colt Cobra. Den Streifschuss hatte er notdürftig versorgt. Die Verletzung behinderte ihn in keiner Weise. Er spürte sie kaum. Solche Kratzer bekam er öfter ab. Sie gehörten gewissermaßen zu seinem Leben. Er erreichte das Fahrzeug, als Zobel und Luckert aussteigen wollten. Bernd befand sich auf der Beifahrerseite. Als Luckert ihn erblickte, drehte er durch. Er stieß die Tür auf und rammte sie gegen Bernd Schuster. Dann federte er aus dem Auto und griff zur Waffe, doch Bernd ließ nicht zu, dass er sie zog. Der Detektiv schlug mit dem Colt auf Luckerts Unterarm. Der Gangster schrie auf. Er stürzte sich auf Bernd Schuster, doch er bekam keine Chance. Der Cobra traf Stefan Luckerts Jochbein. Benommen kippte der Gangster nach

hinten und schlug mit dem Hinterkopf auf die Dachkante des Fahrzeugs. Das verkraftete er nicht. Er verlor das Bewusstsein. Bernd wollte sich sogleich um Werner Zobel kümmern, doch der Killer hatte längst das Weite gesucht. Soeben sprang er in ein Motorboot, mit dem eigentlich ein junger Mann auslaufen wollte. Zobel ließ sich auf keine Diskussionen ein. Ein Faustschlag beförderte den Mann ins Wasser. Dann raste er los. Bernd rief einen vorbeigehenden Brasilianer zu sich. Er wies auf den ohnmächtigen Gangster, dem er inzwischen die Waffe abgenommen hatte. „Ich bin Privatdetektiv. Würden Sie sich seiner annehmen?“ Der breitschultrige Mann nickte. „Vielleicht findet sich jemand, der die Polizei verständigt. Capitano Jaruiz. Er soll herkommen. Ich heiße Schuster. Wenn er meinen Namen hört, ist er in Rekordzeit zur Stelle.“ Bernd rannte zum Bootsverleih. Der junge Mann stieg soeben fluchend und schimpfend aus dem Wasser. Einige Leute umringten ihn. „Ich brauche dringend ein Boot!“, stieß Bernd Schuster hervor. „Welches ist das Schnellste?“ Der Verleiher zeigte es ihm, und Bernd nahm die Verfolgung auf. Noch einmal durfte ihm Werner Zobel nicht entkommen.

32

Zehn Millionen Mark! Sie gehörten ihr, ihr ganz allein. Britta Debner konnte es noch nicht richtig fassen. Schon in Berlin, als Zobel ihr sagte, was sie in Rio de Janeiro zu tun hätte, beschloss sie, sich die Steine zu beschaffen. Ihr lachte das Herz, denn sie hatte alle getäuscht. Zobel ebenso wie Quispe. Sie brauchte nur noch auszuführen, was Werner Zobel ihr zuletzt aufgetragen hatte, dann konnte ihr die wertvollen Steine niemand mehr streitig machen, dann war sie reich. So reich, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte. Sie fuhren auf zwei kleine unbewohnte Inseln in der Baia de Guanabara zu. Benecio Quispe hielt das Ruder fest in seiner Hand. Brittas Hand glitt vorsichtig in die Tasche ihres Hosenanzugs. Zobel hatte ihr eine Derringer-Pistole verschafft. Damit sollte sie den Brasilianer erschießen, ins Meer werfen und nach Rio zurückkehren. Ihre Finger schlossen sich um die Waffe. Natürlich war sie sehr aufgeregt, schließlich hatte sie noch nie einen Mord verübt. Aber für zehn Millionen Mark ... Quispe bemerkte nicht, wie sie die kleine Pistole aus der Tasche zog und entsicherte. Ihr Herz hämmerte aufgeregt gegen die Rippen. Sie trat einen Schritt zurück und richtete die Waffe auf den Brasilianer. Es war gut, dass er ihr den Rücken zukehrte. So brauchte sie ihm wenigstens nicht in die Augen zu sehen, wenn sie abdrückte.

33

Das Boot, das Bernd Schuster zur Verfügung stand – eine Almar 190 mit JetTrieb – war ein Geschoss. Zobels Vorsprung schrumpfte merklich zusammen. Als Bernd Schuster auf Schussweite an den Killer herangekommen war, eröffnete der das Feuer. Bernd ging in Deckung. Er ließ die Almar schießen, feuerte zurück und zählte mit, wie viele Kugeln sein Gegner durch den Lauf jagte. Der Detektiv war dem Gangster gegenüber im Vorteil, denn ihm stand auch noch Stefan Luckerts Waffe zur Verfügung. Wieder drückte Zobel ab, und die Kugel fegte knapp über Bernd hinweg. Bernd Schuster zog den Stecher gleichfalls durch. Zobel zuckte getroffen zusammen. Er fiel gegen das Ruder. Sein Gesicht verzerrte sich. Schmerz, Wut und Hass entstellten seine Züge. Es konnten sich nur noch zwei Patronen in seiner Waffe befinden. Sobald er die verschossen hatte, federte Bernd Schuster hoch. Der Killer drückte abermals ab, doch es krachte nicht mehr. In fieberhafter Hast wollte Zobel das Magazin wechseln. Bernd versuchte schneller zu sein. Er steuerte die Almar an das Boot des Killers heran, nahm Gas weg, packte die Leine und sprang hinüber. Blitzschnell band er sie fest. Zobel klopfte soeben das neue Magazin in den Kolben. Die Pistole schwang in Bernd Schusters Richtung. Bernd Schuster war jedoch schneller. Luckerts Waffe krachte, und die Kugel schlug dem Verbrecher die Pistole aus der Hand. Obwohl er verletzt war, gab Zobel immer noch nicht auf. Er stürzte sich mit einem Wutschrei auf Bernd, doch Bernd Schuster hatte keine Mühe, mit dem angeschlagenen Killer fertigzuwerden. Ein Hieb holte Werner Zobel von den Beinen, und als er vor Bernd Schuster lag, begriff er endlich, dass er diesmal verloren hatte. Bernd band ihm die Hände auf

den Rücken. „Versprich mir was, Schuster“, keuchte der Killer. „Lass Britta Debner und den Brasilianer nicht ungeschoren davonkommen.“ Bernd lächelte. „Was hast du gegen Britta?“ „Das Miststück hat uns mit Quispes Hilfe ausgetrickst. Sie hat uns Imitationen untergejubelt.“ Bernd drosselte den Motor. „Dann muss ich dich für kurze Zeit allein lassen!“ „Sie will Quispe umlegen!“ Bernd band hastig die Leine los, sprang auf die Almar 190 hinüber und gab Vollgas. Nach kurzer Zeit sah er das Boot, mit dem Benecio Quispe und Britta Debner unterwegs waren, und als er die beiden fast eingeholt hatte, sah er, wie das Mädchen einen Schritt zurücktrat und eine Waffe auf den Brasilianer richtete. Bernd feuerte einen Warnschuss ab. Der Knall riss Quispe herum. Er bemerkte die Derringer-Pistole und reagierte augenblicklich. Er schlug Britta die Waffe aus der Hand. Sie versuchte sie sich wiederzuholen, doch der Brasilianer war schneller. Er packte die Pistole, federte hoch, stieß Britta Debner von sich und richtete die Derringer hasserfüllt auf sie. Doch inzwischen war Bernd Schuster nahe genug an das andere Boot herangekommen. Er visierte mit beiden Waffen Benecio Quispe an. „Tun Sie‘s nicht, Quispe!“, schrie er hinüber. „Zwingen Sie mich nicht, auf Sie zu schießen!“ Der Brasilianer entspannte sich. Enttäuschung und Verachtung lagen in seinem Blick. Er warf die Pistole resignierend über Bord. Bernd befahl ihm, umzukehren. Britta Debner starrte fassungslos zu Bernd herüber. Das war doch dieser Mann, der neben ihr im Flugzeug gesessen hatte. Sie nahmen Kurs auf Rio. Bernd befahl Britta, auf Zobels Boot umzusteigen, und Quispe und das Mädchen mussten anschließend vor Bernd Schuster herfahren. Als sie den Hafen erreichten, war Capitano Ricardo Jaruiz mit seinen

Leuten zur Stelle. „Ich wusste es!“, knurrte er. „Ich wusste es von Anfang an, dass Sie nicht hier sind, um Urlaub zu machen!“ Bernd hob abwehrend die Hände. „Bitte keine Vorwürfe, Capitano. Freuen Sie sich lieber mit mir über den Erfolg.“ Jaruiz‘ Männer fanden die echten Smaragde auf Quispes Boot. Bernd sagte dem Capitano, wo Dennis Groth für die Polizei abholbereit lag, und dann brach die Kolonne zum Polizeigebäude auf. Während der Fahrt dorthin erfuhr Bernd Schuster von Jaruiz, der nun etwas umgänglicher geworden war, welches Schicksal Hans Wendler ereilt hatte. In Ricardo Jaruiz‘ Büro durfte Bernd Schuster dann mit Berlin telefonieren. Er lieferte seinem Freund Inspektor Südermann einen lückenlosen Bericht, den Capitano Jaruiz kurz bestätigte. Daraufhin versprach Horst, Tobias Krahe noch in dieser Stunde auf freien Fuß zu setzen. Um die Überstellung der Gangster kümmerte sich Bernd Schuster nicht. Das war Sache der Behörden. Sein Job war zu Ende. Gleichzeitig mit Tobias Krahes Freilassung schickte Horst Südermann seine Männer los, damit sie Dieter Kohne und Theo Franzen verhafteten, denn auch die beiden sollten nicht leer ausgehen. Als Bernd Schuster tags darauf in Berlin eintraf, holte ihn Franziska Jahn vom Flughafen ab. „Du wolltest mir doch eine Ansichtskarte schicken“, sagte sie vorwurfsvoll. „Tut mir leid, ich hatte zu viel zu tun“, entschuldigte sich Bernd. „Gibt‘s was Neues?“ „Karsten Sattler wurde aus dem Krankenhaus entlassen.“ „Das freut mich. Wie geht es ihm?“ „Er muss sich noch schonen. Rosa pflegt ihn. Er wohnt jetzt bei ihr. Sie hat uns übrigens für das Wochenende zu einer kleinen Feier eingeladen.“

Bernd lächelte. „Ich komme mit dem größten Vergnügen.“ „Es gibt Chili con carne.“ „Dann noch viel lieber“, meinte Bernd lächelnd. „Aber vorher haben wir beide noch etwas Anderes zu feiern.“ Verwundert blickte Franziska zu ihm herüber, musste dann aber in die Katzbachstraße abbiegen und auf den Verkehr achten. „Bieg mal bitte da vorn links in die Monumentenstraße ein. So, noch weiter. Da hinten steht ein dunkelblauer Jaguar. Stell den Wagen bitte dort ab.“ Franziska war verwirrt. Weshalb wollte Bernd nicht auf dem schnellsten Weg zurück in die Kurfürstenstraße? Sie hatte angenommen, dass er nach den vielen Stunden im Flugzeug, der Wartezeit in Frankfurt und dem Weiterflug nach Berlin so müde war, dass er nur noch schlafen wollte. Aber Bernd schien vor Energie nur so zu sprühen, und als Franziska hinter der eleganten Limousine parkte, sprang er voller Schwung heraus, nahm sein kleines Handgepäck von der Rückbank und bot ihr den Arm, nachdem sie den Wagen abgeschlossen hatte. „Du hast etwas vor, Bernd, und ich staune nur über deine Energie. Ich wäre jedenfalls vollkommen übermüdet.“ „Ich konnte im Flugzeug gut schlafen, Franzi.“ Er hielt ihr die Tür zu einem Restaurant auf. Franziska warf einen raschen Blick auf das Namensschild. „Brasilia“ sagte ihr nur etwas über die Richtung der zu erwartenden Speisekarte, aber das Lokal schien ganz neu eröffnet zu haben. Es war gut gefüllt, und als sie zwischen den Tischen von einem Ober zu einem kleinen Tisch im hinteren Bereich geführt wurden, war Franziska angenehm von der Atmosphäre überrascht. Die Einrichtung war gediegen, die gedämpfte Musik im Hintergrund typisch südamerikanisch, und kaum, dass ihr Bernd den Stuhl zurechtgeschoben hatte, kam ein weiterer Ober und brachte eine Flasche Champagner. „Du hast wohl eine Sonderzahlung vom Staat vor Ort erhalten, Bernd?“, neckte ihn Franziska, die noch immer nichts von Bernds finanzieller Unabhängigkeit durch seine vor Jahren erhaltene Erbschaft wusste. Bernd Schuster hatte nicht

die Absicht, dieses Geheimnis zu lösen. Dafür reichte er seiner Lebensgefährtin und Assistentin nun mit verschwörerischer Miene ein längliches Päckchen. „Nur ein kleines Reisemitbringsel aus Rio, das ich in letzter Minute entdeckt habe.“ „Da bin ich aber gespannt... oh, wie aufregend, die Miniaturausgabe der Cristo Redentor-Statur vom Berg Corcovado. Aber, Bernd – wie soll ich das verstehen?“ Die hübsche Franziska errötete plötzlich wie ein ertappter Teenager, als sie entdeckte, was die kleine und durchaus kitschige Figur um den Hals trug. Zwei schmale, schlichte, goldene Ringe hingen an einem Band. „Ich denke, liebe Franzi, dass es Zeit wird, unser Bratkartoffelverhältnis in legale Bahnen zu lenken. Ich will ja nicht, dass man uns beiden nachsagt, ein ewiges Freundespaar zu bleiben, nur, weil sich der Bernd nach seiner gescheiterten Ehe nicht mehr traut. Also, meine geliebte Franzi“, dabei erhob sich Bernd Schuster und kniete gleich darauf neben ihrem Stuhl, „willst du nun endlich meine Frau werden?“ „Bernd, steh auf, das ist ja wirklich...“ „Heißt das ja, Franzi?“ Sie lachte, wurde noch eine Spur verlegener, und zog Bernd an der Hand zu sich auf. Als sie sich einen Kuss gaben, erklang plötzlich Samba-Musik hinter ihnen, und drei brasilianische Musiker mit Gitarre, Pandeiro und Maracas, also der traditionellen Trommel und den Rumbakugeln, traten aus dem Hintergrund an ihren Tisch. „Só quem acredita no futuro acredita no presente - nur wer an die Zukunft glaubt, glaubt an die Gegenwart, sagt man in Brasilien, Franzi. Lass uns die schlechten Dinge vergessen, die wir früher erlebt haben. Uns gehört die Zukunft.“ Und während die Samba-Musik lauter und mitreißender wurde, die Gäste begeisterten den Takt klatschten, hauchte Franziska Bernd etwas ins Ohr, dann küssten sie sich, bis sie ein dezentes Hüsteln darauf aufmerksam machte, dass die Musik schon ausgesetzt hatte. Bernd nahm das Champagner-Glas, stieß mit

Franziska an, drehte sich zu den Gästen um, hob das Glas und verneigte sich. Noch einmal kräftiger Applaus, dann spielte die Musik erneut, und die beiden erhielten ihre Vorspeise serviert. „Ich hoffe nur, du hast das auch mit Lucy abgesprochen, Bernd!“, sagte die immer noch überwältigte Franziska. „Das ist dein Stichwort, Liebes!“, rief Bernd, und in diesem Augenblick trat Lucy an ihren Tisch, nahm Franziska in den Arm, und der Kellner legte rasch, wie das abgesprochen war, ein drittes Gedeck auf. ENDE

Did you love Spandau-Schlitzer: 5 Krimis um das Berlin des Jahres 1968? Then you should read 12 spannende Strand Krimis Juli 2021 by Alfred Bekker et al.!

12 spannende Strand Krimis Juli 2021 - Hochspannung für den Urlaub von Alfred Bekker, Tomos Forrest, A.F.Morland

Über diesen Band:

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Tomos Forrest/A.F.Morland: Keine Gnade für Millane Alfred Bekker: Satansjünger Alfred Bekker: Killerjagd Alfred Bekker: Tod eines Schnüfflers Alfred Bekker: Mord am East River Alfred Bekker: Die Tote ohne Namen Alfred Bekker: Ein Sarg für den Prediger Alfred Bekker: Feuer und Flamme Alfred Bekker: Der Killer, dein Freund und Helfer Alfred Bekker: Mörderspiel Alfred Bekker: Verschwörung der Killer Alfred Bekker: Ein Killer läuft Amok

Im Kampf gegen das Verbrechen setzt der smarte Ermittler Bount Reiniger auf ungewöhnliche Methoden - hin und wieder aber auch auf die Schusskraft seiner Automatik.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Also by A. F. Morland

Agent Mike Borran Unsichtbare Mission Sammelband #1: Fünf Thriller in einem Band Unsichtbare Mission Sammelband #2: Fünf Thriller in einem Band Unsichtbare Mission Sammelband #3 - Fünf Thriller in einem Band Unsichtbare Mission Sammelband 4: Fünf Thriller in einem Band Unsichtbare Mission Sammelband #5 : Fünf Thriller in einem Band Unsichtbare Mission Sammelband #6 - Fünf Thriller in einem Band

Alfred Bekker präsentiert Krimi Doppelband #1: Abserviert von zarter Hand/ Undercover Mission Krimi Doppelband #4: Nun rate mal, wer zum Killen kommt/ Im Zeichen der Fliege Krimi Doppelband #6: Sein Job war Mord/ Falsche Heilige Krimi Doppelband #7: Feierabend für Miss Peal/ Schweigen ist Silber, Rache ist Gold Krimi Doppelband #8: Die letzte Zeugin schweigt/ Chinatown-Juwelen Krimi Doppelband #9: Die Haie der Commissione/ Die Waffe des Skorpions Juli-Killer 2017: 8 Krimis für die Ferien 10 Mörder im August - Zehn Krimis auf 1200 Seiten

Herbst-Horror - Acht Gruselromane auf 1016 Seiten Sechs Krimis auf 1113 Seiten: Mein krimineller Sommer-Ausklang Krimi Sammelband 9004: 9 Morde für den Strand Thriller-Paket 11 Krimis Juni 2020 Sammelband 11002 Mörder-Paket August 2020: Sammelband 10 Krimis für den Strand

Alfred Bekker schreibt als Henry Rohmer Krimi Doppelband #5: Tödlicher Rachefeldzug/ Die nackte Mörderin Vier Sommer-Morde Juni 2017

Alfred Bekker's Krimi Stunde Detektive killt man nicht: Drei Krimis Vier Krimis: New York sehen und ermordet werden Krimi Sammelband 6006 Sechs Romane: 6 Top Killer Winter Paket 2019 Fünfmal schlug der Mörder zu: 5 Krimis 6 Thriller – Mörder müssen sterben: Krimi Sammelband 5016

Alfred Bekker Thriller Sammlung Der 1081 Seiten Krimi Hochspannungs-Koffer für den Urlaub 12 Ferienmörder im August 2019: Sammelband 12 Krimis Hinter der geheimnisvollen Tür: Sammelband 3 geheimnisvolle Thriller

Kalte Nacht und dunkle Seelen: Sammelband 3 geheimnisvolle Thriller Sammelband 6 Krimis: 6 Juli-Mörder 2019

Alfred Bekker XXL Thriller Paket Thriller-Paket 10 Krimis September 2018 Sammelband 7 Krimis: 7 Januar-Mörder 2020 5 Strand Thriller: Killer, Juwelen und ein Grab – Krimi Sammelband 5004 Krimi Sommer 2020: Ermordet zwischen Marseille und Venedig – 1253 Seiten Thriller Spannung

Axarabor Die Raumflotte von Axarabor #4: Das hungrige Alien Die Raumflotte von Axarabor #6: Die Höhlen von Karanak

Barry Belmondo Besuch aus dem Schattenreich Pandoras Wiedergeburt

Drei Krimis Mehr von den mörderischen Drei: Drei Kriminalromane

Wildwest-Roman Sammelband Schnelle Colts #4

Standalone Tony Ballard #1: Die Höllenbrut Tony Ballard #80: Sieben Tote für die Hölle Tony Ballard #75: Das Geisterhaus Tony Ballard #76: Dämonenduell Tony Ballard # 77: Die weiße Hexe Tony Ballard #78: Die Mühle des Unheils Dr. Mystery #7: Das Kabinett des toten Hexers Die Agentin Sammelband #3 - Fünf Thriller in einem Band Top Grusel Thriller #10 - Im Würgegriff des Zyklopen Top Grusel Thriller #12 - Das Monster von Sorrent Top Grusel Thriller #13 - Die Toten Augen Top Grusel Thriller #9 - Lautlos tötet der Vampir Top Grusel Thriller #14: Der Hexenjäger Top Grusel Thriller #15: Mit den Insekten kam das Grauen Top Grusel Thriller #16: Das Blutgericht der Insekten Top Grusel Thriller #17: Die Bestien aus dem Teufelsmoor Top Grusel Thriller #18: Die Stunde des Henkers

Sammelband 7 Gruselromane Dämonenhasser Tony Ballard Band 100 bis 106 Tony Ballard #100 - Geburt eines Dämons Tony Ballard #101 - Der Seelensauger Tony Ballard #102 - Jagd nach dem Dämonenherz Tony Ballard #103 - Die Rache des Höllenfürsten Tony Ballard #104 - Mr. Silvers Sohn Tony Ballard #105 - Trank des Verderbens Tony Ballard #106 - Das Ghoul-Imperium Tony Ballard #107 - Das Monster aus der Todeswolke Tony Ballard #110: Im Reich der Seehexen Tony Ballard #111 - Wenn das Grauen sich erhebt Ein schicksalhafter Blackout Ein Wunder wird wahr: Arztroman Kann Carola verzeihen? Morlands Horror-Kabinett: Vier Gruselromane Unsichtbare Mission #10: Vogelfrei und ermordet Unsichtbare Mission #9: Abrechnung in Wien Sammelband Redlight Street 3 Romane - Zerschlagene Träume und andere Romane von der Straße der Liebe Ihr Mann, die Fliege: Tony Ballard 126 Corona, die Rebellin der Hölle: Tony Ballard #127

Arztroman Exklusiv Edition - Dr. Kayser und die verbotene Hochzeit Ein Killer-Team nimmt Maß: Ein Roberto Tardelli Thriller #43 Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 21: Das Geheimnis der Falkenfrau Das Ultimatum der Aliens - Tony Ballard Nr. 119 Die Monster aus dem All - Tony Ballard Nr. 117 Im Bann der Bestie - Tony Ballard Nr. 118 Die Killermacher von Key-West - Ein Roberto Tardelli Thriller #47 Panik in der Cosa Nostra - Ein Roberto Tardelli Thriller #48 Mafia-Jäger Roberto Tardelli #1 - Krimi-Serie: 5 Romane in einem Band Drei hammerharte Krimis #2: Nochmal drei Morde Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung Der Super Krimi Koffer August 2016: 1000 Seiten Thriller Spannung Tony Ballard #125 Die Stunde der Wölfe Tony Ballard #144 - Mr. Silvers böses Ich Das Böse wohnt in Harkerville Tony Ballard Nr. 143 Auswahlband Mörder-Kabinett September 2018 Fiese Killer: Krimis für die Ferien Fünf Mörder-Krimis Februar 2017 Horror Jahresband 2017 Mörder stellen sich nicht vor: Zehn Krimis

Prüfungen für die Liebe Da jagten sie den Henker los: N.Y.D. – New York Detectives Mafia-Jäger Roberto Tardelli #2 - Krimi-Serie: 5 Romane in einem Band Das Paket des Grauens - Horror Sammlung Januar 2018 11 Februar Krimis 2018 auf 1422 Seiten Krimi Doppelband #31 Attentat in der Klinik - Tatort Paracelsus Klinik Krimi Großband 9 Romane: Schnüffler und Leichen 6 Romane - Heimatroman Extra Großband Juni 2017 Krimi Sommer Paket 2018: Der Racheschwur und andere Krimis auf 1000 Seiten Ermordet und kalt abserviert: Acht Krimis Horror-Serie Tony Ballard - Sechs Romane 2 Zwölfmal Dämonenhasser Tony Ballard 001 - Sammelband 12 Grusel Thriller Sammelband 6 Krimis: Der Killer und sein Zeuge und andere Krimis Sammelband 6 Krimis für den Urlaub Januar 2018: Rendezvous unter Killern Starke Krimis für den Urlaub Das 1486 Seiten Krimi Ferien Paket – Mörderische Indizien: 15 Kriminalromane und Erzählungen Das große Buch der Dorf-Morde: 1100 Seiten Krimi-Spannung Sommer Killer 2018 - Sammelband: Fünf Krimis Sechs Romane Horror-Serie Tony Ballard 3 Dämonenhochzeit Horror-Koffer #2: Zehn Gruselromane

Horror-Koffer #3: Zehn Gruselromane 14 Sommermörder - 14 Super Strand Krimis Tardelli und die Falschgeld-Haie: Ein Roberto Tardelli Thriller #37 Tardelli und die schwarzen Engel: Ein Roberto Tardelli Thriller #38 Dr. Mystery - Der Parapsychologe - Band 1-6 1400 Seiten Strand Krimi Koffer April 2019 Acht Leichen, acht Morde, acht Krimis Extra Krimi Urlaubs-Sammlung April 2019 Das große Sommer Krimi-Festival: 1600 Seiten Spannung Krimi Jumbo-Band April 2017: 2500 Seiten Thriller Spannung Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #3 - Fünf Krimis in einem Band Vier Super Thriller #1: Von Mördern und Moneten Arztroman Sammelband Drei Romane - Zur Rettung bleibt nur wenig Zeit / Ein Mörder in Bergesfelden/ Sie dürfen als Frau nicht versagen - plus Extra Story Horror-Sammlung Januar 2018 Neue Leichen: Ein Krimi Trio Sammelband 10 Krimis - Der Name des Mörders und andere Krimis für den Strand Sammelband 5: Vier Romantic Thriller Vier besondere Krimis Januar 2019 Milo Tuckers Grab: Kriminalroman Zwei Morland Horror Thriller: Die Spur der Bestie/Der Würger aus dem

Totenreich 1339 Seiten Thriller Spannung - Krimi Ferien Sammelband: Die Bestie und 9 andere Romane 7 abgebrühte Morde - 7 Krimis auf 1200 Seiten Mehr Morde für den Strand: Acht Krimis 1283 Seiten Krimi-Paket - Wenn Mörder zurückkehren Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #6 - Fünf Krimis in einem Band Die Agentin - Sammelband #2: Fünf Thriller in einem Band Mafia-Jäger Roberto Tardelli #3 - Krimi-Serie: 5 Romane in einem Band Sechs Spionage Thriller August 2016 Diagnose unheilbare Liebe - 4 Schicksalsromane Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #4 - Fünf Krimis in einem Band Sammelband 7 Krimis: Sieben Morde auf einen Streich Zwei Top Krimis #1 Gute und böse Cops: Vier Krimis Mafia-Jäger Roberto Tardelli #4 - Krimi-Serie: 5 Romane in einem Band Zwei Morland Horror Thriller: Das Blutgericht der Medusa/Die Geisterfrau Eiskalte 13 Urlaubskrimis auf 1400 Seiten: Alfred Bekker Krimi Sammelband Morde für den Strand: Acht Krimis 10 ausgewählte Thriller - Ein 1204 Seiten Krimi Koffer 1454 Seiten Thriller Spannung: Extra Krimi Paket 2017

Arztroman Sammelband Drei Romane - Winterliebe/ Dann stürzte die Welt für sie ein / Der kleine Jan Sammelband 3 Krimis: N.Y.D. - New York Detectives Januar 2018 Super Krimis für die Ferien: Vier Thriller Das Super Gruselroman Paket Dezember 2016 - 1580 Seiten Horror Der Priester und die Sünderin: Heimat-Krimi Drei hammerharte Krimis Krimi Koffer 2018 - Eine Leiche im Gepäck und andere Krimis Krimi Koffer - In die Falle gelockt und andere Krimis Morde in den Bergen: Zwei Kriminalromane Sammelband 4 Krimis N.Y.D. - New York Detectives Special #2 Sammelband 6 Krimis: Ein Profi gibt nicht auf und andere Krimis Thriller Sammelband 5 hammerharte Krimis #1 Harte Typen räumen auf: Drei Krimis New York Sommermörder: Neun Krimis auf 1203 Seiten Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #5 - Fünf Krimis in einem Band Sammelband 4 Krimis: Vier April-Mörder 2018 Sammelband 6 Krimis für Strand und Ferien - Club der Mörder und andere Krimis Thriller-Paket 8 Krimis Juni 2018 Krimi Ferien Sammelband #1 - 1113 Seiten Thriller Spannung Krimi Sommer-Paket 10 Romane - Ein Toter nimmt Rache und andere Krimis

auf 1000 Seiten 6 Thriller Urlaubs-Paket 2018: 1000 Seiten Krimi Sammelband Neunmal Mord! 1000 Seiten Krimi Spannung A.F. Morland Kriminalroman - Attentat in der Klinik Mörderische 13 Urlaubs-Krimis auf 1600 Seiten Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis Thriller-Paket 11 Extra Krimis April 2018 Krimi Sommer Festival 10 Thriller, 1400 Seiten: Die Spur führt ins Nichts und andere Romane Liebe und Schicksal auf 1700 Seiten: Lesefutter für den Strand Sammelband 6 Krimis: Tödlicher Rachefeldzug und andere Krimis für Strand und Ferien Sammelband 7 Krimis: Der Todesengel hieß Tamara und andere Thriller Meister des Horrors - Das zweite Buch Arztroman Sammelband: Drei Romane: Wo ist der kleine Oliver und andere Romane Sammelband 3 Krimis: Mörderträume sind Schäume und andere Thriller Das Fest des Horrors - 8 unheimliche Romane Sammelband 6 Western – Wildwest Outlaws Februar 2018 Arztroman Sammelband: Drei Romane – Der Arzt mit den heilenden Händen und andere Romane Der 13. ist Sterbetag: Privatdetektiv Tony Cantrell #46 Arztroman Sammelband: Drei Romane - Die Nacht der schönen Chirurgin und

andere Arztromane Die Agentin - Sammelband #4: Fünf Thriller in einem Band Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #7 - Fünf Krimis in einem Band Arztroman Sammelband 3 Romane: Ein Kind für Dr. Büttner /Ein Baby ist mein Herzenswunsch / Eine Liebe – ein ganzes Leben lang Jesse Trevellian gräbt tiefer: Neun Krimis auf 1050 Seiten Thriller Spannung 2018: 12 Urlaubs-Krimis auf 1400 Seiten Krimi Action Doppelband #24 - Die Mesksalin-Teufel/Hass, der wie Feuer brennt 7 Sommer Thriller für den Krimi-Urlaub 2018 Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane Killer & Cosa Nostra: Sammelband 4 Krimis Krimis für das Frühjahr 2016 Camorra-Rache - Ein Roberto Tardelli Thriller #46 Arztroman Sammelband: Drei Romane - Liebe auf der Intensivstation und andere Romane Das Horror-Buch: Sechs unheimliche Thriller Sammelband 3 Krimis: Mord vor hundert Augen und andere Thriller Sammelband 5 Schicksalsromane für den Strand Juni 2018 Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane 7 Horror-Romane für den August 2017

Krimi Urlaubs-Paket: Der Leibwächter und 10 andere Krimis auf 1000 Seiten Mördersuche: Sechs Krimis Reise in die Horror-Zone - 6 Gruselromane für den Sommer Auch Mörder weinen: Drei Kriminalromane Der Extra Krimi-Koffer Januar 2017 Krimi Extra Paket September 2017 - 1200 Seiten Thriller Spannung Für den Strand - Vier Action Thriller Kalter Auftrag – Sammelband 6 Thriller Krimi-Bibliothek Weihnachten 2018 – 1478 Seiten Thriller Spannung Tony Ballard #123 - Piraten aus dem Jenseits Ein Brautkleid für Dana Härtling: Arztroman Exklusiv Edition Sieben Krimis auf einen Streich: Kriminalroman-Paket 10 Morde, 10 Killer - 10 Krimis auf 1400 Seiten: Ermordet und ermittelt Ermordet! Ein 1000 Seiten Krimi Koffer mit 8 Romanen Arztroman Sammelband: Drei Romane – Der Engel mit dem schwarzen Haar und drei andere Romane Tony Ballard #122 - Der Geisterwolf Krimi Sommer 2018 Neun Krimis für den Lese-Urlaub 2017: 1300 Seiten Spannung! Die mysteriösen Abenteuer von Luc und Monique Tony Ballard #112: Magos Höllenschädel

Tony Ballard #124 - Auf der Todesgaleere Horror-Koffer #1: Zehn Gruselromane Der Krimi-Koffer Januar 2019 - 1500 Seiten Thriller Spannung Die Agentin - Sammelband #1: Fünf Thriller in einem Band Disco-Piraten: Ein Roberto Tardelli Thriller #42 Mission gegen Unbekannt: Vier Thriller Ihr Kampf ums nackte Überleben: Kriminalroman Acht Morland Liebesromane für den Strand Arztroman Sammelband 3 Romane: Ein schicksalhafter Blackout / Ein Wunder wird wahr / Kann Carola verzeihen? Ein Meister seines Fachs Meister des Horrors: Drei Romane Heimatroman Sammelband 3 Romane Heimat und Berge Januar 2018 Heimatroman Sammelband Liebe und Niedertracht 3 Romane Januar 2018 Heimat-Roman Sommer Großband 9 Romane Juni 2018 Sammelband 8 Krimis: Ungebetene Gäste und andere Krimis Tony Ballard #79: Der Silbermann Dämonenhasser Tony Ballard - Neue Abenteuer 7 - Zwei Horror-Romane Tony Ballard #128: Tod dem Satan! Horror-Serie Tony Ballard - Sechs Romane 1 Verführerin mit Märchenaugen

Killer und Kopfschuss: Vier Krimis Der große Bergroman-Rucksack 2020: 14 Romane um Liebe, Heimat und Schicksal Sammelband 6 Krimis: Sechs Mörder in Serie Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts Harte Western Sammelband 5015 - 5 Romane Juni 2020 7 Krimis: 7 Juli-Mörder 2020: Krimi Sammelband 5017 Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015 Mit stahlharter Hand zugeschlagen: Kriminalroman Trevellian im Visier der Killer-Katze: Kriminalroman Trevellian und der Mordauftrag des Maskenmannes: Kriminalroman Trevellian, die Schöne und der Schlitzer Trevellian jagte den toten Boss 11 Strand Krimis: Mordaufträge und Komplotte: Thriller Sammelband 5023 5 Action Krimis: Mörder sind keine Heiligen: Thriller Sammelband 5024 Trevellian und der Voodoo-Killer Trevellian und drei Profis räumen ab 10 Ferien Thriller: Krimi-Lesefutter für lange Nächte 3 Krimis: Hass und Hölle Wahre Wunder geschehen manchmal: Arztroman Sammelband 4 Romane Kein Alibi für Tote - Ein 1000 Seiten Krimi Koffer mit 9 Romanen und 3

Kurzgeschichten Das Paradies der Liebe, die Hölle des Schicksals: Arztroman Sammelband: Vier Romane 7 Krimis: Böse Leute morden 6 Krimis für die Weinachtszeit 2020 - Auswahlband Todesspiel ohne Skrupel - Zwei Thriller Mördersommer 2020: Krimi-Paket für Strand und Ferien 7 Thriller: Killer wissen nicht alles: Krimi Sammelband Die Mörder haben zugeschlagen: 7 Krimis Krimi Trio Sammelband 3012 – 3 Kriminalromane in einem Band! Krimistunde für Meistermörder: Krimi Sammelband Sammelband 3 Thriller: Ein Detektiv, ein Sarg und eine tödliche Hochzeit Ihr Ritt durch die Hölle: Sechs Romane in einem Band Killer im August: 11 Thriller Morde für lange Lesenächte: Krimi-Paket Mordgeflüster zwischen New York und Venedig: Thriller-Paket 11 Krimis Amazonen-Rache Mörderstunde am Strand: 7 Krimis auf 1500 Seiten Das Riesen Krimi Mörderpaket für den Strandurlaub 2021 Mit Killern muss man teilen: Thriller Sammelband 11 Krimis Sieben Fälle für Mordspezialisten: Krimi Sammelband 7 Thriller für den Urlaub

Weiße Engel und rosarote Träume: Arztroman Bibliothek 15 Romane Krimi Festival Januar 2017 Skrupellos abgemurkst und sauber ermittelt: Krimi Sammelband 7 Krimis Eine Offenbarung für Mörder: Krimi Paket Auf einen Kaffee mit dem Killer: Krimi Sammelband 14 Herbstmörder 2020: Krimi Paket Vier Mordfälle für den Schnüffler: N.Y.D. New York Detectives Sammelband 4 Krimis 15 Arztromane zum Fest: 1700 Seiten bewegende Unterhaltung Kreuz und Hexenjagd Flucht vor dem Gesetz: Vier Romane in einem Band: Western-Sonderedition Henker und Bluthunde: Wichita Western Sammelband 7 Romane Küsse am Strand: 14 Romane und Erzählungen großer Autoren Eifersucht und Liebesträume: Liebe & Schicksal Großband 1/2021 Druidenbann und böse Seelen: 6 Mystery Thriller Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren Mörder in Panik: Krimi Koffer mit 1300 Seiten Das Haus der Mörder: 7 Action Krimis Skrupellosen Mördern auf der Spur Band 1: Sechs Romane in einem Band Rosenfrühling Die schöne Ärztin und die große Liebe: 7 Romane - Der dramatische Arztroman

Sammelband Stärker als die Verzweiflung: 7 Romane - Der dramatische Arztroman Sammelband Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis Schicksal in Weiß: Bibliothek 15 Arztromane Staubig und verwegen: Goldene Western Sammelband 11 Romane 9 Krimis für die Weihnachtsferien 2017 Sommer Killer 2021: 11 Strand Krimis Alle Neune: Neun Krimis auf einen Streich: Kriminalroman-Paket Auf dem Dorf wird auch gemordet: 10 Krimis auf 1419 Seiten Thriller Sommer Bibliothek 2021: 23 Strand Krimis auf 3000 Seiten Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten Drei Großmeister des Horrors: Sammelband 4 Romane Umgelegt vom Killer: Krimi Koffer 9 Romane Von Ärzten, Prinzessinnen und ganz normalen Leuten: Sommer Bibliothek mit 29 Unterhaltungsromanen auf 3100 Seiten Liebe und Spannung Wer das Herz in der Bergwelt verliert:11 Bergromane Hexenfolter und Monsterschrecken: Gruselroman Großband 3 Romane 5/2021 Die Jagd nach dem weißen Tiger: Kripow & Kripow - Herr Doktor und die Polizei Mord auf der Transit-Strecke Berlin 1968 Kriminalroman Band 21 Bestie ohne Gewissen Berlin 1968 Kriminalroman Band 22

Ein Berliner in London Berlin 1968 Kriminalroman Band 24 Ein Mord mit Vergangenheit Berlin 1968 Kriminalroman Band 25 Irren kann tödlich sein… Berlin 1968 Kriminalroman Band 23 Der Ripper von Spandau Berlin 1968 Kriminalroman Band 26 Heimatroman Extra Großband Juli 2021: Sieben Bergromane in einem Buch 12 spannende Strand Krimis Juli 2021 Keine Gnade für Millane Berlin 1968 Kriminalroman Band 27 Transit Killer: 5 Kriminalromane um das Berlin des Jahres 1968 Finger weg von gestohlener Ware! Berlin 1968 Kriminalroman Band 28 Für Kunst kann wird auch gemordet Berlin 1968 Kriminalroman Band 29 Mordachse Berlin - Rio: Berlin 1968 Kriminalroman Band 30 Der Womanizer und das Klavier: 7 Liebesromane Sammelband Strand Thriller Trio Band 1 – Drei Krimis in einem Band Spandau-Schlitzer: 5 Krimis um das Berlin des Jahres 1968 Strand Thriller Trio Band 4 - Drei Krimis in einem Band

Also by Tomos Forrest

Alfred Bekker Thriller Sammlung 8 Krimis: Ermordet zwischen Nordseeküste und Sauerland – Krimi Sammelband 8008

Alfred Bekker XXL Thriller Paket Neun ungewöhnliche Krimis Dezember 2020

Standalone Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 13: Der Tod wartet in Frankreich Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 14: Piraten vor SaintMalo Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 19: Das Spiel des Narren Shawn Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter #Band 20: Hexenjagd in Cornwall Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 21: Das Geheimnis der Falkenfrau Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 6: Die spanische Braut Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 24: Die neue Tafelrunde Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 30: Die

Teufelsmaschine Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 31: Das Feuer der Hölle Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 32: Das Ungeheuer von Dartmoor Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 33: Merlins Rückkehr Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 34: Der Tag des zweiten Falken Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 26: Der Wolf von Cornwall Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 27: Das Schwert des Löwenritters Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 29: Tod auf dem Jahrmarkt Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter # Band 23: Sarazenen in Cornwall! Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 10: Der Koloss vom Lake Syrior Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 28: Brychan, der Bogenschütze Bolthar, der Wikingerfürst Band 1: Blutspur der Nordmänner Auf den Spuren des Blutes Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 35: Ohne Wenn und Aber … Bolthar, der Wikingerfürst Band 2: Die Götter zürnen Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 11: Trevans wilde Horde

Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 36: Der Mann am Kreuz Klaus Störtebeker – Der Schrecken der Weltmeere Band 2: Kampf gegen die Schwarze Margarete Klaus Störtebeker – Der Schrecken der Weltmeere Band 3: Unter der roten Flagge Centurio Marcus – Roms jüngster Offizier Band 2: Ariovist – eine germanische Legende kehrt zurück Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 12: Die Bärenfalle Bolthar, der Wikingerfürst Band 3: Odin oder Jahwe Bolthar, der Wikingerfürst Band 4: Fringas Schwert Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 18: Ein Engel als Köder Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 22: Verrat! Bolthar, der Wikingerfürst Band 5: Tod eines Feiglings Bolthar, der Wikingerfürst Band 6: Krieg der Berserker Bolthar, der Wikingerfürst Band 7: König Haralds Verrat Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 37: Mörder oder Mönch? Bolthar, der Wikingerfürst Band 8: Das Geheimnis des Sonnensteins Bolthar, der Wikingerfürst Band 9: In Garpurs Gewalt Bolthar, der Wikingerfürst Band 10: Der Bote Thors Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 38: Die Amazone von Cornwall Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 39: Duell der

Bogenschützen Bolthar, der Wikingerfürst Band 11: Lokis Wolfskind Merlin, Artus und die Ritter der Tafelrunde Band 1 Der Dreizehnte Ritter Bolthar, der Wikingerfürst Band 12: Das Grab des Jomskriegers Harald, der Wikingerkönig Band 1: König Haralds Krieg Mord auf offener Straße Mord im Richmond-Park Mord in der Burg Dankwarderode Merlin, Artus und die Ritter der Tafelrunde Band 2 Der Dreizehnte Ritter – ein Verräter? Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 40: Verrat an König Richard Das Ungeheuer vom Elm: Regionale Morde Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 41: König Richard, genannt Löwenherz! Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 42: Assassinen gegen Löwenherz Bolthar, der Wikingerfürst Band 13: Idun, die Unsterbliche Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 43: Eine zarte Wilde Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter # Band 5: Maddox, der Tyrann von Cornwall Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 8: Gottes Fluch über Cornwall Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 9: Der Kurier des

Richard Löwenherz Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 44: Merlins Grab Die Krieger des Widukind-Bundes Band 1 – Der Blutgraf von Dithmarschen Die Krieger des Widukind-Bundes 2: Um die Macht! Schwert und Schild Der Verräter Band 3 - Das E-Book zur Paperbackausgabe Schwert und Schild Wilde Jugend Band 2 - Das E-Book zur Paperback-Ausgabe Die Krieger des Widukind-Bundes 3 Der Löwe zeigt die Krallen Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 45: Turnier der Todgeweihten SCHWERT UND SCHILD – Sir Morgan, der Löwenritter Band 2: Das Massaker von Akkon Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 3: Blutmond über Cornwall Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 4: Überfall im Morgengrauen Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 46: Manius, der Wandermönch Klaus Störtebeker – Der Schrecken der Weltmeere Band 1: Zum Freibeuter geboren Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 15: Das Kreuz von Dartmoor Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 7: Rückkehr eines Toten Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 47: Vika, Prinzessin der Gaukler Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 48: Robin Hood –

Freund oder Feind Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 49: Robin Hood – Auf dem Weg nach Camelot Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 50: Robin Hood – Sir Morgan und Robin Hood Regionale Morde - Tod eines Wikingers Auswahlband Nord-Morde Februar 2019 Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter Band 25: Zauberkraft oder Schwertermacht? Atlantis – die alte Prophezeiung: Sammelband 1 Sun Koh – Neue Abenteuer Nur ein Grashalm im Wind: Das Haus Leupolth Anno 1502 Das Geheimnis des Buckligen: Das Haus Leupolth, Anno 1504 Hanseliebe - Historical Romance Sammelband 6021 - 3 Romane Ahornblätter, rot wie Blut: Das Haus Leupolth, Anno 1777 Das Schwarze Gold: Das Haus Leupolth, Anno 1530 Die Skalpjäger vom Lake Ontario 1: Doppeltes Spiel mit falschen Freunden Das rote Korsett: Das Haus Leupolth Anno 1877 Eine hanseatische Familie - Das Haus Leupolth Anno 1502-1777: 4 Romane der Historiensaga Die Skalpjäger vom Lake Ontario 2: Freunde, Mörder oder Verräter? Der Untergang des Hauses Ackermann Unter dem Galgenbaum: Das Haus Leupolth, Anno 1633 Fürst der Wikinger: Die große Saga - Bolthar 1-13: Sammelband 13 Romane

Eine unmögliche Liebe in Prag: Das Haus Leupolth, Anno 1757 7 Historische Sagas zum Fest: 2700 Seiten Liebe und Spannung Trilogie-Gesamtband - Mein Blutsbruder Kreuz und Hexenjagd Bolthar, der Wikingerfürst Band 14: Skagen muss brennen! Fürchtet die Drachenschiffe! 3 Wikinger Romane Mörder-Moloch: Berliner 20er Krimi Das Geheimnis der Perlenohrringe Götterdämmerung in Nürnberg - Das Haus Leupolth Anno 1930 Mein Blutsbruder: Sohn des Apachen-Häuptlings Das Haus Leupolth - Historischer Roman Band 1 Für König Friedrich und Preußen! Der wilde Fritz - Drei Romane in einem Band König Ludwigs Agenten: Mein Blutsbruder: Trilogie Der Orden der Schwarzen Löwen Teil 1 Die Rose von Schiras: Mein Blutsbruder: Trilogie Der Orden der Schwarzen Löwen Teil 2 Krallenmörder: Berliner 20er Krimi Sommer Krimi Koffer 2021 - 12 Romane Wir jagen ein Phantom: Mein Blutsbruder :Trilogie Der Orden der schwarzen Löwen Teil 3 Kopfgeld auf Bolthar: Harald, der Wikingerkönig # 2 Philipp Hainhofer, Agent des Teufels: Das Haus Leupolth, Anno 1641

Süßes Mördergift: Berliner 20er Krimi Anita Berber - eine Todesgöttin? Fräulein Kellers Kriminalfälle – Braunschweig 1928 Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis Fünf Mörder: 5 dicke Strand Krimis Judas-Lohn in Blei bezahlt: Berlin 1968 Kriminalroman – Band 1 Das Killerjahr 1968: 5 historische Kriminalromane Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane Schöne Frauen sterben zweimal! Berlin 1968 Kriminalroman Band 5 Wo die Macht des Wortes endet: Berlin 1968 Kriminalroman Band 9 Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968 Der Engel mit dem goldenen Revolver Berlin 1968 Kriminalroman Band 6 Der nächste Tote bin ich Berlin 1968 Kriminalroman Band 8 Mandelaugen und harte Kerle Berlin 1968 Kriminalroman Band 7 Mit Morden vergeht die Zeit so schnell: Berlin 1968 Kriminalroman Band 10 Drei große Historical Sagas: Meeresfluch und Hansehaus Bogart mordet nicht! Berlin 1968 Kriminalroman Band 14 Drei Millionen Gründe zum Morden Berlin 1968 Kriminalroman Band 13 Mörderische Grüße aus Corleone Berlin 1968 Kriminalroman Band 15 Mordswetter am Wannsee! Berlin 1968 Kriminalroman Band 12 Wer einmal tötet, dem glaubt man nicht Berlin 1968 Kriminalroman Band 11

Der mörderische Buchkoffer: 9 Ferienkrimis Schreib niemals deine Memoiren Berlin 1968 Kriminalroman Band 16 Schuster, bleib bei deinen Morden: 5 Kriminalromane aus dem Berlin des Jahres 1968 Berlin 1968 I. Bitternis - Drei Romane in einem Band Heiße Öfen und tödliche Schüsse Berlin 1968 Kriminalroman Band 17 Der Tag, an dem die Toten sprachen… Berlin 1968 Kriminalroman Band 19 Mord vor ausverkauftem Haus Berlin 1968 Kriminalroman Band 20 Tote amüsieren sich nicht Berlin 1968 Kriminalroman Band 18 Mord auf der Transit-Strecke Berlin 1968 Kriminalroman Band 21 Bestie ohne Gewissen Berlin 1968 Kriminalroman Band 22 Ein Berliner in London Berlin 1968 Kriminalroman Band 24 Ein Mord mit Vergangenheit Berlin 1968 Kriminalroman Band 25 Irren kann tödlich sein… Berlin 1968 Kriminalroman Band 23 Der Ripper von Spandau Berlin 1968 Kriminalroman Band 26 Die mörderisch-goldenen 1920er: Vier Krimis 12 spannende Strand Krimis Juli 2021 Keine Gnade für Millane Berlin 1968 Kriminalroman Band 27 Transit Killer: 5 Kriminalromane um das Berlin des Jahres 1968 Finger weg von gestohlener Ware! Berlin 1968 Kriminalroman Band 28 Für Kunst kann wird auch gemordet Berlin 1968 Kriminalroman Band 29

Mordachse Berlin - Rio: Berlin 1968 Kriminalroman Band 30 Spandau-Schlitzer: 5 Krimis um das Berlin des Jahres 1968