G. S. Friebel, Dieter Adam
Kätzchen schnurren nur manchmal: 2 Redlight Street Romane
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Inhaltsverzeichnis
Kätzchen schnurren nur manchmal: 2 Redlight Street Romane
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Das Palmenkätzchen
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Leilas Hochzeit findet nicht statt
Kätzchen schnurren nur manchmal: 2 Redlight Street Romane
G.S.Friebel, Dieter Adam
Dieser Band enthält folgende Romane: Das Palmenkätzchen (G.S.Friebel) Lailas Hochzeit findet nicht statt (Dieter Adam) Monika sieht keinen anderen Ausweg, als in der schmuddeligen Bar als Bedienung zu arbeiten. Nun ist sie gezwungen, sich den Wünschen eines Bordellbesitzers zu beugen und für ihn zu arbeiten. Es ist ihr zuwider. Als sich ein junger Musiker in sie verliebt und der sicher ist, dass Monika ihn auch liebt, verlangt er von ihrem Boss, auf sie zu verzichten. Eine Zumutung für den Zuhälter Huber und es dauert nicht lange bis der Musiker einen schweren Unfall hat...
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker © Roman by Author / © dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius. Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Rechte vorbehalten. www.AlfredBekker.de
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Das Palmenkätzchen
REDLIGHT STREET #74 von G. S. Friebel Der Umfang dieses Buchs entspricht 109 Taschenbuchseiten. Der Zuhälter Gringo hat alles im Griff. Seine Mädchen, seine Drogengeschäfte, seine Hilfsluden. Die Einnahmen stimmen und jeder, der mit ihm zu tun hat, kuscht vor ihm. Doch plötzlich sind da diese Bauchschmerzen. Sie setzten ihm furchtbar zu. Gringo fühlt sich erschöpft, müde und ausgelaugt. Alles Dinge, die ein Zuhälter in seiner Position nicht gebrauchen kann. Also beschließt Gringo etwas dagegen zu unternehmen.
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker © by Author © dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius. Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Rechte vorbehalten. www.AlfredBekker.de
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1
Man nannte ihn Gringo, weil er so weiß war. Niemand konnte sich mehr an seinen richtigen Namen erinnern. Eines Tages war er in der Stadt aufgetaucht und hatte sich sehr schnell durchgesetzt. Seine absolute Brutalität machte ihn in der Unterwelt immer wieder zum Tagesgespräch. Immer wenn eine Dirne leiden musste, konnte man sichergehen, dass sie eines von Gringos Mädchen war. Es kam sogar vor, dass eine ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, wenn sie ihr Soll nicht erfüllt hatte. Die Zuhälter bezeichneten Gringo als verrückt und dämlich. »Weiß er denn nicht, dass er sich damit nur schadet?« Seine Bewacher, wie er die Truppe nannte, die ihn ständig umgab, zuckten nur die Schultern, wenn sie solche Bemerkungen hörten. »Wir haben schon alles versucht. Aber manchmal denken wir, er hat da oben eine Schraube locker.« »Sag das nicht laut, sonst kannst du dir morgen ein neues Gebiss bestellen.« Der Hilfslude Stani zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Ein anderer Zuhälter war zu ihm getreten. »Musst du mich so erschrecken?« »Ich würde lieber nicht so über Gringo sprechen, ehrlich!« Der Zuhälter lächelte verächtlich. »Du willst mir doch nicht sagen, dass du die Hose voll hast, Paule!« »Ich? Bist du verrückt! Ich hab doch nicht die Hose voll! Wie kommst du denn auf diesen Schwachsinn?« »Du zitterst ja wie Espenlaub, mein Lieber.«
Der Zuhälter ließ sich ein neu gefülltes Glas reichen. »Na, du willst mir doch nicht weismachen, dass er sich sogar an seinen Freunden vergreifen würde?« Stani, der eben so erschrocken gewesen war, grinste jetzt. Paule schluckte heftig, nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas, wischte sich den Schaum von den Lippen und meinte bockig: »Nein, der sollte das mal versuchen! Aber ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man abfällig über den Boss quasselt. Das ist alles, klar?« »Natürlich, natürlich«, beeilte sich der Lude zu versichern, und seine Augen begannen verräterisch zu glitzern. »Ich spreche ja auch nicht abfällig über ihn. Stani auch nicht. Wir haben uns nur überlegt, dass die kleine Hure ihm jetzt mächtig viel Kosten verursachen wird. Wie ich gehört habe, soll sie vier Wochen lang ausfallen.« »Das hat sie auch verdient, dieses Miststück. Und wenn ich dabei gewesen wäre, dann ...« »Hättest du ihr womöglich das Genick gebrochen?«, fragte der Lude zuckersüß. »Es geht dich einen Dreck an, was ich getan hätte! Sie hat es verdient, klar? Scheißfaul war sie. Und dafür soll Gringo jetzt auch noch zahlen, na, da werden halt die andern für sie herhalten müssen.« Der Lude runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?« »Das ist doch ein alter Brauch, wenn eine Nutte wegen Krankheit ausfällt, müssen die anderen für sie einspringen. Der fehlende Betrag wird genau aufgeteilt. Basta!« Dem Luden blieb die Spucke weg. »Das soll wohl ein Witz sein! Haha, und ich hätte es beinah geglaubt! Gut! Ehrlich, das ist ein guter Witz.«
Paule wurde immer wütend, wenn er das Gefühl hatte, nicht anerkannt zu werden. Und dass sich jetzt so ein winziger Möchtegernlude über ihn lustig machte, das war wirklich ein starkes Stück. »Das ist kein Witz!«, schnarrte er und ballte die Hände. »Du bist verrückt, pardon, Gringo muss verrückt sein. Das gibt es doch nicht! Die anderen Mädchen tragen doch keine Schuld. Ihr habt sie doch geschlagen.« »Und? Das erzieht!«, sagte Paule hämisch. »Die anderen kuschen dann. Und wenn die Kleine zurückkommt, wird sie es bei Gott nicht einfach haben. Die lassen sie das spüren. Und so wird sie es sich überlegen, ob sie es wagt, noch einmal zuwenig Piepen abzuliefern.« Stani war keiner von der harten Sorte; er starrte Paule kurz an. »Ich möchte dir und Gringo einen guten Rat geben.« »Brauchen wir nicht.« »Trotzdem, ich glaube, es wird Zeit, dass ihr eure Grenzen kennenlernt. Richte ihm aus, wenn hier mal eine Tote gefunden werden sollte, dann ist für ihn kein Platz mehr in unserem Viertel. Verstanden!« Stanis Augen verdüsterten sich. »Ich weiß gar nicht, wieso du dich erdreistest, mir Anweisungen zu geben.« »Damit du sie weitergeben kannst! Wir wollen die Bullen nicht aufmerksam machen. Was ihr mit den Mädels macht, nun gut, das ist eure Sache. Aber ich sage dir auch: Wenn sie mal zu uns überlaufen, dann liefern wir sie euch nicht aus.« Stani starrte ihn sprachlos an. »Sag das noch einmal!« »Wenn sie vor lauter Verzweiflung ins andere Lager wechseln, werden sie von uns geschützt.«
»Du riskierst einen Krieg mit uns?« Er schob die Lippen nach vorn. Der Zuhälter aber ließ sich nicht einschüchtern. »Nicht ich, sondern wir alle!« »Das war deutlich, beim Teufel!« »Ich hoffe, Gringo nimmt es auch so auf.« Paule sagte: »Ich geh jetzt, kommst du mit?« Stani warf das Geld auf den Tresen und ging grußlos mit dem anderen hinaus. Auf der Straße sagte Paule vorsichtig: »Er hat nicht so unrecht. Wir machen uns unbeliebt.« »Verflucht, du bekommst dein Geld von Gringo!« »Natürlich, aber man darf doch wohl noch laut denken?« »Nein!« Sie gingen die Strichstraße entlang. Um diese Zeit war noch nicht viel los. Die Tagschicht lümmelte an den Häwänden und tratschte über dieses und jenes. Das Mädchen, das neulich geschlagen worden war, hatte auch zur Tagschicht gehört. Für diese Dirnen war es besonders schwer, ihr Soll zu erreichen. Außerdem war an jenem Tag das Wetter schlecht gewesen, und sie hatte einen Kunden erwischt, der sie bestohlen hatte. Aber all das zählte bei Gringo nicht. Paule stapfte durch die Straßen und musste an Ackerfurchen denken. Warum bin ich nicht im Dorf geblieben, dachte er traurig. Was wollte ich alles werden, und jetzt? Jetzt kann ich nicht einmal zurückkehren. »Liegt was an?« »Wieso soll ich das wissen? Wir sind doch erst auf dem Weg zum Boss.« Paule dachte: Manchmal wünsche ich ihm die Pest an den Hals. Obwohl ich dann arbeitslos wäre. Ehrlich, ich möchte sehen, dass er schwach und krank ist.
Dann könnte er am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn man nicht mehr kann. Verflucht...« »He, hier geht es lang!« Er hatte immer ein ungutes Gefühl in der Magengrube, wenn er vor den Boss treten musste. Dessen Blick konnte so starrend sein, und der wusste immer alles. Als hätte er Röntgenaugen, so durchforschte er das Gehirn aller und sagte ihnen dann auf den Kopf zu, was sie dachten. Stani läutete.
2
Gringo stand auf der Dachterrasse und starrte über das Gewirr der Dächer hinweg. Er hatte sich vorhin einen Cognac genehmigt, und danach war ihm übel geworden. Das war in letzter Zeit schon wiederholt iert. Heute war er noch blasser als sonst. Gringo hatte den Verdacht, dass man plante, ihn umzubringen. Ein böses Grinsen stand auf seinem Gesicht. Dem würde er zuvorkommen. Er war gerissen und schlau. Doch das Brennen im Magen blieb; und er fühlte sich sehr schlapp und irgendwie seltsam. Vielleicht sollte er zu einem Arzt gehen; der würde ihm sicher sagen können, um welche Art der Vergiftung es sich handelte. Man ging also vorsichtig ans Werk. Seine Hände ballten sich. Er würde sich rächen. Für den Zuhälter waren nur drei Dinge wichtig: Macht, Bösartigkeit und Brutalität. Mit deren Hilfe hatte er sich emporgehoben aus der Masse, und niemand würde ihm das streitig machen können. Er würde sich zu verteidigen wissen. Ein böses Lächeln spielte um seine Lippen. Er wusste, dass er viele Feinde hatte; das störte ihn nicht. Plötzlich spürte er wieder den Schmerz, und er krümmte sich. Er schleppte sich in das Wohnzimmer. Schon wollte seine Hand nach der Flasche greifen, doch er unterließ es. Da läutete es an der Tür. Er wankte hoch und taumelte durch den Raum. Allmählich ging es ihm wieder besser. Er spürte zwar noch eine schlaffe Müdigkeit, doch er zwang sich dazu, normal zu wirken, was im Augenblick gar nicht einfach war.
»Mensch, Chef, wie siehst du denn aus?«, fragte Paule erstaunt und betrat langsam die Wohnung. Wie ein Schatten folgte Stani. »Wie seh ich denn aus?«, fragte der Zuhälter wütend. »Wie Braunbier mit Spucke, ehrlich. Haste gezecht!« Schnell huschten Paules Schweinsäuglein in die Runde. Aber die Wohnung sah nicht nach einem wüsten Gelage aus. »Nein, ich bin stocknüchtern.« »Man kann doch mal fragen, nicht wahr?« Der Zuhälter war jetzt ein wenig vorsichtiger. Vor seinen Hilus durfte er keine Schwäche zeigen. Wenn sie erst einmal merkten, dass es ihm nicht gutging, würden sie sehr bald über ihn herfallen und ihm die Macht nehmen. »Was machen die Mädchen?« »Sie haben alle einen Bock, ehrlich. Wenn wir uns nur auf der Straße zeigen, ziehen sie sich schon zurück! Die werden jetzt schön kuschen.« »Ihr werdet sie pünktlich abkassieren.« Stani erhob erstaunt den Kopf. »Boss, das durften wir ja noch nie!« »Ihr müsst es langsam lernen«, sagte er bärbeißig. Die beiden Hilus sahen sich an. »Vielen Dank für die Ehre. Wir werden sehr sorgfältig vorgehen, Chef,« »Das will ich mir auch ausgebeten haben.« Stani wartete darauf, dass er etwas angeboten bekam. Aber Gringo dachte nicht daran. Er warf dem Boss einen schrägen Blick zu, bemerkte dessen
Leichenblässe und lächelte ironisch. Tja, dachte er zufrieden, du übernimmst dich, mein Alterchen. Du wirst noch auf die Nase fliegen, und dann werden die Aasgeier zur Stelle sein und dich fertigmachen. Vorsichtig fragte er: »Gibt es sonst noch was zu erledigen?« »Wieso?« »Ja, ich dachte, dass da was im Busch ist, weil wir doch jetzt abkassieren sollen. Gringo konnte nicht lange sitzen. Unruhig stand er auf und ging hin und her. »Du meinst, Stoff?« »Ja, sie haben mich schon danach gefragt. Es ist bald zu Ende, wir haben jetzt so viele kleine Dealer, es wird langsam Zeit, dass wir guten Stoff liefern.« Gringo stand am Fenster und drehte ihnen den Rücken zu. Die beiden Hilfsluden warteten schweigend. In seiner Gegenwart wagten sie nicht, sich zu unterhalten. »Ich werde schon etwas besorgen. Sie sollen ruhig ein wenig schmoren«, sagte er mit einem hässlichen Auflachen. »Gringo, das können wir nicht machen! Weißt du eigentlich, wie Süchtige sind? Die tun alles, verstehst du, einfach alles. Nur um den Stoff zu kriegen. Und die kleinen Dealer hängen doch selbst an der Nadel.« Er drehte sich herum. »Eben. Und deshalb lasse ich sie ein wenig zappeln; ich koche sie weich.« Stani sah ihn sprachlos an. »Und wenn sie zu einem anderen Lieferanten gehen?« »Werden sie nicht. Sie haben ja keinen Zaster für den Stoff. Wenn ich sie weich habe, dann habe ich ziemlich viele Leute, die nach meiner Pfeife tanzen.« Paule zog die Kopfhaut kraus. Du liebe Güte, dachte er bestürzt, das ist ja dann
eine halbe Armee! Und er dachte an die Zeiten, da sie um die Schulhöfe herumgeschlichen waren, um sich ihre Opfer rauszupicken. Er war selbst erstaunt gewesen, wie leicht das gewesen war. Wenn man Dealer hatte, süchtige Dealer wohlverstanden, dann war das wie ein Schneeballsystem: Man brauchte nur zu warten, und die frischen Tauben kamen in den Schlag. Die Dealer mussten eine gewisse Menge Stoff verkaufen, um ihren eigenen Bedarf kostenlos zu bekommen. Also suchten sie wiederum ihre Opfer unter den Schülern. Zum ersten Mal dachte Paule: Es ist eine Schweinerei, was wir da gemacht haben. Verflucht, wir hätten anderswo hingehen sollen. Ich habe sie gesehen, die Kinder, wie sie sich anbieten, um sich für die Dauer eines Schüsschens eine Schein-Glückseligkeit zu erkaufen. Kinder von zwölf und dreizehn Jahren! Stani an seiner Seite schien irgendwie unsicher. Gringo spürte wieder einen Anfall nahen. »Also, geht jetzt!«, herrschte er sie an. Stani nahm seine Mütze, und gehorsam verließen sie die Wohnung. Im Treppenhaus blieb Stani vor Paule stehen. »Soll ich dir mal was sagen?« »Ja?« »Er hat zur Zeit keinen Stoff. Verstehst du?« Paule aber dachte: Das ist ja gut, dann werden sie nicht so süchtig, dass sie verkommen. »Und soll ich dir noch etwas sagen?« »Ja? « »Der Boss brütet was aus.« »Was denn?«
»Hast du es denn nicht bemerkt? Der ist doch nicht mehr in Ordnung, das riecht man doch.« »Dann müssen wir uns vorsehen; denn dann ist er gefährlicher als eine Klapperschlange.« »Ich werde mich zu schützen wissen!«, sagte Stani großspurig.
3
Stani hatte den Nagel auf dem Kopf getroffen. Gringo hatte in der Tat keinen Stoff mehr. Seine Quelle war von der Polizei entdeckt worden. Zum Glück hatten sie nicht herausgefunden, dass er der Kopf dieser Gruppe war. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich für teures Geld Stoff zu besorgen. Einen Augenblick lang dachte er daran, selbst zuzugreifen, um die Schmerzen zu vergessen. Er hatte eine Verabredung mit Diamanten-Toni und Bongo. Wie Bongo zu seinem Spitznamen gekommen war, wusste niemand mehr. Die beiden waren auch Großluden und waren mit dem Rauschgiftgeschäft hochgekommen. Sie beherrschten den Markt, im Gegensatz zu den anderen Großluden, die zum Teil gute Geschäfte und Lokale besaßen und »auf bürgerlich machten«. Alles Geld, was deren Dirnen einbrachten, wurde in Hä und Wohnungen investiert. Sie machten in der Tat nur selten krumme Geschäfte. Rauschgift hatten sie abgeschrieben, weil die Ausfallquote zu hoch war. Immer wieder war die Polizei mal schneller, und dann musste man mühselig wieder einen neuen Ring aufbauen. Die Polizei reagierte sehr empfindlich, wenn es um Rauschgift ging. Diamanten-Toni und Bongo hielten zusammen. Sie mochten Gringo nicht besonders. Und er hatte keine Ahnung, dass sie den Bullen den entscheidenden Tipp gegeben hatten. Hin und wieder musste man zu den Bullen auch mal nett sein, dann hatte man ein paar Pluspunkte, für den Fall, dass sie irgendwann etwas zu verbergen hatten. Eine Hand wäscht die andere, nach diesem Motto handelten sie. Außerdem wollten sie verhindern, dass Gringo den Stoff auf eigene Rechnung erhielt. Er sollte sich gefälligst die Ware von ihrem Depot holen, das verringerte die Kosten. Wenn sie nur noch Großhändler waren, dann konnten sie ein ruhiges Leben führen. Gringo wäre dann für die Verteilung zuständig. Und das war wirklich kein leichter Job, wie sie aus Erfahrung wussten. Gringo stand jetzt in seinem eleganten Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Er sah wirklich nicht gut aus. Ärgerlich fletschte er die Zähne.
»Verflucht, es stimmt doch was nicht!« Dann zog er sich um, verließ wenig später sein Haus und ging zu dem verabredeten Treffen. Die beiden warteten schon auf ihn, als sie ihn sahen, waren sie genauso erstaunt wie Stani vor kurzem. »Sag mal, was ist denn mit dir los?« »Bin ich euch etwa Rechenschaft schuldig?«, fuhr er sie an. Vielsagend schauten die beiden sich an. »Wir wollen dir ja wirklich keine Vorschriften machen, Gringo, im Ernst. Aber unter Freunden darf man doch wohl einen Rat anbringen, was?« Gringo jedoch fragte sich: Sind sie wirklich meine Freunde? »Wann hast du eigentlich das letzte Mal Urlaub gemacht?« Gringo sah sie erstaunt an. »Wie soll ich das verstehen?«, fragte er. Und Bongo stellte sachlich fest: »Also, schon lange nicht mehr. Aus Geiz oder aus welchem Grund nicht?« »Lasst mich endlich in Ruhe!«, schrie er sie an. »Wenn du deine Gesundheit ruinierst, das geht uns wirklich nichts an. Ich sage dir, du liegst schneller in der Holzkiste, als du ahnst. Das geht ganz schnell. Für eine Weile hält der Körper ja die Anspannung aus, aber dann ist es zappenduster. Dann rächt er sich auf gemeine Art. Auch eine Uhr muss immer wieder geölt und durchgepustet werden, muss gepflegt werden, dann geht sie wie am Schnürchen.« »Ihr macht Urlaub?« Gringo hatte sich wieder beruhigt. Diamanten-Toni lachte vergnügt: »Dann wäre das Leben ja nichts mehr, Gringo, wenn man nicht mal Urlaub machen könnte! Und was ich dir noch sagen
möchte: Im Urlaub lernt man viele Menschen kennen. Ich sage dir, man knüpft Fäden, die sehr interessant sein können. Ich habe da so meine Stellen. Und was noch viel wichtiger ist, alter Kumpel, man braucht ja auch mal ein verschwiegenes Plätzchen, nicht wahr?« Gringo verstand gar nichts. »Wozu brauche ich ein verschwiegenes Plätzchen?« »Wenn dir der Boden hier zu heiß wird, wohin verschwindest du dann?« »Ich habe Geld genug und kann überallhin verduften.« »Hast du dann auch Leute, auf die du dich verlassen kannst?« »Das brauche ich nicht. Für Geld kriegt man alles.« »Eben nicht. Und deshalb geben wir dir einen feinen Rat: Mach mal Urlaub. Die Welt ist groß und schön. Aber tritt dann nicht als Lude auf; du sollst ja mal ausspannen, hörst du.« Er fühlte wieder die Schwäche kommen und setzte sich. Die beiden Zuhälter grinsten sich vergnügt an. »Vielleicht habt ihr recht, aber es ist verdammt schwierig.« »Was soll denn schwierig daran sein?« »Wenn ich fort bin, wer garantiert mir, dass alles läuft, wie ich es will?« »Deswegen machst du dir Sorgen? Aber du hast doch deine Leute, und hoffentlich gut erzogen. Du kannst sie doch regelmäßig anrufen. Und wenn du zurück bist, müssen sie Rechenschaft ablegen.« Gringo runzelte die Stirn. »Ich brauche also wirklich nicht mit Ärger zu rechnen?« »Wie kommst du denn darauf! Du weißt, ein abwesender Lude wird nicht übers Ohr gehauen.«
Er ließ ein wenig Puste aus sich heraus. »Ich bin wirklich ein wenig müde und erschöpft«, gab er zu. »Aber das wird sich bald wieder legen.« »Natürlich.« »Sag mal, wie alt bist du denn?« »Fünfunddreißig.« Bongo dachte: Im Augenblick siehst du wie fünfzig aus. Und dann diese käsige Haut, also wirklich, wenn du nicht krank bist... Ihm lag schon auf der Zunge zu sagen: Geh doch mal zum Arzt. Aber da spürte er den Stoß von Toni und schluckte die Worte hinunter. »Kommen wir also zum geschäftlichen Teil. Wie viel willst du haben?« Gringo blickte Toni an. »Wieso weißt du, dass ich Stoff haben will?« »Mein Gott, wenn ich so etwas nicht erraten könnte, müsste ich mir ja wirklich ein Armutszeugnis ausstellen lassen. Das ganze Viertel weiß doch, dass die Bullen mal wieder da waren. Pech, aber das kann jedem ieren.« Gringo sagte: »Es ist ja nur für den Augenblick, versteht ihr. Ich werde mir schon wieder eine neue Quelle suchen, keine Bange. Ich werde euch nicht zu lange aufregen. Ich weiß ja, dass es im Augenblick verdammt schwierig ist, den Markt zu vergrößern. Naja, für den Absatz ist bei mir gesorgt.« »Wie viel?« Er nannte die Zahl, und die beiden rieben sich die Hände. »Du kannst von Glück reden, dass wir soviel auf Lager haben. Aber wir sagen es, wie es ist, wir mussten es teuer einkaufen.« Gringo knirschte mit den Zähnen. »Wie?« »Mein Gott, die Leute wissen doch genau, dass im Augenblick der Teufel hier
los ist, und halten ihrerseits den Stoff zurück. Wir müssen jeden Preis zahlen, verstehst du? Und für dich machen wir ja auch einen Sonderpreis.« Gringo erhob sich langsam. »Wie viel? « Sie nannten die Summe. »Das soll wohl ein Witz sein, wie?«, fragte er und schnaufte. »Wir sind wirklich nicht zu Witzen aufgelegt, lieber Gringo. Dafür ist das Geschäft viel zu ernst.« Es traf den Zuhälter, als wäre er zu Boden geschlagen worden. »Das ist ja heller Wahnsinn!« »Mein. Freund, wir können dir nur raten, den Preis weiterzugeben. Dann kommst du wieder auf deine Kosten.« Es war grausam und gemein, aber er war auch Geschäftsmann und wusste genau, dass man eine Kuh nicht immerzu melken konnte. Sie konnte nur eine bestimmte Menge hergeben. Und diese Grenze war längst erreicht. Als er den Stoff noch selbst besorgt hatte, waren seine Preise schon sehr hoch gewesen. Gringo ahnte nicht, dass die Zuhälter auch das wussten. Sie wollten ihm langsam aber sicher das Wasser abdrehen. Toni ging zur Tür. »Tja, tut mir ja leid, ich meine deine Pechsträhne, aber ich muss jetzt weiter. Hab noch eine Verabredung. Etwas Günstigeres kann ich dir leider nicht anbieten, aber vielleicht bekommst du anderswo den Stoff billiger? Lass es mich wissen, und ich zahle dir einen guten Preis, wenn ich erfahre, wie ich meinerseits meine Lieferanten unterlaufen kann.« Bongo schloss sich an. »Wartet doch«, sagte Gringo.
»Du, ehrlich, ich bin immer pünktlich. Ich bin ja auch pünktlich zu diesem Treff gekommen, oder?« » Ja.« »Also, dann spuck’s aus, ich kann mir dein Gejammer nicht lange anhören.« »Ich muss wohl in den sauren Apfel beißen«, sagte Gringo kleinlaut. Plötzlich ging alles blitzschnell. Der Stoff lag bereits vor ihm. Gringo dachte: Die haben also gewusst, dass ich ihn nehmen muss, sonst hätten sie ihn doch nicht mitgebracht, und gleich die richtige Menge. Verflucht, sie wissen eine Menge von mir. Aber wartet, ich bin auch mal wieder oben. Zähneknirschend unterschrieb er den Scheck, dann griffen seine Hände nach dem begehrten Stoff. »Vielleicht verlängerst du ihn mit Puderzucker?«, schlug einer der beiden vor. Bis jetzt hatte er es nicht nötig, solche krummen Geschäfte zu machen. Er scheute davor zurück, denn ein betrogener Süchtiger konnte sich zu einer Bestie entwickeln. Er erhob sich. »Wie lange kommst du damit aus?« »Ich werde mich schon melden.« »Lass es uns frühzeitig wissen.« »Klar!« Bongo sagte noch: »Und vergiss nicht, mach endlich mal Urlaub. Ich könnte dir gute Adressen geben.« »Danke, ich werde selbst überlegen, wohin ich dann reise.«
»Aber ich würde dir gern helfen. Freunde müssen ja zusammenhalten.« Gringo verließ den Raum, und die beiden Zuhälter schauten sich siegesgewiss an. »Nimmt er auch den Stoff?« »Ich habe es die ganze Zeit zu ergründen versucht; verdammt schwer zu sagen.« »Aber ausgebrannt sieht er aus. Na, warten wir ab.« »Dann wollen wir mal gehen.«
4
Obwohl Gringo kaum mehr rauchte und nur noch ganz wenig trank, war ihm noch immer nicht wohl. Immer wieder dachte er an die Worte der beiden Zuhälter. Ihm war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Wenn man ihm eine Schwäche nachweisen konnte, würden die Aasgeier bald zur Stelle sein. Mit dem Stoff in der Tasche wanderte er durch die Straßen und kam dabei auch an einem Reisebüro vorbei. Warum sein Blick ausgerechnet auf dem Plakat hängenblieb, das die Kleinen Antillen als Urlaubsparadies anpries, wusste er selbst nicht. Doch er blieb stehen und besah es sich ganz genau. Dann fasste er einen Entschluss. Ruhe, Sonne, Wind und Wasser, ja, das würde ihm guttun. Dann würde er auch nicht mehr so anormal blass aussehen. All die vielen Jahre hindurch hatte er ein Nachtleben geführt, nun brauchte er dringend Schlaf und Erholung. Nun, da sein Entschluss gefasst war, fühlte er sich schon viel besser. Jetzt musste er Vorkehrungen treffen. Denn mit zwei, drei Wochen war ihm nicht geholfen. Zuerst einmal musste er den Stoff loswerden. Doch, wie gerufen kamen ihm die zwei Haupthilus entgegen. »Boss?« »Kommt mit!«, befahl er kurz. Sie blickten sich vielsagend an. Kurz darauf befanden sie sich schon wieder in seiner Wohnung. »Ihr könnt mit dem Verteilen beginnen«, sagte er und warf ihnen die Päckchen zu. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, den Preis steigen zu lassen; dann würden die Kunden sich eine andere Quelle suchen. Also sagte er: »Verlängert
den Stoff. Aber anständig! So dass nichts ieren kann.« Durch schmutzigen Stoff gab es immer wieder Tote. Und dann fahndete die Polizei natürlich intensiv, auch in Zuhälterkreisen. »Warum sollen wir ihn diesmal verlängern? Das haben wir noch nie getan.« »Weil ich sonst ruiniert bin.« »Gut, wir werden vorsichtig vorgehen.« »Das hat noch Zeit. Ich muss erst mit euch reden.« Paule und Stani sahen sich an. »Setzt euch. Wollt ihr was trinken?« »Klar, Chef!« »Dann bedient euch.« Er war heute nett; so kannten sie ihn gar nicht. Deshalb waren sie auf der Hut. »Was willst du?«, fragten sie. »Ich? Nichts.« Sie lachten. »Bist du unter die Betschwestern gegangen?« »Nein, ich hab ’ne Magenverstimmung.« »Ach so, und wir haben schon an was Ernsthaftes gedacht, Chef. Dann ist ja alles in Ordnung. Mein Alter hatte auch mal ein Magengeschwür; er sah auch immer so weiß aus, später dann mehr grün. Naja, ist ja auch schon lange her.« »Und wie sieht er jetzt aus?« »Wie soll ich das wissen?«
»Wann hast du ihn denn das letzte Mal gesehen?« »Vor fünf Jahren, da lag er in der Kiste und sah gar nicht hübsch aus.« Gringo spürte, wie es in seinem Magen arbeitete. »Lass das«, würgte er hervor. »Aber du hast es doch wissen wollen.« Sie saßen sich gegenüber. »Ich will Urlaub machen und ihr werdet solange meine Geschäfte weiterführen, das heißt die Tüllen abkassieren. Naja, das ist ja nicht so schwierig. Und ich sage euch, es wird Buch geführt! Verlasst euch drauf, wenn ich zurückkomme, werde ich alles gründlich prüfen.« »Du willst uns doch nicht etwa unterschieben, dass wir dich betrügen wollen?« »Das haben schon ganz andere Holzköpfe versucht«, sagte er giftig. »Boss, du kannst dich wirklich auf uns verlassen.« »Den Stoff besorgt ihr euch von Toni und Bongo. Die haben zwar gepfefferte Preise, aber ihr verlängert das Zeug, klar? Solange ich weg bin, darf der Kreis der Süchtigen nicht größer werden. Sagt das den Dealern. Erst wenn ich wieder meine eigene Quelle habe, steigen wir wieder voll ins Geschäft ein.« Paule machte ein dümmliches Gesicht. »Und wenn wir Ärger kriegen?« »Wieso Ärger?« »Könnte ja sein, die anderen Luden und so, ich weiß ja nicht genau. Aber lassen die sich das gefallen?« »Natürlich werde ich mit ihnen reden und ihnen sagen, dass ich für eine Weile fort bin. Sie werden euch schützen, wenn es angebracht ist. Aber ich werde ihnen auch sagen, dass sie keine Gnade zu kennen brauchen, wenn ihr Mist baut. Habt ihr mich verstanden!«
»Und die Mädchen?« »Keine Sorge, die kriegen schon noch zu hören, wie sie sich zu verhalten haben.« So oft hatten Paule und Stani sich gewünscht, allein zu arbeiten, doch jetzt, da es soweit war, fühlten sie sich außerordentlich mulmig. Sie ahnten, dass für so ein Geschäft nicht nur Bärenkräfte vonnöten waren. »Habt ihr noch Fragen?« »Äh, ich weiß nicht...« »Ich werde erst in sieben Tagen reisen. Bis dahin werde ich euch beobachten, um sicherzugehen, ob ihr imstande seid, den Laden weiterzuführen, sonst muss ich mir andere Leute suchen.« Stani stand auf. »Wir schaffen es schon«, versprach er mit fester Stimme. »Wenn ich mich auf euch verlassen kann, werde ich anschließend euer Gehalt verdoppeln.« »Mensch, Chef, das ist wirklich ein Wort! Das lässt sich hören!« Gringo wusste: Man musste seine Leute ködern, nur dann arbeiteten sie tatsächlich gut. »Also, dann verzieht euch.« Wieder einmal gingen sie. Gleich darauf steuerten sie die nächste Eckkneipe an und schauten missmutig drein, als sie am Tresen standen. »Mensch, das wird ja eine Maloche!« Stani sagte: »Wir müssen uns die Arbeit teilen.« »Wie? Was müssen wir?« »Ja, einer nachts und einer am Tage, sonst schaffen wir das ja nicht. Und dann
immer abwechselnd, klar?« Paule starrte ihn an. Bis jetzt hatte er immer in Stanis Windschatten gestanden und immer nur das getan, was dieser ihm sagte. Seinen eigenen Verstand hatte er nie gebraucht. »Ich soll allein ...?« Das blanke Entsetzen stand in seinen Augen. Stani dachte: Kann ja heiter werden. Doch laut sagte er: »Wir müssen uns jetzt beweisen. Also, du kannst es dir aussuchen, welche Zeit willst du zuerst haben? « Paule fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und dachte angestrengt nach. »Kann ich die Tagschicht haben?«, fragte er schließlich. »Na, von mir aus. Bei der ist nicht viel zu tun. Aber ich hab nichts dagegen.« »Und die anderen Hilus?«, fragte Paule noch. »Hör zu«, sagte Stani, »wenn sie Stoff wollen, dann schick sie zu mir.« »Ich soll nichts austeilen?« »Nein, es ist besser so.« Stani hielt von Paule ebenfalls nicht viel. Er überlegte sich, ob er Gringo sagen sollte, wie naiv der doch war. Vielleicht konnte man einen neuen Kerl aufreißen, der dann für ihn die Arbeit machen würde. Ich muss mich behaupten; der Chef muss merken, dass er ohne mich aufgeschmissen ist. Dann steig ich auf und kann mir Leute zulegen, die die Dreckarbeit für uns erledigen. Magengeschwür! Daran glaub ich nicht. Na, das ist nicht mein Bier. »Kann ich jetzt gehen?«, fragte Paule unterwürfig.
»Wohin willst du denn?« »Auf’n Strich.« »Willst du die Freier vermiesen? Halt dich im Hintergrund, am Tage iert doch nichts, da stehen die von ganz allein, klar?« »Ja.« »Mach mir bloß keinen Ärger!« »Ehrlich nicht, Stani.« »Und wenn etwas ansteht, das du nicht schaffst, dann sag es mir sofort, verstanden.« »Kannste nicht doch mitkommen?« »Memme, hau ab!« Jetzt wurde Stani ärgerlich. Wenig später ging auch er, mit dem Stoff. Er wusste genau, wo er die Fixer finden konnte. Je schneller er das Zeug loswurde, desto besser. Er wollte den Schnee nicht lange bei sich haben. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste.
5
Die Sonne stieg aus dem Meer. Dieses Schauspiel war unsagbar schön, dauerte aber leider nicht sehr lange. Und, man musste schon sehr früh aufstehen, um es zu erleben. Zu dieser Zeit konnte man auch die Luft und die Temperatur ertragen. Um sie herum schien alles noch zu schlafen. Manja, das blonde Mädchen, hüpfte in dem verblassten Badeanzug durch den Palmenhain und dann sah sie das Meer zu ihren Füßen liegen. Leise gluckerte es gegen den Strand. Noch waren die Steine nicht so heiß, dass man nicht auf ihnen laufen konnte. Bisher waren auch die Wellen nicht sehr hoch. Die Welt schien noch zu schlummern. Sie streckte die Arme gen Himmel und ließ den Sand leise an sich herunterrieseln. In diesen frühen Morgenstunden gehörten die Insel, das Meer, die Sonne ihr, gehörte alles ihr allein. Bald lief sie mit überschäumender Freude ins Meer. Sie tauchte, kam wieder hoch und ließ sich dann einfach treiben, so weit, dass sie den Strand mit den Palmen noch sehen konnte. Sie hörte die Vögel, und ganz weit in der Ferne zog lautlos ein großes Schiff vorbei. Es war sicher auf dem Weg nach Trinidad. Sie seufzte leicht vor sich hin und schwamm dann zügig zum Ufer zurück. Dort ließ sie sich in den weichen Sand gleiten und spürte sogleich die prickelnden Sonnenstrahlen auf ihrer gebräunten Haut, die die Wassertropfen trockneten. Damals, ach, das lag so weit zurück, damals hatte sie sehr darunter zu leiden gehabt. Für blonde Menschen konnte diese Sonne zur Qual werden. Aber inzwischen lebte sie so lange hier, dass ihre Haut sich daran gewöhnt hatte. Sicher, in der Mittagssonne musste sie einen großen Hut tragen, doch das bedeutete kein Opfer.
Manja lag im Sand und lächelte leise vor sich hin. Für sie glichen diese Stunden kostbaren Edelsteinen. Mit achtzehn Jahren erwachte das bewusste Leben behutsam, man war neugierig. Noch hatte man keine allzu großen Wünsche, weil man bisher nicht viel von dem wusste, was es alles in der Welt da draußen gab. Manchmal wünschte sie sich, in der Hauptstadt dieser Insel zu leben, oder in einem der mondänen Urlaubsorte und nicht gerade in einem Dorf und unter Schwarzen und Mulatten. Sicher, hier gab es auch ein paar Weiße, aber sie hatten es ganz gewiss nicht leicht. Dass Schwarze und Mulatten ärmlich lebten, war eine Tatsache, mit der sie sich schon lange abgefunden hatten. Aber Weiße? Weiße waren nicht dafür geschaffen, in ärmlichen Verhältnissen zu leben. Manja warf ihr blondes Haar in den Nacken. Dabei bemerkte sie eine Bewegung in ihrem Rücken. Sie erschrak nicht. Wenn ihre Familie auch nicht beliebt war, so doch sie. Sie brauchte sich nicht zu fürchten, nicht vor den Leuten aus dem Dorf, auch nicht vor den jungen Männern. Wenn sie auch arm waren, so hatten sie doch ihren Stolz und waren gut erzogen. Unter der glühendheißen Sonne, die ja alles verschönte, war Armut nicht so grausam. Sie gewann dem tristen Alltag immer ein wenig Schönheit ab. Da waren zum Beispiel die Gärten. Die Blumen wuchsen in Hülle und Fülle und waren wunderschön. Jedes junge Mädchen konnte sich mit ihnen schmücken und war dann selbst eine Zierde. In diesem Klima brauchte man nicht viel Kleidung. Und da man sich meistens im Schatten der Palmen aufhielt, wurde auf die Einrichtung der Hä kein großer Wert gelegt. »Da bist du ja!« Jetzt schaute sie sich doch um und runzelte die Stirn. »Sandor«, sagte sie unwillig und setzte sich auf. »Was willst du?« Die Zähne blitzten in dem braunen Gesicht.
»Das weißt du ganz genau!« Seine Augen schienen das schöne Mädchen zu verschlingen. »Seejungfrau, ja, so werde ich dich nennen, das t viel besser zu dir als dein Name. »Untersteh dich!«, rief Manja ärgerlich. Der Mann ließ sich an ihrer Seite in den Sand nieder. Er trug nur eine weiße Leinenhose und lose Sandalen. »Na, schon gebadet?«, fragte er. »Ich muss zurück.« »Keine Sorge, sie schlafen noch. Du hast bestimmt noch eine halbe Stunde Zeit.« Sie rückte ein wenig von ihm ab. Seine Augen glitzerten kalt. »Du entgehst mir nicht, Manja, das weißt du ganz genau. Sie gehen alle diesen Weg. Es ist nur eine Frage der Zeit und des Preises. Und das eine sage ich dir: lange darfst du nicht mehr warten, sonst wird dein Preis nur noch lächerlich gering sein. Hast du mich verstanden?« »Ich mache keine Geschäfte mit dir!« Neben ihrem linken Fuß fiel eine Kokosnuss herunter. Unwillkürlich war sie zusammengezuckt. »Nein?«, fragte er ironisch und lachte hässlich auf. »Das sagen sie zuerst immer. Aber dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, Schätzchen.« Sie grub ihre Zähne in die Unterlippe. Das junge Mädchen wusste genau, was Sandor meinte, wenn er von zu langem
Warten sprach. Manja sah auf das ewig blaue Meer hinaus. Das Schiff war weitergezogen, und sie dachte sehnsüchtig: Ach, könnte ich doch wie ein Vogel fliegen, weit fort. Immer weiter, bis ich gute Menschen gefunden hätte. Sandor rückte wieder näher. Seine listigen und kalten Augen glitten über die makellose Haut dieses Mädchens. Sie war eine Schönheit, eine Perle in der Wildnis. Oh, so wie sie aussah, würde er sehr, sehr viel Geld mit ihr verdienen. »Du wirst es gut haben«, sagte er lockend und strich über ihren nackten Arm. Doch sie schüttelte ihn ab und sprang auf. Mit Tränen in den Augen schrie sie ihn an: »Das hast du auch zu Tia Maria gesagt und dann!« Er fluchte leise. »Was hat Tia Maria dir gesagt?« »Sie ist meine beste Freundin! Wenn sie auch ein paar Jahre älter ist, aber ich hab sie lieb! Du hast die gleichen Worte auch zu ihr gesagt, und dann ist sie ins Dorf zurückgekommen und hat so schrecklich geweint. Ich glaube, sie ist zerbrochen; ihr Herz ist zerbrochen, und Faustin wird sie nicht mehr wollen. Sie hatte ein Baby, hat sie mir gesagt, aber du hast sie mitgenommen, und dann haben sie was mit ihr angestellt ...« Wild schrie das junge Mädchen ihm die Worte ins Gesicht. Sandor spürte Wut und Zorn in sich, aber er musste es unterdrücken. Er durfte sie nicht kopfscheu machen. »Hör zu, das ist etwas ganz anderes, verstehst du mich?« »Wieso ist das etwas anderes?« Das Schluchzen wurde leiser. »Tia Maria war dumm. Sie hat nicht getan, was ich ihr gesagt habe. Sie ist
dumm, hörst du? Sie ist strohdumm. Ich hab es ihr genau erklärt und ihr Pillen gegeben, aber sie hat sie fortgeworfen.« Manja stand auf und schlug den Weg zum Dorf ein. Aber er versperrte ihr den Weg. »Du wirst es wirklich besser haben, Manja, ich schwöre es dir.« »Lass mich . ..«, stammelte sie. »Ich habe drüben meine Jacht liegen, Manja. Wenn ich dich jetzt einfach nehme und dann ...« Angst stand auf ihrem Gesicht. Das liebte Sandor, wenn er spürte, dass er Angst einjagen konnte. Dann hatte er willige Opfer vor sich. Er würde auch sie bekommen. Schon zu lange wartete er auf sie; jetzt war seine Geduld zu Ende. Er wollte sie haben. »Das wirst du nicht tun«, sagte sie und rang nach Atem. »Das wäre Menschenraub.« Er lächelte über ihre Verstörtheit. »Aber aber, warum das denn? Wer sollte mir denn etwas nachweisen, du kleines Luder? Niemand, hörst du, niemand wird mich zur Rechenschaft ziehen! Und ich möchte dir noch einen guten Rat geben; schreib ihn dir hinter deine hübschen Ohren, damit du ihn nie mehr vergisst: Ich könnte mein Angebot zurücknehmen, allein deshalb, weil du mich geärgert hast, verstehst du!« Sie wollte sich von ihm lösen, aber sein Griff ließ nicht locker. Entsetzen erfasste sie. Auf einmal war dieses Stückchen Erde nicht mehr lieblich und schön. Verzweifelt setzte sie sich zur Wehr. Tränen strömten über ihr Gesicht, aber der Mann schien keine Gnade zu kennen. »Du kommst jetzt mit mir!«, befahl er mit lauter Stimme. Hinter seinem Rücken war ein Geräusch. »Manja, brauchst du Hilfe?«
Laut und deutlich waren die Worte gesprochen worden. Jetzt brach auch das Kreischen der Vögel ab, als schienen sie abwarten zu wollen, was da unten am Strand vor sich ging. Sandor fluchte, dann drehte er sich blitzschnell um. Das Mädchen hielt er immer noch gepackt. Er sah einen alten Mann, hochaufgerichtet und mit einer Machete in der Hand. Unerschrocken ging Pico auf Manja zu. Seine Augen starrten Sandor unverwandt an. »Lass das Mädchen los! Auf der Stelle!« Sandor wusste, dass er keine Chance hatte. Er war kein Held und ganz gewiss kein Schläger. Das besorgten andere Muskelpakete für ihn. Er musste die Kleine gehenlassen. »Wir haben uns nur unterhalten. Ist das vielleicht verboten?«, sagte er mit einem hässlichen Auflachen. Manja floh zu Pico, sie zitterte wie Espenlaub. »Master, ich würde Ihnen raten, augenblicklich zu verschwinden. Gleich werden die anderen hier sein, und ich weiß nicht, ob Sie sehr erfreut darüber wären, wenn man Sie hier sieht.« »Aber ich habe der Kleinen wirklich nichts getan!«, schrie Sandor den alten Mulatten an. »Wirklich nicht!« »Nein, noch nicht«, erwiderte Pico ruhig und musterte das verstörte Mädchen. »Aber Tia Maria, und darum ...« Eine kalte Gänsehaut zog über den Rücken des Mannes. Nun hielt er es wirklich für angebracht, das Weite zu suchen. Verflucht, dachte er, die Kleine hat ja Beschützer. Das habe ich nicht gewusst. Aber warte, ich werde dich schon noch allein antreffen, und das schwöre ich dir, Täubchen dann wirst du mir für diese Niederlage büßen. Er drehte sich um und ging den Weg zum Strand zurück, den er gekommen war.
Erst als er außer Sicht war, löste sich der Krampf des Mädchens. Schluchzend warf sie sich in die Arme des Mannes. »Pico, Pico, wenn du nicht gekommen wärst! O du meine Güte, ich ...« Die braunen Hände streichelten den zuckenden Rücken. »Aber, aber«, sagte er in leichtem Singsang. Wie zu einem Kind sprach er zu der achtzehnjährigen Manja. Sie ließen sich jetzt in den Sand fallen, und Manja schaute auf das Meer hinaus. Ihre Lippen zitterten noch. »Er wird wiederkommen, nicht wahr?«, sagte sie. Es klang wie eine Feststellung. Davon war Pico auch überzeugt. »Oh«, jammerte sie, »jetzt darf ich nicht einmal mehr morgens baden! Alles wird mir genommen.« »Ich habe schon eine Weile dort drüben unter den Palmen gestanden; ich habe gehört, was dieser Lump zu dir gesagt hat. Doch ich verstehe nicht, woher er sich das Recht nimmt. Du bist doch eine Weiße! Dein Vater wird dich schrecklich rächen, wenn er dich fortnimmt. Tia Maria war nicht weiß.« Er zuckte die Schultern. »Da war es normal, ich meine ...« »Nein!«, rief Manja wütend. »Nein, eben nicht! Sie ist meine Freundin. Warum sind die Menschen nur so schrecklich?« Salzige Tränen rannen über ihr apartes Gesichtchen. »Nun ist die Gefahr vorüber, aber an deiner Stelle würde ich doch mit deinem Vater darüber sprechen.« »Vater«, wiederholte sie und zuckte zusammen. »Vater wird mir Vorwürfe machen. Er ist so willensschwach.« Der alte Mulatte sah das weiße Mädchen erstaunt an. Er mochte Manja; sie war immer fröhlich und zu jedermann freundlich. Nie hatte man bei ihr das Gefühl,
dass sie sich als Weiße über sie emporhob. Sie war ein liebes und sehr zärtliches Mädchen. »Ich verstehe das nicht«, wiederholte er. Mit ihren jungen Jahren war sie doch schon sehr reif. »Ach«, sagte sie leise, »das weißt du doch selbst. Wir hier im Dorf sind arm, alle sind wir arm. Aber bei euch ist das nicht so schlimm. Aber, dass wir als Weiße hier leben müssen, das macht die Sache noch schrecklicher. Wir bekommen keine Arbeitsstelle, wir werden einfach in den gleichen Topf geworfen wie ihr. Nein, was noch schlimmer ist, man lässt uns noch mehr dafür büßen. Pico, warum sind die Menschen so schlecht? Warum erheben diese Menschen sich und sagen, sie wären etwas Besseres als ihr? Wer gibt ihnen das Recht dazu? Sind denn nicht alle Menschen gleich?« Der Alte lächelte wehmütig. »Liebe Manja, was du da sagst, ist Balsam für meine Seele. Ja, du bist ein gutes Mädchen, wirklich, Manja. Und ich werde dich beschützen, wenn dein Vater es nicht kann. Aber die Menschen in den Städten, die reichen, weißen Menschen sind nun einmal so und werden auch immer so sein.« »Das ist ja schrecklich!« Manja ließ den Sand durch ihre Finger rieseln. Nach einer Weile sagte sie leise: »Eigentlich hätten wir nie hierherkommen dürfen, Pico.« »Hast du Heimweh?« »Heimweh? Du meinst nach Deutschland?« »Ja, nach dem fernen Land, in dem du geboren bist und in dem es im Winter Schnee gibt; in dem keine Schwarzen leben und in dem es im Sommer niemals so schön ist wie hier, ja, dieses Land meine ich.« »Ach, Pico, ich kann mich gar nicht mehr an dieses Land erinnern. Ich war doch
erst vier Jahre alt, als meine Eltern hierherkamen. Sie sind geblieben, weil es ihnen so gut gefiel. Ich habe lange Zeit geglaubt, ich gehöre hierher nach Barbados. Aber das stimmt nicht. Für euch bin ich eine Fremde.« »Nein!« »Doch Pico, doch.« »Dein Vater ist ein ehrenwerter Mann«, sagte der Mulatte. Manja lächelte müde. »Vielleicht war er das, als Mutter lebte. Aber sie hat das Klima hier nicht vertragen. Sie war nur vier Jahre hier, bis sie starb, das weißt du doch. Mein Vater hat dann Rosna, die Mulattin, zur Frau genommen. Ich habe nichts gegen Rosna, wirklich nicht. Maler sei mein Vater, sagt man mir. Aber kannst du mir sagen, was das ist? Er malt jetzt kleine Bilder auf Leder und lässt sie an die Fremden als heimische Kunst verkaufen. Das besorgen meine Brüder und Schwestern. Acht Kinder hat Rosna ihm geboren. Unsere Hütte ist voll, verstehst du. Und der Erlös dieser Lederbildchen ...? Oh, es wird nicht besser, sondern schlimmer; mein Vater trinkt, Pico. Er ist nicht so wie du. Du bist ein wirklicher Vater; ich hab dich gern, Pico. Alle hier sind besser. Glaubst du, ich wüsste nicht, dass wir nur geduldetes Pack sind?« Beide schwiegen eine Zeitlang. Dann fuhr Manja fort: »Und Rosna zankt und keift den ganzen Tag. Sie ist böse und zornig. Aber ich kann sie sogar verstehen, denn sie muss für das Essen sorgen; alles hängt an ihr. Deshalb ist sie auch ungerecht zu mir. Als sie erfuhr, dass ich in den Hotels keine Arbeit finde, wurde sie böse und sagte zu mir, ich sollte mich lieber gleich ertränken, dann würde mir ein schlimmeres Los erspart. Ach, Pico, ich bin so unglücklich.« Der Alte hatte sie ausreden lassen. Natürlich kannte er die Verhältnisse in der erbärmlichsten Hütte des Dorfes. Nicht einmal ein Schwarzer würde darin leben wollen. Sie hatten mehr Stolz als dieser weiße Mann, der vor vielen Jahren gekommen war und noch immer unter ihnen lebte. Anfangs waren sie stolz darauf gewesen, dass er ihnen die Ehre erwies, hier zu bleiben; aber später
machte er sich in ihren Augen nur lächerlich und dumm. Und vom Stolz des weißen Mannes war nichts mehr übrig. Und Rosna? Nun, keine anständige Schwarze oder Mulattin hätte sich mit diesem weißen Mann eingelassen. Doch damals hatte sie sich noch viel darauf eingebildet und hatte geglaubt, sie könnte den weißen Mann dazu bringen, wieder in seine Heimat zu gehen. Zumindest würden sie in der Hauptstadt leben. War er nicht ein Künstler? Doch niemand wollte seine Bilder kaufen, auch nicht die Touristen, die jetzt immer zahlreicher ins Land kamen. Sie lachten über diesen verrückten Kerl. Erst als er diese Lederbildchen anfertigte und man glaubte, echte heimische Arbeit zu kaufen, erst dann konnten sie leben. Aber er musste es im Verborgenen tun und deshalb im Dorf bleiben. Das verstand auch Rosna. Aber mit den Jahren war für den Mann dieses Leben eine Qual. Er wollte wieder unter seinesgleichen sein, aber die anderen stießen ihn fort. Deshalb hatte er zu trinken begonnen. Und er musste immer wieder an Evelyn, seine erste Frau denken. Er war überzeugt, ihren Tod verschuldet zu haben. Sie war fein und sanft und friedfertig gewesen. Ach ja, der Alkohol löste alle Probleme für eine Zeitlang. Nur, das Geld wurde jetzt noch weniger, und es waren so viele Münder zu stopfen. Er verfluchte diesen Kindersegen. Er sehnte sich danach, fortgehen zu können, heimlich. Eines Tages würde er einfach verschwinden, ohne Rosna und die Kinderschar. Aber dazu brauchte man Geld. Eines Tages lernte er bei seinen Streifzügen diesen Sandor kennen. Ein feiner Bursche, dachte er und nahm ihn mit nach Hause. Der Vater hatte gar nicht gemerkt, dass es eigentlich Sandor gewesen war, der sich buchstäblich selbst eingeladen hatte. Endlich ein Weißer, dachte er, wenn auch ein Mischling, aber äußerlich wirkte er wie ein Weißer. Der Mann war elegant und vornehm und wusste sich zu benehmen. Mit ihm konnte man sich gut unterhalten. Er war in allen Clubs und vornehmen Hotels anzutreffen, fuhr einen sündhaft teuren Wagen und sollte sehr reich sein. Für Manjas Vater war es eine außerordentliche Ehre, dass Sandor zu ihm ins Dorf kam. Damals hatte er sich geschämt, ihm nichts Besseres bieten zu können. Aber Sandor hatte als Weltmann nur darüber gelacht und sich ganz ungezwungen gegeben. Er ahnte ja nicht, der weiße alte Mann, dass er mit diesem Menschen das
Unglück ins Dorf gebracht hatte. Der Mulatte war auf der Suche nach hübschen Mädchen. Als er sah, dass sich die Fremden langweilten und bereit waren, viel Geld für ein kleines Abenteuer auszugeben, hatte er sozusagen diese Marktlücke entdeckt. Und nun warb er um hübsche Mädchen. Ja, sie mussten hübsch sein; die Hautfarbe spielte keine Rolle. Hübsch und sehr jung, das war die Devise. Also ging er in die Dörfer und besah sich die dortigen Schönheiten. Wenn ihm eine ins Auge stach, dann verhandelte er mit den Eltern. Geschickt versprach er ihnen ein hübsches Handgeld. Damit hatte er gleich die Herzen gewonnen. Und wenn er dazu noch erzählte, er würde dafür sorgen, dass die Tochter in einem Hotel angestellt würde und so auch Geld verdienen konnte, dann waren sie blindlings bereit, sie ihm anzuvertrauen. Auch Tia Maria war glücklich gewesen. Sie wollten ja alle arbeiten und aus ihrer Armut herauskommen. Sie hatte es also geschafft! Sie war erwählt worden! Alle im Dorf hatten sie darum beneidet. Damals, als er Tia Maria gesehen und mitgenommen hatte, war ihm auch Manja aufgefallen. Aber sie war zwei Jahre jünger als Tia Maria gewesen, also noch ein halbflügges Mädchen und als Europäerin nicht so schnell reif wie diese schwarze Brut, wie er sie insgeheim nannte, obwohl seine Vorfahren ja ebenfalls schwarz gewesen waren. Doch darüber sprach man nicht. Aber er hatte Manja nicht vergessen. Dieses Juwel reifte dort in der Einsamkeit vor sich hin, und er, Sandor, würde sie sich schon zu holen wissen. Geschickt hatte er die Freundschaft mit dem alten Weißen aufrechterhalten. Angeblich sorgte er dafür, dass dessen Lederbildchen immer verkauft wurden. Dabei hatte er nichts getan, gar nichts. Eines Tages war Tia Maria geflohen. Völlig verstört war sie in ihr Dorf zurückgekommen und hatte den entsetzten Eltern erzählt, welche Arbeit sie hatte tun müssen. Von dem abgetriebenen Kind sprach sie auch. Ihr Verlobter hatte daraufhin gesagt, er wolle von Tia Maria nichts mehr wissen. Zwei Tage hielt sie sich im Dorf verborgen, dann war sie plötzlich verschwunden. Sandors Leute hatten sie in den Wald gelockt und wieder in die Stadt geschleppt. Dort fristete sie nun weiterhin das Leben einer Dirne, und wenn sie nicht tat, was
Sandor ihr sagte, wurde sie geprügelt. Tia Maria wusste, dass sie nicht mehr nach Hause zurückgehen konnte. Dort wurde sie verachtet wie ein schlechter Mensch. Niemand würde ihr helfen, im Gegenteil, man würde sie verjagen, auch wenn alle wussten, dass sie keine Schuld trug. Manchmal war die Moral sehr hart. Manja hatte alles von Tia Maria erfahren; die Freundin hatte sie noch warnen können. Sandor war wütend und würde sie deswegen hart bestrafen; denn jetzt würde Manja nicht so einfach zu bekommen sein. Aber mit dem Alten würde es keine Schwierigkeiten geben. Der würde ihm die Tochter verkaufen, nur würde der Preis jetzt ein wenig höher liegen. Manja erhob sich. »Ich muss ins Haus zurück. Die Kleinen müssen zur Schule, ich muss mich darum kümmern.« Pico sagte: »Ich gehe fischen. Wenn ich genug gefangen habe, bringe ich dir einen Fisch.« »Aber ihr braucht ihn doch selbst.« Er lächelte. »Guter alter Pico«, sagte das junge Mädchen leise und winkte ihm zu, als sie davonging.
6
Manjas Stiefmutter stand unter einem Baum und wartete auf sie. »Wo treibst du dich denn herum?«, fragte sie in scharfem Ton. »Ich war schwimmen.« »Die Kinder sind schon in der Schule, und der Alte ist auch unterwegs.« Manja ging in die dunkle Küche und setzte sich. Der Brei war kalt, aber sie schluckte ihn hinunter. Einstmals war Rosna schön gewesen, aber die vielen Geburten hatten sie vorzeitig alt und hässlich werden lassen. Jetzt stand sie am Tisch und knetete Teig für die Fladen. Hin und wieder warf sie dem blonden Mädchen einen scharfen Blick zu. Als Manja gehen wollte, hinter dem Haus befand sich das kleine Feld, und es war ihre Aufgabe, dieses zu bewässern und von Unkraut freizuhalten, sagte Rosna: »Bleib! Ich hab mit dir zu reden.« Das Herz des jungen Mädchens schlug hart gegen die Rippen. Scheu setzte es sich auf die harte Bank und warf der Frau einen verzweifelten Blick zu. »Gestern war dieser Hurensohn von Sandor bei Vater!« Manja zuckte zusammen, und Rosna hörte auf zu kneten. »Hör zu, ich habe mit meiner eigenen Brut genug zu tun, verstehst du, ich kann dich nicht mehr lange mit durchfüttern. Das musst du verstehen. Aber ich bin auch eine Frau und ich will verflucht sein, wenn ich dich nicht warnen wollte. Ich hab viel mitgemacht in meinem Leben, und ich habe schnell und zutiefst bedauert, dass ich deinen Alten zum Mann genommen habe. Aber dass er so weich und schlecht ist, das habe ich wirklich nicht gewusst, mein Täubchen.«
Manja wollte ihren Vater in Schutz nehmen. Er war trotz allem ihr Vater. Er war gestrandet und wusste mit seinem Leben nun nichts mehr anzufangen. Doch Rosna sagte hart: »Lass das; du und ich, wir wissen die Wahrheit.« Nun setzte sie sich zu dem Mädchen auf die Bank. »Damit du nicht denken sollst, ich wäre auch so und stünde mit ihm auf einer Stufe, sollst du wissen, dass ich gestern gelauscht habe.« Manja schaute die Frau unsicher an. Von ihr hatte sie bis jetzt nur Schelte und Gleichgültigkeit erfahren. Warum auf einmal diese Vertrautheit?« »Dein Vater will dich an Sandor verkaufen!«, rief die Frau nun. Manja starrte sie an. »Das ist nicht wahr!« Doch Rosna sagte wütend: »Ich habe mir schon gedacht, dass du es nicht glauben willst. Nun, das ist deine Sache. Ich habe dich auf jeden Fall gewarnt. Fünftausend Dollar will der Kerl für dich bezahlen. Und er soll ihm das Geld in der Hauptstadt geben, weißt du, was das heißt?« »Nein«, sagte Manja dumpf. »Das soll heißen, dass er sich aus dem Staube machen will, der saubere Herr!« »Oh, mein Gott...« Rosna empfand Mitleid mit dem Mädchen. Unbeholfen tätschelte sie dessen Arm. »Hör zu, du hast mir nie viel bedeutet, das weißt du— aber ich möchte nicht, dass dir so etwas iert wie Tia Maria. Verstehen wir uns?« »Was soll ich denn tun?«, rief Manja gequält. »Tja, also, ein wenig Zeit hast du in gewisser Weise schon noch. Aber ich weiß nicht, wie lange er sich gedulden wird.« »Wer?«
»Sandor, das Schwein.« Manja wollte aufschreien und ihr sagen: Er hat es schon heute versucht. »Papa kann doch nicht so grausam sein ...« »Tja, mein Mädchen, so sind die Kerle. Er will zurück, glaubt doch tatsächlich, in Deutschland könne er noch einmal von vorn anfangen. In dem Alter!« »Warum nimmt er mich dann nicht mit?« »Warum sollte er das? Und außerdem, er kann es gar nicht. Um nach Deutschland zu gelangen, braucht er ein Flugzeug, und das kostet nun einmal Geld. Für den Anfang braucht er auch noch Geld, und das bekommt er nur, wenn er dich verkauft.« Tränen liefen über Manjas Gesicht. Rosna sagte ruhig: »Ich habe dir jetzt die Augen geöffnet, also, sieh dich vor.« »Was soll ich denn tun, Rosna? Um Gottes willen, was kann ich tun?« »Du bist achtzehn und ein sehr hübsches Mädchen. Such dir geschwind einen Ehemann, dann bist du vor diesem Kerl sicher. Dann kann dein Vater auch nichts mehr tun. Das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann. Und jetzt muss ich wieder an meine Arbeit. Also, denk nach und auf dich auf.« »Danke«, stammelte Manja. Dann hielt sie es in der stickigen Küche nicht mehr aus. Sie floh hinaus in den Palmenhain, und dort fiel sie zu Boden und weinte bitter.
7
So einsam und verzweifelt! Konnte man mit dieser Belastung weiterleben? Konnte man das wirklich? Schluchzend lief sie zum Strand. Hier fühlte sie sich geborgen. Dies war schon immer ihr liebster Aufenthalt gewesen. Schon als kleines Mädchen war sie oft mit der Mutter hier gewesen. »Mutter!«, rief sie gequält aus. Obwohl die Hitze jetzt erbarmungslos auf sie niederbrannte, rannte sie den Strand entlang und ließ das Dorf links liegen. Oberhalb, auf einer kleinen steinigen Anhöhe, befand sich der kleine Friedhof. Lange hatte sie das Grab der Mutter nicht mehr besucht. Doch jetzt in ihrer Verzweiflung, hatte sie das Verlangen, hier Zwiesprache zu halten und so vielleicht eine Lösung zu finden. Als sie das verwilderte Grab endlich fand, kniete sie nieder. Der Stein war schon porig und verwittert. In dieser salzhaltigen Luft ging das schnell. Sie fraß sich überall hinein. Farbe, Steine, Eisen, alles fiel der Witterung zum Opfer. »Oh, Mutter, warum bist du nur so früh gestorben. Vielleicht, wenn du noch am Leben wärst, wäre alles anders gekommen. Vielleicht wären wir dann zu Hause. Wie oft hast du von diesem Land erzählt, an das ich mich nicht mehr erinnern kann. Oh, Mutter, hilf mir, beschütze mich! Ich bin in Gefahr! Ich flehe dich an!« Manja weinte lange. Die Sonne brannte auf ihre nackte Haut. Sie fühlte sich schon ganz ausgedörrt. Endlich schleppte sie sich weiter und fiel dann unter einer alten windschiefen Palme zu Boden. »Insel über dem Wind«, wie schön das klang. Bitterkeit erfasste sie. Die Urlauber sahen nur das Paradies, den weißen Strand, die Palmen und die Sonne. Auf sie wirkte diese Armut malerisch. Mein Gott, dachte sie grimmig, was wissen die denn schon von dieser Insel! Wie alle anderen haben auch hier die Weißen, die reichen Weißen natürlich, das
Sagen. Die Inselbewohner waren schon lange an den Rand geschoben worden, schon vor vielen Jahren. »Insel über dem Wind« Insel der Freude! O ja, sie wusste jetzt, um welche Freude es hier ging. Sie presste die Lippen zusammen. »Nein, ich werde nicht gehen, niemals! Niemals wird er mich bekommen!« Dann überlegte sie wieder nüchtern. Was hatte Rosna zu ihr gesagt? Lange kann ich dich nicht mehr bei mir behalten, du musst heiraten. Bitter lachte sie auf. Heiraten? Wen denn? Faustin? Aljo? Aber sie waren Schwarze und sie liebte sie nicht. Möglich, dass Faustin sie nehmen würde. Sie hatte erst neulich so einen seltsamen Blick in seinen Augen gesehen. Da war sie schnell fortgelaufen, weil sie unwillkürlich Angst empfunden hatte. Unter den Mulatten gab es nicht viele Freunde in ihrem Alter; sie waren auch nicht gerade beliebt. Sie gehörten nirgendwohin. Sicher, wenn sie nach Dover Beach ging, dort gab es viele junge Männer. Sicher würde sie dort einen finden, aber einfach würde es nicht sein. Es war schrecklich für dieses junge Mädchen. Heute früh hatte Manja sich noch wohl gefühlt, und jetzt? Jetzt war sie ihres Lebens hier am Strand und auch im Dorf nicht mehr sicher. Sandor war gefährlicher als eine Klapperschlange. Rosna hatte recht, sie musste sich vorsehen. Und dann, Vater!
8
Als er im Flugzeug saß, fühlte er sich erschöpfter denn je. Schweiß perlte von seiner Stirn. Obwohl er in den letzten Tagen nachts nicht mehr unterwegs gewesen war, hatte sich sein Zustand nicht gebessert. So ganz einfach war es nicht gewesen, die Zuhälter davon zu überzeugen, dass sie ein Auge auf seine Leute werfen sollten. Stani war eigentlich in Ordnung, der konnte sich durchsetzen; aber mit Paule würde er es nicht einfach haben. Jetzt, während er über dem Meer flog, Kuba hatten sie schon hinter sich gelassen, jetzt überflogen sie die kleine Insel Hispaniola, oder besser ausgedrückt, Haiti und die Dominikanische Republik, dachte er: Wenn ich wieder zurück bin, muss ich noch ein paar Leute einstellen. Außerdem verdiene ich mit Hasch dann wirklich so viel, dass ich mir die Leute leisten kann. Sie müssen das Geld wieder einbringen. Unter den Mädchen werde ich dann ebenfalls aussortieren und frisches Blut einführen. Wenn ich erst einmal wieder richtig fit bin, dann wird das ganz große Geschäft gemacht. Die werden sich noch wundern. »Ist Ihnen nicht gut?« Sein Nachbar sah ihn mit großen Augen an. »Doch, doch. Es ist nur der Klimawechsel und so weiter.« »Ach, Sie sind zum ersten Mal in der Karibik?« »Ja.« »Nun, dann sehen Sie sich vor. Immer abgekochtes Wasser, verstehen Sie, sonst hat man als Europäer sehr schnell Ärger mit seinem Körper.« Der Zuhälter dachte: Den habe ich jetzt schon. Aber er sprach es nicht aus. Ihm ging das Geplauder des Mannes auf die Nerven, und doch sagte er ruhig: »Nein, ich will nicht in den Korallen tauchen, ich will nur Urlaub machen und
sonst gar nichts.« »Mein lieber Mann, Sie werden sich sehr schnell langweilen, glauben Sie mir. Sie haben doch die Figur zu einem guten Sportler. Wasserski wird geboten oder auch Wellenreiten.« Bevor er noch etwas erwidern konnte, erklang die Aufforderung, sich anzuschnallen. Jetzt war der Dicke an seiner Seite stumm, und Gringo bemerkte seinerseits Schweißperlen auf dessen Stirn. »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte er jetzt den Nachbarn. »Das Landen und Starten ist eine Qual«, presste der zwischen den Zähnen hervor. Von oben sah die Insel nicht sehr groß aus. Dann zog das Flugzeug eine Kurve, und sie kamen dem Erdboden ein beträchtliches Stück näher. Gringo war nicht neugierig auf diese Insel. Ihm war alles gleichgültig; er wollte nur eines: Ruhe und wieder gesund sein, mehr nicht. Jetzt rollte die Maschine aus. Als sie ausstiegen, schlug ihnen die Hitze wie ein Hammer entgegen. Sie prallten fast zurück. Dann spürten sie den Salzgeschmack und die Tropenluft. Viele fremde Gerüche lagen in der Luft. Gringo blieb unwillkürlich stehen und atmete schneller. Dann befanden sie sich in der Halle. Die Abfertigung ging sehr rasch vor sich. In Deutschland hatte man ihm ja erklärt, man würde sich auf der Insel gleich um ihn kümmern. Schließlich war er ein Gast, der bestens zahlte. Da kam auch schon ein Mann auf ihn zu und stellte sich als Angestellter des Hotels »Half Moon« vor. »Ja, ich bin der Gast aus Deutschland.« »Bitte, geben Sie mir Ihren Gepäckschein.« Man kümmerte sich tatsächlich um ihn, und wenige Augenblicke später saß er in
einem vollklimatisierten Auto, und sie fuhren über eine recht gute Straße dem Hotel entgegen. Es lag etwas außerhalb der Ortschaft, und er war froh darüber. Doch der erste Blick auf dieses Gebäude ließ ihn doch ein wenig über dessen Größe und Schönheit erschrecken. Es war aus schneeweißem Marmor gebaut; die alten Palmen ringsum waren ein besonders schöner Kontrast. Dazwischen gab es ein Meer von Blumen. Eleganz und Reichtum strahlte dieser Bau aus. Gringo straffte unwillkürlich seine Gestalt, als er über die blanken Marmorstufen die Hotelhalle betrat. Auch hier nur Vornehmheit und Luxus. Und er dachte: Was würden die Leute hier wohl tun, wenn sie erführen, dass ich in Deutschland ein stadtbekannter Zuhälter bin? Er lächelte ein wenig vor sich hin. Im Hintergrund befand sich eine riesige Glastür, durch die er das FrischwasserSchwimmbad sehen konnte, mit dem die Leute vom Reisebüro viel Reklame gemacht hatten. Etwas weiter erkannte er das Meer. Blau, unanständig blau, fand der Zuhälter. Die Abfertigung im Hotel ging auch sehr schnell vor sich. Sogleich erhielt er einen Boy zugeteilt, der sich wiederum um das Gepäck kümmerte und es in ein Apartment mit Balkon brachte. Wieder war er von dessen Eleganz und Schönheit überwältigt. Und er wünschte, Stani und Paule könnten ihn hier sehen. Bongo hat völlig recht, dachte er, wenn er sagt, es lässt sich nur gut leben, wenn man sich von dem Geld auch was gönnt. Reisen, schöne Umgebung und das Gefühl der Macht. Er konnte sich dies ja alles leisten, also würde man auch Hochachtung vor ihm haben. In Deutschland hatte er sich entsprechende Garderobe gekauft. Nach dem Flug nahm er erst einmal ein erfrischendes Bad und zog sich dann um. Danach ging er hinunter ins Restaurant. An die Bar würde er später gehen; jetzt wollte er eine Kleinigkeit essen. Man konnte sich an einem Büfett selbst bedienen. Hier lernte er Früchte kennen, von denen er noch nie gehört hatte; und zu seiner Verwunderung stellte er fest, dass sie ihm ausgezeichnet bekamen. Ja, wenn er in diesem Paradies nicht gesund wurde, dann würde ihm wohl nichts mehr helfen.
Anschließend ging er nach draußen. Der breite Strohhut schützte ihn vor der Sonne. Der Manager des Hotels hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, vorsichtig mit der Sonne zu sein. »In den ersten Tagen ist das sehr wichtig. Wir möchten ja, dass Sie einen angenehmen Urlaub bei uns verbringen. « »Das habe ich auch vor.« In Gedanken setzte er hinzu: Bei dem Geld, was mich dieser Spaß kostet, wäre es wirklich paradox, wenn ich hier auch noch einen Sonnenstich bekäme. Um das Schwimmbecken herum standen Liegestühle unter bunten Sonnendächern. Das Personal stand im Hintergrund. Man brauchte nur kurz zu winken, schon eilte jemand herbei. Gringo ließ sich in einen Stuhl fallen und sah auf seine Uhr. Die Zeitverschiebung würde ihm noch ein wenig Schwierigkeiten bereiten. Belustigt dachte er: Während ich mich hier braten lasse, stehen meine Hauptpferdchen auf dem Strich und verdienen für mich das Geld. Ja, so leben die reichen Leute! Sein Blick ging in die Runde und er bemerkte nur Geldadel. Leute aller Nationen, die es sich leisten konnten, waren hier vertreten, dicke Geldmänner und Frauen, die mit Geld und Zeit verschwenderisch umgingen und sich schrecklich langweilten. Der Zuhälter bemerkte sofort, dass er von der Damenwelt neugierig beobachtet wurde. Sie suchten natürlich, wie die Herren an ihrer Seite, ein Abenteuer, das ihre Langeweile durchbrechen würde. Nur, dass sie ein wenig diskreter waren und sich mit einem Farbigen nicht befreunden konnten. Der Zuhälter hatte ein verächtliches Lächeln in seinen Mundwinkeln. An mir werdet ihr euch die Zähne ausbeißen, dachte er. Mit euch könnte ich ja nicht mal auf dem Strich Staat machen. Ihr seid fertig, versteht ihr. Ihr habt keine Klasse, nichts, nur Geld. Gringos geschulte Augen erkannten das alles sofort. Junge Mädchen gab es nur wenige, und sie waren mit Sicherheit nicht die Töchter jener Männer, sondern
deren Geliebte. Und dass diese nur des Geldes wegen bei den Dickbäuchen waren, das sah man ihren Blicken an. Pflichtschuldig bewachten sie das Schläfchen der alternden Männer, aber ihre Augen waren ständig auf der Suche und blieben jetzt an Gringo hängen. Nun, diese Mädchen waren in der Tat nicht übel. Aber was hatte Bongo zu ihm gesagt? Wenn man Urlaub macht, soll man keine Geschäfte machen. Und der Zuhälter dachte amüsiert: Nein, das habe ich auch gar nicht vor. Die Frauen interessieren mich wirklich nicht. Seit Monaten schon habe ich mit keiner geschlafen. Das ist wirklich das Letzte, was mich hier aufreißen könnte. Vielleicht hatte der Dicke im Flugzeug doch recht gehabt, vielleicht verging er hier vor Langeweile? Aber er wollte doch tatsächlich nur gesund werden und hatte nichts anderes im Sinn. Da ertönte irgendwo ein Gong, und alles erhob sich und ging davon. Gringo blieb liegen. Da schlängelte sich eine der Halbschönen an den Liegestühlen vorbei zu ihm durch. »Haben Sie den Gong nicht gehört?«, fragte sie. »Doch.« »Es ist Abendbrotzeit.« »Aha, deshalb hat es sich hier geleert. « »Später gibt es Tanz bei Calypso-Musik. Ich kann Ihnen verraten, dass ich wirklich Spitze bin.« »Ach ja?« Ihre Augen tauchten in seine. Gringo erhob sich. »Dann wollen wir mal gehen. Ich glaube, Ihr Begleiter wartet dort drüben schon auf Sie.« »Ach, das Dickerchen kann warten«, sagte sie wegwerfend.
»Das finde ich nicht.« Gringo, der Zuhälter aus Deutschland, hatte wirklich keine Lust, sich wegen eines billigen Flittchens Ärger einzuheimsen, also würde er ihnen allen aus dem Wege gehen. Das Essen war wieder ausgezeichnet. Als aber später die Musiker in ihren hübschen Trachten erschienen, ging er auf sein Zimmer. Hier war es jetzt angenehm kühl, und man konnte am offenen Fenster sitzen und die Sterne betrachten.
9
Am nächsten Morgen ging Manja nicht bis zum Strand. Die Angst vor Sandor saß noch tief. Voller Wehmut betrachtete sie ihre Halbgeschwister. Sie waren noch viel zu klein, als dass man von ihnen verlangt hätte, das Haus zu verlassen, um sich Arbeit zu suchen. Sie saß unter den Palmen und nähte. Plötzlich stand der Vater neben ihr und betrachtete sie eine Weile stumm. Manja wagte nicht den Kopf zu heben. Plötzlich begann er von den Vorzügen der Hauptstadt dieser Insel zu sprechen und davon, dass man hier auf dem Land versauern würde. »Du bist eine Weiße, Manja, das darfst du nicht vergessen, und deswegen ist es auch wichtig, dass du unter Weiße kommst. Denn du wirst nicht immer hierbleiben. Du bist ein verständiges Mädchen. Und Rosna kannst du auch nicht länger zumuten, dass sie dich durchfüttert.« Rosna hatte also recht behalten! Tränen standen in Manjas Augen; sie hob den Kopf nicht. Als ihr Vater dann sagte: »Liebes Kind, ich meine es doch nur gut mit dir. Du bist hübsch und wirst deinen Weg machen. Wirklich, ich denke nur an dein Wohl«, da wäre sie am liebsten schreiend davongelaufen. Aber sie sagte sich: Wenn er merkt, dass ich Bescheid weiß, dann wird er vielleicht Sandor kommen lassen, und dann? Er hockte sich zu ihr und schaute sie mit seinen verwässerten Augen an. »Nicht wahr, kleines Mädchen, du glaubst doch deinem Pa?« Als sie nicht antwortete, meinte er etwas zögernd: »Du bist meine wirkliche Tochter. Die anderen sehe ich gar nicht als meine Kinder an, Manja, ich denke nur immer an dich. Ich weiß auch eine gute Stelle für dich. Du darfst es mir
glauben.« Ihr Herz krampfte sich zusammen. Verzweifelt dachte sie: Wenn ich mich auch nicht sehr gut mit den Geschwistern verstehe, sie können ebenso wenig für ihr Dasein wie ich. Er sollte nicht so von ihnen denken. Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe. Die Stiefmutter kam aus dem Haus, deshalb erhob der Vater sich hastig und verschwand im Garten. Manja schlich durch den Bambushain und wagte sich kaum an die Wasserfläche. Und dabei sehnte sie sich, nach dem Meer und dem kühlen Wasser. Lange verharrte sie und blickte immer wieder den Strand entlang. Nichts geschah und nirgends konnte sie eine Menschenseele erkennen. Endlich sprang sie doch in die Fluten und schwamm hinaus. Sie ließ sich treiben. Aber nach kurzer Zeit spürte sie den Sog und wusste, dass sie jetzt umkehren musste. Als sie wieder an den Strand kam, ließ sie sich einfach fallen. Ein Würgen war in ihrer Kehle, und ihr Herz war so schwer. Alles war ihr gleichgültig. Sie würde ihrem Schicksal nicht entrinnen können, das wusste sie jetzt genau. Verzweifelt brach sie in Tränen aus. Um die gleiche Zeit betrat Gringo den Frühstücksraum des Hotels. Er fühlte sich noch immer nicht wohl. Als er jetzt auch noch die bewundernden Blicke der Frauen spürte, widerte ihn das an, so dass er nur ein paar Früchte nahm und den Raum wieder verließ. Im Garten und am Schwimmbecken hielt er es nicht aus, denn er konnte sich an zwei Fingern abzählen, dass man ihn hier bald finden würde. Er wollte sich die Gegend ansehen, und so verließ er das Grundstück und befand sich wenig später am Strand. Er wunderte sich, dass hier nur wenige Menschen badeten. Wie ausgestorben lag der Strand da. Es war herrlich, an ihm entlangzuwandern und auf die glitzernde Fläche zu schauen. Zu seinen Füßen sah er unendlich viele Muscheln. Immer wieder bückte er sich und hob eine auf.
Sie waren enorm vielgestaltig und bunt. Ja, hier auf Barbados zeigten sich die Tropen von ihrer besten Seite. Gringo lief und lief, so dass bald das Hotel hinter einer Biegung verschwand. Er drehte sich noch einmal um und lächelte leicht vor sich hin. Nun kann ich endlich meinen Weg gehen und brauche nicht zu befürchten, dass ich angesprochen werde, dachte er. Für den Zuhälter aus Hamburg war diese Situation völlig neu. Sein ganzes Leben hatte er in den engen Gassen und Straßen verbracht, in denen die Sünde daheim war. Immer war er unter Menschen gewesen. Doch nun war er allein. Fast erschreckte ihn diese Tatsache ein wenig, denn er merkte sehr schnell, dass er mit sich selbst nicht viel anfangen konnte. Er war ein geldgieriger Mensch mit dem Bedürfnis, Macht über andere auszuüben. Und nun ging er hier an einem völlig leeren Strand spazieren, allein. Wieder schob sich eine kleine Landzunge ins Meer, auf der Palmen wuchsen. Er hielt darauf zu. Dort wollte er ein schattiges Plätzchen suchen und ein wenig ausruhen. Selbst diese kleine Wanderung machte ihm körperlich zu schaffen. Als er den kleinen Palmenhain erreichte, hörte er ein merkwürdiges Geräusch. Als er ihm nachging, sah er plötzlich einen menschlichen Körper im weißen Sand liegen. Unwillkürlich blieb er stehen. Dass es sich um ein junges Mädchen handelte, sah er auf den ersten Blick. Es weinte! Reglos starrte der Zuhälter auf die zuckende Gestalt. Er hatte in seinem Leben schon viele Frauen weinen gesehen. Besonders, wenn er sie gezüchtigt hatte. Doch dieses Weinen war ganz anders. Er wusste selbst nicht, warum es ihn rührte. War er denn nicht ein kalter Bursche? Was ging ihn denn so ein junges Ding an? Ganz tief in seinem Herzen schien sich etwas zu regen. Das Weinen machte ihn
nervös. Es war so bitterlich, so hoffnungslos, er fand einfach keine Worte dafür. Unwillkürlich sagte er auf deutsch: »Kann ich Ihnen vielleicht helfen?« Der Kopf fuhr aus der Armbeuge hoch, und ein Paar verweinte Augen starrten ihn entsetzt an. Jetzt erst bemerkte er, dass dieses Mädchen blond war. Ein seltsamer Reiz ging von dem jungen Ding aus. »Bitte ...«, stammelte sie heiser und wollte davonlaufen. Der Zuhälter sagte rasch: »Ich will Ihnen nichts tun. Ich komme nur zufällig vorbei, ich ...« Manja war aufgesprungen und stand zur Abwehr bereit. Bei der ersten Bewegung des Mannes hätte sie die Flucht ergriffen. »Sie sind Deutscher?«, fragte sie leise und wischte mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. Er sah ihren schäbigen Badeanzug und dachte: Sie hat eine Figur wie eine kleine Göttin, man müsste sie in Samt und Seide kleiden. Ja, sie würde schon Aufsehen erregen, so kupferbraun wie sie ist, so geschmeidig wie ein Reh und so selbstsicher, obwohl sie noch so jung zu sein scheint. »Ja, ich bin Deutscher«, bestätigte Gringo. »Deutsche sieht man hier sehr selten«, sagte sie leise und rutschte ein Stück weg. »Ich tue dir nichts. Kommst du aus dem >Half Moon
Er schüttelte den Kopf. »Es ist furchtbar, verstehen Sie! Schrecklich, grauenhaft! Ich wünschte, ich wäre tot.« »Deshalb hast du geweint?« »Weil ich weiß bin?« »Nein, weil du arm bist.« »Nein«, rief sie wild und machte eine herrische Geste. »Armut, mein Gott, das macht mir nichts aus. Ich habe das Meer, die Palmen wenn ich Schutz brauche, und ich brauche auch nicht viel zu essen, aber ...« Zitternd ließ sie sich in den Sand fallen. »Es ist dumm, wirklich, warum erzähle ich Ihnen meinen Kummer. Sicher Sind Sie ein Gast, entschuldigen Sie!« Gringo hatte sich vorsichtig in den Sand gesetzt. Was war es, das ihn veranlasste zu bleiben? Sonst langweilten ihn die Mädchen entsetzlich. In seinen Augen waren sie doch alle nur Ware! »Erzähl mir doch!«, bat er leise. »Was soll ich Ihnen erzählen?« »Alles. Ich habe viel Zeit.« Sie blickte den Strand entlang. Von Faustin und Tia Maria wusste sie, dass die Reichen mitunter komische Eigenarten hatten. Eigentlich war es ihr gleich, ob sie diesem Mann ihre Geschichte erzählte oder nicht. Sie dachte nur: Solange er bei mir ist, wird Sandor es nicht wagen, mich gewaltsam mitzunehmen. Er bietet mir also Schutz. Und wenn er gleich wieder geht, dann renne ich so schnell ich kann durch den Hain. Pico arbeitet sicher irgendwo. Und dann kann ich immer noch schreien, wenn Sandor mir doch auflauert. »Ich bin eine Deutsche, verstehen Sie, aber ich bin unglücklich, weil mein Vater mich verkaufen will.«
Gringo blickte sie sprachlos an. »Wie bitte? Du willst mir wohl einen Bären aufbinden, wie?« »Bären aufbinden? Was ist denn das?«, fragte sie verwundert zurück. »Das bedeutet, dass du mir nicht die Wahrheit erzählst. Sklavenhandel gibt es schon lange nicht mehr.« Dabei fiel ihm rechtzeitig noch ein, dass es ihn in gewisser Weise schon noch gab. Mädchen, die nicht spuren, werden oft verkauft. Und sie lassen sich gut verkaufen. Aber das war hier wohl nicht der Fall. »Nicht was Sie denken, ich soll an Sandor verkauft werden. Und von dem Geld will mein Vater nach Deutschland reisen.« »Wer ist Sandor?«, fragte Gringo. Manjas Augen verdüsterten sich schlagartig. Sie sah den Mann wild an und spie die Worte heraus: »Er ist der böseste Mensch hier auf der Insel! Gestern Nacht habe ich überlegt, ob ich ihn nicht töten sollte.« »So wild bist du?« Sie schluchzte wieder leise auf, als sie an ihr Unglück dachte. »Erzähl mir doch alles, Mädchen. Wie heißt du eigentlich?« »Manja.« »Den Namen habe ich noch nie gehört.« »Ich bin auf Anja getauft, aber eines Tages sagten hier alle Manja zu mir, und so blieb es dabei.« »Aber nun erzähl mir doch deine Geschichte.« Und arglos erzählte Manja dem Zuhälter aus Hamburg ihre Lebensgeschichte. Es dauerte nicht lange, bis er auch den Schluss der Geschichte erfuhr. Er musste natürlich nicht lange rätseln, um zu wissen, dass dieser Sandor ein Zuhälter war.
Was ihn an dieser Geschichte so maßlos verblüffte, war die Tatsache, dass der eigene Vater die Tochter verkaufen wollte. Das hatte es in Deutschland noch nicht gegeben. Wenn das bei uns eingeführt werden könnte, dachte er, dann wäre es für uns ein gutes Geschäft. Dann hätten wir nicht mehr so viel Ärger mit den Mädchen. Das waren seine ersten Gedanken zu dieser Sache. Unwillkürlich maß er jetzt das Mädchen mit Zuhälteraugen. Er wusste, dass es auf dieser Insel nur braune Ansässige gab. Also musste diese Kleine geradezu ein Leckerbissen für den Zuhälter sein. Kein Wunder, dass er nicht auf sie verzichten wollte. Sein erster Impuls war, dem Mädchen an seiner Seite zu sagen, dass der Preis für sie viel zu niedrig sei. Doch da hörte er sie schon von einer Tia Maria reden und er schwieg. Manja sprach lange, und danach fühlte sie sich tatsächlich ein wenig erleichtert. Jetzt hatte sie sich einmal alles von der Seele reden können. Gringo saß währenddessen nur da und hörte ihr zu. Dabei betrachtete er das Mädchen immer wieder: den schlanken, biegsamen Hals, die kleinen blonden Härchen im Nacken, die jeden Mann zärtlich stimmten, und diese Brüstchen, die zart zu knospen schienen. Diese biegsame Gestalt drückte so viel Kummer aus. Und diese feingliedrigen Hände ... Er hatte tatsächlich eine Jungfrau vor sich! Denn er spürte aus ihrer Erzählung, dass Manja noch unschuldig war. Sie war noch nicht geweckt worden. Aber das war es eigentlich nicht, was ihn veranlasste, sich intensiv mit dem Mädchen zu beschäftigen. Er war Zuhälter! Und was tat er am liebsten auf der Welt? Und es war eines seiner Hauptvergnügen auf dieser Welt, jemandem gehörig die Suppe zu versalzen. Dieser Sandor...! Er streckte sich neben dem zierlichen Mädchen im Sand aus und sah sie eindringlich an. Nein, dachte er und ließ den Sand zwischen seinen Fingern
hindurchgleiten, dir, Sandor, spucke ich gehörig in die Suppe. Dir vermiese ich dieses Geschäft gründlich. Und wenn es nur für kurze Zeit sein sollte, aber so lange ich auf dieser Insel bin, wirst du dieses Mädchen nicht bekommen. Was später wird, das ist nicht meine Sache, das geht mich nichts mehr an. Was hatte Diamanten-Toni gesagt? In den Ferien sollte man keine Geschäfte machen? Nun, er hatte nicht vor, ihr den teuren Flug zu bezahlen. Nein, er würde sie nicht nach Deutschland mitnehmen. Aber was wäre, wenn er vorgab zu bleiben? Sicher würde er irgendwann Sandor begegnen. Dann würde er sich von ihm die Kleine abkaufen lassen und hatte damit seinen Urlaub hier finanziert. Über diesen grandiosen Einfall wäre er beinah in ein lautes Gelächter ausgebrochen. Mein Gott, diese kleine Type war ja wirklich naiv. Sie wusste nicht, welchen Wolf sie neben sich im Sand liegen hatte, und nannte Sandor den bösesten Menschen auf dieser Insel! Gringo hatte bereits vergessen, dass Manja davon gesprochen hatte, Sandor zu töten. Auch wenn sie zierlich und schwach wirkte, so hieß es doch nicht, dass sie nicht in der Lage wäre, einen Menschen zu töten. Ein wenig unsicher sah sie den Mann an ihrer Seite an. »Ich habe Sie gelangweilt, nicht wahr?«, fragte sie schließlich. »Ganz und gar nicht, Manja. Das war sehr interessant.« Sie lächelte schwach. »Für Sie, aber nicht für mich.« »Ich heiße Gringo.« »Weißer?« »Aha, du kannst auch Englisch?« »Sicher, das haben wir hier in der Schule gelernt.«
Sie wollte sich erheben, doch er bat: »Willst du mir nicht noch ein wenig Gesellschaft leisten?« »Ich muss meiner Stiefmutter helfen.« »Hör mal, kannst du denn keine Arbeit finden, für die du bezahlt wirst?« »Man merkt, dass Sie Barbados noch nicht kennen«, antwortete sie nur. »Was hältst du davon, wenn ich dich mieten würde?« »Waaas?« »Du siehst doch selbst, ich bin völlig fremd hier und langweile mich außerdem. Du kennst die Insel und die Verhältnisse hier; durch dich würde ich Land und Leute kennenlernen. Sagen wir mal, ich zahle dir jeden Tag fünf Dollar!« Er hatte gedacht, das wäre ein lächerlich geringer Betrag, als er aber ihre tellergroßen Augen.sah, biss er sich auf die Lippen. Für sie war das viel Geld. »Fünf Dollar?«, fragte sie erstaunt zurück. » Ja.« »Und Sie machen sich nicht lustig über mich?« »Aber nein. Dafür musst du mir ja auch den ganzen Tag zur Verfügung stehen.« Ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. »Das will ich herzlich gern!«, rief sie und sprang auf. »Wohin willst du?« »Kommen Sie, das müssen Sie meiner Stiefmutter erzählen, sonst glaubt sie es mir nicht!« Langsam folgte er ihr, so dass Manja immer wieder stehenbleiben musste. Sie durchquerten das Dorf, und Gringo war erstaunt über die einfachen Hä. Doch als das Mädchen dann endlich vor einem Haus stehenblieb, war er doch
über dessen Ärmlichkeit betroffen. Dass man so leben konnte! Da lebten ja seine Tüllen noch besser. Die müssten dies hier sehen, dachte er unwillkürlich, dann würden sie bescheidener werden. Rosna trat aus der Tür und blickte den Fremden feindselig an. Sie glaubte, er wolle nur ihre Armut anschauen, was tatsächlich oft vorkam. »Rosna, ich habe eine Arbeit gefunden!«, rief Manja. »Fünf Dollar bekomme ich am Tag. Ist das nicht schön?« Die Frau kniff ein Auge zusammen und starrte den Fremden weiterhin an. »Und was musst du dafür tun?« »Diesen Mann herumführen und alles erklären.« »So«, sagte sie bissig. In diesem Augenblick kam auch der Vater um die Hausecke. Als er den Deutschen sah, schämte er sich wegen seiner zerrissenen Hose und wollte ihn in ein Gespräch verwickeln, um ihm zu erklären, dass dies nur ein momentaner Zustand sei. Manja begriff zum ersten Mal, dass der Vater sich schämte. So musste es schon lange sein. Sie verstand ihn nicht. Warum hatte er dann nicht versucht, diese Verhältnisse zu ändern? Er vertrank doch das meiste Geld. Gringo starrte diesen Mann, der ein Landsmann sein sollte, an und gab nur knappe Antworten. Er maß ihn mit einem verächtlichen Blick, dann verbeugte er sich leicht und meinte: »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich Ihre Tochter angestellt habe?« Manja hielt den Atem an. Wie würde sich der Vater verhalten? Der blickte das Mädchen an, dann den Mann. Und er spürte, dass von dem Fremden eine gewisse Gefahr ausging; wahrscheinlich konnte er sich mit seinem Geld alles leisten. »Ich weiß nicht«, sagte er hastig, »ich habe mit meiner Tochter andere Pläne. Wir sind auf Ihr Geld nicht angewiesen.« Jetzt mischte sich die Frau ein, was sie bis jetzt noch nie getan hatte.
»Oh, doch, Mister! Wir sind auf das Geld angewiesen! Ich habe einen Stall voll Kinder und muss sehen, wie ich sie allein satt kriege. Ich bin froh, dass Manja Ihnen dienen kann. Sie ist ein braves Mädchen.« Der Vater wollte sie ausschelten, aber er merkte, dass Rosna nicht mehr geduldig war, da schwieg er und dachte: Naja, lange brauche ich mir dies alles hier nicht mehr gefallen zu lassen. Sandor fiel ihm ein. Gestern hatten sie sich in Bridgetown getroffen. Der Mulatte war schon ungehalten; ihm dauerte das alles viel zu lange. Aber der Vater wusste, dass er es geschickt anfangen musste, sonst würde er vielleicht noch Ärger bekommen. »Wie lange wollen Sie bleiben?«, fragte er deshalb den Deutschen. »Das weiß ich noch nicht.« Seine Frau sagte: »Manja, zieh dir ein Kleid an, und dann geh mit dem Herrn.« Gringo blieb im Garten und war gleich von einer Schar Kinder umringt. Sie wollten Kaugummis von ihm, die er aber nicht bei sich hatte. Der Zuhälter fühlte sich in einen Sog hineingezogen, der ihm widerlich war. Er kannte Armut, aber dies hier war anders. Vielleicht hätte er doch nicht mitgehen sollen? Und, verdammt, was sollte er jetzt mit der Kleinen anfangen? Dann spürte er wieder diese seltsamen Schmerzen, und er musste sich an den windschiefen Zaun lehnen. Bald erschien Manja in einem verschossenen Kleidchen. Ihr Aussehen litt darunter nicht. Aber sie wirkte sehr kindlich, sehr vertrauensselig. »Komm«, sagte er nur und ging davon, die Hand auf seinen Magen gepresst. Ich muss zu einem Arzt, dachte er. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sonst finde ich keine Ruhe. Ein paar Pillen, und ich bin wieder in Ordnung. Sie befanden sich wieder am Meer, als er das Wort an sie richtete. »Gibt es auf dieser verdammten Insel einen Arzt? « Sie war erschrocken über seine harten Worte, das war ihr deutlich anzusehen.
»Doch«, sagte sie schnell. »Vielleicht gibt es mehrere Ärzte, aber ich kenne nur Dr. Stanley. Er ist ein guter Arzt, Amerikaner. Er ist wirklich gut.« »Und wo ist dieser Arzt?« »In Oistins, das ist ein kleiner Ort.« »Und wie kommen wir dorthin?« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich glaube, wir müssen laufen. Oder mit dem Auto fahren. Aber ich weiß nicht, ob der Bürgermeister in unserem Dorf so freundlich sein wird und Sie mit dem Auto hinfährt.« »So. Und wie lange läuft man?« »Es sind wohl fünf Kilometer, glaube ich. Aber es ist nicht so schlimm. Die Straße ist gut, nur ein wenig hügelig.« »Dazu habe ich wirklich keine Lust«, brummte er ärgerlich. »Vielleicht gibt es in dem Hotel einen Arzt?« »Kein schlechter Gedanke«, lenkte er ein. Und sie fragte: »Sind Sie krank?« Er war wütend über diesen Satz. Schwäche hasste er über alle Maßen. »Nein«, knurrte er und lief schneller. Als sie den Park erreicht hatten, der zum Hotel gehörte, blieb das Mädchen stehen. »Was ist?«, fragte Gringo erstaunt. »Der ist für uns aus dem Dorf verboten. »Komm mit, ich bürge für dich.«
So betrat Manja zum ersten Mal eine Welt, die sie nur aus weiter Ferne kannte. Jetzt war sie verwirrt von der Schönheit und dem Luxus, der hier herrschte, dass sie sich eingeschüchtert fühlte. Ein Angestellter des Hotels wollte Manja nicht hereinlassen, doch Gringo sagte kurz: »Sie gehört zu mir.« Der Hotelboy warf ihr einen schnellen Blick zu und grinste dann. »Sehr wohl, mein Herr!« Und er dienerte. Manja fühlte sich gedemütigt. Jetzt konnte sie den Hass ihrer farbigen Mitmenschen verstehen. Sie wurden in der Regel so verächtlich von den Weißen behandelt. Und sie war jetzt von einem Farbigen so behandelt worden. Das schäbige Kleidchen wirkte in dieser Umgebung aufsehenerregend. Besonders als sie das Schwimmbecken erreichten und die elegante Welt Gringo sprachlos anstarrte. Beim Anblick des überaus schönen Mädchens hinter ihm, trat ein harter Glanz in die Augen. Wieso musste er sich eine kleine Straßenratte suchen? Oder, war sie das nicht? Sie war doch eine Weiße! So blond konnte kein Mischling sein. Weshalb suchte dieser Mann sein Abenteuer nicht unter den gepflegten Damen des Hotels? Sie warteten doch nur auf ihn. Gringo ging zielstrebig in die Hotelhalle hinein. Der Inhaber schluckte schwer, als er Manja sah, die verschämt an der Glastür stehenblieb. »Ich brauche ein Auto. Können Sie mir eines besorgen, schnell?« Der Mann starrte immerzu Manja an. »Ja, sehr wohl. Sie können sogleich einen Wagen bekommen. Wir haben selbst welche zu vermieten.« »Gut, kann ich die Schlüssel haben?« Der Eigentümer löste sich immer noch nicht von seinem Pult. »Verzeihung«, sagte er diskret, »ich weiß nicht, aber wenn Sie Abwechslung benötigen, hätte ich da eine sehr gute Adresse, diskret und sehr hübsch.
Besuchen Sie doch mal den >Beach Club< oder das >Sam Lord’s Castle<, ich glaube, Sie werden entzückt sein. Es wird überall gerühmt. Wenn Sie wünschen, bestelle ich dort für Sie einen Tisch.« Die kalten Augen des Zuhälters maßen ihn verachtungsvoll. »Haben Sie etwas gegen meinen Geschmack?« Der Kunde ist König, und gerade in dieser Zeit kamen nicht mehr so viele wie früher. Das ging dem Inhaber des Hotels rasch durch den Kopf, bevor er leicht dienerte und gleich darauf sagte: »Nein, nein, das habe ich nicht gemeint. Ich dachte nur, weil Sie doch fremd hier sind, und wenn die Kleine Ihnen nachgelaufen ist. Dann würde ich dafür sorgen, dass ...« Manja hatte die Worte gehört und war erschrocken auf die Terrasse gesprungen. Sie spürte ihr Herz erzittern. Nein, auch wenn sie arm war, brauchte sie sich diese Demütigung nicht gefallen zu lassen. Gringo nahm die Schlüssel und blickte den Mann ärgerlich an. »Ich danke, aber noch bin ich nicht senil, dass ich mir von anderen alles bestimmen lassen müsste. Und in Zukunft wünsche ich, dass Manja hier so behandelt wird wie Ihre übrigen Gäste, oder ich ziehe sofort aus! Das bin ich nämlich von Europa her nicht gewöhnt.« Der Manager krümmte sich fast. »Die gleiche Behandlung? Aber, diese Aufmachung??« »Ach, daran liegt es also?«, spöttelte Gringo. »Kleider machen Leute, nicht wahr?« Er zog es vor zu schweigen, weil er sich darüber ärgerte, dass er wieder einmal einem Gast recht geben musste. »Kommt sie aus dem Dorf?«, fragte er noch. Doch Gringo ging gar nicht darauf ein. »Vielen Dank, dass Sie mir den Wagen überlassen. Ich werde ihn heil zurückbringen.«
»Etwas anderes habe ich nicht erwartet.« Er fand Manja unter einer Bambusstaude. Wie ein verängstigtes Reh hockte sie dort und weinte leise vor sich hin. »Komm, du Palmenkätzchen«, sagte er und lächelte sie an. »Du machst wirklich einen armseligen Eindruck. Aber das können wir ja ändern.« Scheu hob sie die Augen zu ihm auf. »Ich möchte nicht mehr dort hinein«, sagte sie. »Wir fahren jetzt zu diesem Arzt, und dann kaufen wir dir etwas anzuziehen. Mal sehen, was sie dann sagen werden.« »Aber die fünf Dollar bekommt Rosna!« Er starrte sie sprachlos an. »Wie?« »Ja, sie bekommt mein Geld; sie braucht es doch.« »Sag mal, bist du auf den Kopf gefallen?« »Nein«, antwortete sie und streckte sich ein wenig. »Rosna hat mich die ganze Zeit ernährt und gekleidet, also bin ich ihr sehr viel Geld schuldig.« »Hat die alte Schachtel dir das gesagt?« »Nein, ich weiß es.« Der Zuhälter fühlte etwas auf sich zukommen und hätte sich am liebsten sofort von diesem Mädchen getrennt. Doch dann stieg sie in den Wagen und erklärte ihm, dass dies das erste Mal sei, dass sie in einem Auto sitze. Sie fuhren vorbei an Zuckerrohrfeldern, Kaffee und Kakaoplantagen, und Citrusfrüchtenhainen. Der Wagen hatte eine Klimaanlage, und so war die Hitze erträglich. Dann waren sie in Oistins. Vor einem Haus im Kolonialstil hielten sie an. Gringo
war über die Schönheit und Größe dieses Baues erstaunt. Er war schneeweiß und hob sich in wunderbarem Kontrast von den grünen Bäumen und Büschen ab. Es war zweistöckig, und überall waren wunderbare, verschnörkelte Eisengitter angebracht. Sie wollte nicht ins Haus hinein und sagte, sie würde auf den Stufen vor dem Haus sitzenbleiben und auf ihn warten. Bunte Karren fuhren vorüber. »Dann warte hier«, sagte Gringo und wandte sich um. Er betrat das Haus, wo er von einer Farbigen empfangen wurde. Als er ihr erklärte, dass er im »Half Moon« abgestiegen sei, wurde er sofort vorgelassen. Der Arzt war an die zwei Meter groß und musste bereits das sechzigste Lebensjahr erreicht haben. Aber er war vital, und seine blauen Augen wirkten durchdringend. Vor ihm blieb nichts verborgen. »Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?« Gringo erklärte nun genau, wie lange dieser Zustand dauerte und er auch der Grund dafür sei, dass er hier Urlaub mache. Und nun wolle er gern Medikamente von ihm, damit die Schmerzen und besonders die Schwäche aufhörten. Dr. Stanley stellte wieder und wieder Fragen. So berichtete Gringo auch, dass er unter Luftnot litt. Er fühlte sich wie zerschnitten und wurde fast böse, als der Arzt immer noch nicht aufhörte zu fragen. Dann endlich begann er mit seinen Untersuchungen. Dabei war sein Gesicht unbeweglich. Gringo konnte nicht erkennen, was er dachte. Er nahm ihm Blut ab und nahm immer wieder neue Untersuchungen vor. Der Zuhälter erkannte, dass er in die Hände eines Arztes gefallen war, der seinen Beruf ernst nahm und seinen Mitmenschen helfen wollte. Nach über einer Stunde war er endlich fertig. Gringo zog sich wieder an. »Und, welche Diagnose stellen Sie?«, fragte er. »Ich habe eine Vermutung, aber ich kann mich auch irren. Ich möchte zuerst die Laborberichte abwarten, bevor ich etwas Endgültiges sage.« »Wie lange dauert das?«
»Kommen Sie morgen wieder«, sagte der Arzt. »Und was verschreiben Sie mir?« »Gar nichts, ich muss mir erst sicher sein. Überanstrengen Sie sich nicht, trinken Sie keinen Alkohol und schwimmen Sie im Augenblick nicht so weit ins Meer hinaus. Wegen der Atemnot. Gegen die Brandung anzukämpfen ist keine einfache Sache.« »Ich soll also ein ganz ruhiges Leben führen?« »So ungefähr.« Gringo fühlte sich ohnmächtig. »Das bin ich nicht gewöhnt. Bis jetzt habe ich immer alles getan, was ich wollte.« »Nun, Sie werden es schon bleibenlassen. Also, morgen sehen wir uns wieder.« Kurz darauf war Gringo wieder auf der Straße. Manja hatte gewartet. Der Zuhälter schien aus einer anderen Welt zu kommen, so kam es dem jungen Mädchen vor. »Hat Dr. Stanley Sie gesund gemacht?« Er sah ihren süßen roten Mund und die lächelnden Augen. Sie wollte ihm nur gut sein, ihn freundlich stimmen und welche Gedanken wälzten sich in seinem Hirn? »Komm«, sagte er rau, »ich habe dir ein neues Kleid versprochen. Und Schuhe. Die sollen doch mal sehen, wie hübsch du bist!« Der Zuhälter besaß einen ausgezeichneten Geschmack und wusste sehr wohl, was ihr stand. Bald trug sie ein weißes Leinenkleid mit enden Sandalen. Eine kleine Leinentasche bekam sie auch. Dann kaufte er ihr noch ein Kleid in Grün. Es sah bezaubernd aus! Auch einen neuen Badeanzug bekam sie. Nun konnte sie sich sehen lassen. Sicher, sie besaß keinen wertvollen Schmuck, aber sie war schön, und das genügte.
Im Gegenteil, weil sie so bescheiden wirkte, sah sie noch zauberhafter aus. Für Sekunden verengten sich die Augen des Zuhälters. Er dachte: Sie ist ein lupenreiner Diamant. So etwas habe ich schon lange gesucht, aber nie gefunden. Sie an meiner Seite, nun, wir wollen es doch mal gleich testen. Nach dem Einkauf gingen sie die Hauptstraße dieser kleinen Stadt entlang und besuchten auch ein Restaurant, denn sie hatten Hunger. Obwohl es nur von reichen Leuten besucht wurde, nahm man jetzt keine negative Notiz von dem Mädchen an seiner Seite. Im Gegenteil, die Köpfe der Männer reckten sich; sie starrten Manja ungeniert an, so dass es ihr fast peinlich wurde. Aber Gringo war ja bei ihr und beschützte sie. Als er das Essen bestellte, befürchtete er, die Kleine würde ihn vielleicht blamieren. Aber dann sah er, wie zierlich sie aß, und er spürte, dass sie nur aus ihrem alten Rahmen gehoben werden musste, um ein völlig neuer Mensch zu werden. Sie strahlte den Zuhälter an und sagte lachend: »Das ist wunderschön! Nur leider glaube ich, dass ich träume. Und wenn ich aufwache, liege ich in der Hütte, und dann ...« »Du bist hier in diesem Restaurant«, bestätigte Gringo. »Ich bin sehr glücklich. »Wirklich?« »Ich wäre undankbar, wenn ich nicht glücklich wäre. Und ich will auch wirklich alles für Sie tun, damit Sie zufrieden sind.« Gringo hörte ihr zu, und doch schweiften seine Gedanken ab. Die Augen des Arztes hatten so merkwürdig ausgesehen. Er konnte sich einfach nicht von diesem Eindruck losreißen. »Und was machen wir jetzt?«, fragte Manja. Das rief ihn in die Wirklichkeit zurück. »Vielleicht eine kleine Rundfahrt?«
»Jetzt? Aber es wird bald vierzig Grad sein. So etwas unternimmt man erst, wenn es kühler geworden ist«, sagte sie. Jetzt erinnerte sich der Zuhälter daran, dass am Tage immer alle Läden vor den Fenstern geschlossen waren, um die Hitze auszusperren. Für ihn als Europäer war das ungewohnt, und er konnte dieses Dämmerlicht am hellen Tag schwer ertragen. Erst gegen Abend wurde es kühler. Was hieß kühler, dann brannte zwar die Sonne nicht mehr, aber man konnte rund um die Uhr nackt herumlaufen; die Luft war so warm und umschmeichelte einen wie kostbarer Samt. »Was dann?« »Ich weiß eine Stelle am Meer, wo es schattig ist. Dahin kommen nie Leute.« »Nun, dann fahren wir zurück.« Als sie im »Half Moon« ankamen und wieder durch die Halle gingen, denn Gringo wollte seine Badesachen holen, da schaute man das Mädchen sprachlos an. Welche Verwandlung! Und Neid glomm in den Augen der verwelkten Frauen auf. Warum musste dieses Mädchen so schön und makellos sein!
10
Paule war sehr nervös. Sein rechtes Augenlid zuckte. Er ging hin und her und blickte immer wieder um die Häecke. Stani war noch nicht da. »Verflucht, er wird wieder toben! Aber, was soll ich denn tun?« Dann kam er, lässig und elegant. O ja, Stani hatte sich in den letzten Tagen herausgeputzt. Gönnerhaft stand er vor Paule und blitzte ihn an. »Da bist du ja!« »Natürlich. Hast du gedacht, ich würde nicht kommen? Wo sind die Einnahmen?« Paule hatte auch seine Tagesschicht abzukassieren. Von den zehn Dirnen, die am Tage stehen mussten, hatte jede ihr ganz besonderes Soll. Es kam auf Lebens und Dienstalter an. Gringo hatte es sich genau ausgerechnet. »Hier, Stani«, sagte er eifrig und ging einen Schritt zurück. Stani schob die Zigarre in den rechten Mundwinkel. Flink und doch lässig zählte er das Geld nach. »Es fehlt ein Fünfziger, raus damit!« Seine Augen durchbohrten Paule. »Ich hab sie nicht, ehrlich«, flüsterte der heiser. »Du hast sie nicht? Wie soll ich das verstehen?« »Ich hab sie nicht, Stani.« Dieser blickte ihn böse an.
»Soll das vielleicht heißen, eine der Tagestüllen hat ihr Soll nicht erfüllt?« Paule nickte schwach. Stani warf wütend die Zigarre in den Rinnstein. »Warum hast du mich nicht gleich gerufen?« »Wieso?« »Wo ist sie?« »Ich glaub, sie wird pennen, wenn mich nicht alles täuscht. Sie ist fertig, verstehst du.« »Du hast sie also schon gemaßregelt? Hast du es auch richtig gemacht?« »Stani, deswegen wollte ich ja mit dir reden.« »Du hast also nicht? Ja, zum Teufel, muss ich denn immer alles machen! Mach du das mal nach Nachtschicht und all dem Kram! Verflucht, Paule, lange lass ich mir das nicht mehr gefallen! Wer ist es?« »Janny.« »Also diese Schlampe! Nun, dann komm mit, und ich werde dir mal zeigen, wie man mit ungehorsamen Huren umgeht.« Paule blieb mitten auf der Straße stehen. »Was ist? Brauchst du eine Extraeinladung?« »Stani, sie hat mir versprochen, dass sie morgen alles nachholen wird. Sie hatte einen abartigen Typ, und bis sie das gemerkt hat, war schon ’ne Menge Zeit verstrichen. Und dann wollte er sie auch noch beklauen. Sie kam einfach nicht dazu.« »Und du glaubst diese Ausreden? Du meine Güte, wo kämen wir denn hin, wenn wir auch noch glauben würden, was die Tüllen uns vorflennen! Soll oder nicht, das hat Gringo uns doch eingeschärft! Etwas anderes gibt es bei uns nicht! Also wird sie eine Abreibung bekommen, an die sie noch lange denken wird. Und ich
sage dir: Ich bin genauso gut wie Gringo, hast du mich verstanden?« »Natürlich weiß ich das«, sagte Paule schnell. »Aber hast du vergessen, was Gringo uns noch gesagt hat?« »Dass wir, wenn er heimkommt, ein ganz bestimmtes Soll abgeben müssen für die Zeit, in der wir hier das Geschäft verwaltet haben.« »Ich bin nicht blöd, das habe ich nicht vergessen. Was meinst du, weshalb ich so wild bin? Ich lass mir nicht in die Suppe spucken, Paule!« »Ja, aber wenn du Janny jetzt zusammenschlägst, dann kann sie doch für eine Zeitlang nicht auf den Strich gehen und wir haben völligen Ausfall.« Stani blieb stehen und starrte den anderen an. »Und? Was willst du damit sagen?« »Zum Schluss fehlt uns dann das Geld, das Janny verdient hätte.« Stani bleckte die Zähne. »Die anderen werden dann eben mehr einbringen müssen. So hat es Gringo immer gehalten.« »Aber Kathy, sie müssen doch schon für Kathy mitverdienen. Die liegt doch immer noch im Krankenhaus. Die Straße wirft einfach nicht mehr ab und dann stehen auch die Ferien vor der Tür. Wie stellst du dir das vor? Die Mädchen schuften sich ja schon krumm, um dieses Soll zu erfüllen. Sie haben kaum was für sich übrig. Ich sage dir, das geht nicht gut.« Stani kochte vor Wut. Er begriff, dass Paule denken konnte. Bis jetzt hatte er ihn für einen Schwachkopf gehalten. Doch wenn Paule nicht gewesen wäre, wäre er jetzt blindlings losgestürmt und dann? Nicht auszudenken! Letzte Nacht hatte Gringo noch angerufen und sich erkundigt, ob alles in Ordnung sei. Das Gespräch hatte sehr dünn und sehr fern geklungen, aber er wusste, dass Gringo jederzeit hier auftauchen konnte. Und als Stani ihn gefragt hatte, ob es ihm besser gehe, hatte er mit »blendend« geantwortet. Gringo würde bestimmt keine vier Wochen fortbleiben.
Stani hatte jetzt nur eine Sorge: sein Gesicht nicht zu verlieren. »Hör zu«, sagte er schnell, »es ist deine Tagschicht. Also, ich lasse dir ein paar Tage Zeit. Wenn du dich auf die Tüllen verlassen kannst, dein Bier. Aber wenn nach einer Woche nicht alles beisammen ist, dann kenne ich kein Pardon.« Paule nickte sein Einverständnis. »In Ordnung«, sagte er rasch. »Stani, du kannst dich auf mich verlassen.« »Ich hab zu tun, muss mich noch mit den Bossen treffen.« Damit ging Stani davon. Und Paule dachte: Der spielt jetzt den Chef. Als wenn die Zuhälter sich mit ihm unterhalten würden! Der kann mir doch nichts vormachen. Der ist ja eingebildet. Im Grunde war er froh, dass er Janny nicht schlagen musste. Im Gegensatz zu Stani war er sehr viel auf dem Strich, versteckt im Hintergrund, wohlverstanden. Er kannte also die Basis und wusste somit, wie schwer es die Mädchen oft hatten, einen Freier aufzureißen. Dieses Geschäft wurde gefährlicher, und inzwischen gab es auch so viele Dirnen auf dem Strich. Die Luden glaubten, dadurch das große Geschäft machen zu können, doch sie gruben sich selbst damit das Wasser ab. Je mehr »Ware« angeboten wurde, um so niedriger mussten sie doch mit den Preisen gehen, und das wiederum erschwerte es den Mädchen, ihr Soll zusammenzubekommen. Sie mussten viel mehr Kunden bedienen und laugten dadurch rasch aus. Paule war zwar Hilu und stand in Gringos Sold, aber er mochte auch die Mädchen. Er war in diesem Viertel groß geworden. Wenn er auch in der Schule immer wieder sitzengeblieben war, so hatte er doch eines begriffen: Mit Macht und Geld kann man sich alles erkaufen. Sogar Ansehen, auch wenn man nicht so klug ist wie die »Bücherfritzen«. Seine Meinung war: Wenn man den Mädchen mehr Geld lässt, dann arbeiten sie auch lieber. Das wiederum merken auch die Kunden, und sie kommen gern wieder. Aber weil sie unter dem Druck des hohen Solls stehen, müssen sie jeden Mann nehmen und zanken und streiten sich oft noch mit einem Kunden, wenn er nicht drauflegen will. Sie begreifen einfach nicht, dass sie durch so etwas nie zu Stammkunden kommen. Gringo war ein eiskalter Bursche, er würde es nie begreifen. Und Stani ebenfalls
nicht. Er schlenderte durch die Straßen und traf auf Bongo. »Na, wie geht das Geschäft?«, fragte der andere. »Kann nicht klagen.« »Und, der Stoff?« »Weiß ich nicht, das macht Stani.« »So, so und das lässt du dir gefallen? Ich hab gehört, er nimmt einen anderen Preis als üblich.« Paule blickte den Zuhälter erschrocken an. »Weiß Gringo das?« »Woher denn? Der ist doch nicht da. Stani ist ein Stinktier.« Paule schwieg, weil er nicht wusste, weshalb der Zuhälter ihn angesprochen hatte. »Wenn du mal keinen Bock mehr hast, dann komm zu mir.« Das war direkte Abwerbung. Paule dachte rasch darüber nach. Sie gruben also schon, damit Gringos Stuhl bald fiel. »Ich weiß nicht, werde Gringo fragen.« »Der ist weit.« »Will aber bald zurückkommen. Er ist schon wieder ganz fit.« Bongos Augen spießten ihn schier auf. »Sooo ...?«, fragte er gedehnt. »Klar!«
»Naja, dann ist ja alles in Ordnung.« Bongo lachte und ging fort. Paule hatte gar kein gutes Gefühl. Der Zuhälter hatte sich eigenartig benommen. Ob er Stani davon erzählen sollte? Aber dann dachte er: Ich werde die Augen offenhalten; ich kann mich ja immer noch melden. Hoffentlich kommt Gringo wirklich bald wieder. Diese Hurensöhne wollen also ihr Versprechen schon brechen, und dabei ist der Boss jetzt erst eine Woche fort. Vielleicht haben sie ihn sogar mit Absicht fortgeschickt? Nachdenklich ging er weiter. Die Straßenlampen warfen einen hellen Schein auf den Weg. Als er um die Ecke bog, lag das Sündenviertel vor ihm. Nachts machte das Leben hier noch Spaß, aber am Tage? Ein Jüngling stieß ihn an. »He, hast du Stoff für mich?«, fragte er Paule warf ihm einen schrägen Blick zu. Er kannte diesen Kerl nicht, also musste er vorsichtig sein. Die Bullen hatten ihre Spitzel auch unter ihnen. »Nein!«, antwortete er grob. Der Jüngling schien in sich zusammenzufallen. Mit weinerlicher Stimme bat er: »Aber ich brauch einen Schuss, ehrlich, ich tu auch alles dafür. Gib mir nur einen einzigen kleinen Schuss; ich schwöre dir...« »Nimm die Pfoten von meiner Jacke! Mäuse haste auch nicht, na, da wirste wohl nicht weit kommen, Kleiner.« »Ich brauche einen Schuss!« »Geh mir aus dem Weg!« Die Augen des anderen waren unnatürlich geöffnet, daran erkannte Paule, dass er wirklich einen Fixer vor sich hatte. Aber auch die konnten für die Polizei
arbeiten. »Hör zu, ich hab keinen Schuss, verstanden. Ich geb dir dafür einen Rat gratis.« »Ja?« »Besorg dir erst einmal ein paar Bundesmücken, und dann komm wieder. Aber nicht zu mir. Hier im Viertel triffst du genügend Leute an, die was verkaufen. Aber ohne Mäuse ist da nichts zu machen.« »Ich hab kein Geld mehr«, lispelte der Jüngling. »Dann geh auf’n Strich.« Der andere zuckte zusammen. Paule lachte böse auf. »Haste wohl noch nie getan, wie?« »Nein«, bestätigte der schwach. »Tja, das hättest du dir vorher überlegen sollen, als du mit dem Stoff angefangen hast. Sie enden alle auf dem Strich, und ich kann dir sagen, dort ist kein Zuckerschlecken.« »Ich mach das nie! So einer bin ich nicht. Du weißt ja gar nicht, woher ich stamme.« »Will ich auch nicht wissen. Ich will nur, dass du mich zufrieden lässt, verstanden! « Und der kleine Fixer verschwand in der Dunkelheit.
11
Manja durfte auch mit Gringo am Abendessen teilhaben. Später saßen sie auf der beleuchteten Terrasse und unterhielten sich. Er war froh, dass er dieses Mädchen gemietet hatte; so hielt er sich die anderen vom Leib, und außerdem war es ganz angenehm, von den anderen Männern beneidet zu werden. Manja sah ihn immer wieder an und lächelte. So einen feschen Mann hatte sie noch nie gesehen. Und er war so gut zu ihr! Warum sollte sie da nicht froh und glücklich sein? Sie hatte ein eigenartiges Gefühl im Herzen. Es flatterte ganz leicht und schnell. Wenn er sie kurz berührte, dann spürte sie eine heiße Welle durch ihren Körper laufen. Sie wusste nicht, dass sie ihn zu lieben begann. In dieser Nacht war alles unwirklich für sie. Der Mond stand über dem Meer, und sein Licht spiegelte sich im Wasser. Gringo, der den Mond über Deutschland kannte, war verblüfft. Auch das Sternenbild war ganz anders, als er es wusste. Aus der Bar drang leise Musik heraus. Manja wäre gern hineingegangen, aber sie wagte nicht, ihn darum zu bitten. Er sah wieder müde und erschöpft aus. Vielleicht ist es das Klima, dachte sie mütterlich. Die Weißen sind anfangs immer sehr erschöpft. Sie kennen die Sonne und ihre Wirkung noch nicht, und der Körper muss sich erst auf dieses Klima einstellen. Das braucht seine Zeit. Gringo sah auf und blickte Manja an. »Hier ist dein Lohn«, sagte er und drückte ihr das Geld in die Hand. »Oh«, sagte sie leise. »Ich werde jetzt schlafen gehen. Morgen sehen wir uns wieder, ja?«
Sie nickte. »Du kannst jetzt gehen.« Zögernd erhob sie sich, setzte einen Fuß auf die Treppe und starrte dann in den dunklen Garten vor sich. »Was ist?« Mutlosigkeit stand auf ihrem Gesicht. »Hast du Angst in der Dunkelheit? Fürchtest du Geister? Du bist doch keine Eingeborene.« »Wenn es die nur wären«, sagte sie trocken. Plötzlich wusste er, wovor sie sich fürchtete. »Sandor?« Zaghaft nickte sie. Da erhob er sich sofort und sagte: »Nun, dann bringe ich dich bis zu deinem Dorf.« »Aber, du bist so müde«, sagte sie hastig. »Nein!« Er kannte keine Krankheit und wollte auch nicht zugeben, dass er in der Tat müde war. Doch sein vernünftiger Verstand hielt ihn für verrückt. Warum wollte er sie nach Hause begleiten? Ihm sollte doch wirklich gleichgültig sein, was mit ihr geschah. Hier gab es massenhaft Frauen, wenn ihn danach verlangte. Sie waren sicher noch billiger. Und eine kleine Mulattin oder eine Schwarze würde vielleicht wieder Feuer in seine Adern bringen? Er war noch nicht verpufft, er nicht! Mit ihm musste man noch rechnen! Und doch ertappte er sich dabei, dass er mit diesem Mädchen durch den Palmenhain ging und weiter bis zum Rande des Dorfes. Dort blieb er stehen.
Wie ein Schatten flog das Mädchen an seinen Hals und gab ihm einen flüchtigen Kuss. »Danke«, flüsterte sie und war dann auch schon verschwunden. Die Dunkelheit brach hier sehr schnell herein und wirkte undurchsichtiger als in Europa. Gringo stand immer noch. Er fühlte, wo sie ihn geküsst hatte. Er, der dreißig Dirnen laufen hatte, der sich also jede kaufen konnte, vor dem diese Mädchen zitterten, er spürte, wie eine seltsame Welle ihn erfasste. Zu dumm, er wurde von der Faszination der Tropen angesteckt. Als er zurückging, hörte er es im Untergehölz rascheln. Er kannte keine Angst, doch seine Hand schloss sich um das Messer in seiner Hosentasche. Ein Schatten huschte vorüber. War das Sandor? Doch Gringo blieb unbehelligt. In der Hotelhalle wurde er von einer Rothaarigen angesprochen, die ihn in die Bar locken wollte. »Danke, ich möchte jetzt schlafen. Tut mir leid, vielleicht ein andermal.« Die Frau zischte wie eine Schlange, als sie davontrippelte.
12
Der Zuhälter kannte sich inzwischen mit dem Tagesrhythmus aus. Er stand sehr früh auf, weil er von Manja wusste, dass man zu dieser Zeit das Tageslicht ertragen konnte. Er duschte kalt und nahm wieder nur ein paar Früchte zu sich. Als er auf die Terrasse hinaustrat, sah er sie bereits unter dem Mangobaum stehen. »Hallo!« Sie strahlte ihn an. »Wir fahren gleich los. Der Arzt wollte mit mir reden. Dann haben wir es hinter uns.« Sie hatte sich ein Tuch in die Haare gebunden; das gefiel ihm. Diesmal hatten sie einen offenen Wagen. Seltsam, er fühlte sich heute frisch und sehr wohl; er lachte sogar hin und wieder über ihre spaßigen Äußerungen. Bald waren sie wieder in der Kleinstadt, und wieder wollte sie nicht mit hineinkommen. So ging er allein. Dr. Stanley schien schon auf ihn gewartet zu haben. Der Zuhälter hatte ein beklemmendes Gefühl der Erwartung. Er räusperte sich, als er sich dem Arzt gegenüber setzte. »Ich sollte heute wiederkommen«, begann er leise. »Ja, ich weiß. Ich habe es nicht vergessen.« Der Arzt maß ihn mit einem durchdringenden Blick. »Und was haben Sie herausbekommen?«
Nachdenklich lehnte sich der Arzt zurück und spielte mit dem Bleistift, dann beugte er sich vor. »Wollen Sie die Wahrheit wissen?« »Aber sicher, deshalb bin ich doch zu Ihnen gekommen.« »Sind Sie in Deutschland schon bei einem Arzt gewesen? « »Nein.« »Und Sie leiden schon sehr lange an diesem Zustand?« Der Zuhälter dachte nach. Nun, vielleicht traf das zu, aber sein Leben war so aufreibend und dann der viele Alkohol. Ja, er erinnerte sich, dass er eigentlich aus diesem Grund immer mehr getrunken hatte. Der Alkohol hatte für eine Weile diese Schwäche überdeckt, oder, besser ausgedrückt, vertuscht; denn man ließ einen betrunkenen Luden zu, aber keinen schwachen. »Kann schon sein«, gab er schließlich zu. Dr. Stanley sagte: »Nun, ich glaube, Sie können die Wahrheit verkraften. Sie haben Leukämie.« Gringo saß völlig reglos auf seinem Stuhl. Er atmete flach. Das Wort »Leukämie« hatte ihn wie ein Schlag getroffen. Und doch glaubte er auch jetzt noch, sich verhört zu haben. Als könne der Arzt seine Gedanken lesen, sagte er jetzt: »Ich habe alle Untersuchungen im Labor dreimal vorgenommen. Es ist so.« »Blutkrebs?«, fragte Gringo, um einen Irrtum auszuschließen. »Ja.« Kein Muskel regte sich in dem Gesicht des Luden. »Und, wie lange habe ich noch zu leben?« Der Arzt wunderte sich über die kühle Sachlichkeit seines Patienten.
»Nun, man hat heute schon einige Möglichkeiten. Ich muss aber dazu sagen, dass jeder Patient anders auf sie anspricht. Und, es kommt auch darauf an, wie lange Sie die Krankheit schon mit sich herumschleppen.« »Wie lange?«, fragte Gringo wieder. »Wenn alles so verläuft, wie man es sich wünscht, können Sie noch zehn Jahre leben.« Gringo schloss sekundenlang die Augen. »Es gibt keinen Zweifel?« »Nein. Sie hätten sich viel früher schon in Behandlung begeben müssen, mein Herr.« »Geschenkt. Das ist jetzt alles vorbei.« Stille. Gringo erhob sich fast im Zeitlupentempo. »Und, was kann ich tun?« Er sah dem Arzt fest ins Gesicht. »Ich habe mir bereits alles besorgt. Ich gebe Ihnen ein paar Spritzen, die allerdings sehr häufig wiederholt werden müssen. Und dann, naja, später müssen wir Bluttransfusionen vornehmen. Wie gesagt, es kommt darauf an, wie die Medikamente bei Ihnen anschlagen. Ich wäre Ihnen also sehr dankbar, wenn Sie mich wissen ließen, wie lange Sie zu bleiben gedenken. Ich muss mir das Mittel schicken lassen. Ich habe schon telegrafiert, dass man mir größere Mengen zuweist. Aber ich kann jetzt gleich schon mit der Behandlung beginnen, und Sie werden zumindest für eine Zeitlang die Müdigkeit überwinden. Sonst fühlen Sie sich wohl?« »Ja«, antwortete der Zuhälter leise. Insgeheim spielte Gringo mit dem Gedanken, einen anderen Arzt aufzusuchen. Dr. Stanley legte ihm das sogar nahe. »Ich hätte wirklich nichts dagegen und könnte Sie sehr gut verstehen, wenn Sie den Wunsch dazu haben.«
»Nein, ich bleibe bei Ihnen.« Wenig später bekam er die ersten Spritzen, und bald darauf war er entlassen. Im Gang blieb er für einige Augenblicke stehen. Die Wände schienen sich um ihn zu drehen. Alles stürzte auf ihn herein, wollte ihn ersticken. Er rannte hinaus. Mit leichenblassem Gesicht taumelte er die Stufen hinunter. Manja fuhr mit einem Schrei in die Höhe. »Gringo, du meine Güte! Was ist denn los?« Er sah sie gar nicht, taumelte nur weiter zum Wagen. Sie sah die Totenblässe auf seinem Gesicht. Gringo konnte jetzt nicht denken. Es war einfach zu viel, zu viel. Blutkrebs, Blutkrebs, hämmerte es in seinen Adern. Er, der mächtige Lude, hatte Blutkrebs! Er würde langsam dahinvegetieren! Wie ein Wahnsinniger fuhr er los. Dass er keinen Unfall baute, war ein kleines Wunder. Sie rasten über die Schotterstraße dahin. Irgendwann tauchte das Half Moon vor ihnen auf. Er stieg aus und ging einfach los, ohne sie oder irgend jemanden zu sehen. Manja war so tief erschrocken, dass sie ihm folgte. Er steuerte die Bar an und verlangte einen Wodka. Das war das stärkste Getränk, damit würde er sich bald betäubt haben. Als der Alkohol seinen Magen erreichte, glaubte er zu explodieren. Manja saß neben ihm auf dem Hocker. Um diese Zeit waren sie beide die einzigen Gäste in der Bar. Der Mulatte schaute Manja an. Sie schüttelte den Kopf. Gringo goss den Alkohol in sich hinein und verlangte immer wieder ein neues Glas. So dauerte es nicht lange, bis er betrunken war und fast vom Hocker fiel. Der Barkeeper ging nach hinten und sprach in das Telefon. Wenig später erschien der Manager des Hotels, und der Angestellte berichtete kurz, was mit dem Gast iert war. Der Mann rief zwei Hausdiener, die den Gast nach oben in dessen Zimmer
brachten. Er wies Manja an, mitzukommen. Furchtsam, verstört und nicht wissend, was mit Gringo geschehen war, folgte sie der Gruppe. Sie legten ihn auf das elegante Bett. Der Manager sagte zu ihr: »Wenn er wach wird und noch Wünsche hat, rufen Sie mich an. Auch wenn irgend etwas anderes sein sollte, verstanden.« »Ja«, antwortete das Mädchen bedrückt. »Ich will keinen Ärger.« Manja war ans Gehorchen gewöhnt. »Ja«, versprach sie. Dann war sie mit Gringo allein. Er wurde nicht wach. Als es dämmrig wurde, zog sie ihn aus und legte die leichte Decke über ihn. Sie selbst setzte sich in den kleinen Sessel. Immer wieder sah sie das totenblasse Gesicht. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie war noch nie mit einem Mann allein in einem Zimmer gewesen. In dieser Sekunde wusste sie: Wenn sie blieb, war ihr Ruf zerstört wie der von Tia Maria. Ihr erster Impuls war: fortgehen, bevor es ganz dunkel wird, muss ich heimgehen, dann kann mir niemand etwas nachsagen. Doch sie blieb. Sie konnte nicht gehen. Dieser Mann brauchte sie doch, das spürte sie ganz deutlich. Ohne etwas zu essen, harrte sie bei ihm aus, Stunde um Stunde. Als die Dunkelheit anbrach, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
13
Gringo erwachte. Der Kopf schmerzte, aber sein Magen war wieder in Ordnung. Er lag auf dem Rücken und starrte zur Decke hinauf. Es dauerte eine ganze Weile, bis er in die Wirklichkeit zurückfand; doch dann wusste er wieder alles. Er stöhnte und wälzte sich herum. Da fiel sein Blick auf das Mädchen. Es lag wie ein Kätzchen zusammengerollt im Sessel und schlief. Ruckartig setzte er sich auf. »Manja!« Sie fuhr erschrocken in die Höhe; als sie ihn sah, lächelte sie weich. »Bist du die ganze Zeit hiergewesen?«, fragte er. Sie nickte. Der Zuhälter durchbohrte sie mit seinen Blicken. »Warum?«, fragte er rau. »Weil du mich brauchtest. Du warst so verstört, du warst nicht mehr du selbst, und da brauchtest du mich.« »Aber, dein Ruf.« Sie reckte sich. »Der ist mir gleichgültig; du hast mich gebraucht.« Er starrte sie immer noch an. In seinem kalten Herzen regte sich etwas. All die Jahre hindurch hatte er die Mädchen gnadenlos ausgebeutet. Für ihn waren sie nur eine Ware gewesen. Er hatte sie nicht als Menschen angesehen. Und jetzt
kam hier ein junges Ding und opferte ihm alles! Für nichts! Er brach in Schluchzen aus und wusste nicht, wann er das letzte Mal geweint hatte. Es war schrecklich. Schwach durfte man sich doch nicht zeigen! Aber die Wahrheit brachte ihn fast um. Manja sprang auf, stürzte auf ihn zu, kniete sich vor ihn und sprach mit zärtlichen Worten auf ihn ein. Dabei strich sie ihm das Haar aus dem Gesicht. Er schaute auf und blickte in diese Augen. Er sah bis auf den Grund ihrer Seele und konnte es einfach nicht fassen. Sie liebte ihn, ihn, den Zuhälter! Er, der ihr böse hatte mitspielen wollen. Nur das Böse zählte in seinem Leben. Sie - liebte - ihn! Manja flüsterte: »Was ist es denn? Warum bist du so traurig? Kann ich dir denn nicht helfen?« Helfen? Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an das Mädchen. Er hielt sie umschlungen, und die leichte Gestalt lag an seiner Brust. Ein seltsamer Schauer rann durch seinen Körper. Er begriff nichts mehr, gar nichts. Aber in diesen Sekunden fühlte er sich wohl und glücklich. »Palmenkätzchen«, sagte er immer wieder. »Du Unmögliche, ich verstehe es nicht. Aber, Palmenkätzchen, lass mich nicht allein. Ich flehe dich an, lass mich nicht allein.« »Das will ich doch gar nicht«, sagte sie leise auflachend. Viel später hielt er sie noch immer umfangen. »Ich habe Hunger«, sagte sie leise. »Wie? Hast du etwa den ganzen Tag gehungert?« Sie nickte. Da ließ er sie los.
»Ich werde jetzt duschen, du auch, und dann gehen wir nach unten.« Als sie eine halbe Stunde später durch die Halle gingen, sah man sie mit schrägen Augen an. Sie alle wussten jetzt Bescheid; sie war also nur ein Bettkätzchen, na, das hatte man doch immer gewusst. Die reichen Damen schürzten die Lippen und dachten: Nun, bald wird er ihrer überdrüssig sein, dann wird er sich dem wirklichen Leben hingeben. Wir können warten. Gringo füllte immer wieder ihren Teller. »Du bist so zart, du musst viel mehr essen, Palmenkätzchen.« Sie lächelte ihn an. »Du bist so lieb«, flüsterte sie. Ihre Worte wirkten wie ein Schlag. Unwillkürlich dachte er: Würde sie auch noch so zu mir sein, wenn die Wahrheit ans Licht käme? Später verließen sie das Hotel und gingen hinunter zum Strand. Sie lagerten unter einer Palme, und für sie gab es in diesem Augenblick nur dieses Fleckchen Erde. Gringo musste denken, sehr viel denken. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Sein ganzes Leben hatte sich verändert, zumindest würde es nicht mehr in den gewohnten Bahnen verlaufen. Er hatte noch so viele Pläne gehabt, die jetzt nicht mehr zu verwirklichen waren. Er starrte auf das Meer hinaus. Wenn er nach Deutschland zurückginge, würde man gnadenlos mit ihm sein. Lange würde er seinen Zustand vor den anderen nicht verbergen können. Es würde zu einem Krieg unter den Zuhältern kommen, und dann ...? Zehn Jahre ... Womöglich würde er alles verlieren und in einem Dreckloch langsam dahinvegetieren, keine Freunde, nichts. Er wusste ganz genau, dass die anderen nur bei ihm blieben, weil sie sich durch ihn Reichtum erhofften. Er würde schlimm enden. »Zehn Jahre ...«, murmelte er vor sich hin.
»Hast du etwas gesagt?« Er nahm das Gesicht in beide Hände und schaute ihr tief in die Augen. Oh, mein Gott, dachte der Zuhälter, liebe ich sie? Bin ich wirklich in der Lage, einen Menschen zu lieben? Was haben mir die Tüllen nachgeschrien, ich sei ein Teufel, eine Bestie, ein Unmensch? »Manja?« »Ja? « »Würdest du immer bei mir bleiben?« Und zärtlich streichelte er diese flachen Wangen. »Wirklich?« Sie strahlte ihn an. »Für immer?« Er wollte sagen, nur für zehn Jahre, vielleicht auch für weniger, Mädchen. Doch er legte schweigend ihren Kopf wieder an seine Schulter. »Ich muss noch ein wenig nachdenken.« »Werden wir nach Deutschland gehen?«, fragte sie. Gringo wollte sagen: Ja, ich nehme dich mit; sie alle sollen dich sehen. Aber er wusste, dass er das nicht tun konnte. Manja sollte nicht mit dem Schmutz zusammentreffen, sie sollte ihn, Gringo, nur so sehen, wie er hier auf Barbados war. Er erhob sich. »Lass mich ein wenig allein. Bleib liegen, ich gehe nur ans Wasser hinunter.« Er musste jetzt allein sein. Zehn Jahre, hämmerte es in seinem Kopf. Wenn die Medikamente anschlugen, konnten es gute zehn Jahre werden. Wenn
er in Deutschland seine Brücken abbräche und hierher käme, für immer bliebe? Hier in den Tropen, unter den Palmen und am schönen Meer. War denn hier nicht schon das Paradies? Dieses Kätzchen liebte ihn, ohne Zweifel. Er besaß das schönste Mädchen weit und breit. Sie würde bei ihm ausharren, bis zum Schluss, und dann würde sie reich sein. Sein ganzes Vermögen würde er auf sie überschreiben lassen. Das wäre ihr Lohn. Zehn Jahre . .. Er konnte sich damit viel kaufen! Vielleicht war das Schicksal doch nicht so grausam? Denn, was wäre gewesen, wenn er jetzt nicht krank geworden wäre? Dann wäre er nach ein, zwei Wochen doch wieder zurückgeflogen, und alles wäre wie früher gewesen: Er wäre gnadenlos dem Geld nachgejagt, er hätte nie kennenlernen dürfen, wie es war, wenn sich ein Mensch aus Liebe an ihn band. Dies alles hätte er nicht kennengelernt. Langsam drehte er sich herum. »Manja!« Sie war wie ein Geschenk. Konnte er tatsächlich lieben? War er dazu imstande? Doch er dachte nicht nur an sich. Das Schicksal dieses Mädchens lag ihm am Herzen. Natürlich würde er sie heiraten. Hier in der Nähe würde er sich ein kleines Haus bauen lassen. Manja wäre dann vor Sandor sicher; sie wäre dann seine Frau und auch nicht arm. Allein aus Dankbarkeit würde sie bei ihm bleiben, wenn es dem Ende zuging. Der Zuhälter presste die Zähne zusammen. Der Tod hatte nie irgendeine Bedeutung für ihn gehabt. Aber da war er auch nicht betroffen gewesen. Er presste die Lippen zusammen, seine Zähne knirschten. So leicht war es doch nicht, sich mit diesem Schicksal anzufreunden. Zehn Jahre ...!
Er klammerte sich an den Strohhalm, dass bis dahin noch sehr viel Zeit vergehen würde, während der die Medizin weiterforschte. Vielleicht gab es in ein, zwei oder fünf Jahren ein Mittel, das ihn heilen konnte? Tränen schossen ihm in die Augen. Verdammt... Ich will nicht sterben, ich bin erst fünfunddreißig Jahre alt, ich denke gar nicht daran, ins Gras zu beißen. Nein, nicht mit mir! Ich werde kämpfen, werde den Doktor fragen, was ich alles tun muss, um mein Leben zu verlängern. Vielleicht gibt es eine Diät? Vielleicht sind die Tropen wirklich ein gutes Mittel für mich? Er scharrte im Sand. Manja saß unter der Palme, die Knie angezogen, und wartete auf ihn. Ja, dachte er zornig, ja, ich werde mir alles kaufen, was ich will! Ich werde ein anderes Leben beginnen. Ganz anders! Ich will nicht sterben, ich will leben! Und wenn ich die zehn Jahre überstanden habe, dann werde ich lachen. Ich habe bis jetzt immer alles gemeistert. So eine lächerliche Krankheit lasse ich doch nicht an mich heran, nein, ich nehme den Kampf auf! Mit festen Schritten ging er zu dem Mädchen zurück. »Manja, ich werde hierbleiben.« Sie legte ihre weichen Arme um seinen Hals. Ja, sie liebte ihn. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Herzens. »Oh«, seufzte sie und fiel in den Sand.
14
In Gringo, dem Zuhälter, ging etwas vor. Dieses Bewusstsein, hoffnungslos krank zu sein, war zu ungeheuerlich; er lehnte sich immer wieder dagegen auf und war störrisch wie ein Esel. Aber am Ende blieb die Lage immer gleich. Doch Dr. Stanley riet ihm: »Wenn Sie sich nicht auflehnen, sondern damit leben, sich damit abfinden sozusagen, wird alles viel leichter sein. Glauben Sie mir. Nur wenn man sich aufbäumt, wird der Haushalt im Körper noch mehr durcheinandergebracht.« »Ich kann also ein ganz normales Leben führen?«, fragte er ungläubig. »Aber sicher! Auch wenn Sie später Bluttransfusionen brauchen, ist das nur eine Frage von ein, zwei Tagen, mehr nicht. Niemand wird bemerken, dass Sie krank sind.« Gringo nickte. »Gut, ich werde mich danach richten.« »Sie wollen bleiben?« »Ja. Ich werde in Deutschland alle Brücken abbrechen und für immer auf dieser Insel bleiben.« Für immer, hatte er gesagt, also eine sehr lange Zeit. »So mancher Europäer hat diesen Entschluss schon gefasst. Hier wird man anders. Ich kann da mitreden, denn ich habe früher auch in Amerika gelebt und hier nur einen Urlaub verbringen wollen. Jetzt bin ich schon seit zwanzig Jahren hier, und ich weiß, ich werde gebraucht.« »Ich werde also für vierzehn Tage fortbleiben können?« Der Arzt schrieb ihm ein Rezept aus.
»Wenn es Ihnen in Deutschland nicht gutgehen sollte, dann gehen Sie zu einem Arzt, legen ihm dieses Rezept vor, und er wird gleich das richtige Mittel spritzen, ohne lange Untersuchungen vornehmen zu müssen, die ja nicht ganz schmerzfrei sind.« Gringo verließ den Arzt. Er traf Manja auf den Stufen. »So, jetzt gehen wir einkaufen«, sagte er unternehmungslustig. »Aber du hast mir schon so viel gekauft, Gringo.« »Du wirst noch sehr viel mehr brauchen, Palmenkätzchen.« »Aber warum denn?« »Das sage ich dir später.« »Aber, wo soll ich das alles lassen? Unsere Hütte ist so klein, Gringo, hast du das vergessen?« Der Zuhälter merkte, dass er mit der Kleinen reden musste, bevor sie einkauften. Bis heute hatte er noch nicht mit ihr geschlafen, das grenzte an ein Wunder. Aber er wollte sie ganz, mit Gefühl und Verstand, nicht verstört. Er wollte sie mit ihrer ganzen Liebe und Hingabe. »Komm, wir gehen ein Eis essen, und dabei sage ich dir alles.« In diesem kleinen Ort hatte man sich an die beiden schon gewöhnt. Sie wurden schnell bedient, und dann saßen sie allein auf der Terrasse. Um diese Zeit hatten andere Touristen noch keine Lust für Müßiggang. »Ich muss fort, Manja. Nach Deutschland.« »Oh«, sagte sie leise, und ihre Lider zitterten. »Aber hast du mir nicht gesagt, du würdest für immer bleiben?« »Ja, wenn ich zurückgekommen bin, bleibe ich für immer.« Sie wirkte bekümmert. »Das haben schon viele gesagt.«
»Manja, ich spreche die Wahrheit. Und damit du mir glaubst, wirst du auch nicht mehr bei Rosna leben. Ich wünsche es nicht.« Er wollte sagen, damit ich sicher sein kann, unterließ es aber. »Aber, wo soll ich denn wohnen?« »Im >Half Moon<.« »Waaas?« »Ja, du wirst solange mein Zimmer beziehen. Ich werde es im voraus bezahlen. Deshalb müssen wir jetzt vieles für dich einkaufen, Manja. Du sollst so leben wie die anderen Gäste im Hotel. Ich möchte es.« »Aber, Gringo, ich fürchte mich.« »Sie hassen dich, weißt du, weil du so schön bist. Doch deshalb brauchst du keine Angst zu haben. Du wirst dort auf mich warten.« »Gringo ...«, sagte sie erstickt. »Gleich nachher gehen wir zu deinem Vater; ich werde mit ihm über dich reden.« Ihre Augen weiteten sich. »Gringo!«, rief sie verwirrt. »Ich werde dich heiraten, Palmenkätzchen. Deshalb muss ich noch einmal nach Deutschland zurück.« »Oh, Gringo!« Sie strahlte ihn an. »Ist das wirklich wahr?« »Ja. Wir werden uns ein kleines Haus kaufen und dort leben und zufrieden sein.« »Ich werde deine Frau sein?« »Ja.« »Dann hat Sandor nie Macht über mich . ..«
»Er soll es nur wagen, dich zu berühren, dann wird er mich kennenlernen!« Jetzt sah sie die beabsichtigten Einkäufe mit anderen Augen an. Als sie nach dem Essen ins Dorf fuhren, gab es dort viel Aufregung, denn sie waren noch nie mit dem Auto zu ihrem Elternhaus gefahren. Manjas Vater sah den Fremden groß an. Gringo sagte kühl: »Mister, kann ich ein paar Worte mit Ihnen reden?« »Gewiss. Kommen Sie auf die Veranda, dort ist es um diese Zeit ein wenig kühler.« Manja verschwand mit der Stiefmutter im Haus. Gringo, der Zuhälter, erklärte dem Mann kurz und bündig, dass er dessen Tochter heiraten wolle, sobald er aus Deutschland zurück sei. Der Vater blickte ihn sprachlos an. »Das soll wohl ein Witz sein?« »Nein!« Der Vater starrte in den kleinen Garten. Er würde also nach Deutschland fliegen müssen. Sandor machte ihm schon die Hölle heiß. Er fuhr sich über den verwilderten Bart. Nun, wenn der Mann fort war, hatte Manja keinen Schutz mehr, und Sandor würde ihm endlich das Geld auszahlen. Würde er denn wirklich zurückkommen? Nun, dann hatte er eben Pech. Die jungen Mädchen waren nun einmal so. Und jetzt hörte er den Mann sagen: »Manja wird solange im >Half Moon< leben. Hier ist es zu eng. Sie verstehen.« Der Alte war sprachlos. »In dem Luxushotel?«, fragte er schließlich. »Ja.« »Donnerwetter!« Vielleicht machte Gringo jetzt einen gewaltigen Fehler. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn er dem Alten gesagt hätte: Wenn ich sie geheiratet habe,
bekommst du von mir das Geld, was Sandor dir zahlen will, und dann kannst du abhauen. Aber er war nun einmal ein geldgieriger Zuhälter, und er dachte nicht daran, für etwas Geld zu bezahlen, was man umsonst haben konnte. Und im übrigen war es doch unter Weißen wirklich nicht üblich, die Tochter zu verkaufen. »Wir haben uns also verstanden?«, fragte er deshalb nur. Der Alte nickte. Manja kam aus der Hütte. Sie hatte Rosna versprochen, sich um die Kinder zu kümmern, auch wenn sie reich wäre. Wenn sie erst einmal ein eigenes Haus hatte, konnte sie viel tun für die Familie. Rosna sah sie jetzt mit ganz anderen Augen an. Gringo wartete beim Wagen. Sie hatte leuchtende Augen, als sie einstieg. Bald waren sie im Hotel. Am Morgen schon hatte er den Manager beauftragt, für ihn einen Flug zu buchen. In drei Stunden würde seine Maschine starten, berichtete man ihm. Er schickte das Mädchen nach oben und regelte mit dem Manager alles Weitere. Er zahlte für die nächsten vierzehn Tage und hinterließ zusätzliches Geld, falls seine Verlobte Sonderwünsche äußern sollte. Sein Blick war eiskalt. »Ich möchte Sie bitten, auf Manja achtzugeben. Es darf ihr nichts zustoßen. Haben wir uns verstanden?« »Mein Herr, wir sind ein erstklassiges Hotel.« »Trotzdem, wenn ich erfahre, dass etwas vorgefallen ist, dann ...« Der Manager fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. »Aber, wenn Sie mein Hotel verlässt ich kann ihr doch nicht nachgehen!« »Besorgen Sie einen Mann, der ihr dann folgt. Ich werde alles bezahlen.
Großzügig bezahlen. Da glänzten die Augen des Managers auf. Er konnte dem also Rechnungen vorlegen, die er gar nicht nachprüfen würde? »Ich werde mich um alles kümmern.« »Wir verstehen uns?« »Selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug und gute Heimkehr.« »Danke!« Gringo ging nach oben und verabschiedete sich von Manja. Sie weinte ein wenig. Doch er nahm sie in die Arme und fühlte den süßen Hauch ihrer Unverdorbenheit und dachte: Ich werde wirklich ein ganz neues Leben beginnen. Sie soll nicht bereuen, dass sie meine Frau wird. »Du bleibst hier, man wird mich zum Flughafen bringen. Hier bist du gut aufgehoben. Denke immer daran, du bist die Schönste hier. Und lass dich nicht verrückt machen. Wenn ich kann, werde ich dich häufig anrufen.« »Gringo, Gringo, ich liebe dich.« Wann hatte man ihm das einmal gesagt? »Palmenkätzchen«, sagte er und streichelte ihre Wangen, »ich komme so schnell wie irgend möglich wieder.« »Ja.« Er sah sie am Fenster stehen; sie wischte sich die Tränen ab. Als er durch den Park ging, presste sich sein Herz zusammen. Diesmal war seine Krankheit nicht schuld daran. Er liebte! Ein Wunder war mit ihm geschehen, an das er immer noch nicht so recht glauben konnte:
15
Die Maschine landete pünktlich in Hamburg. Es war kalt und sehr diesig. Fröstelnd hob er die Schultern. Sein dünner Tropenmantel hielt die Kälte nicht zurück. Er bestieg ein Taxi und fuhr zu seiner Wohnung. Dort drehte er zuerst einmal die Heizung auf und braute sich einen starken Kaffee. Alles schien ihm hier unwirklich, nach den Tropen, der ewigen Sonne und den herrlich duftenden Blumen. Er war müde und erschöpft. Doch als er sich im Spiegel besah und die leichte Bräune feststellte, sagte sich der Zuhälter: Niemand wird mir glauben, dass ich aus Krankheitsgründen verkaufen will. Deshalb werden sie mir alles abnehmen, was ich ihnen auftische. Doch er war bereit, den Kampf aufzunehmen. Er wählte Stanis Nummer. Dieser meldete sich verschlafen und fluchte in den Hörer hinein. Für ihn war noch Mitternacht, da er nachts seinen Dienst versah. »Verflucht, ich dreh dir den Hals um, wenn du mich noch mal so früh weckst!« Schon wollte er den Hörer auf die Gabel knallen, als er eine scharfe Stimme vernahm: »Untersteh dich aufzulegen!« Sein Adamsapfel hüpfte erschrocken rauf und runter. »Chef?«, gurgelte er und wurde sofort hellwach. »Mensch, dich hör ich aber wirklich gut, so, als würdest du aus Hamburg sprechen. Das ist ja eine Wucht.« »Ich spreche aus Hamburg.« »Haha, das ist wirklich ein guter Witz, ehrlich! Fast wäre ich drauf reingefallen. Wie ist das Wetter, Boss? Ja, so gut möchte ich es auch mal haben.« »Willst du wissen, wie das Wetter in Hamburg ist? Dann mach die Gardinen auf. Also, ich erwarte dich in einer halben Stunde in meiner Wohnung. Paule auch.
Sag ihm Bescheid.« Und damit war die Leitung tot. Stani wurde leichenblass und war mit einem Satz aus dem Bett. Dann rannte er zurück, wählte Paules Nummer. Glücklicherweise war der noch zu erreichen. »Der Chef ist zurück!« »Waaas?« »Sag ich doch! Wir sollen uns in einer halben Stunde bei ihm treffen. Hast du das Soll beisammen? Ich meine, das fehlende Geld auch?« »Klar!« »Meine Güte, das war scharf.« »Sag mal, Stani, spinnst du auch wirklich nicht?« »Nein, komm gleich vorbei.« »Ich denke, er wollte vier Wochen lang fortbleiben?« »Er ist aber zurück!« »Ich komme.« Stani stellte sich fluchend unter die Dusche. So war das also. Immer wenn die Sache gut anlief, kam etwas dazwischen. Jetzt konnte er sich nichts unter den Nagel reißen. Im Gegenteil, wenn die Bücher nicht stimmten, dann würde er... Sie stimmten! Noch! Er würgte ein Brot hinunter, und da war auch schon Paule bei ihm. »Weißt du, was er will?« »Nein!« »Mist, er hätte uns wirklich Bescheid sagen können. Und die Mädchen?« »Meine sind alle in Ordnung.«
Stani wischte sich über das Gesicht. Jetzt war er froh, dass er auf Paule gehört hatte. »Na, dann zischen wir mal los.« Pünktlich standen sie vor Gringos Tür. Sie starrten den Luden an, als er öffnete. Er sah toll aus! Seine weißen Zähne blitzten im braunen Gesicht. Er schien voller Tatendrang zu stecken. Gringo ließ sich sofort die Bücher vorlegen und auch die Abrechnungen. »Na, ich kann mich also auf euch verlassen, das ist ja wunderbar!« Er stand auf und ging zum Tresor, packte das Geld hinein und gab den beiden eine Sonderprämie. »Das hatte ich versprochen«, sagte er dazu. Die beiden starrten ihn an. »Chef, bleibst du jetzt hier?« »Wie?« Er schien in Gedanken zu sein. »Ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns später.« Und ehe sie sich’s versahen, standen sie schon wieder auf der Straße. »Verstehst du das?«, fragte Stani. Paule antwortete: »Der kommt mir merkwürdig vor.« »Mir auch. Der hat doch was!« Sie versteckten sich auf der Straße und beobachteten so, wie er wenig später mit seinem Porsche davonfegte. Sie folgten ihm in Paules Wagen und waren vollends verwirrt, als sie erkannten, dass er zum Ludentreffpunkt eilte. Gringo hatte einige Telefongespräche geführt und stand jetzt vor der Ludenvereinigung. Sieben Zuhälter überwachten den Dirnen-Betrieb von Hamburg, und darüber thronte wieder ein Großlude. Doch die sieben machten in der Regel das Geschäft allein. Nur wenn ein besonderes Problem vorlag, wurde
der Großlude hinzugezogen. Bongo und Diamanten-Toni sahen ihn verdutzt an. »Du siehst ja wie das blühende Leben aus, Kumpel. Jetzt können wir es dir ja sagen: Als wir dich das letzte Mal sahen, glaubten wir, du machst es nicht mehr lange.« Innerlich zuckte Gringo zusammen. Doch nach außen blieb er der kalte, gerissene Halunke. »Was führt dich in dieser frühen Morgenstunde zu uns? Wir haben noch eine Besprechung. Was ist es also?« Gringo lehnte lässig an der Wand. »Ich möchte verkaufen.« Bongo lachte. »Was?« »Alles!« Jetzt wurden sämtliche Luden hellhörig. »Was, alles?« »Meine Mädchen, meine Wohnungen, meine Plätze. Einfach alles.« »Was soll das heißen?« »Ich brauche flüssiges Geld und habe andere Pfründe aufgemacht, das ist es.« »In Deutschland?« »Nein.« »Wo dann?« »Das steht hier nicht zur Debatte. Es ist nicht euer Bereich. Also, wie ist es? Wollt ihr, oder soll ich mich anderweitig umsehen? «
»Sofort?« »Sicher. Ich möchte die neue Stelle nicht lange alleinlassen. Aber ich habe keinen Druck, wenn ihr das meint. Hier habe ich die Aufstellung.« Alles in allem mit den Wohnungen, die ihm gehörten, verlangte er drei Millionen. Das war ein normaler Preis; sie kannten ja die Ware. »Das müssen wir dem Großluden vorlegen«, sagte einer. »Wohl ein paar Nummern zu groß für euch, wie?« Die Luden waren missmutig. »Ich biete das ganze Inventar. Ich habe zur Zeit fünfundzwanzig Mädchen laufen. Und es ist gute Ware. Die Standgebühr ist eingeschlossen. Ich mache also ein ganz reelles Geschäft. Ihr habt die Kosten sehr schnell wieder reingeholt. Und die Wohnungen, die ich anzubieten habe, sind auch okay.« »Warum willst du sie nicht behalten? Es ist immer gut, wenn man sein Vermögen verteilt hat.« »Ich nehme alles mit.« »Und, wie lange haben wir Bedenkzeit? « »Gar keine!« »Was? Und du glaubst, wir machen das sofort?« »Natürlich. Übrigens, den Stoff könnt ihr auch haben. Meine Kunden gebe ich noch gratis drauf.« »Verdammt, du scheinst ja wirklich ein sehr heißes Eisen im Feuer zu haben, Gringo. Können wir uns nicht daran beteiligen?« Er blickte sie eigenartig, doch sehr hart an. »Nein, diesmal nicht.« »Hör mal, das ist wirklich ein guter Vorschlag. Karibik sagst du? Das ist nicht zu
verachten. Wir könnten die Luxusbienen dorthin in Urlaub schicken, zu einem annehmbaren Preis selbstverständlich.« »Es hat keinen Zweck. Diese Sache muss ich allein machen.« Sie waren wütend. »Wir sind dir wohl nicht fein genug? Bist du vielleicht mit dem Präsidenten zusammengekommen?« Er starrte sie nur an. Bongo sagte zornig: »Wir können das gar nicht sofort abwickeln, du musst das verstehen.« »Ich biete euch auch Paule und Stani mit an!« »Was, diese Halunken sollen wir auch noch mit übernehmen?« »Sie verstehen sich auf meine Geschäfte.« »Wir sind doch nicht verrückt!« Gringo ging ein paar Schritte. »Das war nur ein Vorschlag, aber ich sehe, es hat keinen Zweck.« »Einen Augenblick, wohin willst du gehen?« »Zum Großluden!« »Aber wir haben dir doch gesagt, das machen wir schon.« »Danke, ich brauche keine Fürsprecher. Ich kann das selbst erledigen.« Bulle schob sich nach vorn. »Lass uns jetzt endlich vernünftig reden. Ihr seht, wir haben hier wirklich ein gutes Geschäft vor uns, also sollten wir uns auch einig werden.« Gringo sagte: »Ich muss meine Papiere vorbereiten und noch zu einem Anwalt
gehen. Anschließend komme ich wieder. Bis dahin werdet ihr euch dann wohl einig geworden sein, oder?« »Ja, wir werden soweit sein, wenn du kommst.« Gringo stand schon an der Tür. »Ihr müsst Paule und Stani nicht mit übernehmen«, sagte er noch über die Schulter. »Das wissen wir.« Auf der Straße atmete er tief durch. Das wäre also geschafft, dachte er. Und nun zum Anwalt. Es ist besser, wenn ich hier alles selbst regle. Dann bin ich mir sicherer.
16
Gringo ging zur Bank, ließ sich die Kontoauszüge geben und verkaufte seinen Porsche mit der Auflage, ihn noch zehn Tage behalten zu dürfen. Sie machten beide ein gutes Geschäft dabei. Er fuhr mit einem sehr seltsamen Gefühl durch Hamburg. Aber dann dachte er: Nein ich habe das bessere Los gezogen. Wenn ich hierbleibe, jage ich nur dem Geld nach. Wenn ich jetzt alles zusammenhabe, sind es fast vier Millionen, auf der Insel wird das reichen. Wir brauchen nur von den Zinsen zu leben, und da müssen wir uns noch ganz schön anstrengen, es auszugeben. Dort wird das Leben nur genossen, dort kann ich endlich von dem Geld leben. Hier würde ich es unsinnigerweise vermehren und mich zu Tode schuften. Er suchte seinen Anwalt auf. Der Mann war sprachlos, als Gringo ihm erklärte, was er von diesem verlangte. Er hörte sich das an und sagte dann nur: »Ist das nicht ein wenig verfrüht?« »Nein. Ich kenne die Gesetze auf der Insel nicht; ich möchte das hier in Ordnung bringen. Einen Teil der Gelder lege ich ja hier in Deutschland an.« »Naja, ich habe es nur zu bedenken gegeben... Gringo, du bist doch in Ordnung, alter Knabe?« »Was sollte denn mit mir nicht stimmen?« »Ich kann mich einfach des Gefühls nicht erwehren, dass mit dir etwas nicht stimmt. Du bist erst fünfunddreißig Jahre alt und wie ich dich kenne, noch nicht auf dem Höhepunkt deiner Laufbahn. Und jetzt willst du einfach das Handtuch werfen?« »Ich werfe nicht das Handtuch«, entgegnete der Zuhälter kalt. »Ich beginne nur ein neues Leben.«
»Du musst es ja wissen.« »Bereite endlich die Verträge vor.« »Ich diktiere sie sofort, dann kannst du sie gleich unterschreiben und brauchst nicht mehr wiederzukommen.« »Das mit den Wohnungen geht in Ordnung?« »Ja, du hast mir ja alle Vollmachten unterschrieben, damit kann ich die Umschreibungen vornehmen, sobald die Käufer hier erscheinen. Und das werden sie.« Nach mehr als einer Stunde hatte er auch diese Angelegenheit geregelt. Gringo sehnte sich nach der Sonne und dem Meer und nach Manja. Als er glaubte, unbedingt ihre Stimme hören zu müssen, rief er sie an und störte sie mitten in der Nacht. Doch Manja war überglücklich. Durch die Zeitverschiebung und das Umsteigen auf den verschiedenen Flughäfen waren für sie bereits fünf Tage vergangen. »Wirst du bald kommen?«, fragte sie. »Ja, hier läuft alles gut.« »Ich warte auf dich. Ich habe schon mit dem Padre gesprochen.« »Aber ich habe dir doch gesagt, du sollst im Hotel bleiben!« »Ja, Gringo«, sagte sie leise. »Sonst ist alles in Ordnung?« »Sie sind alle sehr nett zu mir. Gar nicht mehr wie am Anfang. Die Frauen und Mädchen sind alle neugierig und wollen alles mögliche von mir wissen, aber ich gebe ihnen keine Auskunft. Ich weiß auch gar nicht, was ich sagen soll. Manchmal lachen sie so komisch.« »Lass sie nur. Gib auf dich acht, Kleines.«
»Gringo?« »Ja?« »Ich liebe dich.« Er spürte sein Herz weich werden und lächelte. Der harte Glanz schwand aus seinen Augen. »Ich dich auch«, sagte er. Er lächelte auch noch, als es läutete und er zur Tür ging. Vor ihm standen Paule und Stani. Sie hatten verlegene Gesichter. »Chef, wir müssen mit dir reden.« Sie starrten ihn erstaunt an, als sie den seltsamen Glanz in den Augen ihres Chefs bemerkten. »Boss, ist es wahr?« Unschlüssig standen sie an der Tür. »Was soll wahr sein?« »Im Viertel erzählt man sich, dass du alles verkaufen willst. Die Mädchen sind schon unruhig; selbst die Nachtschicht ist aus den Federn gekrochen.« »Verfluchte Bande«, knurrte Gringo. »können sie denn nicht das Maul halten!« Stanis Augen wurden kugelrund. »Dann ist es also wahr?« Gringo drehte sich herum und fixierte sie scharf. »Ja, ich werde alles verkaufen und wegziehen. Schon bald.« »Aber Chef, wir ...« »Entweder man übernimmt euch, oder ihr müsst euch einen anderen Job
suchen.« Jetzt war er wieder der knallharte Bursche von der Reeperbahn. Stani stotterte: »Das kann doch nicht wahr sein, das ist doch ...« »Ich habe jetzt keine Zeit. Tut mir leid, ich habe andere Pläne und muss so handeln.« Die beiden Hilus waren wie vor den Kopf geschlagen. Aber sie begriffen, dass der Zuhälter nichts ändern würde. Für ihn war das beschlossene Sache. Stani stieß einen wilden Fluch aus. »Dafür haben wir uns abgeschuftet! Das ist also der Dank!« »Ich habe euch gut entlohnt. Und nun zieht Leine, ich habe keine Zeit mehr für euch.« Gleich darauf war Gringo wieder allein.
17
Für Manja ging die Zeit quälend langsam dahin. Sicher, sie hatte jetzt ein sehr angenehmes Leben, und sie fand auch langsam Spaß daran. Doch diese dicken Männer hier im Hotel warben unverblümt um sie. Das mochte sie gar nicht. Oft warf sie dem Manager einen verzweifelten Blick zu, wenn man ihr zu nahe kam und sie mit Worten überschüttete. Sie war noch jung und hilflos und kannte keine Abwehr, die ihr helfen würde. Der Manager vom »Half Moon« befand sich dann in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite waren auch diese dreisten Männer Gäste und durften sich allerhand erlauben, aber auf der anderen Seite hatte dieser Bursche mit den kalten Augen ihm nahegelegt, sich um das Mädchen zu kümmern und sie nicht aus den Augen zu lassen. Bis jetzt glaubte er immer noch, hierbei leicht Geld zu verdienen, doch jetzt sah er ein, dass er etwas unternehmen musste. Also heuerte er einen Burschen an, ein Mischblut, der äußerlich wie ein Weißer wirkte. Dieser Mann hatte sich jetzt um Manja zu kümmern. Der hörte sich schweigend den Auftrag an. »Okay, Chef. Aber was soll ich tatsächlich tun? « »Nur aufen und wenn die Herren zu wild werden, dann hole sie da heraus. Ansonsten soll sie aber nicht das Gefühl haben, dass man auf sie auft.« Nun ging es ihr schon wesentlich besser. Manja stand immer sehr zeitig auf und hielt sich so von den Gästen fern. Sie schlenderte noch immer gern am Strand entlang. Dort saß sie dann auf einem Baumstumpf und träumte von Gringo. Ihr Herz flatterte leicht. Zum ersten Male liebte sie, und sie zitterte vor Wiedersehensfreude. Alles würde gut werden, Gringo hatte es ihr gesagt. Sie würden eine kleine Familie sein und sich immer liebhaben. Und sie dachte: Ich werde auch Tia Maria einladen. Sie darf mich besuchen, auch wenn die anderen im Dorf sie verstoßen haben. Ich habe sie immer noch lieb, und vielleicht kann Gringo etwas für sie tun? Es war der zehnte Tag, den sie jetzt allein auf der Insel verbrachte. Allmählich begann sie die Stunden zu zählen, bis er wieder bei ihr sein würde.
Wieder einmal saß sie am Strand. Diesmal auf einem umgekippten Boot und träumte vor sich hin. Da hörte sie ein Geräusch hinter sich. Manja drehte sich um. An eine Palme gelehnt, stand Sandor. Er hatte ein hässliches Grinsen auf dem Gesicht. Langsam kam er näher. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen. Sie stand mit dem Rücken zum Meer; eine Flucht war nicht möglich. »Hast du wirklich geglaubt, du könntest mir entkommen?« Seine Augen durchbohrten sie förmlich. Manja hatte plötzlich weiche Knie und einen trockenen Mund. Das Hotel schimmerte zwischen den Bäumen hindurch. Würde sie es erreichen? Sie wusste genau, dass jetzt die Entscheidung gekommen war. Diesen Sandor hatte sie in ihrem Glück völlig vergessen. Und der stand jetzt vor ihr, lachte sie an. »Du hältst dich also für sehr schlau, wie? Und dieser Gringo auch. Hier hält er dich gefangen? Aber ein Sandor lässt sich nicht beirren. Ich habe dir neulich gesagt, wenn deine Zeit gekommen ist, dann hole ich dich.« »Nein...«, gurgelte sie entsetzt. »Aber ja, Manja, das ist nun einmal dein Schicksal, kleine Maus. Hast du wirklich angenommen, du würdest jetzt eine brave Hausfrau werden? Aber, aber, das ist doch viel zu langweilig für dich. Das würde dich nur verrückt machen. Ich habe ganz andere Pläne mit dir.« »Ich gehe nicht mit!«, sagte sie wild und ging einen Schritt zurück. »Lieber ertränke ich mich.« »Dazu wird es gar nicht mehr kommen, Süße!« Sie hörte in ihrem Rücken ein Geräusch. Als sie herumwirbelte, sah sie, dass über das Meer ein Motorboot auf sie zukam. Es konnte nicht bis zum Strand
fahren, dazu war er hier viel zu flach, und die Korallenbänke hätten das Boot wohl auch aufgerissen. Sie saß in der Falle. »Er wird mich suchen, und dann wirst du dafür büßen müssen, Sandor«, sagte sie mit zitternden Lippen. »Er muss dich aber erst einmal finden. Die Karibik ist groß, Süße. Ich habe meine Pläne.« »Du wirst mich von dieser Insel fortbringen?« »Du bist ein Juwel, ich habe es dir schon einmal gesagt. Du darfst von Glück reden, dass ich so große Dinge mit dir vorhabe. Nur die zahlungskräftigen Spitzen werden dich haben dürfen. Natürlich zu einem gepfefferten Preis, wohlverstanden.« Manja war entsetzt. Fassungslos schlug sie die Hand vor den Mund. »Sandor, wo willst du mich hinbringen?«, fragte sie leise. »Nach Kuba, meine Liebe. Und dort wird dieser Mann dich ganz sicher nicht suchen. Niemals. Und wenn doch, dann wird er dort sehr viel Ärger bekommen.« »Gringo wird mich finden, er liebt mich! Du wirst es sehen, und dann wird seine Rache schrecklich sein.« Sandor lachte schallend auf. »Aber wieso denn? Ich habe dich ja deinem Vater abgekauft. Ich werde es alle Welt wissen lassen, und wie wirst du dann dastehen, Süße?« Manja wurde schneeweiß. »Das ist nicht wahr«, gurgelte sie. »Mein Vater weiß, dass ich Gringo heiraten werde, wenn er heimkommt.« »So? Mir hat er nichts davon gesagt. Er ist gestern zu mir gekommen und hat
sich das Geld geholt. Tja, meine Süße, so ist die Welt. Er hat mir sogar nahegelegt, dich jetzt gleich zu schnappen, bevor es zu spät wäre. So ist das, und jetzt bin ich hier.« Das Boot schaukelte auf den Wellen hin und her. Drei Mann saßen an Bord und warteten auf Sandors Zeichen. »Kommst du jetzt freiwillig mit?« Wild entschlossen schüttelte sie den Kopf. »Ich liebe ihn!«, schrie sie ins Gesicht des Mulatten. »Ich liebe ihn, ich werde hier auf ihn warten!« »Nun, in diesem Fall tut es mir leid, wenn ich dir Unannehmlichkeiten bereiten muss.« Sandor kam drohend auf sie zu. Entsetzen stand in Manjas Augen. Sie wollte schreien, aber sie brachte keinen Ton über die Lippen. »Manja!« Aus weiter Ferne hörte sie ihren Namen rufen. Sie glaubte sich schon emporgehoben und zum Boot getragen. Aber sie stand noch am Strand. »Manja, Manja! Da sind Sie ja! Telefon! Ich habe Sie schon überall gesucht.« Sandor stieß einen wilden Fluch aus, sprang ins Wasser und watete zum Boot hinüber. Aber er rief dem Mädchen noch zu: »Ich komme wieder, Täubchen, ich werde dich nicht lassen.« Manja fiel in sich zusammen und weinte verzweifelt. Der Manager des Hotels kam keuchend angerannt. »Bitte, kommen Sie, sonst ist die Verbindung getrennt. Ich habe Sie bereits überall gesucht.« Erst da sah er das Boot. Er erkannte Sandor sofort und wusste, was dieser
beabsichtigt hatte. Er war nun mal ein ortsbekannter Zuhälter. »Um Gottes willen!«, rief er aus, »das ist ja noch einmal gutgegangen, nicht wahr?« Manja konnte nicht aufhören zu weinen. Er zog sie hoch und sprach eindringlich auf sie ein. »Sie dürfen das Hotel nicht mehr verlassen.« Sie schwankte neben ihm her. Als sie die Hotelhalle erreichte und nach dem Hörer griff, war das Gespräch nicht mehr da. Weinend saß sie dann im Hinterzimmer. Der Manager rang die Hände und lief unruhig hin und her. »Was soll ich nur tun?« Manjas Augen schwammen in Tränen. Sie war nur noch ein Nervenbündel. Und doch konnte sie nicht glauben, was der Zuhälter von ihrem Vater gesagt hatte. Sie schämte sich entsetzlich. Tief im Herzen glaubte sie ihm, aber sie hätte so gern Gewissheit gehabt. Doch dazu musste sie ins Dorf gehen. Vielleicht war das nur eine Falle? »Es ist so schrecklich«, seufzte sie. »Hierher ins Hotel darf er nicht kommen, Manja«, versuchte der Hotelmanager sie zu trösten. »Er hat gesagt, er wird wiederkommen. Irgendwann. Ich kenne ihn doch.« »Und wenn Sie zur Polizei gehen?« Manja blickte ihn verzweifelt an. »Was soll ich denen denn sagen? Sie werden mir nicht glauben; ich habe doch keine Beweise.« »Ja, das stimmt. Dieser Lump!«
Sie legte ihren Kopf auf die Arme und weinte wieder bitterlich. Der Manager fühlte sich elend. Mein Gott, dachte er, so ein hübsches Mädchen und solche Probleme. Verflixt, ich bin froh, wenn dieser Mann endlich zurück ist und sie mitnimmt. Dann habe ich wieder Ruhe. An diesem Tag kam kein Gespräch nach Europa mehr zustande. Und sie hatte so große Sehnsucht nach Gringo.
18
Die Zuhälter saßen wieder beisammen. Sie hatten die geforderte Summe zusammengelegt. Gringo war es gleich, wie man sein Imperium aufteilte. Es tat nicht einmal mehr weh. Anfangs hatte er geglaubt, es nicht hergeben zu können. Schließlich hatte er die besten Jahre seines Lebens für dessen Aufbau geopfert. Und nun? Ein paar Federstriche und die Sache gehörte ihm nicht mehr. Als die Mädchen erfuhren, dass sie regelrecht verkauft wurden, waren sie nur daran interessiert zu erfahren, wer ihr neuer Herr werden würde. Die meisten waren sich einig: »Schlimmer als bei Gringo kann es nicht werden. Der ist ein Satan und wir sind froh, dass wir ihn endlich los sind.« »Naja, neue Besen kehren gut. Das hab ich alles schon durchgemacht. Aber Twiggy, lass dir gesagt sein: Wenn wir jetzt nicht gut zurren, dann landen wir im Hafen. Denen geht es doch um die Plätze, verstehst du? Frisches Gemüse können die doch allemal aufreißen. Aber die Plätze hier, und die Zimmer...« »Na, so einfach geht das ja auch nicht mehr.« »Hast du eine Ahnung!« Stani kam zum letzten Mal die Mädchen abkassieren. Sie ärgerten ihn. »Na, musst du jetzt ’ne richtige Arbeit annehmen? Das schmeckt dir gar nicht, wie ? Naja, alles macht sich mal bezahlt. Paule haben sie ja übernommen. Aber dich Schakal will wohl keiner.« Er hätte sie am liebsten vor Wut in den Boden gestampft, wagte es natürlich nicht. »Was sie an Paule haben, das werden sie sehr schnell merken. Der ist doch ’ne
Null, wenn er nicht bei mir ist!«, gab Stani wütend zurück. »Wenn du dich da mal nicht irrst. Paule ist schon in Ordnung. Für den arbeiten wir gern. Der hat Verständnis, der behandelt uns nicht wie Tiere, kapiert!« Er spuckte vor ihnen aus. »He, wenn du das noch einmal machst, werden wir echt zornig!« Und Stani zog den Kopf ein. Nichts war gefährlicher als wilde Dirnen. Dagegen war eine Büffelherde ein Kindergarten. »Viel Spaß!« Sie lachten, weil ihm die Feigheit im Gesicht geschrieben stand. Stani hatte vorgehabt, sich an Gringos Fersen zu heften, mit folgenden Worten wollte er sich einschmeicheln: »Du brauchst doch jemanden dort drüben, auf den du dich verlassen kannst, Gringo. Und ich sage dir, auf mich kannst du dich verlassen. Das habe ich doch bisher bewiesen.« »Ich brauche dich nicht.« »Chef, ich nehme auch jeden Posten an.« »Verzieh dich endlich!« Er blickte ihn böse an und dachte wütend: Ich könnte dich umbringen, bei Gott, ich könnte dich wirklich umbringen. Gringo achtete nicht mehr auf ihn. Jetzt strich er das Geld ein und lächelte. »Da habt ihr ein gutes Geschäft gemacht«, lobte er. »Und wann können wir über deine Bude verfügen?« »Morgen.« »Und die Möbel?«
»Nun, die schenke ich euch. Ich nehme nichts mit. Gar nichts. Drüben fange ich ein ganz neues Leben an.« Sie sahen sich an. »Wir werden dich mal besuchen. Das muss ja eine Wunderinsel sein, die du da gefunden hast.« »Ist es auch. Aber seht davon ab, mich zu besuchen.« »Warum?« »Weil ich es nicht will.« Bongo lachte auf. »Du willst doch nicht etwa ehrlich werden? Mensch, Gringo, das hältst du doch nicht lange aus! Geschäfte würzen das Leben. Ehrlich, lass dir das gesagt sein.« Toni meinte: »t nur auf, in einem Jahr steht er wieder auf der Matte und winselt uns an, ihn wieder aufzunehmen. « »Das werdet ihr nicht erleben!« »Soll das heißen, du kommst nie mehr nach Deutschland zurück?« »Ja, das soll es heißen.« Die Luden sahen sich an. Er war so merkwürdig. Sie begriffen, dass es Gringo um etwas ganz anderes ging. Wenn er ihnen auch Härte vorspielte, so war da doch etwas, das sie nicht ergründen konnten. »Es ist also alles gesagt?«, fragte der Zuhälter, um sicherzugehen. »Wir wollen dir ein Abschiedsfest geben, Gringo. Du wirst doch kommen?« Er lächelte. »Muss das sein?« »Also, das sind wir dir schuldig.« »Na schön, und wann soll es stattfinden?«
»Um zehn Uhr bei Giselle.« »Die teuerste Bar. Donnerwetter, ihr lasst euch wirklich nicht lumpen.« »Du wirst kommen?« »Das kann ich wirklich nicht abschlagen.« , Abends zog er sich elegant an und besah sich im Spiegel. Dabei dachte er an Manja. Er sehnte sich nach ihr und spürte die Schmerzen kaum. Giselle hatte sich mit den Vorbereitungen selbst übertroffen. »Du kannst essen und trinken, soviel du nur willst. Geht alles auf unsere Kosten.« Doch bereits wenig später bemerkten sie, dass er kaum aß und gar nicht trank. Das kannten sie an Gringo gar nicht. Die Gerüchteküche kochte demzufolge sofort. Bongo meinte: »Ich möchte wetten, dass mit ihm was nicht in Ordnung ist. Der ist nicht mehr der Alte.« Und Toni sagte nachdenklich: »Und das sage ich dir, ich besuche ihn doch auf dieser Insel. Und zwar schon in einem Monat. Ich habe erfahren, dass er auf Barbados leben will. Und diese Insel ist verdammt klein, da wird man ihn sehr schnell ausfindig machen.« »Warum willst du dorthin?« »Nun, ich bin immer gern informiert, weißt du. Und vielleicht kann man noch kleine Geschäftchen mit ihm machen?« Bongo grinste. »Aha, kleine Erpressung gefällig? Du glaubst also, er läuft dort mit einer weißen Weste herum und will nicht, dass man erfährt, was er von Beruf war?« »So ist es!«
»Und du hast keine Angst?« »Aber warum denn? Er hat doch dort keinen Schutz, verstehst du mich?« Sie starrten sich verstehend an. »Ich bräuchte auch mal einen kleinen Urlaub.« »Ich kann doch nicht zulassen, dass die vielen Millionen dort vergammeln.« »Du hast recht, dagegen müssen wir wirklich etwas unternehmen.« Sie prosteten sich zu. »Nun, da sind wir uns ja einig.« »Das sind wir doch immer, mein Lieber.« Gringo spürte, dass die anderen etwas im Schilde führten, aber er sagte sich: Sie wissen ja nicht wirklich, wohin ich mich zurückziehe, also werden sie mich auch nicht finden. Falls doch, dann werden sie erstaunt sein, dass ich mich vollkommen aus dem Geschäftsleben zurückgezogen habe. Bongo versuchte an diesem Abend noch ein paarmal, ihm das Geheimnis zu entlocken, doch Gringo blickte ihn nur kühl an. Und als sie dabei waren, sich zu betrinken, da verschwand er. Seine Koffer waren schon gepackt; die letzten Stunden verbrachte er in einem Hotel. Er hatte tatsächlich mit dem alten Leben abgeschlossen. Nun würde für ihn ein neues beginnen: Manja und die Insel und der Frieden. Und er würde noch viele, viele Jahre leben, das hatte er sich fest vorgenommen. Er schlief mit dem Gedanken ein, dass ihn jetzt nichts mehr erschüttern könnte.
19
Ein silberner Vogel schien über das Meer zu fliegen. Die Sonne schien, und Gringo starrte durch das Bullauge hinunter auf das Wasser. Er sah schon die Palmen und den weißen hellen Streifen der Insel. Jetzt wusste er, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er Manja wiedersah. Sein Herz wurde ganz weit vor Freude. Dies war seine neue Heimat! Hier war Manja! Nun senkte sich das Flugzeug und fiel immer tiefer aus dem Himmel hinab auf die Insel des Glücks. Als die Maschine landete, und die Türen geöffnet wurden, atmete er tief den Duft ein. Vor einigen Wochen hatte er sich recht seltsam gefühlt, als er hier ausgestiegen war. Und nun? Lächelnd ging er zu den Abfertigungsgebäuden. Er kam drei Tage früher als abgesprochen. Manja und das neue Leben warteten. Hamburg lag so weit zurück. Er wusste: Das Schicksal meint es noch einmal gut mit mir. Langsam neigte sich die Sonne dem Meer zu. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis sie verschwunden sein würde. Dann war die tropische Nacht da mit ihren geheimnisvollen Geräuschen. Das Taxi brachte ihn zum »Half Moon«. Der Manager wirkte bei Gringos Anblick sehr erleichtert. »Willkommen«, sagte er herzlich. Gringo stellte sein Gepäck ab. Der Boy würde es aufs Zimmer tragen. »Wo ist Manja?«, fragte er.
»Im Park glaube ich.« »Ich werde zu ihr gehen. Sie brauchen ihr nichts zu sagen.« Etwas Weiches lag jetzt im Blick des Mannes. Manja saß unter einem Mangrovenbaum und las in einem Buch. Manchmal blickte sie auf und betrachtete einen Käfer, der zu ihren Füßen schwer arbeitete. Dann hörte sie Schritte und sah sofort auf. Eine Gestalt verdeckte die Sonne. Sie kniff die Augenlider zusammen. »Gringo!« Mit einem Schrei war sie aufgesprungen, in seine Arme hinein. Er hielt sie fest. »Palmenkätzchen ...«, flüsterte er. »Oh, Gringo, Gringo!« Sie lachte und weinte zugleich. Am Schwimmbecken wurde man auf die beiden aufmerksam. Sie wollten aber in ihrer Wiedersehensfreude allein sein. »Komm mit zum Strand!«, rief Manja. Lachend lief Gringo hinter ihr her. Sie war völlig aus dem Häuschen und übermütig. »Wird jetzt alles gut?«, fragte sie. »Ja, Manja.« Wie ein junges Füllen sprang sie umher. Sie liefen den Strand entlang und hatten bald den Palmenhain erreicht. Hier glaubten sie, vor neugierigen Blicken geschützt zu sein. Gringo lief voraus, und Manja folgte ihm. Er drehte sich um und wollte sie in seinen Armen auffangen. »Manja!« Plötzlich bellte ein Schuss. Gringo warf die Arme zurück, sah das Mädchen mit ungläubigen Augen an und stürzte dann im Zeitlupentempo zu Boden. Manja sah nur dies. Sie sah nicht, wie ein Mann dem anderen folgte und dass im Hain ein
Kampf entbrannte; sie sah nur Gringo, der im weißen Sand lag und sich nicht mehr rührte. Sie fiel vor ihm auf die Knie. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in die schreckliche Blutlache. Gringo war von hinten erschossen worden. Er war sofort tot. Der Schuss war auch im »Half Moon« gehört worden, und jetzt war dort der Teufel los. Man musste das Mädchen fast mit Gewalt von dem Toten fortreißen. Der Täter war von Manjas Beschützer gefasst worden; und dieser hatte ihm beim Kampf einen Arm ausgekugelt. Es war Sandor, der Gringo erschossen hatte, in dem Glauben, dabei das Mädchen schnappen und mit ihr fliehen zu können. Nie würde man erfahren, wer den Weißen erschossen hatte, so hatte Sandor sich das Ganze vorgestellt. Manja war wie erstarrt. Sie konnte weder sprechen noch essen. Sie verstand das Leben nicht mehr. Jetzt waren so viele Menschen um sie herum. Alle sprachen auf sie ein und sie saß nur da, tot und leer. Ihre Liebe war getötet worden, bevor sie sich überhaupt hatte entfalten können. Aber das war noch nicht aller Kummer für ihre junge Seele. Da es nun zu einem Prozess kommen musste, erfuhr man inzwischen alles über das Leben dieses Mannes, das er in Europa geführt hatte. Nicht nur, dass ihr Liebster tot war, nein, man erzählte ihr jetzt, dass er nichts anderes als ein gemeiner und widerlicher Zuhälter gewesen sei und alles Geld auf diese schmutzige Art und Weise verdient habe. Jetzt brach Manjas Welt völlig zusammen. Sie saß nur da und starrte auf das flimmernde Wasser hinaus. Sie hatte auch keine Tränen. Ein Zuhälter!
Sandor hatte sie als Dirne verdingen wollen! Sie hatte Gringo geliebt, über alles geliebt. Mit ihm hatte sie ein neues Leben beginnen wollen. Alles was sie besaß, auch die ganze Zeit, die sie in diesem schönen Hotel verlebt hatte, all das hatten in weiter Ferne Mädchen anschaffen müssen. Dieses Geld war Blutgeld. Jetzt endlich konnte sie weinen. Aber auch das war noch nicht alles. Ein Mann in Schwarz erschien und erklärte sie zur reichen Erbin. Sie verstand ihn nicht. »Gringo hat Sie in Deutschland als seine Universalerbin eingesetzt. Es sind alles in allem fünf Millionen Deutsche Mark, die Ihnen gehören. Sie sind reich.« Die Insel war in heller Aufregung. Manja hat noch einmal Glück gehabt, flüsterte man sich zu. Sie ist reich und kann tun und lassen, was sie will. Das junge Mädchen jedoch ging tagelang ruhelos umher. Sie lebte jetzt wieder bei Rosna. Ihr Vater war verschwunden. Einmal fuhr sie nach Bridgetown, wo sie einen ganzen Tag lang blieb. Rosna erfuhr nicht, was sie dort getan hatte. Doch als sie zurückkam, ging sie sofort an den Strand. Dort saß sie viele Stunden im Sand und starrte nur auf das Meer hinaus. Liebe kann man nicht so schnell töten. Und in diesen Stunden begriff sie, dass in Gringo eine Verwandlung vor sich gegangen war. Er hatte sie wirklich und wahrhaftig geliebt. Das spürte sie jetzt ganz deutlich. Alles andere zählte nicht mehr. Als die Sonne das Meer berührte, stand sie auf und ging langsam weiter. Das Wasser reichte ihr bis zu den Hüften, dann bis zu den Schultern und immer weiter. Sie ging, bis sie den Boden unter den Füßen verlor. Sie wollte nicht mehr leben. Ihr letzter Gedanke war: Wie hell und licht ist es um mich herum... Gringo, ich komme! Manja wurde nie ans Land gespült. Pico hatte gesehen, wie sie ins Meer
hinausgelaufen war, aber er war zu weit entfernt gewesen, um sie daran zu hindern. Eines Tages bekam Rosna Besuch von einem schwarzgekleideten Herrn, der der fassungslosen Frau erklärte, sie habe vier Millionen Deutsche Mark geerbt. Manja könne von dem Geld nichts nehmen. Auch zu Tia Maria kam der schwarzgekleidete Herr und erklärte, dass Manja ihr eine Million hinterlassen habe. Das Mädchen weinte sehr lange, obwohl es dankbar an die Freundin dachte. Doch niemand wusste, warum Manja gegangen war. ENDE
Leilas Hochzeit findet nicht statt
REDLIGHT STREET von Dieter Adam Der Umfang dieses Buchs entspricht 144 Taschenbuchseiten. Monika sieht keinen anderen Ausweg, als in der schmuddeligen Bar als Bedienung zu arbeiten. Nun ist sie gezwungen, sich den Wünschen eines Bordellbesitzers zu beugen und für ihn zu arbeiten. Es ist ihr zuwider. Als sich ein junger Musiker in sie verliebt und der sicher ist, dass Monika ihn auch liebt, verlangt er von ihrem Boss, auf sie zu verzichten. Eine Zumutung für den Zuhälter Huber und es dauert nicht lange bis der Musiker einen schweren Unfall hat...
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker © by Author © dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius. Alle Rechte vorbehalten. www.AlfredBekker.de
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Die Hauptpersonen:
Oliver Mai, Bandleader - verliebt sich in eine Dirne, die aber nichts von ihm wissen will. Monika Breitenbach - findet weder Studien noch Arbeitsplatz und wird zur Dirne Leila. Alois Huber, Zuhälter - will sein bestes Pferdchen nicht verlieren.
1
Das Publikum in der Offenbacher Stadthalle raste und verlangte stürmisch eine Zugabe nach der anderen. Oliver Mai, der junge, blendend aussehende Organist der Gruppe »Music Jokers«, sah seine Kollegen schief von der Seite an und verdrehte gequält die Augen. »Die werden heute wohl wieder gar nicht müde«, sagte er missmutig und blätterte verstimmt in seinen Noten. »Ich möchte nur mal wissen, ob sie auch weiterarbeiten würden, wenn bei denen nach Feierabend einer im Geschäft auftauchen und >Zugabe< brüllen würde! Bestimmt nicht! Aber von uns Musikern verlangt man das!« Er hatte das Gesuchte gefunden, teilte seinen Musikern mit, was man nun, endgültig als letztes Stück, spielen würde. Dann legten sie los. Oliver hatte einen Rock ’n Roll gewählt, der die Zuhörer noch einmal richtig zum Schwitzen brachte. Den ganzen Abend hatten sie kaum getanzt. Erst gegen Ende waren sie so richtig wach geworden und fanden nun nicht nach Hause. Es war doch immer das gleiche Lied! Und dabei hatten Oliver und sein Freund Rolf Adler noch etwas vor.
Die »Music Jokers« waren im Frankfurter Raum eine sehr gefragte Kapelle. Wo sie spielten, war immer etwas los. Schon um neunzehn Uhr standen die Leute an der Kasse Schlange, und die Veranstalter rieben sich zufrieden die Hände. Dabei waren die »Jokers«, nicht einmal billig. Sie wussten, was sie wert waren, und langten tüchtig hin. Sie waren sechs junge Männer. Der fünfundzwanzigjährige Oliver Mai war der Boss. Er arrangierte, komponierte und spielte mit Bravour die Orgel. Wenn er dann noch mit seiner wohltönenden Stimme sang, bekamen die Mädchen im Saal glitzernde Augen und warfen dem jungen, gutaussehenden Bandleader verliebte Blicke zu, die dieser nur allzu gerne zurückgab. Er war wirklich kein Kind von Traurigkeit und fuhr selten allein nach Hause. Der schwarzhaarige, schlanke Oliver hatte nach der mittleren Reife den ehrbaren Beruf eines Finanzbeamten erlernt. Nebenbei machte er schon immer tüchtig Musik, mit der er sich bereits in der Schulzeit sein erstes Taschengeld verdient hatte. Als er dann die Gruppe »Music Jokers« gegründet und mit ihnen viel Erfolg hatte, hängte er nach der Lehrzeit den ungeliebten Beruf trotz des Protestes seiner Eltern an den Nagel und widmete sich nur noch seiner geliebten Musik. Da er auch nicht beabsichtigte, sich in der nächsten Zeit eine Familie zuzulegen, reichte das Geld aus, ja er verdiente so viel, dass er sich immer schicke Wagen, teure Kleidung und ähnlichen Luxus leisten konnte. Trotz des großen Erfolges in der Frankfurter Gegend war es den »Music Jokers« bisher nicht gelungen, eine Schallplatte aufzunehmen. Oliver hatte schon mehr als einmal die verschiedenen Firmen angeschrieben, hatte Demo Bänder mit fremden und eigenen Titeln eingesandt, aber der Erfolg war gleich Null gewesen. Die Aufnahmen seien sehr interessant, wurde ihm zurückgeschrieben, aber der Markt... man bedaure, keine günstigen Nachrichten ... man wünsche viel Erfolg ...! Oliver gab die Hoffnung jedoch niemals auf. Einmal würde er es schaffen! Einmal würde er ganz oben stehen! Nach dem Tod seiner Eltern mietete er sich ein kleines Apartment und führte sein unkonventionelles Musikerleben weiter. Er wechselte die Mädchen wie andere Leute die Hemden und war in der ganzen Gegend als Casanova verschrien und beliebt zu gleicher Zeit, je nachdem, von welcher Seite man es besah. Heute Abend hatten sie alle etwas tiefer ins Glas geschaut, denn Benny, der
Schlagzeuger, hatte Geburtstag und gab eine Runde nach der anderen aus. Oliver Mai und Rolf Adler, die beiden einzigen Junggesellen der Gruppe, hatten schon in der großen Pause beschlossen, nach Feierabend noch einmal eine Kneipe in Babenhausen, einer kleinen Garnisonsstadt in der Nähe Offenbachs, aufzusuchen, von der sie wussten, dass auch noch um diese Zeit etwas los war. Babenhausen galt in den einschlägigen Kreisen als der Geheimtipp. Es kostete zwar alles seinen Preis, aber dafür wurde etwas geboten. Endlich hatten sie die letzte Zugabe hinter sich. Trotz energischen Protestes des Publikums schaltete Oliver kurz entschlossen die Gesangsanlage aus und ging von der Bühne. Dann schloss sich der Vorhang, und man begann mit dem Abbau der Instrumente. Etwa eine halbe Stunde später saßen Oliver und Rolf in ihren Wagen und brausten in Richtung Babenhausen. Das »Bel Ami« war noch hell erleuchtet, und mehrere Wagen parkten davor, obwohl es schon auf drei Uhr zuging. Die beiden Musiker stellten ihre Wagen ab und schlenderten plaudernd zu der Nachtbar. Lachend trafen sie ein und suchten sich in dem schwach erhellten Raum einen Platz. An einem Tisch neben der langen Bartheke hockten ein paar Männer und starrten auf eine Leinwand, auf der ein harter Porno gezeigt wurde. Dort fanden sie noch zwei Plätze und ließen sich nieder. »Noch ganz schön viel Betrieb«, meinte Rolf und sah sich in dem abgedunkelten Raum um. Fast alle Tische waren besetzt. Natürlich waren überwiegend Männer hier, und die wenigen Frauen, die man erkennen konnte, gehörten eindeutig zu diesem Etablissement. Sie waren auffällig gekleidet, hockten zum Teil auf den Knien der Männer, sprachen eifrig auf sie ein oder fummelten an ihnen herum. Hin und wieder erhob sich ein Pärchen und verschwand durch eine von einem roten Samtvorhang verdeckte Tür, verfolgt von den grinsenden, verstehenden Blicken der anderen. Warum nicht? Dazu war man ja hergekommen! Inzwischen hatte sich auch ein Ober zu den beiden Musikern durch geschlängelt und nahm ihre Bestellung auf. Nachdem der Kellner wieder gegangen war, kamen zwei Mädchen an den Tisch und setzten sich unaufgefordert zu ihnen. »Guten Abend, ihr beiden Süßen«, sagte die eine mit einer rauchigen Stimme. »Es ist doch erlaubt, oder?« Oliver musterte die beiden Mädchen mit einem kurzen Blick, dann nickte er. Sie
sahen nicht übel aus, stellte er fest. Sie mochten beide um die zwanzig Jahre alt sein, hatten hübsche Gesichter und blendende Figuren. Die eine etwas größere hatte langes rotblondes Haar und sanfte braune Augen, die andere war silberblond, gertenschlank und mit einem üppigen Busen ausgestattet. »Dürfen wir etwas trinken?«, fragte die Rotblonde und warf Oliver einen gekonnten Augenaufschlag zu. »Das können wir armen Musiker uns nicht leisten«, erwiderte Rolf lächelnd. »Ach, tu doch nicht so«, schmollte die Rotblonde, die sich anscheinend für Rolf interessierte. »Musiker haben immer Geld in der Tasche. Ein klein wenig wirst du doch für mich übrig haben!« Sie erhob sich, setzte sich auf seinen Schoß und schlang ihre Arme um ihn. Rolf warf seinem Freund einen belustigten Blick zu. Oliver lachte. »Jetzt sei mal nicht so, du alter Geizkragen«, sagte er. »Wir können die beiden Damen doch nicht verdursten lassen!« »Du bist ein lieber Kerl«, stellte die Rotblonde fest und streichelte Oliver die Hand. »Du hast etwas für arme, unschuldige Mädchen übrig! Ich heiße übrigens Leila, und dieses Silberkind ist die Tanja! Wart ihr schon öfter hier?« »Ja, sicher«, sagte Oliver lächelnd. »Ihr beiden seid aber neu hier, oder?« Leila bestätigte es. »Wir können auch auf meinem Zimmer etwas trinken!«, flüsterte Tanja Rolf ins Ohr. »Da ist es viel gemütlicher! Na, wie wär’s?« Rolf schaute unsicher auf seinen Freund, der ihm lächelnd zublinzelte. »Na, auf geht’s«, sagte er. »Nur nicht so schüchtern! Ich verrate deiner Mami schon nichts!« »Also gut«, stotterte Rolf und bekam einen roten Kopf. »Gehen wir!« Tanja wurde auf einmal sehr geschäftig. Sie ging zur Theke, holte eine Flasche Sekt und zwei Gläser, dann ging sie zu der bewussten Tür. Rolf folgte ihr. Er fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut. Mit einem hilflosen Blick auf seinen
Freund verschwand er schließlich hinter der Tür. Leila, die die Szene belustigt beobachtet hatte, wandte sich nun wieder an Oliver, der sich ebenfalls halb totlachen wollte. »Und?«, fragte sie leise. »Wollen wir beide nicht auch aufs Zimmer? Ich kann sehr lieb sein!« »Das glaube ich dir unbesehen«, antwortete Oliver lächelnd. »Aber weißt du, ich habe es nicht nötig, dafür Geld zu bezahlen! Ich bekomme, was ich brauche! Ich bin recht zufrieden!« »Sei doch nicht so stur«, meinte Leila. »Auf die paar Mark wird’s dir doch nicht ankommen! Ich weiß ein paar Tricks, dass dir Hören und Sehen vergeht! Na komm! Raff dich auf!« Oliver sah das Mädchen nachdenklich an. Wirklich, sie würde ihn schon reizen! Er hatte selten ein so hübsches Mädchen gesehen. Schade, dass er sie ausgerechnet hier kennenlernen musste. Ihr Aussehen te so gar nicht zu dem Milieu, in dem sie lebte. »Was ist jetzt?«, fragte sie noch einmal, und Oliver merkte, dass sie langsam ungeduldig wurde. »Was soll's denn kosten?«, fragte Oliver. Leila nannte den Preis. Oliver pfiff durch die Zähne. »Ist ja nicht gerade billig«, meinte er anerkennend. »Sehe ich aus wie ein billiges Flittchen?«, konterte sie beleidigt. Oliver schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er ernst. »So siehst du wirklich nicht aus! Also gut, du hast mich überredet! Gehen wir!« Leila lächelte befriedigt. »Warte einen Augenblick«, sagte sie und huschte davon. Als sie zurückkam, hielt auch sie eine Flasche Sekt und zwei Gläser in der Hand.
»Ich hoffe, das ist im Preis inbegriffen«, lächelte Oliver. Leila gab keine Antwort. Sie ging schweigend voran und führte ihn in ihr Zimmer, das im ersten Stock direkt über der Bar lag. Als sie eintraten, wunderte sich Oliver. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet und verriet den guten Geschmack der Besitzerin. Vor einer breiten Couch, auf der eine bunte Decke lag, stand ein kleiner Tisch. Davor waren zwei behagliche Cocktailsesselchen. Gegenüber stand ein Schrank mit allerlei Nippsächelchen. An den Wänden hingen geschmackvolle Farbdrucke. Wirklich, hier konnte man sich sogar wohl fühlen. »Setz dich«, forderte ihn Leila auf. »Machst du inzwischen die Sektflasche auf? Ich geh’ schnell ins Bad!« Sie nickte ihm noch einmal lächelnd zu, dann ging sie. Oliver öffnete die Flasche und goss die beiden Gläser voll. Als Leila zurückkam, war sie nackt. Mein Gott, hat dieses Mädchen einen Körper, dachte Oliver verwirrt. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. »Hast du jetzt alles gesehen?«, fragte sie lachend und drehte sich kokett im Kreis herum. »Lass aber bitte noch etwas an mir dran!« Sie setzte sich unbefangen, ergriff ein Glas und trank ihm lächelnd zu. Oliver gab ihr schwer atmend Bescheid. »Wie kommst du nur hierher?«, fragte er, nachdem sie ihre Gläser wieder abgestellt hatten. Er sah, wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte. Doch gleich darauf lächelte sie wieder. »Ich will Geld verdienen, das ist alles«, erwiderte sie. »Das glaube ich nicht«, sagte Oliver kopfschüttelnd. »Du hättest es bestimmt nicht nötig, auf diese Weise dein Geld zu verdienen!« »Bist du da ganz sicher?«, sagte sie ernst. »Was weißt du schon!« Sie lachte bitter, und es sah einen Augenblick so aus, als würde sie zu weinen beginnen. Dann hatte sie sich wieder gefangen. »Aber was soll’s«, sagte sie mit einem verunglückten Lächeln. »Du bezahlst ja
schließlich nicht, um dir meine Geschichte anzuhören, nicht wahr? Wahrscheinlich glaubst du mir ohnehin kein Wort! Komm, bringen wir es hinter uns!« Sie kniete sich hinter den Musiker, umarmte ihn von hinten und öffnete dabei sein Hemd. Zärtlich begann sie seine Brust zu kraulen. Oliver stöhnte unterdrückt auf. »Zieh dich aus«, sagte sie leise und legte sich auf die Couch. Während er sich entkleidete, tastete er ihren Körper mit den Blicken ab, die kleinen, festen Brüste mit den rosigen Warzen, den wohlgeformten Leib. Seufzend legte er sich neben sie. Er zog sie sanft in die Arme und küsste sie. Sie ließ es regungslos geschehen. Als er sie zu streicheln begann, wand sie sich leise stöhnend unter seinen Händen. Jetzt erst öffnete sie wieder die Augen und sah ihn an. »Du bist so zärtlich«, flüsterte sie erregt. »Du bist so anders als die anderen! Sie sind alle so rücksichtslos, so brutal!« Dann liebten sie sich. Oliver war ein geschickter Liebhaber. Er vergaß, dass er für diese Liebe bezahlen musste. Er liebte, liebte, liebte... Und das Mädchen Leila war nur noch eine Frau, eine geliebte Frau. Keine Prostituierte! Sie presste ihren jungen Körper an ihn und genoss diese Stunde. Als sie schwer atmend nebeneinanderlagen, kuschelte sie sich an ihn und streichelte seine nackte Brust. »Danke«, flüsterte sie und küsste ihn. »Du warst so lieb! Ich glaube fast, dass ich dich dafür bezahlen muss! Du hast mich vieles vergessen lassen! Danke, mein Liebling!« Oliver verschloss ihr den Mund mit einem innigen Kuss. Auch er war glücklich. Er bereute keine Sekunde, dass er mit ihr gegangen war. Er spürte, dass in dieser letzten Stunde etwas in ihm vorgegangen war, dass er sich verliebt hatte! Verliebt in ein Freudenmädchen! Und das musste ihm ieren, ihm, dem verwöhnten Musiker, dem die Frauen in Scharen nachliefen! »Ich liebe dich«, sagte er. Leila setzte sich auf und schüttelte den Kopf. »Rede keinen Unsinn«, sagte sie leise. »Ein Freudenmädchen liebt man nicht!«
»Das ist mir ganz Wurscht«, begehrte er auf, »ob du ein Freudenmädchen oder die Königin von England bist! Ich liebe dich!« »Mach dich nicht über mich lustig«, rief sie. »Bis morgen hast du mich wieder vergessen!« »Niemals«, beteuerte er ernsthaft. »Es hat mich ganz fürchterlich erwischt! Glaub es mir! Ich kenn’ mich ja selbst nicht wieder!« »Jetzt langt’s aber«, sagte sie ärgerlich. »Ich mag solche Späße nicht! Bezahl jetzt bitte, und dann geh!« Sie sprang von der Couch und ging ins Bad, um sich frisch zu machen. Oliver folgte ihr und umfasste sie von hinten. Zärtlich bog er ihren Kopf zu sich und küsste sie. Sie machte sich unwillig frei. »Lass das«, wehrte sie ab. »Oder leg noch einen Schein drauf, dann darfst du noch einmal.« »Gut, wie du willst«, sagte Oliver enttäuscht. Er ging zurück ins Zimmer und zog sich an. Danach legte er das Geld auf den Tisch und verließ grußlos den Raum. Leila starrte ihm mit brennenden Augen nach. Dann warf sie sich auf die Couch und weinte.
2
Das Mädchen Leila war als Monika Breitenbach in dem romantischen Städtchen Heidelberg aufgewachsen. Sie war der ganze Stolz ihrer Eltern, des Postbeamten Werner Breitenbach und dessen Ehefrau Margarete. Die Eltern verwöhnten und verhätschelten ihre einzige Tochter. Sie lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Später in der Schule gab es mit ihr keine Schwierigkeiten. Sie brachte nur gute Noten nach Hause. Deshalb beschlossen die Eltern, das Kind auf die höhere Schule zu schicken. Monika
schwärmte davon, einmal Kinderärztin zu werden. Das war ihr einziger Traum. Kurz vor dem Abitur ierte es dann. Die Eltern wollten sich endlich einmal einen Urlaub gönnen. Da Monika sich auf ihren Schulabschluss vorbereiten wollte, blieb sie zu Hause. Die Eltern waren noch keine drei Stunden unterwegs, als es an der Haustür klingelte. Monika öffnete und fuhr erschrocken zurück, als sie zwei Polizisten erblickte, die mit verlegenen Mienen vor der Tür standen. »Sind Sie Fräulein Breitenbach?«, fragte einer der Männer mit stockender Stimme. Monika nickte stumm und sah die beiden Beamten mit großen Augen an. Sie fühlte, dass man ihr schlechte Nachrichten überbrachte! »Dürfen wir hereinkommen?« »Bitte! Treten Sie näher!« Sie führte die beiden Polizeibeamten in das gemütliche Wohnzimmer und bat sie, Platz zu nehmen. »Wir haben eine traurige Nachricht für Sie«, begann einer der Beamten und schaute verlegen auf den Boden. »Es ist etwas mit meinen Eltern?«, fragte Monika tonlos. Die Polizisten nickten betreten. »Sind sie...?« Sie sah die Beamten ängstlich an. »Ja«, sagte einer der beiden Männer mitleidig. Es war doch entsetzlich schwer, den Angehörigen von Verunglückten die schlimme Nachricht zu überbringen. In dieser Situation konnte man seinen Beruf schon hassen. »Ja, sie sind tot!« »Beide?« »Ja, leider! Dürfen wir Ihnen unser tiefempfundenes Beileid aussprechen?« »Danke!«, flüsterte Monika. Sie konnte in diesem Augenblick nicht weinen. Sie
war nur kreidebleich geworden und saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl. Alles war so unfassbar, so unglaublich! »Ihre Eltern waren nicht daran schuld«, sagte der Polizist. »Ein Betrunkener hat den Frontalzusammenstoß verursacht. Auch er ist tot!« »Immer trifft es die Unschuldigen«, sagte der andere Beamte. »Es ist schrecklich!« Dann verabschiedeten sie sich wieder, nachdem sie ihr noch hinterlassen hatten, an wen sie sich wegen der Formalitäten wenden musste. Als sie gegangen waren, fiel Monika wie betäubt auf ihren Stuhl zurück. »Papa!«, stammelte sie tonlos. »Mama! Nein, ihr seid nicht tot! Ihr dürft nicht tot sein! Ich brauche euch noch! Was soll ich denn ohne euch anfangen?« Erst jetzt konnte sie weinen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte hemmungslos. Wenige Tage nach der Beerdigung ihrer Eltern bestand sie das Abitur. Man hatte ihr angeboten, in Anbetracht der Ereignisse die Prüfung zu verschieben. Sie lehnte dankend ab. Das Leben musste weitergehen! Auch wenn sie jetzt allein in der Welt stand. Sie musste es schaffen! Das war sie ihren toten Eltern schuldig. Als sie sich bei der Universität einschreiben wollte, teilte man ihr mit, dass dies aufgrund ihrer Abiturnote dieses Jahr leider nicht möglich sei. Vielleicht im nächsten Jahr. Monika war wie vor den Kopf geschlagen. Da ging man nun jahrelang zur Schule, rackerte sich ab, und was war der Erfolg? Es gab keinen Studienplatz! Monika gab die Hoffnung nicht auf. Sie versuchte es bei anderen Universitäten, doch überall hörte sie das gleiche! Alle Studienplätze waren belegt. Ihre Eltern hatten ihr wenig hinterlassen, und das wenige war bald aufgebraucht. Sie musste Arbeit finden. Irgendeine Arbeit. Das Jahr musste überbrückt werden. Beim Arbeitsamt zuckte man bedauernd mit den Schultern. Leider nichts zu machen. Für ungelernte Kräfte gab es nichts. Sie kaufte sich alle greifbaren Tageszeitungen und schaute unter den wenigen Stellenangeboten nach. Wenn sie wirklich einmal glaubte, etwas Geeignetes
gefunden zu haben, war der Platz schon wieder besetzt. Abitur haben Sie? Können Sie Schreibmaschine schreiben? Steno? Buchhaltung? Lohnabrechnung? Nein? Schade! Wirklich, wir hätten Sie gern genommen! Aber..... Bald war das letzte Geld aufgebraucht. Sie wusste nicht einmal, wie sie die nächste Miete bezahlen sollte. Sie lebte von trockenem Brot, auf das sie hauchdünn Margarine strich. Sonntags leistete sie sich dazu etwas Wurst. Es war eine schreckliche Zeit. . Hoffnungslos blätterte sie wieder einmal in einer Zeitung, die sie in einer Mülltonne gefunden hatte. Nicht einmal dafür wollte sie Geld verschwenden. Auf der letzten Seite fand sie eine kleine Anzeige: »Gloria-Bar« sucht eine gutaussehende Bedienung. Stellen Sie sich bitte bei Herrn David Rosenbaum vor!« Was soll’s, dachte Monika in ihrer Verzweiflung. Irgendwie muss ich Geld verdienen. Warum nicht als Bardame? Man kann auch in diesem Beruf anständig bleiben! Kurz entschlossen ging sie zu der angegebenen Adresse. Die Bar lag in einer schmutzigen Gegend und machte nicht gerade den besten Eindruck. Der Putz blätterte bereits von dem grauen, verwahrlosten Gebäude ab. Die Fenster waren offensichtlich lange nicht mehr geputzt worden, waren teilweise zerbrochen und durch alte Kartons ersetzt worden. Die Neonreklame, die das schmutzige Gebäude als »Gloria-Nightclub« auswies, war gesprungen und total verdreckt. Zu dieser Tageszeit war der »Nightclub« noch geschlossen. Monika fand einen kleinen Nebeneingang. Auf einem Klingelschild las sie »Gloria-Nightclub Büro David Rosenbaum«. Zaghaft klingelte sie. Nach einer Weile ging der Summer, und sie trat in einen dunklen Flur. Natürlich ging auch das Licht nicht. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, entdeckte sie eine wackelige Holztreppe, die in das Obergeschoss führte. Mit klopfendem Herzen stieg sie die wenigen knarrenden Stufen hinauf und stand vor einer Glastür, an der ebenfalls das Schild »Büro David Rosenbaum« prangte. Beklommen klopfte sie. Hinter der Tür erschien ein Schatten, die Tür wurde geöffnet.
Vor ihr stand ein kleiner, kahlköpfiger Mann, der sie neugierig musterte. Sein Gesicht hatte das Aussehen eines Habichts, und seine kleinen, stechenden Augen schienen sie zu durchbohren. Er trug einen uralten Smoking. Sein ehemals wahrscheinlich weißes Hemd war schmuddelig, und die große, weinrote Fliege hing an seinem Hals, als würde sie nicht ihm gehören. »Ja, bitte?«, fragte er mit einer knarrenden Stimme. »Ich möchte zu Herrn Rosenbaum«, stotterte Monika ängstlich. Sie bereute zutiefst, dass sie hierhergekommen war. Über das Habichtsgesicht zog der Hauch eines Lächelns. »Ja, das bin ich«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?« »Ich komme wegen Ihrer Anzeige«, sagte sie zaghaft. Das kleine Männchen musterte sie von oben bis unten, schien sie im Geist zu entkleiden und nickte dann zufrieden. »Kommen Sie rein«, sagte er und ließ sie an sich vorbeigehen. Diensteifrig führte er sie in einen kleinen Raum, der ihm anscheinend als Büro, Schlafraum und Küche zugleich diente. Das Zimmer sah genauso aus wie das Haus von außen: verdreckt, unaufgeräumt, ekelhaft. »Nehmen Sie Platz«, sagte er und räumte ein paar Kleidungsstücke von einem wackeligen Stuhl. Zögernd setzte sie sich. Rosenbaum nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, auf dem ein paar leere Flaschen, schmutzige Gläser und ein paar Aktenordner standen. »Sie wollen also bei mir als Bedienung anfangen«, begann er. Monika nickte zaghaft. »Haben Sie schon einmal in einem solchen Laden gearbeitet? Sie sehen mir nicht so aus!« »Nein, es ist meine erste Stelle«, sagte sie schwach. »Na ja, jeder muss mal anfangen«, meinte er. »Was haben Sie bis jetzt getan? Ihr
Ruf ist doch hoffentlich einwandfrei? Wir sind schließlich ein renommiertes Etablissement!« Monika konnte nur mühsam ein Lächeln unterdrücken. »Ich habe mein Abitur gemacht, vergeblich einen Studienplatz gesucht und keine Arbeitsstelle gefunden«, bekannte sie. »Eine Bedienung mit Abitur«, lachte Rosenbaum meckernd. »Das ist mal was Neues bei mir! Was wollen Sie verdienen?« Er sah sie lauernd an. Monika zuckte hilflos mit den Schultern. »Was kann man denn verdienen?«, fragte sie leise. »Das kommt ganz auf Sie an«, erwiderte das Männchen grinsend. »Je mehr Sie sich um die Gäste kümmern, um so mehr Trinkgeld können Sie kassieren! Als Grundlohn schlage ich vor...« Er nannte eine unbedeutende Summe. »Mehr nicht?«, fragte Monika bedrückt. Rosenbaum schüttelte den Glatzkopf. »Ich sagte ja bereits, das meiste können Sie mit Trinkgeldern verdienen! Also, wollen Sie bei mir anfangen?« »Es wird mir nichts anderes übrigbleiben«, sagte Monika mit schwacher Stimme. »Gut, ich fange an!« Das Männchen nickte zufrieden und erhob sich. »Na, dann können wir ja zum gemütlichen Teil übergehen! Trinken Sie einen mit mir?« Um Rosenbaum nicht zu beleidigen, erklärte sie sich einverstanden. Rosenbaum kramte aus seinem unergründlichen Schreibtisch eine Cognacflasche und zwei angestaubte Gläser hervor und goss ein. »Auf unsere Zusammenarbeit«, sagte er und tätschelte vertraulich ihre Wangen. »Ich glaube, wir beiden Hübschen werden uns gut verstehen!« »Ich hoffe es«, sagte Monika schwach. Er war um seinen Schreibtisch getreten
und hatte vertraulich seine Hand auf ihre Schulter gelegt. Langsam versuchte er, sie tiefer gleiten zu lassen. Monika wandte sich angeekelt zur Seite. »Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich möchte bei Ihnen als Bedienung anfangen«, erklärte sie bestimmt. »Etwas anderes ist bei mir nicht drin!« »Seien Sie doch nicht gleich eingeschnappt«, knurrte Rosenbaum beleidigt. »Ich bin schließlich auch nur ein Mann! Ich weiß, dass ich keine Schönheit bin, aber vielleicht gewöhnen Sie sich noch an mich.« Monika zog es vor, darauf keine Antwort zu geben. Sie verabschiedete sich ganz schnell und versprach, am Abend pünktlich zu erscheinen. Obwohl sie abends lange mit sich zu kämpfen hatte, ging sie schließlich doch zur vereinbarten Zeit zu der »Gloria-Bar«, wo Rosenbaum sie mit offenen Armen empfing und den anderen Mitarbeitern vorstellte. Außer ihr waren noch drei Mädchen, ein Barkeeper und eine Art Diskjockey beschäftigt, der gleichzeitig den Rausschmeißer spielte. Die Mädchen musterten sie spöttisch und fingen miteinander zu tuscheln an. »Das ist aber eine ganz Feine«, hörte Monika. »Wo der Alte die wohl aufgelesen hat! Naja, uns soll’s recht sein! Brauchen wir wenigstens nicht soviel zu arbeiten!« »Umziehen, meine Damen«, rief Rosenbaum vergnügt und klatschte in die Hände. »Es ist höchste Zeit! Gleich kommen die ersten Gäste!« Monika sah ihren neuen Arbeitgeber erstaunt an. Sie hatte ein schwarzes Kleid angezogen, wie das bei Bedienungen so üblich ist, und hatte sich auch ein weißes Schürzchen besorgt. Was sollte das heißen: umziehen? »Das gilt auch für dich, mein schönes Kind«, sagte Rosenbaum. »Die Helga wird dir dein Kostüm anen! Ich glaube, wir haben noch etwas für deine Figur auf Lager!« Das Mädchen, das Rosenbaum als Helga bezeichnet hatte, nahm Monika am Arm.
»Na, dann komm mal mit«, sagte sie mit ihrer heiseren Stimme. »Wollen wir dich mal feinmachen, damit du auch zu uns t!« Sie zog das Mädchen in ein kleines Hinterzimmer, wo die beiden anderen Mädchen bereits in der Unterwäsche herumhüpften. »Ach, da kommt ja unser neues Schätzchen«, spotteten sie, als Monika und Helga eintraten. »Ruhe!«, rief Helga und warf den beiden anderen einen bitterbösen Blick zu. »Sie gehört jetzt zu uns, verstanden! Hier in diesem Scheißladen, müssen wenigstens wir Frauen zusammenhalten! Also, vertragt euch!« Helga hatte einen wurmstichigen Wandschrank geöffnet und wühlte darin. »Ah ja, hier ist was«, sagte sie und warf Monika eine Art Tunika zu. »So etwas liebt der Alte ganz besonders.« »Das soll ich anziehen?«, fragte Monika entsetzt. »Wir haben doch keinen Fasching!« »Bei uns ist immer Karneval, Kleine«, sagte das Mädchen, das sich vorhin als Alexandra vorgestellt hatte. »Sieh mal her, ich gehe als Suleika!« Sie trug ein paar Schleier und sonst nichts. Man konnte deutlich ihren nackten Körper unter den durchsichtigen Kleidungsstücken erkennen. »So lieben es nun mal die Männer«, sagte Helga, die mittlerweile ebenfalls eine Tunika trug. Ihre rechte Brust war unbedeckt, und auch unter dem kurzen Röckchen schien sie nichts zu tragen. »Nein, das mache ich nicht mit«, rief Monika entsetzt. »Zier dich nicht so«, meinte Helga spöttisch. »Du hast eine gute Figur! Warum willst du sie nicht zeigen? Die Männer sind scharf auf so etwas! Lass diese Kerle doch zahlen! Sie sollen bluten!« In ihrer Stimme schwang Hass mit. »Ich schäme mich«, bekannte Monika bekümmert. »Mein Gott, sie schämt sich!«, spottete Ellen, das dritte Mädchen, das auch in
Schleiern herumtanzte. »Sie ist wohl ein Blümchen Rühr-mich-nicht-an! Bist wohl noch unschuldig, was?« Die drei lachten. Monika stand mit rotem Kopf da und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Ja, sie war noch unschuldig, und sie war stolz darauf! Sie war nun mal so erzogen worden. Und jetzt das? In ihrem Kopf rumorte es. Sollte sie oder sollte sie nicht? Einerseits war ihr das alles entsetzlich zuwider, andererseits brauchte sie dringend Geld. Der Hauswirt hatte ihr nur noch eine Woche Aufschub gewährt, dann wurde die Miete unabänderlich fällig. Zögernd schlüpfte sie aus ihren Kleidern und zog diese grauenhafte Tunika an. »Na also, warum nicht gleich«, meinte Helga und musterte sie zufrieden. »Siehst recht appetitlich aus! Wärst genau das Richtige für Mutters Tochter!« Die anderen lachten ebenfalls und betrachteten sie von allen Seiten. »Der Alte wird verrückt«, grinste Alexandra vergnügt. »So was Junges, Unverdorbenes hat der doch noch nie in seinen ungewaschenen Fingern gehabt!« »Schluss mit dem Palaver!«, befahl Helga. »Die Kundschaft wartet!« Sie gingen gemeinsam zurück in die Bar. Monika folgte ihnen zögernd und schämte sich zu Tode. Als die Männer sie sahen, pfiffen sie erfreut durch die Zähne. Rosenbaum sah Monika mit hochrotem Kopf an. Seine Augen drohten fast aus den Höhlen zu purzeln. Er schluckte mehrmals, brachte aber kein Wort heraus. »Der ist fix und fertig«, flüsterte Helga Monika zu. »Sieh mal seine Stielaugen! Mädchen, heute Abend auf dich auf, hörst du!« Monika nickte betreten und ließ sich von der anderen in ihre neue Tätigkeit einweisen. Ihre Aufgabe bestand darin, sich zu den Männern an den Tisch zu setzen und sie zum Trinken zu animieren. Nach Möglichkeit sollte sie für sich ebenfalls einen Drink herausschlagen. dass es sich dabei um gespritzten Apfelwein handelte, bekamen die lüsternen Kerle ja nicht mit. Ob sie dem einen oder anderen auch noch gefällig sein wollte, blieb ihr überlassen. Monika lehnte empört ab. »Das wirst du auch noch lernen«, meinte Alexandra spöttisch. Monika schüttelte energisch den Kopf. Nein, so etwas kam für sie nicht in Frage! Niemals! Niemals?
3
Monika war nun fast einen Monat in der verräucherten Spelunke tätig. Sie wunderte sich, dass überhaupt Gäste in diese verkommene Kneipe kamen. Und es wurden von Tag zu Tag mehr! Die Nachricht, dass der alte Rosenbaum ein junges, knackiges Ding beschäftigt hatte, war in Windeseile in den einschlägigen Kreisen herumgegangen. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, halb nackt herumzulaufen. Es kostete sie jeden Abend aufs neue große Überwindung. Wenn sie jedoch an das Geld dachte, das sie jeden Abend mit nach Hause nehmen konnte, wurde es ihr etwas leichter. Sie verdiente nicht schlecht. Jeden Tag bekam sie auch Dutzende von eindeutigen Angeboten, doch sie lehnte immer dankend ab. So tief wollte sie nun doch nicht sinken. Sie fühlte sich schon jetzt beschmutzt genug und durfte gar nicht an ihre Eltern denken. Sie würden sich im Grab umdrehen, wenn sie es wüssten! Noch immer versuchte sie fast täglich, eine andere Arbeit zu finden, aber es war aussichtslos. So ging sie jeden Abend missmutig in die »Gloria-Bar« und verdrehte den Männern in ihrer Tunika die Köpfe. Rosenbaum hatte mehrmals versucht, sich an sie heranzumachen, doch Monika hatte ihm immer auf die Finger geklopft. Schließlich hatte er es vorgezogen, sie nicht mehr zu belästigen. Er hockte an seinem Platz hinter der Theke und beobachtete sie mit gierigen Augen. Auch Helga, ihre Kollegin, versuchte, sie für sich zu gewinnen. Monika lehnte angewidert ab. Nein, für so etwas war sie nicht zu begeistern! Sie hoffte immer nur eines, endlich wieder diesem Sumpf zu entkommen, in den sie da geschlittert war. Sie ahnte ja nicht, wie tief sie schon drinsteckte! An einem Samstag, kurz vor Feierabend, tauchten in der Bar zwei fein gekleidete Herren auf. So schnell hatte Monika ihren Brötchengeber Rosenbaum noch niemals flitzen sehen. Er eilte auf die beiden Herren zu und verbeugte sich
vor ihnen. Die beiden Männer schlugen ihm lachend auf die Schultern und schüttelten ihm wohlwollend die Hand. Rosenbaum strahlte übers ganze Gesicht. »Der eine ist der Nachtclubkönig von Frankfurt«, raunte Helga Monika ins Ohr, als sie zufällig an ihr vorbeikam. »Du kannst auch Zuhälter dazu sagen! Das ist das gleiche! Schau dir mal den Alten an! Der bricht ja fast zusammen vor Höflichkeit! Man munkelt, dass er an diese Kerle jeden Monat eine stattliche Summe bezahlen muss, damit man ihm seinen Laden nicht auseinandernimmt! Sind saubere Früchtchen! Alles legal! Wenigstens offiziell! Möchte aber nicht hinter die Kulissen sehen! Sei still, sie schauen zu uns her!« Helga setzte ein freundliches Gesicht auf und warf den beiden Männern Kusshändchen zu, als diese ihr zuwinkten. Dann kam Rosenbaum mit seinen beiden Gästen auch schon zu ihnen und stellte sie vor. Helga kannten sie schon von früher. »Seid nett zu den Herren«, knurrte Rosenbaum, bevor er sich zurückzog. »Es soll euer Schaden nicht sein!« »Sie sind also die Neue«, begann der von Helga als Nachtclubkönig von Frankfurt Bezeichnete, den ihr Rosenbaum als Alois Huber vorgestellt hatte. Er mochte Mitte Dreißig sein. Seine Augen blickten eiskalt und berechnend. »Es freut mich, dass ich Sie heute einmal kennenlernen darf! Man hat mir viel von Ihnen erzählt!« »Ich wusste gar nicht, dass ich eine solche Berühmtheit bin«, erwiderte Monika lächelnd. »Alois Huber hört alles, sieht alles und weiß alles«, sagte der andere Mann, ein dunkelhaariger, unsympathischer Typ. Huber nickte ihm zufrieden zu. »Du sagst es, Lothar«, meinte er gnädig und lächelte selbstgefällig. »Damit Sie es wissen: Ich bin heute Abend eigentlich nur Ihretwegen in diese Spelunke gekommen! Ich wollte mir endlich einmal mit eigenen Augen das Mädchen ansehen, von dem alles so begeistert spricht! Ich muss sagen: Die Jungs haben recht! Sie sind wirklich ein Prachtexemplar! Sie müssten zu mir nach Frankfurt kommen, und das werden Sie auch! Ich werde mit dem alten Rosenbaum sprechen! Er wird wohl nichts dagegen haben!«
»Nein, das wird er wohl nicht«, kam das Echo von Hubers Adjutanten. »Und wenn er etwas dagegen haben sollte, werden wir ihn schnell eines anderen belehren, nicht wahr?« Huber nickte seinem Begleiter verächtlich lächelnd zu. »Und von mir sprecht ihr überhaupt nicht!, protestierte Helga und zog einen Schmollmund. »Mich wollt ihr wohl hier verkommen lassen, was?« »Du bist zu alt für mich«, meinte Huber unbarmherzig und grinste das Mädchen spöttisch an. »Ich möchte meine Geschäfte ankurbeln und nicht zurückgehen lassen!« »Idiot!«, sagte Helga, erhob sich und ging beleidigt davon. Huber und sein Begleiter sahen ihr lachend nach. Monika wurde es unbehaglich. Sie fühlte sich in Gegenwart dieser beiden Männer unsicher. »Also, was ist, Kindchen?«, wandte sich Huber wieder an Monika. »Haben Sie Lust, aus diesem elenden Lokal herauszukommen? Bei mir arbeiten Sie in luxuriösen Etablissements und können wesentlich mehr verdienen als hier! Was zahlt Ihnen dieser alte Halsabschneider eigentlich?« Monika sagte es ihm. Die beiden Männer sahen sich grinsend an und begannen dröhnend zu lachen. »Das ist doch wohl nicht wahr!«, rief Huber und schüttelte ungläubig den Kopf. »Mädchen, du wirfst hier Perlen vor die Säue! Dieser alte Ganove Rosenbaum! Na warte, ich werde mit ihm mal ein Wörtchen sprechen! Also, kommst du mit?« Er war unvermittelt zum vertraulichen Du übergegangen. Monika war das hier nicht anders gewohnt und störte sich nicht daran. »Wenn Rosenbaum damit einverstanden ist, warum nicht?«, sagte sie. Konnte ihr eigentlich noch etwas Schlimmeres ieren, als in solch einem Lokal zu arbeiten? Kaum! Es konnte doch nur noch besser werden! »Okay«, sagte Huber lächelnd und erhob sich. »Ich werde mir Rosenbaum
gleich einmal vorknöpfen. Bis später!« Er winkte ihr gönnerhaft zu und ging mit seinem Schatten Lothar zu dem kleinen Barbesitzer. Kurz darauf verschwanden sie in einem Hinterzimmer. »Nimm dich vor denen in acht!«, warnte Helga, die zu ihr zurückgekommen war, nachdem sich die beiden Männer zu Rosenbaum begeben hatten. »Es sind falsche Fuffziger! Die versprechen dir den Himmel auf Erden, und dann sitzt du bis über den Kopf im Dreck!« »Sitz ich das nicht längst schon?«, sagte Monika leise und sah Helga traurig an. »Eigentlich hast du recht«, sagte das Mädchen nachdenklich. »Trotzdem! auf! Die kannst du nicht um den Finger wickeln wie den alten Rosenbaum! Die nehmen dich aus wie eine Weihnachtsgans und werfen dich, wenn du nichts mehr taugst, achtlos auf den Müll. Glaube es mir! Was meinst du, warum ich hier bin?« Ihr Gespräch wurde unterbrochen, denn die Männer kamen wieder aus dem Hinterzimmer. Rosenbaum lief jammernd hinter ihnen her und rieb sich verzweifelt sein rechtes Auge, das eine verdächtige blaue Färbung aufwies. »Rosenbaum ist einverstanden«, sagte Huber böse lächelnd, als sie bei Monika waren. »Ich erwarte dich in acht Tagen in Frankfurt. Hier hast du meine Adresse!« Er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand. »Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit! Tschüs!« Er reichte ihr freundlich die Hand, tätschelte ihr noch einmal die Wangen, dann ging er. Sein Adjutant folgte ihm. Der letzte Gast war längst gegangen, und das Lokal wurde nun hinter den beiden Männern abgeschlossen. Dann kam Rosenbaum jammernd zu Monika. »Diese Schweine«, sagte er weinerlich. »Sie ruinieren mich noch! Jetzt nehmen sie mir auch noch mein Prunkstück weg! Ich könnte sie umbringen, diese Hunde!« »Warum tust du’s nicht?«, fragte Helga spöttisch und sah Rosenbaum verächtlich an. Er gab sich einen Ruck. »Warte ab! Meine Stunde kommt auch noch! Dann werden diese Kerle etwas
erleben! Du kannst dich drauf verlassen!« »Dann bin ich verlassen«, lachte Helga verdrießlich. »Nun, Moni? Wirst du nach Frankfurt gehen?« Monika nickte nachdenklich. »Ich habe dich gewarnt«, sagte Helga eindringlich. »Du rutschst nur noch tiefer in den Schlamassel! Bleibe lieber hier und versuche, vielleicht doch noch eine ordentliche Arbeit zu finden! Die ziehen dich in den Sumpf! Wen die einmal in den Händen haben, den geben sie nicht mehr frei!« »Sie muss gehen«, jammerte Rosenbaum. »Ich habe es ihnen versprechen müssen. Schaut mich nur an! Das ist die Quittung dafür, dass ich zuerst nein sagte!« Er deutete auf sein blaues Auge. »Sonst nehmen sie hier alles auseinander, und auch ihr kommt nicht ungeschoren davon!« »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Monika. »Ich werde nach Frankfurt gehen!«
4
Alois Huber war in der Münchner Gegend geboren. Wer sein Vater war, wusste seine Mutter nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Sie verdiente ihr Geld auf der Straße, dem billigsten, ordinärsten Straßenstrich. In ebendiesem Milieu wuchs auch der junge Alois auf, umgeben von Schmutz und Gemeinheit. Die meiste Zeit seines jungen Lebens verbrachte er in Erziehungsheimen, wo ihm andere Heiminsassen das beibrachten, was er noch nicht wusste. Schon früh träumte Huber davon, eines Tages reich zu sein. Wie er das erreichen wollte, war ihm schleierhaft, doch dass er es werden wollte, stand für ihn unabänderlich fest. Eines Tages sollte man von ihm sprechen! Mit Respekt sprechen! Es dauerte nicht lange, und er verkehrte in kriminellen Kreisen. Mit sechzehn Jahren nahm er an seinem ersten Banküberfall teil. Dass er und seine Kumpane dabei geschnappt wurden, störte ihn keinesfalls. Er saß seine Strafe ungerührt ab
und schmiedete im Gefängnis schon wieder neue Pläne. Nach seiner Haftentlassung stieg er in den Drogenhandel ein, zuerst nur in kleinem Rahmen, doch er schaffte es, sich in den einschlägigen Kreisen einen Namen zu machen. Er hatte sich geschworen, sich nie mehr erwischen zu lassen, und es gelang ihm. Mit achtundzwanzig Jahren hatte er seine erste Million zusammen und stieg nun in das Nachtclubgeschäft ein. Mit ein paar Kumpels hatte er auch einige Mädchen aufgerissen, die für sie auf den Strich gehen mussten, und wehe, wenn eine sich widersetzte! Sie konnte sich anschließend mit ihrem zerschundenen Gesicht nicht mehr unter Menschen trauen! Brutal ging Huber seinen Weg weiter. Bald gehörten ihm die renommiertesten Nachtlokale in und um Frankfurt. Es gab Tote und Verletzte. Von den Tätern fand die Polizei niemals eine Spur. Huber hatte vorgesorgt. Mit seiner Mannschaft beherrschte er die Unterwelt. Er belegte seine Konkurrenz mit einer Art Schutzgebühr, die garantierte, dass man sie in Ruhe ließ. Sollte einer einmal nicht zahlen können oder wollen, wurde das Lokal rücksichtslos zerstört. Huber wurde der meistgehasste Mann Frankfurts. Ja, jetzt sprach man von ihm! Zwar anders, als er es sich in seinen Jugendträumen vorgestellt hatte, aber immerhin! Er war jemand! Alois Huber saß in seinem prunkvoll eingerichteten Büro in der Frankfurter Innenstadt und studierte die neuesten Börsenkurse. Ja, auch damit beschäftigte er sich, und dies sogar ganz legal. Er spekulierte und hatte auch auf diesem Gebiet eine glückliche Hand. Als das Telefon summte, nahm er unwillig den Hörer ab. Doch dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Führ die Puppe herein«, sagte er zynisch lächelnd. »Wir wollen sie gleich mal in ihre Aufgaben einweisen!« Zufrieden legte er den Hörer auf. Hubers Beschützer Lothar führte Monika in das Büro des Nachtclubbesitzers. Überrascht blieb sie stehen und sah sich staunend um. Hubers Büro glich eher dem Konferenzzimmer eines Ministers. Die Wände waren mit kunstvoll geschnitztem dunklen Holz verkleidet. In der Mitte des hohen Raumes hing ein kostbarer Kristalllüster an der Decke, der den Raum in ein angenehmes Licht tauchte. Vor dem mächtigen Schreibtisch des Hausherrn stand ein breiter Tisch mit gepolsterten Stühlen. Hier schien Huber seine Konferenzen abzuhalten. Der
Boden des Büros war mit wertvollen Teppichen ausgelegt. Monika war beeindruckt. Huber stellte es mit Befriedigung fest. Er hatte sich erhoben und kam ihr mit ausgestreckter Hand entgegen. Er führte sie zu dem Tisch und bat sie, Platz zu nehmen. Lothar setzte sich im Hintergrund auf einen Stuhl und beobachtete das Mädchen lauernd. Huber selbst nahm wieder hinter seinem protzigen Schreibtisch Platz. »Schön, dass du dich an unsere Abmachungen gehalten hast«, begann er. »Rosenbaum war es wohl nicht ganz recht, was?« Er lachte dröhnend. »Nun, dann will ich dich auch gleich mit deinen Aufgaben vertraut machen! Du wirst zunächst in einem meiner Frankfurter Clubs arbeiten, dem >Magic Love<. Vielleicht hast du schon mal davon gehört! Du wirst dort praktisch das gleiche machen wie bei Rosenbaum. Nur wirst du nicht diese lächerliche Kleidung wie dort tragen! Meine Damen erscheinen im Abendkleid, das natürlich von der Firma gestellt wird! Du wirst ein Zimmer zugewiesen bekommen, wo du auf die speziellen Wünsche meiner Gäste einzugehen hast!« »Niemals!«, rief Monika entsetzt und sprang auf. »Das haben wir nicht vereinbart! Und ich werde so etwas auch niemals tun!« »Du wirst!«, sagte Huber kalt. »Sie können mich nicht dazu zwingen«, begehrte Monika auf. »Ich glaube, ich gehe lieber! Auf diese Art Geschäft war ich nicht gefasst! Das mache ich nicht mit! Leben Sie wohl!« Sie machte Anstalten zu gehen, aber Lothar war schon hinter ihr und drückte sie unsanft auf ihren Stuhl zurück. Monika sah sich erschrocken um und blickte entsetzt in die eiskalten Augen des Mannes. »Sie werden also in dem bewussten Zimmer auf die speziellen Wünsche meiner Gäste eingehen«, fuhr Huber ungerührt fort. »Das werde ich nicht!, rief Monika beklommen. Sie spürte noch immer Lothars Hände auf ihren Schultern. »Lothar, zeige ihr, warum sie es tun wird«, sagte Huber sarkastisch und gab ihm mit dem Kopf einen Wink.
»Bleib ja sitzen«, knurrte Lothar. Dann drückte er auf einen Knopf und ließ von der Decke eine Filmleinwand herunter: Mit ein paar Handgriffen hatte er aus einer versteckten Luke im Konferenztisch einen Projektor hervorgezaubert, in den bereits ein Film eingelegt war. Huber schnippte herrisch mit den Fingern, und die Vorführung begann. Was Monika jetzt auf der Leinwand zu sehen bekam, trieb ihr den Angstschweiß auf die Stirn. Entsetzt starrte sie auf die grässlichen Bilder, die vor ihren Augen abrollten. Der Film zeigte Strafaktionen gegen Mädchen, die es gewagt hatten, sich Huber zu widersetzen. Da es sich um einen Tonfilm handelte, vernahm man auch die grässlichen Schreie der Mädchen, die von Hubers Leuten gepeinigt wurden. »Aufhören!«, schrie Monika entsetzt und hielt sich die Ohren zu. »Hören Sie doch endlich auf! Das ist ja furchtbar! Sie sind kein Mensch, Huber! Sie sind eine Bestie! Mein Gott, wie ich Sie hasse!« »Ich glaube, das genügt«, sagte Huber und lächelte zufrieden. Lothar stellte den Projektor ab und verstaute ihn wieder. »Du wirst also in dem bewussten Zimmer, das ich jetzt schon mehrmals erwähnte, die speziellen Wünsche meiner Gäste erfüllen«, setzte Huber seine Rede fort, die durch den Film unterbrochen worden war. Monika wagte nicht mehr zu widersprechen. Sie war mit den Nerven am Ende und hätte am liebsten losgeheult. Doch diese Schwäche wollte sie nicht zeigen! »Von dem Geld, das du dafür kassierst, werden siebzig Prozent an mich abgeführt. Dreißig Prozent sind für dich! Du siehst, ich bin großzügig! Wenn du dich gut führst, können wir diesen Prozentsatz noch ein wenig erhöhen. Meine Spitzenkraft ist mit fünfundvierzig Prozent beteiligt! Sieh zu, dass du das auch schaffst! Die Anlagen dazu hast du! Und jetzt wird uns unser Freund Lothar ein wenig allein lassen! Ich möchte doch gern feststellen, ob du dein Geld auch wert bist!« Lothar verließ grinsend das Zimmer. Monika starrte mit weit aufgerissenen Augen auf Huber, der sich ihr langsam näherte und sie begehrlich ansah.
5
Als Oliver Mai von Leila zurück ins Lokal kam, sah ihm sein Freund Rolf Adler schon verlegen lächelnd entgegen. Oliver setzte sich, ohne ein Wort zu sagen, zu ihm und trank das inzwischen schal gewordene Bier, das noch auf dem Tisch stand, in einem Zug aus. »Und? Wie war’s?«, erkundigte sich Rolf interessiert. »War sie gut? Also, meine war eine Wucht! Richtig lieb war sie! Ein Prachtstück von einem Weib!« Er geriet förmlich ins Schwärmen. Oliver gab keine Antwort. »Mensch, was ist denn mit dir los?«, sagte Rolf und schüttelte seinen Freund an der Schulter. Oliver wehrte ihn missmutig ab. »Hat’s Ärger gegeben? Sag doch was! Du guckst wie ein Auto! Oliver, hast du die Sprache verloren?« »Ach, leck mich doch am Ärmel«, zischte Oliver und winkte den Ober herbei. Er bestellte sich noch eine Flasche Bier und einen Cognac. »Wenn du’s nicht nötig hast, dich mit mir zu unterhalten, dann kann ich ja gehen«, sagte Rolf beleidigt und machte Anstalten, sich zu erheben. »Setz dich schon wieder hin«, brummte Oliver und drückte seinen Freund auf den Stuhl zurück. »Raus mit der Sprache! Was ist los? Hat’s nicht so geklappt, wie du wolltest?« »Das ist es nicht«, sagte Oliver. Er druckste eine Weile herum. Plötzlich gab er sich einen Ruck und beugte sich zu Rolf hinüber. »Kannst du dir vorstellen, dass ich mich verliebt habe?« Rolf lachte. »Du verliebst dich doch dauernd«, sagte er augenzwinkernd. »Das ist doch
nichts Neues bei dir!« »Ich meine, ich habe mich richtig verliebt! Ganz ehrlich! Nicht nur so für eine Nacht! Nein! Wirklich nicht! Ich habe mich verliebt wie nie in meinem Leben!« »Du meinst, so richtig mit Heiratsabsichten und so?« Rolf schaute seinen Freund erschrocken an und schüttelte den Kopf. »Wer ist denn die Glückliche? Kenn’ ich sie?« »Es ist das Mädchen, mit dem ich vorhin auf dem Zimmer war«, sagte Oliver leise. »Du spinnst«, rief Rolf unterdrückt. »Nein, Oli! Sag, dass ich träume! Du hast doch nicht alle Tassen im Schrank! Mensch, Oliver! Ein Freudenmädchen liebt man doch nicht!« Wieder dieser Satz, den auch schon Leila gesagt hatte! Ein Freudenmädchen liebt man nicht! Warum eigentlich nicht? »Es ist aber so«, murmelte Oliver bedrückt. »Ich liebe sie, und ich werde sie heiraten!« »Und wie willst du das Bettina beibringen? Sie kratzt dir die Augen aus! Und was werden deine Freunde sagen, wenn du mit einer Hure anrückst? Sie werden sich von dir ab wenden und mit Fingern auf dich deuten! Du kennst doch diese Herrschaften!« Rolf verstand die Welt nicht mehr. »Hör mir mit Bettina auf«, sagte Oliver. »Für sie bin ich doch nur ein schönes Spielzeug! Madame geruhen, sich mit einem Musiker zu schmücken! Außerdem liebe ich sie nicht!« »Sieht aber immer anders aus, wenn ihr beiden herumturtelt! Also wirklich, Oliver, du spinnst! Denk doch mal an die Folgen! Das spricht sich doch herum! Du machst dich doch lächerlich! Hast du dem Mädchen schon etwas davon gesagt? Doch hoffentlich nicht!« »Doch, ich habe es ihr gesagt! Ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe!«
»Und?« »Sie hat mich rausgeworfen!« »Scheint ein vernünftiges Mädchen zu sein! Komm, mein Freund. Wir gehen jetzt schön brav nach Hause. Wir haben für heute genug getrunken. Schlaf dich schön aus! Morgen siehst du das alles in einem ganz anderen Licht!« »Nein, bestimmt nicht! Ich liebe Leila! Ich liebe sie, wie ich noch kein Mädchen geliebt habe!« »Und Bettina?« »Damit ist endgültig Schluss! Ich mag sie nicht mehr sehen! Sie geht mir auf den Wecker! Du kannst sie haben! Geschenkt!« »Danke! Von mir will sie nichts wissen! Schließlich bin ich nicht der Boss!« »Eben hast du ein wahres Wort gesagt! Du bist nicht der Boss! Ich bin es! Und nur aus diesem einen Grund steigt mir das Weibsbild nach!« »Ihr Vater hat aber das nötige Kleingeld! Sie ist eine gute Partie. Du könntest dich zur Ruhe setzen und dich nur noch deiner Komponistenlaufbahn widmen!« »Da pfeife ich drauf! Ich habe sie lange genug genossen. Es reicht! Immerhin steige ich schon ein halbes Jahr mit ihr herum. So lang habe ich es noch bei keiner ausgehalten!« »Eben deshalb! Vielleicht liebst du sie doch?«,meinte Rolf hoffnungsvoll. Doch Oliver schüttelte energisch den Kopf. »Nein! Ich mach’ mit ihr Schluss!« »Du bist ein Dickkopf!« »Weiß ich! So, und jetzt Schluss der Debatte! Komm, wir hauen ab!« Sie zahlten. Dann verließen sie den Nightclub und fuhren nach Hause.
6
Der nächste Tag war ein Sonntag. Oliver Mai schlief bis weit in den Tag hinein. Er hatte am Morgen, als er nach Hause kam, noch lange keine Ruhe gefunden. Immer wieder trat Leilas Bild vor seine Augen, hörte er ihre kleinen, spitzen Schreie, als sie sich geliebt hatten. Es überlief ihn heiß und kalt, wenn er an sie dachte. Doch nach ein paar Whisky wurde er schläfrig und ging ins Bett. Unruhig wälzte er sich hin und her. Selbst im Traum verfolgte ihn das Mädchen. Er stand auf der Bühne und sang. Der Saal war wie immer überfüllt. Plötzlich ging die Tür auf, und Leila trat ein. Die Menschen im Saal hielten im Tanzen inne und starrten sie an. Sie bildeten eine Gasse und ließen das Mädchen ieren. Plötzlich sprang Rolf Adler in die Mitte der Bühne und deutete auf sie. »Das ist eine Hure!, schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Hure! Hure! Hure!«, schrien die Leute und begannen um Leila herumzutanzen. Sie schlugen nach ihr, sie rissen sie an den Haaren und versuchten, sie zu Boden zu werfen. »Nein«, schrie Oliver ins Mikrofon. »Lasst sie in Ruhe! Sie ist meine Frau! Ich liebe sie! Lasst sie, ihr Schweine!« »Hure! Hure! Hure«, murmelten die Leute dumpf. Sie ließen von Leila ab und kamen langsam auf die Bühne zu. Die ersten hatten ihn erreicht und griffen nach ihm. Er wehrte sich verzweifelt. Dann hatten sie ihn zu Boden gerissen und begannen auf ihm herumzutrampeln. Schweißgebadet fuhr Oliver aus dem Schlaf hoch und sah sich verstört um. »Hure! Hure!«, dröhnte es ihm noch dumpf in den Ohren. Er sprang aus dem Bett und lief zum Kühlschrank. Nach einem kräftigen Schluck Bier war es ihm etwas wohler, und er ging zu seinem Bett zurück. Kaum war er eingeschlafen, begann das Theater von vorn. Oliver war auf einer Party und tanzte eng umschlungen mit Leila. Plötzlich erschien Bettina Winter. Als sie die Tanzenden erblickte, schrie sie auf.
»Werft diese Hure hinaus!«, keifte sie und deutete auf Leila, die sich ängstlich an ihn schmiegte. »Oliver gehört mir! Nur mir allein! Raus mit dieser Prostituierten! Sie hat in unseren Kreisen nichts verloren!« Sie ging auf Leila zu und packte sie erbarmungslos an den Haaren. Oliver stand wie gelähmt dabei und starrte auf die beiden Mädchen, die sich einen erbitterten Kampf lieferten. Da riss ihn das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf. Benommen griff er nach dem Hörer und meldete sich: »Hallo, mein Schatz«, hörte er Bettinas Stimme. »Es ist Zeit zum Aufstehen! Weißt du, wie spät es ist?« Er schaute schlaftrunken auf die Uhr. Elf Uhr mittags! »Warum musst du mich mitten in der Nacht wecken?«, fragte er und gähnte herzhaft. »Weißt du nicht, dass du heute bei uns zum Essen eingeladen bist? Hast du natürlich wieder total verschwitzt! Also mach, dass du beikommst! Meine Eltern warten nicht gern!« »Es ist gut«, sagte er müde. »Ich komme sofort!« »Dann bis gleich«, sagte Bettina. »Ja, bis gleich«, erwiderte er und legte den Hörer auf. Im gleichen Moment war er auch schon wieder eingeschlafen. Diesmal schlief er fest und traumlos. Er wurde erst wieder wach, als es stürmisch an der Wohnungstür klingelte. Schwerfällig sprang er aus dem Bett und tappte zur Tür. Als er öffnete, stand Bettina davor und schaute ihn bitterböse an. »Dachte ich mir’s doch«, sagte sie gereizt. »Der Herr hat wieder einmal verschlafen! Da können wir lange warten. Frag mich nicht, was meine Eltern gesagt haben! Es ist besser, wenn du es nicht weißt! Darf ich wenigstens hineinkommen?« »Bitte!«, murmelte Oliver und hielt ihr die Tür auf. Bettina ging in sein Wohnzimmer, ließ sich in einen Sessel fallen und steckte sich eine Zigarette an.
»Du kannst einem jeden Spaß verderben«, sagte sie mürrisch, als Oliver ebenfalls ins Zimmer gekommen war und sich auf die Couch gesetzt hatte. »Komm, gib mir wenigstens einen Kuss. Vielleicht kannst du mich damit besänftigen!« Oliver erhob sich mühsam, kratzte sich am Kopf und ging zu ihr. Er küsste sie flüchtig auf die Wange. »War das alles?«, fragte sie und versuchte, ihn auf ihren Schoß zu ziehen. »Lass mich«, sagte er verstimmt. »Ich bin jetzt nicht in Form!« »Ich werde dich gleich in Form bringen«, versprach sie und warf ihm einen verführerischen Blick zu. »Nein, wirklich nicht«, knurrte er gereizt. »Lass mich in Frieden!« »Was ist denn mit dir los? Hast du einen Kater? Ich sage dir ja immer, trink nicht soviel!« »Ach, hör auf«, sagte er mürrisch. »Ich habe eine schwere Nacht hinter mir!« »War sie wenigstens hübsch?« Sie sah ihn spöttisch an. »Ja!«, schrie er. »Verdammt noch mal. Sie war hübsch! Und ich werde sie heiraten! So, jetzt weißt du’s!« »Sag das noch einmal!« Ihre Stimme klang gefährlich leise. Sie zerdrückte ihre Zigarette achtlos im Aschenbecher. »Sag das bitte noch einmal!« »Sie war hübsch, und ich werde sie heiraten«, wiederholte er störrisch. Bettina lachte gereizt und tippte vielsagend mit dem Finger an die Stirn. »Du spinnst, mein Lieber«, sagte sie. »Gut, dann spinne ich halt«, rief Oliver. »Begreif doch endlich, dass es aus ist!
Ich mag nicht mehr! Schluss, aus, vorbei! Ich habe einfach die Nase voll!« »Das kannst du mit mir nicht machen«, erwiderte Bettina wütend. Ihre Augen funkelten Oliver zornig an. »Du hast mir immerhin die Ehe versprochen!« Oliver lachte unangenehm berührt. »Was habe ich? Dir die Ehe versprochen? Jetzt muss ich aber, so leid es mir tut, zu dir sagen: Mein Kind, du spinnst! Ich habe dich nie darüber im unklaren gelassen, dass unsere Freundschaft nicht für alle Ewigkeit ist! Und von Heirat war schon gar nicht die Rede!« »O doch«, sagte Bettina. »Davon war die Rede! Und nicht nur einmal! Ich kann dir sogar Zeugen bringen! Aber was soll’s? Einen wie dich finde ich allemal wieder!« »Siehst du, eben wirst du wieder vernünftig«, sagte Oliver beruhigt. »Wir hatten eine schöne Zeit miteinander. Gehen wir jetzt in aller Freundschaft auseinander!« Bettina lachte bitter und schüttelte den Kopf. »Du machst es dir sehr einfach, Oliver! Aber bitte! Ich kann dich ja nicht zwingen. Wer ist sie denn? Kenn’ ich sie?« »Nein, du kennst sie nicht! Sie ist nicht von hier!« »Ist sie ... gut?« »Ach, hör doch auf«, rief Oliver. »Darauf kommt es nun wirklich nicht an!« »Auf einmal?« Bettina schaute ihn höhnisch an. »Ich kenn’ dich da ganz anders! Na ja, du musst es wissen! Ich will dich nicht mehr länger stören! Wahrscheinlich wartet sie schon auf dich! Entschuldige, dass ich dich aufgehalten habe! Es wird nicht mehr vorkommen!« Sie erhob sich, griff nach ihrer Handtasche und wandte sich zur Tür. »Bettina!« Oliver sah sie bittend an. »Ist was?«
»Nein, ist schon gut!« Er hatte sich wieder gefasst. »Mach’s gut, Bettina! Es war schön mit dir!« »Das sagst du wohl jeder zum Abschied, was? Leb wohl, Oliver!« Sie warf ihm noch einen seltsamen Blick zu. Dann war sie aus der Tür. Oliver starrte einen Augenblick reglos auf die geschlossene Tür, dann gab er sich einen Ruck. Als er sich duschte, pfiff er fröhlich vor sich hin.
7
Schon am Abend nach seiner Trennung von Bettina ging er wieder zu Leila. Er musste eine Weile warten, bis sie mit einem Gast aus ihrem Zimmer zurückkam. Oliver fühlte, dass er eifersüchtig war. Eifersüchtig auf den Mann, der Leilas Liebe gekauft hatte. Aber damit musste er sich abfinden! Sie hatte diesen Beruf nun einmal gewählt, und er hatte, noch, kein Recht dazu, es ihr zu verbieten. Missmutig trank er sein Bier und wartete ungeduldig. Als sie in die Bar zurückkehrte, sah sie ihn sofort dort sitzen. Ihr Gesicht verzog sich unmutig, und sie wollte hastig an ihm vorbeihuschen. Doch er stellte sich ihr in den Weg. »Guten Abend, Leila«, sagte er heiser. »Hast du einen Augenblick für mich Zeit?« Sie nickte und setzte sich an seinen Tisch. »Aber nur, wenn du nicht wieder solchen Blödsinn redest«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ich meine es ernst«, sagte er. »Ich habe deinetwegen mit meiner Braut gebrochen!« »Das wäre nicht nötig gewesen«, meinte sie kopfschüttelnd. »Du kennst meine Einstellung! Wenn du mich haben willst, zahlst du meinen Preis! Alles andere ist Unsinn!« »Ist ja schon gut, Leila«, antwortete er. »Du wirst dich schon noch an mich
gewöhnen! Ich gebe nicht auf! Was ich haben will, bekomme ich auch! Gehen wir?« Sie nickte und erhob sich. Wann immer er in den nächsten Tagen Zeit hatte, ging er zu ihr. Ihr war es gar nicht recht! Sie versuchte immer wieder, ihm seine fixe Idee, wie sie es nannte, auszureden. Oliver blieb stur. »Das kostet dich doch ein Vermögen«, sagte sie an einem Abend. »Oliver, du spinnst!« »Es ist mein Geld«, widersprach er störrisch. »Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig!« »Du musst es wissen«, meinte sie kopfschüttelnd. Ihr war der junge Mann schon lange nicht mehr gleichgültig. Auch wenn sie sich ihm gegenüber ablehnend verhielt, freute sie sich doch unbändig, wenn sie ihn sah. Ja, sie ertappte sich mehr als einmal dabei, dass sie ungeduldig auf die Tür starrte. Ihre Kolleginnen begannen bereits, sie wegen ihres Dauerfreiers, wie sie ihn nannten, zu verspotten. Sie ertrug den Spott mit Gleichmut und Gelassenheit. Sollten sie doch reden! Ihr machte es nichts aus! Sie fühlte, wie langsam aus der Sympathie, die sie für Oliver empfand, Liebe wurde. Eine stille, heimliche Liebe, von der sie nicht einmal zu ihm selbst sprach! Für ihn war sie nach wie vor das kühle, sachliche Freudenmädchen, für dessen Liebe er bezahlen musste. Wenn sie sich dann liebten, hätte sie am liebsten hinausgeschrien: »Ja, ich liebe dich, Oliver! Hol mich hier raus! Nimm mich zu deiner Frau! Befreie mich von Alois Huber! Hilf mir, mein Liebling! Ich bin so verzweifelt!« Mühsam unterdrückte sie jedes mal die Tränen. Er sollte nichts merken! Sie war doch keine Frau für ihn! Was würden die Leute wohl sagen! Nein, sie durfte niemals schwach werden! Doch dann kam der Abend, an dem sie schwach wurde, an dem es aus ihr heraussprudelte, an dem sie ihm ihr ganzes gequältes Innenleben offenbarte.
Es begann damit, dass sie es ablehnte, von ihm Geld zu nehmen. Oliver sah sie erstaunt an. »Ich kann nicht mehr«, sagte sie traurig. »Ich kann von dir kein Geld mehr nehmen. Warum sollst du für etwas bezahlen, was mir ebensoviel Spaß macht wie dir?« »Soll das heißen, dass du mich... liebst?«, fragte er stockend. Sie nickte und senkte schwer atmend den Kopf. Da riss er sie in die Arme und bedeckte ihren Mund mit heißen Küssen, die sie leidenschaftlich erwiderte. »Endlich«, rief er jubelnd, als er nach einer Weile wieder zu Atem gekommen war. »Ich wusste es immer! Wir zwei gehören zusammen! Du wirst mich heiraten und endlich aus diesem Sumpf herauskommen! Ich lasse es nicht länger zu, dass dich andere Männer ansehen und anfassen! Nun gehörst du nur noch mir! Mir allein! Wir werden eine herrliche Zeit haben!« »Nein, Oliver, das geht nicht«, sagte sie unsagbar traurig. »Glaube mir! Es wäre mein sehnlichster Wunsch. Aber es geht nicht!« Dann erzählte sie ihm ihre Geschichte. Oliver hörte ihr schweigend zu. »Oh, dieses Schwein!«, stieß er hervor, als sie geendet hatte. »Ich könnte ihn umbringen! Aber warum gehst du nicht zur Polizei? Warum, bist du nicht längst hingegangen?« »Das wage ich nicht«, erwiderte sie leise. »Er kriegt mich! Und wenn es nach Jahren ist! Ich möchte nicht so enden wie diese anderen Mädchen, die er mir in seinem grässlichen Film gezeigt hat. Ich habe Angst, Oliver, unsagbare Angst! Deshalb muss ich hierbleiben und weiter für dieses Ungeheuer arbeiten! Es bleibt mir keine andere Wahl! Und für dich wäre es besser, wenn du nicht mehr zu mir kämst! Wenn Huber davon Wind bekommt, dass mit uns beiden etwas im Busch ist, ist der Teufel los. Dann wird er gnadenlos zuschlagen! Ich kenne ihn mittlerweile zur Genüge! Er ist eine Bestie!« »Ich habe keine Angst vor diesem Kerl«, knurrte Oliver ärgerlich. »Mit diesen Typen werde ich noch immer fertig, glaube es mir! Ich kenne diese Sorte!« »Fühl dich nicht zu stark, Liebling«, warf Leila ein. »Er ist dir haushoch überlegen! Er hat seine Totschläger. Die kennen keine Rücksicht. Für die ist es
ein Spaß, einen Menschen krankenhausreif zu schlagen, oder noch schlimmer! Hüte dich vor ihnen!«. »Ich fürchte mich nicht! Endlich habe ich das erreicht, wonach ich mich schon so lange sehne: Ich habe deine Liebe errungen! Und jetzt soll ich das alles wieder aufgeben? Nein, Leila oh, entschuldige! Monika! Nein, mein Liebes! Das kannst du nicht von mir verlangen! Ich gebe dich nicht mehr auf. Niemals im Leben! Wir werden heiraten und werden glücklich sein! Auf diesen Huber pfeife ich! Lass mir dieses Stinktier nur unter die Finger kommen! Dann wird er keine unschuldigen Mädchen mehr erpressen!« »Sei vorsichtig, Liebling«, sagte Leila leise. »Ich will nicht, dass dir etwas iert! Wenn du unbedingt zu mir willst...« »Unbedingt!« Leila lächelte glücklich. »Also, wenn du unbedingt zu mir willst, kommst du einfach wie bisher zu mir. Wir werden dann eine herrliche Nacht zusammen verleben! Aber versuche bitte nicht, mich hier herauszuholen! Ich muss hierbleiben! Es gibt keine andere Möglichkeit! Verstehst du das nicht?« Oliver schüttelte trotzig den Kopf. »Nein, das verstehe ich wirklich nicht! Entweder liebst du mich, dann kommst du mit mir, oder du liebst mich nicht und gibst dich ständig noch mit anderen Männern ab!« »Ich liebe dich«, flüsterte Leila. »Ich liebe dich, wie ich noch niemals einen Menschen geliebt habe! Du musst es mir glauben! Den anderen stelle ich nur meinen Körper zur Verfügung. Mein Herz, meine Seele, das gehört nur dir allein! Nur dir!« Sie schmiegte sich an ihn und küsste ihn zärtlich. »Ich halte das nicht aus!«, stöhnte Oliver. »Wenn ich nur daran danke, dass du mit einem anderen... Schrecklich!« »Es bleibt uns keine andere Wahl«, sagte Leila traurig. »Meinst du, mir macht das Spaß hier? Ich ekele mich vor diesen Kerlen! Bei dir merkte ich gleich, dass du ganz anders bist! Dass du es ehrlich mit mir meinst!« »Ich werde einen Weg finden«, sagte Oliver starrsinnig. »Ich hole dich hier
heraus, wenn es sein muss, mit Gewalt! Ich werde mich einmal mit diesem Huber unterhalten!« »Um Himmels willen, tu das nicht!«, rief Leila erschrocken. »Mach ihn nicht noch auf uns aufmerksam! Das wäre das Ende!« »Ich werde es mir überlegen!« Oliver nahm sein Mädchen noch einmal in die Arme und küsste sie lange und innig. Dann verabschiedete er sich mit dem Versprechen, morgen wiederzukommen Leila setzte sich auf ihre Couch und stützte nachdenklich den Kopf in die Hände! Oliver, dachte sie zärtlich. Mein geliebter Mann! Wie wird das nur enden? Ich sehne mich nach dir! Mit jeder Faser meines Körpers! Warum ist das alles nur so entsetzlich? Warum bin ich nicht ein ganz normales Mädchen? Warum muss ich ausgerechnet in diesem schrecklichen Haus sein? Oh, Oliver!
8
Am nächsten Abend war bis gegen zehn Uhr nicht viel los im »Bel Ami«. Leila saß lustlos an der Bartheke und trank eine Cola. Sie dachte an Oliver und sehnte sich danach, dass er bald zu ihr kommen würde. Seufzend sah sie auf die Tür. Plötzlich zuckte sie erschrocken zusammen. Alois Huber und zwei seiner Männer kamen in die Bar und sahen sich suchend um. Als sie Leila entdeckten, überzog ein spöttisches Grinsen das Gesicht des Nachtclubkönigs, dem auch das »Bel Ami« in Babenhausen gehörte. Er raunte seinen Begleitern etwas Unverständliches zu, dann kam er mit ihnen zu ihr an den Tresen und ließ sich neben ihr nieder. Seine Männer nahmen in gebührendem Abstand ebenfalls an der Theke Platz und beobachteten die beiden aufmerksam. »Hallo«, sagte Huber lächelnd und reichte ihr seine ringgeschmückte Rechte. »Ich hoffe, du hast dich gut hier eingewöhnt. Oder gibt es Klagen?« Leila schüttelte den Kopf. Was mochte Huber von ihr wollen? Er ließ sich doch sonst nie hier sehen. Wenigstens war es ihr bisher nie aufgefallen. Ob ihre Kolleginnen sie angeschwärzt hatten? Ob sie ihm von ihrem Dauerfreier erzählt hatten? Es
konnte ihm doch eigentlich egal sein, solange sie pünktlich an ihn zahlte. Wenn er doch endlich über die Ursache seines Erscheinens sprechen würde! Huber musterte sie aufmerksam unter halb geschlossenen Lidern. Als der Barkeeper sich zu ihnen gesellte und nach den Wünschen des Barbesitzers fragte, winkte er ungeduldig ab. »Ich habe mit dir zu reden«, begann er endlich. »Wer ist dieser Kerl, der jeden Abend hier antanzt?« . Also doch! Huber kam wegen Oliver! Leila fuhr erschrocken zusammen. »Das ... ist... so ein Verrückter«, stammelte sie endlich tonlos. »Der will unbedingt sein Geld hier bei mir verprassen! Er zahlt gut!« »Wirklich?«, fragte Huber zynisch und kniff die Augen zusammen. »Zahlt er wirklich so gut? Oder sagst du das jetzt nur so?« »Wirklich«, behauptete Leila fest. »Du lügst!«, schrie Huber plötzlich, packte sie mit der Hand fest am Arm und schüttelte sie. »Du lügst mich schamlos an, du Luder! Komm mal mit!« Er erhob sich. Leila erblasste. »Nein!«, rief sie entsetzt. »Ich habe wirklich nicht gelogen!« »Du sollst mitkommen!«, sagte Huber, und seine Stimme klang gefährlich leise. Zögernd erhob sie sich und folgte Huber in ein Hinterzimmer. Seine Begleiter kamen ebenfalls nach und blieben gelangweilt im Hintergrund stehen. »Setz dich!«, herrschte Huber das Mädchen an und stieß es auf einen Stuhl. Zitternd folgte Leila und sah, wie Huber zu einem Tonbandgerät ging, das auf einem Sideboard an der einen Seite des Raumes stand. Huber zog aus seiner Jackentasche ein Tonband und legte es in das Gerät ein. Dann drückte er auf den Wiedergabeknopf. Leila hörte zunächst eine Tür gehen. »Komm herein, Oliver«, vernahm sie ihre eigene Stimme. Sie starrte erschrocken auf das Tonbandgerät, das unbarmherzig all das wiedergab, was sie
in der letzten Nacht miteinander gesprochen hatten. »Sie haben mich belauscht«, rief Leila und sprang auf. Sofort war einer von Hubers Begleitern zur Stelle und drückte sie brutal auf ihren Platz zurück. »Still«, zischte Huber. Er hatte das Mädchen, das auf seinem Stuhl immer kleiner wurde, grinsend beobachtet. »Wie üblich«, klang Olivers Stimme vom Tonband. »Nein, ich möchte kein Geld von dir«, hörte sie sich selbst. »Nanu?«, fragte Oliver. »Was ist denn los?« »Ich kann nicht mehr! Ich kann von dir kein Geld mehr nehmen! Warum sollst du für etwas bezahlen, was mir ebensoviel Spaß macht wie dir...« Sie musste sich das ganze Gespräch vom vergangenen Abend anhören. Huber musste von den anderen Mädchen, oder dem Barkeeper auf Oliver aufmerksam gemacht worden sein und hatte ein Mikrofon in ihrem Zimmer installieren lassen. Entsetzlich! »Du willst also heiraten?«, fragte Huber höhnisch und drückte die »Aus«-Taste. »Darf ich Trauzeuge werden?« Hubers Begleiter lachten schallend. Leila schwieg und schaute benommen auf den Boden. Sie hatte Angst, entsetzliche Angst! Was würde Huber gegen sie unternehmen? »Nun, du antwortest nicht?«, sagte Huber und stellte sich mit verschränkten Armen vor ihr auf. »Ich habe dich etwas gefragt und erwarte eine Antwort!« Leila schwieg beharrlich. »Soll ich dir erst die Zunge lösen lassen?«, fuhr er sie zornig an. »Sie haben gehört, was ich zu Oliver sagte«, erwiderte sie mit schwacher Stimme. »Ich habe ihn gebeten, nicht mehr zu mir zu kommen!« »So? Hast du das?«, rief Huber höhnisch. »Und der Kerl hat auch immer bezahlt, was? Mädchen, das kannst du mit mir nicht machen. Ich lasse mich von dir nicht betrügen!«
»Sollen wir sie ein wenig kitzeln?«, erkundigte sich einer von Hubers Begleitern und zog vielsagend ein Rasiermesser aus der Tasche. Huber winkte ab. »Das hat noch ein wenig Zeit«, knurrte er verdrossen. »Ich hoffe, dass ich mit ihr klarkomme! Sie ist doch ein vernünftiges Mädchen, nicht wahr?« Er fasste Leila unters Kinn, so dass sie ihm, ob sie wollte oder nicht, in die Augen sehen , fragte er. »Ich weiß es nicht«, hauchte Leila ängstlich. »Ich hoffe, du weißt, was du zu tun hast, wenn er auftaucht! Du wirst ihm klipp und klar sagen, dass es aus ist! Und dann werden wir uns ein wenig mit ihm unterhalten! Er wird die Lust verlieren, noch einmal hierherzukommen! Wirst du das tun?« Er drückte ihr Kinn rücksichtslos zusammen, dass sie schmerzlich zusammenzuckte und einen klagenden Laut ausstieß. »Du wirst es doch tun?«, wiederholte er und ließ ihr Kinn los. »Antworte!« Leila nickte schwach. »Ich wusste, dass du vernünftig bist«, knurrte Huber zufrieden. »Und mach solche Späßchen nicht wieder! Du kommst nicht immer so glimpflich davon! Strafe muss natürlich sein! Ich habe mir gedacht, dass ich deinen Anteil ein wenig kürze! Wenn du etwas fleißiger wirst, kannst du den Verlust recht gut ausgleichen! Also, haben wir uns verstanden?« »Ja, ich habe Sie verstanden«, flüsterte Leila tonlos. »Dann ist es gut«, sagte Huber kalt. »Du kannst jetzt wieder hinausgehen. Denk dran, was ich dir gesagt habe!« Leila erhob sich mit zitternden Knien und verließ das Zimmer. Aufatmend blieb sie vor der Tür stehen. »Hallo, da bist du ja endlich«, hörte sie plötzlich Olivers Stimme. »Wo hast du denn gesteckt?« Er war zu ihr getreten und hatte seinen Arm zärtlich um ihre Schultern gelegt. »Lass mich in Ruhe!« zischte sie und kämpfte mit den Tränen. »Verschwinde. Es
ist besser für dich!« »Aber was ist denn los? Ich denke, wir waren uns einig. Was hast du denn auf einmal?« Leila schaute ihn beschwörend an. Oliver zuckte verständnislos mit den Schultern. »Na, spurt er nicht?«, hörte sie plötzlich Hubers Stimme hinter sich. Oliver fuhr herum und blickte in das höhnisch lächelnde Gesicht des Nachtclubkönigs. »Geh bitte«, flehte Leila. »Komm bitte nicht mehr hierher!« »Aber warum nicht?«, fragte Oliver. »Vielleicht wegen dieses Würstchens?« Er deutete mit dem Kinn auf Huber, dessen Gesicht sich ärgerlich verzog. »Haben Sie nicht gehört, dass Sie hier unerwünscht sind, sagte er gepresst. »Also, was stehen Sie noch hier herum? Verlassen Sie endlich mein Lokal!« »Ach, das ist wohl der Herr Huber, von dem du mir erzählt hast?«, meinte Oliver gelassen. »Hat der hier auch etwas zu sagen?« »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass dies hier mein Lokal ist und dass ich Ihre Weigerung als Hausfriedensbruch betrachte!« »Geh doch endlich!, rief Leila. »Fällt mir gar nicht ein«, sagte Oliver und setzte sich an einen der Tische. Er lächelte den Barbesitzer freundlich an und winkte dem Kellner. Dieser kam und schaute unschlüssig auf Huber. »Ich hätte gern ein Pils und einen doppelten Cognac«, bestellte Oliver vergnügt. Der Ober zögerte. Huber schäumte. »Ich werde die Polizei rufen«, zischte er wütend. Er hatte bemerkt, dass man an den anderen Tischen auf sie aufmerksam geworden war und neugierig herübersah. Aufsehen jedoch wollte er um jeden Preis vermeiden. »Nun gut«, knurrte er mürrisch. »Trinken Sie Ihr Bier. Aber dann verlassen Sie die Bar!«
»Ich gehe, wann es mir beliebt«, erwiderte Oliver. »Aber bitte, rufen Sie ruhig die Polizei! Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen!« »Wir sprechen uns noch«, sagte Huber, drehte sich wütend um und ging in das kleine Hinterzimmer zurück. Laut knallte er die Tür hinter sich zu. »Das hättest du nicht tun dürfen«, sagte Leila, die die Szene mit weit aufgerissenen Augen verfolgt hatte. Sie ahnte, dass Huber diese Niederlage nicht auf sich beruhen lassen würde. Oliver war in Gefahr! Dieser Gedanke ließ sie erschauern. »Warum setzt du dich nicht?«, fragte Oliver und rückte ihr einen Stuhl zurecht. »Oliver, begreif doch! Du hast eine fürchterliche Dummheit begangen! Er hat unser Gespräch gestern Abend abgehört!«, raunte sie ihm zu und sah sich ängstlich um. »Prima!«, freute sich Oliver. »Dann weiß er ja auch, dass wir heiraten werden! Pack deinen Koffer! Wir gehen!« »Oliver, das geht nicht«, sagte sie beschwörend. »Ich muss hierbleiben! Mein Leben ist gefährdet, und deines jetzt ebenfalls! Ich mache mir solche Sorgen! Bitte, bitte geh! Vergiss mich! Du findest eine andere! Eine, die besser zu dir t!« »Ich will aber dich«, sagte Oliver störrisch. »Was soll ich mit einer anderen? Ich hatte genug! Aber ich habe noch niemals ein Mädchen so geliebt wie dich!« »Das geht vorüber!« Sie lächelte schwach. »Ich kann nicht länger bei dir bleiben! Leb wohl, Oliver! Schade, dass wir uns nicht früher kennengelernt haben! Vielleicht wäre dann manches anders gekommen!« Bevor er noch etwas erwidern konnte, war sie davongehuscht. »Monika!« Oliver war aufgesprungen und schaute ihr verständnislos nach. Doch dann sagte er sich, dass es vielleicht wirklich besser wäre, ihr jetzt nicht zu folgen, dass es besser wäre, zu verschwinden. Doch das letzte Wort war für ihn in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen! Er würde um sein geliebtes Mädchen kämpfen! Er würde sie aus dieser Hölle befreien.
Missmutig bezahlte er seine Getränke und verließ grußlos die Bar. Er bemerkte nicht, dass Huber ihm hasserfüllt nachstarrte. Deprimiert stieg Oliver in seinen Wagen und brauste davon. Er stellte das Radio auf volle Lautstärke und raste mit überhöhter Geschwindigkeit über die Landstraße. Im Scheinwerferlicht seines Autos sah er eine gefährliche Kurve auf sich zukommen und versuchte, den Wagen abzubremsen. Doch die Bremsen reagierten nicht. Verzweifelt versuchte der junge Mann, sein Fahrzeug auszusteuern. Doch es geriet ins Schlingern, drehte sich einmal um sich selbst, durchbrach die Leitplanke und knallte gegen einen Baum. Oliver spürte den Aufprall, merkte auch noch, wie ihm etwas wie Feuer in die Augen fuhr. Dann wurde es um ihn dunkel, entsetzlich dunkel. Alois Huber saß im kleinen Hinterzimmer des »Bel Ami« und blätterte nervös in einer Illustrierten, als sein ständiger Begleiter Lothar Stenzel eintrat und ihm fröhlich zuzwinkerte. »Es hat funktioniert«, sagte er beinahe stolz und ließ sich neben Huber in einen kleinen Cocktailsessel fallen. Er fingerte eine Zigarette aus der Tasche, zündete sie an und blies den Rauch in kleinen Kringeln an die verräucherte Decke. »Wenn der da lebend herauskommt, fresse ich einen Besen«, fuhr er fort. »Es ist halt doch gut, dass ich einmal Kraftfahrzeugmechaniker gelernt habe! Es kommt einem immer wieder zugute. Ich glaube, der Kerl hat den Schlag nicht mehr gehört! Jedenfalls wird er das Mädchen nicht mehr belästigen, und die Kohlen können weiter rollen!« »Sehr gute Arbeit«, lobte Huber seinen Killer. »Hier, ich habe schon einen Scheck für dich vorbereitet! Ich hoffe, du bist zufrieden!« Er reichte das Papier an Lothar, der einen flüchtigen Blick darauf warf und es dann achtlos in die Tasche steckte. »Danke«, sagte er knapp. »Nun, dann werde ich mich jetzt noch einmal mit der Puppe unterhalten«, meinte Huber vergnügt und erhob sich. »Lass dir etwas zu trinken geben. Ich brauche dich im Augenblick nicht!« Huber nickte seinem Adjutanten noch einmal freundlich zu, dann ging er hinaus in die Bar und setzte sich neben Leila. Das Mädchen blickte nur kurz auf. Dann starrte sie wieder traurig auf die Theke. »Na, hast du immer noch Kummer?«, erkundigte sich Huber scheinheilig.
»Brauchst dir keine Gedanken mehr zu machen! Du sollst sehen, dass ich auch ein Mensch bin! Ich kürze deine Beteiligung an unserem gemeinsamen Geschäft nicht! Habe halt etwas für dich übrig!« »Nanu, wie komme ich zu dieser Ehre?«, fragte Leila misstrauisch. »Ich sagte doch, ich habe etwas für dich übrig«, meinte Huber gönnerhaft. »Außerdem hat sich unser kleines Problem fast von selbst gelöst!« »Wie soll ich das verstehen?«, fragte Leila. Sie war plötzlich hellwach geworden und witterte eine Gemeinheit. »Lothar ist eben zurückgekommen«, erzählte Huber spöttisch. »Er ist kurz vor Babenhausen zufällig Zeuge eines Unfalls geworden! Wirklich rein zufällig! Ich glaube, bei dem Betroffenen handelt es sich um jenen lästigen Freier, über den wir uns vorhin eingehend unterhalten haben!« Leila sah Huber entsetzt an. Sämtliche Farbe war aus ihrem hübschen Gesicht gewichen. Sie klammerte sich verzweifelt an die Theke, um nicht umzufallen. »O du Schwein!«, stammelte sie tonlos. »Du hast Oliver umgebracht!« Es sah einen Augenblick so aus, als wollte sie sich auf den Barbesitzer stürzen. »Wie kannst du so etwas behaupten?«, tat Huber beleidigt. »Ich kann keiner Fliege etwas tun! Ich und einen Menschen umbringen? Lächerlich! Lothar wurde tatsächlich aus purem Zufall Zeuge des Unfalls! Er war genauso entsetzt wie ich!« Huber grinste sie heuchlerisch an und versuchte ihr die Hand zu tätscheln. »Rühr mich nicht an!«, schrie Leila und zog ihre Hand von der Theke, als hätte sie in Feuer gegriffen. »Versuche das niemals wieder! Jetzt ist es aus! Das Maß ist voll! Jetzt gehe ich zur Polizei und packe aus! Huber, jetzt bist du dran! Ich habe keine Angst mehr vor dir! Jetzt ist es mir egal, was du mit mir tust! Du wirst nicht einmal die Genugtuung haben, mich schreien zu hören! Nein, diese Freude werde ich dir nicht machen!« »Mach dich doch nicht lächerlich, Kindchen«, sagte Huber sanft. »Ich schwöre es dir: Ich habe mit diesem Unfall nicht das geringste zu tun! Gut, ich hatte
vorhin eine Auseinandersetzung mit deinem Liebhaber, aber deswegen bringe ich ihn doch nicht gleich um. Außerdem weiß ich ja nicht mal mit Sicherheit, ob es überhaupt dein Herzallerliebster war, der da verunglückt ist! Lothar vermutet es nur! Weil es der gleiche Wagen war, den auch dein Oliver fährt! Aber bitte! Du sollst sehen, dass ich großzügig bin und deine Bemerkung vergessen habe: Du hast frei für heute und kannst dich selbst überzeugen! Sieh nach, ob es dein Schatz ist! Soll ich dich zum Unfallort bringen? Sogar das würde ich für dich tun! Begreife endlich, dass ich gar nicht der Mensch bin, für den du mich hältst!« »Ich weiß schon lange, was Sie für ein Mensch sie sind«, sagte Leila kalt. Sie war plötzlich ruhig geworden, obwohl ihr die Angst um Oliver fast das Herz abdrückte. Aber dieser Ausgeburt der Hölle wollte sie ihre Schwäche nicht zeigen. »Ich kann also gehen?« »Bitte!« Huber machte eine einladende Handbewegung zur Tür. . »Wenn es Oliver ist, werden Sie keine ruhige Minute mehr in Ihrem Leben haben«, sagte Leila. Sie erhob sich und ging, ohne noch einen Blick auf Huber zu werfen, aus der Bar. Erst als sie in ihrem kleinen Wagen saß, traten ihr Tränen in die Augen, und sie weinte hemmungslos. »Oliver!«, stöhnte sie verzweifelt. Sie legte ihren Kopf auf ihre Hände, die das Lenkrad umklammert hielten, und schluchzte. Doch dann wischte sie sich energisch die Tränen aus dem Gesicht, ließ den Wagen an und fuhr los. Schon von weitem erkannte sie die Lichter der Rettungs- und Polizeifahrzeuge. Ein Beamter stand mit einer rot leuchtenden Kelle mitten auf der Fahrbahn und gebot ihr, zu halten. Leila parkte ihr Fahrzeug am Straßenrand und stieg aus. »Wo wollen Sie hin?«, erkundigte sich der Polizist und hielt sie am Arm fest. »Dort werden keine Neugierigen gebraucht! Es ist schlimm genug! Stören Sie nicht auch noch unsere Arbeit!« »Ich glaube den Verunglückten zu kennen«, sagte das Mädchen leise. »Woher wollen Sie das wissen?«, fragte der Beamte unfreundlich. »Wir haben die Angehörigen doch noch gar nicht benachrichtigt!«
»Ich bitte Sie!«, flehte Leila unter Tränen. »Lassen Sie mich zur Unfallstelle! Mein Verlobter ist vor kurzem in diese Richtung gefahren! Lassen Sie mich bitte hin! Bitte.« Der Beamte kratzte sich nachdenklich am Kopf. Doch dann wurde er von einem anderen Fahrzeug abgelenkt, das ebenfalls auf den Unfallort zufuhr. Diesen Moment nutzte Leila aus. Sie huschte an ihm vorbei und rannte in Richtung der blinkenden Lichter. Im Schein einiger Lampen erkannte sie eine Gestalt, die am Boden lag. Ein Mann, anscheinend ein Arzt, hatte sich darüber gebeugt und untersuchte den regungslosen Körper. Mit klopfendem Herzen trat Leila näher. Der Arzt blickte unwillig auf. »Was gibt es?«, fragte er kurz. »Ist er tot?«, erkundigte sich Leila bebend. Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, er lebt noch«, murmelte er und setzte seine Untersuchung fort. Das Mädchen hatte er schon fast wieder vergessen. Leila war inzwischen noch näher an den regungslosen Körper getreten. Plötzlich schrie sie entsetzt auf. Sie hatte ihn erkannt.« »Oliver!«,stöhnte sie und kniete sich neben dem Arzt nieder, der erstaunt aufsah. »Sie kennen ihn?«, Leila nickte stumm. »Er hat verdammtes Glück gehabt«, sagte der Arzt. »Soweit ich erkennen kann, hat er außer ein paar Knochenbrüchen nichts abgekriegt. Nur seine Augen gefallen mir nicht! Er scheint mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt zu sein! Anscheinend drangen ihm dabei Glassplitter in die Augen! Nein, das gefällt mir gar nicht!« »Wer ist denn das?« ,hörte Leila eine energische Stimme hinter sich. Als sie sich umschaute, erkannte sie einen Polizisten, der sie mit einer Taschenlampe anleuchtete. »Was suchen Sie hier? Wie sind Sie überhaupt hierhergekommen?«
»Die Dame kennt den Verunglückten«, erklärte der Arzt. »So?«,l sagte der Beamte etwas freundlicher. »Na, dann kommen Sie mal mit zu unserem Wagen!« »Wird... wird er davonkommen?«, wandte sich Leila noch einmal an den Arzt. »Ja, sicher!«, sagte dieser freundlich. »Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen! Lebensgefährlich sind seine Verletzungen voraussichtlich nicht! Näheres kann man natürlich erst im Krankenhaus feststellen!« »Danke!«, hauchte Leila und erhob sich. Mit taumelnden Schritten folgte sie dem Polizisten zu seinem Fahrzeug. Als sie eben einsteigen wollte, erkannte sie Huber, der an einen Baum gelehnt in der Nähe des Polizeifahrzeuges stand und sie drohend ansah. Unmerklich legte er den Finger auf die Lippen und deutete dann mit dem Kinn in Richtung des verletzten Oliver. Leila war es, als griffe eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen. Hubers Drohung war eindeutig! Wenn sie nicht schweigen würde, war Olivers Leben in Gefahr! Nichts anderes sollte Hubers Geste bedeuten! Wieder einmal kam sie nicht aus diesem Teufelskreis heraus! Mit einem schmerzlichen Lächeln wandte sie den Kopf zur Seite und folgte dem Beamten in seinen Wagen.
9
Monika Breitenbach saß in einem schlichten Kostüm im Zimmer des Chefarztes, und nichts deutete darauf hin, welchem Beruf sie abends als Leila im »Bel Ami« nachging. Sie lauschte aufmerksam den Worten des Arztes. Dr. Mayer sagte ihr unbarmherzig die ganze Wahrheit. Jedes Wort des Arztes versetzte ihrem Herzen einen schmerzhaften Stich. Doch obwohl es in ihrem Innern brodelte, zeigte sie sich nach außen gefasst. Dr. Mayer bewunderte insgeheim diese junge Frau. »Und es gibt wirklich keine Hoffnung, sein Augenlicht zu erhalten?«, fragte sie den Arzt. Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nein«, erwiderte er. »Natürlich kann man zu diesem Zeitpunkt noch nichts Endgültiges sagen, aber wie es eben aussieht...! Nein! Es tut mir aufrichtig
leid für Sie und natürlich insbesondere für den jungen Mann! Es wird nicht leicht für ihn sein! Hat er noch Angehörige?« »Soviel ich weiß, nicht!«, antwortete Monika leise. »Aber er hat Sie«, meinte der Arzt. »Sie sind ein tapferes Mädchen! Sie werden ihm den nötigen Lebensmut geben, da bin ich ganz sicher! Ich bewundere Sie!« Monika senkte beschämt den Kopf. Sie hatte doch nur getan, was ihr das Herz eingab. Nach ihrer Vernehmung durch die Polizei, bei der sie nur die Identität Olivers bestätigte und sich als seine Verlobte ausgab, war sie mit dem Notarztwagen in die Klinik gefahren. Nervös hatte sie die ersten Untersuchungen abgewartet. Sie hatte eine Zigarette nach der anderen geraucht und war unruhig im Zimmer auf und ab gewandert. Erst zwei Stunden später bekam sie die Mitteilung, dass Oliver nicht lebensgefährlich verletzt war. Einigermaßen beruhigt fuhr sie zurück ins »Bel Ami«, wo sie von Huber bereits ungeduldig erwartet wurde. »Wird er überleben?«, fragte er und sah sie ungeduldig an. Leila nickte. Ihr war es, als atme Huber unwillkürlich auf. »Glauben Sie immer noch, ich hätte etwas mit dem Unfall zu tun?« Sie wunderte sich. Huber war plötzlich höflich zu ihr. Anscheinend steckte auch ihm die Angst in den Knochen. Und im Augenblick musste er sich vor dem Mädchen in acht nehmen. Sie schien zu allem entschlossen zu sein. Das te nicht in seinen Plan. Also gab er sich wieder einmal als vollendeter Kavalier. »Ich bin sogar davon überzeugt, dass Sie etwas mit dem Unfall zu tun haben«, sagte sie. »Obwohl die Polizei keine gewaltsame Einwirkung von außen festgestellt hat. Nach ihrer Auffassung ist Oliver zu schnell in die Kurve gefahren. Ihr Killer hat perfekte Arbeit geleistet!« Kein Muskel rührte sich in Hubers Gesicht. Er sah sie nur ernst an. »Sie sollen meinen guten Willen sehen«, sagte er leise. »Ich habe nichts mehr dagegen, wenn Sie mit dem jungen Mann zusammenbleiben! Sie müssen verzeihen, dass ich heute Abend so ungehalten war! Mir ging es nur um mein Geschäft! Es tut mir wirklich leid!« »Was ist denn auf einmal mit dem großen Huber los?«, fragte Leila verblüfft.
»Sie haben doch nicht etwa Angst vor mir?« »Fühlen Sie sich nicht zu stark, mein Kind«, knurrte Huber unwillig. »Ich will Ihnen nur beweisen, dass ich wirklich nichts mit dem Unfall zu tun habe! Ansonsten bleibt alles beim alten!« Er erhob sich, nickte ihr noch einmal bedeutungsvoll zu und ging in das kleine Hinterzimmer. Wenig später verließ er mit seinen Begleitern das Lokal. Leila, oder besser Monika, ging bereits am nächsten Tag wieder in die Klinik. Da sie sich als Olivers Verlobte ausgab, bereitete es ihr keinerlei Schwierigkeiten, zu dem Kranken vorgelassen zu werden. »Aber nicht länger als ein Viertelstündchen«, mahnte die Stationsschwester. »Und zeigen Sie dem Kranken bitte nicht, dass Sie sich Sorgen machen. Ich weiß, es ist schwer, aber es ist entscheidend für seine Genesung! So, und jetzt kommen Sie bitte mit!« Die Krankenschwester führte Monika über einen langen Gang und öffnete fast geräuschlos eine der vielen Türen. »Sie haben Besuch, Herr Mai«, sagte sie leise. »Ihre Verlobte ist da! Ich lasse Sie jetzt allein.« Sie nickte dem Mädchen noch einmal aufmunternd zu, dann huschte sie aus dem Zimmer. Als Monika den Kranken, der allein in dem kleinen Raum lag, sah, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Tapfer unterdrückte sie die aufsteigenden Tränen und ging mit einem fröhlichen »Hallo, Oliver!«, zu seinem Bett. Oliver hatte den Kopf mühsam nach der Tür gedreht, als Schwester Barbara und Monika eintraten. Seine Augen waren von einer dicken Mullbinde verdeckt. Sein rechter Arm lag in einem Gipsverband, und auch seine nackte Brust war umwickelt. Als er Monikas Stimme vernahm, verzog sich sein Gesicht zu einem glücklichen Lächeln. Monika hatte sich inzwischen auf das Bett gesetzt, zart seine geschwollenen Lippen geküsst. Oliver streichelte ihr mit seiner gesunden Hand über das Haar. Monika unterdrückte mühsam ein Schluchzen. »Schön, dass du gekommen bist«, sagte Oliver langsam. »Ich habe es nicht zu
hoffen gewagt!« »Du bist ein Dummer«, flüsterte sie. »Ich liebe dich doch!« »Du machst mich zum glücklichsten Menschen der Welt«, sagte Oliver. »Vor allem nach den Vorgängen vom vergangenen Abend! Ich dachte schon, du wolltest nichts mehr von mir wissen!« »Du sollst nicht denken«, lächelte Monika und streichelte sanft seine Hand. »Vergessen wir doch einfach, was ich gestern Abend gesagt habe! Ich will bei dir bleiben für immer!« »Und Huber? Was wird er sagen?« »Erwähne diesen Namen nicht«, rief Monika kalt. »Außerdem hat er mir erlaubt, dass wir beide zusammenbleiben, sozusagen als Rechtfertigung! Ich habe ihn verdächtigt, an deinem Unfall nicht ganz schuldlos zu sein. Die Untersuchungen der Polizei haben aber ergeben, dass an deinem Wagen nichts Ungewöhnliches war!« »Die Bremsen haben versagt«, murmelte Oliver nachdenklich. »Und ich hatte den Wagen erst vor kurzem in der Inspektion!« »Er war es, da gibt es keinen Zweifel«, sagte Monika. »Doch wir können es nicht beweisen! Aber eines Tages kriege ich ihn! Darauf kannst du dich verlassen!« »Willst du denn weiter für ihn arbeiten?«, fragte Oliver betroffen. »Ich muss«, erwiderte Monika traurig. »Komm, lass uns jetzt von etwas anderem reden! Wie fühlst du dich, Liebling? Hast du große Schmerzen?« »Sie sind auszuhalten!« Oliver lächelte verkrampft. »Wenn nur nicht diese grässliche Dunkelheit um mich wäre! Der Doktor sagt, es sind noch ein paar Glassplitter in meinen Augen! Es wird noch eine Weile dauern, bis ich wieder richtig sehen kann! Es ist schrecklich! Man ist so hilflos, und ich habe doch niemanden, der sich um mich kümmert!« »Doch, du hast jemanden«, sagte Monika. »Du hast mich! Ich werde für dich dasein und dir, bis du wieder sehen kannst, deine Augen ersetzen!«
»Das willst du wirklich für mich tun?«, fragte Oliver. »Dann habe ich keine Angst mehr vor der Dunkelheit! Und allzu lange wird es wohl nicht dauern, bis meine Augen wieder in Ordnung sind! Aber dann wird geheiratet!« »Ja, mein Liebling! Dann wird geheiratet!« Das war vor knapp einer Woche gewesen. Und jetzt saß Monika beim Chefarzt und erfuhr die ganze schreckliche Wahrheit: Oliver würde niemals wieder sehen können! »Seien Sie tapfer, Fräulein Breitenbach«, mahnte der Arzt. »Wenn Sie jetzt auch noch den Mut verlieren, weiß ich mir keinen Rat mehr! Wir müssen den Kranken schonend auf sein Schicksal vorbereiten! Wollen Sie mir dabei helfen? Nur Ihnen traue ich es zu, ihn von dem Schlimmsten abzuhalten!« »Ich will alles für ihn tun, was in meiner Macht steht«, flüsterte das Mädchen und schluckte tapfer die aufsteigenden Tränen hinunter. »Danke«, sagte der Arzt gütig. »Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann! Kommen Sie mit! Wir wollen es Ihrem Verlobten sagen!« Mit hängendem Kopf folgte Monika dem Arzt in Olivers Zimmer. »Bist du es?«, rief der Patient, als sie ins Zimmer traten. »Ja, Oliver«, entgegnete Monika und versuchte ihrer Stimme einen heiteren Klang zu geben. Sie setzte sich neben den Kranken und fasste nach seiner Hand. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper. »Was hast du?«, fragte Oliver besorgt. »Ist dir nicht gut?« »Es ist nichts, Liebling«, hauchte Monika, beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn liebevoll auf den Mund. »Oliver«, sagte sie dann mit zitternder Stimme. »Mein Liebling, du musst jetzt ganz tapfer sein, hörst du? Chefarzt Doktor Mayer ist bei mir! Er muss dir etwas sagen! Denke bei allem, was er sagt, nur an eines: Ich bin bei dir und werde immer bei dir bleiben! Was auch geschieht! Hörst du?« Oliver setzte sich erregt im Bett auf.
»Was ist nur los? Meine Augen! Es geht um meine Augen! Was ist damit?« »Ja, es geht um Ihre Augen«, sagte der Arzt leise. »Ich werde blind bleiben!«, schrie Oliver entsetzt. »Das ist es doch, was ihr mir sagen wollt!« Er schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte hemmungslos. »Ich bin blind! Blind! Blind! Warum bin ich nicht tot? Ich will nicht mehr leben!« »Du musst leben, Oliver«, sagte Monika sanft. »Was soll ich denn ohne dich tun? Ich brauche dich doch so!« »Was willst du denn mit einem Blinden anfangen?«, schrie Oliver mit tränenerstickter Stimme. »Ich bin dir doch nur eine Last! Ein Krüppel, der zu nichts taugt!« »Das sollst du nicht sagen«, beschwor ihn Monika. »Du wirst nie eine Last für mich sein, das verspreche ich dir!« »So etwas kann man nicht versprechen«, sagte Oliver bitter. »Ja, anfangs macht es dir vielleicht noch nichts aus! Aber später, nach ein, zwei Jahren, dann spürst du plötzlich die Last der Verpflichtung, die du dir aufgeladen hast! Du fängst an, mich zu hassen, und wünschst meinen Tod herbei!« »Bitte, Oliver! Sag so etwas nicht!«, schluchzte Monika. »Glaube mir, es gibt nichts Schöneres für mich, als dir helfen zu können. Ich bin glücklich, dass ich endlich eine sinnvolle Aufgabe habe!« »Außerdem wird es auch für Sie gewiss eine Möglichkeit geben, weiterhin am Leben teilzunehmen«, mischte sich der Arzt ein. »Sie können an Kursen teilnehmen, die speziell für Sehbehinderte abgehalten werden. Ja, es dürfte doch sogar möglich sein, durch eine gewisse Übung wieder Ihren alten Beruf zu ergreifen! Sie sind Pianist? Ich sehe da überhaupt keine Schwierigkeit! Denken Sie an Ray Charles, den farbigen Sänger! Wenn er an seinem Flügel sitzt, merkt man nicht, dass er blind ist! Und ich könnte Ihnen noch mehr Beispiele nennen! Sie dürfen nur nicht den Kopf hängenlassen und aufgeben! Dann allerdings kann Ihnen keiner helfen! Ich schlage sogar vor, dass Sie sich nach einer gewissen
Zeit noch einmal von einem Augenspezialisten untersuchen lassen! Vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit, Ihnen durch eine Operation das Augenlicht zurückzugeben! Sie brauchen noch nicht die Hoffnung zu verlieren!« Der Arzt nickte Monika ermutigend zu und verließ das Zimmer. »Oliver! Lass den Kopf nicht hängen!«, bat Monika verzweifelt. »Wir beide werden es schaffen, verlass dich drauf! Du hast gehört, dass immer noch Hoffnung besteht.« »Es ist verdammt schwer, daran zu glauben«, seufzte Oliver und lehnte seinen Kopf an Monikas Brust. Er schien ruhiger geworden zu sein. Monika atmete erleichtert auf. »Wird es dir auch wirklich nicht zuviel?«, fragte er beklommen. »Wir kennen uns erst seit kurzer Zeit, und schon lädst du dir eine solche Bürde auf! Du weißt nicht einmal, ob ich das überhaupt wert bin.« »Du bist es mir wert«, sagte Monika einfach. »Ich liebe dich! Du hast mir endlich wieder das Gefühl gegeben, eine Frau zu sein, die gebraucht wird, die nicht nur als Lustobjekt zu dienen hat!« »Wirst du deinen ...«, er zögerte einen Moment »deinen Beruf aufgeben?« »Nein«, sagte sie gepresst. »Das kann und darf ich nicht! Ich muss weiter für Huber arbeiten, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, eines Tages von ihm befreit zu werden. Dann wird es deine Aufgabe sein, mich diese schreckliche Zeit vergessen zu lassen! Du siehst, nicht nur ich lade mir, wie du so schön sagst, eine Bürde auf! Auch an dich wird eines Tages eine Forderung gestellt. Ja, schon heute verlange ich von dir, dass du mir hilfst, diesen elenden Beruf zu vergessen. Wenigstens in den Stunden, in denen wir beide zusammen sein werden!« Sie neigte ihren Kopf zu ihm hinunter und küsste ihn. Oliver umklammerte sie mit beiden Armen, als wolle er sie niemals mehr im Leben loslassen. Er hatte eine Heimat gefunden. Was hatte sein Freund Rolf gesagt, als er ihm von seiner Liebe zu ihr erzählt hatte? »Ein Freudenmädchen liebt man nicht!« Doch! Er liebte dieses Mädchen! Er liebte eine Prostituierte, die ihren Körper für Geld verkaufte! Aber dieses Mädchen hatte ein Herz! Ein Herz, wie er es bei seinen anderen Liebschaften, auch bei Bettina, vermisst hatte!
10
Kurz nachdem Oliver Mai aus dem Krankenhaus entlassen worden war, zog Monika Breitenbach mit Hubers Einverständnis in Olivers Apartment ein. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts mehr dagegen habe, wenn du mit dem jungen Mann zusammenbleibst! Du solltest nur deine Arbeit nicht vernachlässigen, sonst ziehe ich wieder andere Saiten auf«, hatte Huber spöttisch gesagt, als sie mit ihrem Anliegen herausrückte. »Was du tagsüber treibst, ist deine Angelegenheit. Das interessiert mich überhaupt nicht! Aber abends hast du hier anzutanzen und deine Pflicht zu tun! Denk an deinen blinden Freund! Ich glaube, weiter brauche ich dir nichts zu sagen! Und komm mir niemals auf die Idee, zur Polizei zu rennen! Mein Arm erreicht dich sogar noch aus dem Gefängnis, glaube mir, mein Kind! Also bleib ein braves Mädchen! Unsere Zusammenarbeit hat doch bisher recht gut geklappt, wenn man mal von einer Ausnahme absieht, nicht wahr?« Er duzte sie wieder. Das war ein Zeichen, dass er sich nun sicherer fühlte. »Ich hatte nicht mit allen so viel Geduld wie mit dir! Ich hatte halt schon immer etwas für dich übrig! Eigentlich tut es mir sogar leid, dass du dich für diesen Schnösel entschieden hast! Wir beide hätten auch ein recht schönes Paar abgegeben, meinst du nicht auch?« Monika würdigte ihn keiner Antwort. Huber lachte. »Was nicht ist, kann noch werden«, spottete er. »Du kannst jetzt gehen! Grüße deinen Liebling von mir!« Monika hörte ihn noch lachen, als sie längst sein Büro verlassen hatte. Erleichtert fuhr sie zurück zu Oliver, der sie schon sehnlichst erwartete. Die nächsten Tage verliefen ruhig. Tagsüber führten Monika und Oliver fast ein normales Eheleben. Wenn Oliver am Morgen erwachte, duftete die ganze Wohnung schon nach Kaffee und frischen Brötchen. Monika brachte ihm das Frühstück ans Bett und schlüpfte selbst noch ein wenig unter seine Decke.
Liebevoll half sie ihm beim Essen und verhätschelte und verwöhnte ihn, wo sie nur konnte. Es machte dem Mädchen großen Spaß, sich endlich einmal nützlich machen zu können. Über ihren ausgefallenen Beruf verloren sie kein Wort mehr. Wenn sie abends aus dem Haus ging, setzte sich Oliver an seine Orgel und übte stundenlang. So ging auch für ihn die Zeit schneller herum, und oft wunderte er sich, dass sie schon wieder nach Hause kam. Er beendete dann sofort sein Spiel und unterhielt sich noch eine Weile mit ihr. Auch seine Kollegen von den »Music Jokers« besuchten ihn oft. Sie akzeptierten Monika ohne viele Worte, ja sie bewunderten und verehrten sie, da sie sich so viel Mühe mit ihrem Freund machte. Welchem Beruf sie nachging, wusste außer Rolf keiner. Und Rolf schwieg. Er hatte seine Meinung über Monika geändert. Heute hatte er große Hochachtung vor ihr, und er zeigte es ihr, wo er nur konnte. Die Kapelle spielte während Olivers Abwesenheit mit einem Ersatzorganisten. Aber schon schmiedeten sie wieder gemeinsame Pläne. Oft brachten sie ihre Instrumente mit und übten mit Oliver gemeinsam. Da man allgemein wusste, welches Schicksal Oliver hatte, akzeptierten die anderen Hausbewohner das schweigend. Und Oliver? Er fühlte sich trotz seines Leidens glücklich. Monika hatte ihm den Lebensmut zurückgegeben. Er glaubte wieder an eine Zukunft! An eine Zukunft mit Monika und seiner Musik! »Was soll ich ohne dich machen?«, sagte er mehr als einmal zu ihr. »Du bist mein Leben! Ohne dich wäre ich nichts! Oh, wie ich dich liebe!« Monika lächelte glücklich und schmiegte sich an ihn. Auch sie war in den letzten Tagen ein anderer Mensch geworden. Selbst wenn sie in den Armen fremder Männer lag, dachte sie nur an Oliver und sehnte sich danach, bald zu ihm nach Hause zurückzukehren. Der Gedanke an ihn verlieh ihr die Kraft, all diesen Schmutz zu ertragen. Ich tue es für Oliver, dachte sie. Ich tue es nur für ihn! Ohne ihn wäre ich verloren gewesen. Für immer verloren! Lange hätte ich es nicht mehr ertragen. Ich hätte Schluss gemacht. Jetzt aber braucht mich jemand!
11
Monika war zum Friseur gegangen. Oliver saß an seiner Orgel und übte ein neues Stück ein. Es klappte immer besser. Bald würde er wieder auf seiner geliebten Bühne stehen und musizieren können. Er freute sich unbändig darauf. Dann würde er vielleicht auch Gelegenheit finden, einmal mit Huber zu sprechen. Er würde sein geliebtes Mädchen von dem Schurken freikaufen! Lieber wollte er sein ganzes Leben lang an diesen Kerl bezahlen, als dass sie noch länger diesem Beruf nachging. Oliver lächelte glücklich, als er daran dachte, dass Monika dann nur noch ihm gehören würde, ein ganzes Leben lang! Da klingelte es an der Wohnungstür. Oliver unterbrach sein Spiel und tastete sich zur Tür. Auch darin hatte er mittlerweile Übung. Es klappte von Tag zu Tag besser. Er fühlte sich schon fast wieder sicher. »Wer ist da?«, rief er, als er an der Tür angekommen war. »Ich bin’s! Bettina!«, hörte er eine vertraute Stimme. »Mach schon auf.« Oliver knurrte unwillig etwas in den Bart, öffnete dann jedoch die Tür. Schließlich konnte er das Mädchen nicht gut davor stehenlassen. Freuen konnte er sich über diesen unerwarteten Besuch nicht. Seit ihrer Trennung hatte er nichts mehr von Bettina gehört. Er fragte sich, was sie jetzt von ihm wollte. »Hallo, Oliver«, rief sie fröhlich, nachdem sie eingetreten war. Noch bevor er den Kopf zur Seite drehen konnte, hatte sie ihn umarmt und geküsst. »Was soll das?«, knurrte er unwillig. »Was willst du überhaupt von mir?« »Sei nicht albern«, sagte Bettina und lachte. »Man wird doch mal einen alten Freund besuchen dürfen! Kann ich dir helfen?« Sie griff nach seiner Hand. Er entzog sie ihr sofort. »Es geht schon«, brummte er. »Komm rein! Aber nicht lang.« »Es ist deiner Holden wohl nicht recht, wenn du andere Frauen empfängst,
was?« Sie lachte spöttisch. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, setzte sie sich in einen Sessel und steckte sich eine Zigarette an. »Ich wollte dich schon lange einmal besuchen«, plapperte sie los. »Aber es kam immer etwas dazwischen. Du weißt ja, wie das ist! Ich war natürlich wie vom Donner gerührt, als ich hörte, was dir iert ist! Der arme Oliver, dachte ich!« »Wie rührend«, unterbrach Oliver sie sarkastisch. »Mir kommen gleich die Tränen!« »Wirklich, du hast mir sehr leid getan, und ich überlegte, wie ich dir helfen könne!« »Ich brauche deine Hilfe nicht«, knurrte Oliver ungerührt. »Mir geht es sehr gut, und ich hoffe, bald wieder Musik machen zu können!« »Ich habe davon gehört«, meinte sie. »Aus diesem Grund komme ich auch zu dir! Du wirst jemanden brauchen, der dich begleitet, der dich zu deinen Auftritten bringt und so weiter! Deine neue Flamme hat abends ja wohl keine Zeit, nicht wahr?« Bettina beobachtete befriedigt, wie Oliver zusammenzuckte. »Sie hat ja wohl einen recht eigenartigen Beruf!«, bohrte sie weiter. »Man hört so allerhand, weißt du!« »Monika arbeitet als Serviererin«, sagte Oliver und versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Bettina verzog spöttisch das Gesicht. »Serviererin?«, rief sie mit erhobener Stimme. »Mach mir doch nichts vor, Oliver! Sie ist eine billige Nutte!« Es klatschte. Oliver hatte bei Bettinas Worten blindlings zugeschlagen. Wo er sie traf, war ihm in diesem Augenblick gleichgültig. Die Zigarette fiel ihr aus dem Mund und brannte ein Loch in den Teppich. Bettina saß mit offenem Mund da und rieb sich erschrocken die Wange. »Und sie ist doch eine Hure!«, schrie sie außer sich vor Wut. »Ein billiges Flittchen, das jeder haben kann! Oh, Oliver, wie tief bist du gesunken!« Sie lachte hysterisch. Oliver ließ sich in einen Sessel fallen. Woher wusste sie, was Monika tat? Ob Rolf geredet hatte? Bestimmt nicht!
»Jetzt bist du sprachlos, was, spottete sie. »Bettina Winter weiß alles, mein Lieber! Ich bin ja nicht von gestern! Da hast du dir ja was Schönes angelacht! Alle Achtung.« »Sie ist mehr wert als hundert von deiner Sorte«, sagte Oliver gepresst. »Und sie hat dir eines voraus: Ich liebe sie!« »Du bist verrückt, mein Lieber«, meinte Bettina spöttisch. »Du machst dich lächerlich! Man wird mit Fingern auf dich zeigen. Wenn du zum ersten mal wieder an deiner Orgel stehst, wird man dich auslachen und auspfeifen, verlass dich drauf! So etwas spricht sich schnell herum!« »Ja, das traue ich dir ohne weiteres zu«, murmelte Oliver. »Du wirst dafür sorgen, dass es jeder erfährt!« »Jawohl«, rief sie. »So klein wirst du sein, mit Hut!« Sie machte die entsprechende Bewegung mit Daumen und Zeigefinger. Dann fiel ihr ein, dass Oliver es ohnehin nicht sehen konnte, und sie senkte die Hand wieder. »Ich habe keine Angst vor dir«, sagte Oliver kopfschüttelnd. »Ich habe nichts zu verbergen und Monika erst recht nicht! Monika arbeitet als Serviererin in einer berüchtigten Bar, gut, das gebe ich zu! Alles andere ist deiner schmutzigen Phantasie entsprungen!« »Lächerlich! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie sie mit einem zweifelhaften Kerl verschwunden ist! Ja, ich war in dieser Kneipe! Es hat mich interessiert, was deine Herzallerliebste treibt! Mit einem Bekannten, allein kann man als Dame ja nicht in diese Etablissements gehen, bin ich ihr gefolgt. Ich habe sie einen ganzen Abend lang beobachtet! Serviererin! Oliver, du kannst mich nicht für dumm verkaufen! Lass sie sausen! Noch ist Zeit dazu! Oliver! Wir haben uns doch einmal geliebt!« Ihre Stimme klang verführerisch. Oliver jedoch blieb unbeeindruckt. »Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt wieder!« »Schick mich nicht fort, Oliver«, flehte sie ihn an. »Nimm mich in deine Arme und küsse mich! Du wirst es bei mir nicht schlechter haben als bei diesem Weibsstück!« »Raus!«, schrie Oliver unbeherrscht.
»Oliver!« »Raus! Verschwinde! Wo die Tür ist, weißt du ja wohl!« »Gut, ich gehe!«, sagte sie höhnisch. »Aber du wirst diesen Tag bereuen! Eine Bettina Winter wirft man nicht aus der Wohnung, merk dir das! Leb wohl, du ... du Zuhälter!« Oliver zuckte zusammen, als hinter ihr die Tür ins Schloss knallte. Er stützte den Kopf in beide Hände. »Zuhälter«, hatte sie zu ihm gesagt. »Zuhälter!« Aber hatte sie nicht recht? War er denn etwas anderes? Er gestattete es seinem Mädchen, als Prostituierte zu arbeiten., ja er lebte sogar von diesem Geld. Er war auch nicht besser als dieser Huber Warum nur war er so hilflos? Er stöhnte verzweifelt. Nein, das hielt er nicht länger aus! Er musste wieder auf die Bühne! Das war sein Leben! Der Applaus der Massen! Das Rampenlicht! Er würde es nie mehr sehen! Man würde ihn bemitleiden, diesen armen Krüppel, der da hinter seiner Orgel saß. »Nein.!«, schrie er plötzlich gequält auf. »Ich will euer Mitleid nicht! Ich bin kein armer Kerl! Ich bin nicht anders als ihr! Lasst mich doch in Frieden! Ich habe euch doch nichts getan!« Er legte seinen Kopf auf die Tischplatte und weinte hemmungslos. So fand ihn wenig später Monika, die mit einem fröhlichen »Hallo« zur Tür hereingekommen war und jetzt entsetzt auf Oliver schaute. »Schatz! Was hast du denn? Liebling! Oliver!« Mit ein paar Schritten war sie bei ihm und kniete sich neben ihm nieder. Sie legte ihre Arme um ihn. »Oliver!«, bat sie verzweifelt. »Sag mir doch bitte, was geschehen ist! Bitte, Oliver!« Oliver aber schüttelte nur störrisch den Kopf. »Wer hat dir das angetan?«, fragte Monika bebend. »Sag doch endlich etwas!
Oliver! Ist es meine Schuld? Was habe ich falsch gemacht?« Oliver hob den Kopf und starrte sie mit seinen toten Augen verzweifelt an. »Nein«, sagte er gequält. »Es ist nicht deine Schuld! Entschuldige! Ich habe wieder einmal durchgedreht!« Er berichtete ihr mit wenigen Worten von Bettinas Besuch. »Ich habe es geahnt!«, flüsterte sie. »Wir werden keine Ruhe bekommen! Immer wieder wird es Menschen geben, die uns unser Glück nicht gönnen. Aber sie sollen sich irren! Je mehr sie gegen uns hetzen, um so mehr werden uns ihre gehässigen Worte aneinander schweißen!« Oliver nickte und machte einen schwachen Versuch zu lächeln. Er zog ihr Gesicht zu sich hin und küsste sie zärtlich auf ihre bebenden Lippen. Wenig später lagen sie nackt auf dem Teppich und liebten sich mit verzweifelter Hingabe. »Mein Gott, ich hätte ja beinahe etwas vergessen«, rief Monika, als sie wieder nebeneinander auf der Couch saßen und eine Zigarette rauchten. Sie sprang auf und lief zu ihrer Tasche, die sie vorhin bei Olivers Anblick hatte achtlos auf den Boden fallen lassen. Sie kramte eine Weile darin herum und zog schließlich einen zerknitterten Zeitungsabschnitt hervor, mit dem sie zu Oliver zurückkam. »Hör mal zu«, sagte sie aufgeregt, als sie wieder neben ihm saß. »Das habe ich in einer Illustrierten beim Friseur gefunden. Überschrift: >Neue Hoffnung für Blinde, Fragezeichen. Blinde Menschen dürfen wieder hoffen. Doktor Jerry Watson, einer Kapazität auf dem Gebiet der Augenchirurgie, ist es gelungen, einem Blinden, dessen Fall andere berühmte Ärzte als hoffnungslos abgetan hatten, durch eine komplizierte Operation die volle Sehkraft zurückzugeben. Der Geheilte kann wieder ein ganz normales Leben führen und seinem erlernten Beruf als Uhrmacher nachgehen. Doktor Watson betonte, dass diese Operation erstmals in der Welt ausgeführt wurde. Sie sei sehr schwierig und kostspielig. Er hoffe aber, seine neue Methode noch verbessern zu können. Danach werde er sie vor einem Ärztekongress bekanntgeben!< Na, was sagst du jetzt?« Monikas Wangen glühten. Oliver hatte seiner Freundin mit wachsendem Interesse zugehört, doch nun schüttelte er traurig den Kopf. »Das können wir uns nie leisten«, sagte er zerknirscht. »Es wird eine Menge
Geld kosten und das haben wir nicht! Trotzdem danke ich dir, dass du versucht hast, mir wieder Hoffnung zu machen!« »Wer sagt denn, dass wir das Geld nicht haben?«, rief Monika. »Ich habe ein Sparkonto, auf dem sich schon allerhand angesammelt hat. Und den Rest werde ich verdienen! Ich werde morgen an diesen Doktor Watson schreiben! Er muss dir helfen! Ich glaube ganz fest daran! Oliver, ich bin so glücklich!« »Ich werde das niemals im Leben wiedergutmachen können, was du für mich tust«, sagte Oliver leise. »Doch, du kannst es!«, rief Monika mit leuchtenden Augen. »Du kannst es durch deine Liebe!« Seufzend schloss er sie in die Arme und küsste sie.
12
Wie Monika angekündigt hatte, schrieb sie am nächsten Tag einen Brief an Dr. Jerry Watson, dessen Adresse sie bei der Redaktion jener Illustrierten erfragt hatte, die den Artikel über die Operation gebracht hatte. Mit ergreifenden Worten schilderte sie dem Arzt Olivers Schicksal und bat ihn flehentlich, ihm zu helfen. Voller Hoffnung brachte sie den Brief zur Post. Vierzehn Tage später hielt sie die Antwort des Arztes in den Händen. Mit zittrigen Fingern öffnete sie das Kuvert und zog den eng beschriebenen Briefbogen heraus. »Verehrtes Fräulein Breitenbach«, schrieb der Arzt. »Ich habe Ihren Brief erhalten und darf Ihnen versichern, dass mich das Schicksal Ihres Verlobten zutiefst erschüttert hat. Obwohl ich täglich mit diesen armen Menschen zu tun habe, berührt mich ihr Schicksal immer wieder aufs neue. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, ihnen zu helfen, wo ich nur kann. Wenn es Ihnen möglich ist, möchte ich mir Ihren Verlobten einmal ansehen. Erst dann kann ich feststellen, inwieweit eine Operation sinnvoll und erfolgversprechend wäre. Schreiben oder telegrafieren Sie mir bitte umgehend, wann es Ihnen möglich sein wird, in die Vereinigten Staaten zu kommen. Ich
werde dann einen Termin für Sie offenhalten. Zu Ihrer Frage nach den Kosten darf ich Ihnen folgendes mitteilen...« Es folgte eine längere Aufstellung, woraus sich die einzelnen Kostenpunkte zusammensetzten. Alles in allem war es schließlich ein Betrag, den Monika aufbringen konnte. Ja, es blieb ihr sogar noch ein wenig übrig. Der Brief endete: »Ich würde mich freuen, Sie bald bei mir begrüßen zu dürfen. Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Ihr Verlobter darf sich zu solch einer tapferen Braut gratulieren. Sie sind ein Mensch mit einem Herzen aus Gold, gnädiges Fräulein! Ich wollte, alle Menschen wären wie Sie! Dann würde es weniger Hass und Gewalt auf Erden geben. Hochachtungsvoll Ihr sehr ergebener Jerry Watson.« Mit Tränen der Freude in den Augen ließ sie den Brief sinken und ging zu Oliver. Sie las ihm das Schreiben Dr. Watsons vor, ließ aber den letzten Abschnitt, der von ihr handelte, weg. Sie war der Ansicht, dass ihr damit zuviel Ehre angetan wurde. »Nächste Woche fliegen wir«, sagte sie glücklich. . »Hast du denn so viel Geld?«, fragte Oliver besorgt. »Aber ja!«, rief sie lächelnd. »Es wird reichen! Oh, Oliver, ich bin ja so glücklich!« Sie setzte sich strahlend auf seinen Schoß und umarmte ihn. »Jetzt wird alles gut, mein Liebling!«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Jetzt beginnt für uns das Leben! Und mit Huber werden wir dann auch fertig! Ich habe keine Angst mehr vor ihm! Wir werden in eine andere Stadt ziehen. Weit weg von hier. Ich freue mich ja so!« »Freu dich nicht zu früh«, sagte Oliver nachdenklich. »Noch ist die Operation nicht geglückt!« »Sie wird glücken«, sagte Monika. »Ich habe ein gutes Gefühl!« Eine Woche später saßen sie bei Dr. Watson in seiner Klinik in Washington. Der Arzt war ein Mann in mittleren Jahren. Er strahlte väterliche Güte aus. Monika
hatte auf den ersten Blick Vertrauen zu ihm. Er hatte sie freundlich begrüßt und nach ein paar allgemeinen Worten in das Untersuchungszimmer geführt. Jetzt blickte er konzentriert durch seine Apparatur in Olivers tote Augen. Dabei ließ er sich von Monika, die perfekt Englisch sprach, den Krankheitsverlauf schildern. Hin und wieder murmelte er etwas Unverständliches, schüttelte den Kopf und machte sich Notizen auf einem kleinen Schreibblock, der neben ihm auf einem Tisch lag. Nach einer eingehenden Untersuchung schaltete er das Gerät aus und bat seine Besucher ins Nebenzimmer, das ihm als Besprechungsraum diente. Mit keiner Miene verriet er, was er dachte. Monika sah ihn ängstlich an. Vom Urteil dieses Mannes hing schließlich Olivers Schicksal ab. Sie wusste, dass Oliver sich an diesen Strohhalm klammerte, dass es aus war, wenn Dr. Watson eine Operation ablehnte oder für wenig sinnvoll hielt. Ein negatives Urteil würde all das zerstören, was sie in mühseliger Arbeit aufgebaut hatte. Monika schickte ein Stoßgebet zum Himmel. »Tja«, begann der Arzt, nachdem sie Platz genommen hatten. »Ich habe mir Ihre Augen eingehend angesehen, Mister Mai.« »Und? Gibt es Hoffnung?« Monika hing gebannt an den Lippen des Arztes. »Ich verstehe eines nicht«, sagte der Arzt kopfschüttelnd. »Warum man Ihnen keine Hoffnung gemacht hat! Freilich, Ihre Verletzungen sind beträchtlich, und vor ein paar Jahren hätte es keine Rettung für Sie gegeben! Aber die Wissenschaft, die Augenchirurgie ist heute auf einem Stand, der es ermöglicht, eine solche Operation praktisch mit der linken Hand auszuführen. Ich verstehe meinen Kollegen von drüben wirklich nicht! Für diese Kleinigkeit hätten Sie nicht extra nach Amerika kommen müssen!« »Das heißt also, dass Oliver wieder sehen wird?«, jubelte Monika. »Oh, ich danke Ihnen!«
13
Ein paar Wochen später saß Oliver Mai in Hubers Frankfurter Büro und
verhandelte mit dem Nachtclubbesitzer, der sich ausgesprochen freundlich zeigte. Er hatte Monika großzügig freigegeben, damit sie Oliver nach Amerika begleiten konnte. Er wurde dem Mädchen langsam unheimlich. Einmal war er der unnachgiebige Ganove, vor dem die Unterwelt zitterte, ein anderes Mal wieder spielte er den gönnerhaften Gentleman, der ihr jeden Wunsch erfüllte. Dieser Mann war wirklich ein Rätsel. Sie ahnte freilich nicht, dass hinter seiner freundlichen Fassade nur eiskalte Berechnung verborgen war. Dieses Mädchen war für ihn eine Geldquelle, die noch lange nicht versiegen durfte. »Ich freue mich, dass die Operation gelungen ist, Herr Mai«, sagte er. »Ich darf Ihnen von ganzem Herzen dazu gratulieren, zumal Ihre Braut«, er lächelte zweideutig »einen bösen Verdacht gegen mich geäußert hatte. Ich darf auch Ihnen versichern, dass ich mit Ihrem damaligen Unfall nicht das geringste zu tun hatte! Ich hoffe, Sie haben mir inzwischen verziehen, dass ich mich an jenem Abend so unmöglich benahm! Wir hätten uns schon viel früher einmal zusammensetzen sollen. Ein Gespräch unter Männern wirkt doch manchmal Wunder, nicht wahr?« Oliver saß mit gemischten Gefühlen am Verhandlungstisch in dem riesigen Büroraum. Ihm war alles andere als wohl in der Haut. Diesem Huber war schlecht beizukommen. Er war .Geschäftsmann durch und durch. »Ja, ich habe den Vorfall längst vergessen«, behauptete Oliver. »Wir wollen nicht mehr darüber sprechen! Aber ich bin aus einem anderen Grund bei Ihnen! Monika, oder Leila, wie sie bei Ihnen heißt, Monika und ich, wir wollen in Kürze heiraten. Nach der geglückten Operation kann ich nun auch wieder meinem Beruf nachgehen und verdiene genügend, um uns beide zu ernähren. Außerdem möchte ich vermeiden, dass es an die Öffentlichkeit dringt, dass ich mit einer Prostituierten verheiratet bin. Sie wissen ja, wie die Leute sind! Ich bitte Sie also, Monika freizugeben!« »Sie sind ganz schön mutig, junger Mann«, sagte Huber kalt lächelnd. »Wissen Sie eigentlich, was Sie da von mir verlangen? Es wäre das gleiche, wenn Sie zu einem Rennstallbesitzer gingen und ihn bäten, Ihnen sein kostbarstes Pferd zu schenken! Verzeihen Sie den kuriosen Vergleich, aber er trifft am besten die Situation. Ich hoffe, Sie haben es nicht so gemeint.« Er sah Oliver spöttisch an und beschäftigte sich intensiv mit seinen gepflegten Fingernägeln.
»Doch, ich hatte es so gemeint«, sagte Oliver bedächtig. »Ich möchte, dass Sie Monika freigeben! Ihre Drohungen ziehen nicht mehr, Herr Huber! Ich habe bei meinem Rechtsanwalt ein Schreiben an die Polizei hinterlegt, in dem ich Ihre unsauberen Methoden eingehend geschildert habe. Sollte Monika oder mir etwas zustoßen, wird dieser Brief sofort an die Behörden ausgeliefert! Sie können mich jetzt zusammenschlagen lassen, ich fürchte mich nicht!« »Gehen Sie!«, knurrte Huber zornig. »Gehen Sie, und nehmen Sie Ihr Flittchen mit! Aber irgendwann werden Sie es büßen, das schwöre ich Ihnen! Dann nützt Ihnen auch Ihr Brief an die Polizei nichts mehr! Warum gehen Sie eigentlich nicht gleich zu den Bullen? Ich denke, Sie fühlen sich so stark!« »Ich möchte keinen Skandal«, sagte Oliver ruhig. »Ich möchte mit meiner zukünftigen Frau endlich ein ruhiges, friedliches Leben führen! Sie soll die schreckliche Zeit bei Ihnen endlich vergessen! Nichts anderes hält mich davon ab, schon jetzt zu der Behörde zu gehen!« Huber lachte kalt. »Packen Sie sich das Früchtchen in Watte«, sagte er zynisch. »Und nun gehen Sie! Lassen Sie sich niemals mehr bei mir blicken!« »Das gebe ich Ihnen sogar schriftlich«, erwiderte Oliver lächelnd. »Ich bin froh, wenn ich Ihre Gaunervisage nicht mehr zu sehen brauche!« Er tippte lässig an die Stirn und ließ den Barbesitzer einfach stehen. Kurze Zeit später lagen Monika und Oliver sich glücklich in den Armen und küssten sich. »Endlich«, stammelte das Mädchen. »Endlich bin ich aus diesem Sumpf, dieser entsetzlichen Hölle heraus! Oliver, ich danke dir!« »Du brauchst mir nicht zu danken«, sagte er und verschloss ihr den Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss. »Ich habe dir viel mehr zu danken! Mein Leben! Meine Gesundheit! Das werde ich niemals wiedergutmachen können! Schatz, in acht Wochen wird geheiratet!»
14
Oliver stand zum ersten mal wieder auf der Bühne und spielte, wie er niemals in seinem Leben gespielt hatte. Er versetzte seine Zuhörer, die in Scharen gekommen waren, um die Rückkehr des jungen Musikers zu erleben, in einen Taumel von Begeisterung. Nichts war zu hören von dem, was Bettina in ihrem Zorn angekündigt hatte. Niemand pfiff, niemand deutete auf ihn. Im Gegenteil. Wenn gepfiffen wurde, dann nur im Sturm der Begeisterung. Seine Musiker wurden von ihm angesteckt und gaben ihr Bestes. Es war ein grandioser Erfolg! So hatte sich Oliver seine Rückkehr auf die Bühne in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt! Monika, seine Verlobte, saß mit leuchtenden Augen direkt vor der Bühne und wandte keinen Blick von ihm. Wenn er nach ihr schaute, lächelte sie ihn glücklich an. Es war herrlich, zu leben! An seiner Seite zu leben! Seine Frau zu sein! Nur noch seine Frau! In der Pause stieg er von der Bühne und schloss sein Mädchen glücklich in die Arme. »Gefällt es dir?«, fragte er. Sie lächelte selig. Vor allen Leuten hatte er sie geküsst! Stolz und ein wenig beschämt genoss sie die neidischen Blicke, die ihr von den anderen Frauen zugeworfen wurden. Ob sie wussten, dass sie einmal eine...? Nein, daran wollte sie heute Abend nicht denken! Sie wollte nur glücklich sein! »Sind Sie der Boss dieser Gruppe?«, fragte eine sonore Stimme hinter Oliver. Lächelnd drehte er sich um und bejahte. Vor ihm stand ein großer, grauhaariger Herr mit einer dunkeln Sonnenbrille. Irgendwie kam er Oliver bekannt vor. Er musste ihn schon einmal gesehen haben. Plötzlich überlief es ihn siedendheiß. Das war doch... Knut Kofler, der bekannte Fernseh- und Schallplattenproduzent. Der Mann, bei dem die bekanntesten Stars der Schlagerbranche unter Vertrag waren. »Das ist wohl Ihre Gattin?«, erkundigte sich Kofler. Oliver nickte verwirrt. Kofler ergriff Monikas Hand und hauchte einen Kuss auf den Handrücken. »Sehr erfreut, Sie kennenlernen zu dürfen«, sagte er und lächelte sie freundlich an. »Ich darf Ihnen zu Ihrem Mann gratulieren! Er ist ein Genie!«
Monika sah hilflos auf Oliver, der ihr zunickte. Trotzdem verstand sie nicht. Wer war dieser Herr? »Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Kofler, Knut Kofler! Vielleicht haben Sie meinen Namen schon einmal gehört. Ich bin in der Schlagerbranche nicht ganz unbekannt. Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen, Herr...?« »Mai! Oliver Mai!« Oliver verbeugte sich leicht vor dem bekannten Mann. »Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung nur allzulange habe ich nicht Zeit. Sie wissen!« Er deutete mit dem Kopf zur Bühne. »Es wird nicht lange dauern«, sagte Kofler. »Wir wollen Ihre Fans nicht zu lange warten lassen! Kommen Sie, ich habe da vorn ein gemütliches Zimmerchen gesehen. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten.« Er bahnte sich einen Weg durch die neugierig gaffende Menge. »Was will er denn von dir?«, flüsterte Monika, ihrem Verlobten beim Hinausgehen zu. »Wer ist das überhaupt?« »Mensch, Mädchen«, raunte ihr Oliver zu. »Kofler ist der Macher in der Showbranche! Wenn der mich unter seine Fittiche nimmt, bin ich ein gemachter Mann!« »Es wäre zu schön, um wahr zu sein«, seufzte Monika und lächelte Oliver verliebt an. Hand in Hand folgten sie dem einflussreichen Produzenten in das kleine Nebenzimmer. »So, jetzt sind wir unter uns«, lächelte Kofler und bat die beiden jungen Leute, Platz zu nehmen. »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Das ist nicht meine Art. Ich kam heute Abend zufällig an dieser Halle vorbei und dachte mir: Schaust mal rein! Sie müssen wissen, ich mache zur Zeit im Studio Walldorf Tonaufnahmen für meine neueste Fernsehshow und wohne in diesem Ort hier im Hotel Krone. Aber das nur nebenbei. Wie gesagt: Ich wollte also kurz noch einmal hier rein sehen und habe Sie spielen gehört. Ich darf Ihnen eines sagen: Ich war von Ihrer Band fasziniert! Und das will bei einem Mann wie mir etwas heißen! Gratuliere, Herr Mai! Haben Sie nie den Versuch gemacht, eine Schallplatte aufzunehmen?«
»Die Finger habe ich mir schon wund geschrieben«, lachte Oliver verlegen. »Ich habe Demo-Bänder aufgenommen und verschickt. Es war sinnlos! Keiner wollte etwas von uns wissen. Ich habe schon fast aufgegeben!« »Ja, es ist schwer, in diese Haifischbranche, wie wir unseren Job nennen, einzudringen«, bestätigte Kofler schmunzelnd. »Ohne Beziehungen ist da nichts zu machen! Ich kenne das zur Genüge! Man hat meistens gar keine Zeit, sich die Bänder, die täglich eingehen, anzuhören. Man hört nur mit einem Ohr hin und ist in Gedanken schon wieder bei einem ganz anderen Projekt! Nun langer Rede kurzer Sinn: Haben Sie Lust, bei meiner nächsten Fernsehshow mitzumachen? Eine Schallplatte werden wir natürlich auch umgehend produzieren! Das versteht sich von selbst! Ich habe das Gefühl, dass unsere Zusammenarbeit sehr fruchtbar sein könnte!« »Da kann ich doch nur eines sagen: Ja!«, rief Oliver glücklich und drückte seiner Braut verstohlen die Hand. »Fein«, erwiderte Kofler vergnügt. »Haben Sie morgen Zeit? Ja? Prima! Dann kommen Sie bitte um zehn Uhr, oder ist das zu früh? Nein? Gut! Also um zehn Uhr in meinem Hotel! Wir werden dann einen anständigen Vertrag aufsetzen, mit dem beide Seiten zufrieden sein können! Und morgen Abend sind Sie schon im Studio. Ich habe zwei hübsche Titel für Sie auf meinem Schreibtisch, für die ich schon längere Zeit den enden Interpreten suche. Jetzt habe ich ihn gefunden! In einem Jahr sind Sie ein Weltstar, Herr Mai! Das verspreche ich Ihnen!« Kofler rieb sich vergnügt die Hände. Dann schaute er auf Monika. »Für Ihre junge Frau wird das wohl etwas einsam werden, denn Sie werden viel in der Weltgeschichte herumreisen müssen! Haben Sie Kinder?« »Nein«, antwortete Monika und errötete sanft. »Wir sind noch gar nicht verheiratet. Wir wollten in etwa vier Wochen zum Standesamt!« Kofler nagte nachdenklich an der Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Diesen Termin werden Sie verschieben müssen«, sagte er. »Oliver wird anlässlich seines Fernsehdebüts eine Diskotheken und Rundfunktournee machen müssen. Wir wollen seinen Namen schließlich bekannt machen, und die Herren Programmgestalter und Diskjockeys spielen überwiegend Platten von Künstlern, die sie kennen. Wird sich das machen lassen?«
»Aber natürlich«, rief Monika, bevor Oliver noch antworten konnte. »Diese Sache ist wichtig! Unsere Hochzeit kann warten! Auf ein paar Tage kommt es nun wirklich nicht an!« »Sie sind eine vernünftige, junge Frau«, lobte Kofler das Mädchen. »Gut, Herr Mai! Ich will Sie jetzt nicht länger aufhalten! Wir sehen uns morgen früh in meinem Hotel!« Er erhob sich und reichte beiden die Hand. »Habe die Ehre, gnädiges Fräulein! Tschüs, Herr Mai. Und viel Erfolg noch heute Abend!« Er winkte den beiden noch einmal zu, dann verließ er den Raum. Monika fiel Oliver jubelnd um den Hals. »Du hast es geschafft, mein Liebling!«, jauchzte sie und küsste ihn stürmisch. »Ich bekomme einen berühmten Mann! Ich bin ja so glücklich.« Oliver gab keine Antwort. Aber seine Augen strahlten. Hand in Hand gingen sie in den Saal zurück.
15
Noch während der Fernsehshow riefen Tausende beim Sender an und erkundigten sich, wer denn diese ausgezeichnete Band sei und ob es Schallplatten von ihr gäbe. Die Redaktionssekretärin stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. »Das ist ja schlimmer als damals bei den Beatles«, stöhnte sie verzweifelt. »Dieser Kofler hat wieder einmal eine gute Nase gehabt! Ich fürchte, das wird eine lange Nacht!« Und es wurde eine lange Nacht. Kofler feierte mit seinen Künstlern und deren Angehörigen bis in die frühen Morgenstunden. Pausenlos trafen Glückwunschtelegramme und Anfragen nach Schallplatten ein.
Monika saß mit leuchtenden Augen zwischen Oliver und Kofler und freute sich über den Erfolg ihres Verlobten, der von allen Seiten von Autogrammjägern bestürmt wurde. Reporter bedrängten ihn. Er musste Interviews geben, hundertmal seine Lebensgeschichte erzählen. Angebote von Agenturen und Gastspieldirektionen trafen ein. Tourneen durch ganz Europa wurden angeboten. Die Fernsehanstalten rissen sich um einen Auftritt der Newcomer. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Oliver glaubte zu träumen. Ein halbes Jahr später wurden die Platten der »Music Jokers« in der ganzen Welt gespielt. Innerhalb einer Woche waren über eine Million Singles verkauft. Die erste goldene Schallplatte war fällig: In den Zeitungen und Illustrierten konnte man fast täglich etwas über Oliver erfahren. Autogrammwünsche trafen waschkörbeweise ein. Oliver hatte endlich das erreicht, wovon er schon so lange geträumt hatte. Er war ein Weltstar! Aber eines war er immer noch nicht: Er war noch nicht mit seiner Monika verheiratet. Der Termin wurde von einer Woche zur anderen, von einem Monat zum anderen verschoben. Immer wieder kam ein wichtiger Auftritt, eine Fernsehshow, eine Plattenaufnahme dazwischen. Monikas anfängliche Begeisterung für den Ruhm ihres Freundes legte sich immer mehr. Er hatte kaum noch Zeit für sie, und wenn er einmal zu Hause war, sie lebten immer noch in ihrer kleinen Wohnung , lag er erschöpft auf der Couch und sprach kaum ein Wort mit ihr. Nein, es war wirklich keine reine Freude, die Frau eines Stars zu sein. Eines kam noch dazu. Der Rummel um ihn stieg ihm langsam zu Kopf. Er wurde launisch und rechthaberisch, er bekam Allüren und war manchmal unausstehlich. Nichts konnte man ihm recht machen, immer hatte er etwas herumzumeckern. Auch sein Hang, mit möglichst vielen Frauen anzubändeln, erwachte wieder in ihm. Selbst im Beisein seiner Braut flirtete er unverschämt mit anderen Mädchen, warf ihnen verliebte Blicke zu und machte ihnen eindeutige Angebote. Monika schwieg und wartete geduldig, dass er wieder vernünftig werden würde. Sie wartete vergeblich! Oliver hatte vergessen, was sie einmal für ihn getan hatte, dass er es letzten Endes ihr zu verdanken hatte, dass er heute ein Star war.
Hin und wieder nahm er sie mit. So auch dieses Mal zu einer Fernsehaufzeichnung in Berlin. Da zu den Proben keine Zuschauer zugelassen waren, wartete Monika in ihrem Nobelhotelzimmer auf die Rückkehr ihres Verlobten. Gegen neun Uhr wollte er zurück sein. Es wurde später und später, Oliver kam nicht. Gegen Mitternacht rief sie besorgt im Studio an. Ein verschlafener Pförtner meldete sich und teilte ihr mit, dass die Fernsehleute um einundzwanzig Uhr das Studio verlassen hätten. Ja, Herrn Mai habe er gesehen. Er sei sogar schon um zwanzig Uhr in Begleitung der Regieassistentin verschwunden. Wohin, das wisse er leider nicht. Wie betäubt legte Monika den Hörer auf die Gabel und setzte sich fassungslos auf das Bett. Wie lange sie so gesessen hatte, konnte sie später nicht mehr sagen. Jedenfalls hörte sie plötzlich Olivers Stimme auf dem Flur. Er schien stark angetrunken zu sein und grölte mit lauter Stimme sein neuestes Lied. Rücksicht auf andere Hotelgäste brauchte ein Star wie er nicht zu nehmen. Was waren sie denn gegen ihn! Olivers Gesang wurde hin und wieder von einem schrillen Frauenlachen unterbrochen. Auch das Mädchen schien angetrunken zu sein. Monika starrte mit brennenden Augen auf die Tür und erwartete jeden Augenblick, dass Oliver endlich hereinkommen würde. Die Tür blieb geschlossen! Monika hörte, dass die Tür zum Nebenzimmer geöffnet wurde. Rücksichtslos wurde sie wieder zugeknallt. Dann ging nebenan das Geschrei und Gekichere weiter. Plötzlich wurde es still. Monika fühlte, wie sich ihr Herz schmerzlich zusammenzog. Eifersucht stieg in ihr hoch. Sie wusste nicht mehr, was sie tat. Wie eine Furie stürzte sie auf den Flur und riss die Tür zum Nachbarzimmer auf. Das Bild, das sich ihren Augen bot, ließ sie ihre gute Erziehung völlig vergessen. Oliver lag nackt bei dem fremden Mädchen, das ebenfalls nackt war, im Bett. Sie stöhnten und keuchten und merkten nicht, dass sie eine Zuschauerin bekommen hatten. Unsagbarer Zorn stieg in Monika hoch. Sie stürzte sich auf das Bett und riss das Mädchen an den Haaren von Oliver weg. Dabei schrie sie hysterisch und beschimpfte die beiden. Das so in seiner genussvollen Tätigkeit gestörte Mädchen begann ebenfalls zu
schreien und ging auf Monika los. Wie zwei Raubkatzen umklammerten sie sich, bissen, schlugen und kratzten. Dabei kreischten und tobten sie, als wären sie von allen guten Geistern verlassen. Oliver, betrunken, wie er war, hatte sich aufs Bett gesetzt und beobachtete die hässliche Szene amüsiert. Er wollte sich fast totlachen und schlug sich ein ums andere Mal klatschend auf die nackten Schenkel. Plötzlich schien er wie aus einem Trancezustand zu erwachen. Er sprang aus dem Bett und ging zwischen die Kämpfenden, die sich mittlerweile schreiend auf dem Boden wälzten. »Aufhören!«, schrie Oliver und versuchte, die Mädchen auseinanderzuziehen. »Seid ihr denn übergeschnappt? Monika! Uschi! Hört sofort mit diesem Unsinn auf!« Er packte Monika an den Schultern und schleuderte sie in eine Ecke, wo sie wimmernd liegenblieb. Uschi, die wieder auf den Beinen stand und sich kreischend auf Monika stürzen wollte, versetzte er ein paar klatschende Ohrfeigen und warf sie auf das Bett. »Schluss der Vorstellung!«, rief Oliver drohend. »Aus! Vorbei, habe ich gesagt! Monika, was ist denn in dich gefahren? Hast du den Verstand verloren?« Monika hatte sich inzwischen wieder erhoben und zog sich ihre zerrissenen Kleider, die in Fetzen von ihrem Körper hingen, notdürftig gerade. Ein bitteres Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Sie musterte ihn kühl von oben bis unten. »Du solltest etwas anziehen, sonst erkältest du deinen wertvollen Körper«, sagte sie spöttisch. Oliver brummte unwillig und schlüpfte in seine Unterwäsche. »Ist das die Hure, von der du mir erzählt hast?«, lallte das Mädchen Uschi und deutete auf Monika. Diese zuckte zusammen. So weit war es also zwischen ihnen schon gekommen! Oliver erzählte anderen Menschen, dass sie ein Freudenmädchen gewesen war! Sie fühlte, wie sie eiskalt wurde. Mit verkniffenem Gesicht stellte sie sich vor das Bett, auf dem das nackte Mädchen lag und sie dämlich angrinste. »Glaubst du, du bist etwas Besseres?«, sagte sie kalt. »Du bist doch noch viel schlimmer, du Flittchen! Ja, ich habe einmal Geld genommen für Liebe! Du hast ganz recht! Aber machst du denn etwas anderes? Warum machst du dich denn an meinen Verlobten heran? Weil er reich ist! Weil er berühmt ist! Weil du hoffst,
von ihm Geschenke zu bekommen! Vielleicht ein Nerzcape? Eine Halskette? Ein Armband? Du machst im Grunde nichts anderes als ich! Du hast nur einen Vorteil: Man deutet nicht mit dem Finger auf dich! Du bist ja so moralisch, nicht wahr?« »Muss ich mir das gefallen lassen?«, fragte das Mädchen. »Ach, halt die Klappe!«, rief Oliver unwillig. »Ich habe die Nase voll! Komm, Monika! Wir gehen!« Er griff nach ihrer Hand. »Rühr mich nicht an!«, rief sie kühl. »Bleib bei deinem Flittchen! Es ist aus! Endgültig!« »Sei doch vernünftig«, bat er beschwörend. Monika schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin vernünftig«, sagte sie kalt. »Deshalb trenne ich mich jetzt auch von dir! Oliver, das Maß ist voll! Ich kann nicht mehr bei dir bleiben! Ich habe lange genug geschwiegen!« Sie schaute ihm noch einmal schmerzlich lächelnd ins Gesicht, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Oliver sah ihr benommen nach, wagte aber nicht, sie zurückzuhalten. Ihr Lächeln hatte seinem Herz einen Stich versetzt.
16
Monika war am Morgen nach ihrem Streit mit Oliver wieder nach Hause geflogen. Sie hatte sich in den verbleibenden Stunden in ihrem Hotelzimmer eingeschlossen und damit jeden Versuch Olivers unterbunden, noch einmal mit ihr in Ruhe zu reden. Er hatte ein paarmal zaghaft an die Tür geklopft und um Einlass gebeten, doch sie hatte nicht reagiert. Nach seinem letzten Versuch packte ihn die Wut. »Dann eben nicht«, knurrte er wütend und ging zurück zu Uschi, die ihn mit offenen Armen empfing.
Monika hatte ein starkes Schlafmittel genommen, um die wenigen Stunden bis zum Morgen in Ruhe schlafen zu können. Zerschlagen erwachte sie. Erst jetzt, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Doch es waren keine Tränen des Schmerzes mehr. Sie war wütend auf sich selbst. Warum hatte es überhaupt so weit mit ihr und Oliver kommen müssen? War sie nicht selbst schuld daran? Sie hatte seine Wutausbrüche schweigend ertragen, ihm nie ein Widerwort gegeben. Stumm hatte sie auf ihn gewartet, ihn verwöhnt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Und jetzt stellte es sich heraus, dass es dieser Mann überhaupt nicht wert war! Darüber war sie verärgert, mit sich selbst unzufrieden. Zornig warf sie ihre Kleider in den Koffer und ging hinunter zur Rezeption, um ihre Rechnung zu begleichen. Mit einem Taxi fuhr sie zum Flughafen Tegel und befand sich wenig später auf dem Weg nach Hause. Monika lachte bitter. Nach Hause? Wo war denn jetzt ihr Zuhause? Nirgends! Bei Oliver mochte sie nicht bleiben. Auf keinen Fall! Er hatte ihr zu sehr weh getan! Dies war eine Wunde, die nicht so schnell heilen würde. Zurück zu Huber? Zurück ins »Bel Ami« oder in eines seiner anderen Etablissements? Jetzt, nachdem sie endlich wieder begonnen hatte, wie ein Mensch zu leben? Nein! Das kam überhaupt nicht in Frage! Lieber wollte sie am Hungertuch nagen. Außerdem hatte sie zur Überbrückung noch einen beträchtlichen Betrag auf ihrem Sparkonto. Oliver hatte ihr, nachdem er berühmt geworden war, die Kosten der Operation auf Heller und Pfennig zurückgezahlt. »Wer weiß, wann du es einmal brauchst«, hatte er gesagt. »Nimm das Geld! Zahl es auf dein Konto ein!« Widerstrebend hatte sie seinen Rat befolgt. Heute war sie froh, dass sie es genommen hatte! Es würde eine ganze Weile reichen. Und bis dahin würde sie hoffentlich einen Arbeitsplatz gefunden haben. Vielleicht ergab sich auch die Gelegenheit, endlich ein Studium aufzunehmen! Sie wünschte es sich sehnlichst. In ihrer gemeinsamen Wohnung packte sie alle Gegenstände zusammen, die ihr gehörten. Sie wollte sie später abholen lassen. Wehmütig ging sie noch einmal durch die Räume, in denen sie so glücklich gewesen war. Doch dann gab sie sich einen Ruck, schloss die Tür und ging mit gesenktem Kopf die Treppe hinunter. Plötzlich schwanden ihr die Sinne. Sie stürzte die letzten Stufen hinunter und blieb regungslos liegen. So fand sie wenig später einer der Hausbewohner und
verständigte den Notarztwagen. Als sie erwachte, lag sie in einem sauber bezogenen Bett in einem freundlichen Zimmer. Sie blinzelte verwundert und schaute sich um. Wo war sie denn gelandet? Mühsam sammelte sie ihre Gedanken. Sie war doch eben noch aus der Wohnung gegangen, dann die Treppen hinunter! Ja! Und plötzlich war es ihr schwarz vor Augen geworden! Der Einrichtung nach musste sie in einem Krankenhaus sein. Sie entdeckte an einer langen Schnur eine Klingel und betätigte sie. Kurz darauf trat ein weißgekleideter, freundlicher Herr in Begleitung einer Krankenschwester ins Zimmer. »Na, sind wir wieder bei uns?«, sagte er lächelnd und reichte ihr die Hand. »Doktor Schneider! Ich habe mich ein wenig um Sie gekümmert! Was machen Sie denn für Sachen? Einfach ohnmächtig werden! Das geht aber nicht! Sie hatten Glück, dass Ihrem Baby nichts iert ist!« Monika hatte sich bei den Worten des Arztes im Bett aufgesetzt. Sie starrte den Doktor ungläubig an. »Was sagen Sie da?«, stammelte sie verwirrt. »Welchem Baby ist nichts iert? Ich verstehe Sie nicht ganz!« »Na, Ihrem Baby da drin!« Er deutete lächelnd auf ihren Leib. »Sagen Sie nur, Sie wussten nicht, dass Sie schwanger sind!« »Nein!«, rief Monika. »Das kann nicht sein! Das kann wirklich nicht sein! Ich nehme doch die Pille! Es ist ausgeschlossen, dass ich schwanger bin!« »Mein liebes Kind«, sagte der Arzt gütig. »Ich bin seit zwanzig Jahren Arzt und Geburtshelfer und glaube zu wissen, wann eine Frau schwanger ist! Sie sind im dritten Monat, da gibt es gar keinen Zweifel.« Monika schlug die Hände vors Gesicht und .. lachte! Lachte, als hätte sie den Verstand verloren. Es war ein gequältes Lachen, das plötzlich in Weinen umschlug. Der Arzt und die Schwester schauten sich achselzuckend an. »Beruhigen Sie sich doch bitte wieder«, sagte Dr. Schneider. »Was haben Sie
nur?« Monika wischte die Tränen am Ärmel ihres Nachthemdes ab. »Es ist schon wieder gut«, sagte sie leise. »Es war nur die Freude! Ja, es war wirklich die Freude!« Sie lauschte in sich hinein und spürte, dass ihr wundes Herz tatsächlich jubilierte! Ich bekomme ein Kind! Ein Kind von Oliver! Ich werde niemals mehr allein sein. Ob es ein Junge wird? Hoffentlich wird es ein Junge! Aber ein Mädchen wäre auch schön. Vielleicht werden es sogar Zwillinge! Ihre Großmutter war auch ein Zwilling gewesen. Ob sie Oliver ...? Nein, niemals! Er sollte nie im Leben erfahren, dass er Vater war. Das Kind gehörte nur ihr! Keiner konnte es ihr nehmen! Keiner! »Sie sollten noch ein paar Tage in unserer Klinik bleiben«, unterbrach der Arzt ihre Gedanken. Er hatte verwundert ihr wechselndes Mienenspiel beobachtet. Eine seltsame Frau, dachte er. »Wir wollen doch nicht, dass dem Kind etwas geschieht, nicht wahr?« Monika schüttelte heftig den Kopf. »Um Gottes willen, nein!«, rief sie erregt. »Nur das nicht! Entschuldigen Sie, dass ich mich anfangs so blöd angestellt habe! Die Überraschung war zu groß! Ich habe nie und nimmer mit so etwas gerechnet, obwohl...!« Ja, sie hatte sich gewundert, dass ihre letzte Monatsregel ausgeblieben war. Das kann vorkommen, hatte sie sich gesagt und sich weiter keine Gedanken gemacht. Sie ahnte jetzt auch, wann es iert war. Es war an einem der letzten Abende gewesen, an denen Oliver noch nett und lieb zu ihr gewesen war. Er hatte die Nachricht erhalten, dass er die zweite goldene Schallplatte bekommen würde. Sie hatten mit der Band ausgiebig gefeiert und waren dann in ausgelassener Stimmung zusammen ins Bett gegangen. Am nächsten Tag war es ihr siedendheiß eingefallen, dass sie vergessen hatte, die Pille zu nehmen. Doch sie hatte geglaubt, dass das Versäumnis ohne Folgen bleiben würde. Sie hatte sich geirrt. Und heute freute sie sich unbändig! »Wir müssten dann noch ein paar Formalitäten erledigen«, sagte die Schwester. »Außerdem wollen wir ja auch Ihre Angehörigen verständigen, nicht wahr?«
»Ich habe keine Angehörigen«, murmelte Monika. Die Schwester sah erstaunt auf. »Aber Ihr Mann .. .?« »Ich bin auch nicht verheiratet«, erwiderte Monika. »Ich hoffe, Sie behalten mich trotzdem hier. Oder?« »Reden Sie keinen Unsinn«, sagte der Arzt barsch. »Was hat das damit zu tun? Wir sind da, um den Menschen zu helfen, nicht, um sie moralisch zu beurteilen. Versuchen Sie, noch ein wenig zu schlafen. Es wird Ihnen guttun. Und dem Kleinen ebenfalls«, fügte er lächelnd hinzu. Zusammen mit der Schwester verließ er das Zimmer. Monika schloss die Augen und schlief wenig später ein.
17
Es war etwa drei Monate später. Monika hatte die Klinik längst wieder verlassen und lebte nun in einer kleinen Zweizimmerwohnung in einem Hochhaus am Stadtrand von Frankfurt, die einen großen Vorteil hatte: Sie war billig. Ihre Versuche, einen Arbeitsplatz zu bekommen, scheiterten an der Tatsache, dass sie schwanger war. So nahm sie Gelegenheitsjobs an, die in den Tageszeitungen angeboten wurden, zum Beispiel einfache Schreibarbeiten. Dadurch und weil sie außerdem sehr bescheiden lebte, brauchte sie das Guthaben ihres Sparkontos nur sehr selten anzugreifen. Von Oliver hatte sie nichts mehr gehört. Ab und zu sah sie ihn in einer Fernsehshow. Dann zog sich ihr Herz schmerzlich zusammen, und sie schaltete schnell in ein anderes Programm. Sie wollte diese Zeit vergessen, obwohl es die schönste ihres Lebens gewesen war. Oliver hatte ihr sehr weh getan. So etwas vergaß man nicht! Wenn sie abends in ihrer winzigen Wohnung saß, ein Buch las oder in den alten Fernsehapparat schaute, den sie billig erworben hatte, lauschte sie oft auf das keimende Leben, das sie in sich spürte. Es gab ihr das Gefühl, nicht allein zu sein.
Monika hatte gerade die tausendste Adresse auf ihrer klapprigen Schreibmaschine getippt und freute sich, morgen wieder einen bescheidenen Betrag kassieren zu können, als es stürmisch klingelte. Unwillig erhob sie sich, ging zur Sprechanlage, um zu erfahren, wer zu so später Stunde noch bei ihr Einlass begehrte. »Hier ist der Telegrammbote«, hörte sie eine männliche Stimme. Beunruhigt betätigte sie den Türöffner. Wer mochte ihr ein Telegramm senden? Oliver? Nein! Der wusste ihre Adresse nicht! Überhaupt, wer wusste schon ihre Adresse? Niemand! Schon bereute sie, die Tür geöffnet zu haben. Aber noch gab es ja die Wohnungstür. Besorgt starrte sie durch den kleinen Spion. Endlich hörte sie Schritte im Treppenhaus. Dann konnte sie nichts mehr sehen, denn der Fremde hatte die Hand auf den Spion gelegt. Es klingelte erneut. »Mach schon auf, schönes Kind! Der Telegrammbote ist da!«, hörte sie die vertraute Stimme Hubers. »Komm! Zier dich nicht! Du weißt, ich tu alleinstehenden Damen nichts!« »Was wollen Sie von mir?«, fragte sie mit zitternder Stimme. Der Schock, Huber so unvermittelt gegenüberzustehen, war ihr gewaltig in die Glieder gefahren. »Ich möchte mich nur ein wenig mit dir unterhalten«, antwortete der Barbesitzer. »Brauchst keine Angst zu haben! Ich bin allein!« Zögernd öffnete Monika die Tür und ließ den Mann eintreten. Sie führte ihren ehemaligen Arbeitgeber in ihr kleines, bescheidenes Wohnzimmer und ließ ihn Platz nehmen. »So richtig schön bürgerlich hast du’s! Wie bei meiner alten Tante Emma. Gott hab sie selig!« »Was gibt’s?«, fragte sie. »Ich habe wenig Zeit. Ich muss noch arbeiten!« »Ich sehe es«, sagte Huber und deutete auf die Schreibmaschine. »Bist du unter die Schriftsteller gegangen? Schreibst wohl deine Memoiren? Komme ich auch drin vor? Zeig mal her.«
Bevor Monika es verhindern konnte, hatte er das Blatt aus der Schreibmaschine gezogen. Als er die in mühseliger Kleinarbeit geschriebenen Adressen sah, Verzog er das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Adressen schreibst du? Was verdient man denn da?« Monika sagte es ihm. Huber lachte amüsiert auf. »Und davon lebst du?«, fragte er feixend. »Mensch, Mädchen, bist du tief gesunken!« »Ich fühle mich wohl, und das ist die Hauptsache!« Ihre Angst war gewichen. Sie fühlte sich wieder sicher, und das ließ sie Huber spüren. »Du solltest besser wieder bei mir anfangen«, knurrte Huber. »Du fehlst mir sehr!« »Selbst wenn ich wollte! Es geht nicht mehr!« Sie deutete auf ihren Leib, der sich schon recht beachtlich unter ihrem weit geschnittenen Kleid wölbte. Huber zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Du bist schwanger!«, stellte er fest. »Wer ist der Glückliche? Doch hoffentlich nicht dieser Trällervogel?« »Doch«, bestätigte Monika leise und senkte den Kopf. »Oliver ist der Vater!« »Weiß er von seinem Glück?«, fragte Huber. »Nein! Er weiß nichts!« Huber nickte nachdenklich. »Ich dachte mir’s«, sagte er nach einer Weile. »Siehst du, es gibt auch noch andere Schweine außer mir! Du wolltest es mir nie glauben! Dabei habe ich es immer gut mit dir gemeint!« Monika lachte bitter. »Sie haben es gut mit mir gemeint?«, sagte sie spöttisch. »Das ist ja ganz was Neues! Von dieser Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet!«
»Du darfst das alles nicht so eng sehen«, grinste Huber. »Gut, ich gebe zu, meine Methoden sind nicht immer die feinsten. Aber ich habe dich leben lassen! Und zwar nicht schlecht! Und du hast meinen uneingeschränkten Schutz genossen! Du bist doch nicht schlecht dabei gefahren, oder?« »Erinnern Sie mich bitte nicht mehr an diese Zeit«, sagte Monika verbittert. »Ich bin froh, dass ich darüber weg bin! Eines weiß ich: Wenn es mir noch so schlechtgehen sollte, zu Ihnen werde ich nie mehr zurückkommen! Niemals mehr! Darüber sollten Sie sich im klaren sein, Herr Huber! Ich habe viel gelernt. Auch von Ihnen! Ich bin nicht mehr das kleine, unschuldige Mädchen, das Sie für Ihre schmutzigen Geschäfte missbrauchen konnten, weil ich nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte! Nein, Huber! Mit mir können Sie nicht mehr rechnen! Mit mir kann nur noch ein Mensch rechnen, und das ist mein Kind! So, und jetzt gehen Sie bitte! Ich will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben!« »Jetzt halte mal die Klappe, du dumme Gans«, schrie Huber aufgebracht. Er war wieder ganz der alte, brutale Ganove, als den sie ihn kennengelernt hatte, sein Gesicht hatte sich zu einer hässlichen Fratze verzogen, und einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sie schlagen. Doch im letzten Moment nahm er sich zusammen. »Wir sollten vernünftig bleiben«, sagte er verbissen. »Ich bin vernünftig, Huber«, erwiderte sie kalt. »Gut! Dann hören Sie sich meinen Vorschlag an! Ich lasse Sie in Ruhe, bis Sie Ihr Kind bekommen haben!« Wie höflich er auf einmal wieder war! »Wenn das Balg auf der Welt ist, werden Sie wieder bei mir arbeiten!« »Das werde ich nicht!« Monika hatte es fast geschrien. Huber verzog ärgerlich das Gesicht. »Sie sollen mich ausreden lassen«, knurrte er. »Ich habe Ihnen schon hundertmal gesagt, dass Sie mir nicht gleichgültig sind! Ich kann einfach nicht zusehen, wie Sie sich abrackern müssen! Adressen schreiben! Einfach lächerlich! Mädchen, ich habe Sie... verdammt! Ich sage wieder du! Also, ich habe dich einigermaßen gut kennengelernt und denke mir, dass ich dir vertrauen kann! Ich habe vor, dich zu meiner Geschäftsführerin zu machen! Mir wächst die Arbeit über den Kopf, und meinen anderen Typen, auch Lothar, traue ich nicht über den Weg! Die sind
sowieso keine großen Leuchten. Du sollst für mich den ganzen kaufmännischen Kram erledigen, während ich meinen ...« er grinste zweideutig » .. .anderen Geschäften nachgehe! Das und nichts anderes will ich von dir! Vielleicht werden wir uns eines Tages sogar sympathisch und ...! Du verstehst!« »Das schlagen Sie sich gleich mal aus dem Kopf, Huber«, sagte Monika. Sie war überrascht von Hubers Vorschlag und wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Ob dahinter nicht wieder eine große Gemeinheit steckte? Oder meinte er es tatsächlich ernst? Sie wurde aus dem Mann nicht schlau. Er war unberechenbar! Andererseits sagte sie sich, dass sie ein solches Angebot wahrscheinlich nicht mehr bekommen würde! Und was war schon dabei, wenn sie für ihn arbeitete, anständig arbeitete? Sie wusste, dass er äußerst penibel in der Führung seiner offiziellen Geschäfte war. Er zahlte pünktlich seine Steuern und Abgaben und ließ sich in dieser Hinsicht nie etwas zuschulden kommen. »Nun, was meinst du zu meinem Vorschlag?«, erkundigte sich Huber. »Vergiss doch endlich, was mal gewesen ist!« »Das ist nicht so einfach«, sagte Monika leise. »Ihnen habe ich es schließlich zu verdanken, dass ich mich heute noch vor mir selbst ekle! Und jetzt sagen Sie: Vergiss doch einfach, was mal war! Das geht nicht, Huber! Vergessen werde ich diese Zeit niemals! Außerdem möchte ich mir nicht vorwerfen müssen, Sie bei Ihren schmutzigen Geschäften unterstützt zu haben! Und es sind schmutzige Geschäfte, die Sie betreiben!« »Aber damit hast du doch überhaupt nichts zu tun«, rief Huber. »Was geht dich mein ... mein Hobby an?« Er lächelte süßsauer. »Ist es Ihr Hobby, Mädchen zu verstümmeln? Nein, danke! Damit möchte ich nichts zu tun haben! Nein, Huber! Fast wäre ich schwach geworden! Aber nur, weil ich an mein Kind dachte, dem ich ein schönes Leben bereiten möchte! Nein, Huber! Lieber arbeite ich mir die Finger wund, als für Sie tätig zu werden!« »Das ist dein letztes Wort?« »Mein letztes!« Huber erhob sich böse lächelnd.
»Gut, wie du willst«, sagte er. »Ich habe es gut gemeint! Für die Folgen bist du selbst verantwortlich! Ich hätte dich für vernünftiger gehalten! Ich hoffe, du bist dir darüber im klaren, dass ich diesen Vorschlag nur einmal mache! Glaube nicht, dass du mich damit los bist! Einem Alois Huber gibt man keinen Korb, merke dir das! Unser nächstes Gespräch wird nicht so harmlos verlaufen! Du kennst mich!« »Und ob«, erwiderte das Mädchen traurig. »Aber ich habe keine Angst mehr vor Ihnen! Auch Sie sind nicht Gott, der Allmächtige!« »Aber ich bin Alois Huber! Das langt mir!« Grußlos ging er an dem Mädchen vorbei und verließ die Wohnung. Monika sank verzweifelt in einen Sessel und weinte. Konnte sie diesem Teufelskreis denn niemals entfliehen? Fast schien es so. Aber diesmal würde sie stark bleiben! Sie würde nicht mehr für diesen Gauner auf den Strich gehen. Lieber würde sie sich umbringen. Damit endlich Ruhe war!
18
Oliver saß in der Garderobe der Höchster Jahrhunderthalle und wartete auf seinen Auftritt. Wie immer strömten die Fans zu Hunderten herbei und füllten die Kassen der Veranstalter. Man wollte diese sagenhafte Gruppe einmal persönlich hören. Dafür zahlte man selbst die unverschämtesten Eintrittspreise. Vielleicht gelang es sogar, einmal zu den Stars vorzudringen, einen Händedruck zu bekommen, ein Autogramm, einen Kuss, ein verschwitztes Taschentuch! Die Mädchen träumten davon, dass einer der Gruppe, oder gar der Star Oliver selbst, sich ausgerechnet in sie verlieben würde. Sie waren zu allem bereit. Zu allem! Eines dieser Mädchen, eine vollbusige, blonde Schönheit, hielt Oliver auf dem Schoß. Wie sie es geschafft hatte, in die Garderobe vorzudringen, war ihm schleierhaft. Jedenfalls war sie jetzt hier, und da er kein Kostverächter war, griff er dementsprechend zu. Das Mädchen ließ es bereitwillig geschehen. Sie fühlte sich wie im siebten Himmel und malte sich in Gedanken schon aus, an der Seite des Stars zum Standesamt zu schreiten! »Oliver, es ist soweit!« Rolf war ohne anzuklopfen, in die Garderobe gestürmt.
Kopfschüttelnd sah er seinem Chef bei seiner amourösen Tätigkeit eine Weile zu. »Oliver«, mahnte er dann. »Könntest du dich endlich von der Dame lösen? Wir sind dran!« »Fangt schon mal an«, murmelte Oliver verwirrt. »Ich komme sofort!« »Ich auch!«, jubelte das Mädchen und drängte sich noch enger an den Musiker heran. »Mach doch keinen Quatsch«, rief Rolf ärgerlich. »Komm jetzt endlich mit! Du kannst die Dame nachher ja mit ins Hotel nehmen! Dort seid ihr ungestört! Aber jetzt müssen wir arbeiten! Die Leute haben schließlich einen Haufen Geld gezahlt, um uns zu hören!« »Du hast recht!«, sagte Oliver und schob das Mädchen beiseite. »Warte auf mich, Püppchen! Wie heißt du eigentlich?« »Monika«, wisperte sie und zog sich verschämt ihre verrutschten Kleidungsstücke zurecht. »Auch das noch«, knurrte Oliver. »Also, dann bis später!« Missmutig folgte er Rolf zur Bühne. »Willst du dir den Lippenstift nicht abwischen?«, fragte Rolf schadenfroh. »Mach’s schon«, sagte Oliver und drückte Rolf ein Taschentuch in die Hand. »Ausgerechnet Monika muss sie heißen! Monika! Als ob es nicht genug andere Namen gäbe!« »Sie kann ja schließlich nichts dafür«, sagte Rolf. »Du kannst sie wohl nicht vergessen? Bist doch selbst dran schuld, dass sie weggegangen ist! Warum musst du denn auch immer den Don Juan spielen? Du hättest bei ihr bleiben sollen! Sie war nämlich ein Klassemädchen!« »Sei still«, knurrte Oliver gereizt. »Du kannst sie ja haben! Ich habe wirklich nichts dagegen!«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Rolf lächelnd. »Aber komm! Es ist höchste Zeit!« Inzwischen waren auch die anderen Musiker gekommen, und man besprach noch einmal kurz die Reihenfolge der Stücke, die man spielen wollte. Dann gingen sie auf die Bühne und legten los. Schon bei den ersten Tönen wurde die Höchster Jahrhunderthalle zum Hexenkessel.. Die Mädchen kreischten hysterisch, stürmten zur Bühne und versuchten schreiend, eine Hand oder einen Fuß eines der Musiker zu erhaschen. Blumen und kleine Geschenke flogen auf die Bühne. Man klatschte und stampfte den Rhythmus der Lieder mit, schrie sich heiser und applaudierte, als ginge es um das eigene Leben. Für Oliver und seine Mannen war es das gewohnte Bild. Man ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und freute sich dennoch innerlich, dass man ein Star war. Es war schon ein erhebendes Gefühl! Plötzlich zuckte Oliver zusammen. Vorn in der ersten Reihe saßen Alois Huber und zwei seiner Männer. Huber winkte ihm lässig zu. Erregt schaute er zur Seite und griff prompt daneben, was ihm einen vorwurfsvollen Blick Rolfs einbrachte. Die Fans jedoch merkten nichts von dem Patzer. Sie schrien und tobten ohne Unterlass. Was will der Kerl hier?, dachte Oliver und versuchte verzweifelt, sich auf seine Musik zu konzentrieren. Der kommt doch bestimmt nicht hierher, um mich spielen zu hören. Da ist doch etwas im Gange. Monika! Irgend etwas ist mit Monika! Was sie wohl macht? Schade! Sie war wirklich ein nettes Mädchen! Das netteste überhaupt! Ich habe sie geliebt! Ja, wirklich! Eigentlich liebe ich sie immer noch! Man müsste versuchen, mit ihr wieder Kontakt zu bekommen! Ob sie mich rausschmeißen würde? Ganz sicher würde sie mich rausschmeißen! Bevor ich noch ein Wort gesagt hätte! Mist, dass ich sie nicht vergessen kann! Was ist diese andere Monika gegen meine Monika! Meine Monika? Nein, sie ist längst nicht mehr meine Monika! Ob sie einen anderen hat? Oder vielleicht zu diesem Huber zurückgegangen ist? Eigentlich unwahrscheinlich! Oder doch? Was stiert mich dieser Kerl dauernd so an? Der macht mich ganz nervös! Pfui Teufel, schon wieder daneben gegriffen! Möchte morgen nicht die Kritiken lesen! Die zerreißen mich! Die warten doch nur darauf, mich fertigmachen zu können! Warte! Denen werde ich es zeigen! Oliver verdrängte seine Gedanken und konzentrierte sich voll auf sein Orgelspiel
und seinen Gesang. Und plötzlich lief es wieder! Er spielte hinreißend, und seine Fans tobten noch einige Phonstärken lauter. Alles war hingerissen! Selbst der abgebrühte Huber war aufgestanden und schaute fasziniert auf Oliver und seine Männer. Dann kam die große Pause. »Was war nur mit dir los?«, fragte Rolf seinen Freund beim Hinausgehen. »Du hast einige Zeit einen ganz schönen Mist zusammengespielt. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir wären umgefallen!« »Huber ist da!«, sagte Oliver schuldbewusst. »Der Kerl hat mich ganz schön nervös gemacht!« »Wer ist Huber?«, erkundigte sich Rolf uninteressiert. »Ist das der Vater einer deiner Liebschaften? Vielleicht schlägt er dir ein blaues Auge? Hättest du mal verdient!« »Quatsch nicht«, sagte Oliver ärgerlich. »Huber war Monikas Zuhälter!« Rolf pfiff durch die Zähne. »Ich frage mich, was der Kerl hier will!« »Am besten ist, du fragst ihn mal, nicht wahr?« »Ich will mit dem Kerl nichts zu tun haben!« Oliver nickte seinem Freund kurz zu und verschwand in seiner Garderobe, wo das Mädchen Monika mit einem schmachtenden Lächeln auf ihn wartete. »Du warst himmlisch«, wisperte sie und sah ihn hingebungsvoll an. »Verschwinde!«, rief Oliver barsch und öffnete die Tür. »Raus!« »Aber Oli«, protestierte das Mädchen und zog einen Schmollmund. »Was ist denn nur auf einmal los mit dir?« »Raus, habe ich gesagt!« Oliver packte sie am Arm und schob sie aus der Tür. »Ich kaufe niemals mehr eine Platte von dir«, hörte er sie noch keifen. »Dumme Gans«, murmelte er und warf sich auf die Liege, die in der Garderobe stand. Er versuchte, sich zu entspannen, aber immer wieder trat Monikas Bild
vor seine Augen. Da klopfte es. »Was gibt’s denn jetzt schon wieder?«, brüllte er wütend. »Könnt ihr einem nicht mal fünf Minuten Ruhe lassen? Verdammt und zugenäht!« »Wer wird denn gleich so heftig sein«, hörte er Huber sagen. Huber trat mit seinen Männern ein und schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab. »Damit uns keiner mehr stört!« Unaufgefordert setzte er sich Oliver gegenüber, der sich erschrocken aufgerichtet hatte und den Nachtclubkönig beklommen ansah. »Respekt«, sagte Huber. »Sie spielen wirklich sehr gut! Das muss Ihnen der Neid lassen! Sie sind ein Paganini der Orgel! Wirklich beachtlich! Kein Wunder, dass Ihnen die Weiber nachrennen! Ich möchte auch so spielen können. In meiner Jugend habe ich es zwar mal versucht, aber dann sofort wieder aufgegeben! Habe eben kein Talent zum Künstler!« »Um mir das zu sagen, sind Sie doch gewiss nicht hergekommen«, sagte Oliver mit heiserer Stimme. »Nein, gewiss nicht«, bestätigte Huber grinsend. »Also! Schießen Sie los! Ich habe wenig Zeit!« »Verstehe ich, junger Mann«, erwiderte Huber. »Verstehe ich voll und ganz. Ich will Sie auch gar nicht lange auf die Folter spannen! Sie haben es also geschafft! Man spricht von Ihnen! Alle Achtung! Mein Gott, bei dem Können! Es müsste Ihnen doch etwas wert sein, diesen Namen zu behalten, oder?« Er sah Oliver lächelnd an. Der junge Musiker schwieg. »Ich meine, es könnte ja immerhin mal etwas bekanntwerden, was Ihrem guten Ruf schaden könnte! Man kann so etwas nicht von vornherein ausschließen!« »Wollen Sie mich erpressen?«, fragte Oliver. »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, von dem die Öffentlichkeit nichts wissen darf!« »Sind Sie da ganz sicher?«, fragte Huber hämisch grinsend.
»Wollen Sie damit auf Monika, oder Leila anspielen?« Oliver lachte gequält. »Gut! Ich habe sie einmal geliebt. Das ist vorbei! Vergangen! Vergessen! Gut, sie war ein Freudenmädchen! Ich sehe nicht ein, warum das in der Öffentlichkeit nicht bekanntwerden sollte! Dazu stehe ich! Damit können Sie bei mir nichts ernten, mein Lieber!« »Ich weiß, ich weiß!«, sagte Huber gemächlich. »Dazu stehen Sie voll und ganz! Stehen Sie auch dazu, dass Sie dieses Freudenmädchen geschwängert haben und sie dann sitzenließen? Dass sie jetzt ihren Lebensunterhalt mit Adressenschreiben und ähnlichen Kinkerlitzchen bestreiten muss, während der Vater ihres Kindes in Millionen schwelgt?« Oliver blickte ihn irritiert an und schüttelte den Kopf. »Sie machen sich lächerlich, Huber«, sagte er amüsiert. »Diesen Bären können Sie mir nicht aufbinden! Monika soll ein Kind haben von mir? Das gibt es doch gar nicht!« »Sie hat es noch nicht«, sagte Huber spöttisch. »Es ist auf dem Weg! Ich schwöre es Ihnen!« »Ihnen kommt es auf einen Meineid mehr oder weniger nicht an«, erwiderte Oliver. »Gewiss nicht«, meinte Huber sarkastisch. »Aber in diesem Fall habe ich ausnahmsweise mal recht! Sie werden Vater, Herr Musikus!« »Das müsste Monika mir persönlich sagen, sonst glaube ich es nicht!« »Das Mädchen wird sich hüten! Sie will von Ihnen nichts mehr wissen! Von mir übrigens auch nicht. Deshalb komme ich ja zu Ihnen. Sie müssen mir den Verdienstausfall ersetzen. Das dürfte Ihnen doch nicht schwerfallen, oder?« »Wie käme ich dazu!«, antwortete Oliver hart. »Das werde ich Ihnen gleich sagen«, rief Huber scharf. »Sie haben keinen dummen Jungen vor sich, Herr Mai! Entweder Sie zahlen, oder es wird etwas Entsetzliches ieren, das verspreche ich Ihnen!« »Woher soll ich denn wissen, ob ich wirklich der Vater bin? Monika ist
schließlich kein unbeschriebenes Blatt! Soweit ich mich erinnern kann, war sie ja mal in Ihren Diensten tätig!« »Sie sind doch sonst ein sehr cleveres Kerlchen«, meinte Huber. »Dann rechnen Sie einfach mal nach! Monika ist jetzt im achten Monat! Wann haben Sie sich getrennt? Na, geht Ihnen jetzt ein Licht auf?« Oliver sank auf seinem Platz sichtlich in sich zusammen. Tatsächlich! Der Kerl hatte recht! Wenn Monika wirklich schwanger war, musste er der Vater sein! Zu jener Zeit, in der es iert sein musste, war sie längst nicht mehr für Huber tätig gewesen. Dafür legte er die Hand ins Feuer! Blieb nur die Frage, ob Monika wirklich ein Kind bekam oder ob dieser Ganove sich die ganze Geschichte aus den Fingern gesogen hatte. »Sie müssten mir die Sache schon beweisen«, sagte er schwach. Alois Huber winkte einen seiner Männer heran. Dieser erhob sich frech grinsend, zog ein paar Fotos aus der Brieftasche und reichte sie seinem Boss, der sie vor Oliver auf den Tisch warf. »Genügen Ihnen im Moment ein paar Fotos?«, fragte er zynisch. Oliver griff mit zitternden Händen nach den Fotografien. Monika! Die Bilder zeigten Monika! Ihr Zustand war unverkennbar! Da gab es keinen Zweifel! Huber hatte also nicht gelogen! Er, Oliver Mai, wurde tatsächlich Vater! Sollte er sich darüber freuen? Ihm war im Moment nicht danach! Und doch! Irgendwo in einem verborgenen Winkel seines Herzens spürte er doch ein Fünkchen Freude! »Na? Was sagen Sie jetzt?«, erkundigte sich Huber spöttisch. »Damit haben Sie wohl nicht gerechnet, was? Ich freue mich, dass ich der Glückliche bin, der Ihnen die frohe Botschaft überbringen durfte! Ich gratuliere Ihnen, Sie ... Sie Vater!« Die drei Gangster lachten und klatschten sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Gehen Sie!«, stöhnte Oliver, dem die kalte Wut in den Augen stand. »Gehen Sie, bevor ich mich vergesse!« »Ach ja, richtig! Vergessen! Wir haben ja noch etwas vergessen!« Huber rieb sich vergnügt die Hände. »Wir haben ja noch nicht über den Betrag gesprochen,
den Sie mir, sagen wir mal, schenken wollten! Oder möchten Sie, dass Ihre Vaterschaft der Öffentlichkeit bekannt wird?« Er sah Oliver aus den Augenwinkeln lauernd an. Oliver war kreidebleich geworden. Er biss die Zähne zusammen. Seine Hände waren geballt. Es sah aus, als würde er jeden Augenblick die Beherrschung verlieren. »Geben Sie es doch bekannt«, stieß er hervor. »Mir macht es nichts aus! Im Gegenteil! Wenn Sie es bekanntgeben, wird mein Name wieder einmal in allen Zeitungen erscheinen. Ist das nichts? Nein, Herr Huber. Sie haben aufs falsche Pferd gesetzt!« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Huber ruhig. »Sie werden mir meinen Verdienstausfall ersetzen, den Sie verursacht haben, als Sie mir Monika wegnahmen! Da nützt Ihnen auch Ihr Schreiben nichts, das Sie angeblich bei Ihrem Rechtsanwalt hinterlegt haben! Sie werden mir nichts nachweisen können! Sie kennen meine Macht noch nicht, Herr Mai! Wenn ich will, mache ich Sie fertig! Verlassen Sie sich darauf! Noch können Sie es sich überlegen. Noch haben Sie Zeit dazu. Aber nicht mehr lange! Dann schlage ich erbarmungslos zu! Ich habe lange genug geschwiegen und mir von Ihnen allerhand gefallen lassen. Sie mögen tausendmal der berühmte Star sein. Für mich sind Sie ein kleines Licht, das ich jederzeit ausblasen kann! Und ich werde es tun!« Er maß Oliver mit einem verächtlichen Blick von oben bis unten, gab seinen Begleitern einen gebieterischen Wink und verließ mit ihnen Olivers Garderobe. Sie waren kaum gegangen, als Rolf in den Raum geeilt kam und Oliver besorgt ansah. »Was war denn bei dir los?«, erkundigte er sich unruhig. »Ihr habt hier herum geschrien, dass man euch hundert Meter weit gehört hat!« Oliver berichtete mit wenigen Worten vom Besuch Hubers. Rolf schlug entsetzt die Hände zusammen. »Das hat uns gerade noch gefehlt!«, stöhnte er. »Bist du überhaupt noch in der Lage, das Konzert fortzusetzen?« »Es wird schon gehen«, antwortete Oliver leise. »Man soll halt den Kopf nie zu
weit nach oben recken! Es steht immer einer bereit, der einem einen Schlag versetzt, damit man wieder nach unten purzelt!« »Du hast ihn ein bisschen weit nach oben gereckt«, meinte Rolf leicht vorwurfsvoll. »Ich glaube, als dein bester Freund darf ich dir das wohl sagen.« Oliver nickte beklommen. In dieser Stunde hatte er viel gelernt. Er wusste, dass er einiges falsch gemacht hatte, dass er sich gemein und verantwortungslos benommen hatte. Heute war Zahltag gewesen für seine Überheblichkeit. Der Besuch Hubers hatte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. »Was willst du tun?«, fragte Rolf. »Willst du mit Monika sprechen, dich mit ihr aussöhnen?« »Weißt du, wo sie lebt?« Oliver sah seinen Freund verzweifelt an. »Das müsste doch herauszukriegen sein«, sagte Rolf. »Zumindest weiß es dieser Huber!« »Glaubst du, er sagt es mir? Der wartet bestimmt nur darauf! Ganz sicher! Der wird sich ins Fäustchen lachen, wenn ich bei ihm aufkreuze!« Er schüttelte mutlos den Kopf. »Ich werde es für dich tun«, sagte Rolf einfach. »Es wird Zeit, dass wieder Ruhe und Ordnung in unserer Band einkehren! Ich möchte nicht, dass wir auseinanderfallen! Dazu fehlt nicht mehr viel! Glaube es mir! Den anderen stinkt dein Gehabe schon lange! Du ahnst nicht, was hinter deinem Rücken gesprochen wird! Auch die Plattenfirma wartet nur auf den Tag, an dem du einen Fehler machst, mein Lieber! Ich weiß mehr, als du denkst! Deine Starallüren waren in der letzten Zeit fast unerträglich! Wir hatten bis jetzt nur Glück, dass unsere Platten gut gelaufen sind! Sonst wären wir längst weg vom Fenster!« »War es so schlimm mit mir?« Oliver senkte beschämt den Kopf. »Noch schlimmer«, gab Rolf unumwunden zu. »Ich habe erst vor kurzem einen Fernsehproduzenten sagen hören: Ich freue mich auf den Tag, an dem dieser Kerl auf die Nase fällt! Man kann ihn dem Publikum kaum mehr zumuten! Ja, das hat er gesagt! Und sollte mal eine unserer Platten ein Misserfolg sein, dann lässt er uns fallen wie eine heiße Kartoffel. Es dauert nicht mehr lange! Du weißt, wie es anderen Gruppen gegangen ist! Deshalb müssten wir wieder zusammenhalten! Zusammenhalten wie damals, als du blind warst! Damals
herrschte wahre Kameradschaft! Da war einer für den anderen da! Und letzten Endes verdankten wir das Monika! Aus diesem Grund gehe ich zu Huber und besorge mir die Adresse des Mädchens! Du liebst sie doch noch, oder?« »Ja, ich liebe sie noch!«, sagte Oliver leise. »Wie sehr, ist mir in den letzten Minuten klargeworden! Verzeih mir, Rolf! Ich war ein Idiot!« »Wie schön, dass du das endlich einsiehst«, spottete Rolf und schlug seinem Freund auf die Schulter. »Und jetzt müssen wir raus auf die Bühne! Es ist höchste Zeit!« Olivers Musiker wunderten sich sehr, als ihr Boss vor dem zweiten Teil ihres Auftritts zu jedem einzelnen ging, ihm die Hand reichte und etwas von »verzeihen« murmelte. Rolf machte ihnen hinter Olivers Rücken ein bedeutungsvolles Zeichen. So schwiegen sie und nahmen die Geste ihres Chefs verständnislos zur Kenntnis.
19
Rolf Adler überlegte am nächsten Tag, wie er wohl am unauffälligsten zu Alois Huber gelangen konnte. Sicher war er ihm als Musiker in Olivers Band bekannt. Er musste also sein Aussehen verändern. So besorgte er sich eine Perücke und einen Bart und verkleidete sich. In dieser Aufmachung ließ er sich in Hubers Büro anmelden. Ein blondes Mädchen, das aussah, als käme es soeben vom Frankfurter Straßenstrich, saß im Vorzimmer und hämmerte auf einer Schreibmaschine herum. Als der Besucher eintrat, sah sie kurz auf. »Was wollen Sie vom Chef?«, fragte sie. »Ich komme vom LSD-Club Hongkong«, sagte Rolf geheimnisvoll, der auf den ersten Blick erkannt hatte, wes Geistes Kind die Kleine war. »Es geht um Millionen!«
»Oh«, rief die Kleine und riss erstaunt die Augen auf. »Ich will mal hören, was der Boss meint! Entschuldigen Sie einen Moment!« Sie erhob sich und ging durch eine schwere, lederbeschlagene Tür in einen Nebenraum. Nach einer Weile kam sie zurück, ließ Rolf ins Chefzimmer ein und schloss hinter ihm die Tür. Huber saß hinter seinem mächtigen Schreibtisch. Als Rolf eintrat, erhob er sich und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Breitenbach«, stellte sich Rolf vor. »Alex Breitenbach!« »Sie kommen natürlich nicht vom LSD-Club Hongkong«, sagte Huber lächelnd. »Sie ist ein wenig dumm, wissen Sie! Mich hat einmal interessiert, wer mit solch kühnen Behauptungen versucht, bei mir vorgelassen zu werden! Nehmen Sie Platz!« Rolf setzte sich und wartete, bis auch Huber wieder hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Huber und musterte sein Gegenüber misstrauisch. »Sind Sie von der Polizei?« »Wie kommen Sie auf diese absurde Idee?«, rief Rolf und machte mit den Händen eine abwehrende Bewegung. »Ich sagte Ihnen doch: Mein Name ist Breitenbach! Sagt Ihnen das nichts?« »Breitenbach? Breitenbach?«, sinnierte Huber und schüttelte den Kopf. Dann plötzlich zuckte er merklich zusammen. Anscheinend war ihm die Erleuchtung gekommen. »Ah ja!«, sagte er. »Breitenbach hieß ein Mädchen, das in einem meiner Nachtclubs gearbeitet hat!« »Richtig«, strahlte Rolf. »Sie ist eine Cousine von mir! Wir haben uns jahrelang nicht mehr gesehen! Wissen Sie, ich lebe im Ausland und bin gerade zu einem Besuch in der Bundesrepublik. Diese Gelegenheit wollte ich nutzen, um mein Cousinchen einmal zu besuchen! Sie schrieb mir vor längerer Zeit, dass sie bei Ihnen tätig sei! Deshalb dachte ich mir: Wendest dich am besten an ihren Chef! Er weiß sicher, wo sie steckt!«
»Tut mir leid«, erwiderte Huber wenig erfreut. »Ich kann Ihnen nicht behilflich sein! Sie ist nicht mehr bei mir! Schon eine ganze Weile nicht!« »So was Dummes«, murmelte Rolf und tat sehr ärgerlich. »Und Sie können mir nicht weiterhelfen? Vielleicht hat Sie irgendwo hinterlassen, wo sie jetzt wohnt?« Huber musterte seinen Besucher eine Weile gedankenverloren. Irgendwie kam ihm dieser Kerl bekannt vor! Wo hatte er dieses Gesicht schon einmal gesehen? Plötzlich kam ihm die Erleuchtung! Richtig! Das war doch einer von Mais Musikern! Alle Achtung, der Kerl hatte Mut! Wagte sich in die Höhle des Löwen! Huber musste innerlich lächeln. Er beschloss, auf das Theater seines Besuchers einzugehen. Ja, er wollte ihm sogar die richtige Adresse des Mädchens sagen. Eigentlich kam ihm die Angelegenheit für seinen gemeinen Plan, den er im Schilde führte, sogar recht gelegen. So schüttelte er den Kopf und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Ich werde doch langsam alt«, stellte er fest. »Eben fällt es mir wieder siedendheiß ein! Das Mädchen hat mir ja seine Adresse hinterlassen, falls ich es mal zur Aushilfe brauche!« Er suchte in seinem Schreibtisch herum und legte schließlich einen kleinen Zettel auf den Tisch, auf dem Rolf allerdings nichts erkennen konnte. »Hier ist sie!«, sagte Huber. »Ich schreib’ sie Ihnen am besten auf!« Er zog einen weiteren Zettel hervor und kritzelte etwas darauf. Das beschriebene Blatt reichte er Rolf. »Ich freue mich, dass ich Ihnen helfen konnte«, sagte er jovial und geleitete Rolf zur Tür. »Sie finden den Weg allein? Schön! Grüßen Sie Ihre Cousine von mir! Wir haben uns gut verstanden!« Er schüttelte seinem Gast noch einmal freundlich die Hand und entließ ihn. Mit einem hässlichen Lachen ging er zurück zu seinem Schreibtisch und griff zum Telefon. Rolf hatte sich unterdessen von Hubers Sekretärin verabschiedet und das Haus verlassen. Dass es so einfach ginge, hatte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt! Ihm kam zu keiner Sekunde der Gedanke, dass an der Sache etwas faul sein könnte. Strahlend fuhr er zu dem Hotel, in dem sie während ihres Frankfurter Gastspiels wohnten, und überbrachte Oliver die Nachricht. »Du glaubst also nicht, dass er dich erkannt hat?«, fragte Oliver besorgt. Er
traute dem Frieden nicht. Er hatte Huber anders kennengelernt und wunderte sich, dass er sich auf einmal so bereitwillig zeigte. »Keine Spur«, behauptete Rolf stolz. »Auf Vater kannst du dich verlassen! Jedenfalls haben wir jetzt, was wir wollten!« »Fragt sich nur, ob es tatsächlich die richtige Adresse ist«, meinte Oliver nachdenklich. »Warum prüfen wir das nicht gleich nach?«, rief Rolf kampfeslustig. »Oder hast du den Mut schon wieder verloren?« Oliver schüttelte den Kopf. »Okay«, sagte er leise. »Worauf warten wir noch?« In Rolfs Wagen fuhren sie zur Wohnung des Mädchens. Zwischen unzähligen Klingelknöpfen entdeckten sie tatsächlich Monikas Namen. Das Herz schlug Oliver bis zum Hals, als er seinen Finger auf den Knopf neben Monikas Namen legte und zweimal kräftig drückte. Nichts rührte sich. Oliver klingelte erneut. Wieder nichts. »Sie wird spazieren gegangen sein«, tröstete Rolf seinen Freund, als er dessen enttäuschtes Gesicht sah. »Suchen Sie jemanden?«, hörten sie plötzlich eine Stimme. Eine ältere Frau schaute aus einem Fenster im Parterre und musterte die beiden Männer neugierig. »Ja, wir wollten zu Frau Breitenbach«, sagte Rolf und machte einen tiefen Diener. »Kennen Sie sie zufällig?« »Ja, ich kenne sie«, sagte die alte Dame. »Sie bekommt wohl bald ein Baby, nicht wahr?« »Sehr richtig«, bestätigte Rolf. »Das ist sie!« »Sie ist vor kurzem in Begleitung zweier Männer aus dem Haus gegangen. Sehr vertrauenswürdig sahen die aber nicht aus! Auch das Mädchen schaute nicht gerade glücklich aus. Aber was sollte sie machen! Der eine hielt sie am Arm und
zog sie in sein Auto! Da sie sich nicht gewehrt hat, habe ich mir auch nichts Schlechtes dabei gedacht! Ich habe doch hoffentlich keinen Fehler gemacht?« »Nein, nein«, sagte Rolf freundlich. »Machen Sie sich nur keine Gedanken! Was hältst du von der Sache?« Er wandte sich wieder an seinen Freund, der ihn betroffen ansah. »Huber«, sagte Oliver verbittert. »Dahinter steckt Huber! Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl! Ich glaube, jetzt können wir uns auf etwas gefasst machen!« »Das befürchte ich auch«, erwiderte Rolf ernst. »Ich meine, wir sollten zur Polizei gehen!« »Bist du wahnsinnig? Denk an Monika! Solange sie in seiner Gewalt ist, können wir nichts unternehmen! Jetzt ist Huber am Zug! Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten. Er wird sich ja wohl bald melden!
20
Kurz zuvor hatte sich folgendes ereignet: Monika Breitenbach saß in einem Sessel in ihrem kleinen Wohnzimmer und las die Kritiken über Olivers Konzert in der Höchster Jahrhunderthalle. Man billigte der Gruppe »Music Jokers« übereinstimmend großes Können zu. Insbesondere wurde Oliver gelobt, obwohl er in der Anfangsphase auch hin und wieder danebengegriffen habe. Monika ließ die Zeitung sinken und schaute verträumt zum Fenster hinaus. Oliver war in der Stadt. Ob er wohl auch mal an sie gedacht hatte? Sicher nicht! Der hatte andere Probleme! Sicher hatte er sie längst vergessen. Ob er wohl angerufen hätte, wenn er wüsste, dass sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trug? Oh, Oliver! Warum kann ich dich nicht vergessen? Lieber Gott, lass mich doch endlich diesen Mann vergessen! Ich will doch nichts mehr mit ihm zu tun haben! Er hat mich doch so sehr enttäuscht! Warum nur muss ich ihn immer noch lieben? Warum?
Sie nahm die Zeitung wieder auf und las mit tränenverschleierten Augen weiter. »So etwas hat die Jahrhunderthalle lange nicht mehr erlebt«, las sie. »Man tobte, schrie, klatschte, trampelte, man kann es nicht beschreiben. Die Halle drohte auseinanderzubrechen. Doch den überwiegend jungen Zuschauern muss man bescheinigen: Sie haben sich diszipliniert verhalten und ihrer Begeisterung nicht durch Zerstörungswut Luft gemacht. Den jungen Musikern kann man nur zu ihrem Erfolg gratulieren und sich selbst wünschen, dass sie bald wieder einmal in unserer Stadt gastieren mögen!« « Ich hätte doch hingehen sollen, dachte Monika. Ob Oliver mich überhaupt beachtet hätte? Aber wie sollte er denn? Ihr Geld hätte ohnehin nur für einen Platz auf den hinteren Rängen gereicht. Wie sollte er sie da sehen? In seine Garderobe wäre sie nie im Leben gegangen! Wie käme sie denn auch dazu! Vorbei! Es gab keinen neuen Anfang! Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos. Oliver! Ich liebe dich doch immer noch! Ich könnte mich selbst ohrfeigen! Aber was soll ich denn tun? Soll ich dich bitten, mich wieder aufzunehmen? Damit das ganze Theater von vorn losgeht? Nein, es wäre sinnlos! Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es klingelte. »Es sind Blumen für Sie abgegeben worden«, meldete sich eine Stimme aus der Sprechanlage. Oliver, schoss es ihr durch den Kopf. Er hat also doch an mich gedacht! Woher er wohl meine Adresse hat? Ach Gott, die kann er doch in jedem Telefonbuch nachlesen! Sorglos und glücklich drückte sie auf den Summer. Als sie durch den Spion spähte, erblickte sie nur einen riesigen Korb Blumen. Erfreut öffnete sie die Tür. »Hallo, Püppchen«, sagte eine ihr wohlbekannte Stimme, und dann erkannte sie durch die Blumen Lothar, Hubers Totschläger. Da ahnte sie, dass sie wieder einmal auf einen von Hubers Tricks hereingefallen war. Bevor sie noch schreien konnte, hatte ihr Lothar einen Wattebausch mit einer übelriechenden Flüssigkeit auf das Gesicht gedrückt. Ihr schwanden die Sinne, und sie stürzte zu Boden. Lothar zerrte sie in die Wohnung und verständigte dann über die Sprechanlage seinen Kumpan, der wenig später ebenfalls heraufkam. Als Monika erwachte, lag sie auf der ärmlichen Couch in ihrem Wohnzimmer. Lothar hockte auf einem Sessel, hatte seine Füße auf den kleinen Tisch gelegt
und schaute sie grinsend an. »Hallo«, sagte er spöttisch. »Sind wir wieder unter den Lebenden? Dann können wir wohl gehen, was?« »Was wollen Sie von mir?«, schrie sie ängstlich. »Mach keinen Lärm, Puppe«, drohte der andere. »Wenn du schreist, stopfen wir dir den Mund! Du brauchst keine Angst zu haben! Huber möchte dich sehen!« »Warum ist er nicht selbst gekommen?«, fragte sie angstvoll. »Er hatte keine Zeit«, erwiderte Lothar. »Könnt ihr mich denn nie mehr in Ruhe lassen?«, sagte sie bitter. »Was habe ich euch denn getan?« »Uns hast du nichts getan«, antwortete Lothar mit einem süffisanten Lächeln. »Aber Huber muss was gegen dich haben! Jedenfalls sollen wir dich schnell zu ihm bringen! Also mach keine Zicken und komm mit!« »Und wenn ich mich weigere?« Lothar schaute sie ärgerlich an, nahm seine Beine vom Tisch und stellte sich drohend vor sie. »Du willst doch dein Kind heil auf die Welt bringen, oder?«, sagte er drohend. »Also komm mit, sonst ist es aus!« Monika sah ihn mit ängstlich aufgerissenen Augen an. Diese von Huber abhängige Kreatur war zu allem fähig. Er ging für seinen Boss über Leichen! Und der andere war wohl auch nicht besser! »Gehen wir«, sagte sie deshalb unglücklich. »Bringen wir es hinter uns!« »Du bist ein braves Mädchen«, lobte Lothar. Dann nahm er sie am Arm und führte sie aus der Wohnung. Der andere Mann folgte ihnen verschlagen grinsend. Sie brachten Monika in Hubers Büro. Huber saß, dumpf vor sich hin brütend, an seinem Schreibtisch und blickte kaum auf, als die beiden Männer das Mädchen
in den Raum schleppten. »Befehl ausgeführt«, meldete Lothar militärisch. Es fehlte nur noch, dass er salutierte. »In Ordnung«, sagte Huber. »Setz dich!« Er deutete auf einen Stuhl, und Monika nahm widerstrebend Platz. Ängstlich schaute sie auf den Gangster, der wie geistesabwesend in irgendeiner Akte blätterte und sie nicht beachtete. Monika fühlte sich unbehaglich. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte geschrien! Nur die Angst, diese unsägliche Angst, hielt sie davon ab. Schließlich blickte Huber auf und musterte sie kühl. »Ich habe mich gestern mit deinem ehemaligen Liebhaber unterhalten«, sagte er unvermittelt. Monika fuhr erschrocken zusammen. »Er ist übrigens ein ausgezeichneter Musiker! Das ist aber auch alles! Stell dir vor, er will mir nichts dafür bezahlen, dass er dich mir weggenommen hat! Ist das nicht unerhört? Es ist geradezu lebensgefährlich! Nicht für ihn! Was kümmert mich dieser Waschlappen? Aber es könnte für dich und ...«, er machte eine bedeutungsvolle Pause, in der er sie hämisch angrinste »und für sein Kind gefährlich werden! Überaus gefährlich!« »Sie haben ... es ihm ... gesagt?«, stammelte das Mädchen erschüttert. Huber nickte ungerührt. »Sollte ich nicht? Um so zahlungsfreudiger wird er sein!« »Lassen Sie doch Oliver in Ruhe! Er hat nichts mehr mit mir zu tun! Das sagte ich Ihnen doch schon. Lassen Sie ihn in Frieden! Lieber werde ich wieder für Sie arbeiten!« »In diesem Zustand?«, fragte er spöttisch. »Nein, mein Kind! Du wirst erst wieder eingesetzt, wenn alles vorüber ist! Aber vorher muss er zahlen. Er soll bluten, bis er schwarz wird! Alois Huber beleidigt man nicht ungestraft! Daran hättet ihr denken sollen!« »Sie sind kein Mensch, Huber«, stammelte Monika erschüttert. »Sie sind ein ... ein Satan!« »Ich weiß«, erwiderte Huber ungerührt. »Glaubst du, ich hätte mir mein kleines Imperium aufbauen können, wenn ich immer den geraden Weg gegangen wäre?
Nein, meine Liebe! Da säße ich heute in einem kleinen, stickigen Büro, arbeitete acht Stunden am Tag und ginge abends todmüde nach Hause. Wäre das ein Leben? Da pfeif ich drauf! Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe: Mit meinen eigenen Händen habe ich es aufgebaut!« »Und dabei die Not anderer Menschen ausgenutzt oder die anderen Menschen sogar ins Unglück gestürzt! Und auf so etwas sind Sie stolz? Ich würde mich schämen!« Monika spuckte vor Huber aus. Er sah sie einen Moment perplex an, dann schlug er ihr hart ins Gesicht. »Tu das nie wieder!«, schrie er zornig. »Nie! Hast du mich verstanden?« Monika gab keine Antwort. Sie blickte starr auf die riesige Tischplatte und versuchte tapfer, ihre Tränen zu unterdrücken. Ihre Wange brannte höllisch. »Du wirst jetzt diesen Kerl anrufen«, sagte Huber und gab sich wieder völlig ruhig. »Er wird in seinem Hotel sein. Du wirst ihm sagen, in welcher Lage du bist. Wenn er die Polizei verständigt, geschieht ein Unglück! Sag ihm das ruhig! Das ist keine leere Drohung. Du kennst mich!« »Ja, ich kenne Sie«, erwiderte Monika bitter. »Sie würden Ihre eigene Mutter umbringen, wenn es Ihnen einen Vorteil bringen würde.« »Du hast es erfasst«, grinste Huber. »Also, schönes Kind, du weißt, was du zu tun hast!« Huber griff nach dem Telefonhörer und ließ sich mit dem Frankfurter Hof verbinden, in dem Oliver mit seiner Band abgestiegen war. Wenig später hatte er den jungen Musiker am Apparat. »Hallo, mein Freund«, säuselte er. »Ich hoffe, es geht Ihnen gut.« »Was ist mit Monika?«, fragte Oliver erregt. »Was haben Sie mit ihr gemacht?« »Nichts, mein Freund«, sagte Huber scheinheilig. »Sie sitzt gerade neben mir und sehnt sich danach, Ihre Stimme zu hören! Warten Sie einen Augenblick! Ich gebe sie Ihnen mal!« Er hielt die Sprechmuschel zu und sah Monika durchdringend an.
»Mach jetzt keinen Unsinn«, raunte er ihr zu. »Denk an das, was ich dir gesagt habe!« Dann reichte er Monika den Hörer. »Oliver«, sagte sie leise. »Ich bin’s! Monika! Es tut mir leid, dass ...« »Wie geht es dir?«, rief Oliver besorgt. »Hat er dir etwas getan? Ich bringe ihn um!« »Es ist schon gut, Oliver! Ich muss dir jetzt etwas sagen. Hör genau zu! Dass ich nicht freiwillig hier bin, kannst du dir wohl denken!« »Ich weiß! Ich war vor kurzem bei dir zu Hause. Eine alte Frau hat beobachtet, wie dich zwei Männer weggebracht haben! Den Rest habe ich mir selbst zusammengereimt! Der Dreckskerl will Geld von mir, nicht wahr?« »Ja, Oliver! Das will er! Er droht, unser ...«, sie stockte einen Augenblick »unser Kind zu töten!« »Das wird er nicht wagen! Schließlich gibt es auch noch eine Polizei!« »Um Gottes willen! Lass die Polizei aus dem Spiel! Das macht die Sache noch gefährlicher!« Huber riss Monika den Hörer aus der Hand. »Hören Sie mir mal genau zu, junger Mann!«, schrie er in die Muschel. »Ich habe keine Lust mehr, mit Ihnen stundenlang zu diskutieren. Bis heute Abend möchte ich von Ihnen hunderttausend Mark in bar. Das dürfte für Sie ein Pappenstiel sein. Ich kenne Ihren Marktwert. Ich habe genaue Erkundigungen über Sie eingezogen! Außerdem erwarte ich von Ihnen einen Vertrag, der mich mit fünfzig Prozent an Ihren Einnahmen beteiligt. Zunächst einmal für drei Jahre. Der Vertrag muss hieb und stichfest sein! Keine Tricks, nichts Kleingedrucktes, von einem Notar beglaubigt! Wenn Sie die Polizei verständigen, stirbt Leila an einer Überdosis Heroin. Man wird mir nichts nachweisen können. Ich habe Erfahrung in diesem Geschäft! Wenn Sie auf meine Bedingungen eingehen, iert ihr nichts, und Sie haben das Mädchen morgen wieder! Sollte es Ihnen dann einfallen, zur Polente zu gehen, werden Sie keine ruhige Minute mehr haben! Selbst wenn man mich einbuchtet! Ich habe alles geregelt. Meine Freunde werden Sie finden. Das sollten Sie sich überlegen junger Mann! Ich erwarte Sie heute Abend im >Bel Ami<, das Sie ja noch
kennen werden! Seien Sie pünktlich!« »Aber das ist doch alles Wahnsinn«, rief Oliver erregt. »Woher soll ich denn hunderttausend Mark nehmen?« »Das ist Ihre Sache! Ich erwarte Sie heute Abend!« Ohne auf eine weitere Diskussion einzugehen, legte er auf. Dann wandte er sich an Monika: »So, mein schönes Kind! Jetzt werden wir dich ein wenig verstecken! Hoffentlich ist dein ... Geliebter gescheit! Es täte mir leid! Du hast einen solch hübschen Körper! Selbst in deinem jetzigen Zustand noch! Und vor allem dein Gesicht! Es wäre wirklich schade darum!« Er drückte auf einen versteckten Klingelknopf. Lothar und der andere Mann kamen ins Zimmer, packten auf einen Wink Hubers Monika an beiden Armen und führten sie aus dem Büro.
21
»Dieses Geschäft könnten wir uns eigentlich selbst unter den Nagel reißen«, sagte Lothars Begleiter, der auf den wohlklingenden Namen Sebastian Bach hörte, doch mit dem Träger des gleichen Namens nichts gemein hatte. Die beiden Männer hatten das Mädchen auf dem Rücksitz ihres Autos untergebracht und rasten nun in Richtung Taunus, dessen sanfte Hügelketten sich vor den Toren Frankfurts erstrecken. Huber besaß in der Nähe von Königstein ein kleines Wochenendhaus. Dorthin sollten sie das Mädchen bringen. Monika hockte apathisch im Wagen und lauschte dem Gespräch der beiden Männer ohne großes Interesse. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen. Hubers Forderungen waren zu ungeheuerlich. Oliver konnte einfach nicht darauf eingehen. Und warum sollte er auch? Sie war ihm gleichgültig. Er hatte es sie seinerzeit allzu deutlich spüren lassen! Er würde keinen Pfennig bezahlen. Und das Kind? Es bedeutete ihm nichts! Wahrscheinlich nahm er ohnehin an, es sei nicht von ihm. Monika machte sich auf das Schlimmste gefasst. Sie war ruhig, fast gelassen. »Warum antwortest du nicht?«, fragte Bach, der den Wagen steuerte, und
schielte seinen Begleiter von der Seite missmutig an. »Ich überlege«, knurrte Lothar unfreundlich. »Was hältst du von meinem Vorschlag?, fragte Bach. »Wir könnten eine Menge Möpse verdienen! Was Huber kann, das können wir doch schon lange! Meinst du nicht auch?« »Unterschätze den Boss nicht«, erwiderte Lothar. »Er ist auf seinem Gebiet ein Genie! Er würde uns jagen wie tollwütiges Wild!« »Man müsste ihn ausschalten«, knurrte Bach gereizt. »Er stinkt mir schon lange! Immer behandelt er einen wie den letzten Dreck! Er staubt alles ab, und wir müssen mit den Happen zufrieden sein, die er uns, wenn er mal gute Laune hat, zuwirft. Mir stinkt’s wirklich! Ich will schon lange aussteigen! Sag nur, du fühlst dich wohl bei ihm!« Lothar zuckte mit den Schultern und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Kann ich eigentlich nicht behaupten«, murmelte er verdrossen. »Na, siehst du«, sagte Bach befriedigt. »Wir sollten nicht zögern! Ich habe mich da schon mal vorsichtig umgehört! Es gärt schon lange bei den Männern! Sie warten nur auf eine ende Gelegenheit, dann ist der Teufel los. Du kannst es mir glauben! Wenn du noch auf unserer Seite bist, ist der Tag X gekommen! Wir sollten zugreifen, bevor es ein anderer tut! Dann sind wir nämlich die Gelackmeierten und kommen vom Regen in die Traufe! Ich könnte mir gut vorstellen, dass du unser neuer Boss wirst! Du hast die Fähigkeiten dazu!« Lothar fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und grinste. »Dein Vorschlag beginnt mich zu interessieren«, sagte er. »Hast du schon einen Plan?« »Nichts Bestimmtes«, antwortete Bach. »Aber ich kann mir gut vorstellen, wie es abläuft. Wir bringen das Mädchen nicht in Hubers Haus. Ich kenne einen alten Bunker in der Nähe von Bad Homburg. Er liegt irgendwo versteckt im Wald. Ich habe ihn schon öfter als Schlupfwinkel benutzt, wenn ich mal für einige Zeit untertauchen musste, du verstehst! Ich habe sogar ein Schloss eingebaut. Du siehst, ich habe an alles gedacht! Dorthin bringen wir das Püppchen. Es ist dort
gut aufgehoben. Dann fahren wir zu Huber zurück und schaffen ihn beiseite. Ahnungslos, wie er ist, wird das keine Schwierigkeit für uns sein. Wie’s weitergeht, ergibt sich wohl von selbst!« Er blickte seinen Beifahrer vergnügt von der Seite an. Lothar nickte versonnen. Ihm gefiel der Plan! Er gefiel ihm sogar sehr gut. Er hatte nur einen Haken: Sebastian Bach! Dieser Kerl war ihm zuwider! Nun, das Problem würde sich lösen lassen. Erst musste er ihn zu dem geheimen Versteck bringen. »Okay! Einverstanden! Ich bin dabei!« »Klasse!«, rief Bach fröhlich. »Darauf müssen wir nachher einen trinken!« »Ja, das müssen wir«, sagte Lothar lächelnd. dass seine Augen nicht mit lächelten, entging Bach. Er fühlte sich bereits als zweiter Mann in der neuen Bande. Bei der Abfahrt Bad Homburg verließen sie die Autobahn, schlängelten sich durch die Stadt und fuhren schließlich einen schmalen Feldweg hinauf, der sie in den nahen Wald brachte. Bach störte sich nicht daran, dass der Weg nur für landund forstwirtschaftliche Fahrzeuge zugelassen war. Zielbewusst fuhr er in den Wald hinein. Dann war der Weg zu Ende. »Das letzte Stück müssen wir laufen«, erklärte er und stieg aus dem Fahrzeug. Die beiden Männer öffneten die hintere Tür des Wagens und zerrten Monika ins Freie. »So, Püppchen! Jetzt kommst du bald in eine feine Wohnung«, feixte Sebastian Bach und stieß Lothar freundschaftlich in die Seite. »Wird dir gut gefallen!« Sie ließen das Auto stehen und tappten durch den immer dichter werdenden Wald. Wucherndes Gestrüpp zerriss Monikas Strümpfe. Dornen zerkratzten ihr die Beine. Aber sie gab keinen Klagelaut von sich. Lothar sah sie ein paarmal bewundernd von der Seite an. Das Mädchen hatte Courage, das musste man ihr lassen! Nach etwa einer Viertelstunde hatten sie den alten, halb zerfallenen Bunker erreicht, der von einer hohen Dornenhecke umgeben war. Man konnte ihn von außen tatsächlich kaum sehen.
»Habe ich selbst gepflanzt«, sagte Bach stolz und deutete auf die Hecke. »Damit keiner durch Zufall meinen Schlupfwinkel findet!« Er räumte ein paar vertrocknete Zweige zur Seite, und jetzt entstand ein schmaler Weg, der zu dem verlassenen Bunker führte. Bach zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. »Darf ich bitten«, rief er. »Elektrisches Licht haben wir natürlich keines, aber ich habe eine alte Petroleumfunzel. Sie wird dir reichen, Mädchen! Du willst ja schließlich keinen Striptease vorführen, nicht wahr?« Er lachte und stieß das Mädchen in den finsteren Raum. Kurz darauf hatte Bach die Lampe angezündet, die das Innere gespenstisch erleuchtete. Lothar sah sich neugierig um. Der Raum war etwa fünf Meter lang und drei Meter breit. Im Hintergrund standen eine alte Liege und ein wackeliger Tisch, auf dem ein paar zerrissene Zeitungen und Illustrierten lagen. Auch einen kleinen Ofen gab es, dessen langes Rohr in der niederen Kuppeldecke verschwand. Fenster gab es natürlich keine. Nur ein paar winzige Luftlöcher in der Decke. Die Tür war aus schwerem Stahl. In dem Raum roch es moderig. »So, mein liebes Kind! Wir werden dich jetzt ein wenig allein lassen! Fühl dich wie zu Hause!«, rief Bach und lachte dröhnend. »Komm, Boss! Wir beide wollen jetzt das Geschäftliche erledigen!« Er winkte Monika noch einmal vergnügt zu, dann schloss sich die Tür, und das Mädchen war allein in dem ungemütlichen Raum. Erschaudernd setzte es sich auf die wackelige Liege und schlug die Hände vors Gesicht. Jetzt erst weinte Monika. Bach machte sich unterdessen von außen an der Tür zu schaffen. Er verschloss sie sorgfältig und steckte den Schlüssel in die Tasche. Als er sich zu Lothar umdrehte, fuhr er erschrocken zusammen. Er blickte in den Lauf einer Pistole. »Was tust du?«, rief er ängstlich. »Mach keinen Quatsch, Junge! Steck die Kanone weg! Komm!« Als die Kugel in seiner Herzgegend einschlug, verzog er erstaunt das Gesicht. Langsam wie im Zeitlupentempo brach er zusammen. Lothar steckte die Pistole weg und untersuchte den Leichnam. Er nahm Bachs Geldbörse und den Schlüssel an sich.
»Idiot«, murmelte er, drehte sich angewidert zur Seite und ging.
22
Oliver legte wie betäubt den Hörer auf die Gabel zurück. Seine Befürchtung hatte sich also bestätigt! Huber hatte das Mädchen in seine Gewalt gebracht, um seiner Erpressung Nachdruck zu verleihen. Hunderttausend Mark und fünfzig Prozent Beteiligung! Der Kerl war wahnsinnig! »Es war Huber, nicht wahr?«, fragte Rolf Adler, der seit dem gestrigen Abend nicht mehr von seiner Seite gewichen war. Die offene Aussprache hatte ihrer langjährigen Freundschaft neuen Halt gegeben. Die beiden Männer fühlten, dass sie einander brauchten, dass einer ohne den anderen nichts war. Oliver hatte in den letzten Stunden Erfahrungen fürs ganze Leben gesammelt! Er würde nicht so leicht wieder größenwahnsinnig werden und auf die anderen hochmütig herabsehen! »Ja, es waren Huber und ... Monika!«, sagte Oliver resigniert. »Huber will unser Kind töten, wenn ich nicht zahle! Er ist ein Scheusal! Er wird’s tun, darauf kannst du dich verlassen! Monika schwebt in höchster Gefahr! Was soll ich nur tun?« »Glaubst du nicht, es wäre jetzt an der Zeit, endlich die Polizei einzuschalten?«, sagte Rolf bedächtig. »Ich möchte mir keine Vorwürfe machen müssen! Wir müssen es einfach riskieren! Wir haben uns von dem Kerl lange genug ins Bockshorn jagen lassen! Er ist auch nicht allmächtig! Er fühlt sich nur so!« Oliver ging nervös im Zimmer auf und ab und rauchte in hastigen Zügen eine Zigarette. Endlich blieb er am Fenster stehen und starrte nachdenklich hinunter auf den Verkehr. Er wusste nicht, was er machen sollte! Einerseits wollte, ja musste er die Sache endlich zu einem Ende bringen. Zu einem guten Ende! Ob das mit der Polizei zu erreichen war? Ob er und vor allem Monika dann endlich Ruhe vor diesem Gangster bekamen, oder ob es dann erst richtig anfing? Noch hielt Huber alle Trümpfe in der Hand. Sogar den Haupttrumpf Monika. Die letzten Monate waren vergessen. Jetzt galt es nur noch, dem Mädchen zu helfen! Was danach kam, war in dieser Situation ohne Bedeutung. Er hoffte von ganzem
Herzen, dass sie sich wieder für ihn entscheiden würde. Aber noch hatte er sie nicht zurück. Noch befand sie sich in höchster Lebensgefahr! Er wandte sich abrupt zu seinem Freund um. »Okay«, sagte er leise. »Gehen wir zur Polizei! Ich kann nicht mehr! Es muss endlich etwas geschehen! Ich drehe sonst noch durch!« »Gehen wir«, sagte Rolf. Eine halbe Stunde später befanden sie sich auf dem Frankfurter Polizeipräsidium und schilderten einem Beamten die verfahrene Situation. Oliver erzählte die Geschichte von Anfang an. Von dem Tag, an dem er Monika kennengelernt hatte. Er ließ nichts aus. Der Beamte wurde hellhörig und griff zum Telefon, um eine höhere Dienststelle zu benachrichtigen. »Jetzt kriegen wir diesen Huber endlich«, triumphierte er. »Bis jetzt konnten wir ihm leider nie etwas nachweisen! Jetzt wird er aber schmoren, darauf können Sie sich verlassen!« Wenn der Polizeiapparat erst einmal in Gang gesetzt war, konnte ihn nichts mehr aufhalten. Kurz nach dem entscheidenden Telefongespräch war ein größeres Polizeiaufgebot unterwegs, um alle Bars, Kneipen und auch das Büro Hubers gleichzeitig zu besetzen. Der Gangster sollte keine Möglichkeit haben, zu entkommen und dem Mädchen etwas anzutun. Oliver und Rolf fuhren mit dem Trupp, der das Büro besetzen sollte. Sie hatten sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, dabeizusein, wenn dem Erzgauner Huber endlich das Handwerk gelegt würde. Als sie das Haus betraten, in dem sich Hubers Büro befand, hörten sie einen Schuss und dann den schrillen Todesschrei eines Menschen. Sofort stürmten die Beamten die Treppen hoch. Lothar fuhr nach dem Tod seines Kumpels pfeifend in die Stadt zurück. Sein Plan stand fest! Er hatte lange genug für Huber gearbeitet. Es war an der Zeit, sich selbständig zu machen! Endlich der Boss zu sein! Er parkte den Wagen vor Hubers Büro und stieg aus. Im Hinaufgehen überprüfte er kurz seine Waffe und steckte sie schussbereit in den Gürtel.
Da er als Hubers engster Mitarbeiter jederzeit Zutritt zu dessen Büro hatte, besaß er einen Schlüssel zu den Räumen. Lautlos trat er ein und öffnete die schwere Tür zu Hubers Privatbüro. Sein Chef saß am Schreibtisch, rauchte eine dicke Havanna und studierte eine Zeitschrift. Hin und wieder grinste er verschlagen vor sich hin und murmelte etwas Unverständliches. Als er ein Geräusch hörte, fuhr er erschrocken zusammen. »Ach, du bist es«, rief er erleichtert, als er Lothar erkannte. »Konntest du nicht anklopfen? Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt! Ich möchte das nicht noch einmal erleben, verstanden! Auch du hast dich an meine Anweisungen zu halten!« »Verzeihung, Chef!«, murmelte Lothar und senkte in scheinbarer Ergebenheit den Kopf. »Schon gut«, rief Huber herrisch. »Habt ihr den Auftrag ausgeführt? Wo steckt Bach?« »Er bringt noch das Auto in die Garage«, log Lothar. »Er wird gleich kommen!« »Wie hat sich das Mädchen verhalten?«, fragte Huber. »Hat sie getobt? Hat sie geschrien? Nun mach schon den Mund auf!« »Sie war ganz ruhig«, antwortete Lothar grinsend und setzte sich auf den großen Konferenztisch vor Hubers Schreibtisch. Huber sah ihn missbilligend an. »Was bekommen wir eigentlich bei diesem Coup?«, erkundigte sich Lothar und übersah den Blick seines Chefs geflissentlich. »Was soll das?«, rief Huber aufgebracht. »Ihr bekommt den gleichen Anteil wie immer: zehn Prozent!« »Ist das nicht ein bisschen wenig?«, fragte Lothar verschlagen. »Es ist mehr, als ihr verdient«, erwiderte Huber. »Schließlich habe ich den Plan ausgeklügelt! Ich bin der Boss! Merk dir das! Wenn es dir nicht t, kannst du ja gehen! So einen wie dich finde ich immer wieder! Ohne mich wärst du doch ein ganz armes Licht!« Er schaute seinen Adjutanten verächtlich an.
»Glaubst du, Boss?«, fragte Lothar und hatte plötzlich seinen Revolver in der Hand. »Schön ruhig sitzen bleiben, Boss. Lass die Hand von der Schublade! Nimm die Pfoten hoch, und verschränke sie hinter dem Kopf!« »Was soll dieser Unsinn?«, rief Huber erregt und starrte ängstlich in die schwarze Mündung der Waffe, die auf ihn gerichtet war. »Ich habe doch nur Spaß gemacht. Du wirst doch einen Spaß verstehen!« »Ich lach’ mich gleich tot«, erwiderte Lothar mit todernstem Gesicht. »Du bist überhaupt so ein spaßiger Mensch, Boss! Ich bin aus dem Lachen nicht mehr herausgekommen! Kennst du das Sprichwort: Wer zuletzt lacht...? Nun, es ist soweit, Boss! Diesmal bin ich der Glückliche!« »Lothar! Mach keinen Quatsch!«, flehte der große Gangsterboss, der auf einmal ein armseliges, zitterndes Bündel Mensch war. »Ich mach’ dich zu meinem Teilhaber! Darum geht es dir doch wohl, nicht wahr?« »Ich will nicht nur einen Teil, ich will alles«, sagte Lothar ungerührt. Huber beobachtete mit schreckgeweiteten Augen, wie Lothar langsam den Zeigefinger krümmte. Dann peitschte ein Schuss durch das Büro. Im gleichen Moment stieß Huber einen unmenschlichen Schrei aus. Dann sank er auf seinem Stuhl zusammen. Der große Nachtclubkönig von Frankfurt war tot. Kurz darauf hörte Lothar, wie an der verschlossenen Eingangstür zu Hubers Büro heftig gerüttelt wurde. »Verdammt!«, fluchte er und sah sich suchend um. Wo sollte er sich verstecken? Hier im Büro gab es keine Möglichkeit. Über kurz oder lang würde man ihn entdecken. Er sprang zu einem der breiten Fenster und öffnete es. Als er nach unten blickte, fuhr er erschrocken zurück. Unten wimmelte es von Polizisten. Das Haus war umstellt. Lothar beschloss, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Er stieß den Konferenztisch um und verschanzte sich dahinter. Wenn er schon sterben musste, wollte er wenigstens noch ein paar Bullen mitnehmen. Er hörte, wie die Beamten die Tür aufbrachen und ins Büro stürmten. Als er den ersten in der Tür sah, feuerte er blindlings auf ihn. Der Beamte fuhr zurück.
»Huber, geben Sie auf!«, hörte er eine befehlsgewohnte Stimme. »Es hat keinen Zweck! Wir kriegen Sie so oder so! Werfen Sie Ihre Waffe weg, und kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!« Lothar gab keine Antwort. Er kauerte hinter dem schweren Tisch und wartete, bis sich der nächste Polizist zeigen würde. Er hörte, wie die Beamten vor der Tür miteinander tuschelten. Plötzlich sah er, wie etwas in den Raum geschleudert wurde, das mit einem dumpfen Knall vor seinem Versteck explodierte. Offenbar handelte es sich um eine Tränengasbombe, denn das Zimmer war im Nu von einer dichten Nebelwolke erfüllt. »Ihr Schweine!«, schrie Lothar und rieb sich verzweifelt die tränenden Augen. Ein ekelhafter Hustenreiz packte ihn. Mit letzter Kraft lud er das Magazin seiner Waffe nach. Dann erhob er sich und rannte feuernd auf die Tür zu. Er spürte, wie etwas in seiner Brust einschlug, das wie Feuer brannte. Seine Beine wurden schwer und versagten schließlich ihren Dienst. Langsam brach er in die Knie. Dann wurde es ihm schwarz vor den Augen. Ein paar Polizisten waren inzwischen mit Gasmasken ins Zimmer gestürmt und rissen die Fenster auf. Langsam zog die Nebelwolke ab. Als sie den Toten hinter dem Schreibtisch entdeckten, sahen sie sich betroffen an. »Hier scheint sich allerhand abgespielt zu haben«, sagte der Einsatzleiter. »Wir sind leider etwas zu spät gekommen. Wie wollen wir jetzt das Mädchen finden?« »Der hier lebt noch!«, kam eine Stimme von außen. Mit ein paar Sprüngen war der Einsatzleiter draußen und beugte sich über den Verletzten. Lothar stöhnte leise. »Holt mir den Doktor«, rief der Einsatzleiter und winkte einem der Beamten ungeduldig zu. »Lang macht der nicht mehr! Wir müssen unbedingt von ihm erfahren, wo sie das Mädchen versteckt haben.« Inzwischen war der Arzt gekommen und kniete sich neben den Verletzten. Er gab ihm eine kräftigende Spritze. Nach einer Weile schlug Lothar die Augen auf. Als er die Beamten sah, verzog sich sein Gesicht zu einer hässlichen Grimasse. »Wo habt ihr das Mädchen?«, fragte der Einsatzleiter und sah den Verletzten beschwörend an. »Sie wissen, wie es mit Ihnen steht! Ich brauche Ihnen nichts
zu sagen. Tun Sie in Ihrem Leben wenigstens noch eine gute Tat, und sagen Sie uns, wo Sie das Mädchen versteckt haben!« »Ich kratze ab«, sagte Lothar mühsam. Sein Gesicht verzog sich bei jedem Wort schmerzlich. »Aber ich nehme mein ... Geheim ... nis mit! Ihr erfahrt nichts ... nichts!« »Wollen Sie so vor Ihren Herrgott treten?«, rief Oliver, der sich ebenfalls über den Schwerverletzten gebeugt hatte. Lothar lächelte verschlagen. »Sieh da! Der ... Mu .. .sikus!«, brachte er mühsam heraus. »Jajaja!«, rief Oliver. »Bitte! Ich bitte Sie von ganzem Herzen! Sagen Sie mir, wo Monika ist!« Lothar schüttelte den Kopf. »Nein«, stöhnte er und schloss gequält die Augen. »Geben Sie ihm noch eine Spritze!«, rief der Einsatzleiter. »Er muss es uns sagen! Ohne ihn suchen wir uns schwarz, bis wir das Mädchen finden! Er und Huber dürften die einzigen sein, die wissen, wo sie steckt!« Der Arzt untersuchte den Verletzten noch einmal. »Er braucht keine Spritze mehr«, sagte er und erhob sich. »Er ist tot! Tut mir leid!« Er packte seine Instrumente in seine Tasche und ging. Die Männer sahen ihm schweigend nach. Der Einsatzleiter legte Oliver tröstend die Hand auf die Schulter. »Kopf hoch, junger Mann! Wir werden das Mädel finden! Noch ist nichts verloren!« »Hoffentlich«, sagte Oliver leise. Sehr optimistisch klang es allerdings nicht.
23
Monika Breitenbach war erschrocken zusammengefahren, als von außen der
Schuss an ihr Ohr drang. Sie ahnte, was sich draußen abgespielt hatte, und erwartete jeden Augenblick, dass einer von den schrecklichen Kerlen zurückkommen würde. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte. Sie brachte außer einem heiseren Röcheln keinen Ton hervor. Minute um Minute verging. Sie starrte mit brennenden Augen auf die Tür. Nichts rührte sich. Die Tür blieb geschlossen. Es war still! Unheimlich still! Sie war allein in diesem finsteren, stickigen Raum. Die Angst schnürte ihr fast die Kehle zu. Zitternd erhob sie sich und ging zu der schweren Stahltür. Verzweifelt rüttelte sie daran. Nicht den Bruchteil eines Millimeters gab sie nach!« »O Gott, hilf mir doch!«, stöhnte sie hoffnungslos. »Ich will hier raus! Raus! Ich will doch noch nicht sterben!« Sie trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. Sie spürte nicht einmal den Schmerz, als die Haut aufplatzte und ihr Blut auf den feuchten Boden tropfte. Sie hatte nur den einen Gedanken: Ich muss raus hier! Sie hieb und trat gegen die Tür. Sie fluchte, sie schrie, sie weinte! Schließlich sank sie erschöpft zu Boden, wo sie wimmernd liegenblieb. Plötzlich spürte sie einen ziehenden Schmerz, der vom Rücken ausging und dann fast ihren Unterleib zu zerreißen drohte. »Mein Gott, das Baby«, stöhnte sie entsetzt. »Die Wehen haben begonnen! Es ist soweit! Lieber Gott! Bitte, bitte, lass es nicht die Wehen sein! Ich kann doch hier mein Kind nicht bekommen! Hier in diesem elenden Bunker! Du darfst es nicht zulassen! Bitte! Hilf mir doch!« Sie erhob sich mühsam und schwankte zur Liege, wo sie sich schwerfällig niederlegte. Wieder schüttelte der entsetzliche Schmerz ihren geplagten jungen Körper. Es gab keinen Zweifel! Es waren die Wehen!
24
Nach der überraschenden Razzia in Hubers Kneipen saß eine stattliche Anzahl zwielichtiger Gestalten auf dem Frankfurter Polizeipräsidium und wartete auf die Vernehmung. Hauptkommissar Ernst Lubitsch und seine Helfer hatten alle Hände voll zu tun. Oliver und Rolf warteten nervös in einem Nebenzimmer, ob man nicht endlich einen Anhaltspunkt bekam, wo man Monika finden konnte. Es schien aussichtslos. Keiner der Typen wusste etwas oder wollte etwas wissen. Es war zum Verzweifeln. Ab und zu kam Hauptkommissar Lubitsch zu ihnen, schüttelte bedauernd den Kopf und nickte den beiden jungen Männern aufmunternd zu. »Das kriegen wir schon«, sagte er immer wieder. »Nur nicht den Mut verlieren! Einer wird schon noch auspacken! Verlassen Sie sich darauf! Ich habe da so meine Methode!« Aber es packte keiner aus! Es konnte gar keiner auspacken. Sie wussten es ja tatsächlich nicht. Huber machte solche unsauberen Geschichten stets nur mit wenigen seiner Männer. Und die, die etwas hätten sagen können, waren tot! Hunderte von Polizisten durchkämmten die Gegend in und um Frankfurt. Man schaltete Spitzel ein, die sich in der Unterwelt umhörten. Vergeblich! Monika blieb verschwunden. Oliver wurde von Minute zu Minute nervöser. Er war kreidebleich. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen hatten tiefe dunkle Ringe. Fahrig rauchte er eine Zigarette nach der anderen. Rolf hatte vorsorglich alle Konzerte in den nächsten Tagen abgesagt. In diesem Zustand konnten sie unmöglich auf die Bühne. Auch wenn es immer so schön hieß: The show must go on - die Show muss weitergehen! Die Veranstalter tobten zwar und drohten Konsequenzen an. Als sie jedoch hörten, worum es ging, wurden sie still und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Sache ein gutes Ende nehmen möge. »Wie spät ist es?«, fragte Oliver zum hundertsten mal. Rolf sagte es ihm. »Ich halte das nicht mehr lange aus«, sagte Oliver und zündete sich wieder eine Zigarette an. »Diese Ungewissheit! Das geht an die Nerven! Heute werde ich für
alles bestraft, was ich in den letzten Monaten falsch gemacht habe! Es geschieht mir recht! Mir tut es nur um Monika leid! Was wird sie ausstehen müssen! Und das in ihrem Zustand! Wenn das nur gutgeht!« »Es wird gutgehen«, meinte Rolf tröstend, obwohl er selbst nicht daran glaubte. Er fühlte sich zerschlagen und hätte am liebsten geheult. Damit wäre seinem Freund aber am allerwenigsten gedient gewesen. So gab er sich gelassen und spielte seinem Freund Theater vor. Es war zum Verzweifeln! Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und Kommissar Lubitsch stürmte ins Zimmer. Sein Gesicht wirkte entspannt, sein Lächeln nicht mehr verkrampft. »Kommen Sie mit!«, rief er schon von weitem. »Ich glaube, wir haben Ihre Braut gefunden!« Oliver und Rolf waren aufgesprungen und starrten den Beamten ungläubig an. Dann fielen sie sich jubelnd in die Arme. »Freuen Sie sich bitte nicht zu früh«, warnte Lubitsch. »Noch ist nichts erwiesen! Bis jetzt liegt erst ein Hinweis aus der Bevölkerung vor! Man hat im Wald bei Bad Homburg eine Leiche gefunden. Die Beschreibung t auf einen von Hubers Männern! Wie gesagt, noch ist nichts erwiesen! Wir werden uns an Ort und Stelle einmal umsehen! Die Kollegen von Bad Homburg sind bereits auf dem Weg zum Tatort! Kommen Sie! Wir wollen nichts versäumen!« Mit einem Funken Hoffnung im Herzen machten sie sich auf den Weg.
25
»Das klang wie ein Schuss!«, sagte der Rentner Anton Sattler zu seiner Frau Elfriede. Die beiden hatten sich nach dem Mittagessen auf den Weg gemacht, um bei diesem herrlichen Wetter einen Waldspaziergang zu machen. Sie waren mit ihrem alten VW bis zum Waldrand gefahren, hatten dort das Fahrzeug abgestellt und wanderten nun schon über eine Stunde durch die herrliche Natur. Sie lauschten dem Gesang der Vögel, beobachteten hier ein Eichhörnchen, da ein Reh, das von ihren Schritten aufgescheucht, ängstlich die Flucht ergriff.
»Was du immer alles hörst«, sagte Frau Sattler kopfschüttelnd. »Da wird irgendwo ein Ast abgebrochen sein!« Anton Sattler sah seine Frau missbilligend an. »Ich werde doch noch einen abbrechenden Ast von einem Schuss unterscheiden können! Ich bitte dich!« »Vielleicht war es ein Jäger«, meinte sie hoffnungsvoll. »Quatsch«, erwiderte er störrisch. »Es ist Schonzeit! Außerdem war es ein Pistolenschuss! Ich kenne diesen trockenen Knall, glaube es mir! Da hat einer mit einer Pistole geschossen! Wenn da nur nichts iert ist!« »Komm, lass uns gehen«, bedrängte Elfriede Sattler ihren Gatten. »Mir ist es unheimlich hier! Ich habe Angst!« »Unsinn«, rief Herr Sattler. »Vielleicht braucht einer unsere Hilfe! Wir haben die moralische Verpflichtung, hier nach dem Rechten zu sehen.« »Pfeif doch einmal auf deine verdammten moralischen Pflichten«, jammerte Elfriede zitternd. »Ich möchte wegen dieser moralischen Pflichten keine Kugel in den Kopf bekommen!« »Dann sehe ich eben allein nach«, sagte Herr Sattler und ging in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war. »Du kannst mich doch hier nicht allein lassen«, rief seine Frau. »Ich sterbe! Ich kriege einen Herzanfall!« »Dann komm mit«, befahl Herr Sattler barsch. Ohne sich noch einmal nach seiner Frau umzusehen, stapfte er durch den Wald. Abrupt blieb er stehen und starrte auf einen Busch, der wenige Meter vor ihnen stand. »Da liegt einer auf der Erde«, rief er. »Man kann ihn nicht richtig sehen. Die verdammten Zweige verdecken die Sicht!« »Anton, komm doch bitte«, rief Elfriede ängstlich. »Musst du deine Nase denn in alles hineinstecken? Wir gehen zur Polizei. Die soll sich drum kümmern! Schließlich werden die ja dafür bezahlt!«
»Gut, einverstanden«, murmelte er geistesabwesend. »Gehen wir zur Polizei!«
26
Monika Breitenbach hörte, dass von außen heftig an der Bunkertür gerüttelt wurde. Sie vernahm undeutlich verschiedene Stimmen, konnte aber keine Einzelheiten verstehen. Ob Huber sie holen kam? Fast schien es so. Was würde nun geschehen? Sie krümmte sich und stöhnte. Die Wehen kamen jetzt in immer kürzeren Abständen. »Wir werden die Tür aufsprengen müssen«, hörte sie eine Stimme sagen. Das ist aber keiner von Hubers Männern, dachte sie. O Gott! Ob man mich endlich gefunden hat? »Lassen Sie mich doch erst einmal heran«, hörte sie plötzlich eine Stimme, die ihr so gut bekannt war! Oliver! Ihr geliebter Oliver war draußen! Jetzt war alles gut! Jetzt wusste sie, dass Gott ihre Gebete erhört hatte, dass draußen ihre Retter standen! »Hallo, Monika!, schrie Oliver mit zitternder Stimme. »Monika! Bist du da drin? Monika! Hörst du mich?« Sie wollte schreien, doch sie brachte vor Freude keinen Ton heraus. Nur ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper. »Monika! Antworte doch! Ich bin’s, Oliver!« »Vielleicht hat man sie geknebelt«, sagte eine andere Stimme. »Vielleicht kann sie nicht antworten!« »Monika!«, schrie Oliver noch einmal verzweifelt. »Oliver!« Sie schrie es wie von Sinnen. Immer und immer wieder. »Oliver! Oliver! Oliver!« »Sie ist drinnen«, hörte sie Oliver rufen. »Mein Gott, wir haben es geschafft! Sie
ist tatsächlich drinnen!« »Lassen Sie mich jetzt mal mit dem Mädchen sprechen«, sagte Lubitsch gutmütig. »Ich teile zwar Ihre Freude, muss dem Mädchen aber jetzt ein paar Anweisungen geben!« Er drängte Oliver und Rolf zur Seite. »Hallo, Fräulein Monika! Können Sie mich hören? Hier spricht Hauptkommissar Lubitsch von der Frankfurter Kripo!« »Ja«, sagte das Mädchen mit erstickter Stimme. »Ja, ich höre Sie gut!« »Fräulein Monika! Wir müssen das Schloss sprengen, haben Sie mich verstanden? Gehen Sie bitte in den hintersten Winkel des Bunkers, damit Sie nicht ein Splitter trifft!« »Es ist gut, Herr Kommissar!«, sagte sie. »Ich bin schon auf dem Weg!« »Gut! In einer Minute ist es soweit! Alles klar?« »Alles klar!« Mit zitternden Knien ging sie zurück zur Liege. Dort kippte sie den Tisch um, so dass er schützend vor ihr stand. Kurz darauf vernahm sie eine leichte Detonation, und die Stahltür sprang auf. Oliver war als erster in dem düsteren Raum. »Monika!«, rief er mit erstickter Stimme. Sie erhob sich mühsam und ging ihm schwankend entgegen. »Oliver!«, flüsterte sie. »Es ist soweit. Die Wehen ...« Er konnte sie gerade noch auffangen, als sie bewusstlos zusammensank. Sofort wurde über Funk ein Krankenwagen angefordert, der Monika ins nächste Krankenhaus brachte. Als sie ankamen, wurde Monika sogleich in den Kreißsaal gefahren. Während ein Arzt und eine Hebamme sich um sie kümmerten, ging Oliver aufgeregt im
Flur auf und ab. Nach einiger Zeit, Oliver schien es wie eine Ewigkeit, wurde die Tür geöffnet. Die Hebamme trat heraus und sagte: »Es ist alles in Ordnung. Sie haben eine gesunde Tochter. Sie dürfen einen Augenblick hereinkommen.« Zusammen mit dem Arzt verließ sie den Kreißsaal. Oliver ging auf Zehenspitzen hinein und trat an den Operationstisch, auf dem Monika lag und das Baby im Arm hielt. »Monika! Verzeih mir!«, sagte er bittend. Sie lächelte ihn glücklich an. »Nun wird alles gut«, sagte sie leise. ENDE